09.11.2021 Aufrufe

Spengler Cup Davos - Jahrbuch 2021 (60-er Jahre)

Turnier musste aufgrund der COVID-Situation am 25.12.2021 abgesagt werden! Im 5. Jahrbuch des Spengler Cup Davos schauen wir aber trotzdem zurück auf die 1960er-Jahre. Es war die Zeit, als Davos endlich auch eine Kunsteisbahn bekam, das OK mit gewaltigen Schneemassen kämpfte und erstmals Tschechoslowaken, Russen und ein kanadisches Team am Spengler Cup teilnahmen. Auch die politische Lage in Europa hatte in den 60ern grosse Auswirkungen auf das Turnier. So wurde Vorjahressieger Lokomotive Moskau aus politischen Gründen 1968 nicht mehr eingeladen, sechs Jahre zuvor verhalf der Davoser Landammann einem Spieler aus Prag sogar zum Absprung in den Westen.

Turnier musste aufgrund der COVID-Situation am 25.12.2021 abgesagt werden!
Im 5. Jahrbuch des Spengler Cup Davos schauen wir aber trotzdem zurück auf die 1960er-Jahre. Es war die Zeit, als Davos endlich auch eine Kunsteisbahn bekam, das OK mit gewaltigen Schneemassen kämpfte und erstmals Tschechoslowaken, Russen und ein kanadisches Team am Spengler Cup teilnahmen. Auch die politische Lage in Europa hatte in den 60ern grosse Auswirkungen auf das Turnier. So wurde Vorjahressieger Lokomotive Moskau aus politischen Gründen 1968 nicht mehr eingeladen, sechs Jahre zuvor verhalf der Davoser Landammann einem Spieler aus Prag sogar zum Absprung in den Westen.

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94.<br />

<strong>Spengl<strong>er</strong></strong> <strong>Cup</strong> <strong>Davos</strong> <strong>2021</strong><br />

: D<strong>er</strong> Start ins freie Leben<br />

Jiří Kren, Spiel<strong>er</strong> von Sparta Prag, nutzte 1962 die Reise zum <strong>Spengl<strong>er</strong></strong> <strong>Cup</strong> für die<br />

Flucht in den Westen. Nach dem letzten Spiel tauchte <strong>er</strong> unt<strong>er</strong> und sorgte damit für<br />

einen politischen Skandal. Heute lebt d<strong>er</strong> 83-Jährige zufrieden in d<strong>er</strong> Südschweiz.<br />

«Das war mein Start ins freie Leben»,<br />

<strong>er</strong>zählt Jiří Kren, wenn <strong>er</strong> sich an den<br />

<strong>Spengl<strong>er</strong></strong> <strong>Cup</strong> 1962 <strong>er</strong>inn<strong>er</strong>t. Es war keine<br />

spontane Entscheidung, die zum Absprung<br />

führte. «Schon als 15-Jährig<strong>er</strong><br />

begann ich, das tschechoslowakische<br />

System zu hint<strong>er</strong>fragen. Ich war kein<br />

Mitläuf<strong>er</strong> und habe oft gesagt, was ich<br />

dachte. Und häufig traf ich auch auf<br />

gleichdenkende Lehr<strong>er</strong>.» Das Eishockey<br />

<strong>er</strong>möglichte ihm schliesslich die Flucht.<br />

In d<strong>er</strong> Tschechoslowakei wusste nur<br />

eine P<strong>er</strong>son von seinen Plänen: seine<br />

Mutt<strong>er</strong>.<br />

D<strong>er</strong> Landammann als Fluchthelf<strong>er</strong><br />

Unt<strong>er</strong>stützt wurde Jiří Kren von zwei<br />

H<strong>er</strong>ren namens Müll<strong>er</strong>. D<strong>er</strong> eine war<br />

Paul, Präsident des Hockey Club <strong>Davos</strong>,<br />

d<strong>er</strong> and<strong>er</strong>e d<strong>er</strong> Polizeichef. Weit<strong>er</strong>e Helf<strong>er</strong><br />

waren Landammann Christian Jost<br />

und d<strong>er</strong> damalige Gemeindezahnarzt<br />

Dr. Uhl. Diese <strong>er</strong>warteten Jiří Kren am<br />

31. Dezemb<strong>er</strong> nach dem <strong>Spengl<strong>er</strong></strong> <strong>Cup</strong>-<br />

Finale in einem <strong>Davos</strong><strong>er</strong> Hotel. Christian<br />

Jost bot Jiří Kren an, sich in seinem<br />

Haus zu v<strong>er</strong>stecken. «Mit dies<strong>er</strong> Geste<br />

zeigte Christian Jost grosse Menschlichkeit.<br />

Einfach einen Unbekannten<br />

mit nach Hause zu nehmen, zumal seine<br />

Frau auch noch ein Kind <strong>er</strong>wartete,<br />

war für mich schi<strong>er</strong> unglaublich», ist Jiří<br />

Kren noch heute dankbar. «Ja, das war<br />

eine Räub<strong>er</strong>geschichte damals», lacht<br />

Annemarie Jost im Spätsomm<strong>er</strong> 2020.<br />

Kren sei sehr angenehm und unkomplizi<strong>er</strong>t<br />

gewesen.<br />

«Fremde Gestalten» schlichen<br />

ums Haus<br />

Am Tag habe man v<strong>er</strong>sucht, mit Händen<br />

und Füssen miteinand<strong>er</strong> zu kommunizi<strong>er</strong>en,<br />

und F<strong>er</strong>nsehen geschaut. «Oft sind<br />

fremde Gestalten, v<strong>er</strong>mutlich Agenten,<br />

um das Haus geschlichen. Wenn die Türglocke<br />

klingelte, wäre Jiří am liebsten in<br />

einem Schrank v<strong>er</strong>schwunden. Seine<br />

Angst war sehr gross», <strong>er</strong>inn<strong>er</strong>t sich<br />

: Jiří Kren (zweit<strong>er</strong> von links) 1962 mit Sparta Prag gegen Dukla Jihlava.<br />

Annemarie Jost. In d<strong>er</strong> Nacht seien sie<br />

gemeinsam spazi<strong>er</strong>en gegangen. D<strong>er</strong><br />

Gast blieb fünf Nächte, <strong>er</strong>inn<strong>er</strong>te sich<br />

Jost, die heute Witwe ist. Dann sei Kren<br />

von Fluchthelf<strong>er</strong>n üb<strong>er</strong> die Grenze nach<br />

Deutschland gebracht worden. «Das<br />

passi<strong>er</strong>te alles in d<strong>er</strong> Nacht», <strong>er</strong>zählt<br />

die damalige Gastgeb<strong>er</strong>in weit<strong>er</strong>. Probleme<br />

habe es bei d<strong>er</strong> Familie Jost durch<br />

diese Geschichte nie gegeben. Im März<br />

1963 konnte Jiří Kren seine Familie üb<strong>er</strong><br />

einen Sportfreund informi<strong>er</strong>en, dass<br />

die Flucht gelungen war. Fünf weit<strong>er</strong>e<br />

<strong>Jahre</strong> v<strong>er</strong>gingen, bis <strong>er</strong> 1968 seine Mutt<strong>er</strong><br />

endlich wied<strong>er</strong> in die Arme schliessen<br />

konnte. 1983, 20 <strong>Jahre</strong> nach d<strong>er</strong> gelungenen<br />

Umsetzung des Plans, <strong>er</strong>folgte<br />

dann sein <strong>er</strong>st<strong>er</strong> Gegenbesuch.<br />

Die Schweiz wurde zur Heimat<br />

Nach sein<strong>er</strong> Flucht kam Kren beim SC<br />

Kaufbeuren im deutschen Bay<strong>er</strong>n unt<strong>er</strong><br />

V<strong>er</strong>trag. Seit 1965 ist die in d<strong>er</strong> Südschweiz<br />

gelegene Leventina seine Heimat.<br />

«Die Menschen hi<strong>er</strong> sind offen und<br />

sagen, was sie denken, ohne etwas<br />

schön zu malen. Das passt zu mir», lacht<br />

<strong>er</strong>, um dann zu <strong>er</strong>gänzen: «So, wie ich die<br />

Menschen in Graubünden kenne, hätte<br />

ich mich bestimmt auch dort wohl gefühlt.»<br />

<strong>Davos</strong>, <strong>Spengl<strong>er</strong></strong> <strong>Cup</strong> und Morandi<br />

V<strong>er</strong>bunden ist <strong>er</strong> mit <strong>Davos</strong> vor allem<br />

durch den <strong>Spengl<strong>er</strong></strong> <strong>Cup</strong>: «Diesen schaue<br />

ich mir jedes Jahr im F<strong>er</strong>nsehen an.»<br />

1992, 30 <strong>Jahre</strong> nach sein<strong>er</strong> Flucht, besuchte<br />

<strong>er</strong> den <strong>Spengl<strong>er</strong></strong> <strong>Cup</strong> <strong>er</strong>stmals<br />

wied<strong>er</strong> – und natürlich seinen <strong>Davos</strong><strong>er</strong><br />

Freund Danilo Morandi. Kren war von<br />

1965 bis 1977 (mit Unt<strong>er</strong>brüchen) und<br />

von 1978 bis 1983 Train<strong>er</strong> des HC Ambrì-<br />

Piotta. Dazwischen traini<strong>er</strong>te <strong>er</strong> eine<br />

Saison den HC Lugano. «D<strong>er</strong> gebürtige<br />

<strong>Davos</strong><strong>er</strong> Torhüt<strong>er</strong> Danilo Morandi war<br />

bei Ambrì in den 19<strong>60</strong>-<strong>Jahre</strong>n uns<strong>er</strong><br />

Rett<strong>er</strong> – das Tessin hat gute Feldspiel<strong>er</strong>.<br />

Ab<strong>er</strong> mit Ausnahme des Luganes<strong>er</strong>s<br />

Alfio Molina gab es da keine guten Torhüt<strong>er</strong>»,<br />

<strong>er</strong>zählte Kren.

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