VNW-Magazin Ausgabe 1/2022
Das VNW-Magazin erscheint fünf Mal im Jahr. Neben Fachartikeln enthält es Berichte und Reportagen über die Mitgliedsunternehmen des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen - den Vermietern mit Werten.
Das VNW-Magazin erscheint fünf Mal im Jahr. Neben Fachartikeln enthält es Berichte und Reportagen über die Mitgliedsunternehmen des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen - den Vermietern mit Werten.
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<strong>VNW</strong> magazin<br />
Wohnen<br />
im Norden<br />
1_<strong>2022</strong><br />
Wir zusammen.<br />
Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen
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Stand: Februar <strong>2022</strong><br />
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1<br />
Inhalt 1_<strong>2022</strong><br />
<strong>VNW</strong><br />
Analysen<br />
Editorial 03<br />
Heizkostenverordnung 04<br />
Eine Viertelmilliarde / KfW-Förderstopp 05<br />
Wie bauen wir in Zukunft? 10<br />
Porträt Heidi Möller 12<br />
Lob für Hamburgs Wohnungspolitik 14<br />
Grunderwerbsteuer in Hamburg 16<br />
Von Berlin in die Zukunftsstadt Loitz 18<br />
Auf Jahre hinaus stabile Nachfrage 20<br />
Dörfliche Idylle mitten in der Stadt 22<br />
Vorzeigbares Ergebnis 30<br />
Mietschulden 29<br />
Alles was Recht ist 34<br />
Mehr Konflikte unter Mietern 40<br />
Namen und Nachrichten 42<br />
Compliance 52<br />
Real Estate Arena 56<br />
Spiri.Bo 58<br />
Digitale Transformation 62<br />
Digitale Gebäudeakte 66<br />
Digital und Nachhaltigkeit 70<br />
Betriebskosten aktuell 74<br />
Termine 82<br />
Impressum 82<br />
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung<br />
der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet.<br />
Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.<br />
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Wir zusammen<br />
Kleine Genossenschaften erleben in Zeiten<br />
steigender Mieten einen Boom. Die Drachenbau<br />
gründete sich 1986 und hat viele<br />
Höhe und Tiefen hinter sich. Die junge Baugemeinschaft<br />
Baumhaus Altona reicht gerade<br />
den Bauantrag ein. Ein Doppelporträt.
Materialknappheit<br />
bei gleichzeitiger<br />
Preisexplosion<br />
Auf den Baustellen werden Baustoffe knapp.<br />
Inzwischen droht bei vielen Unternehmen Kurzarbeit und<br />
die Wohnungsbauziele rücken in weite Ferne<br />
ES IST<br />
GEFÄHRLICH,<br />
VON OLIVER SCHIRG<br />
Hamburg. Die Lage ist unwirklich. Jetzt, zent zunahmen. Zugleich sieht das Institut<br />
– zumindest<br />
RECHT<br />
da Politik und Gesellschaft endlich die<br />
ZU<br />
kurzfristig – keine Zeichen<br />
Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen<br />
scheinen und der wirtschaftliche der Weltwirtschaft und der Aufwärtstrend<br />
von Entspannung. „Die rasche Erholung<br />
Aufschwung Fahrt aufnimmt, explodieren der chinesischen Wirtschaft sorgen für<br />
weltweit die Baustoffpreise. Hinzu kommt eine hohe Nachfrage nach Rohstoffen.“<br />
HABEN,<br />
eine dramatische Rohstoffknappheit. Die Wie dramatisch die Lage ist, hat jüngst<br />
Folge: Aufträge müssen storniert oder verschoben<br />
werden. Auch <strong>VNW</strong>-Unterneh-<br />
ergeben. Deutlich mehr als die Hälfte der<br />
eine Umfrage unter Handwerksbetrieben<br />
men sorgen sich inzwischen, dass sie ihre Unternehmen kämpften inzwischen mit<br />
WENN<br />
diesjährigen Wohnungsbauzahlen nicht Problemen<br />
DIE<br />
bei der Materialbeschaffung.<br />
werden erreichen können.<br />
Im Januar 2021 sei es noch gut ein Drittel<br />
gewesen. 84 Prozent der Betriebe,<br />
Handwerkspräsident Hans Peter<br />
Wollseifer spricht von einer „noch nie da die Probleme in der eigenen Lieferkette<br />
gewesenen“ Materialknappheit bei gleichzeitiger<br />
Preisexplosion. „Die Situation hat ren oder verschieben, weil Material fehle.<br />
haben, mussten bereits Aufträge stornie-<br />
REGIERUNG<br />
sich in den vergangenen Wochen noch 61 Prozent der Firmen berichteten, die<br />
einmal verschärft“, sagt er der Deutschen Preissprünge führten zu roten Zahlen bei<br />
Presse-Agentur (dpa). Sämtliche Kalkulationen<br />
würden über den Haufen geworfen.<br />
der Erfüllung bestehender Aufträge.<br />
UNRECHT<br />
Das habe Betriebe in die „paradoxe Lage“<br />
gebracht, bei vollen Auftragsbüchern Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter in Kurzarbeit<br />
Holz ist inzwischen 340 Prozent<br />
teurer als vor einem Jahr<br />
schicken zu müssen.<br />
HAT.<br />
Vor allem für Holz kennen die Preise kein<br />
Halten. „Im Durchschnitt stiegen die<br />
Preise für Industrierohstoffe stiegen<br />
seit April um 14,2 Prozent<br />
Schnittholzpreise um weitere 33 Prozent<br />
im Vergleich zum April und lagen damit<br />
mehr als 340 Prozent höher als im Mai<br />
Das Hamburger Forschungsinstitut HWWI 2020“, fanden die Wissenschaftler des<br />
hat unterdessen berechnet, dass die Preise HWWI heraus. Die Handwerksunternehmen<br />
beklagen zugleich den Mangel an<br />
VOLTAIRE<br />
für Industrierohstoffe allein von April bis<br />
Mai 2021 um durchschnittlich 14,2 Pro- Metallen, Kunststoffen und Elektronikkomponenten.
3<br />
„Und jedem Anfang wohnt<br />
ein Zauber inne.“<br />
Diese Zeile aus dem Gedicht „Stufen“ von Hermann<br />
Hesse kam mir in den Sinn, als die neue Bundesregierung<br />
im Dezember vergangenen Jahres in Berlin ihre<br />
Arbeit aufnahm. Ein eigenes Wohnungsbauministerium<br />
wurde geschaffen. Das Ziel, jährlich 400 000 Wohnungen<br />
zu errichten, 100 000 davon öffentlich gefördert,<br />
mag ambitioniert sein, ist aber durchaus machbar. Wenn<br />
alle an einem Strang ziehen.<br />
Inzwischen sind einige Wochen ins Land gegangen und<br />
es stellt sich Ernüchterung ein. Das Chaos um den Stopp<br />
der KfW-Effizienzhausförderung, der über Nacht von<br />
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verkündet<br />
wurde, lässt Zweifel daran aufkommen, ob die ganze<br />
Bundesregierung hinter dem Wohnungsbauziel steht.<br />
Unlängst hat Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des<br />
Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes, erklärt,<br />
dass auch in diesem Jahr der Anstieg der Baupreise anhalten<br />
werde. Das erschwert den Bau bezahlbarer Wohnungen<br />
erheblich – und ist leider nicht alles. Auf den<br />
Baustellen fehlt es mehr und mehr an Fachkräften, in<br />
den Kommunen sind bezahlbare Grundstücke Mangelware<br />
und in Sachen Bürokratie folgen auf Sonntagsreden<br />
der Verantwortlichen viel zu selten Taten.<br />
In dieser ohnehin für die Wohnungswirtschaft schwierigen<br />
Situation fällt der Bundesregierung nun nichts<br />
anderes ein als bewährte Förderstrukturen zu zerschlagen.<br />
Natürlich gehört die staatliche Unterstützung des<br />
bezahlbaren Wohnens immer wieder auf den Prüfstand.<br />
Der <strong>VNW</strong> und seine im GdW organisierten Schwesterverbände<br />
fordern das angesichts der Herausforderungen<br />
des Klimaschutzes schon seit Jahren.<br />
Was aber nicht geht, ist, dass das Bundeswirtschaftsministerium<br />
über Nacht eine funktionierende Förderstruktur<br />
zerschlägt, ohne einen Ersatz dafür zu haben.<br />
Mehr noch: Man hatte sogar versprochen, dass Wohnungsunternehmen<br />
bis Ende Januar Zeit hätten, ihre<br />
Förderanträge zu stellen. Jeder weiß, dass zum sparsamen<br />
Umgang mit Investitionsmitteln gehört, einen Förderantrag<br />
möglichst spät zu stellen.<br />
All das hat die Verantwortlichen im Habeckschen Ministerium<br />
entweder nicht interessiert oder war ihnen<br />
unbekannt. Beides ist beunruhigend. Dieses chaotische<br />
Vorgehen hat bei Wohnungsunternehmen zu einem<br />
erheblichen Vertrauensverlust in die Politik geführt.<br />
Schlimmer ist jedoch, dass <strong>VNW</strong>-Unternehmen Fördermittel<br />
in Höhe von mehr als 52 Millionen Euro verloren<br />
gegangen sind. Der Neubau von mehr als 2000 öffentlich<br />
geförderten Wohnungen steht auf der Kippe. Einfach<br />
so per Federstrich.<br />
Wer jetzt noch bezahlbare Wohnungen bauen soll, dafür<br />
interessiert sich in einigen Teilen der Bundesregierung<br />
offenbar kaum jemand. Denn auch das Wendemanöver<br />
von Minister Habeck – der Stopp des Stopps – ändert im<br />
Kern wenig: Alle Anträge für ein Haus im KfW 55-Effizienzstandard<br />
werden seit Mitte Januar nicht mehr bewilligt.<br />
Anträge auf eine KfW 40-Förderung sind nur noch<br />
bis Ende dieses Jahres möglich und der Fördertopf ist bei<br />
einer Milliarde Euro gedeckelt.<br />
Zugleich kündigt der Bundeswirtschaftsminister neue<br />
Förderprogramme an, die wie Drohungen klingen: nur<br />
noch KfW 40-Standard, der aber verschärft. Dazu will<br />
man die Sanierung in den Fokus rücken. Die Überlegung,<br />
die staatliche Förderung auf die Sanierung von<br />
Wohngebäuden zu konzentrieren, mag in die richtige<br />
Richtung gehen. Dort sind die CO 2<br />
-Einsparpotenziale am<br />
größten. Aber so eine Entscheidung am grünen Tisch<br />
ohne (ernsthafte) Rückkopplung mit den sozialen Vermietern<br />
zu treffen, das trägt den Samen des Scheiterns<br />
in sich.<br />
Geradezu gefährlich ist der Versuch von Bundesminister<br />
Habeck, die politische Verantwortung für den Bau<br />
bezahlbarer Wohnungen und für den Klimaschutz zu<br />
trennen. Während Bundessozial- und Bundesbauministerium<br />
den Bau von Sozialwohnungen fördern sollen,<br />
will er ohne Rücksicht darauf die Klimaschutzauflagen<br />
erhöhen. Das ist nicht nur ein Geschäft zu Lasten Dritter,<br />
sondern auch der Anfang vom Ende aller Bemühungen<br />
um Nachhaltigkeit und Klimaschutz.<br />
Das bezahlbare Wohnen ist die wichtigste soziale Frage<br />
unserer Zeit, der Klimaschutz die größte Herausforderung.<br />
Unsere Gesellschaft wird beide Herausforderungen<br />
nur meistern, wenn das Soziale stets mitgedacht<br />
wird.<br />
Andreas Breitner, <strong>VNW</strong>-Vorstand und Verbandsdirektor
„Selten ist in Deutschland<br />
so ein Blödsinn<br />
Gesetz geworden“<br />
Die seit 1. Februar <strong>2022</strong> geltende Überarbeitung der Heizkostenverordnung<br />
verursacht Bürokratiekosten und schadet der Umwelt.<br />
4<br />
Schwerin/Kiel/Hamburg.<br />
Norddeutschlands Mieterinnen<br />
und Mieter müssen<br />
bei ihrer diesjährigen<br />
Heizkostenabrechnung mit<br />
zusätzlichen Bürokratiekosten<br />
rechnen. „Die neue<br />
Heizkostenverordnung verpflichtet<br />
die Unternehmen,<br />
bei fernauslesbaren Messgeräten<br />
monatlich die Haushalte<br />
über den monatlichen<br />
Verbrauch zu informieren“,<br />
sagt <strong>VNW</strong>-Direktor Andreas<br />
Breitner. „Im Jahr kommen<br />
damit auf die Mieterinnen<br />
und Mieter Kosten in Höhe<br />
von bis zu 90 Euro zu. Sollten<br />
die Angaben per Post<br />
übermittelt werden müssen,<br />
liegen die Zusatzkosten sogar<br />
bei mehr als 100 Euro.“<br />
Eine Abbestellung dieser<br />
Zwangsinformation durch<br />
die Haushalte sei nicht möglich,<br />
so der <strong>VNW</strong>-Direktor<br />
weiter. „Die Kosten für Bereitstellung,<br />
Druck und Versand<br />
der Information sind im Rahmen<br />
der Heizkostenabrechnung umlagefähig<br />
und gehen zu Lasten der Mieter.“<br />
Bei den <strong>VNW</strong>-Unternehmen seien<br />
mehr als 300000 Haushalte betroffen.<br />
„Die Änderung der Heizkostenverordnung<br />
ist gegen den Rat der Fachleute<br />
erfolgt“, sagt <strong>VNW</strong>-Direktor Andreas<br />
Breitner. „Jetzt haben wir den Salat.<br />
Selten ist so ein Blödsinn in Deutsch-<br />
land Gesetz und damit verpflichtend<br />
geworden.“<br />
Abgesehen davon, dass ein massenhaftes<br />
Verschicken von Briefen<br />
weder nachhaltig sei noch dem Umweltschutz<br />
diene, sei der Verwaltungsaufwand<br />
für die <strong>VNW</strong>-Unternehmen<br />
enorm, so Breitner weiter. „Mieter, die<br />
keine E-Mail-Adresse haben oder nicht<br />
auf ein Anschreiben des Vermieters reagieren,<br />
erhalten die Messdaten<br />
per Brief. Neben den<br />
dafür entstehenden Kosten<br />
muss der Aufwand des jeweiligen<br />
Messdienstleisters<br />
beglichen werden.“<br />
Eine digitale Zustellung<br />
sei allerdings nicht<br />
viel weniger aufwändig,<br />
sagt <strong>VNW</strong>-Direktor Andreas<br />
Breitner weiter. „Monat für<br />
Monat müssen Mail-Adressen<br />
der Mieter aktualisiert,<br />
Zustimmungen zur Datenübermittlung<br />
eingeholt und<br />
die Zugangsnachweise dokumentiert<br />
werden.“ Der<br />
<strong>VNW</strong> und die Mietervereine<br />
in den drei Bundesländern<br />
werben dennoch dafür, dass<br />
möglichst viele Mieter den<br />
Monatsbericht elektronisch<br />
entgegennehmen. „Damit<br />
lässt sich die unsinnige Umweltbelastung<br />
wenigstens<br />
ein wenig reduzieren.“<br />
Eine mögliche Lösung, der<br />
Berichtspflicht Genüge zu<br />
tun und zugleich den Verwaltungsaufwand<br />
zu senken, besteht darin, die<br />
Daten auf einem nur für die Mieter<br />
zugänglichen Internetportal zur Verfügung<br />
zu stellen. „Dort könnten die<br />
Daten eingestellt und von den Mietern<br />
bei Bedarf abgerufen werden“, sagt<br />
Andreas Breitner. „Das würde die Bürokratiekosten<br />
auf zehn bis 15 Euro im<br />
Jahr begrenzen.“
5<br />
<strong>VNW</strong><br />
Das 50-Millionen-Loch<br />
Der KfW-Förderstopp kostet die sozialen Vermieter Norddeutschlands<br />
unverzichtbare öffentliche Fördermittel und gefährdet den Bau von<br />
mehr als 2 000 bezahlbaren Wohnungen.<br />
Kiel/Schwerin/Hamburg. Auch nach der „Rolle rückwärts“<br />
von Klimaschutzminister Robert Habeck bei der „Bundesförderung<br />
für effiziente Gebäude“ ist bei den norddeutschen<br />
sozialen Vermietern der Bau von mehr 2000 bezahlbaren<br />
Wohnungen bedroht. Insgesamt verlieren die Wohnungsunternehmen<br />
mehr als 52 Millionen Euro an Förderzuschüssen,<br />
die für fortgeschrittene Projekte im KfW-Effizienzhaus<br />
55-Standard eingeplant waren. Das ergaben zwei Blitzumfragen<br />
unter <strong>VNW</strong>-Unternehmen. Als Konsequenz empfiehlt<br />
der <strong>VNW</strong> seinen Mitgliedsunternehmen, über eine Schadenersatzklage<br />
nachzudenken.<br />
Die Bundesregierung hatte Anfang der vierten Januarwoche<br />
überraschend den Stopp der KfW-Programme in der<br />
„Bundesförderung für effiziente Gebäude“ (BEG) verkündet.<br />
In einer ersten Umfrage, an der sich 80 <strong>VNW</strong>-Unternehmen<br />
beteiligten, war zunächst die Befürchtung laut geworden,<br />
dass mindestens 250 Millionen Euro an Fördermitteln sowie<br />
die Errichtung und die energetische Modernisierung von<br />
mehr als 13000 bezahlbaren Wohnungen auf der Kippe<br />
stünden. Die meisten Unternehmen sorgten sich über Kostensteigerungen,<br />
aus denen höhere Erstbezugsmieten bzw.<br />
Mieten nach der Modernisierung resultieren würden.<br />
Unternehmen bleiben auf kostspieligen<br />
Planungen sitzen<br />
Nach heftigen Protesten verkündete das Bundeswirtschaftsministerium<br />
einen Teilrückzug vom Förderstopp. „Minister<br />
Habeck hat in den vergangenen Tagen versucht, den Eindruck<br />
zu erwecken, dass mit seinem Stopp des Förderstopps alles<br />
wieder gut sei“, sagt <strong>VNW</strong>-Direktor Andreas Breitner. „Dem<br />
ist aber nicht so. Jene sozialen Vermieter, die ihren Förderantrag<br />
für ein Gebäude mit Effizienz 55-Standard in der letzten<br />
Januarwoche einreichen wollten, schauen weiter in die Röhre<br />
und bleiben auf ihren kostspieligen Planungen sitzen.“<br />
Diese Unternehmen hätten sich auf die Zusage der Bundesregierung<br />
verlassen, wonach bis Ende Januar auch Anträge<br />
für eine Förderung von Gebäuden mit Effizienz 55-Standard<br />
möglich sein würden“, so <strong>VNW</strong>-Direktor Andreas Breitner<br />
weiter. „Um Kosten beim Bau bezahlbarer Wohnungen –<br />
zum Beispiel Bereitstellungszinsen – zu sparen, ist es üblich,<br />
dass Förderanträge zum spätestmöglichen Zeitpunkt gestellt<br />
werden.“<br />
Bei der Inanspruchnahme von Förderdarlehen der KfW wird<br />
die Antragstellung im Rahmen der Gesamtfinanzierung eng<br />
mit der Haus- oder Förderbank abgestimmt, die dann den<br />
Antrag einreicht. „Durch die unerwartete Verkürzung der zuvor<br />
genannten Antragsfrist fällt den betroffenen Unternehmen<br />
ihr verantwortungsvolles Wirtschaften wegen der chaotischen<br />
Politik des Bundeswirtschaftsministers auf die Füße“,<br />
so <strong>VNW</strong>-Direktor Andreas Breitner.<br />
„Das Geld ist wirklich verloren!“<br />
Bei zehn im <strong>VNW</strong>-organisierten Unternehmen seien 2072<br />
Wohnungen von dem Förderstopp für Gebäude mit Effizienz<br />
55-Standard betroffen, sagt <strong>VNW</strong>-Direktor Andreas Breitner.<br />
„In Hamburg sind es 1447 Wohnungen, in Mecklenburg-<br />
Vorpommern 224 und in Schleswig-Holstein 401.“ Die Anträge<br />
sollten in der letzten Januarwoche bei der KfW gestellt<br />
werden.<br />
„An Investitionszuschüssen fallen 33 808750 Euro und<br />
an Tilgungszuschüssen 18423 000 Euro weg. Das Geld ist<br />
wirklich verloren“, so Breitner. „Wenn die Wohnungsunternehmen<br />
ihre bereits geplanten Projekte jetzt noch umsetzen,<br />
müssen sie beim Klimaschutz abspecken und dennoch höhere<br />
Mieten nehmen. Wir rechnen mit rund 1,50 Euro pro<br />
Quadratmeter, um die eine Wohnung teurer vermietet werden<br />
muss.“<br />
„Mietwohnungsbau<br />
muss Vorfahrt erhalten.“
8<br />
„Die Akzeptanz von<br />
Nachhaltigkeit und<br />
Klimaschutz unter<br />
den Menschen wird es<br />
nur geben, wenn das<br />
Wohnen auf Dauer<br />
bezahlbar bleibt!“<br />
Weniger Dramaqueen und mehr gutes Regieren<br />
wären angemessen<br />
Nach den Worten von <strong>VNW</strong>-Direktor Andreas Breitner hat das<br />
vom Bundesministerium ausgelöste Chaos dem Klimaschutz<br />
und dem Vertrauen in die Politik massiv geschadet. „<strong>VNW</strong>-<br />
Unternehmen, deren Mieten in der Regel deutlich unter dem<br />
Wert des örtlichen Mietspiegels liegen, planen auf Jahrzehnte<br />
hinaus. Für sie sind Zuverlässigkeit und Planungssicherheit<br />
unverzichtbar.“ Zudem drehten soziale Vermieter beim Bau<br />
eines Wohngebäudes jeden Cent drei Mal um, damit sie am<br />
Ende günstig vermieten können.<br />
„Wenn Minister Habeck meint, per Federstrich ein Förderprogramm<br />
beenden zu können, dann signalisiert er Menschen<br />
mit mittlerem und geringem Einkommen, dass ihn deren<br />
Wohnsituation nicht interessiert. Weniger Dramaqueen<br />
und mehr gutes Regieren wäre angemessener gewesen.“<br />
Bedrückend sei die Einschätzung vieler <strong>VNW</strong>-Unternehmen,<br />
dass ihre Mieterinnen und Mieter nach Wegfall der Förderung<br />
die Kosten für die Wohnung nicht mehr stemmen könnten,<br />
sagt <strong>VNW</strong>-Direktor Andreas Breitner. „Die sozialen Vermieter<br />
stehen zu den Klimaschutzzielen der Politik. Aber wir haben<br />
immer auch gesagt: Die Akzeptanz von Nachhaltigkeit und<br />
Klimaschutz unter den Menschen wird es nur geben, wenn<br />
das Wohnen auf Dauer bezahlbar bleibt.“<br />
Unternehmen sollten über Schadenersatzklagen<br />
nachdenken<br />
Allerdings es sei nicht nur eine Frage der politischen Etikette<br />
und des Umgangs der Politik mit der Wirtschaft, so der<br />
<strong>VNW</strong>-Direktor weiter. „Unsere Unternehmen haben auf<br />
die Fristsetzungen der Bundesregierung vertraut. Mehreren<br />
norddeutschen Wohnungsunternehmen sind massiv Planungsschäden<br />
entstanden.“ Damit seien hohe Aufwendungen<br />
für Planungen verloren gegangen. „Für Letzteres trage<br />
Robert Habeck die Verantwortung, und die Bundesregierung<br />
wird den Schaden ersetzen müssen.“<br />
„Wir empfehlen unseren Mitgliedsunternehmen, die entstandenen<br />
Planungskosten dem Fördergeber in Rechnung zu<br />
stellen“, sagt <strong>VNW</strong>-Direktor Andreas Breitner. „Sollte dieser<br />
nicht zahlen, gilt es, die Bundesregierung auf Schadenersatz<br />
zu verklagen. Wir sprechen dabei über zweistellige Millionenbeträge.“<br />
Strengere Baustandards werden die Kosten weiter<br />
erhöhen<br />
In Antworten auf die erste Umfrage hatten viele Unternehmen<br />
die Befürchtung geäußert, dass neue, noch strengere<br />
Standards zu einer weiteren Steigerung der Baukosten und<br />
zu zusätzlichen Belastungen der Mieter führen werden. Für<br />
Verärgerung sorgte die Ungewissheit darüber, wie die künftige<br />
Förderstruktur aussehen wird – und wann sie kommt.<br />
Eine Reihe von Unternehmen kündigte an, derzeit keine<br />
Neubauprojekte mehr zu starten und Planungen für die energetische<br />
Sanierung von bestehenden Gebäuden zurückzustellen.<br />
Gründe seien ein nicht kalkulierbarer Zeitverzug und<br />
hohe Kosten für die Umplanung. Es sei offen, ob und zu welchen<br />
Mieten die Projekte künftig realisiert werden könnten.<br />
Bei der Förderung künftig bezahlbaren Wohnraum<br />
berücksichtigen<br />
Die sozialen Vermieter fordern von der Politik Klarheit, rasche<br />
Ersatzförderprogramme, Verlässlichkeit und die Einhaltung<br />
von Zusagen. Bei künftigen Förderprogrammen sollte mehr<br />
berücksichtigt werden, ob bezahlbare Wohnungen gebaut<br />
beziehungsweise saniert werden. „Mietwohnungsbau muss<br />
Vorfahrt erhalten“, so der <strong>VNW</strong>-Direktor. Zudem seien der<br />
Abbau von Bürokratie und eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren<br />
unverzichtbar.<br />
Besonders gefordert seien jetzt die Förderbanken der Bundesländer,<br />
um Finanzierungslücken durch attraktive Förderprogramme<br />
zu schließen. „Die sozialen Vermieter stehen bereit,<br />
bei der Erarbeitung sinnvoller Förderprogramme mit der Politik<br />
zusammenzuarbeiten“, sagt <strong>VNW</strong>-Direktor Andreas Breitner.<br />
„Wir vertreten dabei auch die Interessen unserer Mieterinnen<br />
und Mieter. Eines dürfte inzwischen klar sein: Ohne eine ausreichende<br />
Zuschussförderung werden die ambitionierten Klimaschutzziele<br />
im Bereich der Wohnungswirtschaft nicht zu<br />
erreichen sein.“h
9 <strong>VNW</strong><br />
„Ich will das nicht<br />
und ich bezahle das<br />
nicht!“<br />
Vorstände der Wismarer Wohnungsgenossenschaft Friedenshof<br />
haben einen Brandbrief geschrieben, in dem sie über die Folgen<br />
der Neuregelung der Heizkostenverordnung berichten.<br />
Wismar. In einem Praxisbericht beklagen<br />
die beiden Vorstände der Wismarer<br />
Wohnungsgenossenschaft Friedenshof,<br />
Birk Hellmann und Bernd Sommer,<br />
den mangelnden „Digitalisierungsgrad“<br />
der Mieter. Anfang Dezember<br />
2021 habe die Genossenschaft rund<br />
1500 Haushalte angeschrieben und<br />
um das Einverständnis zum Empfang<br />
der Verbrauchsinformation per Mail<br />
gebeten. „Von den 1500 versendeten<br />
Briefen haben bis zum heutigen Tag<br />
220 Einverständniserklärungen den<br />
Weg zu uns zurückgefunden“, erklärten<br />
die beiden Vorstände Mitte Januar<br />
und kündigten an, „noch einmal nachzufassen“.<br />
Allerdings gehen Hellmann und<br />
Sommer davon aus, dass lediglich ein<br />
Drittel der Mieterinnen und Mieter<br />
die Verbrauchsinformationen per Mail<br />
erhalten will. Das bedeutet, dass an<br />
mindestens zwei Drittel Monat für Monat<br />
Briefe verschickt werden müssen.<br />
Wer die Information per Mail erhält,<br />
„dem entstehen jährlich Kosten von<br />
7,68 Euro durch die Firma Techem und<br />
Softwarekosten der Firma Aareon“. Bei<br />
jenen, die ihre Daten nicht per Mail erhalten<br />
wollen, würden die Kosten pro<br />
Nutzer und Jahr bei knapp 30 Euro liegen.<br />
„Wir halten in unserem Unternehmen<br />
einen Arbeitsaufwand von zwei<br />
Sachbearbeitertagen pro Monat für erforderlich“,<br />
berichten die beiden Vorstände.<br />
In der Summe rechnen sie bei<br />
300 Informationen per Mail und 1200<br />
per Brief mit Kosten von 37 500 Euro<br />
pro Jahr, die im Rahmen der Betriebskostenabrechnung<br />
umgelegt würden.<br />
Bezogen auf die Kosten der Beheizung<br />
des Jahres 2020 von 954 500 Euro<br />
müssten die Mieter für einen Ausgleich<br />
dieser Zusatzkosten ihren Energiebedarf<br />
um knapp vier Prozent senken.<br />
Mieter reagieren mit<br />
Unverständnis<br />
Die Mieter hätten oftmals mit Unverständnis<br />
auf die Schreiben ihrer Genossenschaft<br />
reagiert. „Was ist eine<br />
Mail-Adresse?“, „Ich habe keine Mail-<br />
Adresse!“, „Was haben DIE sich jetzt<br />
schon wieder ausgedacht? Haben DIE<br />
keine anderen Probleme?“, „Ich will<br />
das nicht und ich bezahle das nicht!“–<br />
es sei alles dabei – nur eines nicht: Einsicht<br />
in den Sinn dieser Informationen.<br />
Die Zusatzkosten träfen eher die<br />
Menschen, die ohnehin schon über<br />
wenig Geld verfügten, sagen Hellmann<br />
und Sommer. Jene, bei denen das Geld<br />
in der Regel nicht für den ganzen Monat<br />
reiche. Jene, die ohne das neueste<br />
Smartphone, DSL-Flatrate oder den<br />
neuesten Gadgets unterwegs seien.<br />
Jene, die darauf angewiesen seien,<br />
diese (Pflicht-)Nachweise per Post zu<br />
erhalten.<br />
Zugleich erwarten die beiden Vorstände<br />
Rechtsstreitigkeiten mit ihren<br />
Mietern, weil diese nicht bereit sein<br />
würden, die Zusatzkosten zu tragen.<br />
Auch nachhaltig sei die Neuregelung<br />
nicht, so die beiden Vorstände weiter.<br />
Künftig seien für die Berichterstattung<br />
über die Nebenkosten pro Haushalt 18<br />
beidseitig bedruckte A4-Seiten notwendig.<br />
Die beiden Genossenschaftsvorstände<br />
bezweifeln zudem das Ziel der<br />
Neuordnung, falsches Heizverhalten<br />
zu reduzieren. „Bis auf wenige Ausnahmen<br />
wissen wir, dass den Mietern<br />
der sparsame Umgang mit Heizenergie<br />
sehr wichtig ist.“h<br />
„Wir halten in<br />
unserem<br />
Unternehmen einen<br />
Arbeitsaufwand<br />
von zwei<br />
Sachbearbeitertagen<br />
pro Monat für<br />
erforderlich.“
10<br />
<strong>VNW</strong><br />
CradletoCradle<br />
Wie bauen wir<br />
VON AXEL HORN<br />
in Zukunft?<br />
Ökologisch. Sozial. Bezahlbar. Dabei lohnt ein Blick auf die Baustoffe.<br />
Der Bauverein der Elbgemeinden will im Hamburger Stadtteil Lurup<br />
erstmals Häuser in Holzmodulbauweise errichten.<br />
f
11<br />
Neue Wohnformen ermöglichen<br />
Hamburg. Der Wohnungsbau der Zukunft muss ökologisch, sozial<br />
und bezahlbar sein – für die Mieterinnen und Mieter ebenso wie<br />
für die Wohnungsunternehmen. Der Bauverein der Elbgemeinden<br />
(BVE) setzt sich mit der Frage auseinander, wie das gelingen kann.<br />
In den vergangenen Jahren hat sich die Diskussion um Klimaschutz<br />
im Gebäudesektor stark auf die Energieversorgung und<br />
den Energieverbrauch fokussiert. Viele Wohnungsunternehmen<br />
haben bereits gute Lösungen gefunden, um deutliche CO 2<br />
-Reduktionen<br />
zu erzielen.<br />
Nicht nur einzelne Gebäude, sondern ganze Quartiere werden<br />
energetisch saniert. Jetzt geraten die Baustoffe in den Blick. Denn<br />
Beton beispielsweise verbraucht in der Herstellung viel Kohlendioxid<br />
und ist nur sehr bedingt recycelbar.<br />
Zum Bau der Zukunft gehört es auch, sich mit den Bedürfnissen<br />
der Menschen auseinanderzusetzen. Der BVE ermöglicht in seinem<br />
Bestand schon lange Wohnformen jenseits der klassischen<br />
Mietwohnung. Dazu gehören Baugemeinschaften, Angebote für<br />
Menschen mit Unterstützungsbedarf, Servicewohnen für Ältere<br />
sowie Wohnen und Arbeiten unter einem Dach.<br />
Künftig will der BVE auch Häuser speziell für das Mehrgenerationenwohnen<br />
konzipieren. Außerdem beschäftigt er sich mit<br />
neuen Grundrissen, die kleinere Privatwohnungen mit gemeinschaftlich<br />
genutzten Flächen – beispielsweise zum Arbeiten oder<br />
Feiern – kombinieren. Das entspricht dem Sharing-Trend und die<br />
Mieten der einzelnen Wohnungen würden aufgrund der geringeren<br />
Quadratmeterzahl sinken.<br />
Bezahlbar bleiben<br />
Neue Baustoffe einsetzen<br />
Die erste Möglichkeit, den Verbrauch zu begrenzen, ist es, sehr<br />
genau zu prüfen, ob ältere Häuser wirklich abgebrochen werden<br />
müssen. Häufig ist es auch möglich, ältere Bestände energetisch<br />
zu ertüchtigen und Quartiere durch Nachverdichtungen und Aufstockungen<br />
zu erweitern, anstatt komplett neu zu bauen.<br />
Zweitens geht es darum, Baustoffe zu wählen, die entweder<br />
wiederverwendbar sind oder nach ihrem Gebrauch dem biologischen<br />
Kreislauf zugeführt werden können. Metall kann beispielsweise<br />
gut wiederverwendet werden, wenn es in entsprechender<br />
Weise verbaut wurde.<br />
Holz lässt sich entweder auch recyceln oder kann vollständig<br />
biologisch abgebaut werden. Dieses Designprinzip, das unter anderem<br />
von der EPEA GmbH entwickelt wurde, heißt »Cradle to<br />
cradle®« und spielt im Gebäudesektor eine zunehmend wichtige<br />
Rolle.<br />
Auch in Hamburg gibt es hierfür anschauliche Beispiele wie<br />
den „Wood Cube“, der im Rahmen der Internationalen Bauausstellung<br />
(IBA) in Wilhelmsburg entstand. Der BVE setzt sich aktuell<br />
ebenfalls mit dem »Cradle to cradle®«-Prinzip auseinander und<br />
will in absehbarer Zeit Mehrfamilienhäuser aus Holz bauen.<br />
Die Anforderungen an den Klimaschutz sowie steigende Bau- und<br />
Grundstückskosten verteuern den Wohnungsbau. Gleichzeitig<br />
sind bezahlbare Mieten ein wichtiger Baustein der sozialen Nachhaltigkeit.<br />
Insofern gilt es, neue kostengünstige Wege des Bauens<br />
einzuschlagen.<br />
Der BVE verfolgt hierbei zwei Ansätze: Erstens will er im Hamburger<br />
Stadtteil Lurup erstmals Häuser in Holzmodulbauweise<br />
errichten. Die verwendeten Module sollen idealerweise anschließend<br />
auch bei anderen Bauprojekten zum Einsatz kommen. Hierdurch<br />
verringern sich die Kosten der einzelnen Projekte.<br />
Zweitens geht der Trend zurück zum einfachen Bauen. Nachdem<br />
in den vergangenen Jahren immer mehr Technik in den<br />
Häusern verbaut wurde, wird ihr Anteil künftig zurückgefahren<br />
werden. Das schont die natürlichen Ressourcen und das Budget.<br />
Denn die Erfahrung zeigt: Selbst die beste Technik nützt<br />
nichts, wenn die Menschen sie nicht richtig einsetzen. Stattdessen<br />
wird der BVE seine Mitglieder systematisch motivieren, ihren<br />
Energieverbrauch zu hinterfragen und zu reduzieren.<br />
Auf diese Weise kann der Dreiklang aus ökologischer Verantwortung,<br />
Sozialverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit gelingen. h<br />
Wer sich für das Thema interessiert, wird hier fündig:<br />
Die EPEA hat eine Broschüre über das Designprinzip<br />
„Cradle to Cradle®“ für Gebäude herausgebracht. Sie<br />
steht auf www.epea.com kostenlos zum Download<br />
zur Verfügung.<br />
AXEL HORN<br />
ist Vorstand des Bauvereins<br />
der Elbgemeinden eG (BVE)
12<br />
<strong>VNW</strong><br />
„So bin ich<br />
erzogen worden“<br />
Heidi Möller ist Aufsichtsrätin bei der Neuen Lübecker und nahm<br />
Ende Januar an einem Seminar zur Qualifizierung teil. Ein Porträt.<br />
VON PETER WENIG<br />
diskutiert, wie Wohnungsunternehmen<br />
Klimarisiken begegnen können.<br />
Willkommen zum Seminar „Qualifizierter<br />
Aufsichtsrat <strong>VNW</strong>“. Drei Tage haben<br />
sich in Lübeck 19 Aufsichtsräte von<br />
Wohnungsbaugenossenschaften aus dem<br />
Norden versammelt. Das dichte Programm<br />
reicht von rechtlichen Grundlagen der<br />
Aufsichtsratstätigkeit über Controlling bis<br />
zur Jahresabschlussprüfung.<br />
Im Interesse der Mieterinnen und<br />
Mieter<br />
Lübeck. Auf dem Bildschirm erscheint eine Risikomatrix. Die Felder,<br />
jeweils farblich unterlegt, zeigen die Wahrscheinlichkeit eines<br />
Schadens („häufig bis unvorstellbar“) sowie dessen mögliche Auswirkungen<br />
(„unwesentlich bis katastrophal“). Lothar Klein, Wirtschaftsprüfer<br />
und Steuerberater in Diensten des Verbands <strong>VNW</strong><br />
spricht über Risiken der Branche – von möglichen Leerständen über<br />
massiv erhöhte Baukosten bis zu Flutkatastrophen.<br />
An diesem schönen Freitag im Januar lugt die Sonne durch<br />
die bodentiefen Fenster des Konferenzraums Pier im Lübecker Radisson-Hotel<br />
Park Inn. Doch niemand im Raum hat einen Blick für<br />
die Parkanlagen am Stadtgraben. Und obwohl laut Plan längst die<br />
nächste Kaffeepause ansteht, wird weiter munter über die Frage<br />
Die Teilnehmenden sitzen Corona-Konform<br />
an getrennten Tischen. Unter ihnen<br />
Heidi Möller, Aufsichtsrätin der Neuen Lübecker,<br />
mit mehr als 15500 Wohnungen<br />
eine der größten Wohnungsgenossenschaften<br />
des Nordens. Die gelernte Bürokauffrau<br />
gehört seit 2021 dem Gremium<br />
an, das den Vorstand kontrolliert und berät.<br />
„Mich interessiert alles, was mit Bau<br />
zu tun hat“, sagt die 55-Jährige. In ihrem Job beschäftigt sie sich<br />
für ein großes Hamburger Unternehmen mit Gewerbeimmobilien.<br />
Und wer sich mit Heidi Möller unterhält, spürt sofort, wie sehr sie<br />
für ihre Aufgabe bei der Genossenschaft brennt: „Als Vertreterin<br />
durfte ich mir dieModernisierung einer Anlage genau anschauen.<br />
Die neue Technik ist faszinierend. Mitteilungen für Mieter werden<br />
dort auf kleine Bildschirme neben den Fahrstühlen gespielt.“<br />
Eingesetzt für die Interessen der Mitglieder hat sie sich schon<br />
immer – auch ohne Amt. Seit 2003 wohnt sie nun in einer Wohnung<br />
der Genossenschaft in Elmshorn. „Wenn ein Licht über dem<br />
Eingang defekt ist, rufe ich den Hausmeister an“, sagt Heidi Möller.
13<br />
Vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Vorstand<br />
Und wenn der Winterdienst bei plötzlich einsetzendem Schneefall<br />
nicht rechtzeitig anrückt, greift sie eben selbst mit Nachbarinnen<br />
und Nachbarn zu Schneeschieber und Besen. Oder hebt das Papier<br />
auf, das jemand achtlos hat fallen lassen. „So bin ich erzogen<br />
worden“, sagt Heidi Möller. Und 2019, sagt sie dann, habe sie<br />
sich überlegt, dass sie auch offiziell für das Amt einer Vertreterin<br />
kandidieren könne, wenn sie sich so kümmert.<br />
Jetzt gehört sie dem höchsten Gremium der Genossenschaft<br />
an. Gewählt per Briefwahl, anders ging es nicht in Zeiten der Pandemie.<br />
Mit acht weiteren Rätinnen und Räten dreht Heidi Möller<br />
nun das große Rad. Mit dem Vorstand berät sie über Investitionen<br />
in Millionenhöhe, über Neubauten, Sanierungen und Modernisierungen.<br />
Und damit zugleich über eine der wichtigsten<br />
gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit: Wie lassen sich die Ziele<br />
verbesserter Klimaschutz und bezahlbares Wohnen versöhnen?<br />
Heidi Möller schätzt, dass die Vorstände Marcel Sonntag und Dr.<br />
Uwe Heimbürge ihre Fragen ausführlich beantworten. Etwa als<br />
sie jüngst in einer Aufsichtsratssitzung wissen wollte, wie Mitglieder<br />
angesichts einer extrem niedrigen Leerstandsquote noch eine<br />
Ausweichwohnung bei Sanierungen finden.<br />
In diesem Jahr organisiert der <strong>VNW</strong> gleich drei Seminare für<br />
Aufsichtsräte. „Das Interesse ist groß, nachdem wir 2021<br />
durch Corona alle Seminare leider absagen mussten“, sagt<br />
Lothar Klein, der gemeinsam mit seinem <strong>VNW</strong>-Kollegen Diplom-Kaufmann<br />
Frank Nolte sowie Rechtsanwalt Rainer Maaß<br />
das Programm verantwortet.<br />
Seit 2011 macht der <strong>VNW</strong> Aufsichtsräte in Drei-Tages-Seminaren<br />
fit für ihre Arbeit, zuvor gab es einzelne Weiterbildungen,<br />
etwa zu juristischen Fragen oder zum Rechnungswesen.<br />
Manche Räte kommen sogar zweimal zu den Veranstaltungen.<br />
Wobei den Lehrenden eines sehr wichtig ist: „Wir bilden<br />
hier niemanden für das operative Geschäft aus. Das ist auch<br />
bei einer Genossenschaft allein Sache des Vorstands“, sagt<br />
Lothar Klein. h<br />
„Die Genossenschaftsidee<br />
lohnt den Einsatz... Ich habe den<br />
Wechsel zur Neuen Lübecker<br />
nie bereut.“<br />
Rainer Maaß<br />
Das gegenseitige Kennenlernen ist wichtig<br />
Als die Neue Lübecker Heidi Möller die Teilnahme an dem Seminar<br />
anbot, sagte sie sofort zu. Weiterbildung, sagt sie, sei wichtig, um<br />
auf Augenhöhe diskutieren zu können. Und fast so wichtig wie<br />
das Seminar sei das gegenseitige Kennenlernen.<br />
Beim Abendessen drehen sich die Gespräche weiter um wichtige<br />
Themen der Genossenschaften. Wie weit seid ihr in der CO 2<br />
-<br />
Frage? Wie läuft bei euch das Sozialmanagement? Wie reagiert ihr<br />
auf die demografische Entwicklung?<br />
Auch Rätinnen und Räte kleiner Genossenschaften sind bei<br />
diesem Seminar dabei. Die Wohngemeinschaft Pädagogischer Verein<br />
im Hamburger Westen etwa hat nur 200 Wohnungen. Gerade<br />
diese Spannbreite macht die Diskussion spannend.<br />
Lothar Klein<br />
Frank Nolte<br />
Faire Mieten und vorbildlicher Umgang mit den<br />
Mietern<br />
Doch so unterschiedlich manche Positionen auch sind – in einem<br />
sind sich alle Teilnehmenden einig: Die Genossenschaftsidee lohnt<br />
den Einsatz. „Ich habe den Wechsel zur Neuen Lübecker nie bereut“,<br />
sagt Heidi Möller: „Die Mieten sind fair, der Umgang mit<br />
den Mitgliedern vorbildlich.“<br />
PETER WENIG<br />
Der Journalist und Autor Peter<br />
Wenig (60) beschäftigt sich seit<br />
Jahren mit Wohnungspolitik<br />
sowie dem Gesundheitswesen.<br />
Für das Hamburger Abendblatt<br />
schrieb er das Buch „Der große<br />
Hamburger Pflegeratgeber“.
14<br />
<strong>VNW</strong><br />
Lob für Hamburgs<br />
Wohnungspolitik<br />
Bundesbauministerin Klara Geywitz besucht in der Hansestadt<br />
das Pergolenviertel und spricht sich für das serielle Bauen aus.<br />
Doch die Erfahrungen mit dem seriellen Bauen sind ernüchternd.
15<br />
Hamburg. Bundesbauministerin Klara<br />
Geywitz hat Hamburgs Wohnungspolitik<br />
als gutes Beispiel für ganz Deutschland gelobt.<br />
Mit dem „Bündnis für das Wohnen“<br />
von Stadt, Bezirken und Wohnungswirtschaft<br />
sei es in der Hansestadt gelungen,<br />
das Bauvolumen deutlich auszuweiten,<br />
sagte die SPD-Politikerin Anfang Januar bei<br />
einem Besuch im Neubaugebiet Pergolenviertel<br />
in Winterhude. „Das ist genau das,<br />
was wir auch auf Bundesebene vorhaben.“<br />
Nötig sei eine „konzertierte Aktion“<br />
von denen, die bauen, und denen, die die<br />
Bauflächen haben. Zudem müssten die<br />
Planungsverfahren beschleunigt werden,<br />
„damit wir das Ziel erreichen: (...) 400 000<br />
Wohnungen im Jahr zusätzlich und davon<br />
100 000 gefördert“, sagte Geywitz.<br />
Typengenehmigungen machen<br />
Neubau günstiger<br />
Zugleich sprach sich die Ministerinh für<br />
serielles Bauen aus, bei dem Teile des Gebäudes<br />
nicht mehr an Ort und Stelle errichtet,<br />
sondern in einer Produktionsstätte<br />
vorgefertigt werden. Neubauten könnten<br />
kostengünstiger und schneller entstehen,<br />
wenn Module eine Typengenehmigung<br />
erhalten und dann kein weiteres Genehmigungsverfahren<br />
mehr durchlaufen<br />
müssten.<br />
Außerdem gehe es ihr um Nachhaltigkeit,<br />
sagte Geywitz. „Mir ist wichtig,<br />
dass wir auch im Bereich des Wohnungsbaus<br />
in eine Kreislaufwirtschaft eintreten<br />
können.“ So könnten Module am Ende<br />
der Nutzungsdauer eines Hauses leichter<br />
demontiert und dem Recycling zugeführt<br />
werden. Die Ministerin wurde bei ihrem<br />
Besuch von Hamburgs Bausenatorin<br />
Dr. Dorothee Stapelfeldt, <strong>VNW</strong>-Direktor<br />
Andreas Breitner und dem Sprecher des<br />
SAGA-Vorstands, Dr. Thomas Krebs, begleitet.<br />
Erfahrungen mit dem seriellen<br />
Bauen sind ernüchternd<br />
<strong>VNW</strong>-Direktor Andreas Breitner dämpfte<br />
allerdings die Erwartungen an das serielle<br />
Bauen. Die Hamburger Erfahrungen seien<br />
„ernüchternd und geben wenig Anlass<br />
zur Hoffnung“. Serielles Bauen scheitere<br />
häufig am eigenen Gestaltungswillen in<br />
den Bauprüfungsbehörden. „Der einfache<br />
Satz ‚So passt das hier nicht hin‘ ist allzu<br />
oft das Ende des vereinfachten, typisierten<br />
Bauens“, sagte Breitner und forderte:<br />
„Wer mehr serielles Bauen in Deutschland<br />
will, muss dafür die Akzeptanz in den Baugenehmigungsbehörden<br />
schaffen.“<br />
Zugleich bezeichnete der <strong>VNW</strong>-<br />
Direktor das Hamburger Pergolenviertel<br />
als ein gelungenes Beispiel für moderne<br />
Wohnungspolitik. „<strong>VNW</strong>-Unternehmen<br />
wie die SAGA und mehrere Genossenschaften<br />
haben hier gezeigt, dass auch<br />
in besonders begehrten Stadtteilen einer<br />
europäischen Metropole bezahlbarer<br />
Wohnraum mit anspruchsvoller Architektur<br />
geschaffen werden kann.“ Zugleich<br />
wies der <strong>VNW</strong>-Direktor darauf hin, dass<br />
die SAGA Unternehmensgruppe Module<br />
für Wohngebäude entwickelt und eine<br />
Typengenehmigung dafür erhalten hat.<br />
„Man könnte sie also ohne weitere Genehmigungsprozedur<br />
an unterschiedlichen<br />
Orten errichten.“ h
16<br />
<strong>VNW</strong><br />
Hamburg macht den<br />
Kauf von Grund und<br />
Boden teurer<br />
Anfang kommenden Jahres steigt die Grunderwerbsteuer von 4,5<br />
auf 5,5 Prozent. Ausnahmen soll es für Sozialwohnungen und junge<br />
Familien geben.<br />
Hamburg. Hamburgs rot-grüner Senat<br />
will den Kauf einer Immobilie oder einer<br />
Wohnung Anfang 2023 über eine Anhebung<br />
der Grunderwerbsteuer verteuern<br />
und so zusätzliche Einnahmen in Höhe<br />
von rund 132 Millionen Euro pro Jahr erzielen.<br />
Mit der Anfang Januar beschlossenen<br />
Anpassung der Steuer von derzeit 4,5<br />
auf dann 5,5 Prozent reagiere der Senat<br />
auf die coronabedingt angespannte Haushaltslage,<br />
sagte Finanzsenator Andreas<br />
Dressel (SPD).<br />
<strong>VNW</strong>-Direktor Andreas Breitner bedauerte<br />
die Erhöhung der Grunderwerbsteuer<br />
in der Hansestadt. „Das ist das falsche<br />
Signal zur falschen Zeit. Angesichts<br />
der schwierigen Situation auf Hamburgs<br />
Wohnungsmarkt wäre es nötig, Hemmnisse<br />
für den Wohnungsbau abzubauen.“<br />
Zugleich begrüßte der <strong>VNW</strong>-Direktor,<br />
„dass mit einem Teil der Mehreinnahmen<br />
der Stadt Investitionen von Wohnungsunternehmen<br />
in den Klimaschutz gefördert<br />
werden sollen und dass dabei ausdrücklich<br />
der Quartiersansatz berücksichtigt<br />
wird“. Die geplante Senkung der Grunderwerbsteuer<br />
beim öffentlich geförderten<br />
Wohnungsbau auf 3,5 Prozent sei eine<br />
richtige Entscheidung.<br />
Hamburg künftig im Mittelfeld<br />
Senator Dr. Dressel betonte, Hamburg<br />
liege mit der Erhöhung der Grunderwerbsteuer<br />
im Ländervergleich künftig im Mittelfeld.<br />
Die bundesweit niedrigste Grunderwerbsteuer<br />
erheben mit 3,5 Prozent die<br />
Länder Bayern und Sachsen, die höchste<br />
mit 6,5 Prozent die Länder Brandenburg,<br />
Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Schleswig-Holstein<br />
und das Saarland.<br />
Die Grunderwerbsteuer wird – anders<br />
als die Grundsteuer – nur beim Kauf einer<br />
Immobilie fällig. Die Hamburgische<br />
Bürgerschaft muss den Plänen des Senats<br />
noch zustimmen. Der Finanzsenator kündigte<br />
an, dass für junge Familien, die eine<br />
selbstgenutzte Wohnimmobilie erwerben<br />
wollten, eine Ermäßigung der Grundsteuer<br />
auf 3,5 Prozent geplant sei. Voraussetzung<br />
hierfür sei, dass das Ampel-Bündnis<br />
in Berlin die Voraussetzungen für eine flexiblere<br />
Gestaltung der Grunderwerbsteuer<br />
durch die Länder ermögliche. Gleiches<br />
gelte für die Grunderwerbsteuer bei Sozialwohnungen<br />
und Erbbaurechtsgrundstücken.<br />
Die Opposition sprach von Augenwischer.<br />
Für die Senkung des Grunderwerbsteuersatzes<br />
beispielsweise für Sozialwohnungen<br />
seien bundesgesetzliche<br />
Vorgaben erforderlich, die die SPD selbst<br />
jahrelang blockiert habe, sagte der CDU-<br />
Politiker Thilo Kleibauer. Zudem hätten alle<br />
SPD-Senate seit dem Regierungswechsel<br />
im Jahr 2011 alle Initiativen zur Förderung<br />
der Eigentumsbildung ignoriert. Hamburg<br />
habe in den vergangenen Jahren bei der<br />
Grunderwerbsteuer bereits von den gestiegenen<br />
Grundstückspreisen profitiert.<br />
Deren Aufkommen sei seit 2016 um 30<br />
Prozent auf 600 Millionen Euro gestiegen.
17<br />
Im Norden keine Senkung der<br />
Grunderwerbsteuer vor der Landtagswahl<br />
Im Dauerkonflikt in der Kieler Jamaika-<br />
Koalition um steuerliche Entlastungen<br />
beim Wohnungs- oder Hauskauf zeichnet<br />
sich bis zur Landtagswahl am 8. Mai <strong>2022</strong><br />
keine Lösung mehr ab. Bei der Frage der<br />
Grunderwerbsteuer werde es bis dahin<br />
keine Einigung mehr geben, sagte Finanzministerin<br />
Monika Heinold kurz vor dem<br />
Jahreswechsel. Schleswig-Holstein gehört<br />
bundesweit zu den Ländern mit dem<br />
höchsten Steuersatz. Er liegt im Norden<br />
bei 6,5 Prozent.<br />
„Angesichts von Rekordsteuereinnahmen<br />
stellt sich die Kieler Regierungskoalition<br />
damit ein Armutszeugnis aus“, sagt<br />
<strong>VNW</strong>-Direktor Andreas Breitner. „Statt zu<br />
streiten, sollten die Koalitionspartner die<br />
Grunderwerbsteuer senken.“ Schließlich<br />
habe die Finanzministerin erst vor einigen<br />
Wochen berichtet, dass infolge hoher Immobilienpreise<br />
das Land Schleswig-Holstein<br />
überdurchschnittlich hohe Einnahmen aus<br />
Erbschafts- und Grunderwerbsteuer verzeichne.<br />
Das Finanzministerium rechne für<br />
2021 mit einer Rekordsumme von mehr als<br />
1,1 Milliarden Euro. Das wären rund zehn<br />
Prozent des gesamten Steuer-Aufkommens.<br />
Eine hohe Grunderwerbsteuer<br />
trifft auch die sozialen Vermieter<br />
Eine hohe Grunderwerbsteuer treffe nicht<br />
nur die "reichen" Eigenheimbesitzer, so<br />
der <strong>VNW</strong>-Direktor. „Es sind vor allem junge<br />
Familien, auf deren Rücken der Koalitionsstreit<br />
ausgetragen wird. Natürlich zahlen<br />
auch die Mieterinnen und Mieter von neu<br />
gebauten Wohnungen anteilig über ihre<br />
Miete die hohe Grunderwerbsteuer. Damit<br />
gefährdet die Kieler Koalition bezahlbare<br />
Mieten und wendet sich gegen die fairen<br />
und sozialen Vermieter im Lande.“<br />
Die hohe Grunderwerbsteuer beeinflusst<br />
zudem die Baukosten. Erst vor einigen<br />
Monaten hat das Monitoring der Investitionsbank<br />
des Landes den dramatischen<br />
Anstieg der Baukosten belegt. „Die Senkung<br />
des Grunderwerbsteuersatzes wäre<br />
ein sinnvoller Beitrag, die zuletzt in utopische<br />
Höhen gestiegenen Baukosten zu<br />
begrenzen“, sagt <strong>VNW</strong>-Direktor Andreas<br />
Breitner. h<br />
„Das ist das<br />
falsche Signal<br />
zur falschen<br />
Zeit.“
18 <strong>VNW</strong><br />
Von Berlin in die Zukunftsstadt Loitz<br />
– Versuch mit Vorbildcharakter?<br />
Ein renovierungsbedürftiges Haus und ein Grundeinkommen –<br />
so hat die Stadt Loitz zwei Berliner aufs platte Land gelockt.<br />
Zusammen mit Einheimischen wollen sie zur Belebung beitragen –<br />
und bleiben.<br />
VON CHRISTOPHER HIRSCH
19<br />
Loitz. Dass es den gebürtigen Venezolaner<br />
Rolando González einmal aufs platte pommersche<br />
Land verschlagen würde – damit hätte<br />
er lange nicht gerechnet. Dennoch steht der<br />
32-Jährige nun mit einer Kiste voll Brennholz<br />
auf einem Hinterhof in Loitz, der rund<br />
4300-Seelen-Stadt an der Peene. „Ich dachte,<br />
die Heizung müssten wir sofort umbauen“,<br />
sagt seine Frau Annika Hirsekorn. Sie habe sich<br />
aber an die Holzöfen gewöhnt. Beide haben<br />
sich in Mexiko-Stadt kennengelernt, in Berlin<br />
gelebt und sind für ein Experiment nach Vorpommern<br />
gekommen.<br />
Sie sollen zur Belebung der Stadt beitragen.<br />
Den Großstädtern wurde dafür für ein Jahr ein<br />
Haus sowie ein Grundeinkommen von jeweils<br />
1000 Euro pro Monat zur Verfügung gestellt.<br />
Ein Freund habe sie im Herbst 2020 auf das<br />
Projekt im Internet hingewiesen, erinnert sich<br />
Hirsekorn. „Und dann dachte ich mir, naja,<br />
wenn, dann würde ich mich mit Rolando bewerben“,<br />
sagt die 36-Jährige und lacht. Mit ihren Ideen setzten<br />
sich die beiden gegen etwa 100 andere Bewerbungen durch. „Im<br />
Dezember haben wir dann die Zusage bekommen.“ Seit April des<br />
vergangenen Jahres sind die beiden in Loitz, wobei sie zunächst<br />
anderweitig unterkamen, weil in dem Altbau vom Ende des 19.<br />
Jahrhunderts noch Renovierungen nötig waren.<br />
Trotz des Grundeinkommens gehen beide weiter ihren bisherigen<br />
Jobs nach. González als Video-Produzent und Hirsekorn<br />
unter anderem als Kuratorin von Ausstellungen. Allein ihre Krankenversicherungen<br />
kosteten schließlich Hunderte Euro. Auch ihre<br />
Wohnung in Berlin haben sie noch. „So sind wir auch nicht darauf<br />
angewiesen, dass das jetzt hier von null auf hundert sofort läuft.“<br />
Es geht um das Ausprobieren von Ideen<br />
Seit 2016 ist das Amt Peenetal/Loitz eine Modellregion im Wettbewerb<br />
Zukunftsstadt des Bundesministeriums für Bildung und<br />
Forschung. Dabei geht es um die Entwicklung und das Ausprobieren<br />
von Ideen, wie man vom Strukturverlust betroffene Regionen<br />
beleben kann. „Es steht ja nicht nur Loitz vor diesen Problemen“,<br />
sagt Bürgermeisterin Christin Witt (CDU). „Es ist ein Versuch.“<br />
Der könne auch für andere Standorte Vorarbeit leisten. Zuletzt<br />
schaffte es Loitz als eine von acht Regionen in die dritte Phase des<br />
bundesweiten Wettbewerbs. Vom Bund stammt laut Witt auch<br />
das Basiseinkommen für Hirsekorn und González.<br />
Das Projekt habe auf jeden Fall Aufmerksamkeit auf die Stadt<br />
Loitz gelenkt. „Auf alle Fälle bringen sie sich ein“, sagt Witt. Viele<br />
Dinge brauchten noch ein bisschen Zeit. „Der Pommer ist einer,<br />
der sich das nicht, sag ich mal, von außen aufdrücken lässt.“ Neben<br />
den beiden Neu-Loitzern gehöre zur Zukunftsinitiative etwa<br />
auch der Bau eines Wohnkomplexes für verschiedene Lebensformen<br />
und Altersgruppen mit medizinischer Versorgung und Gemeinschaftsräumen<br />
im Zentrum.<br />
Hirsekorn und González haben im Haus eine Siebdruckwerkstatt,<br />
eine Comic-Bibliothek und selbst einen Escape-Room eingerichtet.<br />
Sie haben schon einige Projekte mit Kindern und Jugendlichen<br />
aus der Region gemacht. „Das wird total gut angenommen“, sagt<br />
Hirsekorn. Nur mit der Bibliothek sei es noch ein bisschen schleppend.<br />
Wenn man frage, was die Kids lesen wollen, sagten viele,<br />
sie wollten Playstation spielen.<br />
Ein Handbuch soll anderen Gemeinden helfen<br />
Es gehe aber nicht bloß um das Haus und die Räumlichkeiten,<br />
sondern vielmehr auch um Vernetzung. Das Paar hat nach eigener<br />
Aussage schon viele Gleichgesinnte im Ort gefunden, die auch<br />
Projekte organisieren wollen. González habe etwa eine Telegram-<br />
Gruppe zur Nachbarschaftshilfe aufgesetzt. Zu Weihnachten<br />
hätten sie im Rahmen einer Wichtelaktion nicht benötigte Gegenstände<br />
von Loitzern eingesammelt und daraus thematische<br />
Adventskalender zusammengestellt, unter anderem für eine Beratungsstelle<br />
für Arbeitslose.<br />
Die beiden wollen einen Verein mit Namen "De Loite" gründen,<br />
bei dem sich noch mehr Menschen einbringen sollen. Zudem<br />
will Hirsekorn etwa das Thema Zwangsarbeit während des Zweiten<br />
Weltkriegs in Loitz im Rahmen eines Schulprojekts aufarbeiten.<br />
„Man kann auf jeden Fall schon sagen, dass die Wahrnehmung<br />
in der Bevölkerung sehr unterschiedlich ist“, sagt Carmen<br />
Renninger von der Hochschule Neubrandenburg diplomatisch. Sie<br />
und eine Kollegin begleiten die Loitzer Zukunftsprojekte wissenschaftlich.<br />
Eine weitere Erkenntnis sei, dass die Verwaltung flexibler<br />
sein könnte bei der Umsetzung. Als Teil der Evaluation soll<br />
ein Handbuch entstehen, das anderen Gemeinden bei ähnlichen<br />
Projekten helfen soll.<br />
Hirsekorn und González fühlen sich gut in Loitz aufgenommen.<br />
„Klar, wir wissen, dass es viele Leute gibt, die das Projekt<br />
nicht gut finden“, sagt Hirsekorn. Das habe auch mit unzureichender<br />
Kommunikation zu tun. Die Kritiker träten aber nur<br />
ganz selten an sie heran. Einige habe sie auch schon im direkten<br />
Austausch überzeugen können. Andere Menschen hätten Begrüßungsgeschenke<br />
vorbeigebracht. Sie hätten mittlerweile Bekannte,<br />
die sie jederzeit unterstützten. „Davon gibt es total viele.“<br />
Das Experiment scheint teilweise schon ein Erfolg zu sein. „Die<br />
beiden werden das Haus erwerben“, freut sich Witt. „Der Kaufvertrag<br />
steht kurz vorm Abschluss. Wir haben jetzt nur noch den<br />
Notar-Termin.“ Das sei somit wieder ein Haus, das belebt wurde.<br />
Und: Die beiden seien nicht die einzigen. Ein anderes Paar, dessen<br />
Bewerbung nicht erfolgreich war, sei mittlerweile trotzdem nach<br />
Loitz gezogen. Die beiden würden sich nun um die Galerie am<br />
alten Steintor kümmern, um sie wieder für Besucher zu öffnen. h
20 Stadtentwicklung Flensburg<br />
Auf Jahre hinaus stabile<br />
Nachfrage<br />
Die Situation und die Herausforderungen des<br />
Flensburger Wohnungsmarkts.<br />
VON SIMONE LANGE, OBERBÜRGERMEISTERIN DER STADT FLENSBURG<br />
Flensburg. Unzweifelhaft zu den wichtigsten<br />
Aufgaben einer Oberbürgermeisterin<br />
gehört es, Schwung in die Entwicklung<br />
bei der Wohnraumversorgung zu bringen.<br />
Einerseits gilt es hier, den vorhandenen<br />
Mangel in den Griff zu kriegen. Andererseits<br />
ist jede Grundsteinlegung und jedes<br />
Richtfest von Wohngebäuden ein wichtiger<br />
Schritt in die richtige Richtung.<br />
Auf dem Flensburger Wohnungsmarkt<br />
fehlen tausende Wohnungen. Dies ist die<br />
Hypothek des in den 2000er Jahren aufgelaufenen<br />
Wohnraumdefizits. Erst in den<br />
2010er Jahren wurde der Fokus auf verstärkten<br />
Geschosswohnungsbau gelegt.<br />
Durch das Credo „bauen, bauen, bauen“<br />
konnte in der vergangenen Dekade in<br />
engem Schulterschluss mit lokalen wie regionalen<br />
Genossenschaften, Wohnungsund<br />
Wohnungsbauunternehmen das Angebot<br />
um mehr als 3 500 Wohneinheiten<br />
erweitert werden – ein Plus um acht Prozent.<br />
Im gleichen Zeitraum stieg die Einwohnerzahl<br />
jedoch um neun Prozent, die<br />
der Haushalte um ganze 13 Prozent.<br />
Die Pro-Kopf-Wohnfläche steigt<br />
Weiterhin sinkende Haushaltsgrößen, aber<br />
auch der vermehrte Wunsch nach Home-<br />
Office-Arbeitsplätzen führen zu einer weiterhin<br />
steigenden Pro-Kopf-Wohnfläche.<br />
Daher bleibt die Ausweitung des Wohnraumangebots<br />
eine wesentliche Zielsetzung:<br />
Für die Neuaufstellung des Flächennutzungsplans<br />
2035 wird mit einem Bedarf<br />
von 7 000 Wohneinheiten gerechnet.
21<br />
Diese nüchternen Zahlen machen mehr<br />
als deutlich, dass es sowohl seitens der<br />
Stadtplanung als auch der Kommunalpolitik<br />
einen klaren Fokus auf die Schaffung<br />
von weiterem Wohnraum geben musste,<br />
zumal ein gleichzeitiger Anstieg der Angebotsmieten<br />
in allen Marktsegmenten zu<br />
verzeichnen ist.<br />
Im Bewusstsein dieser Situation veränderte<br />
sich die Flensburger Wohnungspolitik<br />
dahingehend, dass in den vergangenen<br />
Jahren vermehrt nachfrageorientierte und<br />
bodenpolitische Elemente aufgenommen<br />
wurden. Im Jahr 2020 wurde eine verpflichtende<br />
Mindestquote von 30 Prozent<br />
geförderter Wohnungen bei neu geschaffenem<br />
Baurecht von der Flensburger<br />
Ratsversammlung beschlossen, um der<br />
Abschmelzung des Sozialwohnbestands<br />
entgegenzuwirken.<br />
Die klare Haltung der Kommunalpolitik in<br />
dieser Frage und ihr eindeutiger Auftrag<br />
an die Verwaltung fand ihren Widerhall<br />
bei den potenziellen Investoren, die nicht<br />
immer glücklich diese Anforderungen an<br />
geplante Projekte zu akzeptieren begannen.<br />
Die marginalisierte Wohnraumförderung<br />
hat nicht nur dadurch einen Bedeutungszuwachs<br />
erhalten, den es angesichts<br />
der Herausforderungen des Wohnungsmarkts<br />
auszubauen gilt.<br />
Das beste Konzept bekommt das<br />
Grundstück<br />
Ebenfalls auf der Grundlage eines Beschlusses<br />
der Ratsversammlung soll der<br />
Zuschlag für die Vergabe städtischer<br />
Grundstücke zukünftig nicht mehr auf<br />
Basis des höchsten Gebots, sondern des<br />
besten Konzepts erfolgen. Dabei spielen<br />
wohnungspolitische Kriterien, etwa zur<br />
Anzahl preisgedämpfter Wohnungen und<br />
Wohnungsgrößen, eine große Rolle.<br />
Auch in Flensburg spielt der Tourismus<br />
nicht nur pandemiebedingt, sondern insgesamt<br />
als Wirtschaftszweig eine immer<br />
größer werdende Rolle. Das zieht eine<br />
Ausweitung des Ferienwohnungsangebots<br />
nach sich, das in zunehmender Konkurrenz<br />
zum Dauerwohnen steht.<br />
Mit Hilfe eines gesamtstädtischen Konzepts<br />
möchte die Stadt Flensburg ein<br />
räumlich wie inhaltlich differenziertes<br />
Steuerungsinstrumentarium einführen, um<br />
diese Konkurrenzsituation zu entschärfen.<br />
Überlagert wird diese Flensburg-spezifische<br />
Situation von übergeordneten Herausforderungen<br />
wie dem Klimawandel,<br />
den Anforderungen des Umweltschutzes<br />
und des demografischen Wandels.<br />
Im Wesentlichen geht es um Innenentwicklung<br />
Der sparsame Umgang mit Grund und<br />
Boden macht es auch in unserer Stadt<br />
erforderlich, den Ausbau des Wohnraumangebots<br />
im Wesentlichen auf die Innenentwicklung<br />
zu beschränken. In den<br />
Stadterneuerungsflächen, etwa im Umfeld<br />
des Flensburger Bahnhofs und der<br />
Neustadt, werden derzeit mehr als 1 000<br />
Wohneinheiten projektiert und gebaut.<br />
Zwei Jahrhundertprojekte – die Verlagerung<br />
des Wirtschaftshafens auf die<br />
andere Fördeseite und die damit verbundene<br />
Schaffung einer Fläche für die Entwicklung<br />
eines neuen Stadtteils und der<br />
Neubau eines Zentralkrankenhauses mit<br />
dem Freiwerden der bisherigen Standorte<br />
der beiden Krankenhäuser für die weitere<br />
Stadtentwicklung – bieten die Chance für<br />
weitere gemischte Quartiere mit hohem<br />
Wohnungsanteil.<br />
Eine von der Stadt in Auftrag gegebene<br />
Innenentwicklungspotenzialanalyse<br />
hat erstmals nachgewiesen, dass der<br />
Wohnungsneubaubedarf grundsätzlich<br />
bedient werden kann, eine Stadterweiterung<br />
im Außenbereich zu betreiben. Es<br />
bleibt sowohl bei dem Leitbild der Stadt<br />
der kurzen Wege als auch bei einer Begrenzung<br />
des Ressourcenverbrauchs.<br />
Kaum beeinflussbare Faktoren<br />
Es zeigt sich aber auch, dass der Flensburger<br />
Wohnungsmarkt in hohem Maß von<br />
kommunal nicht oder kaum beeinflussbaren<br />
Faktoren abhängt. Förderbedingungen,<br />
gesetzliche, steuerliche und geldpolitische<br />
Rahmenbedingungen beeinflussen<br />
die Realisierbarkeit von Projekten ebenso<br />
wie die in jüngster Vergangenheit zu verzeichnenden<br />
Materialengpässe und explodierenden<br />
Baukosten. Langfristig bestehen<br />
naturgemäß Unsicherheiten bei der<br />
zusätzlichen Wohnungsnachfrage.<br />
Allerdings befindet sich Flensburg weiterhin<br />
in einer Phase, in der es gilt, das in<br />
der Vergangenheit aufgetürmte Wohnraumdefizit<br />
abzutragen. Angebot und<br />
Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt sind<br />
dabei so zu entwickeln, dass sie sich quantitativ,<br />
aber auch zielgruppenspezifisch<br />
bezogen auf Größe, Ausstattung, Lage<br />
und Preisniveau annähern.<br />
Als Stadt Flensburg unternehmen wir<br />
schon jetzt große Anstrengungen, um unseren<br />
Teil dazu beizutragen und entsprechende<br />
Flächen bereitzustellen bzw. mit (dem<br />
stadtentwicklungspolitisch richtigen) Baurecht<br />
zu versehen. Dieses wollen wir auch<br />
weiterhin mit höchster Priorität tun.<br />
Um die Wohnraumversorgung insgesamt<br />
weiter zu verbessern, ist eine gute<br />
und vertrauensvolle Zusammenarbeit<br />
zwischen Wohnungsunternehmen und<br />
Kommunen sinnvoll und erforderlich. Gemeinsam<br />
ist dieses wichtige gesellschaftspolitische<br />
Ziel besser zu erreichen. h<br />
SIMONE<br />
LANGE
Dörfliche Idylle<br />
mitten<br />
in der<br />
Stadt
23<br />
Kleinstgenossenschaften erleben in Zeiten steigender Mieten einen Boom. Die Drachenbau<br />
gründete sich 1986 und hat viele Höhen und Tiefen dieser Wohnform bereits hinter sich.<br />
Die junge Baugemeinschaft Baumhaus Altona reicht gerade den Bauantrag ein.<br />
VON FRAUKE MAASS
24<br />
Genossenschaften
25<br />
Hamburg. . Eine Baugemeinschaft zu gründen und ein gemeinsames<br />
Projekt anzugehen, kostet viel Arbeit, Zeit und Geld. Die<br />
knapp 80 Mitglieder der 2018 gegründeten Kleinstgenossenschaft<br />
Baumhaus Altona, darunter 40 Erwachsene, wissen das nach mittlerweile<br />
drei intensiven Jahren voller Vorbereitungen, bürokratischem<br />
Aufwand, Planungen, vielen Treffen und Gesprächen.<br />
Nicht immer ist der Blick auf diese Zeit positiv gefärbt. Doch je<br />
näher der Termin der Bauantragstellung rückt, desto größer wird<br />
die Vorfreude auf ihr gemeinsames Mehrfamilienhaus, was in einem<br />
Neubaugebiet am Othmarscher Kirchenweg entstehen soll.<br />
Entstanden ist die Baumhaus Altona aus einer Fusion zweier<br />
Baugemeinschaften: „Unser Eulennest“, die sich 2010 gegründet<br />
hatte, um ihren Traum vom gemeinsamen Wohnen zu bezahlbaren<br />
Preisen in Hamburg zu verwirklichen und bereits drei (erfolglose)<br />
Bewerbungen hinter sich hatte, und „Haus Hamburg 2014“, die<br />
mit frischer Energie und viel Projektfreude aufwartete.<br />
„Die Fusion war sinnvoll, weil wir durch den Zusammenschluss<br />
die Erfahrungen und Kompetenzen von ‚Unser Eulennest‘ nutzen<br />
konnten“, sagt Rosa Thoneick, Mitglied der Baumhaus Altona. „Im<br />
April 2018 haben wir uns als Gruppe zum ersten Mal getroffen,<br />
Ende Mai 2018 die Bewerbung abgegeben – und hatten Erfolg.“<br />
Der Start war holprig<br />
Der Anfang war etwas holprig. „Wir kannten einander nicht,<br />
mussten aber sofort mit den Planungen loslegen“, erinnert sich die<br />
35-Jährige Stadtforscherin und Journalistin. Das bedeutete, Aktion<br />
auf mehreren Ebenen: sich kennenlernen, Wünsche der Mitglieder<br />
austaxieren, Pläne machen, Arbeitsgemeinschaften gründen. „Ein<br />
Kraftakt, und all das ehrenamtlich neben Beruf und Familie.“<br />
Geplant ist ein Wohngebäude in Holzmassivbauweise mit 24<br />
Wohneinheiten, ein Gemeinschaftsraum mit Küche, Gemüsegarten,<br />
Spielplatz und Feuerstelle. 22 Einheiten sind bereits vergeben,<br />
zwei bleiben frei für Flüchtlingsfamilien, die die Kleinstgenossenschaft<br />
in ihre Gemeinschaft integrieren möchte. Soziales und ökologisches<br />
Engagement ist den Parteien wichtig und Bestandteil des<br />
Konzeptes, über das in 14-tägigen Treffen – derzeit nur digital –<br />
diskutiert wird.<br />
Wunsch nach einem Leben in Gemeinschaft<br />
Aber warum eine Baugemeinschaft? „Wir alle wünschen uns bezahlbaren<br />
Wohnraum in der Stadt, fern von Grundstücks- und Immobilienspekulationen,<br />
sowie ein Leben in Gemeinschaft“, sagt<br />
Rosa Thoneick. Für jeden ist der passende Wohnraum geplant worden.<br />
Die 35-jährige zieht in eine Singlewohnung, eine fünfköpfige<br />
Familie bekommt eine Fünfzimmerwohnung in dem Komplex.<br />
„Der Kern unserer Gruppe besteht überwiegend aus Familien<br />
mit kleinen Kindern, die sich gegenseitig helfen und unterstützen<br />
wollen. Aber es sind auch Paare mit und ohne Kinderwunsch sowie<br />
Alleinstehende, die einziehen. Niemand von uns will allein und anonym<br />
leben und alt werden“, sagt Thoneick. Durch die Genossenschaft<br />
einen dörflichen Charakter herstellen, wo jeder jeden kennt,<br />
und das mitten in einer großen Metropole – das ist das, was sich<br />
Rosa Thoneick wünscht – ebenso wie die anderen Mitglieder.<br />
Grundideen der Genossenschaftsbewegung leben<br />
noch heute<br />
Die Wünsche und Vorstellungen der jungen Genossenschaft sind<br />
ein klares Bekenntnis zu den Grundideen der ersten Wohnungsbaugenossenschaften,<br />
die sich Mitte des 19. Jahrhunderts gründeten.<br />
Menschen taten sich zusammen, um sich gemeinsam selbst zu<br />
helfen, ohne auf staatliche Unterstützung oder private Wohltätigkeit<br />
zu setzen oder zu hoffen.<br />
Aber heute sind es selten mittellose Menschen, die sich zusammentun.<br />
Bei Baumhaus Altona muss jedes Mitglied Eigenkapital<br />
mitbringen – 800 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche, unabhängig<br />
vom individuellen Vermögensstand. Nur so sei die Förderung<br />
durch die Stadt gewährleistet.<br />
Dass man bereits ein kleines Vermögen als Einlage zahlen muss,<br />
um am Ende öffentlich geförderten Wohnraum zu schaffen, sei ein<br />
Fehler im System, kritisieren viele der Mitglieder. Dafür bekommen<br />
sie jedoch gemeinschaftlich genutztes Eigentum in einer besonders<br />
nachgefragten Wohngegend, in der die meisten sich keine Wohnung<br />
vom freien Markt leisten könnten, wie ein Gründungsmitglied<br />
zugibt.<br />
f
26 Genossenschaften<br />
Für Rosa Thoneick war der Schritt, Mitglied einer Genossenschaft<br />
zu werden, nicht ganz so einfach. „Ich bin noch jung und viel in<br />
Bewegung. Aber durch die Genossenschaft habe ich immer einen<br />
Ort, an dem ich sein kann. Es ist ein Stück Altersvorsorge und dazu<br />
ein interessantes Projekt. Ich bin gespannt, wie sich das gemeinschaftliche<br />
Leben entwickelt“, sagt sie.<br />
Die Drachenbau wurde 1986 gegründet<br />
Was das Leben in einer Kleinstgenossenschaft an Höhen und Tiefen<br />
zu bieten hat, haben die Mitglieder der Drachenbau in St. Georg<br />
bereits erfahren. 20 Erwachsene mit insgesamt 14 Kindern gründeten<br />
1986 die Genossenschaft, um ein Bestandsgebäude in Alsternähe<br />
nach eigenen Wünschen auf- und auszubauen.<br />
„Im Grunde war es eine Kernsanierung“, sagt Christian Diesener<br />
lachend. Der 65-Jährige gehört mit seiner Frau Marion Glunz-<br />
Diesener zu den Initiatoren. „Wir wollten nicht allein wohnen,<br />
sondern unsere Vision einer gleichberechtigten Gemeinschaft realisieren“,<br />
erzählt die 69-jährige Marion Glunz-Diesener.<br />
Gekannt haben sich die Mitglieder durch den Aufbau eines Bildungszentrums<br />
(ABC in Drochtersen-Hüll)), Wohngemeinschaften<br />
und dem Kinderhaus Koppel, das einige bereits initiiert hatten und<br />
dadurch erste Projekt-Erfahrungen vorweisen konnten. „Wir wollten<br />
alle gern mit unseren Kindern in der Stadt wohnen, unseren Lebensraum<br />
selbst bestimmen, bezahlbaren Wohnraum sicher haben, aber<br />
ohne Eigentum bilden zu müssen“, sagt Marion Glunz-Diesener.<br />
Ein Wohnviertel, in dem in den 1980er Jahren kaum<br />
einer wohnen wollte<br />
„St. Georg war Mitte der 1980er Jahre runtergekommen, ein Viertel<br />
am Hauptbahnhof, in dem kaum einer wohnen wollte und das<br />
seit 1979 Sanierungsgebiet war“, erinnert sich Christian Diesener.<br />
Das war ihr Glück! Die Drachenbau eG bekam den Zuschlag von der<br />
Stadt für zwei von der Sprinkenhof AG verwaltete Gebäude in der<br />
Schmilinskystraße: für eine alte Fabrik im Hof, die zuletzt als Lager<br />
für 1 000 Töpfe war, sowie für ein Mehrfamilienhaus an der Straße.<br />
„Auflage war, dass wir zusätzlich zwei Baulücken schließen mussten“,<br />
sagt das 69-jährige Gründungsmitglied Hartwig Giese. Das<br />
war eine finanzielle Herkulesaufgabe, die nur mit Hilfe von Fördermitteln<br />
und viel Selbsthilfe gelöst werden konnte. Das Ergebnis<br />
waren 1987 ein umgenutztes Fabrikgebäude, 1988 ein schwammsanierter<br />
Gründerzeitbau und 1989 zwei Neubauten mit Sozialwohnungen.<br />
Jeder gibt, was er geben kann<br />
Die Mitglieder mussten – wie überall – eine Einlage leisten. Allerdings<br />
wurde der Besitz von Geld nie zum Auswahlkriterium gemacht.<br />
Vielmehr gab jede und jeder, was möglich war. Eine Einstellung,<br />
die bis heute Gültigkeit hat.<br />
Eigenleistungen auf dem Bau gehörten zur Auflage. Also krempelte<br />
die Gruppe die Ärmel hoch und begann Mitte der 1980er<br />
Jahre mit der Sanierung der Fabrik, die zu Groß-WGs umgebaut<br />
werden sollte – eine alternative Wohnform, die die sozial und politisch<br />
aktiven Mitglieder ausprobieren wollten.<br />
„Wir lebten lange als Paar mit Kind mit einer weiteren Familie<br />
mit Kind zusammen“, sagt die 72-jährige Margret Kuhrts-Bösche.<br />
Auch Familie Diesener wohnte auf rund 120 Quadratmetern mit<br />
Kindern und einer weiteren Frau in einer Wohngemeinschaft. Vorausschauend<br />
wurden zu Beginn Leichtbauwände eingesetzt, um<br />
flexibel auf Veränderungen reagieren zu können.<br />
Keine Groß-WGs mehr und kaum noch Familien<br />
Heute gibt es keine Groß-WGs mehr. Und auch nur noch wenig<br />
Familien. Die Kinder von damals sind erwachsen, viele haben die<br />
Stadt oder den Stadtteil verlassen. Nur wenige kommen in die Drachenbau<br />
zurück, was auch an mangelndem Wohnraum liegt.<br />
Dabei würde die Genossenschaft sich gern verjüngen und Platz<br />
für junge Familien machen. „Selbst wenn wir wollten – wir Älteren,<br />
die in den großen Wohnungen sitzen, können nicht mit Familien<br />
tauschen, die in den kleineren Wohneinheiten leben, da das geförderter<br />
Wohnraum ist“, bedauert Diesener.
27<br />
Heute gibt es in den vier Häusern der Genossenschaft 30 Wohnungen,<br />
teilweise mit nachträglich eingebauten Aufzügen. Ein Schritt<br />
zur Barrierefreiheit für behinderte und alternde Mitglieder. Aktuell<br />
wohnen dort 60 Erwachsene zwischen 18 und 80 Jahren sowie vier<br />
Kinder zwischen ein und zehn Jahren.<br />
„Wir haben uns unser Reich selbst erschaffen“<br />
Mit Stolz blicken die Mitglieder auf die ersten Jahre zurück. „Wir<br />
haben uns unser Reich selbst erschaffen“, sagt Marion Glunz-<br />
Diesener. „Unser Arbeitseinsatz war nicht nur für das Gemeinschaftsgefühl<br />
wertvoll. Wir schätzen das, was wir haben, und<br />
pflegen es.“ Dazu gehören nicht nur die Wohnungen, von denen<br />
einige mit einem großen Wintergarten verbunden sind. Dazu gehören<br />
auch Feste aller Art und der kleine Garten.<br />
Die Selbstverwaltung, die Arbeitsgemeinschaften – alles liegt in<br />
Händen einer engagierten Crew und funktioniert noch immer. Die<br />
einen kümmern sich um den Garten, die anderen um die Verwaltung,<br />
Finanzen oder die Instandhaltung. Vieles läuft jetzt besser als<br />
zu Beginn. „Wir sind ja mittlerweile routinierter und einige in Rente<br />
und haben mehr Zeit“, sagt Hartwig Giese. Natürlich gab es auch<br />
mal Streit. Wenn der nicht innerhalb der Gruppe beigelegt werden<br />
konnte, wurde eine Mediation eingeschaltet.<br />
Ein großes Privileg, bezahlbar mitten in der Stadt<br />
leben zu können<br />
Die Drachenbau-Mitglieder wirken zufrieden und glücklich, „Und<br />
das sind wir auch!“, bestätigen die vier. Es sei gerade in der aktuellen<br />
Zeit der gestiegenen Mietpreise ein großes Privileg, mitten in<br />
der Stadt zu leben, Platz zu haben zu günstigen Konditionen. Aber,<br />
geben sie zu bedenken: „Dafür haben wir auch einiges getan –<br />
und tun es nimmer noch.“ Von außen sei das nicht immer sichtbar.<br />
Aktuell beschäftigt sie das Erbbaurecht. Der Vertrag läuft 2036<br />
aus und müsste nach den dann geltenden Bodenpreisen verlängert<br />
werden. Eine große Sorge der Drachenbau. „Wir sind im Gespräch<br />
mit der Stadt und hoffen auf einen guten Ausgang für uns“, sagen<br />
sie. Denn weg will keiner von ihnen.<br />
Sie haben dort ihre Kinder gemeinsam großgezogen, Streit<br />
und Trennungen begleitet, ihre Berufsjahre geteilt und wollen jetzt<br />
auch gemeinsam alt werden und der nächsten Generation bezahlbares<br />
Wohnen in genossenschaftlicher Drachenbau-Gemeinschaft<br />
erhalten.h<br />
Marion Glunz-Diesener<br />
Rosa Thoneick<br />
FRAUKE MAASS ist Journalistin<br />
in Hamburg. Während ihrer<br />
Tätigkeit als Reiseredakteurin hat<br />
sie viele Länder bereist und dabei<br />
ihr Interesse für die unterschiedlichsten<br />
Wohnformen entdeckt.<br />
Heute gehören Themen aus<br />
der Wohnungsbaubranche und<br />
Architektur zu ihren inhaltlichen<br />
Schwerpunkten.
28 <strong>VNW</strong><br />
Vorzeigbares Ergebnis<br />
Der <strong>VNW</strong> konnte eine Ausschreibung von Messdienstleistungen<br />
erfolgreich abschließen. Die Kosteneinsparungen liegen im Mittel<br />
bei 45 Prozent. Unternehmen können noch bis 2024 einsteigen.<br />
VON CHRISTOPH KOSTKA<br />
Kiel/Hamburg. Vor dem Hintergrund der Anforderungen der EU-<br />
Energieeffizienzrichtlinie und der damals noch laufenden Umsetzung<br />
in nationales Recht durch die Novelle der Heizkostenverordnung<br />
hatten Mitgliedsunternehmen Anfang 2021 beim <strong>VNW</strong> die<br />
Neuauflage einer Messdienstleisterausschreibung angeregt.<br />
Der <strong>VNW</strong> hatte bereits 2010 mit ausgewählten Messdienstleistern<br />
Angebote zur Ausstattung des Wohnungsbestandes verhandelt.<br />
Es ging um ein dreiteiliges Leistungspaket: Die Umrüstung<br />
auf funkbasierte Heizkostenverteiler und Warmwasserzähler,<br />
die Verbrauchsmessung sowie die Erstellung der vollständigen<br />
Heizkostenabrechnung.<br />
Verhandelt wurde ein für die Mitgliedsunternehmen freibleibendes<br />
Angebot mit vorzeigbaren Ergebnissen. Grundlage war<br />
ein standardisiertes Leistungsverzeichnis.<br />
Ein vergleichbares Verfahren sollte wiederholt werden<br />
Einer Interessenabfrage schlossen sich mehrere <strong>VNW</strong>-Mitgliedsunternehmen<br />
an. Als ein für das Thema fachlich prädestinierter<br />
Begleiter kam die Firma Westbridge dazu. Die Vorbereitung und<br />
Steuerung des Verfahrens ausschließlich im Interesse der Mitgliedsunternehmen<br />
lag in den Händen des <strong>VNW</strong>. Transparenz<br />
und eine eng abgestimmte Zusammenarbeit zu jedem Zeitpunkt<br />
waren das oberste Gebot.<br />
In dieser Zusammensetzung wurde ein für und mit den teilnehmenden<br />
Mitgliedsunternehmen entwickelter Anforderungskatalog<br />
in Ausschreibungsunterlagen „übersetzt“. Wiederum<br />
ging es um ein dreiteiliges Leistungspaket. Ergänzend zu den für<br />
alle Wohnungsunternehmen relevanten Grundanforderungen<br />
fanden unternehmensindividuelle Belange Berücksichtigung.<br />
Ziel des Verfahrens war die Sicherstellung einer vollumfänglich<br />
und auch mit Blick auf die Novelle der Heizkostenverordnung<br />
rechtskonformen Leistungserbringung durch Messdienstleister,<br />
die Optimierung der wirtschaftlichen Konditionen, die Gewährleistung<br />
einer hohen Dienstleistungsqualität durch Service-Level-<br />
Agreements und schließlich die Möglichkeit für die Mitgliedsunternehmen,<br />
innerhalb der Vertragslaufzeit bei Bedarf auf<br />
Eigenabrechnung umzustellen.<br />
Zudem sollte die generelle und kostenfreie Hoheit über erhobene<br />
Daten ausschließlich bei den Mitgliedsunternehmen liegen.<br />
Niedergelegt wurden diese Anforderungen in einer wohnungswirtschaftlichen,<br />
also durch den Auftraggeber definierten Vertragsumgebung.<br />
Beschränkte Ausschreibung<br />
Auf dieser Grundlage wurden leistungsstarke Messdienste zur<br />
Angebotsabgabe aufgefordert. Ein etablierter großer Messdienstleister<br />
beteiligte sich bedauerlicher Weise nicht. Die gleichwohl<br />
eingehenden Angebote der Wettbewerber wurden ausverhandelt<br />
und die drei besten Anbieter ermittelt.<br />
Vorzeigbares Ergebnis<br />
Auf Grundlage einer zuvor für die Mitgliedsunternehmen individuell<br />
und kostenfrei erstellten Analyse bestehender Verträge mit<br />
Messdienstleistern errechnen sich nach der Ausschreibung im<br />
Mittel Kosteneinsparungen von 45 Prozent. Zudem wurden die<br />
vorstehend skizzierten wohnungswirtschaftlichen Anforderungen<br />
in den Vertragswerken umgesetzt.<br />
Das Ausschreibungsergebnis und ein Ranking der Messdienstleister<br />
wurden mit den teilnehmenden Mitgliedsunternehmen<br />
eingehend erörtert. Die beiden besten Angebote wurden durch<br />
die Unternehmen Ista und Kalo vorgelegt.<br />
Die Entscheidung über die schlussendliche Angebotsannahme/-<br />
ausschlagung liegt allein und bedingungslos bei den teilnehmenden<br />
Mitgliedsunternehmen. Bislang wurden auf dieser Basis Verträge<br />
über 16000 Wohnungen abgeschlossen.<br />
Offenes Angebot bis einschließlich 2024 für interessierte<br />
Mitgliedsunternehmen<br />
Der <strong>VNW</strong> hat sichergestellt, dass Mitgliedsunternehmen, denen<br />
eine Teilnahme am Ausschreibungsverfahren nicht möglich war,<br />
bis einschließlich 2024 auf das Ausschreibungsergebnis einsteigen<br />
können. Interessierte Mitgliedsunternehmen wenden sich<br />
bitte an sh@vnw.de. h<br />
CHRISTOPH KOSTKA<br />
Der Autor hat für verschiedene<br />
Projektentwickler und verbandlich<br />
gearbeitet, bevor er zum<br />
<strong>VNW</strong> kam. Dort verantwortet er<br />
u.a. als Geschäftsführer den Landesverband<br />
Schleswig-Holstein<br />
und das Referat Wohnungswirtschaft.
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30 <strong>VNW</strong><br />
BGH stellt Gesetzeslage der<br />
Regelung von Mietrückstand klar<br />
Die (oftmals übersehene oder missinterpretierte) Kündigungsregelung aus § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 a,<br />
2. Alt. BGB, § 569 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 BGB und die Rechtsprechung des BGH mit neuem Urteil vom 8.12.2021<br />
zu VIII ZR 32/20<br />
VON DR. KAI MEDIGER<br />
Hamburg. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit Urteil vom<br />
8.12.2021 zu VIII ZR 32/20 erneut mit einem Sachverhalt befasst,<br />
den er in gleicher Weise schon vor Jahrzehnten mal mit Urteil vom<br />
15.04.1987 zu VIII ZR 126/86 entschieden hatte.<br />
Die vom BGH bei diesem Sachverhalt (zugunsten des Vermieters!)<br />
vorgenommene Auslegung der Kündigungsbestimmungen<br />
in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a Alt. 2, § 569 Abs. 3 Nr. 1<br />
Satz 1 BGB orientiert sich stringent am Wortlaut des Gesetzes<br />
und überzeugt, nicht nur wegen des für die Vermieter guten Ergebnisses.<br />
Erstaunlicherweise ist das damalige Urteil des BGH aus 1987<br />
selbst unter Juristen nicht allgemein bekannt oder wird jedenfalls<br />
falsch interpretiert. Diese neue Entscheidung des BGH aus Dezember<br />
2021 soll daher zum Anlass genommen werden, die bereits<br />
1987 vom BGH vorgenommene Auslegung der Kündigungsbestimmungen<br />
einmal dezidiert im Wege eines Exkurses darzustellen<br />
und dann auf das aktuelle Urteil des BGH einzugehen.<br />
Dazu soll zunächst auf die für diesen Fall maßgeblichen Kündigungsbestimmungen<br />
eingegangen werden, nämlich auf § 543<br />
Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 a und 3 b BGB und § 569 BGB.<br />
erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in<br />
Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht.<br />
Die in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 b) BGB zum Ausdruck gekommene<br />
Entscheidung des Gesetzgebers, dass nämlich ein Grund<br />
zur fristlosen Kündigung jedenfalls dann vorliegt, wenn ein Zahlungsrückstand<br />
in Höhe von mindestens zwei Monatsmieten erreicht<br />
ist, ist weithin bekannt und geläufig. Darauf soll hier nicht<br />
weiter eingegangen werden.<br />
Wesentlich seltener berufen sich Vermieter jedoch auf den<br />
Kündigungstatbestand des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 a BGB, wonach<br />
dem Vermieter ein wichtiger Grund zur Kündigung auch<br />
dann zusteht, wenn der Mieter für zwei aufeinanderfolgende<br />
Termine (Beispiel Januar <strong>2022</strong> und Februar <strong>2022</strong>) mit einem<br />
nicht unerheblichen Teil der Miete in Verzug ist.<br />
Es stellt sich also die Frage, wie sich ein solcher „nicht unerheblicher<br />
Teil“ der Miete bemisst und ab wann (welche Betragshöhe?)<br />
ein solcher Rückstand vorliegt und als „nicht unerheblich“<br />
anzusehen ist. Dazu muss man im Zusammenhang den § 569<br />
Abs. 3 Nr. 1 BGB lesen, weil dort der „nicht unerhebliche Teil“<br />
definiert wird.<br />
Die Kündigungsbestimmungen in § 543 Abs. 1 Satz 1,<br />
Abs. 2 Nr. 3 a und 3 b BGB lauten auszugsweise wie folgt:<br />
§ 543 BGB:<br />
(1) Jede Vertragspartei kann das Mietverhältnis aus wichtigem<br />
Grund außerordentlich fristlos kündigen.<br />
(2) Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn… der Mieter<br />
a) für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung<br />
der Miete oder eines nicht unerheblichen<br />
Teils der Miete in Verzug ist oder<br />
b) in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine<br />
§ 569 Abs. 3 BGB lautet wie folgt:<br />
(3) Ergänzend zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 gilt:<br />
1.1 Im Falle des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe a ist<br />
der rückständige Teil der Miete nur dann als nicht unerheblich<br />
anzusehen, wenn er die Miete für einen Monat<br />
übersteigt.<br />
1.2 Dies gilt nicht, wenn der Wohnraum nur zum vorübergehenden<br />
Gebrauch vermietet ist.<br />
Dem Wortlaut des Gesetzes nach ist der rückständige Teil der Miete<br />
nur dann als nicht unerheblich anzusehen, wenn er die Miete<br />
für einen Monat übersteigt.
31<br />
DR. KAI MEDIGER<br />
ist Rechtsanwalt und Kaufmann der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft<br />
und betreut die Themen Genossenschaften, Datenschutz, Quartiersentwicklung,<br />
Betriebskostenrecht und Wohnungseigentumsrecht.<br />
Das bedeutet im Umkehrschluss:<br />
Wenn der Mietrückstand in zwei aufeinanderfolgenden Monaten<br />
(Januar und Februar <strong>2022</strong>) die Miete für einen Monat übersteigt,<br />
weil der Mieter beispielsweise im Januar überhaupt nicht gezahlt<br />
hat und im Februar einen Cent der Februarmiete nicht gezahlt<br />
hat, dann besteht dem Wortlaut dieser Gesetzesregelung nach<br />
ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung.<br />
Denn dann ist die „Miete für einen Monat überstiegen“, zugleich<br />
setzt sich dieser Mietrückstand zusammen aus „zwei aufeinander<br />
folgenden Terminen“ (Januar und Februar). In diesem<br />
Sinne hat der BGH in 1987 schon einmal entschieden, und das<br />
nun in 2021 wiederholt.<br />
Der Sachverhalt lautet wie folgt:<br />
Eine Vermieterin hatte ihrer Mieterin wegen Zahlungsrückständen<br />
von EUR 839,00 im Februar 2018 fristlos gekündigt. Die Monatsmiete<br />
betrug EUR 704,00. Für den Monat Januar 2018 bestand<br />
ein Zahlungsrückstand in Höhe von EUR 139,00, für den Monat<br />
Februar 2018 hat die Mieterin überhaupt keine Miete entrichtet.<br />
Es bestand somit ein Zahlungsrückstand für zwei aufeinanderfolgende<br />
Monate, der eine Monatsmiete (EUR 704,00) übersteigt.<br />
Das AG gab der Räumungs- und Herausgabeklage konsequenterweise<br />
gemäß der oben dargestellten Gesetzeslage statt.<br />
Die Beklagte sei zur Zeit der Kündigung für zwei aufeinander folgende<br />
Monate mit der Entrichtung eines die geschuldete Miete<br />
für einen Monat übersteigenden – und damit nicht unerheblichen<br />
– Teils der Miete in Verzug gewesen.<br />
Das LG Berlin als Berufungsinstanz wies die Klage der Vermieterin<br />
ab. Nach Auffassung des LG Berlin reiche es nicht aus,<br />
wenn der Gesamtbetrag des Rückstands von insgesamt EUR<br />
839,00 eine Monatsmiete übersteige, sofern der übersteigende<br />
Rückstand – so wie hier – lediglich 19 Prozent der Miete betrage.<br />
Nach Auffassung des LG Berlin ist für eine fristlose Kündigung<br />
nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a Alt. 2 BGB über das Erfordernis<br />
des § 569 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 BGB hinaus, wonach der<br />
rückständige Teil die Miete für einen Monat übersteigen muss,<br />
zusätzlich notwendig, dass für jeden der beiden aufeinander folgenden<br />
Monate „ein nicht unerheblicher Teil der Miete“ offengeblieben<br />
ist. Als nicht unerheblicher Rückstand nach § 543 Abs. 2<br />
Satz 1 Nr. 3 Buchst. a Alt. 2 BGB könne nur ein Mietanteil „etwa“<br />
in Höhe einer hälftigen Monatsmiete angesehen werden.<br />
Der BGH sah das mit seinem nun kürzlich veröffentlichten Urteil<br />
vom 8.12.2021 anders und verweist auf sein damaliges Urteil<br />
aus 1987 und den (in der Tat eindeutigen) Gesetzeswortlaut, der<br />
gerade nicht darauf abstellt, dass „für jeden der beiden aufeinander<br />
folgenden Monate“ ein nicht unerheblicher Teil der Miete<br />
offengeblieben sein müsse.<br />
Der Wortlaut des Gesetzes stelle eben nur darauf ab, dass<br />
– bei zwei aufeinander folgenden Zahlungsterminen wie Januar<br />
und Februar – die Gesamthöhe der beiden rückständigen Teilbeträge<br />
mehr als eine Monatsmiete betragen muss. Es kommt dabei<br />
nicht darauf an, wie sich die beiden Teilrückstände verteilen und<br />
ob z.B. im zweiten Monat nur ein geringfügiger Rückstand vorhanden<br />
ist, während der Großteil der Mietrückstände sich auf den<br />
ersten Monat verteilt.<br />
Der BGH führt dazu auszugsweise wie folgt aus:<br />
„Gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a Alt. 2, § 569 Abs. 3<br />
Nr. 1 Satz 1 BGB ist die Erheblichkeit des zur außerordentlichen<br />
fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs bei Wohnraummietverhältnissen<br />
berechtigenden Mietrückstands allein nach<br />
der Gesamthöhe der beiden rückständigen Teilbeträge zu<br />
bestimmen. Der Gesamtrückstand ist – wie hier – jedenfalls<br />
dann nicht mehr unerheblich, wenn er die für einen Monat<br />
geschuldete Miete übersteigt. Eine darüberhinausgehende<br />
gesonderte Bewertung der Höhe der einzelnen monatlichen<br />
Rückstände im Verhältnis zu einer Monatsmiete sieht<br />
das Gesetz nicht vor.
32 <strong>VNW</strong><br />
Dies hat der Senat, wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt<br />
nicht verkannt hat, bereits hinsichtlich der Vorgängerbestimmung<br />
zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a Alt. 2 BGB entschieden<br />
(Senatsurteil vom 15. April 1987 - VIII ZR 126/86, NJW-RR 1987,<br />
903 unter II 1 d) … Daran ist festzuhalten.<br />
b) Außerdem verkennt das Berufungsgericht, dass § 569 Abs. 3<br />
Nr. 1 Satz 1 BGB für Mietverhältnisse über Wohnraum ausdrücklich<br />
und abschließend bestimmt, welche Anforderungen<br />
an das Tatbestandsmerkmal eines nicht unerheblichen<br />
Rückstands im Sinne der Vorschrift des § 543 Abs. 2 Satz 1<br />
Nr. 3 Buchst. a Alt. 2 BGB zu stellen sind (so bereits Senatsurteil<br />
vom 15. April 1987 - VIII ZR 126/86, aaO [zu § 554 Abs.<br />
2 Nr. 1 BGB aF]) und damit kein Raum für eine richterliche<br />
Anhebung der Anforderungen an eine außerordentliche fristlose<br />
Kündigung wegen Zahlungsverzugs bleibt….“<br />
Diese Entscheidung des BGH überzeugt, weil sie exakt dem Wortlaut<br />
des Gesetzes entspricht. Das mag manchem Mieter ungerecht<br />
vorkommen und hier anscheinend auch der Vorinstanz, dem<br />
LG Berlin. Für etwaige Erwägungen, wie sie auch das LG Berlin<br />
angestellt hat, dass nämlich auf jeden der beiden Monate „ein<br />
nicht unerheblicher Mietrückstand“ entfallen müsse, belässt der<br />
eindeutige Wortlaut des Gesetzes jedoch keinen Raum.<br />
Nicht unerwähnt bleiben soll, dass der BGH sich auch zu dem<br />
in unseren mietrechtlichen Seminaren erwähnten Lehrbeispiel geäußert<br />
hat, wenn der Rückstand bei zwei aufeinanderfolgenden Monaten<br />
sich so verteilt, dass im ersten Monat eine volle Monatsmiete offen<br />
ist und im zweiten Monat nur einen Cent zu wenig gezahlt wird.<br />
Der Wortlaut des Gesetzes begründet auch in diesen Fällen<br />
eindeutig die Möglichkeit zur fristlosen Kündigung, weil das<br />
Gesetz es eben bereits ausreichen lässt, wenn eine Monatsmiete<br />
überschritten wird und sich der Zahlungsrückstand auf zwei<br />
aufeinanderfolgende Monate verteilt (Beispiel: Monatsmiete EUR<br />
1000,00, Januarmiete komplett offen, Februarmiete ein Cent offen,<br />
Zahlungsrückstand somit gesamt EUR 1000,01, verteilt auf<br />
zwei aufeinander folgende Termine).<br />
Der BGH führt hierzu wie folgt aus:<br />
„In Anbetracht dessen kann auf sich beruhen, ob einer außerordentlichen,<br />
fristlosen Kündigung eines Mietverhältnisses über<br />
Wohnraum nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a Alt. 2 BGB<br />
unter besonderen Umständen des Einzelfalls der Gesichtspunkt<br />
von Treu und Glauben (§ 241 Abs. 2, § 242 BGB) entgegenstehen<br />
kann, wenn der Rückstand eine Monatsmiete zwar übersteigt (§<br />
569 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 BGB), jedoch nur um einen Cent (vgl.<br />
MünchKommBGB/ Häublein, 8. Aufl., § 569 Rn. 42; BeckOGK-<br />
BGB/Geib, Stand: 1. Oktober 2021, § 569 Rn. 59), oder ob aus<br />
Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit auch ein solch geringfügiger<br />
Betrag als für den Kündigungstatbestand des § 543 Abs.<br />
2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a Alt. 2 BGB ausreichend anzusehen ist,<br />
ohne dass es noch einer Abwägung zwischen den Mieter- und<br />
den Vermieterinteressen bedürfte (vgl. Schmidt-Futterer/Streyl,<br />
Mietrecht, 15. Aufl., § 543 BGB Rn. 171; Lützenkirchen/Lützenkirchen,<br />
Mietrecht, 3. Aufl., § 569 BGB Rn. 97; jurisPK-BGB/Tiedemann,<br />
Stand: 25. Mai 2021, § 569 Rn. 149 mwN).“<br />
Es dürfte in der Praxis kaum vorkommen, dass tatsächlich der<br />
Mieter – zu seinem eigenen Schaden – im zweiten, darauffolgenden<br />
Monat, genau nur einen Cent zu wenig an Miete überweist.<br />
Meiner Ansicht nach – und so sieht es auch die herrschende<br />
Fachliteratur, siehe dazu die Zitathinweise des BGH – dürfte aber<br />
selbst auch bei nur einem Cent Rückstand im zweiten Monat die<br />
Möglichkeit zur fristlosen Kündigung bereits eröffnet sein.<br />
Sie finden das aktuelle Urteil des BGH vom 8.12.2021 zu VIII<br />
ZR 32/20 auf der Homepage des BGH.
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34 <strong>VNW</strong><br />
Alles was<br />
RECHT ist!<br />
Wärmedämmung darf über Grundstück ragen<br />
Nicht in meinem Garten? Doch. Die<br />
nachträgliche Wärmedämmung des<br />
Nachbarn darf ins eigene Grundstück<br />
ragen. Solche Vorschriften der Länder<br />
sind erlaubt, so der BGH. Schon wegen<br />
des Klimaschutzes<br />
Karlsruhe. Wer nachträglich seinen Altbau<br />
an der Grundstücksgrenze dämmt,<br />
darf damit ein klein wenig in den Garten<br />
des Nachbarn ragen. Dies entschied der<br />
Bundesgerichtshof (BGH) anhand eines<br />
Kölner Nachbarschaftsstreits. Neubauten<br />
müssten allerdings so geplant sein, dass<br />
die Wärmedämmung in den Grenzen des<br />
eigenen Grundstücks bleibt. Das höchste<br />
deutsche Zivilgericht stellte zugleich klar:<br />
Länder dürfen im Sinne des Klimaschutzes<br />
die nachträgliche Wärmedämmung<br />
mit eigenen Vorschriften regeln (Az. V ZR<br />
115/20). Mit der energetischen Gebäudesanierung<br />
solle Energie eingespart werden;<br />
das liege im allgemeinem Interesse.<br />
In Köln hatten sich Nachbarn wegen<br />
der geplanten Außendämmung eines<br />
Mehrfamilienhauses, das direkt an der<br />
Grundstücksgrenze steht, in die Haare bekommen.<br />
Nach nordrhein-westfälischem<br />
Landesrecht muss der Nachbar den Überbau<br />
dulden, wenn eine vergleichbare Wärmedämmung<br />
anders nicht mit vertretbarem<br />
Aufwand machbar ist und wenn die<br />
Überbauung sein Grundstück nicht oder<br />
nur unwesentlich beeinträchtigt. Alles<br />
Überragende unter 25 Zentimetern ist<br />
demnach in Ordnung. Vergleichbare Regelungen<br />
gibt es nach Angaben des BGH<br />
in den Nachbargesetzen vieler Bundesländer,<br />
darunter in Baden-Württemberg, Hessen,<br />
Brandenburg, Niedersachsen, Thüringen<br />
und Berlin.<br />
„Die Gesetzgebungskompetenz der<br />
Bundesländer für Regelungen dieser Art,<br />
die in mehreren Landesnachbargesetzen<br />
enthalten sind, ist gegeben“, stellten die<br />
Karlsruher Richter nun fest. Landesrecht<br />
dürfe Beschränkungen vorsehen, selbst<br />
wenn es eine ähnliche Bundesregelung<br />
gibt. Voraussetzung sei, dass diese an einen<br />
„anderen Tatbestand“ anknüpften und<br />
die Grundkonzeption des Bundesgesetzes<br />
gewahrt bleibe. Bei landesrechtlichen Regelungen<br />
zur nachträglichen Wärmedämmung,<br />
die einen vorsätzlichen Überbau<br />
erlauben, sei dies der Fall. Sie setzten dem<br />
BGH zufolge voraus, dass die Dämmung<br />
eines an der Grundstücksgrenze errichteten<br />
Gebäudes im Nachhinein wegen neue<br />
öffentlich-rechtlicher Zielvorgaben oder<br />
moderner Baustandards nötig wurde.<br />
Damit war die Revision eines Eigentümers<br />
gegen ein Urteil des Landgerichts<br />
Köln erfolgreich, das die Landesvorschrift<br />
als verfassungswidrig eingestuft hatte.<br />
Das ursprüngliche Urteil des Amtsgerichts,<br />
das den Überbau nach Landesrecht erlaubt,<br />
wird wieder hergestellt. Ein Sachverständiger<br />
hatte zuvor festgestellt, dass<br />
die Wärmedämmung des vor mehreren<br />
Jahrzehnten errichteten Mehrfamilienhauses<br />
von innen nicht mit vertretbarem Aufwand<br />
vorgenommen werden könne. h<br />
BGH:<br />
Belege für Betriebskosten können im Einzelfall Kopien sein<br />
Karlsruhe. Eine Betriebskostenabrechnung<br />
für die Mietwohnung lässt sich besser<br />
nachvollziehen, wenn man Belege für die<br />
einzelnen Posten einsehen kann. Grundsätzlich<br />
dürfen Mieter dafür die Originale<br />
der Abrechnungsbelege verlangen, urteilte<br />
der Bundesgerichtshof (Az.: VIII ZR 66/20).<br />
In Ausnahmefällen kann es aber sein, dass<br />
Kopien oder Scans ausreichen. Das muss<br />
jedoch im Einzelfall entschieden werden.<br />
Bei der verhandelten Klage hatten letztlich<br />
die Kopien ausgereicht. Die Vermieterin<br />
hatte ausgesagt, sie habe die Originale<br />
nach dem Einscannen vernichtet. Das<br />
Gericht urteilte, dass sich die Mieter in<br />
diesem Fall mit den Scan-Ausdrucken zufriedengeben<br />
müssen. Sie haben nur Anspruch<br />
auf die Originale, wenn konkrete<br />
Gründe vorliegen oder ein begründeter<br />
Verdacht auf Manipulationen oder Unstimmigkeiten<br />
bestehe.<br />
Zudem könnten die Mieter die gescannten<br />
Belege in ihrer eigenen Wohnung<br />
prüfen, was die Rechnungskontrolle<br />
wesentlich erleichtere. Die Originale hätten<br />
sie bei der Vermieterin einsehen müssen.h
35<br />
Vermieter dürfen Kabel-TV abrechnen<br />
Karlsruhe. Mieter müssen es noch eine<br />
Weile hinnehmen, dass Vermieter sie für<br />
die gesamte Dauer des Mietverhältnisses<br />
an einen kostenpflichtigen Breitband-Kabelanschluss<br />
binden – und die Kosten abrechnen.<br />
Der Bundesgerichtshof (BGH) in<br />
Karlsruhe hat entschieden, dass das nicht<br />
gegen das Telekommunikationsgesetz verstößt<br />
(Az.: I ZR 106/20).<br />
Die Auswirkungen des Urteils sind aber<br />
von kurzer Dauer: Zum 1. Dezember 2021<br />
tritt ein Gesetz in Kraft, das diese Praxis<br />
verbietet. Bis Ende Juni 2024 gibt es zwar<br />
noch eine Übergangsfrist. Danach bekommen<br />
jedoch alle Mieter die Wahlfreiheit –<br />
und das sogenannte Nebenkostenprivileg<br />
ist endgültig Geschichte.<br />
Über einen Breitband-Kabelanschluss<br />
werden Fernseh- und Hörfunkprogramme<br />
übertragen. Er kann allerdings auch für andere<br />
Dienste wie Telefonate und Internet<br />
genutzt werden.<br />
Die Wettbewerbszentrale war der Meinung,<br />
dass die Abrechnung über Betriebskosten<br />
bislang schon gegen geltendes<br />
Recht verstößt. Wenn Mieter für einen Anschluss<br />
zahlen, den sie möglicherweise gar<br />
nicht nutzen oder nicht wollen, seien auch<br />
Anbieter alternativer Übertragungswege<br />
wie etwa Streamingdienste im Nachteil.<br />
Die Klägerin berief sich auf einen Paragrafen<br />
im Telekommunikationsgesetz,<br />
wonach ein Vertrag „zwischen einem Verbraucher<br />
und einem Anbieter von öffentlich<br />
zugänglichen Telekommunikationsdiensten“<br />
höchstens eine Mindestlaufzeit<br />
von 24 Monaten haben darf. Außerdem<br />
müsse es möglich sein, einen Vertrag für<br />
höchstens zwölf Monate abzuschließen.<br />
Der erste Zivilsenat am BGH urteilte<br />
aber, dass in den Mietverträgen der beklagten<br />
Vivawest aus Gelsenkirchen keine<br />
Mindestlaufzeit von mehr als 24 Monaten<br />
vereinbart sei. Das Unternehmen verwehre<br />
auch nicht den Abschluss von Verträgen<br />
mit höchstens einem Jahr Laufzeit.<br />
„Die Mietverträge werden von der Beklagten<br />
vielmehr auf unbestimmte Zeit geschlossen<br />
und können von den Mietern –<br />
entsprechend der gesetzlichen Regelung (...)<br />
– bis zum dritten Werktag eines Kalendermonats<br />
zum Ablauf des übernächsten Kalendermonats<br />
gekündigt werden.“ Die Richter und<br />
Richterinnen wiesen die Revision der Klägerin<br />
zurück. Die Vorinstanzen hatten ebenfalls<br />
zugunsten von Vivawest entschieden, die<br />
mehr als 120 000 Wohnungen vermietet. h<br />
BGH verpflichtet zur Sanierung von Schrottimmobilien<br />
Karlsruhe. Für Mitglieder einer Eigentümergemeinschaft,<br />
die gegen Widerstand<br />
der anderen Wohnungen oder Gebäude<br />
sanieren wollen, sind das gute Nachrichten:<br />
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die<br />
Pflichten zur Sanierung mit einem Urteil<br />
weitgehend gestärkt und nur wenige Ausnahmen<br />
zugelassen. (Az. V ZR 225/20)<br />
Mangelnde Instandhaltung oder Überalterung<br />
entbinden Eigentümer ebenso<br />
wenig von ihren Sanierungspflichten wie<br />
hohe Kosten, wie die Vorsitzende Richterin<br />
des fünften Zivilsenats, Christina<br />
Stresemann, erklärte. Nur eine Zerstörung<br />
durch punktuelle Ereignisse könne dafür<br />
Grund sein. Als Beispiele nannte sie Brände,<br />
Überflutungen und Explosionen.<br />
Paragraf 22 des Wohnungseigentumsgesetzes<br />
lautet: „Ist das Gebäude zu mehr<br />
als der Hälfte seines Wertes zerstört und<br />
ist der Schaden nicht durch eine Versicherung<br />
oder in anderer Weise gedeckt, so<br />
kann der Wiederaufbau nicht beschlossen<br />
oder verlangt werden.“ Stresemann erläuterte,<br />
um den Wertverlust beurteilen zu<br />
können, brauche es einen Vorher-Nachher-Vergleich.<br />
Im Falle eines Brandes etwa sei das<br />
kein Problem. Bei jahrelangem Verfall und<br />
Sanierungsstau hingegen gebe es keinen<br />
geeigneten Zeitpunkt, zu dem man die<br />
Werte der „Problemimmobilien“ vorher<br />
und nachher bemessen könne.<br />
Mit der Entscheidung gab das oberste<br />
deutsche Zivilgericht einer GmbH Recht,<br />
der drei von elf Etagen eines baufälligen<br />
Parkhauses mit 550 Stellplätzen in Augsburg<br />
gehören. Sie will diese weiter an ein<br />
Hotel vermieten. Die anderen Eigentümer<br />
– darunter zwei Großeigentümer – hatten<br />
wegen Mängeln beim Brandschutz<br />
mehrheitlich ein Nutzungsverbot für das<br />
gesamte, mehr als 40 Jahre alte Parkhaus<br />
beschlossen, wodurch Besuchern eines nahen<br />
Kongresszentrums Parkmöglichkeiten<br />
fehlen. Der Klägerin wurde gestattet, die<br />
Mängel auf eigene Kosten zu beseitigen.<br />
Mit einer Klage dagegen war die<br />
GmbH bisher vor Gerichten gescheitert.<br />
Das Landgericht München I hatte zuletzt<br />
entschieden, dass ausnahmsweise auf die<br />
Sanierung verzichtet werden könne. Deren<br />
Kosten würden auf 4,9 Millionen Euro geschätzt.<br />
Das sei über eine Million mehr, als<br />
das Parkhaus noch wert sei. Die Revision<br />
vor dem BGH hatte nun Erfolg, ein dauerhaftes<br />
Nutzungsverbot per Mehrheitsbeschluss<br />
sei rechtswidrig. Damit könnten<br />
sich Eigentümer nicht vor zwingend nötigen<br />
Sanierungsmaßnahmen drücken.<br />
Im Grundsatz könnten Wohnungseigentümer<br />
zwar ein Nutzungsverbot<br />
beschließen, das sich auf das gemeinschaftliche<br />
Eigentum bezieht, wenn damit<br />
Gefahren abgewehrt werden, erklärte<br />
Richterin Stresemann. Dafür gebe es aber<br />
enge Grenzen, zwingende Gründe seien<br />
nötig. „Nach dem normalen Sprachgebrauch<br />
ist ein Gebäude nur dann zerstört,<br />
wenn seine Nutzbarkeit ganz oder<br />
teilweise aufgehoben ist, nicht hingegen<br />
deshalb, weil eine Sanierung hohe Kosten<br />
verursacht.“ h
36 <strong>VNW</strong><br />
Alles was<br />
RECHT ist!<br />
Anbieter von Vertragsgeneratoren brauchen keine<br />
Anwaltszulassung<br />
Karlsruhe. Rechtsanwälte könnten im<br />
Internet mehr Konkurrenz bekommen.<br />
Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe<br />
entschied, dass Seiten wie der Vertragsgenerator<br />
Smartlaw auch von Anbietern<br />
betrieben werden dürfen, die nicht zur<br />
Anwaltschaft zugelassen sind.<br />
Das automatisierte Erstellen von<br />
Rechtsdokumenten über eine Software<br />
stelle keine unerlaubte Rechtsdienstleistung<br />
dar. Das könnte neuen Geschäftsideen<br />
im Netz den Weg ebnen, die oft gerade<br />
für Verbraucherinnen und Verbraucher<br />
praktisch sind. Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer,<br />
die Smartlaw verbieten<br />
lassen wollte, warnte dagegen vor unqualifizierten<br />
Angeboten. (Az. I ZR 113/20)<br />
Hinter Smartlaw steht der juristische<br />
Fachverlag Wolters Kluwer, der den Generator<br />
nach eigenen Angaben gemeinsam<br />
mit Anwälten entwickelt hat. Zahlende<br />
Nutzerinnen und Nutzer können sich damit<br />
auf sie zugeschnittene Rechtsdokumente<br />
wie Patientenverfügungen oder<br />
Mietverträge erstellen. Sie klicken sich<br />
selbst durch verschiedene Eingabemasken<br />
mit Fragen. Am Ende wird der Text aus<br />
Bausteinen zusammengesetzt. Andere<br />
Verträge sind für kleinere Firmen gedacht.<br />
Die Anwaltskammer hatte dem Verlag<br />
vorgeworfen, unzulässigerweise Rechtsdienstleistungen<br />
zu erbringen. Darunter<br />
versteht das Gesetz „jede Tätigkeit in konkreten<br />
fremden Angelegenheiten, sobald<br />
sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls<br />
erfordert“.<br />
Dem folgten die Richterinnen und<br />
Richter nicht. Die Smartlaw-Betreiber<br />
würden gerade „nicht in einer konkreten<br />
Angelegenheit des Nutzers tätig“, denn<br />
der Generator arbeite mit standardisierten<br />
Klauseln für typische Sachverhaltskonstellationen.<br />
Der Nutzer erwarte auch keine<br />
rechtliche Prüfung seines Falls.<br />
Schon in der Verhandlung Mitte Juni<br />
hatte der Vorsitzende Richter Thomas<br />
Koch darauf hingewiesen, dass Formular-<br />
Handbücher mit Textbausteinen gang und<br />
gäbe seien. Der Generator funktioniere im<br />
Grunde nicht anders. Der Anwaltskammer<br />
waren vor allem die komplexeren Dokumente<br />
wie etwa Lizenzverträge ein Dorn<br />
im Auge, für die 30 oder 40 Fragen zu<br />
beantworten sind. Der BGH macht hier<br />
keinen Unterschied.h<br />
Gebäudeversicherer haftet nicht für alle Wasserschäden<br />
Karlsruhe. Bei Wasserschäden springt in<br />
der Regel die Gebäudeversicherung ein.<br />
Keine Regel kommt allerdings ohne Ausnahme<br />
aus: Denn eine Versicherung muss<br />
tatsächlich nicht bei allen Arten von Wasserschäden<br />
leisten, wie ein Urteil des Bundesgerichtshofes<br />
(BGH) zeigt (Az.: IV ZR<br />
236/20) Bei undichten Fugen etwa greift<br />
der Versicherungsschutz nicht.<br />
In dem verhandelten Fall ging es um<br />
eine Silikonfuge im Duschbereich. Die<br />
Fuge war undicht und in der Folge entstand<br />
ein Schaden in Höhe von 17.000<br />
Euro. Die Gebäudeversicherung wollte<br />
den Schaden aber nicht übernehmen.<br />
Das Oberlandesgericht Bamberg verurteilte<br />
das Unternehmen jedoch dazu, weil<br />
es sich nach Ansicht des Gerichts um ein<br />
versichertes Ereignis handele. Denn der<br />
Bereich der Duschwanne sei als Teil der<br />
wasserführenden Einrichtung anzusehen.<br />
Diesem Urteil folgte der BGH nicht:<br />
Nach den Versicherungsbedingungen<br />
werde Entschädigung nur für den Fall geschuldet,<br />
dass Wasser aus den mit dem<br />
Rohrsystem verbundenen Einrichtungen<br />
ausgetreten ist. Das sei im vorliegenden<br />
Fall nicht so, denn hier habe eine undichte<br />
Fuge zu dem Schaden geführt. Eine Fuge<br />
weise keine Verbindung mit dem Rohrsystem<br />
auf. Ein solcher Fall werde laut der<br />
Klausel eben nicht von der Versicherung<br />
gedeckt. Aufgeführt waren dort unter<br />
anderen Schäden an Rohren oder wasserführenden<br />
Teilen wie der Heizungsanlage,<br />
aber auch Wasserbetten und Aquarien. h
37<br />
Urteil:<br />
Architekt haftet für nicht genehmigungsfähige Planung<br />
Nürnberg. Wer einen Architekten beauftragt,<br />
eine genehmigungsfähige Bauplanung<br />
zu erstellen, kann erwarten, dass<br />
der Architekt das Ziel auch erreicht. Gelingt<br />
es nicht, die Baugenehmigung zu bekommen,<br />
schuldet der Auftraggeber kein<br />
Honorar. Das habe das Oberlandesgericht<br />
Nürnberg (Az.: 2 U 2751/19) entschieden,<br />
berichtet die Zeitschrift «NJW-Spezial»<br />
(Heft 23, 2021). Nur in Ausnahmefällen<br />
kann davon ausgegangen werden, dass<br />
der Auftraggeber das Genehmigungsrisiko<br />
übernimmt.<br />
Im vorliegenden Fall stritten Auftraggeber<br />
und Architekt über das Honorar. Die<br />
Auftraggeber verweigerten die Zahlung.<br />
Begründung: Die Planung des Architekten<br />
sei nicht genehmigungsfähig, da die vorgesehene<br />
Ausführung eines Flachdachs<br />
gegen den einschlägigen Bebauungsplan<br />
verstoße und eine Befreiung nicht erreichbar<br />
sei. Der Architekt habe es versäumt,<br />
sie darauf hinzuweisen.<br />
Zu einer Bauvoranfrage habe der<br />
Architekt nicht geraten. Es sei aber seine<br />
Aufgabe gewesen, die Frage, ob die<br />
Wünsche und Ideen verwirklichungsfähig<br />
seien, zu prüfen. Für die nicht genehmigungsfähige<br />
Planung könne der Architekt<br />
daher kein Honorar verlangen.<br />
Das sah das Oberlandesgericht auch<br />
so: Die Auftraggeber schulden dem Kläger<br />
keine Vergütung, da das erbrachte<br />
Werk so schwerwiegende Mängel aufweist,<br />
dass es nicht nachbesserungsfähig<br />
und deshalb für die Auftraggeber wertlos<br />
ist. Ein Architekt, der sich zur Erstellung<br />
einer Genehmigungsplanung verpflichtet,<br />
schuldet als Werkerfolg grundsätzlich eine<br />
dauerhaft genehmigungsfähige Planung.<br />
Zwar können die Parteien vereinbaren,<br />
dass und in welchen Punkten der Auftraggeber<br />
das Risiko übernimmt, dass die zu<br />
erstellende Planung nicht genehmigungsfähig<br />
ist. Von einer solchen Vereinbarung<br />
kann jedoch nur in Ausnahmefällen ausgegangen<br />
werden, etwa wenn sich der<br />
Bauherr bewusst über die Vorschriften des<br />
öffentlichen Baurechts hinwegsetzen oder<br />
diese an die Grenze des Möglichen „ausreizen“<br />
will. Dies ist hier nicht der Fall. h<br />
Sturm auf dem Balkon<br />
Freiburg. Sturmschäden sind in der Regel<br />
versichert. Keine Regel aber ohne Ausnahme:<br />
Eine Hausratversicherung muss Schäden<br />
an Hausrat, der sich auf dem Balkon,<br />
der Loggia oder Terrasse befunden hat,<br />
nicht ersetzen. Das zeigt eine Entscheidung<br />
des Amtsgerichts Freiburg (Az.: 6<br />
C 468/21), auf die das Rechtsportal „anwaltauskunft.de“<br />
des Deutschen Anwaltvereins<br />
(DAV) hinweist. Eine Ausnahme<br />
bilden Antennen und Markisen.<br />
In dem verhandelten Fall verlangte<br />
der Kläger von seiner Hausratversicherung<br />
den Ersatz für einen beschädigten<br />
Sonnenschirm, der während eines Sturms<br />
auf dem Balkon blieb. Die Versicherung<br />
wies darauf hin, dass der Schaden nicht<br />
von der Hausratversicherung gedeckt sei.<br />
Denn der Sonnenschirm habe sich außerhalb<br />
von schützenden Räumen befunden.<br />
Der Kläger hielt die Versicherungsklausel,<br />
die das regelt, für überraschend und damit<br />
unwirksam.<br />
Die Klage scheiterte: Zwar zählten<br />
auch Balkone und Terrassen zur Wohnung<br />
und seien dadurch durch die Hausratversicherung<br />
abgedeckt, erklärt das Gericht.<br />
Dies betreffe jedoch nicht den Hausrat,<br />
der sich außerhalb von schützenden Räumen<br />
befindet. Diese seien bei Sturm und<br />
Hagel nicht versichert. Eine Ausnahme<br />
gelte nur für Antennen und Markisen.<br />
Diese Regelung befand das Gericht<br />
als verhältnismäßig. Schließlich könnten<br />
die Sachen bei Sturm oder zu Nachtzeiten<br />
ohne erheblichen Aufwand zum Beispiel<br />
im Gartenhäuschen oder in anderen Räumen<br />
des Gebäudes gelagert werden. Bei<br />
der ungeschützten Lagerung im Freien sei<br />
die Möglichkeit eines Schadens auch für<br />
die Versicherung nicht kalkulierbar. h
38<br />
<strong>VNW</strong><br />
Alles was<br />
RECHT ist!<br />
Mieter müssen Kosten für Baumfällarbeiten mittragen<br />
Karlsruhe. Lässt der Vermieter einen<br />
morschen Baum fällen, darf er die Kosten<br />
grundsätzlich auf die Mieter umlegen. Das<br />
hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe<br />
in einem Urteil vom 10. November<br />
2021 entschieden. (Az. VIII ZR 107/20)<br />
In dem Fall aus Niedersachsen hatte<br />
eine Wohnungsgenossenschaft 2015 eine<br />
mehr als 40 Jahre alte Birke auf dem Anwesen<br />
fällen lassen, weil sie nicht mehr<br />
standfest war. Die Kosten von knapp<br />
2500 Euro wurden mit der nächsten Betriebskostenabrechnung<br />
auf die Mieter<br />
umgelegt. Die Klägerin sollte davon rund<br />
415 Euro übernehmen. Sie zahlte nur un-<br />
ter Vorbehalt und forderte vor Gericht das<br />
Geld zurück.<br />
Tatsächlich war die Frage, ob die Kosten<br />
für das Fällen eines absterbenden<br />
Baumes zu den umlagefähigen „Kosten<br />
der Gartenpflege“ gehören, bislang nicht<br />
höchstrichterlich geklärt – und umstritten:<br />
Einige Gerichte waren der Ansicht,<br />
dass der Vermieter damit nur seiner sogenannten<br />
Verkehrssicherungspflicht nachkomme<br />
oder einen Mangel beseitige. Das<br />
müsse er aus eigener Tasche bezahlen.<br />
Das sehen die BGH-Richterinnen und<br />
-Richter anders: In der Betriebskostenverordnung<br />
seien Baumfällarbeiten zwar<br />
nicht ausdrücklich genannt, sondern nur<br />
die „Erneuerung von Pflanzen und Gehölzen“.<br />
Bäume seien aber quasi verholzte<br />
Pflanzen. Und eine Erneuerung setze regelmäßig<br />
die vorherige Entfernung voraus.<br />
Dem Karlsruher Urteil zufolge kann hier<br />
außerdem von laufenden Kosten gesprochen<br />
werden – auch wenn nicht jedes Jahr<br />
ein Baum gefällt werde. Denn der Gartenpflege<br />
seien „längere, nicht sicher vorherbestimmbare<br />
Zeitintervalle immanent“.<br />
Die Beseitigung eines Baumes stelle für<br />
den Mieter kein völlig unerwartetes Ereignis<br />
dar. h<br />
Schadenersatz beim Bau möglich<br />
Luxemburg. Architekten und Bauherren<br />
in Deutschland können nach einem<br />
Urteil des Europäischen Gerichtshofs in<br />
bestimmten Fällen auf Schadenersatz<br />
vom Staat hoffen, weil die deutschen Honorarregeln<br />
gegen EU-Recht verstoßen.<br />
Jedes EU-Land müsse sicherstellen, dass<br />
Einzelnen ein Schaden ersetzt werde, der<br />
wegen Verstößen gegen europäisches<br />
Recht entstanden sei, teilte der EuGH mit<br />
(Rechtssache C-261/20). Nun muss der<br />
BGH abschließend über den Fall urteilen.<br />
Bei dem Urteil ging es um die deutsche<br />
Honorarordnung für Architekten und<br />
Ingenieure (HOAI), die nach einem Urteil<br />
des EuGH aus dem Jahr 2019 gegen europäisches<br />
Recht verstößt. In der Honorarordnung<br />
werden für Planungsarbeiten<br />
Mindest- und Höchstpreise festgelegt.<br />
Geklagt hatte damals die EU-Kommission,<br />
die beanstandete, dass Anbieter aus anderen<br />
EU-Staaten daran gehindert würden,<br />
sich in Deutschland niederzulassen,<br />
da sie nicht über den Preis konkurrieren<br />
könnten.<br />
Der BGH prüfte dann anhand eines<br />
Verfahrens die Auswirkungen des EuGH-<br />
Urteils auf bestehende Planungsverträge,<br />
in denen ein Honorar unterhalb des Mindestsatzes<br />
vereinbart wurde – und der Planer<br />
nachträglich den Mindestsatz verlangt<br />
hatte. Deutsche Gerichte waren sich nicht<br />
einig, ob die HOAI weiter anzuwenden sei.<br />
Das oberste Gericht der EU entschied<br />
weiter, dass deutsche Gerichte die Honorarordnung<br />
bei Streitigkeiten zwischen<br />
Privaten auch weiterhin anwenden können.<br />
Denn die EU-Vorgaben haben keine<br />
unmittelbaren Wirkungen für Privatpersonen,<br />
sondern sind eine Anweisung an<br />
einen Staat.h
39<br />
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Auch in der Wohnungswirtschaft wird im Bereich der<br />
Heiztechnik großer Wert auf eine effiziente Energienutzung<br />
gelegt. Buderus wird diesem Anspruch gerecht:<br />
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40<br />
Mehr Konflikte unter Mietern<br />
Eine Umfrage unter <strong>VNW</strong>-Unternehmen ergab, dass es zwischen<br />
den Haushalten zunehmend verhärtete Fronten und eine größere<br />
Ungeduld gibt.<br />
Hamburg/Kiel/Schwerin. Die Zahl der häuslichen und nachbarschaftlichen<br />
Konflikte hat einer Umfrage unter norddeutschen<br />
Wohnungsunternehmen zufolge während der Corona-Pandemie<br />
zugenommen. So berichten soziale Vermieter von einer höheren<br />
Anzahl an Mieterbeschwerden. Die Verantwortlichen in den Unternehmen<br />
führen diese Entwicklung auf die Corona-Pandemie<br />
und das damit „häufigere Zuhausesein“ zurück.<br />
Das sind die Ergebnisse einer Umfrage unter den <strong>VNW</strong>-Mitgliedsunternehmen,<br />
die unmittelbar vor Weihnachten des vergangenen<br />
Jahres durchgeführt wurde. An der Umfrage hatten<br />
sich 63 Unternehmen beteiligt. Den Unternehmen zufolge hat<br />
sich die „Qualität der Beschwerden“ verändert. Es sei zunehmend<br />
eine „gewisse Grundanspannung“ wahrnehmbar. So meldeten<br />
Mieterinnen und Mieter vermehrt kleine Alltagsprobleme und beschwerten<br />
sich früher über kleinere Störungen. Lärmbelästigungen<br />
spielten inzwischen eine große Rolle.<br />
Den Menschen scheint die Decke auf den Kopf zu<br />
fallen<br />
„Die Menschen haben genug von Lockdown, Quarantäne und<br />
Einschränkungen“, sagt <strong>VNW</strong>-Direktor Andreas Breitner. „Sie<br />
fühlen sich frustriert. Ihnen scheint die Decke auf den Kopf zu<br />
fallen. Zu spüren bekommen diese Unzufriedenheit und den Frust<br />
oftmals zuallererst die Nachbarn.“<br />
Einige Unternehmen berichten zudem von „zunehmend verhärteten<br />
Fronten“ zwischen den Haushalten. Die Pandemie verschärfe<br />
bestehende Konflikte, steigere die Unzufriedenheit von<br />
Mieterinnen und Mietern sowie ihre Ungeduld.<br />
Ferner berichten die Unternehmen, dass sie auf Grund der Pandemie<br />
vor Ort kaum Schlichtungsgespräche anbieten könnten.<br />
Allerdings weisen sie auch darauf hin, dass sie mit einer direkten<br />
und sofortigen Ansprache der Konfliktparteien versuchten, den<br />
Auseinandersetzungen entgegenzuwirken und die Situation zu<br />
entspannen.<br />
Menschen leiden unter der Corona-Pandemie<br />
„Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass die Menschen vermehrt<br />
unter der Corona-Pandemie leiden und sich das auf ihr<br />
privates Umfeld auswirkt“, sagt <strong>VNW</strong>-Direktor Andreas Breitner.<br />
„Das war sicher erwartbar. Zugleich verdeutlichen die Antworten<br />
aber, dass die sozialen Vermieter vieles tun, das über das Angebot<br />
einer Wohnung hinausreicht. Sie sind da, wenn es ihren Mieterinnen<br />
und Mietern schlecht geht. Die sozialen Vermieter sorgen<br />
damit für den sozialen Frieden in den Quartieren.“<br />
Diese Tatsache sollte beim wohnungspolitischen Populismus<br />
bedacht werden. „Alle Vermieter gehören nicht in einen Topf“,<br />
sagt der <strong>VNW</strong>-Direktor weiter. „Abgesehen davon, dass die im<br />
<strong>VNW</strong> organisierten Genossenschaften und -gesellschaften bezahlbaren<br />
Wohnraum anbieten, sind sie die Ersten, die mit sozialen<br />
Konflikten konfrontiert werden und dafür Lösungen entwickelt<br />
haben.<br />
Bei den sozialen Vermietern stehen die Menschen im Mittelpunkt<br />
– gerade wenn es im Zusammenleben Probleme gibt. Es wird<br />
nicht gedroht, sondern versucht, diese Probleme im Gespräch zu<br />
lösen. Auch das hat die Umfrage ergeben: Die direkte und sofortige<br />
Ansprache ist der erfolgversprechendste Weg, Streit aufzulösen.“ h
vdw<br />
Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft<br />
Niedersachsen Bremen e.V.<br />
Postfach 61 20<br />
30061 Hannover<br />
Tel.: 0511 12 65 - 01<br />
Fax: 0511 12 65 - 111<br />
E-Mail: info@vdw-online.de<br />
Internet: www.vdw-wohnen.de<br />
www.vdw-magazin.de<br />
<strong>VNW</strong><br />
Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen e.V.<br />
Hamburg – Mecklenburg-Vorpommern – Schleswig-Holstein<br />
Tangstedter Landstraße 83<br />
22415 Hamburg<br />
Tel.: 040 520 11- 0<br />
Fax: 040 520 11- 201<br />
E-Mail: info@vnw.de<br />
Internet: www.vnw.de
42 <strong>VNW</strong><br />
Namen und<br />
Nachrichten<br />
Mehr Bäume für Lübeck<br />
Lübeck. Ende Oktober vergangenen Jahres startete die Hansestadt<br />
Lübeck eine Baumpflanzaktion. Jeder gepflanzte Baum wird<br />
mit bis zu 150 Euro von der Hansestadt bezuschusst – einzige<br />
Auflage: Umsetzung der Aktion innerhalb von vier Wochen. Der<br />
LÜBECKER BAUVEREIN hat in acht Quartieren seines Bestandes<br />
insgesamt 50 Bäume pflanzen lassen. Die Vorstandsmitglieder,<br />
Christine Koretzky und Stefan Probst, sind begeistert: „Es war<br />
sportlich von der zeitlichen Schiene her, aber schlussendlich eine<br />
Superaktion, die unbürokratisch und schnell mit der Hansestadt<br />
Lübeck umgesetzt wurde.“<br />
Spatenstich<br />
für das „Wiker Quartier“ in Kiel<br />
Kiel. Nach mehr als zwei Jahren Verzögerung nimmt das Neubauprojekt<br />
der WOGE in Kiel-Wik endlich Fahrt auf. Der Gebäudekomplex,<br />
der ursprünglich auch den Verwaltungsbereich der<br />
WOGE integrieren sollte, wird ein reines Wohnquartier und abweichend<br />
von der bisherigen Planung mehr Wohneinheiten zur<br />
Verfügung stellen. Auf 3800 Quadratmetern werden hier barrierefreier<br />
Wohnraum für 59 Haushalte und eine Gästewohnung<br />
geschaffen. In das Projekt investiert die Genossenschaft rund 16,5<br />
Millionen Euro. Einen besonderen Stellenwert erhält das Projekt<br />
durch das sogenannte Bielefelder Modell, welches selbstbestimmtes<br />
Leben durch das Zusammenbringen von Wohnen, Pflege und<br />
Betreuung bietet.
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43<br />
Hamburgs Hauptbahnhof<br />
bekommt eine gläserne<br />
Halle<br />
Hamburg. An der Südseite des Hamburger<br />
Hauptbahnhofs wird eine gläserne Halle<br />
errichtet. Ein Preisgericht hat die Entwürfe<br />
des Büros bof architekten aus Hamburg mit<br />
den Landschaftsarchitekten hutterreimann<br />
aus Berlin zum Sieger eines städtebaulichen<br />
Wettbewerbs gekürt. Die Halle biete eine<br />
zeitgemäße Fortsetzung der denkmalgeschützten<br />
Bahnhofshalle, befand die Jury.<br />
Der Siegerentwurf solle nun Grundlage<br />
eines Masterplans für die Erweiterung des<br />
Hauptbahnhofs und die Entwicklung seines<br />
Umfelds werden. Der Hauptbahnhof der<br />
Hansestadt ist mit täglich rund 550 000 Reisenden<br />
der am zweitmeisten frequentierte<br />
Bahnhof Europas. Für die Zukunft werden<br />
bis zu 750 000 Fahrgäste pro Tag erwartet.
44 <strong>VNW</strong><br />
Ein Modethema, das falsche Hoffnungen<br />
weckt<br />
Göhren-Lebbin. Die sozialen Vermieter in Mecklenburg-Vorpommern<br />
haben mit Zurückhaltung auf Pläne der rot-roten Landesregierung<br />
reagiert, eine sogenannte neue Gemeinnützigkeit von<br />
Vermietern zu fördern. „Aus meiner Sicht ist die ‚Neue Wohngemeinnützigkeit‘<br />
ein Modethema, das falsche Hoffnungen weckt<br />
und bei der Lösung der aktuellen Probleme auf dem Wohnungsmarkt<br />
des Landes überhaupt nicht hilft“, sagte <strong>VNW</strong>-Direktor<br />
Andreas Breitner in Göhren-Lebbin auf der Jahresmitgliederversammlung<br />
des <strong>VNW</strong>-Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern.<br />
„In der Wohnungspolitik Mecklenburg-Vorpommerns neigt man<br />
dazu, gesetzliche Lösungen für Probleme zu schaffen, die man<br />
hier gar nicht hat. Erst die Mietpreisbremse, jetzt die neue Wohngemeinnützigkeit.“<br />
Mit Bildung ins Jahr<br />
<strong>2022</strong><br />
Neuer Hochschulratsvorsitzender<br />
der EBZ Business<br />
School (FH)<br />
Bochum. Der Hochschulrat der EBZ Business<br />
School hat einen neuen Vorsitzenden:<br />
Der Präsident der Hochschule Bochum,<br />
Prof. Dr. Jürgen Bock, ist vom Träger der<br />
Immobilienhochschule zum Vorsitzenden<br />
bestimmt worden und leitet das Gremium<br />
für die kommenden beiden Jahre.<br />
Zum Stellvertretenden Vorsitzenden des<br />
Hochschulrats wurde Eckhard Brockhoff,<br />
Geschäftsführender Gesellschafter von<br />
Brockhoff GmbH, gewählt. Seine erste Sitzung<br />
als neuer Hochschulratsvorsitzender<br />
wird Prof. Dr. Bock am 22. Mai <strong>2022</strong> leiten.<br />
Hamburg. Auch wenn das Managementforum<br />
auf den April verlegt wurde<br />
und Präsenzseminare aktuell nicht<br />
stattfinden können ist der Bildungsbereich<br />
mit viel Schwung in <strong>2022</strong><br />
gestartet. Die bürokratische neue<br />
Heizkostenverordnung war Thema<br />
eines Onlineseminares mit 75 Teilnehmern.<br />
Eine Woche später brachte Dr.<br />
Christoph Enaux unsere Mitgliedsunternehmen<br />
in einem Webinar auf den<br />
aktuellen Stand der TKG-Novelle und<br />
referierte über mögliche neue Versorgungsmodelle.<br />
65 Teilnehmer unserer<br />
Mitgliedsunternehmen nutzten dieses<br />
<strong>VNW</strong>-Angebot. Weitere Themen die<br />
online auf gute Nachfrage stießen,<br />
waren u.a. Risikomanagement in<br />
Wohnungsunternehmen, Investitionsplanung<br />
und -budget, Gebäudeenergiegesetz<br />
(GEG).<br />
Das aktuelle Angebot finden Sie unter<br />
bildung.vnw.de
45<br />
Aus Überzeugung nachhaltig<br />
Hamburg. Die SAGA Unternehmensgruppe hat ihren CSR-Bericht<br />
für das Geschäftsjahr 2020 präsentiert. Der dritte Nachhaltigkeitsbericht<br />
nach 2014 und 2019 orientiert sich am etablierten Kennzahlen-Kanon<br />
des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) sowie<br />
den Leistungsindikatoren der Global Reporting Initiative (GRI) und<br />
wird danach auch zertifiziert. Berücksichtigt wurden zudem die<br />
Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDG – Sustainable<br />
Development Goals) auf Basis der geltenden Vorgaben des Hamburger<br />
Corporate Governance Kodex (HCGK). Die SAGA definiert<br />
Nachhaltigkeit strategisch als regulatives Prinzip zur Aussteuerung<br />
von Zielkonflikten auf der Grundlage von Allokationseffizienz.<br />
Alarmierender Anstieg<br />
Hamburg. In Hamburg ist die durchschnittliche Nettokaltmiete pro Monat in den vergangenen<br />
zwei Jahren um 7,3 Prozent gestiegen. Derzeit liege der Wert bei 9,29 Euro pro<br />
Quadratmeter, geht aus dem im Dezember veröffentlichten Mietspiegel der Hansestadt<br />
hervor. Im Jahr 2019 lag der Wert bei 8,66 Euro pro Quadratmeter. „Der Anstieg ist alarmierend“,<br />
bewertet <strong>VNW</strong>-Direktor Andreas Breitner die Entwicklung. „Er macht klar, dass<br />
die städtischen Bemühungen zur Entspannung des Hamburger Wohnungsmarktes dringend<br />
fortgesetzt werden müssen. Hamburg braucht Kontinuität im Neubau und Umsicht<br />
bei staatlichen Anforderungen an den Klimaschutz. Jede umfangreich energetisch sanierte<br />
60er Jahre-Wohnung wird teurer wieder vermietet werden müssen. Daraus, dass solche<br />
Sanierungen nach Leerzug jetzt in großem Umfang erfolgen, erklärt sich unter anderem<br />
der Mietenanstieg.“<br />
Petra Eggert-Höfel ist<br />
neue Generalsekretärin<br />
der DESWOS<br />
Köln. Seit dem 1. Januar <strong>2022</strong> hat die<br />
DESWOS eine neue Generalsekretärin.<br />
Petra Eggert-Höfel, Vorstandsvorsitzende<br />
der Bau- und Siedlungsgenossenschaft<br />
für den Kreis Herford eG,<br />
wurde vom Verwaltungsrat im September<br />
2021 als Nachfolgerin von<br />
Gerhard Müller gewählt. „Es ist pures<br />
Glück, in diesem Teil der Welt zu leben,<br />
keinen Krieg, keinen Hunger und<br />
keinen Mangel erlebt zu haben“, sagt<br />
Petra Eggert-Höfel. Das Ehrenamt als<br />
Generalsekretärin der DESWOS sei<br />
eine Gelegenheit, etwas von diesem<br />
Privileg zu teilen.
46 Namen und Nachrichten<br />
Stärkster Anstieg der Baupreise<br />
seit 50 Jahren<br />
Wiesbaden. Der Neubau von Wohnungen in Deutschland hat sich<br />
im November des vergangenen Jahres so stark verteuert wie seit<br />
1970 nicht mehr. Die Preise für den Neubau konventionell gefertigter<br />
Wohngebäude hätten im Vergleich zum Vorjahresmonat um<br />
14,4 Prozent zugelegt, teilte das Statistische Bundesamt mit. Ein<br />
stärkerer Anstieg wurde zuletzt im August 1970 mit 17,0 Prozent<br />
gegenüber dem Vorjahresmonat gemessen. Die große Nachfrage<br />
nach Baumaterialien wie Holz, Stahl und Dämmstoffen auf den<br />
Weltmärkten heizt seit geraumer Zeit die Preise an. Überdurchschnittlich<br />
stark verteuerten sich Zimmer- und Holzbauarbeiten,<br />
deren Preise aufgrund der erhöhten Nachfrage nach Bauholz im<br />
In- und Ausland um 38,9 Prozent stiegen.<br />
Richtfest Parkhaus Pferdemarkt<br />
Neubrandenburg. Bis April <strong>2022</strong> entsteht in Neubrandenburg<br />
auf dem Areal des ehemaligen Parkplatzes Pferdemarkt ein modernes<br />
Parkhaus. Die Neubrandenburger Wohnungsgesellschaft<br />
mbH (NEUWOGES) lässt dort knapp 650 Parkplätze entstehen. Mit<br />
einem Richtfest bot das Neubauvorhaben am 21. Januar <strong>2022</strong> auf<br />
die Zielgerade ein. Mittlerweile sind die Montage der Stahlkonstruktion<br />
und die Schaffung der fünf Parkgeschosse abgeschlossen.<br />
Die Dachfläche für das Parkhaus ist gesetzt und der Innenausbau<br />
ist in vollem Gange. In und an dem modernen Neubau wird<br />
es nach dessen Fertigstellung Ladepunkte für Elektrofahrzeuge<br />
geben. Das Investitionsvolumen umfasst rund 9,8 Millionen Euro.<br />
10 000er Mitgliedsmarke geknackt!<br />
Lübeck. Ende Dezember vergangenen Jahres wurde das 10000ste<br />
MITGLIED DES LÜBECKER Bauvereins in die Mitgliederliste der<br />
Genossenschaft eingetragen. Zu diesem besonderen Anlass ließ<br />
es sich Vorständin Christine Koretzky nicht nehmen, persönliche<br />
Glückwünsche zu übermitteln. Lars Winkler aus der Fregattenstraße<br />
im Stadtteil Buntekuh konnte sich über einen IKEA-Gutschein,<br />
passend zum Bezug der neuen Wohnung, freuen. „Wir haben die<br />
Wohnung im Internet gefunden, uns beworben und den Zuschlag<br />
bekommen. Damit haben wir nicht gerechnet. Meine Freundin<br />
und ich sind überglücklich, noch dazu in eine frisch modernisierte<br />
Wohnung zu ziehen“, sagte Lars Winkler. Die neungeschossige<br />
Wohnanlage ist das höchste Gebäude der Genossenschaft und<br />
verfügt über 162 Wohneinheiten. In den Jahren 2010 bis 2012<br />
erfolgte die Großmodernisierung. Die Genossenschaft investierte<br />
seinerzeit rund sechs Millionen Euro.
47<br />
Projekt Markgrafenhof nimmt Fahrt auf<br />
Neubrandenburg. Die Verhandlungen für den Hotelneubau<br />
Markgrafenhof befinden sich derzeit im konstruktiven und einvernehmlichen<br />
Fortgang. „Wir haben uns über die Kaufpreise für die<br />
Grundstücke und den Projektvorlauf geeinigt“, sagt NEUWOGES-<br />
Geschäftsführer Michael Wendelstorf. Zusätzlich zum Hotelbau<br />
der Investorengesellschaft plant die NEUWOGES an dem Standort<br />
die Errichtung von modernen Mietwohnungen. „Unser Wohnungsneubauvorhaben<br />
steht in Synergie zu den Planungsthemen<br />
des Hotelprojektes“, so Wendelstorf. Demzufolge seien bei allen<br />
weiteren Schritten wechselseitige Abhängigkeit zu beachten.<br />
Hamburg genehmigt den Bau von mehr als<br />
10 000 Wohnungen<br />
Hamburg. Im vergangenen Jahr haben die Behörden Hamburgs<br />
den Bau von 10207 Wohnungen genehmigt. Auch unter<br />
den schwierigen Bedingungen des Pandemiejahres sei damit die<br />
selbst gesetzte Zielmarke von jährlich 10000 genehmigten Wohn-<br />
einheiten erreicht und sogar übertroffen worden, teilt die Stadtentwicklungsbehörde<br />
mit. Die Zielzahl von 10 000 genehmigten<br />
Wohneinheiten pro Jahr gilt seit 2016. „Das Hamburger ‚Bündnis<br />
für das Wohnen‘ ist ein Erfolgsmodell“, sagte Hamburgs Erster<br />
Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher. Gute und bezahlbare Wohnungen<br />
für alle Einkommensgruppen seien ein zentrales Ziel der<br />
Stadtentwicklungspolitik des Senats.
48
49<br />
Die unsichtbare<br />
Gefahr im Boden<br />
Radon kann man nicht sehen, riechen oder schmecken. Das krebserregende Gas kann aus<br />
dem Boden über Risse und Fugen in Kellerräume gelangen. Eine neue Karte zeigt gefährdete<br />
Orte jetzt genauer an.<br />
Salzgitter. Mancherorts ist das Lüften des Kellers nicht nur wegen<br />
Schimmelwachstum wichtig: Das radioaktive und für die<br />
Gesundheit gefährliche Gas Radon kann sich im Untergeschoss<br />
anreichern. Aber das ist zum Glück nicht überall der Fall.<br />
Eine neue und räumlich höher aufgelöste Karte des Bundesamts<br />
für Strahlenschutz (BfS) zeigt nun genauer, in welchen Regionen<br />
Deutschlands man vorsichtig sein sollte.<br />
Radon ist laut dem Bundesamt nach Rauchen die zweithäufigste<br />
Ursache für Lungenkrebs. Es ist nicht zu sehen, zu riechen<br />
oder zu schmecken. Und es entsteht im Erdreich und kann von<br />
dort über Risse, Fugen oder Rohrdurchführungen in Innenräume<br />
gelangen und sich dort in gefährlichen Konzentrationen anreichern.<br />
Das ist vor allem möglich in Bereichen des Hauses, die Bodenkontakt<br />
haben – wie eben dem Keller.<br />
Nicht überall und nicht in jedem Haus ein Risiko<br />
Es gibt aber auch Grund zur Beruhigung: Wie die neue Karte<br />
verdeutlicht, ist die Konzentration im Boden regional sehr unterschiedlich.<br />
Sie ist tendenziell höher zwischen Mittel- und Süddeutschland<br />
und im hohen Norden an den Küsten. Und ob dort<br />
dann Radon auch wirklich in den Keller eindringen kann, hängt<br />
vom baulichen Zustand des Hauses ab und zum Beispiel davon,<br />
ob es eine durchgehende Bodenplatte gibt.<br />
Die neue Karte ist dank verbesserter Berechnungsverfahren<br />
und einer größeren Datengrundlage viel genauer als ihre Vorgän-<br />
gerin. So zeigt sie keine Durchschnittswerte mehr an, sondern<br />
die Werte wurden laut Mitteilung des BfS so gewählt, dass„sie<br />
die an einem Ort im Boden vorhandene Radon-Konzentration in<br />
90 Prozent der Fälle niedriger oder identisch mit dem in der Karte<br />
angegebenen Wert ist.”<br />
Bei den restlichen zehn Prozent der Fälle könne nicht ausgeschlossen<br />
werden, dass aufgrund kleinräumiger geologischer Besonderheiten<br />
höhere Werte auftreten. Auch kann die Karte nicht<br />
anzeigen, wie hoch die Radon-Konzentration innerhalb von Gebäuden<br />
ist.<br />
Erste Maßnahme: häufiger lüften<br />
Wer in Gebieten mit hohem Vorkommen unsicher ist, sollte zum<br />
einen häufiger lüften – und zwar so, dass bereits nach wenigen<br />
Minuten die gesamte Innenraumluft ausgetauscht ist. Das gelingt<br />
mit Querlüften, indem man gegenüberliegende Fenster gleichzeitig<br />
öffnet.<br />
Da Lüften allerdings nicht immer ausreicht, sollte man die Radon-<br />
Konzentration im eigenen Gebäude auch mal messen lassen. Anbieter<br />
verschicken Detektoren per Post, die an mehreren Stellen<br />
des Kellers oder in anderen Wohnräumen angebracht werden und<br />
nach drei bis zwölf Monaten zur Auswertung zurückgeschickt<br />
werden. Das BfS führt online eine Liste anerkannter Anbieter.<br />
Ist das Ergebnis schlecht, müssen gegebenenfalls undichte<br />
Stellen in Keller und Erdgeschoss abgedichtet werden. h
50
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52 Compliance-Seminar<br />
Compliance ist mehr als<br />
Korruptionsprävention<br />
Ein Compliance Management System<br />
für Wohnungsunternehmen<br />
VON DIPL.-KFM. MARK OLIVER KÖNEMUND VDW NIEDERSACHSEN BREMEN<br />
UND RA HEINRICH KLEINE ARNDT<br />
In den jährlichen Geschäftsberichten der Wohnungsunternehmen<br />
werden im Zusammenhang mit den Ausführungen zum<br />
Risikomanagement (Chancen und Risiken) mögliche wirtschaftliche<br />
Risiken der Geschäftstätigkeit erläutert wie z.B.<br />
die Vermietungsquote, Veränderung der Nachfrageverhalten,<br />
Zinsänderungsrisiken.<br />
Nicht selten fehlen aber in diesem Zusammenhang Ausführungen<br />
zur Vermeidung möglicher rechtlicher Risiken.<br />
Dies könnte darauf hindeuten, dass dem Thema „Einhaltung<br />
von Rechtsvorschriften und Regeltreue“ (Compliance) nicht<br />
die nötige und erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt wird.<br />
Das wäre aber ein Fehler, weil die Vermeidung von Rechtsverstößen<br />
auch zum Risikomanagement der Wohnungsunternehmen<br />
gehört (nach § 91 Abs. 2 AktG) und Rechtsverstöße<br />
gravierende negative Folgen für das Wohnungsunternehmen<br />
haben können. Der vdw bietet zum Thema Compliance in<br />
Kürze ein Seminar an.<br />
Worum geht es bei dem Thema „Compliance“?<br />
Im Wohnungsunternehmen ist für die Einhaltung der gesetzlichen<br />
Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen.<br />
Dafür hat sich der Fachbegriff „Compliance“ eingebürgert.<br />
Compliance heißt „Rechtsbefolgung“. Der Begriff Compliance ist<br />
zwar relativ jung in seiner Verwendung für die Rechtstreue von<br />
Unternehmen. Nicht neu, sondern eine Selbstverständlichkeit ist,<br />
dass Unternehmen Gesetze einhalten müssen.<br />
Neueren Datums ist aber sehr wohl die systematische Herangehensweise<br />
an diese Aufgabe durch den Aufbau eines Compliance<br />
Management Systems (CMS). Ein Compliance Management<br />
System dient der systematischen Sicherstellung rechts- und regelkonformen<br />
Verhaltens eines Unternehmens, seiner Organe und<br />
Mitarbeiter.
53<br />
MARK OLIVER<br />
KÖNEMUND<br />
RA HEINRICH KLEINE ARNDT<br />
Brauchen Wohnungsunternehmen ein<br />
Compliance Management System?<br />
In den Wohnungsunternehmen sind regelmäßig qualifizierte Organe<br />
und gut ausgebildete Mitarbeiter tätig. Die für Wohnungsunternehmen<br />
geltenden einschlägigen rechtlichen Vorgaben sind<br />
meist bekannt und werden eingehalten.<br />
Aber auch qualifizierten Organen und Mitarbeitern unterlaufen<br />
Fehler. Ausnahmsweise kann es deshalb zu Rechtsverstößen<br />
kommen, weil einschlägige Regeln, aktuelle Rechtsänderungen<br />
bzw. die Rechtsprechung nicht beachtet oder in ihrem Geltungsumfang<br />
falsch eingeschätzt werden.<br />
Seltener treten Korruptionsfälle auf, wenn Mitarbeiter und Organe<br />
nicht versehentlich, sondern zum eigenen Vorteil bewusst<br />
gegen Vorschriften verstoßen.<br />
Ein Compliance Management System hilft, Verstöße gegen<br />
Rechtsvorschriften zu vermeiden und Mitarbeitern und Organen<br />
ein transparentes Rahmengerüst zu vermitteln.<br />
Was ist bei einem Compliance Management System<br />
zu beachten?<br />
In vielen Wohnungsunternehmen sind bereits Einzelaspekte für<br />
Compliance umgesetzt. (z.B. Vertretungs- und Unterschriftsregelungen,<br />
Arbeitsablaufbeschreibungen, Regelungen zur Auftragsvergaben<br />
bzw. Zahlungsermächtigungen). Es fehlt aber noch an<br />
einer umfassenden Lösung im Sinne eines Compliance Management<br />
Systems.<br />
Ein Compliance Management System geht systematisch an die<br />
Aufgabe heran. Es werden die für ein bestimmtes Unternehmen<br />
relevanten Vorschriften identifiziert, die betroffenen Mitarbeiter<br />
geschult, Prozesse eventuell angepasst und konkrete Maßnahmen<br />
zur Kontrolle der Einhaltung der Regeln abgeleitet.<br />
In einem Compliance Management System kommen im Hinblick<br />
auf die Vermeidung von Rechtsverstößen betriebswirtschaftliche<br />
Instrumente aus dem Risikomanagement z.B. ein Risikofrühwarnsystem<br />
und internes Kontrollsystem (IKS) (im vdw Compliance<br />
Seminar vorgestellt durch Dipl.-Kfm. Mark Oliver Könemund) und<br />
rechtliche Instrumente, z.B. die Ausarbeitung von Dienstanweisungen<br />
zur Anwendung (im vdw Compliance Seminar vorgestellt<br />
durch RA Heinrich Kleine Arndt).<br />
Gibt es eine rechtliche Verpflichtung, ein Compliance<br />
Management System zu installieren?<br />
Zu dieser Frage hat das LG München ein wegweisendes Urteil gefällt.<br />
In dem Urteil heißt es:<br />
„Vorstandsmitglieder haben dafür Sorge zu tragen, dass das<br />
Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass grundsätzlich<br />
keine Gesetzesverletzungen stattfinden. Diese Überwachungspflicht<br />
wird namentlich durch § 91 Abs. 2 AktG dadurch<br />
konkretisiert, dass ein Überwachungssystem installiert wird, das<br />
geeignet ist, bestandsgefährdende Entwicklungen frühzeitig zu<br />
erkennen, wovon auch Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften<br />
umfasst sind. Einer derartigen Organisationspflicht genügt der<br />
Vorstand bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er<br />
eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation<br />
einrichtet…“.<br />
Gibt es eine Vorlage für ein Compliance Management<br />
System, die auf unser Wohnungsunternehmen<br />
angepasst werde kann?<br />
Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat ein Compliance<br />
Management System (IDW PS 980) entwickelt, das in dem Compliance<br />
Seminar des vdw vorgestellt wird. Das vdw Seminar soll dabei<br />
helfen, das IDW Compliance Management System auf die Erfordernisse<br />
des jeweiligen Wohnungsunternehmens anzupassen.<br />
Welche Grundelemente hat das vom Institut der<br />
Wirtschaftsprüfer (IDW) herausgegebene Compliance<br />
Management System?<br />
In dem vdw Seminar werden die sieben Grundelemente des<br />
Compliance Management Systems des IDW unterlegt mit Beispielen<br />
aus der Praxis von Wohnungsunternehmen vorgestellt:<br />
– Compliance-Kultur<br />
– Compliance-Ziele<br />
– Compliance-Risiken<br />
(Verfahren zur Risikoerkennung und Risikobewertung)<br />
– Compliance-Programm<br />
(Maßnahmen zur Minimierung von Verstößen)<br />
– Compliance-Organisation<br />
(Festlegung von Rollen und Verantwortlichkeiten)<br />
– Compliance-Kommunikation (Infos an Mitarbeiter und Dritte)<br />
– Compliance-Überwachung und Verbesserung<br />
(Überprüfung und Anpassung)<br />
f
54 Compliance-Seminar<br />
Compliance Kultur<br />
Die Compliance-Kultur stellt die Grundlage für die Angemessenheit<br />
und Wirksamkeit des Compliance Management Systems dar.<br />
Sie wird vor allem geprägt durch die Einstellungen und Verhaltensweisen<br />
des Managements und der Aufsichtsorgane. Sie beeinflusst,<br />
inwiefern die Mitarbeiter die gesetzten Compliance Regeln<br />
ernst nehmen.<br />
Compliance Ziele<br />
Die Unternehmensleitung legt im Einklang mit den allgemeinen<br />
Unternehmenszielen die Compliance Ziele fest. Diese stellen die<br />
Grundlage für die weitere Ausgestaltung des Compliance Management<br />
Systems dar. Die Ziele, die mit einem Compliance<br />
System erreicht werden sollen, sind meist ähnlich. Alle Systeme<br />
wollen Regelverstöße verhindern, zur Haftungsreduzierung, um<br />
Imageschäden zu vermeiden oder um Sanktionen zu entgehen.<br />
Compliance Risiken<br />
In den Wohnungsunternehmen gibt es häufig schon ein Risikofrühwarnsystem<br />
für die systematische Risikoerkennung und -berichterstattung<br />
von wirtschaftlichen Risiken. Dieses Instrument<br />
wird um die rechtlichen Risiken erweitert. Vorhandene Risiken<br />
(Recht) werden identifiziert. Die festgestellten Rechtsrisiken werden<br />
im Hinblick auf Eintrittswahrscheinlichkeit und mögliche Folgen<br />
bewertet.<br />
Im Zusammenhang mit Compliance Risiken gilt es, ein verbreitetes<br />
Fehlverständnis zu vermeiden. Compliance besteht nicht nur<br />
aus der Bekämpfung der Korruption. Ein solches Verständnis greift<br />
zu kurz. Compliance ist mehr als Korruptionsprävention. Auch die<br />
Verhinderung von versehentlichen Verstößen gegen Recht fällt<br />
unter Compliance.<br />
Risiken von Rechtsverstößen gibt es in folgenden Fallgruppen:<br />
1. Unbeabsichtigte, versehentliche Rechtsverstöße<br />
(Rechtsvorschriften, Gerichtsurteile übersehen,<br />
Rechtsvorschriften fehlerhaft interpretiert),<br />
2. bewusster Verstoß gegen Rechtsvorschriften<br />
zum Vorteil des Wohnungsunternehmens,<br />
3. bewusster Verstoß gegen Rechtsvorschriften<br />
zum persönlichen, eigenen Vorteil.<br />
Zur Fallgruppe 1:<br />
Verhinderung von nicht beabsichtigten Verstößen<br />
gegen das Recht<br />
Die Kenntnisse der rechtlichen Rahmenbedingungen, die für das<br />
Unternehmen und seine Geschäftstätigkeit bestehen, ist grundlegende<br />
Voraussetzung für wirksame und auf spezifischen rechtlichen<br />
Risiken eines Unternehmens angepasste Compliance Maßnahmen.<br />
Oder anders ausgedrückt: der Steuermann muss die<br />
Klippen kennen, die es zu umschiffen gilt.<br />
Es sollten Prioritäten gesetzt werden. Um das Thema überschaubar<br />
zu halten, sollten jährlich in erster Linie die aktuellen<br />
Rechtsänderungen in den Blick genommen werden. Es gilt daher<br />
insbesondere die für das Wohnungsunternehmen, relevante<br />
Rechtsänderungen (Gesetzesänderungen, Rechtsprechung) zu ermitteln,<br />
zu analysieren und zu bewerten.<br />
Dabei wird unterschieden zwischen der Änderung von Rechtsvorschriften,<br />
die die Wohnungswirtschaft besonders betreffen,<br />
und der Änderung von branchenübergreifenden Rechtsvorschriften.<br />
Risiken wegen der Änderung von Rechtsvorschriften<br />
und der Rechtsprechung, die die Wohnungswirtschaft<br />
besonders betreffen<br />
Beispiele für „wohnungswirtschaftliche“ Rechtsänderungen<br />
2021/<strong>2022</strong> sind:<br />
• Telekommunikationsgesetz und „Aus“ für<br />
Umlagefähigkeit Kabel<br />
• HeizkVO mit neuen Pflichtangaben<br />
• WEG-Recht, zertifizierter Verwalter und<br />
Corona-Sonderregelungen<br />
• Mietspiegel und einheitliche Vorgaben ab Juli <strong>2022</strong><br />
• Gewerbe im Lockdown, Frage zum Mietverzicht vor dem BGH<br />
• Baulandmobilisierung und Umwandlungsverbot<br />
• Grundsteuerreform<br />
In dem vdw Compliance Seminar werden festgestellte Risiken<br />
wegen der Änderung von „wohnungswirtschaftlichem“ Recht<br />
beispielhaft im Hinblick auf Eintrittswahrscheinlichkeit und möglichen<br />
Folgen bewertet.<br />
Compliance Programm wegen der Änderung des<br />
„wohnungswirtschaftlichen“ Rechts<br />
Nachdem die Compliance Risiken wegen geändertem „wohnungswirtschaftlichem“<br />
Recht identifiziert, analysiert und bewertet wurden,<br />
werden Maßnahmen vorgeschlagen, um Compliance Risiken<br />
zu vermeiden. Durch Beispiele wird dies im vdw Compliance-<br />
Seminar veranschaulicht.<br />
Compliance Risiken und Programm wegen<br />
Änderungen des branchenübergreifenden Rechts<br />
Entsprechend werden Risiken, Bewertungen und Maßnahmen<br />
für branchenübergreifende Rechtsänderungen zusammengestellt<br />
(z.B. Geldwäsche, Arbeitsschutz, Arbeitssicherheit, Gesellschaftsrecht,<br />
Datenschutz).
55<br />
Seminar:<br />
Compliance im Wohnungsunternehmen – Rechtliche Risiken<br />
im Wohnungsunternehmen erkennen und vermeiden<br />
Donnerstag, 17.03.<strong>2022</strong> | 09:30 – 16:30 Uhr<br />
vdw-Verbandshaus<br />
Hier geht’s zu weiteren Informationen und zur Anmeldung<br />
Zur Fallgruppe 2:<br />
Verhinderung von bewussten Verstößen gegen<br />
Rechtsvorschriften zum Vorteil des Unternehmens<br />
Beispiel Compliance Risiko<br />
Das Wohnungsunternehmen (WohnBau) hat ehrgeizige Gewinnerwartungen,<br />
die gegenüber den Mitarbeitern auch kommuniziert<br />
werden. Die dezidierten Vorgaben führen bei den motivierten<br />
Mitarbeitern mittlerweile zu Compliance Risiken: Bei Neuvermietungen<br />
wird die Mietpreisbremse gelegentlich ignoriert. Prämienrückerstattungen<br />
der Gebäudeversicherung werden bei der<br />
Betriebskostenabrechnung nicht berücksichtigt. Geförderte Wohnungen<br />
werden hin und wieder an Interessenten vermietet, die<br />
nicht zur vorgeschriebenen Zielgruppe gehören.<br />
Compliance Programm<br />
Wegen dieser Vorfälle wird die Compliance Betriebsvereinbarung<br />
ergänzt:<br />
„Grundsatz für das Handeln bei der WohnBau ist die Beachtung<br />
geltenden Rechts. Lieber verzichten wir auf ein Geschäft und auf<br />
das Erreichen interner Ziele, als gegen Gesetze zu verstoßen.“<br />
Zur Fallgruppe 3:<br />
Verhinderung von bewussten Verstößen gegen<br />
Rechtsvorschriften zum eigenen Vorteil<br />
Beispiel Compliance Risiko und Programm:<br />
„Geschenke, Zuwendungen“<br />
Der korrekte Umgang mit Geschenken, Einladungen, Bewirtungen<br />
und anderen Zuwendungen ist einer der Ecksteine einer einwandfreien<br />
Compliance.<br />
Als Umsetzungsmaßnahme kommen Betriebsvereinbarungen<br />
oder Dienstanweisungen in Betracht, die Korruption und ähnliche<br />
Gesetzesverstöße verhindern helfen und die im vdw Compliance<br />
Seminar vorgestellt werden.<br />
Beispiel Compliance Risiko und Programm:<br />
„Wohnungsvergabe“<br />
Ein weiteres Risikofeld der Wohnungswirtschaft mit Manipulationspotenzial<br />
ist die Wohnungsvergabe – ein Problem insbesondere<br />
in den Regionen, in denen Wohnungsmangel herrscht.<br />
Als Maßnahme zur Reduzierung des Compliance Risikos<br />
kommt die Umsetzung durch ein internes Kontrollsystem (IKS) in<br />
Betracht, das im vdw Compliance Seminar beschrieben wird.<br />
Compliance Organisation<br />
Das Management regelt die Rollen und Verantwortlichkeiten (Aufgaben)<br />
sowie Aufbau- und Ablauforganisation im Compliance<br />
Management System.<br />
Compliance Kommunikation<br />
Mit der Compliance Kommunikation soll sichergestellt werden,<br />
dass die Mitarbeiter über die sie betreffenden Grundsätze und<br />
Maßnahmen des Compliance Programms und die ihnen zugewiesenen<br />
Aufgaben informiert werden.<br />
Im Rahmen des vdw Compliance Seminars wird ein Schulungsprogramm<br />
für Mitarbeiter zu den Compliance Anforderungen vorgestellt.<br />
Compliance Überwachung, Verbesserung<br />
Die Verantwortung für die Durchsetzung des Compliance Management<br />
Systems liegt bei der Unternehmensleitung. Aufbauend<br />
auf dem dokumentierten Compliance Management System wird<br />
regelmäßig überprüft, welche Verbesserungen möglich und sinnvoll<br />
sind.<br />
Mit dem Compliance Management System des Instituts für<br />
Wirtschaftsprüfer, ergänzt um die Informationen aus dem vdw<br />
Compliance Seminar, können auch kleinere und Wohnungsunternehmen<br />
mittlerer Größe ein auf die Bedürfnisse des Wohnungsunternehmens<br />
zugeschnittenes Compliance Management System<br />
entwickeln. h
Real Estate Arena<br />
VON HARTWIG VON SASS DEUTSCHE MESSE AG<br />
Real Estate Arena:<br />
Bei der neuen Messe<br />
spielt der Wohnungsbau<br />
die Hauptrolle
57<br />
HARTWIG VON SASS<br />
Wer von außen auf die Immobilienwirtschaft schaut, identifiziert<br />
die Herausforderungen sehr schnell: Klimawandel, Zukunft der Innenstädte<br />
und – natürlich – Zukunft des Wohnungsbaus.<br />
Das hat auch die neue Bundesregierung erkannt; und die Ankündigung<br />
auf Seite 88 des Koalitionsvertrags ist klar und deutlich.<br />
400000 Wohnungen sollen in Deutschland fortan pro Jahr<br />
entstehen, davon 100000 gefördert. Gleichzeitig spricht sich die<br />
Koalition aber auch für mehr Klimaschutz und weniger Bodenversiegelung<br />
aus. Wie soll das alles zusammengehen? Das bleibt<br />
bislang offen.Klar ist auf jeden Fall: Den Wohnungsbauunternehmen<br />
laufen die Kosten weg. Die baurechtlichen und bautechnischen<br />
Anforderungen an die Gebäude erhöhten sich mit Blick auf<br />
den Klimaschutz schon in den vergangenen Jahren immer weiter.<br />
Aktuell kommen rasant steigende Preise für Baumaterial hinzu.<br />
Diese Entwicklungen machen es mittlerweile inzwischen fast<br />
unmöglich, Wohnraum zu schaffen, der für die späteren Mieter<br />
noch bezahlbar erscheint. Für die kommen dann noch die ebenfalls<br />
explosionsartig steigenden Energiekosten hinzu. Wohnen<br />
– gerade mit Blick auf Neubauten – droht immer mehr zu einer<br />
Form von Luxus zu werden.<br />
Dennoch hat die Diskussion zwischen Wirtschaft und Politik<br />
häufig eine spürbare Schieflage, denn der Blick auf das Problem<br />
konzentriert sich allzu oft auf die A-Städte. Zweifelsohne sind in<br />
München, Berlin oder Frankfurt die Wohnraumprobleme eklatant,<br />
aber auch die B- und C-Städte sehen sich dieser Herausforderung<br />
immer stärker gegenüber und müssen Lösungen entwickeln, die<br />
für sie passen.<br />
Eine neue Immobilienmesse in Hannover – die Real Estate<br />
Arena – will nun die Belange der B- und C-Standorte in den Mittelpunkt<br />
stellen und alle Herausforderungen der Immobilienbranche<br />
aus dieser Perspektive diskutieren. Im Zentrum stehen dabei auch<br />
die Themen Wohnungsbau und Nachhaltigkeit. Braunschweig<br />
und Berlin haben die gleichen Probleme, aber Braunschweig<br />
braucht andere Lösungen.<br />
Da der vdw Niedersachsen Bremen schon von Beginn an in<br />
die Planungen der neuen Messe eingebunden war, stehen die<br />
Themen der Wohnungswirtschaft ganz oben auf der Agenda.<br />
Die Keynote zum Thema wird GdW-Präsident Axel Gedaschko<br />
gleich zum Auftakt am 18. Mai auf dem Messegelände sprechen.<br />
Er greift die „Quadratur des Kreises“ auf: Wie Wohnungsbau<br />
bezahlbar und gleichzeitig klimaneutral werden kann. Der GdW<br />
wird sich mit einem eigenen Stand auf der Real Estate Arena präsentieren.<br />
Dort soll zusammen mit Partnern gezeigt werden, was<br />
heutzutage mit Blick auf Nachhaltigkeit schon möglich ist – und<br />
dass der Wohnungsbau in der Zukunft nicht Teil des Problems,<br />
sondern Teil der Lösung sein wird.<br />
Zudem will die Messe Brücken bauen und eine Plattform für<br />
das Netzwerken auch über die Branchengrenzen hinaus schaffen.<br />
Die Grundlage dafür sind zahlreiche Kooperationen mit<br />
Verbänden und Organisationen, die die Veranstaltung inhaltlich<br />
unterstützen. Neben dem Städte- und Gemeindebund, dem Städtetag,<br />
dem Bauindustrieverband, der Deutschen Gesellschaft für<br />
nachhaltiges Bauen sowie dem Bund deutscher Architektinnen<br />
und Architekten sind das auch die Immobilienjunioren und der<br />
Zentrale Immobilienausschuss. Und natürlich der vdw, der <strong>VNW</strong><br />
und der GdW. Die Schirmherrschaft hat Niedersachsens Umweltund<br />
Bauminister Olaf Lies übernommen.<br />
Für die Premiere der Real Estate Arena liegen nach Veranstalterangaben<br />
schon zahlreiche Anmeldungen von spannenden<br />
Unternehmen der Branche vor, auch aus angrenzenden Bereichen<br />
wie etwa dem Handel. Somit kann aus der Real Estate Arena in<br />
Hannover für die Branche neben anderen Veranstaltungen in<br />
Süddeutschland eine starke Veranstaltung entstehen, bei der die<br />
Themen und Inhalte stärker im Fokus stehen.<br />
Für interessierte Unternehmen ist die Beteiligung an der Real<br />
Estate Arena mit wenige Aufwand verbunden. Denn die Deutsche<br />
Messe bietet schlüsselfertige Beteiligungspakete an, die insbesondere<br />
für Unternehmen interessant sind, die keine eigene Messeabteilung<br />
haben oder die Zusammenarbeit mit Messebauern<br />
scheuen.<br />
Nähere Informationen sind unter www.real-estate-arena.<br />
com zu finden. Ansprechpartner bei der Deutschen Messe in<br />
Hannover ist Hartwig von Saß (hartwig.vonsass@messe.de oder<br />
0511.8931155) h
58<br />
Wohnungspolitik Interview<br />
„Es wird für alle Seiten<br />
einfacher“<br />
MATTHIAS HERTER<br />
Matthias Herter, Vorsitzender der Geschäftsführung<br />
der meravis Immobiliengruppe und Geschäftsführer<br />
von Spiri.Bo, über das digitale Plattformangebot<br />
der jungen Hamburger Firma, neue Erlösquellen für<br />
Wohnungsunternehmen, die Umsetzung der EED-<br />
Heizkostenverordnung und wie man mit gut aufbereiteten<br />
Daten sogar bei Mietern punktet.<br />
magazin: Herr Herter, womit genau beschäftigt sich Ihr<br />
Hamburger Startup?<br />
Matthias Herter: Ich muss ein wenig lächeln, denn aus meiner<br />
Sicht ist Spiri.Bo gar kein Startup mehr. Es gibt unser Tochterunternehmen<br />
in der Hansestadt nun bereits drei Jahre. Schon vor<br />
zwei Jahren haben die Kolleginnen und Kollegen die erste voll<br />
funktionsfähige Version der Spiri.Bo-App auf dem Markt vorgestellt.<br />
Seitdem ist viel passiert.<br />
magazin: Sie sprechen von der Corona-Pandemie?<br />
Herter: In der Tat meine ich nicht die Pandemie, obwohl der Umgang<br />
damit uns alle natürlich beschäftigt hat und noch beschäftigt.<br />
Tatsächlich beziehe ich mich auf die Entwicklung und die<br />
Fortschritte von Spiri.Bo.<br />
magazin: Beschreiben Sie die bitte näher.<br />
Herter: Spiri.Bo ist weit mehr als eine Mieter-App. Wir bieten<br />
unseren Partnern aus der Wohnungswirtschaft heute eine Wohnserviceplattform<br />
an, deren Angebot ständig ausgebaut wird. Es<br />
ist ein digitales Ökosystem. Damit kann jedes Unternehmen seine<br />
Kundenbeziehungen entsprechend seines jeweils ganz eigenen<br />
Bedarfs völlig neu aufstellen.<br />
magazin: Was meinen Sie damit?<br />
Herter: Ich spreche damit den digitalen Transformationsprozess<br />
an, den jedes Unternehmen der Wohnungswirtschaft seit einiger<br />
Zeit durchläuft. Bei Spiri.Bo haben wir die Transformation des<br />
Mieterservices im Fokus. Wir unterstützen Value-Add-, also Mehr-<br />
wertstrategien um das wohnungswirtschaftliche Kerngeschäft<br />
herum. Damit meine ich kundenorientierte Dienstleistungen, die<br />
im engen Bezug zum Vermietungsgeschäft stehen.<br />
magazin: Was bieten Sie an?<br />
Herter: Spiri.Bo gibt ganz im Sinne der Plattformökonomie den<br />
Wohnungsunternehmen ein Serviceportfolio für zusätzliche Umsätze.<br />
Die Mieter-App erscheint ja für den Mieter im Look and Feel<br />
des jeweiligen Wohnungsunternehmens. Über ihre App können<br />
die Mieter dann zusätzliche Serviceangebote etwa für die Medienversorgung<br />
oder für Versicherungen rund ums Wohnen bis hin<br />
zu lokalen Dienstleistungen rund um ihr Quartier buchen. Auch<br />
Produkte aus dem Internet der Dinge (IoT-) wie Smartwatches für<br />
Senioren oder GPS-Tracker für Hunde könnten auf dem integrierten<br />
Marktplatz erworben werden. Weiteres Beispiel: Gibt es ein<br />
Mieterstrommodell, kann dies ebenfalls über die App angesteuert<br />
werden.<br />
magazin: Sie haben also durchaus eine veränderte Beziehung<br />
zwischen Vermieter und Mieter im Sinn?<br />
Herter: Das ist richtig. Der Vermieter wird mit diesen Angeboten<br />
zum Partner seines Kunden, des Mieters. Dies alles spiegelt<br />
unsere Vision vom Wohnen der Zukunft wider und die Überzeugung,<br />
dass glückliche Mieter der Schlüssel zu einer guten und<br />
langfristigen Kundenbindung sind. Etwas, das in Zukunft noch<br />
wichtiger wird und sowohl der Werterhaltung des Bestands dient<br />
als auch zusätzliche Einnahmen für Wohnungsunternehmen generiert,<br />
wenn andere Erlösquellen etwa durch Mietanpassungen<br />
nicht mehr so sprudeln.<br />
f
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Überlegen<br />
Sie mal, welche<br />
Bedeutung eine<br />
Tür haben kann.<br />
Eine Wohnungseingangstür von Daloc stoppt nicht nur Essensgerüche.<br />
Sie schützt auch gegen Feuer und giftigen Rauch sowie Einbrecher und<br />
Lärm. Sie macht es möglich, dass man sich in seiner Wohnung sicher<br />
und wohlfühlen kann.<br />
Unsere Wohnungseingangstür ist so gebaut, dass sie jahrzehntelang<br />
hält, ohne dabei ihre schützenden Eigenschaften zu verlieren. Sie ist<br />
eine Investition fürs Leben. Und doch kostet sie nicht viel mehr als eine<br />
herkömmliche Tür. Wie ist das möglich?<br />
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60 Interview<br />
„Sondern es geht um konkrete Verbraucherinformation<br />
und ein Aufklärungstool zum<br />
besseren Miteinander und zum Klimaschutz. ”<br />
magazin: Welche Technik verbirgt sich hinter der Wohnserviceplattform?<br />
Herter: Im Kern ist Spiri.Bo ein Webservice. Die Anbindung erfolgt<br />
über offene Schnittstellen, sogenannte APIs (Application<br />
Programming Interface). Damit werden, einfach ausgedrückt, Informationen<br />
von einer Schnittstelle – etwa einer Mobil-App – an<br />
eine andere weiterleitet. So verbinden APIs verschiedene Teile einer<br />
Softwareplattform mit dem Ziel, dass Informationen am richtigen<br />
Ort landen. Bei Spiri.Bo greift etwa die virtuelle Assistentin<br />
LISAH auf unsere Wissensdatenbank mit dem gesammelten Branchenwissen<br />
der Wohnungswirtschaft zu. LISAH ist ein Chatbot,<br />
ein Sprachassistenzsystem, mit dem der Mieter via App kommunizieren<br />
und viele Themen selbst lösen kann.<br />
magazin: Es geht also um Selfservice?<br />
Herter: Selfservice hört sich immer ein wenig nach Geld- oder<br />
Kaffeeautomat an. Hier geht es aber um mehr, um Mehrwert für<br />
den Mieter und den Vermieter. Dieser Bot ist, anders als es eine<br />
Mieter-Hotline kann, 24 Stunden 7 Tage die Woche im Einsatz.<br />
Wenn also nachts im Bad die Toilettenspülung kaputt geht, kann<br />
der Mieter gleich ein Foto machen und via LISAH den Mieterservice<br />
informieren. Dessen Mitarbeiter weiß nicht nur morgens früh<br />
gleich Bescheid. Er weiß über die Anbindung der Spiri.Bo-Plattform<br />
an das unternehmenseigene ERP-System auch gleich die<br />
Adresse des Mieters und kennt mögliche Besonderheiten des Objekts.<br />
Und der Mitarbeiter kann sofort einen Handwerker zur richtigen<br />
Wohnung schicken und den Mieter darüber informieren.<br />
Wir realisieren über unsere Plattform die Vernetzung aller Informationen<br />
alle betroffenen Stellen, so auch externer Dienstleister.<br />
magazin: Mit der Vernetzung sprechen Sie die Organisation<br />
hinter der Plattform an?<br />
Herter: Ich sprach von Spiri.Bo als einem Webservice. Als Teil davon<br />
stellen wir den Wohnungsunternehmen das Spiri.Bo-Cockpit<br />
zur Verfügung. Damit kann jedes Unternehmen seine eigene Kundenservicestrategie<br />
ausspielen und alle Kommunikationskanäle<br />
bündeln.<br />
magazin: Sie meinen, für den Vermieter wird es leichter, mit<br />
seinen Mietern, sprich: Kunden zu kommunizieren?<br />
Herter: Ja, es wird tatsächlich für beide Seiten einfacher. Für das<br />
Wohnungsunternehmen ist durch Kooperation mit der Plattform<br />
ein Update immer garantiert. Denn die Plattform ist immer auf<br />
dem neuesten Stand. Und dies gilt natürlich auch für das UX, was<br />
fortlaufend weiterentwickelt wird. UX steht für User-Experience-<br />
Design. UX-Design befasst sich mit der Analyse, Kreation und<br />
Optimierung der Nutzererfahrung.<br />
magazin: Das bedeutet …<br />
Herter: … die Informationen am Bildschirm oder in einer App<br />
so einfach wie möglich darzustellen und den Nutzer dadurch so<br />
bequem und schnell wie möglich an das gewünschte Ziel zu bringen.<br />
Auf gutes UX-Design haben wir bei der Entwicklung von<br />
Spiri.Bo von Anfang an großen Wert gelegt. Wenn Sie unsere App<br />
und das Cockpit mit anderen Produkten am Markt vergleichen,<br />
fällt der Unterschied sofort ins Auge. Die leichte, intuitive Bedienbarkeit<br />
hält den Nutzer am Gerät. Er oder sie haben Spaß, die App<br />
zu nutzen. Weil sie gut aussieht und weil sie den Nutzen für sich<br />
sofort erkennen.<br />
magazin: Nennen Sie ein Beispiel.<br />
Herter: Aktuell stellt die Umsetzung der EED-Heizkostenverordnung<br />
fast alle Wohnungsunternehmen vor große Herausforderungen.<br />
Informations- und Transparenzpflicht klingt auf dem<br />
Papier sehr schön und einfach. Und auch der Leitfaden, den das<br />
Umweltbundesamt für die Umsetzung für verständliche monatliche<br />
Heizinformationen herausgegeben hat, enthält viele bunte<br />
Beispiele. Doch das tatsächliche Aufbereiten und zur Verfügungstellen<br />
dieser Informationen für die Mieter stellt eine große Hürde<br />
für die Unternehmen dar.<br />
magazin: Spiri.Bo kann das besser?<br />
Herter: Ja, so selbstbewusst sind wir. Es geht nicht nur darum,<br />
eine mehr oder minder lesbare Tabelle als Nachricht an den Mieter<br />
zu versenden. Sondern es geht um konkrete Verbraucherinformation<br />
und ein Aufklärungstool zum besseren Miteinander und zum<br />
Klimaschutz. Das entspricht nicht nur dem Willen der EU-Kommission<br />
beziehungsweise des Gesetzgebers. Das entspricht auch<br />
dem wachsenden Wunsch unserer Mieter und der Verbraucher.<br />
Sie wollen ja etwas tun fürs Klima. Und wir geben ihnen nicht nur<br />
die richtigen Informationen, Stichwort API und Anbindung aller<br />
relevanten Datenlieferanten wie etwa Heizungs- und Warmwassermessgeräte.<br />
Sondern die Mieter erhalten diese Informationen<br />
auch so aufbereitet, dass sie sie sofort verstehen und etwa Sparpotenziale<br />
auch sofort erkennen.<br />
magazin: Wie machen Sie das?<br />
Herter: Mithilfe der Datenbank mit dem darin gesammelten<br />
Branchenwissen. Es ermöglicht etwa, Verbräuche über Bestandsgrenzen<br />
hinweg zu vergleichen. Anonymisiert natürlich. Aber auf<br />
diese Daten kann jedes angeschlossene Unternehmen zurückgreifen.<br />
Damit eignet sich Spiri.Bo auch für kleinere Wohnungsunternehmen,<br />
die nicht über einen so großen Bestand verfügen.
61<br />
magazin: Das hört sich fast wie ein genossenschaftlicher<br />
Ansatz mit digitalen Mitteln an?<br />
Herter: Unsere Kunden profitieren insgesamt davon, dass wir<br />
fundierte Expertise, 25 Jahre Praxis in der Entwicklung und Durchführung<br />
digitaler Projekte und ein reiches Netzwerk an Partnerschaften<br />
kombinieren. Hinzu kommt das kooperative Handeln.<br />
Wir bringen das angesammelte Wissen der vielen beteiligten<br />
Unternehmen zusammen. Das eine mag an einer Stelle ein wenig<br />
weiter sein als das andere. Aber alle partizipieren und profitieren<br />
am gesamten Knowhow. Und natürlich verweist die partnerschaftliche<br />
Haltung vis-à-vis den Mietern auf die genossenschaftlichen<br />
Wurzeln der meravis Immobiliengruppe und ist von Anfang<br />
an auch Teil der DNA und der Vision von Spiri.Bo. Alle unsere Produkte<br />
entwickeln wir mit dem Wissen der Wohnungswirtschaft<br />
für die Wohnungswirtschaft.<br />
magazin: Sehen Sie Spiri.Bo auch als eine Entlastung für<br />
den Mieterservice?<br />
Herter: Das sehe ich in der Tat. Unser Ziel sind nicht nur zufriedene<br />
Mieter, sondern auch zufriedene Mitarbeiter. Wenn die<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Routineaufgaben entlastet<br />
werden, erhalten sie neue Freiräume. Und mit zufriedenen<br />
Mietern lassen sich neue Umsätze generieren. h<br />
Das ist Spiri.Bo<br />
Die Spiri.Bo GmbH wurde 2019 in Hamburg<br />
gegründet. Das Unternehmen ist eine Tochtergesellschaft<br />
der meravis Immobiliengruppe aus<br />
Hannover und hat derzeit 20 Mitarbeiter. Spiri.<br />
Bo versteht sich als PropTech-Unternehmen zur<br />
Digitalisierung der Wohnungswirtschaft. Mit<br />
einem Team aus Immobilien- und IT- und Digitalisierungs-Experten<br />
wurde die digitale Home-<br />
Service-Plattform SPIRI.BO entwickelt. Sie setzt<br />
neue Maßstäbe im Wohnungsservice.<br />
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Vertrauen Sie auf einen Energiepartner, der die Anforderungen der Wohnungswirtschaft kennt.<br />
Der Erfahrung und Innovation einsetzt und so die besten Lösungen für Sie findet. Auch für die Zukunft.<br />
Egal ob es um Energie und Wärme, E-Ladestationen, Photovoltaik oder<br />
andere nützliche Dienstleistungen geht.<br />
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62 Digitale Transformation<br />
Digitale Transformation<br />
zukunftsorientiert<br />
gestalten
63<br />
TORSTEN RAU<br />
MARKUS HANNE<br />
Die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft steht vor großen Herausforderungen<br />
– von der CO 2<br />
-Reduktion, der Diskussion um Mietpreis<br />
und Wohnungsmangel über den demografischen Wandel bis hin zu<br />
neuen Wohn-, Arbeits- und Lebenskonzepten sowie Anforderungen zur<br />
Kosteneffizienz. Um diese zu meistern und erfolgreich zu wirtschaften,<br />
ist die digitale Transformation zu einem wichtigen Erfolgsfaktor für<br />
die Unternehmen geworden. Digitale Ökosysteme spielen hier eine<br />
wesentliche Rolle.<br />
VON TORSTEN RAU<br />
GESCHÄFTSFÜHRER OPERATIONS DER AAREON DEUTSCHLAND GMBH UND VORSITZENDER DER GESCHÄFTSLEITUNG.<br />
MARKUS HANNE<br />
GAP MBH, BREMEN. DIE GAP-GROUP IST SEIT OKTOBER 2021 EIN UNTERNEHMEN DER AAREON GRUPPE.<br />
Über die Digitalisierung der unternehmerischen Kernprozesse<br />
hinaus werden intelligente Technologien für smarte Gebäude und<br />
Prozesse die Voraussetzung sein, um nachhaltig Mehrwerte zu<br />
generieren. Das kann nicht nur die Energieeffizienz und Attraktivität<br />
von Immobilien und Quartieren steigern, sondern weitere<br />
Mehrwerte für Bewohner und die Gesellschaft schaffen, wie die<br />
nachfolgenden Szenarien beispielhaft zeigen.<br />
Digitale Lösungen unterstützen CO 2<br />
-Reduktion<br />
Die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft hat in den vergangenen<br />
Jahren bereits intensiv in die Energieeffizienz von Gebäuden<br />
investiert – insbesondere in deren Dämmung. Das hat aber noch<br />
nicht ausgereicht, um den Energieverbrauch signifikant zu reduzieren.<br />
Denn letztlich ist dieser auch vom Verbrauchsverhalten der<br />
Bewohner abhängig. Wird die Heizung nicht bedarfsgerecht reguliert,<br />
wird falsch gelüftet oder werden viele nicht genutzte Elektrogeräte<br />
dauerhaft im Stand-by-Modus betrieben, bleibt der Gebäudebeitrag<br />
zur CO 2<br />
-Reduktion überschaubar. Erhält der Bewohner<br />
jedoch mithilfe digitaler Lösungen Informationen über seinen<br />
Energieverbrauch, wird für ihn transparent, wie sich sein Nutzverhalten<br />
auf die Nebenkosten auswirkt. Der Anreiz, das eigene Verhalten<br />
anzupassen, kann sich dadurch deutlich erhöhen. Investiert<br />
ein Immobilienunternehmen zusätzlich in die smarte Ausstattung<br />
seines Wohnungsbestands, kann ein auf künstlicher Intelligenz<br />
basierendes lernendes System mithilfe von Sensoren und Datenanalyse<br />
die Energienutzung für den Bewohner optimal steuern.<br />
Im Alter in den eigenen vier Wänden<br />
dank smarter Systeme<br />
Auch in Bezug auf den demografischen Wandel kann die Digitalisierung<br />
einen wichtigen Beitrag leisten. In der Regel wollen die<br />
Menschen im Alter so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänf
64 Digitale Transformation<br />
den und dem gewohnten Umfeld bleiben. Intelligente Lösungen<br />
können dabei unterstützen. Eine Ausstattung der Wohnung mit<br />
Sensoren kann beispielsweise verhindern, dass Türen und Fenster<br />
ungewollt offen oder Herd und Ofen angeschaltet bleiben. Auch<br />
Bewegungsmuster in der Wohnung können beobachtet werden,<br />
sodass im Notfall automatisch Alarm beim Pflegedienst ausgelöst<br />
werden kann. Ein virtueller Assistent auf Basis von künstlicher<br />
Intelligenz und Sprachfunktion kann im Alltag oder beispielsweise<br />
bei beginnender Demenz eine große Hilfe sein. Vorteilhaft<br />
kann auch eine digitale Vernetzung mit dem Arzt sein – in Form<br />
einer Online-Sprechstunde oder über Geräte, die Informationen<br />
über den Gesundheitszustand senden. Weitere Unterstützung im<br />
Wohngebäude oder im Quartier kann zudem eine über die Mieter-<br />
App verfügbare Nachbarschaftshilfe bieten.<br />
Arbeitswelt im nachhaltigen Wandel<br />
Zudem hat die sich wandelnde Arbeitswelt Auswirkungen auf<br />
die Quartiers- und Wohnraumentwicklung. Die Corona-Pandemie<br />
hat den digitalen Transformationsprozess in der Arbeitswelt<br />
deutlich beschleunigt. So ist ein Großteil der Arbeitnehmer bin-<br />
nen kurzer Zeit zum Homeoffice-Mitarbeiter geworden. Allerdings<br />
sind die Wohnungen – gerade wenn mehrere Familienmitglieder<br />
im Homeoffice arbeiten – oft noch nicht darauf ausgelegt. Alternativ<br />
bietet sich hier die Nutzung von Co-Working-Bereichen im<br />
Quartier an. Raumbuchungen dafür sowie auch für andere<br />
Community-Räume könnten dann ebenfalls über eine Mieter-App<br />
vorgenommen werden.<br />
Wegbereiter digitale Transformation<br />
Die beschriebenen Szenarien verdeutlichen den Nutzen und die<br />
vielfältigen Chancen, die die Digitalisierung der Wohnungs- und<br />
Immobilienwirtschaft bietet. Eins ist jedoch klar: Die Grundlage,<br />
um diesen Transformationsprozess in der Branche zu managen<br />
und neue Lösungen integrieren zu können, bilden digitale Ökosysteme,<br />
die Daten intelligent nutzen. Mit dem ERP-System als<br />
Kernstück und Drehscheibe aller Geschäftsabläufe vernetzen digitale<br />
Ökosysteme Immobilienunternehmen bzw. deren Mitarbeiter<br />
über verschiedene digitale Lösungen mit Kunden, Geschäftspartnern<br />
sowie technischer Geräteausstattung in Wohnungen und Gebäuden.<br />
Damit gewährleisten sie nahtlose Ende-zu-Ende-Prozesse.
65<br />
Beziehungsgefüge einfacher, effizienter und<br />
wirtschaftlicher steuern<br />
Bildet ein digitales Ökosystem die Wertschöpfungskette der Wohnungs-<br />
und Immobilienunternehmen ab, können diese ihre komplexen<br />
Beziehungsgefüge einfacher und wirtschaftlicher steuern.<br />
So sind beispielsweise alle Prozesse eines Mieterlebenszyklus zu<br />
einer ganzheitlichen Kundenbeziehung vernetzt, und bei der Instandhaltung<br />
verzahnt sich das Kundenbeziehungsmanagement<br />
reibungslos mit den Prozessen zur Einbindung der Lieferanten.<br />
Eine smarte Anbindung von Gebäudetechnik an das digitale Ökosystem<br />
und Lösungen, die Daten intelligent nutzen, ermöglichen<br />
es den Unternehmen, ihre Immobilien – unter anderem durch vorausschauende<br />
Wartung und ein strategisches Instandhaltungsmanagement<br />
– effektiver und energieeffizienter zu bewirtschaften.<br />
Außerdem profitieren Unternehmen in einem digitalen Ökosystem<br />
von umfassenden und vielfältigen Möglichkeiten. Diese erlauben<br />
jederzeit, bedarfsspezifisch, schnell und komfortabel weitere Anwendungen<br />
anzubinden und das Ökosystem für das Unternehmen<br />
passgenau aufzubauen. Die Wahl der Lösungen ist dabei<br />
über Standardschnittstellen offen – denn „one size fits all“ ist kein<br />
Credo des digitalen Fortschritts. Dies gilt im Übrigen auch für den<br />
Kern der digitalen Strategie – denn moderne Ökosysteme integrieren<br />
mehr als ein ERP-System.<br />
Vor diesem Hintergrund investiert die Aareon Gruppe intensiv<br />
in Forschung und Entwicklung für den zukunftsorientierten Ausbau<br />
der Aareon Smart World. Mithilfe von neuen Technologien wie<br />
künstlicher Intelligenz und Business Intelligence werden ein hoher<br />
Automatisierungsgrad, mehr Komfort und weitere Mehrwerte für<br />
Immobilienunternehmen und die Gesellschaft geschaffen. Bei der<br />
Weiterentwicklung des Angebotsportfolios greifen Pioniergeist<br />
und Co-Creation ineinander: Immobilienunternehmen, Bewohner<br />
und andere Partner werden mit ihren Anforderungen eng in den<br />
Entwicklungsprozess eingebunden. Auf diese Weise entstehen<br />
Lösungen, die das Arbeiten und Leben vereinfachen. h<br />
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66<br />
Digitalisierung<br />
Mit Drohnen und<br />
Innenscan zur digitalen<br />
Gebäudeakte<br />
Wie Digitalisierung helfen kann, das Instandhaltungsmanagement<br />
effektiv und transparent vom Schreibtisch aus durchzuführen.<br />
VON MATTHIAS HARTMANN CEO UND GRÜNDER DER IMMOTECH PLATTFORM GMBH
67<br />
Dortmund. In Zeiten von Fachkräftemangel und steigender Erwartungshaltung<br />
von Mietern und Eigentümern ist es nötig, auch<br />
das Gebäude- und Instandhaltungsmanagement zu erneuern und<br />
zu digitalisieren. In den letzten Jahren zog die Digitalisierung in<br />
der Immobilienbranche primär im Bereich der Neubauten ein, wo<br />
durch BIM und digitale Zwillinge bereits erhebliches Potenzial gehoben<br />
wurde. Doch speziell große Immobiliengesellschaften stehen<br />
vor der Herausforderung, die bereits im Einsatz befindlichen<br />
Systeme auf einen einheitlichen Stand zu bringen und Daten ihrer<br />
Objekte zu erheben, von denen viele schon weit vor dem Gedanken<br />
an „Digitalisierung“ erbaut worden sind. Das allumfassende<br />
Problem ist schlichtweg: Es fehlt an Daten!<br />
Modernste Technik<br />
Der Gedanke, einen digitalen Zwilling der eigenen Objekte oder<br />
Nutzungseinheiten verwenden zu können, ist insgeheim ein lang<br />
gehegter Wunsch, doch die Möglichkeiten waren bisher begrenzt.<br />
Mit Hilfe modernster Drohnen- sowie Innenscan-Technologie ist<br />
es mittlerweile möglich, bereits jahrhundertealte Gebäude digital<br />
abzubilden und jede noch so abgelegene Ecke zu erfassen. Gerade<br />
der Einsatz moderner Innenraumscanner machen das Innere<br />
des Gebäudes digital zugänglich. Dadurch bleibt kein Winkel des<br />
Gebäudes unentdeckt und vor allem wird die Möglichkeit geschaffen,<br />
die bestehenden Objekte virtuell zu begehen – und zwar von<br />
jedem Winkel der Erde aus.<br />
Unser Startup aus Dortmund wurde mit dieser Vision im Kopf<br />
gegründet und hat sich der Herausforderung angenommen. „Instandhaltungsmanagement<br />
vom Schreibtisch aus“ ist das Stichwort.<br />
Das Besondere hieran ist nicht der Einsatz der Technologie,<br />
sondern die Zusammenführung, Auswertung und Verfügbarkeit<br />
aller gesammelten Daten und Informationen auf einer Plattform,<br />
objektbezogen und anwendungsorientiert sowohl für Immobiliengesellschaften<br />
und Verwalter als auch für Städte und Gemeinden.<br />
Im Rahmen der Bauabnahme<br />
Wie bereits angeführt sind Daten und Informationen, teilweise<br />
sogar digitale Zwillinge bei Neubauten verhältnismäßig gut verbreitet.<br />
Diese Basisinformationen aus der Planung können über die<br />
Digitalisierungstechnologien mit den entstandenen realen Objektinformationen<br />
übereinandergelegt werden. Hieraus ergibt sich in<br />
der Praxis eine viel konkretere Datenbasis ab Zeitpunkt der Bauabnahme.<br />
“Wir nutzen die Dienste zur digitalen Bauabnahme von<br />
Neubauprojekten. So haben wir direkt eine Mängelliste,<br />
die wir abarbeiten können und zugleich den Zustand der<br />
Erstvermietung digital dokumentiert.”, äußert sich Tilo Eichler,<br />
Leiter des Kunden- und Objektmanagements der eG Wohnen<br />
1902 in Cottbus.<br />
Neben dem Aspekt der Transparenz in Bezug auf den Ist-Zustand<br />
des abgenommenen Objektes werden durch die Gebäudedigitalisierung<br />
signifikant häufiger Unsauberkeiten im Rahmen der Bauabnahme<br />
entdeckt. Diese führen im Lebenszyklus des Objektes zu<br />
Schäden, welche vermeidbar gewesen wären.<br />
Auslaufen der Gewährleistungsfristen<br />
Darüber hinaus führt Tilo Eichler aus, dass “die Digitalisierung<br />
und Begutachtung von Gebäuden, die aus der Gewährleistung<br />
laufen ein weiterer sinnvoller Use-Case für die eG<br />
Wohnen 1902, Cottbus darstellt. Dies ist ein wichtiger Moment<br />
im Lebenszyklus eines Gebäudes, der oft übersehen<br />
wird.”<br />
So konnten teilweise Primärschäden oder Baumängel vor Ablauf<br />
der Gewährleistung aufgezeigt werden, welche klassischerweise<br />
erst einige Jahre später durch deren Folgeschäden festgestellt<br />
worden wären.<br />
ImmoTech bietet darüber hinaus staatlich zertifizierte Schadensgutachten<br />
auf Basis der digitalen Daten an, die von erfahrenen<br />
Gutachtern mit und auf der Plattform erstellt werden. Für beide<br />
Seiten ein klarer Gewinn; die Gutachten erreichen aufgrund der<br />
Qualität des Rohmaterials eine außerordentliche Genauigkeit und<br />
f
68 Digitalisierung<br />
Über die ImmoTech Plattform GmbH<br />
Die ImmoTech Plattform GmbH – gegründet von<br />
Experten aus der Immobilienwirtschaft – bietet u.a.<br />
digitale Gebäudeakten und weitere interagierende<br />
Services, die ein vereinfachtes Instandhaltungsmanagement<br />
für Verwalter, Eigentümer oder auch<br />
Städte und Gemeinden ermöglichen.<br />
durch die Abwicklung über die Plattform eine verlässliche Standardisierung.<br />
Für die Gutachter bleiben umfangreiche Besichtigungen<br />
vor Ort aus, so dass hochwertige Schadensgutachten schnell und<br />
komfortabel erstellt werden können.<br />
Monitoring von Instandhaltungsbudgets<br />
Unabhängig von konkreten Fällen wie der Bauabnahme, dem Auslaufen<br />
der Gewährleistung oder in einem konkreten Schadensfall<br />
können digitale Objektdaten bei der langfristigen Planung einen<br />
erheblichen Mehrwert liefern.<br />
Timo Schäfer, Geschäftsführer der WBG der Stadt Zirndorf<br />
stellt klar: „Für uns stellt die Energieneutralität bis 2045 eine<br />
erhebliche Herausforderung dar. Gestartet im Juli 2021 haben<br />
wir jetzt bereits rund 60 Prozent unserer Gebäude als<br />
digitalen Zwilling auf der Plattform.“<br />
Um das Instandhaltungsbudget modern zu kontrollieren, ist es<br />
für die WBG notwendig, eine umfangreiche Übersicht über alle<br />
Objekte sowie deren aktuelle Zustände inklusive der unterschiedlichen<br />
Instandhaltungsmaßnahmen zu erhalten. Eine Eingliederung<br />
in kurz-, mittel- und langfristig notwendige Maßnahmen ermöglicht,<br />
den Fokus auf zukünftige Projekte zu lenken und hierbei<br />
gleichzeitig energetische Optimierungen zu berücksichtigen. Die<br />
Simplifizierung des Prozesses und die daraus resultierende Transparenz<br />
trägt zum sukzessiven Erfolg des Unternehmens bei, da<br />
sich durch den geschaffenen Überblick auf der Plattform weitere<br />
Bereiche erschließen und das Immobilien-Portfolio ganzheitlich<br />
besser, schneller und einfacher betreut wird.<br />
Oder wie es Tilo Eichler formuliert: „Durch die übersichtliche<br />
und transparente Datenbereitstellung konnten wir bereits<br />
Mängel evaluieren und umfassend beheben, ohne im Schadensfall<br />
Zeit zu verlieren.“<br />
Eine regelmäßige Erfassung des Objektzustandes per Drohne<br />
und Innenraumscan ist elementar. Dieses kann helfen, effektiver<br />
zu planen und zu erneuern und somit Schäden bereits proaktiv zu<br />
erkennen und zu beseitigen.<br />
„Der BVE testet im Rahmen seiner Unternehmensentwicklung<br />
vielversprechende Lösungsansätze in den unterschiedlichsten<br />
Bereichen, von Digitalisierungs- bis hin zu<br />
Nachhaltigkeitsthemen. In einem Pilotprojekt analysieren<br />
wir gemeinsam mit der ImmoTech Plattform GmbH die umfassenden<br />
Möglichkeiten, die sich aus der Erfassung von<br />
Gebäudedaten per Drohnenflug ergeben. Und das zum<br />
Start der Modernisierungsplanung des Objektes“, so Knud<br />
Einemann, Leiter Innovation, Finanzen und Projekte, beim Bauverein<br />
der Elbgemeinden eG.<br />
Management von Handwerkern, Dienstleistern und<br />
eigenen Mitarbeitern<br />
Genauso wie die Finanz- und Verwaltungsdaten in modernen ERP-<br />
Systemen gebündelt werden, stellt die strukturierte Zusammenführung<br />
aller Objektdaten im Portfolio einen Quantensprung dar.<br />
Dies kann jedoch nur der Anfang sein, um das Instandhaltungsmanagement<br />
kompletter Immobilienportfolios auf ein neues Level<br />
zu heben. Handwerker, Dienstleister und eigene Mitarbeiter sollen<br />
in der Lage sein, auf jeweils ausgewählte Daten eines Objekts zuzugreifen<br />
und entsprechend zu agieren. Das erleichtert nicht nur<br />
die Kommunikation mit verschiedenen Dienstleistern, sondern mi-
69<br />
nimiert mögliche kommunikative Fehler, welche zu Ineffizienzen<br />
führen. Außerdem entsteht hierdurch ein historischer Verlauf, welcher<br />
alle Maßnahmen rund um ein digitalisiertes Objekt detailliert<br />
und jederzeit nachvollziehbar dokumentiert – ohne Mehraufwand.<br />
Innovative Vermarktung und Versicherung<br />
von Immobilien<br />
Einer der zukünftig spannendsten Anwendungsfälle stellt sicherlich<br />
die Vermarktung und Versicherung von Objekten im professionellen<br />
Immobilienbereich dar. Allein die bereitgestellte Datenmenge<br />
und die sich hieraus ergebende Transparenz ist ein massiver Vorteil<br />
bei der Veräußerung oder Versicherung eines jeden Objekts. Jeder<br />
Versicherer hasst Unsicherheit und wenn eine überragende Datenlage<br />
zum Zustand eines Gebäudes bereitgestellt werden kann, bietet<br />
dies Vorteile bei der Verhandlung neuer Policen – und das gilt<br />
für das gesamte Portfolio.<br />
Durch zeitlich begrenzte exklusive Zugangsberechtigungen<br />
oder der Möglichkeit, ausgewählte Informationen zu einer Immobilie<br />
über die Plattform einsehen zu können, wird potenziellen<br />
Käufern eine völlig neue Art der Informationsaufbereitung geboten.<br />
Die Gebäude können faktisch virtuell begangen werden,<br />
etwa um eine Kaufentscheidung zu bestärken, um vorhandene<br />
Zweifel aus dem Weg zu räumen oder Objekte zu transferieren,<br />
ohne diese jemals live vor Ort gesehen haben zu müssen. Gerade<br />
für Eigentümer großer Portfolios oder mit Streubesitz ist dieses ein<br />
großer Vorteil. h
70 Digitale Nachhaltigkeit<br />
Smart nach Plan:<br />
Digitale Nachhaltigkeit in<br />
der Wohnungswirtschaft<br />
VON REBEKKA RUPPEL GESCHÄFTSFÜHRERIN POM+DEUTSCHLAND GMBH<br />
Im Zug der deutschen Klimaziele ist die Digitalisierung von Gebäuden<br />
wichtiger denn je. Insbesondere bei Wohnimmobilien sind dabei verschiedene<br />
Aspekte zu beachten, schreibt die Datenexpertin Rebekka<br />
Ruppel.
71<br />
REBEKKA RUPPEL<br />
ist Geschäftsführerin der pom+Deutschland GmbH, der deutschen Tochtergesellschaft<br />
eines führenden Schweizer Beratungsunternehmens für Immobilien.<br />
Die studierte Bauingenieurin, MSc. ETH, ist Präsidentin der International<br />
Building Performance & Data Initiative (IBPDI) von Microsoft, RICS, Building-<br />
Minds und pom+ und leitet den Arbeitskreis Daten im Digitalisierungsausschuss<br />
des ZIA. Rebekka Ruppel wird bei der vdw/<strong>VNW</strong>-Fachtagung Digitalisierung<br />
am 2. März in Hamburg als Referentin dabei sein.<br />
Ohne Smart kein Grün<br />
Digital Real Estate ist auf dem Vormarsch. Seit nunmehr<br />
einem halben Jahrzehnt sprechen wir gefühlt über wenig<br />
anderes. Der Dialog hat sich aber merklich verändert. Digitalisierung<br />
wurde komplexer und mehrdimensionaler; Gespräche<br />
über Cyber-Kriminalität und Cloud-Computing sind der Erarbeitung<br />
von Datenmodellen und Zukunftsvisionen im Metaverse gewichen.<br />
Die klassische Digitalisierungsstrategie wird immer mehr<br />
zur Strategie in einer digitalen Welt.<br />
In jüngerer Zeit wurde die digitale Transformation um einen<br />
gewichtigen Themenbereich erweitert: Spätestens seit der<br />
UN-Klimakonferenz im polnischen Kattowitz im Dezember 2018<br />
haben sich Nachhaltigkeit und Klimaneutralität als Standard im<br />
deutschen Immobilienjargon etabliert. Spannend ist die bisher gesonderte<br />
Betrachtung von ökologischen Überlegungen und digitalen<br />
Strategien in der Branche. Denn dabei handelt es sich um<br />
einen Trugschluss – Nachhaltigkeit ohne Daten bleibt eine Illusion.<br />
Wenn wir klimaneutral agieren wollen, müssen wir technologisch<br />
aufrüsten.<br />
Die deutsche Klimapolitik fordert von der Immobilienwirtschaft<br />
die Einhaltung bestimmter CO 2<br />
-Zielwerte, um bis 2045 unter<br />
dem Strich keine Treibhausgasemissionen mehr auszustoßen. Die<br />
Digitalisierung von Gebäuden bildet die Basis für die Beurteilung<br />
ebensolcher Vorgaben. Denn nur, wenn wir Werte automatisch<br />
erheben, standardisiert erfassen und strukturiert ausweisen, lassen<br />
sich Mehrjahresvergleiche einschätzen und Richtwerte überhaupt<br />
erst überprüfen. Daten sind also der Schlüssel zu einer besseren<br />
Umweltbilanz.<br />
Eine wichtige Errungenschaft im Kampf gegen den Klimawandel<br />
im Gebäudesektor dürfte die Erkenntnis sein, dass sich Rendite<br />
und Nachhaltigkeit nicht ausschließen – im Gegenteil! Dabei<br />
ist die Betrachtung der Lebenszykluskosten von entscheidender<br />
Bedeutung für den Werterhalt von Immobilien. Eine verlässliche<br />
Berechnung der Folgekosten von Investitionsentscheidungen bereits<br />
in der Planungsphase ist ausschlaggebend für den späteren<br />
Marktwert, gerade wenn man bedenkt, dass die Betriebs- und<br />
Unterhaltskosten über die gesamte Lebensdauer eines Gebäudes<br />
hinweg bei einer statischen Berechnung bis zu 40 Prozent ausmachen.<br />
Energiekosten fallen dabei normalerweise mit bis zu<br />
25 Prozent ins Gewicht!<br />
f<br />
Abbildung 1: Energetische Kostenfaktoren über den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie
72 Digitale Nachhaltigkeit<br />
Nachhaltigkeit als Nebeneffekt<br />
Im Zug der Homeoffice-Vorgaben und Lockdown-Regelungen der<br />
letzten Monate und Jahre ist das insbesondere für die Wohnwirtschaft<br />
interessant. Heute ist Nachhaltigkeit im Wohnbereich mehrheitlich<br />
als Nebeneffekt von Kosteneinsparungen zu verstehen –<br />
und diese werden durch den Einsatz digitaler Mittel erreicht.<br />
So lassen sich Nebenkosten differenziert ermitteln und jederzeit<br />
mit geringem Aufwand prüfen, wenn einzelne Kostenfaktoren<br />
konsistent über alle Wohnungen gemessen, ausgewiesen und<br />
dokumentiert werden. Mieter-Apps, Nachhaltigkeits-Dashboards<br />
oder auch die smarte Steuerung von Licht und Strom führen durch<br />
Einsparungen beim Energieverbrauch einerseits zu Kostensenkungen<br />
auf Mieterseite und andererseits zu einer höheren Prozesseffizienz<br />
in der Bewirtschaftung. Des Weiteren können Veränderungen<br />
der Verbrauchsdaten einander gegenübergestellt werden<br />
und so als Belege für Mietzinsanpassungen angeführt werden.<br />
Smart nach Plan<br />
Die Einführung von smarten Technologien in der Wohnwirtschaft<br />
ist also fraglos sinnvoll. Doch die digitale Aufrüstung von Wohnimmobilien<br />
birgt verschiedene Herausforderungen, die es im Vorneherein<br />
zu evaluieren gilt. Bei der Verbauung von Hardware ist<br />
es z.B. wichtig, dass die Geräte zentral gesteuert werden können<br />
und nicht in einzelnen Wohneinheiten verbaut werden müssen.<br />
Denn der Produktlebenszyklus von digitalen Geräten ist nachweislich<br />
kurzlebig und die Kosten für deren Austausch nach Ablauf<br />
der Garantiefrist werden von der Verwaltung getragen. Auch der<br />
zeitliche Aufwand für die Terminfindung bei Ausfällen ist gerade<br />
bei großen Überbauungen nicht zu unterschätzen.<br />
Aber auch Software-Lösungen wollen gut überlegt sein.<br />
Viele Bestandshalter setzen heute auf den BYOD-Ansatz (Bring<br />
Your Own Device), wobei Mieterinnen und Mieter verpflichtet sind,<br />
ihre eigenen Mobilgeräte zu nutzen. Das erfordert eine stringente,<br />
regelmäßige Mieterkommunikation (z.B. im Fall von Updates<br />
oder neuen Funktionen) sowie digitale Kenntnisse auf Seiten der<br />
Verwaltung, die als erste Anlaufstelle im Sinn eines First Level Supports<br />
fungiert. Zudem stellen sich rasch Fragen zum Datenschutz,<br />
wenn persönliche Verbrauchsdaten und andere Informationen auf<br />
der Cloud des Anbieters gesammelt werden.<br />
Fazit: Kommunikation ist das A und O<br />
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Ein profitables, umweltschonendes Gebäude stellt seine Nutzerinnen<br />
und Nutzer ins Zentrum aller Überlegungen. Die regelmäßige<br />
Kommunikation zwischen Bestandshaltern, Property Managern<br />
und der Mieterschaft birgt dabei viele Vorteile: Häufig wird die<br />
Mieterbindung dadurch erhöht, Mängel lassen sich frühzeitig feststellen<br />
oder sogar antizipieren und das Gebäude kann langfristig<br />
entlang der Mieterbedürfnisse ausgerichtet werden. Digitale Hilfsmittel<br />
sind dabei ein relevanter Erfolgsfaktor.<br />
Von scheinbar komplizierten Fragestellungen im Zusammenhang<br />
mit smarten Technologien sollte man sich indes nicht abhalten<br />
lassen. Die Kostensenkungen und Gewinne im Bereich der<br />
Nachhaltigkeit überwiegen den anfänglichen Aufwand. Es empfiehlt<br />
sich allerdings, ein klares Konzept mit relevanten KPI für<br />
Wohnimmobilien zu entwickeln und die Mieterschaft eingehend<br />
zu informieren, bevor man großflächig smarte Technologien einführt.<br />
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Bewegungsparcours für Wohnquartiere
74 Betriebskosten aktuell<br />
Betriebskosten<br />
aktuell<br />
Im Durchschnitt 95 Euro<br />
Haushalte mit Einkommen unter 1 300 Euro geben anteilig am<br />
meisten für Strom, Heizung und Warmwasser aus<br />
Köln. Der Anteil der Kosten für Wohnenergie an den Gesamtausgaben<br />
privater Haushalte hängt stark vom jeweiligen Nettoeinkommen<br />
ab. Im Jahr 2020 gaben Haushalte mit einem monatlichen<br />
Nettoeinkommen unter 1300 Euro im Schnitt 95 Euro für Wohnenergie<br />
aus. Das entsprach einem Anteil von 9,5 Prozent an den<br />
Konsumausgaben insgesamt. Das teilte das Statistische Bundesamt<br />
mit.<br />
Haushalte der höchsten Einkommensklasse, also mit monatlich<br />
mindestens 5000 Euro, gaben zwar mit durchschnittlich 206 Euro<br />
deutlich mehr für Wohnenergie aus. Der Anteil an den privaten<br />
Konsumausgaben war mit 4,7 Prozent allerdings nicht einmal halb<br />
so hoch wie bei den Haushalten der niedrigsten Einkommensklasse.<br />
Zu den <strong>Ausgabe</strong>n für Wohnenergie zählen die Kosten für Heizung,<br />
Strom und Warmwasser – unabhängig vom Energieträger.<br />
Demnach bezahlten Mieter im Jahr 2019 im Schnitt 1,09 Euro<br />
je Quadratmeter für das Heizen. Dazu kamen kalte Betriebskosten,<br />
die betriebswirtschaftliche Kosten der Hauseigentümer sowie<br />
kommunale Kosten wie Grundsteuer oder Müll- und Abwassergebühren<br />
abdecken. Sie überschritten laut der Studie 2019 erstmals<br />
einen Euro im Mittel.<br />
Bundesweit reicht die Spanne der gesamten Nebenkosten von<br />
3,30 Euro je Quadratmeter Wohnfläche in Memmingen im Allgäu<br />
bis 1,86 Euro in Dingolfing-Landau (Niederbayern). Unter den<br />
teuersten Kreisen finden sich mit Frankfurt und München (je 3,08<br />
Euro) zwei Metropolen. Auch in Offenbach und Mönchengladbach<br />
mit gut drei Euro sind die Nebenkosten hoch. Niedrig sind sie<br />
dagegen im Emsland und den Landkreisen Cochem-Zell, Trier-<br />
Saarburg sowie dem Eifelkreis Bitburg-Prüm.<br />
Die Wohnnebenkosten erhöhen den Angaben zufolge die Gesamtmiete<br />
im Mittel um 32 Prozent und bieten großes Einsparpotenzial.<br />
In günstigen Wohnregionen steigerten die Wohnnebenkosten<br />
die Gesamtmiete sogar um bis zu 50 Prozent der<br />
Grundmiete, heißt es in dem Papier, das im Auftrag des Immobilienunternehmens<br />
Deutsche Invest Immobilien erstellt wurde. Aber<br />
auch in ohnehin teuren Großstadtregionen könnten die Wohnnebenkosten<br />
die Gesamtmiete empfindlich nach oben treiben. h
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Die Energiewende bedeutet große Herausforderungen für den Gebäudebereich.<br />
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76 Betriebskosten aktuell<br />
KERSTIN ANDREAE<br />
Vorsitzende der<br />
BDEW-Hauptgeschäftsführung<br />
Rund 7 400 Wasserkraftwerke erzeugen<br />
deutschlandweit grünen Strom<br />
Berlin. Schon seit Jahrhunderten nutzen Menschen weltweit die<br />
Kraft des Wassers. Auch heute tragen rund 7400 Wasserkraftwerke,<br />
die ans Stromnetz angeschlossen sind, deutschlandweit<br />
zuverlässig zur regenerativen Stromerzeugung bei. Der Anteil von<br />
Wasserkraft an der Bruttostromerzeugung liegt bundesweit bei<br />
drei Prozent, ihr Anteil am erneuerbar erzeugten Strom bei sieben<br />
Prozent.<br />
Regional gibt es hier aber große Unterschiede. In Bayern, wo<br />
deutschlandweit die meisten Wasserkraftwerke stehen, stammen<br />
ganze 31 Prozent des erneuerbaren Stroms aus Wasserkraft. Auch<br />
im Nachbarbundesland Baden-Württemberg ist Wasserkraft ein zuverlässiger<br />
Energieerzeuger. Dort gehen fast ein Viertel (23 Prozent)<br />
der Bruttostromerzeugung aus Erneuerbaren Energien auf Wasserkraft<br />
zurück.<br />
Der Grund hierfür sind die unterschiedlichen Bedingungen für<br />
die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien in Deutschland.<br />
Während im Norden vor allem energie aus Windkraft produziert<br />
wird, ist im Süden Wasserkraft ein wichtiger Faktor für die Stromerzeugung.<br />
So befinden sich die günstigsten Bedingungen für<br />
Wasserkraftnutzung in gefällereicheren Regionen sowie an allen<br />
größeren Flüssen.<br />
Anders als Wind- und Sonnenenergie ist die Stromproduktion<br />
aus Wasserkraft unabhängig von den Wetterverhältnissen und<br />
liefert auch dann zuverlässig Energie zur Deckung der Grundlast,<br />
wenn kaum Windaufkommen und Sonneneinstrahlung zu verzeichnen<br />
sind. „Wasserkraft stellt insbesondere im Süden Deutschlands<br />
einen unverzichtbaren Baustein der Energiewende dar“,<br />
sagt Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des<br />
Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW).<br />
Es gelte insbesondere die Zulassungsverfahren nicht praxisfremd<br />
zu verschärfen, sodass die Erzeugungskapazitäten der<br />
Wasserkraft als verlässliche Säule im Erneuerbare-Energien-Mix<br />
erhalten bleiben. „Die Rahmenbedingungen für die Wasserkraft<br />
sind von der EU-Wasserrahmenrichtlinie maßgeblich vorgegeben.<br />
Diese Vorgaben sollten auf nationaler Ebene nicht weiter verschärft<br />
werden. Insbesondere Modernisierungen der Wasserkraftwerke<br />
zur effizienteren Nutzung der vorhandenen Infrastrukturen müssen<br />
möglich sein“, betont Andreae. Nur so könne das Potenzial von<br />
Wasserkraftwerken – ob Neubau oder Bestandsanlage – zur Erzeugung<br />
von grünem Strom ausgeschöpft werden. h
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EU-Kommission legt Vorschlag zur<br />
Überarbeitung der Gebäudeeffizienzrichtlinie vor<br />
Brüssel. Die Europäische Kommission hat Mitte Dezember vergangenen<br />
Jahres ihren Vorschlag zur Überarbeitung der Gebäudeeffizienzrichtlinie<br />
(EPBD) veröffentlicht. Die Revision der EPBD ist Teil<br />
des im Juli 2021 vorgelegten „Fit for 55“-Pakets und ergänzt die<br />
dort aufgeführten Maßnahmen, um das Ziel, bis 2050 einen emissionsfreien<br />
Gebäudebestand zu erreichen.<br />
Insbesondere wird das Zusammenspiel zwischen der EPBD, dem<br />
Emissionshandelssystem für Gebäude und Verkehr (EHS2) und dem<br />
Klima-Sozialfonds von Wichtigkeit sein. Mit der überarbeiteten<br />
Richtlinie soll bis 2050 ein emissionsfreier und vollständig dekarbonisierter<br />
Gebäudebestand erreicht werden Durch die Renovierung<br />
sollen Gebäude energieeffizienter und unabhängiger von fossilen<br />
Brennstoffen gemacht werden.<br />
Weiterhin soll laut EU-Kommission die Renovierung von Gebäuden<br />
die Senkung des Energieverbrauchs, der Emissionen und<br />
der Energiekosten herbeiführen, Arbeitsplätze schaffen und das<br />
Wirtschaftswachstum ankurbeln. Eine wesentliche Neuerung in der<br />
Richtlinie ist die Einführung von Mindesteffizienzstandards (MEPS).<br />
So soll bis spätestens 2030 kein Gebäude mehr der schlechtesten<br />
Effizienzklasse G angehören.<br />
In diese Klasse wiederum will die Kommission 15 Prozent des<br />
Gebäudebestandes eingruppieren. Das entspricht in Deutschland<br />
ca. drei Millionen Gebäuden. So entsteht die schon in der EU-Renovierungswelle<br />
geforderte Sanierungsrate von 2 Prozent. Da bis<br />
2033 zudem kein Gebäude mehr der Klasse F angehören soll, entsteht<br />
zusammengerechnet sogar eine Sanierungsrate von drei Prozent.<br />
Darüber hinaus überlässt die Kommission den Mitgliedstaaten<br />
die Entscheidung, ob sie zusätzlich eigene Standards festlegen wollen.<br />
Sie erwartet jedoch von ihnen, dass sie einen angemessenen<br />
Unterstützungsrahmen für die MEPS bereitstellen. Dieser soll u.a.<br />
finanzielle Unterstützung, technische Hilfe, Beseitigung nichtfinanzieller<br />
Barrieren und Beobachtung sozialer Auswirkungen beinhalten.<br />
Weiter ist im Vorschlag vorgesehen, dass von 2030 an alle neuen<br />
Gebäude emissionsfrei sind. Für öffentliche Gebäude soll das<br />
bereits von 2027 an gelten. Energieausweise sollen mit klaren und<br />
verbesserten Informationen ausgestattet werden. Die Ausweispflicht<br />
wird auf Gebäude, die einer größeren Renovierung unterzogen<br />
werden, auf Gebäude, für die ein Mietvertrag verlängert wird<br />
sowie auf alle öffentlichen Gebäude ausgedehnt.
79<br />
Gebäude und Gebäudeeinheiten, die zum Verkauf oder zur<br />
Miete angeboten werden, müssen ebenfalls über einen Ausweis<br />
verfügen. Außerdem muss die Energieklasse in allen Anzeigen angegeben<br />
und bis 2025 eine Harmonisierung der Energieausweise<br />
vorgenommen werden.<br />
Zudem sieht der EPBD-Vorschlag die Vorverkabelung vor, was<br />
einer kompletten Elektrifizierung aller Parkplätze bedeutet. Gleichzeitiges<br />
Laden an allen Parkplätzen soll ermöglicht werden und<br />
Lademöglichkeiten ohne vorherige Zustimmung des Vermieters<br />
oder des Wohnungseigentümers gebaut werden können. Die Mitgliedstaaten<br />
werden dazu verpflichtet, ihren nationalen Gebäudesanierungsplan<br />
in ihre nationalen Energie- und Klimapläne (NECPs)<br />
vollständig zu integrieren.<br />
Auch wenn im Vorschlag neben der Energieeffizienz auch die<br />
Treibhausgasreduktion als Ziel definiert wird und der Fokus auf die<br />
Bezahlbarkeit des Wohnens liegt, schafft der Vorschlag es (noch)<br />
nicht, Klimaschutz und bezahlbares Wohnen zu vereinbaren. Aus<br />
Sicht der Wohnungswirtschaft ist bedauerlich, dass in den Berechnungen<br />
und vorgeschlagenen Maßnahmen lediglich Einzelgebäude<br />
im Fokus stehen.<br />
Um echte Erfolge zu erzielen, muss das ganze Wohnquartier<br />
und nicht nur das einzelne Gebäude einbezogen werden. Ein Quartiers-<br />
und Flottenansatz könnte schnellere und kostengünstigere<br />
Treibhausgasminderungen bewirken. Einer notwendigen kurzfristigen<br />
Verdoppelung der Sanierungsrate infolge der Richtlinie und<br />
später weiteren Erhöhungen stehen zudem jetzt schon sehr knappe<br />
Handwerkskapazitäten im Weg.<br />
Wenn die Sanierungsrate allerdings nicht schnell erhöht werden<br />
kann, entsteht in wenigen Jahren ein Sanierungsstau. Der<br />
zunehmende Nachfragedruck wird die Preise weiter hochtreiben.<br />
Die Wohnungsunternehmen werden bei den notwendigen Investitionen<br />
dann unter starken Druck geraten, da neben der Modernisierung<br />
der Gebäude mit dem höchstem Energieverbrauch der<br />
Klassen G und E kaum noch Mittel für den Wohnungsbestand und<br />
-neubau zur Verfügung stehen.<br />
Mit der Vorlage des Gesetzgebungsvorschlags, voraussichtlich<br />
im Januar <strong>2022</strong>, werden die Bericht- und Schattenberichterstatter<br />
im Europäischen Parlament festgelegt. Die Trilogverhandlungen<br />
zwischen Rat, Europäischem Parlament und Kommission werden<br />
voraussichtlich im Februar unter der französischen Ratspräsidentschaft<br />
beginnen. Die EU-Kommission beabsichtigt, den Gesetzgebungsprozess<br />
bis zum Sommer <strong>2022</strong> abzuschließen, was jedoch<br />
unwahrscheinlich ist. h<br />
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Mehr Vernetzung wagen, auch über Unternehmens- und Branchengrenzen<br />
hinweg: Was nach Zukunftsmusik klingen mag, ist in<br />
Duisburg gelebte Wirklichkeit. Wohnungswirtschaft, Energieversorger<br />
und Entsorger haben hier den Schulterschluss gesucht – und wichtige<br />
Kernprozesse gemeinsam digital aufgestellt.<br />
VON JÖRG MATHEIS<br />
Duisburg. Wohnungswirtschaft, Versorger und Entsorger: Mit<br />
ihrer Arbeit tragen die drei infrastrukturrelevanten Branchen maßgeblich<br />
zu einem funktionierenden Alltag in Städten und Gemeinden<br />
bei. Doch so sehr die Akteure in ihrem Tun auch eng<br />
miteinander verwoben sind, gibt es in der alltäglichen Arbeit doch<br />
typische Herausforderungen: über Jahre und Jahrzehnte entstandene<br />
Insellösungen. Silodenken oder Prozessbrüche sorgen an so<br />
mancher Stelle für Ineffizienzen – und bieten damit spannendes<br />
Optimierungspotenzial.<br />
Um sich zukunftsfähig aufzustellen und die Stadt der Zukunft<br />
mitzuprägen, können die Unternehmen jetzt vor allem eines tun:<br />
mehr Vernetzung wagen. Nicht umsonst hat das renommierte Zukunftsinstitut<br />
Konnektivität zu einem der Megatrends schlechthin<br />
unserer Zeit erklärt. Die zunehmende Vernetzung von allem und<br />
jedem prägt unsere Gesellschaft und Arbeitswelt wie nie zuvor.
81<br />
„Technologischer Fortschritt braucht das Zusammenspiel aller<br />
Akteure einer Stadt, damit Lebensqualität und Standortqualität<br />
weiter erhalten bleiben“, erklärte etwa Hamburgs IT-Chef Christian<br />
Pfromm kürzlich anlässlich der Bestplatzierung Hamburgs im Smart<br />
City Index 2021 | Bitkom e.V. vom Digitalverband Bitkom.<br />
Die Zeichen der Zeit sprechen eine deutliche Sprache: Unternehmen<br />
sollten Branchengrenzen überwinden und noch stärker<br />
als bisher den Schulterschluss suchen. Wie das gehen kann und<br />
welche Chancen sich den Beteiligten eröffnen, zeigt ein Blick nach<br />
Duisburg. Was für manche Ohren noch nach Zukunftsmusik klingt,<br />
ist hier längst gelebte Realität: Unternehmen auf Versorger-, Entsorger-<br />
und wohnungswirtschaftlicher Seite erschaffen in Duisburg<br />
Schritt für Schritt eine neue Perspektive für die Stadt der Zukunft:<br />
eine Connected City, in der infrastrukturrelevante Akteure dank<br />
enger Vernetzung optimal miteinander agieren. In enger Zusammenarbeit<br />
haben sie ihre bisherigen Prozesse auf den Prüfstand<br />
gestellt, neu gedacht und ins digitale Zeitalter gehoben.<br />
Eine Menge Optimierungspotenzial bieten die Zahlungs- und<br />
Abrechnungsprozesse rund um die Versorger- und Entsorgerleistungen.<br />
Sie verursachen insbesondere der Wohnungswirtschaft<br />
große Aufwände. Energieunternehmen oder Entsorger sollten an<br />
zwei verschiedenen Prozessstellen ansetzen, um ihren wohnungswirtschaftlichen<br />
Kunden das Leben leichter zu machen: bei der Abbuchung<br />
der Versorgerkosten und bei der Rechnungsstellung.<br />
Bei der Abbuchung der Versorgerkosten war es früher (und<br />
ist es oft heute noch) die Regel, dass der Versorger seine Energielieferungen<br />
summarisch berechnet und in einem Schwung beim<br />
Wohnungsunternehmen abbucht. Diese Abbuchung muss der Vermieter<br />
aufwändig auf unzählige Einzelposten herunterbrechen.<br />
Die Stadtwerke Duisburg AG hat deshalb bereits seit 2008 die<br />
Lösung BK01 Immoconnect der Aareal Bank im Einsatz. Dabei erhält<br />
jeder einzelne Zähler eine virtuelle Kontonummer und ist damit<br />
im Zahlungsverkehr zu identifizieren. Der Versorger teilt seine Abbuchungen<br />
in Zahlläufe auf, die sich an detaillierten Abrechnungspositionen<br />
orientieren. Der Prozess läuft komplett automatisch, das<br />
manuelle Herunterbrechen von Sammelbuchungen entfällt.<br />
Auch die Wirtschaftsbetriebe Duisburg digitalisierten und vereinfachten<br />
in den 2000er-Jahren die bis dato aufwändige Zahlungszuordnung.<br />
Der verbesserte Prozess wurde so zum gewichtigen<br />
Kundenbindungsinstrument.<br />
Auch auf Rechnungsebene gehen Stadtwerke und Wirtschaftsbetriebe<br />
in Duisburg neue Wege. Es galt, eine Alternative zu finden<br />
zum bisherigen, analogen Prozess: Bei vielen Wohnungsunternehmen<br />
kommen gegen Jahresende kistenweise Versorgerrechnungen<br />
an, die die Mitarbeiter sortieren und zuordnen, die Beiträge manuell<br />
erfassen und buchen müssen. Diese Aufwände lassen sich vermeiden<br />
mit digitalen, automatisch auslesbaren Rechnungsdaten:<br />
Mit der Aarealösung BK01 Econnect als SAP-basiertem Standardsystem<br />
lassen sich digitale Rechnungsdateien in verschiedensten<br />
Dateiformaten erzeugen, die individuell ausgeprägte Datensätze<br />
mitbringen. Beim Wohnungsunternehmen können Rechnungen<br />
automatisch ins ERP-System einfließen und digital weiterverarbeitet<br />
werden. Das bringt verwaltungstechnische Vorteile und erhöht<br />
die Datentransparenz.<br />
Aus dem gleichen Grund setzt auch die Fernwärme Duisburg<br />
GmbH auf BK01 Econnect, und zwar im Lösungsverbund mit den<br />
Stadtwerken Duisburg als Hauptanteilseigner. Nachdem das Unternehmen<br />
die Lösung im Rahmen einer Testphase geprüft hatte, erfolgte<br />
Anfang Januar 2021 mit der Jahresabschlussrechnung der<br />
erste digitale Rechnungsversand an einen Kunden.<br />
„Ich glaube, dass die Vernetzung zwischen Versorger und<br />
Wohnungswirtschaft zunehmen wird und empfinde diese Form der<br />
gemeinsamen Prozessdigitalisierung als ausgesprochen zukunftsträchtig.<br />
Die digitale Rechnung ist dabei sicher einer der bedeutendsten<br />
Bausteine", sagt Matthias Lötting, Geschäftsführer der<br />
Fernwärme Duisburg GmbH.<br />
Entsprechend groß ist die Freude über die optimierten Zahl- und<br />
Abrechnungsprozesse auf Seiten der Duisburger Wohnungswirtschaft.<br />
Hohe Aufwände in der Bearbeitung der Massenrechnungen,<br />
Intransparenzen über den Abrechnungsstatus und aufwändige<br />
Korrekturen von Zahlendrehern und anderen Fehlern, die bei<br />
der manuellen Bearbeitung eben passieren, sind den Beteiligten<br />
vom Immobilien-Management Duisburg (IMD), der GEBAG Duisburger<br />
Baugesellschaft mbH und der Wohnungsgenossenschaft<br />
Duisburg-Süd eG noch gut im Gedächtnis geblieben. Salah-ud-din<br />
Raja, Sachgebietsleiter Geschäftsbuchhaltung beim IMD, bringt<br />
es auf den Punkt: „Unser Ziel war klar: Wir wollten Quantität mit<br />
Qualität abwickeln.“<br />
Weniger Aufwände, höhere Prozessqualität und verbesserte<br />
Datentransparenz: Mit Blick auf diese Ziele setzen die drei Immobilienunternehmen<br />
in Zusammenarbeit mit ihren Lieferanten heute<br />
immer stärker auf digitale Zahl- und Abrechnungsprozesse mit<br />
hohem Automatisierungsgrad. Sie basieren auf zwei Lösungen aus<br />
der BK01-Familie der Aareal Bank.<br />
Das BK01 Betriebskosten Management automatisiert den kreditorischen<br />
Zahlungsverkehr im SAP-System. Jede Kostenart eines<br />
Vertrags erhält eine individuelle, virtuelle Kontonummer, die sich<br />
auf ein reales <strong>Ausgabe</strong>nkonto bezieht. Auf dieser Basis können die<br />
Nutzer SEPA-Mandate vergeben.<br />
Wohnungsunternehmen müssen keine Zahlung mehr aktiv<br />
anstoßen und haben in ihrer Buchhaltung eine komplett automatisierte<br />
Zuordnung der Abflüsse. Und die BK01 Rechnungsdatenverarbeitung<br />
digitalisiert den Rechnungsvorlauf: Sie regelt das<br />
automatische Bezahlen und Buchen von Überweisungen und Lastschriftenauszügen<br />
durch Dienstleister, Lieferanten, Kommunen etc.<br />
Im Zusammenspiel sorgen die wohnungs- und energiewirtschaftlichen<br />
BK01-Lösungen für eine durchgängige standardisierte<br />
Kommunikation der Buchhaltungssysteme aller Parteien. Die Projektbeteiligten<br />
auf wohnungswirtschaftlicher Seite berichten nicht<br />
nur von massiven Zeit- und Ressourceneinsparungen durch die neu<br />
aufgestellten, stringenten Prozesse, sondern auch von einer gesteigerten<br />
Datentransparenz – und freuen sich nicht zuletzt über<br />
den Nachhaltigkeitsaspekt der digitalen Lösungen: „Immerhin hat<br />
jede einzelne Rechnung zwischen zehn und 13 Seiten. Bei tausenden<br />
Gas-, Strom- und Wasserverträgen führt eine solche Prozessdigitalisierung<br />
schnell zu 10000 eingesparten Seiten Papier“, sagt<br />
Salah-ud-din Raja vom IMD weiter.<br />
In Duisburg wird das Prinzip der Konnektivität also längst in<br />
alltägliche Projektarbeit übersetzt. Dabei braucht es neben einem<br />
branchenübergreifenden Austausch aller Partner nicht nur die nötigen<br />
technischen Lösungen, sondern vor allem eine gemeinsame<br />
Vision, die sich in ein konkretes Ziel umschreiben lässt.<br />
Roman Aiyer von den Wirtschaftsbetrieben Duisburg hält eine<br />
prozessbasierte Zusammenarbeit, wie sie in Duisburg stattfindet,<br />
für zukunftsweisend: „Es ist ein absoluter Gewinn, dass all diese<br />
Akteure ein gemeinsames Spielfeld haben. Ich sehe die zusammen<br />
umgesetzten Digitalisierungsprojekte als Plattform für weitere Innovationen,<br />
die wir auf Basis dieser Zusammenarbeit entwickeln<br />
können.“ h
82<br />
Impressum 1_<strong>2022</strong><br />
HERAUSGEBER<br />
Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen e.V.<br />
Hamburg – Mecklenburg-Vorpommern – Schleswig-Holstein<br />
Andreas Breitner<br />
Verbandsdirektor<br />
040 52011-215 | E-Mail: breitner@vnw.de<br />
WP/StB Gerhard Viemann<br />
Direktor für den Prüfungsdienst<br />
040 52011-240 | E-Mail: viemann@vnw.de<br />
WP/StB/RA Jürgen Wendlandt<br />
Stellv. Direktor für den Prüfungsdienst<br />
040 52011-275 | E-Mail: wendlandt@vnw.de<br />
Andreas Daferner<br />
Bildung<br />
040 52011-218 | E-Mail: daferner@vnw.de<br />
Dr. Peter Hitpaß<br />
Wohnungswirtschaft, Betriebskosten- und<br />
Medienrecht<br />
0385 48937-503 | E-Mail: hitpass@vnw.de<br />
Christoph Kostka<br />
Geschäftsführung<br />
<strong>VNW</strong> Landesverband Schleswig-Holstein<br />
040 52011-225 | E-Mail: kostka@vnw.de<br />
Steffen Laser<br />
Geschäftsführung<br />
<strong>VNW</strong> Landesverband Mecklenburg-Vorpommern<br />
0385 48937-501 | E-Mail: laser@vnw.de<br />
Petra Memmler<br />
Geschäftsführung <strong>VNW</strong> Landesverband Hamburg<br />
Technik und Energie<br />
040 52011-230 | E-Mail: memmler@vnw.de<br />
Nicola Olivier<br />
Datenschutz<br />
040 520 11 221 | Mail: olivier@vnw.de<br />
Andreas Thal<br />
Stellvertreter des Verbandsdirektors und Verwaltung<br />
040 52011-204 | E-Mail: thal@vnw.de<br />
REDAKTION<br />
Oliver Schirg<br />
Verantwortlich im Sinne des Presserechts<br />
040 52011-226 | E-Mail: schirg@vnw.de<br />
ANZEIGEN<br />
Ilka Schünemann<br />
0511 1265-123 | E-Mail: i.schuenemann@vdw-online.de<br />
GESTALTUNG<br />
hungerundkoch.com<br />
0511 51 99 46-00<br />
DRUCK<br />
QUBUS media GmbH<br />
Beckstraße 10 | 30457 Hannover<br />
RA Dr. Kai Mediger<br />
Recht, Genossenschaften und Quartiersentwicklung<br />
040 52011-238 | E-Mail: Mediger@vnw.de<br />
Mehr Informationen über den <strong>VNW</strong> finden Sie im Internet unter www.vnw.de<br />
Bildnachweise<br />
Titel: Bertold Fabricius; Seite 1: Bertold Fabricius; Seite 2: H.-P.Haack; Seite 3: Bertold Fabricius; Seite 6-7: Oliver Schirg; Seite 10: Rex banditor, falcon_crest_air;<br />
Seite 11: Bernadette Grimmenstein; Willing-Holtz; Seite 12: Bertold Fabricius, privat (3); Seite 13: privat; Seite 14-15: Bertold Fabricius<br />
(4), Seite 16-17: Stefan Sauer/dpa; Seite 18-19: Stefan Sauer/dpa (5); Seite 20: Oliver Schirg; Seite 21: Oliver Schirg, Stadt Flensburg; Seite 22-23:<br />
Bertold Fabricius, Seite 24: Bertold Fabricius; Seite 25: Drachenbau (1); Bertold Fabricius (2); Seite 26, 27: Bertold Fabricius (4), privat (1); Seite 28:<br />
Bertold Fabricius; Seite 31: privat; Seite 40: Paolese_Adobe Stock; Seite 42: Lübecker Bauverein, Neuwerk Architekten und Ingenieure GmbH; Seite<br />
43: Visualisierung bof architekten & hutterreimann landschaftsarchitektur (2); Seite 44: <strong>VNW</strong>, EBZ Business School, Robert Kneschke/AdobeStock;<br />
Seite 45: T. Ahlf SAGA, DESWOS, Daniel Bockwoldt/dpa; Seite 46: sculpies/AdobeStock, neueinsGmbH, Lübecker Bauverein; Seite 47: SMAP Architektur-<br />
und Generalplanung GmbH, Markus Tollhopf; Seite 48: Grafik: Bundesamt für Strahlenschutz; S. 52: envato; S. 64: AdobeStock_zapp2photo;<br />
S. 76: BDEW Trutschel; S. 78: finecki/AdobeStock; S. 80: saiko 3p/AdobeStock
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