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doktorinwien 2021/07

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AM PULS COVERSTORY<br />

Interview<br />

Am Monatsende ist „Toastbrotzeit“<br />

sprach mit Erich Fenninger, Bundesgeschäftsführer der Volkshilfe<br />

Österreich, über das erste Corona-Jahr, die Herausforderungen in der Sozialarbeit<br />

sowie über die Auswirkungen der Pandemie auf armutsbetroffene Familien.<br />

Von Bernhard Salzer<br />

<strong>doktorinwien</strong>: Wie sieht Ihre Bilanz<br />

nach dem Pandemie-Jahr aus?<br />

Fenninger: Es war für unsere Organisation<br />

mit 9500 Beschäftigten vor allem<br />

zu Beginn sehr schwierig für unsere<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im<br />

Gesundheits- und Sozialbereich ausreichend<br />

Schutzausrüstung zu organisieren.<br />

Das hat viele Nerven gekostet und<br />

es war auch eine hochgradig finanzielle<br />

Belastung. Dazu kamen weitere logistische<br />

Herausforderungen: So haben<br />

wir etwa in stationären Einrichtungen<br />

die Teams so klein wie möglich gehalten,<br />

damit, sollte ein Cluster entstehen,<br />

dieser sich nur minimal entfalten kann.<br />

Bei tatsächlichen Ausfällen lag die Herausforderung<br />

darin, wie wir die Pflegeoder<br />

Sozialdienstleistungen aufrechterhalten<br />

können. Das betraf etwa unsere<br />

Wohngemeinschaften für Kinder und<br />

Jugendliche. Da haben die Kolleginnen<br />

und Kollegen Unglaubliches geleistet.<br />

Wenn die Kinder erkrankt waren, sind<br />

sie trotzdem in den betreuten Wohneinrichtungen<br />

mit den Kindern geblieben.<br />

Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

waren in diesen eineinhalb Jahren sehr<br />

gefordert und es hat sie viel an Substanz<br />

gekostet. Positiv hervorzuheben ist aber<br />

die Leidenschaft von allen, die im Gesundheits-,<br />

Sozial- und Pflegebereich<br />

bei uns tätig sind. Niemand hat jemals<br />

gesagt, ich möchte mich zurückziehen.<br />

Es war für alle selbstverständlich, für<br />

jene Menschen da zu sein, die Hilfe<br />

brauchen. Im Verlauf der Pandemie hat<br />

sich gezeigt, wie wichtig und hochgradig<br />

systemrelevant die medizinische, pflegerische<br />

und soziale Arbeit und Versorgung<br />

für unser Land ist. Dieses Bewusstsein<br />

sollte uns berufsgruppenübergreifend<br />

als „Helfende“ verbinden und gemeinsam<br />

für bessere Arbeitsbedingungen für<br />

uns alle in diesen Bereichen eintreten<br />

lassen. Denn die Österreicherinnen und<br />

Österreicher wissen, dass es ohne uns<br />

alle nicht gegangen wäre.<br />

Erich Fenninger:<br />

„Die Gesamtsituation<br />

für armutsbetroffene<br />

Kinder hat<br />

sich während der<br />

Pandemie deutlich<br />

verschlechtert.“<br />

<strong>doktorinwien</strong>: Wie haben Sie die Einschränkungen<br />

während der Lockdowns<br />

erlebt?<br />

Fenninger: Das hat uns alle in Österreich<br />

gleich getroffen und ich habe<br />

dieses Jahr tatsächlich als sehr schwierige<br />

Zeit empfunden. Ich war mir aber<br />

jeden Tag bewusst, dass es den Menschen,<br />

für die ich arbeite, deutlich<br />

schlechter gegangen ist. Etwa jene, die<br />

aufgrund von Vorerkrankungen ein<br />

Gesundheitsrisiko mit sich tragen, oder<br />

Menschen mit Behinderungen oder<br />

Armutsbetroffene. Im persönlichen<br />

Bereich hat sich in meiner Familie mit<br />

drei Söhnen gezeigt, dass wir Erwachsene<br />

zwar von der Situation belastet<br />

waren, aber Kinder und Jugendliche<br />

es in dieser Zeit viel schwerer hatten.<br />

Gerade die Jugendlichen, die in einer<br />

Phase der Verselbständigung sind, aus<br />

dem Elternhaus hinauswollen und soziale<br />

Kontakte brauchen, waren eingesperrt.<br />

Deswegen müssen sie rasch<br />

wieder Räume bekommen, wo sie sich<br />

treffen und entfalten können, selbstverständlich<br />

unter Berücksichtigung<br />

aller nötigen gesundheitlichen Sicherheitsmaßnahmen.<br />

<strong>doktorinwien</strong>: Wir hatten gerade<br />

Schulschluss des ersten kompletten Pandemie-Schuljahres.<br />

Welche Note bekäme<br />

die Bundesregierung für ihr Corona-Management?<br />

Fenninger: Wenn wir uns am Schulsystem<br />

orientieren, so ist der Schulbetrieb<br />

in zwei Semester unterteilt. Dementsprechend<br />

würde ich der Regierung<br />

für den Beginn der Krise, quasi das<br />

erste Semester, definitiv ein positives<br />

Zeugnis mit einer Note zwischen 1<br />

Foto: Stefan Seelig<br />

18 doktor in wien <strong>07</strong>_08_<strong>2021</strong>

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