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SERVICE MEDIZIN<br />
Moderne Prothetik<br />
Bionische Prothese rettet Bartgeier<br />
Ein Bartgeier aus der Eulen- und Greifvogelstation in Haringsee (NÖ) hatte sich am Fuß<br />
so schwer verletzt, dass dieser abgenommen werden musste. Lange hätte der Vogel mit seinem<br />
Stumpf trotz Betreuung vermutlich nicht überlebt. Dank eines Wiener Forschungsteams<br />
erhielt das Tier eine neuartige Hightech-Prothese, die in das Skelett integriert ist.<br />
► Eines der vielversprechendsten<br />
Gebiete in der modernen Prothetik<br />
ist die direkte Anbringung von Implantaten<br />
am Knochen. Damit ist sichergestellt,<br />
dass die Arm- oder Bein -<br />
prothese möglichst nahe am Körper<br />
sitzt, und die oder der Tragende dadurch<br />
auch direkt Rückmeldung bekommt,<br />
indem über die verbliebene Extremität<br />
zu einem gewissen Grad wahrgenommen<br />
werden kann, was damit geschieht.<br />
Das Team um Oskar Aszmann an der<br />
Universitätsklinik für Plastische, Rekonstruktive<br />
und Ästhetische Chirurgie<br />
der Medizinischen Universität Wien ist<br />
mit Unterstützung namhafter Expertinnen<br />
und Experten aus Schweden und<br />
den USA hier führend.<br />
Spannendes Projekt<br />
Der nun im Fachblatt Scientific Reports<br />
vorgestellte beispiellose Fall des Bartgeiers<br />
Mia „war in Summe ein sehr<br />
spannendes Projekt“, sagte Aszmann<br />
im Gespräch mit der APA. Als Studien-<br />
Erstautorin Sarah Hochgeschurz von<br />
der Veterinärmedizinischen Universität<br />
Wien sich bei Aszmann meldete, musste<br />
sich dieser erst einmal orientieren,<br />
was das für ein ungewöhnlicher Patient<br />
ist. Das Tier hatte sich so unglücklich<br />
mit dem Bein in Stricken verheddert,<br />
dass die Blutversorgung des Fußes abgeschnitten<br />
wurde. Die Amputation<br />
war daraufhin der einzige Ausweg.<br />
Eine konventionelle Prothese kommt<br />
bei den Tieren allerdings nicht infrage,<br />
weil ihre Beine extremen Belastungen<br />
etwa beim Fressen und Landen ausgesetzt<br />
sind, und man einem Vogel<br />
schlecht zur Vorsicht raten kann. Trotzdem<br />
wollte man den Bartgeier nicht<br />
aufgeben, „man kämpft um jedes Tier“,<br />
sagte Aszmann. Denn die einst hierzulande<br />
ausgerotteten Tiere mit einer<br />
Flügelspannweite von bis zu 2,6 Metern<br />
und rund fünf Kilogramm Gewicht<br />
„Es war ein<br />
Riesenbrimborium,<br />
aber<br />
wenn wir<br />
das schon<br />
machen,<br />
wollten wir<br />
es richtig<br />
machen.“<br />
Die einst hierzulande ausgerotteten<br />
Bartgeier mit einer Flügelspannweite<br />
von bis zu 2,6 Metern und<br />
rund fünf Kilogramm Gewicht sind<br />
immer noch sehr selten.<br />
sind immer noch sehr selten. Es gilt<br />
daher vor allem die genetische Vielfalt<br />
von Europas größtem flugfähigen Vogel<br />
halbwegs hochzuhalten.<br />
Herausfordernde Logstik<br />
Zusammen mit Hans Frey von der Greifvogelstation<br />
und unter anderem Rickard<br />
Branemark vom Center for Osseointegration<br />
Research (USA) ging man mit<br />
dem Leiter des Zentrums für Biomedizinische<br />
Forschung an der MedUni<br />
Wien, Bruno Podesser, daran, die Operation<br />
zu planen. Es folgten eine Computertomografie<br />
unter Narkose, eine<br />
3D-Rekonstruktion des Knochens und<br />
Studien an Unterschenkeln von unterschiedlichen<br />
Vögeln. „Gott sei Dank hat<br />
der Geier als Aasfresser im Gegensatz zu<br />
Adlern am Unterschenkel einen runden<br />
Knochen, wo man auch ein Implantat<br />
hineinsetzen kann“, so Aszmann.<br />
Die Logistik hinter dem Eingriff entpuppte<br />
sich als äußerst herausfordernd<br />
und die belüfteten Röhrenknochen<br />
machten die Behandlung mit Narkosegas<br />
zur großen Herausforderung.<br />
Letztlich gelang es dem fünfköpfigen<br />
Operationsteam, das Implantat im<br />
Knochen zu verankern: „Es war ein<br />
Riesenbrimborium, aber wenn wir das<br />
schon machen, wollten wir es richtig<br />
machen“, so Aszmann.<br />
Kritische Zeitspanne<br />
Da der Stoffwechsel der eindrucksvollen<br />
Tiere sehr schnell abläuft, konnte der<br />
Fremdkörper in nur drei Wochen gut<br />
einwachsen und nach sechs Wochen<br />
der Fuß vollständig belastet werden.<br />
Durch eine Art Verbau wurde das Tier<br />
in der kritischen Zeit zuvor daran gehindert,<br />
dem Bein zu schaden. Aszmann:<br />
„Es waren rund herum viele Details, auf<br />
die wir alle Acht<br />
gehabt haben.<br />
Zum Glück ist am<br />
Ende alles gut gegangen.“<br />
Die dann am Implantat<br />
verankerte,<br />
außen runde Hartgummiprothese<br />
nutzte Mia auch<br />
gleich so extensiv,<br />
dass nach ein paar<br />
Monaten eine Prothese<br />
gebrochen<br />
ist. Diese wurde<br />
dann durch eine<br />
noch stabilere ersetzt,<br />
mit der der<br />
weltweit erste Vogel<br />
mit osseointegrierter<br />
Prothese<br />
weiter erfolgreich<br />
in der Greifvogelstation<br />
unterwegs<br />
ist. APA<br />
Foto: Korbinian Mueller/iStock<br />
26 doktor in wien <strong>07</strong>_08_<strong>2021</strong>