26.01.2022 Aufrufe

syndicom magazin Nr. 27

Das syndicom-Magazin bietet Informationen aus Gewerkschaft und Politik: Die Zeitschrift beleuchtet Hintergründe, ordnet ein und hat auch Platz für Kultur und Unterhaltendes. Das Magazin pflegt den Dialog über Social Media und informiert über die wichtigsten Dienstleistungen, Veranstaltungen und Bildungsangebote der Gewerkschaft und nahestehender Organisationen.

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«Die Anziehungskraft plattformbasierter Arbeit wird künftig<br />

sicher noch steigen.» Prof. Dr. Caroline Straub, Institut New Work an der BFH<br />

19<br />

Nachhaltige Plattformarbeit<br />

Die Berner Fachhochschule führt eine vom Nationalfonds finanzierte<br />

Längsschnitt-Studie über Plattformarbeit durch, an der<br />

<strong>syndicom</strong> als Partnerin beteiligt ist. Das Ziel: Die Chancen und<br />

Risiken dieser Arbeitsformen besser zu verstehen. Ein Treffen<br />

mit Prof. Dr. Caroline Straub, die das Projekt leitet.<br />

Welche Ziele verfolgt diese Studie?<br />

In der Schweiz gibt es eine Vielzahl<br />

von Tätigkeiten, die über digitale Arbeitsplattformen<br />

vermittelt und ausgeübt<br />

werden, Angebot und Nachfrage<br />

steigen jährlich. Mit dem Ziel, zu einer<br />

nachhaltigen Entwicklung der Digitalisierung<br />

des Schweizer Arbeitsmarktes<br />

beizutragen und Empfehlungen<br />

für Entscheidungsträger zu formulieren,<br />

wollen wir in den nächsten vier<br />

Jahren mit einem Team von Arbeitspsycho<br />

log*innen der Uni Bern und Betriebswirt*innen<br />

der Berner Fachhochschule<br />

Plattformarbeit besser<br />

verstehen.<br />

Der Logistiksektor ist stark betroffen.<br />

Welche Gefahren sehen die in neuen<br />

Beschäftigungsformen tätigen Personen<br />

– und welche Auswirkungen sehen<br />

sie als vorteilhaft an?<br />

Logistikunternehmen in der Schweiz<br />

nutzen zunehmend künstliche Intelligenz,<br />

um etwa die Gleichtageszustellung<br />

zu optimieren. Arbeitnehmende<br />

haben vermehrt mit algorithmischem<br />

Management zu tun – also Führung<br />

durch eine künstliche Intelligenz, oftmals<br />

in Abhängigkeit von Kundenbewertungen.<br />

Unsere Interviews mit<br />

Lieferdienst mitarbeitenden von z. B.<br />

Eat.ch, Smood, Coople, Uber Eats und<br />

Notime haben gezeigt, dass der Umgang<br />

mit Algorithmen insbesondere<br />

dann als unbefriedigend empfunden<br />

wird, wenn Entscheide als unfair oder<br />

willkürlich wahrgenommen werden<br />

und Mitarbeitende keine Möglichkeiten<br />

haben, diese zu hinterfragen.<br />

Als weiteres Negativum wurden die<br />

Anstellungsbedingungen genannt. Einige<br />

Plattformen bezahlen die Arbeitenden<br />

nicht nach Arbeitszeit, sondern<br />

nach Anzahl erledigter Aufträge.<br />

Es zeigte sich jedoch auch, dass Studierende<br />

oder Personen, die nebenher<br />

andere Projekte verfolgen, die zeitliche<br />

Flexibilität von Plattformarbeit<br />

schätzen. Zudem zeigt das Beispiel<br />

von Notime, dass die Erarbeitung eines<br />

Gesamtarbeitsvertrags auch in<br />

dieser Branche möglich ist und zu einer<br />

Verbesserung der Arbeitsbedingungen<br />

führen kann.<br />

Was können regulierte Plattformen<br />

für die Weiterentwicklung der Beschäftigungsformen<br />

tun?<br />

Unsere Interviews zeigen, dass das Bedürfnis<br />

nach selbstbestimmter Arbeit<br />

bzw. die individuelle Einflussnahme<br />

auf Inhalt, Ort und Zeit der Tätigkeit<br />

bei vielen Personen sehr gross ist und<br />

dass dafür Unsicherheiten und Risiken<br />

gerne in Kauf genommen werden.<br />

Die Anziehungs kraft plattformbasierter<br />

Arbeit wird zukünftig sicher noch<br />

steigen, insbesondere, wenn die finanziellen<br />

und sozialen Risiken, die<br />

momentan teilweise bestehen, abgebaut<br />

werden können. Zudem sehen<br />

wir, dass einige Schweizer Plattformen<br />

bereits dabei sind, ihren Arbeitenden<br />

ein gutes Umfeld zu bieten,<br />

um sich neue Fähigkeiten und Kompetenzen<br />

anzueignen und sich so beruflich<br />

weiterzuentwickeln.<br />

Interviewteilnehmende berichten<br />

positiv, dass Plattformarbeit ihr<br />

Selbstwertgefühl stärkt, ihnen die<br />

Möglichkeit bietet, aus unbefriedigenden<br />

Festanstellungen auszubrechen,<br />

Neues auszuprobieren und zu<br />

erlernen, und sie darin bestärkt, den<br />

Schritt in die traditionelle Selbständigkeit<br />

zu wagen.<br />

Die EU-Kommission hat vor kurzem<br />

eine Richtlinie zur Feststellung des<br />

Beschäftigungsstatus von Plattformarbeitenden<br />

vorgestellt. Weshalb<br />

hinkt die Schweiz hinterher?<br />

Die Kriterien der EU sind Ergebnis<br />

einer langjährigen juristischen und<br />

politischen Policy-Debatte. Bei diesen<br />

Kriterien liegt der Fokus auf einer Klärung<br />

der rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

von plattformbasierter Arbeit.<br />

Die EU geht davon aus, dass plattformbasierte<br />

Arbeitende Angestellte sind,<br />

wenn die Plattform die Ausführung ihrer<br />

Arbeit «kontrolliert». Es wurden<br />

fünf Kriterien entwickelt, von denen<br />

mindestens zwei erfüllt sein müssen.<br />

Es geht um Kontrolle oder Aufsicht,<br />

die eine Plattform über Preise, Aussehen<br />

oder Verhalten, Qualität der Arbeit,<br />

Arbeitszeiten und die Möglichkeit,<br />

für andere Kunden zu arbeiten,<br />

ausübt. Es könnte sein, dass eine solche<br />

Regelung langfristig die Bezahlung<br />

und Absicherung der Arbeitenden<br />

fairer macht.<br />

Warum die Schweiz diesem Vorgehen<br />

noch nicht folgt, wissen wir nicht.<br />

Jedoch konnten wir im Gespräch mit<br />

Plattformbetreibenden bereits einen<br />

leichten Trend zu mehr Absicherung<br />

und höheren Löhnen auf Schweizer<br />

Plattformen erkennen. Der Plattformmarkt<br />

ist durch viele internationale<br />

Anbieter hart umkämpft. Plattformen<br />

sollten demnach lieber Fachkräfte fördern<br />

und Qualität anbieten, als primär<br />

auf Dumpingpreise zu setzen.<br />

Robin Moret<br />

Die Studie ist Teil des Nationalen Forschungsprogramms 77 zur digitalen Transformation. (© BFH)<br />

Zur Teilnahme an der Studie gehts hier:<br />

<strong>syndicom</strong>.ch/1MRri

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