59.3 Geher in der Sackgasse
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GEHER IN DER SACKGASSE
Schwazer und Donati glauben, dass die Probe gleich zweimal manipuliert
wurde. Zunächst durch das Hinzufügen fremden, testosteronbelasteten
Urins. Um den Betrug zu vertuschen, wurde die fremde DNA entfernt.
Möglich ist das mit UV-Bestrahlung, aber das vernichtete auch Schwazers
DNA. Als die Proben nach Parma geschickt werden sollten, musste seine
DNA aus einer seiner negativen Proben hinzugefügt werden. Zuerst sei
die A-Probe manipuliert worden, später die B-Probe. So erklären sich
Schwazer und Donati das unterschiedliche DNA-Vorkommen.
Der Richter schreibt dazu: «Die Manipulationen an den Reagenzgläsern
hätten jederzeit in Stuttgart oder in Köln stattfinden können,
wo sich nachweislich unverschlossene, also für den Bedarf leicht
verwendbare Reagenzgläser befanden.» Der Leiter des Kölner Labors
hält die Möglichkeit der Manipulation in dem Labor für ausgeschlossen.
Denn dort werden die Proben nach der Ankunft anonymisiert und sind
Schwazer nicht mehr zuzuordnen. Aber die gehackten E-Mails, die vor
Gericht als Beweismittel zugelassen werden, belasten auch Köln. Ein
IAAF-Anwalt schreibt im Februar 2017 an Capdeville: «Ich denke, die
Realität ist, dass das Labor versucht, so neutral wie möglich zu sein,
aber es würde helfen, wenn sie bereit wären, unsere Position bis zu
einem gewissen Grad zu unterstützen.» Wenig später antwortet derselbe
Anwalt: «Ich glaube, ich habe sie überzeugen können.»
In seiner Urteilsbegründung kritisiert der Richter: «Wada und
IAAF agieren völlig selbstbezogen. Sie dulden keine Kontrollen von
aussen und sind bereit, alles zu tun, um sie zu verhindern, bis hin zur
Erstellung falscher Erklärungen und zur Durchführung von Verfahrensbetrug.»
In einem Tweet schreibt Wada, sie sei «entsetzt über die
zahlreichen rücksichtslosen und unbegründeten Anschuldigungen».
«Jetzt lasst Alex wieder gehen», fordert die Gazzetta dello Sport
am Tag nach der Urteilsverkündung. Doch so einfach ist es nicht. Der
IAAF, 2019 in World Athletics umbenannt, teilt mit, dass die Sportsperre
des Gehers bis zu ihrem Ende 2024 nicht aufgehoben werden
soll. Das Urteil bezeichnet Schwazer trotzdem als seinen «grössten
Sieg». Zwischenzeitlich hat die Aufarbeitung der Dopingfälle aus dem
unbekümmerten und selbstsicheren Olympiasieger von 2008 einen
misstrauischen Mann mit tiefen Stirnfalten gemacht, der nicht mehr
ans Mobiltelefon ging, wenn er eine fremde Nummer auf dem Display
sah. Nun ist die Last von ihm abgefallen. Vorerst.
Kalch, ein 9-Häuser-Nest in den Südtiroler Bergen: Vor Schwazers
Elternhaus ragt ein eisernes Schild in die Höhe, darauf seine Silhouette
und die Siegerzeit bei den Olympischen Spielen 2008. Am Balkon
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