Filmakademie Baden-Württemberg Campus Magazin 20/21
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DOZIERENDE IM PORTRÄT<br />
immer noch sehr ernst nehmen, ihre Themen nach vorn<br />
zu bringen und sich stofflich auszutoben. Gleich im ersten<br />
Jahr kam Burhan Qurbani mit VÖGEL OHNE BEI-<br />
NE, eine Serie über Migrantenkinder in Kreuzberg, die<br />
ihrer Zeit megaweit voraus war. Wie seine Karriere weiterging,<br />
ist ja allseits bekannt. Die ersten Studierenden<br />
in Serien Producing, darunter auch Robert Dannenberg,<br />
der später DER LETZTE BULLE geschrieben hat, wurden<br />
auf dem <strong>Campus</strong> allerdings verächtlich und wie Aliens<br />
betrachtet, immer unter dem Verdacht, dass wir im<br />
Studiengang quotenorientierte Roboter züchten.<br />
Vor 5-6 Jahren folgte dann der nächste Schub, als vor<br />
allem mit Netflix qualitativ hochwertige, horizontal erzählte<br />
Serien boomten – auch in Deutschland durch<br />
Tom Tykwer oder die <strong>Filmakademie</strong>-Absolventen Christian<br />
Schwochow und Philipp Kadelbach – und hierzulande<br />
nicht mehr nur in der leichten Unterhaltung angesiedelt<br />
wurden.<br />
enorm wichtig wurde – ich nenne sie die SCRUBS-Generation,<br />
von denen einige auch sehr erfolgreich sind,<br />
z.B. die Autorin Anika Soisson, die bei uns schon eine<br />
Mockumentary geschrieben hat, als noch niemand über<br />
dieses Format gesprochen hat. Im Moment haben wir die<br />
Generation Netflix. Bei dieser tollen Entwicklung war<br />
und ist uns immer noch wichtig, dass wir uns internationale<br />
Serien anzuschauen und sie im Kurs analysieren,<br />
wir aber trotzdem sagen: Wir sind in Deutschland und<br />
der Fokus liegt auf dem heimischen Markt. Darauf bin<br />
ich auch stolz, auch wenn die Entwicklung in Zukunft<br />
in Richtung eines bilingualen Unterrichts gehen wird.<br />
Und wir legen nach wie vor Wert auf die Vermittlung<br />
von Grundlagen, etwa von unterschiedlichen Seriendramaturgien.<br />
Dabei konfrontieren wir die Studierenden<br />
z.B. auch mit WAPO BODENSEE, weil wir den Studierenden<br />
die Möglichkeit bieten wollen, in den deutschen<br />
Markt einzusteigen. Bora Dagtekins erster Job nach seinem<br />
Diplom war bei GUTE ZEITEN, SCHLECHTE ZEI-<br />
TEN und er redet in jedem Interview gut darüber. Es ist<br />
also wichtig, den deutschen Markt und klassische dramaturgische<br />
Regeln zu kennen, auch wenn heutige Serien<br />
wie BAD BANKS diese Regeln kaum noch befolgen.<br />
Im Moment schreiben natürlich alle Studierenden horizontale<br />
Mini-Serien mit wahnsinnig brutalen Geschichten,<br />
aber es gibt eben noch viele andere Formen von Serien,<br />
die sich immer noch großer Beliebtheit erfreuen.<br />
EURE ALUMNI HABEN IN DER BRANCHE SCHON<br />
DEUTLICHE FUSSSPUREN HINTERLASSEN. QUR-<br />
BANI UND DANNENBERG HAST DU SCHON GE-<br />
NANNT, BORA DAGTEKIN ("DAS PERFEKTE GE-<br />
HEIMNIS", "FACK JU GÖTHE", "TÜRKISCH FÜR<br />
ANFÄNGER") Z.B. IST AKTUELL DEUTSCHLANDS<br />
ERFOLGREICHSTER AUTOR UND REGISSEUR, STEF-<br />
FI ACKERMANN ALS PRODUZENTIN FÜR DIE SERI-<br />
ENENTWICKLUNG BEI NETFLIX ZUSTÄNDIG. WIE<br />
ZUFRIEDEN BIST DU MIT DEM WERDEGANG DES<br />
STUDIENGANGS? UND WAS SIND BISHER DEINE<br />
PERSÖNLICHEN HIGHLIGHTS?<br />
Ich finde die Entwicklung des Studiengangs toll, weil<br />
hier in <strong>20</strong> Jahren gleich drei Generationen durchgelaufen<br />
sind. Die erste, in deren Zeit ein Serienstudium noch<br />
als völlig verrückt angesehen wurde; vor zehn Jahren<br />
dann diejenigen, die auch die kurzen Formen wie die Sit-<br />
Com für sich entdeckten, als durch TWO AND A HALF<br />
MEN oder BIG BANG THEORY komisches Schreiben<br />
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Das ist die eine Konstante der Ausbildung. Die andere<br />
ist, dass eine Serienentwicklung viel teamorientierter ist<br />
als bei Einzelstücken. Den Begriff Writers Room haben<br />
wir schon vor <strong>20</strong> Jahren benutzt. Die gemeinsame Stoffentwicklung<br />
durch Autor und Producer ist immer der<br />
Kern einer Serie. Der zweite zentrale Aspekt ist, dass Serien<br />
Producing ein Kurs ist über die Frage: Wie begleite<br />
ich Development und wie lasse ich mich begleiten? Deswegen<br />
lesen die Studierenden alle Bücher der anderen in<br />
jedem Schritt mit und geben Feedback dazu. Daher bestehen<br />
für mich nur 50% des Kurses aus inhaltlicher Arbeit,<br />
die andere Hälfte ist zu lernen, wie ich in der Gruppe<br />
damit umgehe, dass mein Projekt bewertet wird und<br />
wie ich mit dieser Kritik umgehe. Und wie ich es schaffe,<br />
von Folge zu Folge auf Kurs und meiner Grundidee<br />
treu zu bleiben. Gleichzeitig lernen die Studierenden dabei,<br />
dass es eine große Verantwortung ist, Kritik zu üben.<br />
Ich habe schon Projekte sterben sehen, weil jemand an<br />
der falschen Stelle eine Augenbraue hochgezogen hat.