Jochen Ostheimer und Markus Vogt
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<strong>Jochen</strong> <strong>Ostheimer</strong> <strong>und</strong> <strong>Markus</strong> <strong>Vogt</strong><br />
sinnlich wahrnehmbar, es braucht mithin einen Expertenblick mitsamt<br />
seiner technischen Apparatur. Ob <strong>und</strong> in welchem Maß etwas gefährlich<br />
ist, wird nicht selten in Experimenten festgelegt, die aus ethischen Gründen<br />
gerade das nicht testen können, worauf es ankommt, sondern stattdessen<br />
Tiere zum Maß des Menschen machen. Des Weiteren werden<br />
Risiken üblicherweise an Grenzwerten festgemacht. Diese aber hängen<br />
erstens von den Test- <strong>und</strong> vor allem von den Messmethoden <strong>und</strong> ihrer<br />
jeweils möglichen Genauigkeit ab. Zweitens sind sie ein Gegenstand von<br />
Aushandlungsprozessen. Hier wäre zu reflektieren, ob bzw. welche anderen<br />
Interessen als die Risikoverringerung mitwirken, welche Wertentscheidungen<br />
in sie eingehen sowie aus welchen Disziplinen <strong>und</strong><br />
Professionen mit ihren jeweiligen methodischen Ansätzen <strong>und</strong> Vorstellungswelten<br />
Grenzwertkommissionen zusammengesetzt sind. Nicht zuletzt<br />
haben Grenzwerte die paradoxe Wirkung, dass alles, was unter dem<br />
jeweiligen Wert liegt, als unbedenklich <strong>und</strong> als zulässig zu gelten hat. 42<br />
Risiken werden auf Entscheidungen zugerechnet, sie basieren auf sozialen<br />
Prozessen. Deswegen braucht es gr<strong>und</strong>sätzlich diskursive Strategien<br />
für ihre Bewältigung. Entscheidend für die Akzeptanz von Risiken sind<br />
nicht allein Grenzwerte, die wissenschaftlichen Standards genügen, sondern<br />
die Wahrung der Souveränität der Betroffenen. Manche Menschen<br />
erachten es z.B. als ein hohes Gut, zu wissen, was sie verzehren, <strong>und</strong> eigenmächtig<br />
entscheiden zu können, ob sie Produkte von ihrem Einkaufszettel<br />
streichen, die mit Gentechnik in Berührung gekommen sind<br />
(„Konsumentensouveränität“). Dieses Freiheitsrecht besitzt für sie einen<br />
Wert ganz unabhängig von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen<br />
über mögliche Ges<strong>und</strong>heitsrisiken. Genau betrachtet, geht es hier also<br />
nicht mehr um Gefahren aufgr<strong>und</strong> technischer Entwicklungen, sondern<br />
um die Gefährdung von Selbstbestimmung. Wird dies nicht erkannt, sind<br />
unsachliche <strong>und</strong> irrationale Debatten kaum zu vermeiden. Daher kann das<br />
Urteil der unmittelbar Handelnden <strong>und</strong> Betroffenen in dieser Hinsicht<br />
nicht durch die Meinung externer Experten ersetzt werden. 43 Die Sozialdimension<br />
von Risiko erweist sich an diesem Punkt als weitgehend unabhängig<br />
von der Sachdimension.<br />
_____________<br />
42 Vgl. Beck 1986, 85-92.<br />
43 Zu beachten ist, dass in die Risikowahrnehmung von Laien mehr Aspekte eingehen als die<br />
beiden Größen im Expertenkalkül: Schadensausmaß <strong>und</strong> Wahrscheinlichkeit, z.B. Katastrophenpotential,<br />
eigene Betroffenheit, Freiwilligkeit, Kontrollierbarkeit; vgl. Jungermann/Slovic<br />
1993b; Wiedemann 1996.<br />
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