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doktorinwien 2021/07

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SERVICE MEDIZIN<br />

Moderne Prothetik<br />

Bionische Prothese rettet Bartgeier<br />

Ein Bartgeier aus der Eulen- und Greifvogelstation in Haringsee (NÖ) hatte sich am Fuß<br />

so schwer verletzt, dass dieser abgenommen werden musste. Lange hätte der Vogel mit seinem<br />

Stumpf trotz Betreuung vermutlich nicht überlebt. Dank eines Wiener Forschungsteams<br />

erhielt das Tier eine neuartige Hightech-Prothese, die in das Skelett integriert ist.<br />

► Eines der vielversprechendsten<br />

Gebiete in der modernen Prothetik<br />

ist die direkte Anbringung von Implantaten<br />

am Knochen. Damit ist sichergestellt,<br />

dass die Arm- oder Bein -<br />

prothese möglichst nahe am Körper<br />

sitzt, und die oder der Tragende dadurch<br />

auch direkt Rückmeldung bekommt,<br />

indem über die verbliebene Extremität<br />

zu einem gewissen Grad wahrgenommen<br />

werden kann, was damit geschieht.<br />

Das Team um Oskar Aszmann an der<br />

Universitätsklinik für Plastische, Rekonstruktive<br />

und Ästhetische Chirurgie<br />

der Medizinischen Universität Wien ist<br />

mit Unterstützung namhafter Expertinnen<br />

und Experten aus Schweden und<br />

den USA hier führend.<br />

Spannendes Projekt<br />

Der nun im Fachblatt Scientific Reports<br />

vorgestellte beispiellose Fall des Bartgeiers<br />

Mia „war in Summe ein sehr<br />

spannendes Projekt“, sagte Aszmann<br />

im Gespräch mit der APA. Als Studien-<br />

Erstautorin Sarah Hochgeschurz von<br />

der Veterinärmedizinischen Universität<br />

Wien sich bei Aszmann meldete, musste<br />

sich dieser erst einmal orientieren,<br />

was das für ein ungewöhnlicher Patient<br />

ist. Das Tier hatte sich so unglücklich<br />

mit dem Bein in Stricken verheddert,<br />

dass die Blutversorgung des Fußes abgeschnitten<br />

wurde. Die Amputation<br />

war daraufhin der einzige Ausweg.<br />

Eine konventionelle Prothese kommt<br />

bei den Tieren allerdings nicht infrage,<br />

weil ihre Beine extremen Belastungen<br />

etwa beim Fressen und Landen ausgesetzt<br />

sind, und man einem Vogel<br />

schlecht zur Vorsicht raten kann. Trotzdem<br />

wollte man den Bartgeier nicht<br />

aufgeben, „man kämpft um jedes Tier“,<br />

sagte Aszmann. Denn die einst hierzulande<br />

ausgerotteten Tiere mit einer<br />

Flügelspannweite von bis zu 2,6 Metern<br />

und rund fünf Kilogramm Gewicht<br />

„Es war ein<br />

Riesenbrimborium,<br />

aber<br />

wenn wir<br />

das schon<br />

machen,<br />

wollten wir<br />

es richtig<br />

machen.“<br />

Die einst hierzulande ausgerotteten<br />

Bartgeier mit einer Flügelspannweite<br />

von bis zu 2,6 Metern und<br />

rund fünf Kilogramm Gewicht sind<br />

immer noch sehr selten.<br />

sind immer noch sehr selten. Es gilt<br />

daher vor allem die genetische Vielfalt<br />

von Europas größtem flugfähigen Vogel<br />

halbwegs hochzuhalten.<br />

Herausfordernde Logstik<br />

Zusammen mit Hans Frey von der Greifvogelstation<br />

und unter anderem Rickard<br />

Branemark vom Center for Osseointegration<br />

Research (USA) ging man mit<br />

dem Leiter des Zentrums für Biomedizinische<br />

Forschung an der MedUni<br />

Wien, Bruno Podesser, daran, die Operation<br />

zu planen. Es folgten eine Computertomografie<br />

unter Narkose, eine<br />

3D-Rekonstruktion des Knochens und<br />

Studien an Unterschenkeln von unterschiedlichen<br />

Vögeln. „Gott sei Dank hat<br />

der Geier als Aasfresser im Gegensatz zu<br />

Adlern am Unterschenkel einen runden<br />

Knochen, wo man auch ein Implantat<br />

hineinsetzen kann“, so Aszmann.<br />

Die Logistik hinter dem Eingriff entpuppte<br />

sich als äußerst herausfordernd<br />

und die belüfteten Röhrenknochen<br />

machten die Behandlung mit Narkosegas<br />

zur großen Herausforderung.<br />

Letztlich gelang es dem fünfköpfigen<br />

Operationsteam, das Implantat im<br />

Knochen zu verankern: „Es war ein<br />

Riesenbrimborium, aber wenn wir das<br />

schon machen, wollten wir es richtig<br />

machen“, so Aszmann.<br />

Kritische Zeitspanne<br />

Da der Stoffwechsel der eindrucksvollen<br />

Tiere sehr schnell abläuft, konnte der<br />

Fremdkörper in nur drei Wochen gut<br />

einwachsen und nach sechs Wochen<br />

der Fuß vollständig belastet werden.<br />

Durch eine Art Verbau wurde das Tier<br />

in der kritischen Zeit zuvor daran gehindert,<br />

dem Bein zu schaden. Aszmann:<br />

„Es waren rund herum viele Details, auf<br />

die wir alle Acht<br />

gehabt haben.<br />

Zum Glück ist am<br />

Ende alles gut gegangen.“<br />

Die dann am Implantat<br />

verankerte,<br />

außen runde Hartgummiprothese<br />

nutzte Mia auch<br />

gleich so extensiv,<br />

dass nach ein paar<br />

Monaten eine Prothese<br />

gebrochen<br />

ist. Diese wurde<br />

dann durch eine<br />

noch stabilere ersetzt,<br />

mit der der<br />

weltweit erste Vogel<br />

mit osseointegrierter<br />

Prothese<br />

weiter erfolgreich<br />

in der Greifvogelstation<br />

unterwegs<br />

ist. APA<br />

Foto: Korbinian Mueller/iStock<br />

26 doktor in wien <strong>07</strong>_08_<strong>2021</strong>

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