59.3 Geher in der Sackgasse
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REPORTAGEN #59
Menschen gehen einmal um den Block, wenn sie sich die Beine vertreten
müssen. Sie gehen auf Berge und um Seen herum, wenn sie die Stadt satt
haben. Sie gehen manchmal auch, um sich selbst ein bisschen besser
zu verstehen. Menschen, die nicht gehen, sind sehr alt, haben ein gebrochenes
Bein oder sitzen im Gefängnis. Alex Schwazer ist ein Mensch,
der nicht mehr gehen darf. Dabei ist er gesund, ja topfit. Eine Strecke von
50 Kilometern kann er schneller gehen als ein ambitionierter Hobbysportler
im fliegenden Laufschritt.
Doch der Weg des Südtiroler Gehers Alex Schwazer, Olympiasieger
und Europameister, führt zuletzt nicht über Asphalt oder Tartanbahnen
zu einer Ziellinie, sondern an den Gehstrecken dieser Welt vorbei.
Unterwegs sind nur noch seine Körperflüssigkeiten, Blut und Urin,
von Labor zu Labor. Sein Fall, ein Krimi aus der Sportwelt, macht Schwazer
bekannter, als es im Drehbuch für seine Randsportart vorgesehen ist.
Denn für eine Figur interessiert sich die Öffentlichkeit vielleicht noch
mehr als für einen strahlenden Sieger: für den gefallenen Helden.
Seine Geschichte ist die eines Täters, der zum Opfer wird.
Schwazer hat Dopingmittel genommen, er wird überführt und gesperrt.
Er versucht ein sauberes Comeback. Doch dabei wird ihm zum
Verhängnis, dass er sich einen neuen Trainer wählt, mit dem noch so
einige Köpfe aus der Sportwelt eine Rechnung zu begleichen haben.
Nach einem zweiten positiven Dopingbefund beteuert er: «Ich habe
nicht gedopt, ich wurde Opfer eines Komplotts.» Weil es Anzeichen
für eine Manipulation seiner Dopingprobe gibt, kämpft er für eine
grössere Sache als für Rekorde und Medaillen: für den Beweis seiner
Unschuld. Und für das Recht, wieder gehen zu dürfen. Zwei Gerichte
klären im Frühjahr 2021, ob Alex Schwazer rehabilitiert wird. Bekommt
er mit 36 Jahren noch eine Chance, sich ein letztes Mal für Olympische
Spiele zu qualifizieren?
Schwazers Karriere beginnt im Alter von 14 Jahren, als der Sohn
einer Schulhauswartin und eines Strassenarbeiters über die Jugendspiele
zum Gehen kommt, einer für Aussenstehende wunderlichen
Sportart. Geher müssen stets mit einem Fuss Bodenkontakt haben. In
der Bewegung darf das jeweils vordere Bein ab dem Aufsetzen nicht
gebeugt werden, das Knie muss gestreckt sein. Das führt zu einer markanten
Hüftbewegung, die Geher wie watschelnde Enten aussehen lässt.
Dabei fordert die Disziplin, seit 1932 olympisch, höchste Konzentration.
Bei einer unsauberen Technik kann der Geher mit einer gelben
Kelle verwarnt werden. Bei Regelverstössen stellen Kampfrichter Disqualifikationsanträge
durch das Zeigen einer roten Karte. Bei der dritten
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