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AM PULS COVERSTORY<br />
Interview<br />
Am Monatsende ist „Toastbrotzeit“<br />
sprach mit Erich Fenninger, Bundesgeschäftsführer der Volkshilfe<br />
Österreich, über das erste Corona-Jahr, die Herausforderungen in der Sozialarbeit<br />
sowie über die Auswirkungen der Pandemie auf armutsbetroffene Familien.<br />
Von Bernhard Salzer<br />
<strong>doktorinwien</strong>: Wie sieht Ihre Bilanz<br />
nach dem Pandemie-Jahr aus?<br />
Fenninger: Es war für unsere Organisation<br />
mit 9500 Beschäftigten vor allem<br />
zu Beginn sehr schwierig für unsere<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im<br />
Gesundheits- und Sozialbereich ausreichend<br />
Schutzausrüstung zu organisieren.<br />
Das hat viele Nerven gekostet und<br />
es war auch eine hochgradig finanzielle<br />
Belastung. Dazu kamen weitere logistische<br />
Herausforderungen: So haben<br />
wir etwa in stationären Einrichtungen<br />
die Teams so klein wie möglich gehalten,<br />
damit, sollte ein Cluster entstehen,<br />
dieser sich nur minimal entfalten kann.<br />
Bei tatsächlichen Ausfällen lag die Herausforderung<br />
darin, wie wir die Pflegeoder<br />
Sozialdienstleistungen aufrechterhalten<br />
können. Das betraf etwa unsere<br />
Wohngemeinschaften für Kinder und<br />
Jugendliche. Da haben die Kolleginnen<br />
und Kollegen Unglaubliches geleistet.<br />
Wenn die Kinder erkrankt waren, sind<br />
sie trotzdem in den betreuten Wohneinrichtungen<br />
mit den Kindern geblieben.<br />
Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
waren in diesen eineinhalb Jahren sehr<br />
gefordert und es hat sie viel an Substanz<br />
gekostet. Positiv hervorzuheben ist aber<br />
die Leidenschaft von allen, die im Gesundheits-,<br />
Sozial- und Pflegebereich<br />
bei uns tätig sind. Niemand hat jemals<br />
gesagt, ich möchte mich zurückziehen.<br />
Es war für alle selbstverständlich, für<br />
jene Menschen da zu sein, die Hilfe<br />
brauchen. Im Verlauf der Pandemie hat<br />
sich gezeigt, wie wichtig und hochgradig<br />
systemrelevant die medizinische, pflegerische<br />
und soziale Arbeit und Versorgung<br />
für unser Land ist. Dieses Bewusstsein<br />
sollte uns berufsgruppenübergreifend<br />
als „Helfende“ verbinden und gemeinsam<br />
für bessere Arbeitsbedingungen für<br />
uns alle in diesen Bereichen eintreten<br />
lassen. Denn die Österreicherinnen und<br />
Österreicher wissen, dass es ohne uns<br />
alle nicht gegangen wäre.<br />
Erich Fenninger:<br />
„Die Gesamtsituation<br />
für armutsbetroffene<br />
Kinder hat<br />
sich während der<br />
Pandemie deutlich<br />
verschlechtert.“<br />
<strong>doktorinwien</strong>: Wie haben Sie die Einschränkungen<br />
während der Lockdowns<br />
erlebt?<br />
Fenninger: Das hat uns alle in Österreich<br />
gleich getroffen und ich habe<br />
dieses Jahr tatsächlich als sehr schwierige<br />
Zeit empfunden. Ich war mir aber<br />
jeden Tag bewusst, dass es den Menschen,<br />
für die ich arbeite, deutlich<br />
schlechter gegangen ist. Etwa jene, die<br />
aufgrund von Vorerkrankungen ein<br />
Gesundheitsrisiko mit sich tragen, oder<br />
Menschen mit Behinderungen oder<br />
Armutsbetroffene. Im persönlichen<br />
Bereich hat sich in meiner Familie mit<br />
drei Söhnen gezeigt, dass wir Erwachsene<br />
zwar von der Situation belastet<br />
waren, aber Kinder und Jugendliche<br />
es in dieser Zeit viel schwerer hatten.<br />
Gerade die Jugendlichen, die in einer<br />
Phase der Verselbständigung sind, aus<br />
dem Elternhaus hinauswollen und soziale<br />
Kontakte brauchen, waren eingesperrt.<br />
Deswegen müssen sie rasch<br />
wieder Räume bekommen, wo sie sich<br />
treffen und entfalten können, selbstverständlich<br />
unter Berücksichtigung<br />
aller nötigen gesundheitlichen Sicherheitsmaßnahmen.<br />
<strong>doktorinwien</strong>: Wir hatten gerade<br />
Schulschluss des ersten kompletten Pandemie-Schuljahres.<br />
Welche Note bekäme<br />
die Bundesregierung für ihr Corona-Management?<br />
Fenninger: Wenn wir uns am Schulsystem<br />
orientieren, so ist der Schulbetrieb<br />
in zwei Semester unterteilt. Dementsprechend<br />
würde ich der Regierung<br />
für den Beginn der Krise, quasi das<br />
erste Semester, definitiv ein positives<br />
Zeugnis mit einer Note zwischen 1<br />
Foto: Stefan Seelig<br />
18 doktor in wien <strong>07</strong>_08_<strong>2021</strong>