LERNEN MIT ZUKUNFT MÄRZ 2022
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Bis dahin gibt es leider noch eine ganze<br />
Reihe von Problemen zu lösen: Die auf<br />
den Chip aufgetragenen Zellen müssen<br />
frisch sein und leben nur kurze Zeit.<br />
Man braucht also häufig gleichzeitigen<br />
Nachschub von menschlichem Gewebe<br />
verschiedenster Organe. In den OP-Sälen<br />
fällt aber überwiegend krankes Gewebe<br />
an. Man muss also sorgfältig die wenigen<br />
gesunden Zellen, die bei einer OP mit<br />
entfernt werden, von den ganzen kranken<br />
Zellen trennen. Zudem hat jeder Patient<br />
eine andere Vorgeschichte (Raucher,<br />
Diabetiker, etc.). Die Zellen auf dem Chip<br />
haben je nach Herkunft eine andere Qualität,<br />
was die Ergebnisse solcher Chips<br />
wenig vergleichbar macht. Die Organe in<br />
unserem Körper haben mitunter direkten<br />
Kontakt und sind nicht nur über Flüssigkeiten<br />
verbunden. Substanzen können<br />
direkt von den Hautzellen in Muskelinformation<br />
& gesellschaft<br />
Organ on a Chip:<br />
Werden Tierversuche bald überflüssig?<br />
MODELL EINES LEBENDEN ORGANISMUS AUF EINEM KLEINEN<br />
PLASTIKPLÄTTCHEN<br />
Thomas Kolbe<br />
Fachwissenschaftler<br />
für Versuchstierkunde,<br />
Ao. Prof. für die<br />
Service-Plattform<br />
Biomodels Austria<br />
Veterinärmedizinische<br />
Universität Wien<br />
Die Bemühungen, Tierversuche<br />
nach Möglichkeit zu reduzieren<br />
oder gar zu ersetzen, wurden<br />
vor über 10 Jahren mit der<br />
Einführung der Europäischen Richtlinie<br />
zum Schutz von Versuchstieren intensiviert.<br />
Die niederländische Regierung<br />
beabsichtigt gar, bis 2035 alle gesetzlich<br />
vorgeschriebenen Tests ohne Versuchstiere<br />
durchführen zu wollen. Bis dahin<br />
ist es aber noch ein weiter Weg. Neben<br />
der Nutzung von Zell- und Bakterienkulturen,<br />
einfacheren Organismen<br />
wie Fadenwürmern, Hühnereiern oder<br />
Süßwasserpolypen, Miniorganen in<br />
der Petrischale (Organoide, siehe LMZ<br />
August 2018) und Attrappen und Simulationen<br />
für die Ausbildung gibt es auch<br />
die Entwicklung von Testsystemen mit<br />
lebenden Zellen in kleinen Kunststoffkammern,<br />
genannt “Organ on a Chip“:<br />
Dabei werden in kleine Kunststoffplatten<br />
eine Reihe von winzigen Kammern<br />
eingearbeitet. In jede Kammer kommt<br />
eine andere Sorte Zellen (Niere, Leber,<br />
Nerven, Muskel, etc.). Durch Kanäle sind<br />
die Kammern verbunden und werden mit<br />
Nährstoffen versorgt. Dann lässt man<br />
Testsubstanzen in verschiedenen Konzentrationen<br />
durchlaufen und schaut,<br />
ob es schädliche Effekte auf bestimmte<br />
Gewebetypen gibt. Manche Substanzen<br />
sind nicht direkt schädlich, sondern erst<br />
nach Abbau in der Leber und wirken<br />
sich dann z.B. auf das Lungengewebe<br />
aus. Wenn die Kanäle in dem Chip<br />
einen Kreislauf bilden, kann man solche<br />
Effekte erkennen und braucht dafür nicht<br />
mehr am lebenden Versuchstier zu testen.<br />
Außerdem kann man mit menschlichen<br />
Zellen arbeiten und es stellt sich nicht<br />
mehr die Frage, wie gut Ergebnisse an<br />
Versuchstieren auf den Menschen übertragbar<br />
sind. Solche Testsysteme könnte<br />
man auf vielfältige Weise in der Entwicklung<br />
von Medikamenten, bei der Prüfung<br />
schädlicher Substanzen (Toxizität) bis hin<br />
zur personalisierten Medizin nutzen. Ein<br />
ausgesprochen ambitioniertes Ziel ist es,<br />
einen Human on a Chip herzustellen, also<br />
alle Organe und Gewebe eines Menschen<br />
auf einem einzigen Chip zu vereinen.<br />
12 | <strong>MÄRZ</strong> <strong>2022</strong>