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AM PULS COVERSTORY<br />
><br />
Kinder in armutsbetroffenen Familien<br />
zu verbessern, deren Wohnungen oft<br />
schlecht und wenig kindgerecht ausgestattet<br />
sind. Ein weiterer Schwerpunkt<br />
lag in der Fokussierung auf Bildung,<br />
indem wir Kinder beim Homeschooling<br />
unterstützt haben. Oder die Aktion „12<br />
Mal Mut schaffen“, bei der Unternehmen,<br />
aber auch Privatpersonen, eine<br />
Partnerschaft für ein Kind aus einer besonders<br />
von Armut betroffenen Familie<br />
in Österreich übernehmen können und<br />
pro Monat, zwölf Mal im Jahr, 100 Euro<br />
spenden. Damit ist diesen Familien<br />
extrem geholfen, weil der finanzielle<br />
Druck, der auf ihnen lastet, gesenkt<br />
wird.<br />
<strong>doktorinwien</strong>: Damit kommen wir<br />
zum Thema Armut in Österreich und<br />
speziell Kinderarmut. Wo standen wir da<br />
vor der Pandemie und was hat sich in dem<br />
Jahr verändert?<br />
Fenninger: Wir haben dazu zwei Studien<br />
erstellt, eine nach dem ersten Corona-Quartal<br />
und die zweite heuer im<br />
Frühjahr. Bei der ersten Umfrage haben<br />
zwölf Prozent der armutsgefährdeten<br />
„Wir haben<br />
die höchste<br />
Arbeitslosigkeit<br />
der<br />
zweiten Republik<br />
und<br />
wir müssen<br />
daher die<br />
Existenzen<br />
jener<br />
Menschen<br />
sichern, die<br />
ihre Erwerbstätigkeit<br />
verloren<br />
haben.“<br />
Kinderpartnerschaft: 1 Kind für 1 Jahr unterstützen<br />
Die Volkshilfe hat das Projekt „12 Mal Mut schaffen“ zur Unterstützung armutsbetroffener Kinder<br />
ins Leben gerufen. Mit 100 Euro pro Monat wird ein armuts betroffenes Kind ein Jahr lang gezielt<br />
unterstützt.<br />
Die Kinderpartnerschaft kann sowohl von Unternehmen als auch von Privatpersonen übernommen<br />
werden und schafft damit ein wenig mehr Normalität im Alltag armutsbetroffener Familien in Österreich.<br />
Die Kinderpartnerschaft hilft Defizite bei der materiellen Versorgung (Wohnraum, Kleidung,<br />
Essen), Bildungschancen, sozialer Teilhabe und bei der gesundheitlichen Entwicklung abzudecken.<br />
www.kinderarmut-abschaffen.at<br />
Familien ihre Lebensqualität mit einem<br />
Nicht Genügend bewertet. Ein Jahr<br />
später hat sich diese Zahl verdoppelt.<br />
Aber bereits im ersten Corona-Quartal<br />
hat sich die Lebensqualität von armutsbetroffenen<br />
Kindern und Familien<br />
gegenüber der Zeit vor der Pandemie<br />
um 50 Prozent verschlechtert. Gerade<br />
Kinder und Jugendliche spüren diese<br />
Verschlechterung. 49 Prozent der armutsbetroffenen<br />
Kinder gaben Sorgen<br />
um ihr schulisches Weiterkommen<br />
an, ebenso viele – vor allem Jüngere –<br />
gaben an, in der Zeit der Lockdowns<br />
Freundinnen und Freunde verloren<br />
zu haben. Ein Drittel macht sich gesundheitliche<br />
Sorgen und 60 Prozent<br />
fühlen sich einsamer und trauriger als<br />
vor der Pandemie. Mehr als die Hälfte<br />
leidet unter Stresssymptomen und 40<br />
Prozent unter Schlafstörungen, die vor<br />
der Pandemie nicht so wahrgenommen<br />
wurden. Vor der Pandemie waren<br />
in Summe 19 Prozent aller Kinder<br />
und Jugendlichen in Österreich von<br />
Armut betroffen, jetzt sind es 22 Prozent<br />
und die Prognose zeigt nach oben.<br />
Die monetären Probleme Armutsbetroffener<br />
sind während der Pandemie<br />
größer geworden. Die Mieten wurden<br />
für armutsbetroffene Familien zwar gestundet,<br />
aber das kann heuer im Herbst<br />
oder zu Beginn des kommenden Jahres<br />
für diese Familien zu einem massiven<br />
Problem werden. Das, was sich bei allen<br />
armutsbetroffenen Kindern durchzieht,<br />
ist, dass immer in den letzten Tagen<br />
des Monats eine unzureichende Ernährungsversorgung<br />
herrscht. Die Kinder<br />
sprechen über diese Tage von der<br />
„Toast brotzeit“.<br />
<strong>doktorinwien</strong>: Wo sehen Sie die wichtigsten<br />
Ansatzpunkte zur Problemlösung?<br />
Fenninger: Die Gesamtsituation<br />
für armutsbetroffene Kinder hat sich<br />
während der Pandemie deutlich verschlechtert.<br />
Wenn wir da nicht gegensteuern,<br />
machen wir diese Kinder zu<br />
den Arbeitslosen von morgen. Armutsbetroffene<br />
Kinder sind materiell benachteiligt,<br />
entwickeln weniger soziale<br />
Kompetenzen aufgrund eines kleineren<br />
oder fehlenden Freundeskreises, sie<br />
fallen früher aus dem Bildungssystem<br />
heraus und entwickeln öfter chronische<br />
Erkrankungen. Diese Kinder müssen<br />
so unterstützt werden, dass sie von der<br />
Not ihrer Eltern entkoppelt und verselbstständigt<br />
werden. Die aktuellen<br />
Familientransferleistungen sind aber<br />
intransparent und privilegieren auch<br />
teilweise die besser Verdienenden.<br />
Daher wäre das Konzept einer Kindergrundsicherung<br />
für alle Kinder bis zur<br />
Volljährigkeit, zuzüglich einer einkommensbezogenen<br />
Tangente ein Lösungsansatz.<br />
Es geht darum, dass die Kinder<br />
nicht nur überleben können, sondern<br />
und vor allem auch am kulturellen,<br />
sportlichen und sozialen Leben teilhaben,<br />
in der Bildung weiterkommen und<br />
eine möglichst sorgenfreie Kindheit<br />
verbringen können. Damit kann die<br />
Basis geschaffen werden, dass die armutsbetroffenen<br />
Kinder von heute aus<br />
diesem Kreislauf herauskommen und<br />
später als Erwachsene in einer gesicherten<br />
Existenz leben können. <br />
Erich Fenninger, in Bad Vöslau geboren,<br />
ist seit 2003 Bundesgeschäftsführer<br />
der Volkshilfe Österreich und seit<br />
2016 Vorsitzender der Sozialwirtschaft<br />
Österreich, dem Arbeitgeberverband der<br />
privaten österreichischen Sozial- und<br />
Gesundheitsunternehmen.<br />
Foto: Juanmonino/iStock<br />
20 doktor in wien <strong>07</strong>_08_<strong>2021</strong>