Bretter - ORF
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<strong>Bretter</strong><br />
1
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorlaut. 3<br />
Vorwort 4<br />
Simon Wint<br />
Unter Uns 5<br />
Lukas Werner<br />
Herr Maté 10<br />
Yvonne Becák und Sabine Pawischitz<br />
Caje šukarije – Tanz, schönes Mädchen! 13<br />
Constantin Göttfert<br />
Vernagelung 18<br />
Marita Gruber<br />
<strong>Bretter</strong> 21<br />
Richard Purschwitz<br />
Interview mit einem Unbescholtenen 24<br />
Wolfgang Rieder<br />
rote Nelken und keine Überraschungen 29<br />
Caroline Schiel<br />
Der Sargträger 35<br />
Rudi Stüger jun.<br />
Segenwerksbesitzer 40<br />
Nicholas Unger<br />
bretter 42<br />
Biografi en Zita Bereuter Pamela Rußmann 51<br />
inhaltsverzeichnis<br />
2
Vorlaut.<br />
„Schreiben sollte sehr exakt sein und man muss verwirklichen was innen in einem ist und das<br />
formt sich irgendwie zu Wörtern und je genauer die Wörter die Gefühlsbewegung ausdrücken desto<br />
schöner die Wörter das heißt das was geschieht und jeder der irgend etwas weiß weiß das.“<br />
So beschreibt Gertrude Stein das Schreiben in Jedermanns Autobiographie vor beinahe 80 Jahren.<br />
Viel hat sich in diesem Zusammenhang nicht verändert. Gefühle, Ideen, Vorstellungen, Visionen,<br />
Szenarien, Träume, Fantasien und Betrachtungen. Möglichst exakt beschrieben in Wörtern, die<br />
sich zu einer Kurzgeschichte formen. Für Wortlaut, den FM4 Literaturwettbewerb. Nicht mehr und<br />
nicht weniger wollten wir im Frühling 2005, als zum vierten Mal der Startschuss für den literarischen<br />
Nachwuchswettbewerb fi el. Über 600 FM4-Hörerinnen und Hörer fühlten sich motiviert und<br />
schickten, was innen in ihnen ist.<br />
„<strong>Bretter</strong>“ – es war kein einfaches Thema. Keines, zu dem die meisten schon zig Texte geschrieben<br />
haben. Keines, zu dem man immer wieder mal was liest. Dafür aber eines, das noch nicht so<br />
abgedroschen ist, dass man sich gar keine Gedanken mehr darüber machen will.<br />
Das wollten wir und die FM4-Hörerinnen und Hörer haben gezeigt, dass sie das auch können. Dafür<br />
vielen Dank.<br />
Die Vorjury (Zita Bereuter, Tim Gfrerer, Elisabeth Gollackner, Andreas Gstettner, Marianne Lang,<br />
Martin Pieper, Astrid Schwarz und Markus Zachbauer) hatte die undankbare, weil schwierige<br />
Aufgabe, aus dieser Hundertschaft die besten Texte auszusieben. Diese wurden letztlich an die<br />
Hauptjury zur fi nalen Prämierung weitergereicht: an den Musiker und Autor Markus Binder, Armin<br />
Konnert, den Gewinner von Wortlaut 2004, die Journalistin und Kolumnistin Doris Knecht, den<br />
Journalisten und Musiker Fritz Ostermayer (FM4 im Sumpf) sowie die Autorin Kathrin Röggla.<br />
Diese Jury hat sich nun für diese vorliegenden Kurzgeschichten entschieden.<br />
Erinnerungen, Begebenheiten, Träume, Gefühle, Fantasien. Von Punks, die in Innsbruck abhängen,<br />
zu einem einsamen alten Mann in einem noch einsameren Zimmer, von einer an Lebensfreude<br />
kaum zu überbietenden Tante zu einem verstörten Sargbauer, von verlogenen Theatergeschichten<br />
zur letzten Wahrheit.<br />
„<strong>Bretter</strong>“ verbindet diese Gedanken und Worte.<br />
Wir freuen uns über die nun vorliegende Anthologie.<br />
„Jeder der irgend etwas weiß weiß das.“<br />
Zita Bereuter und Pamela Rußmann, September 2005<br />
Die Herausgeberinnen danken FM4, der Vor- sowie der Hauptjury, der Literaturzeitung Volltext und<br />
der Tageszeitung Der Standard.<br />
vorlaut<br />
3
Vorwort<br />
Man kann alles lernen. Kann man alles lernen? Für Schauspieler gibt es das Reinhardt-Seminar. Für<br />
Künstler die Angewandte und die Bildende. Für Filmemacher die Filmhochschule, für Musiker die<br />
Musikhochschule und die Jazzakademie, für Schriftsteller. Für Schriftsteller nichts. Für Schriftsteller<br />
die „Schule für Dichtung“ und Volkshochschulkurse und fertig.<br />
Darüber sollte Elisabeth Gehrer und wer immer sie als Wissenschaftsministerin ablösen wird, einmal<br />
nachdenken: Dass es im Literaturland – was heißt: im Literaturnobelpreisland! – Österreich keine<br />
Schriftsteller-Ausbildung gibt. Nur learnin by doing (oder besser: learning by Verlagsabsagen), nur<br />
Internet-Foren, nur Literaturwettbewerbe wie jener, bei dem ich mit 17 mal mitgemacht habe. Nur<br />
Talentwettbewerbe, wie den „Wortlaut“.<br />
Talentwettbewerb, ja: Denn das ist es, was ein Auswahlverfahren wie der FM4-Literatur wettbewerb<br />
und seine Jury tatsächlich leisten können: Talent zu erkennen, hoffentlich, auf der Basis<br />
eines einzigen Textes. Wobei es sich insgesamt, so selbstkritisch und pessimistisch muss man das<br />
leider betrachten, um ein fehleranfälliges System handelt: Vielleicht tut sich das junge Talent mit<br />
dem vorgegeben Thema schwer, macht vielleicht grad eine komplizierte Zeit durch, ist unglücklich<br />
verliebt, muss sich um Dinge kümmern, die der Schaffung von Literatur nicht zuträglich sind. Und<br />
wenn die Texte allen widrigen Umständen zum Trotz doch ausgedacht, verfasst, überarbeitet und<br />
endlich abgeschickt wurden, haben die Mitglieder der Jury, in dem Moment, in dem sie die Texte zu<br />
lesen und zu beurteilen haben, vielleicht ganz ähnliche Probleme ... Was ich damit sagen will: Der<br />
„Wortlaut“ ist nicht der Papst. Die „Wortlaut“-Jury ist nicht unfehlbar. Ein Literaturwettbewerb wie<br />
der „Wortlaut“ kann Schriftstellerinnen und Schriftsteller nicht erfi nden, und er will sie auf keinen<br />
Fall aufhalten. Auch wenn ihre Texte in diesem Buch fehlen.<br />
Das Thema „<strong>Bretter</strong>“ war vorgegeben, an das sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer weniger<br />
oder mehr hielten: Sie richteten ihre Texte daran aus oder ließen die „<strong>Bretter</strong>“ einfl ießen, durchaus<br />
auch auf suboriginelle Weise, denn die „<strong>Bretter</strong>, die die Welt bedeuten“ und das „Brett vor dem<br />
Kopf“ wurden den Mitgliedern der Jury so oft über den Kopf gezogen, dass es schon auch wehtat.<br />
Was im Prinzip in Ordnung ist: Eine Jury soll ruhig leiden. Diese Jury versuchte trotzdem redlich,<br />
die besten Texte auszuwählen, dennoch: Die 10 Texte, die in diesem Buch zu lesen sind, sind das<br />
vielleicht nicht. Aber es sind die 10 auffälligsten: Texte, die durch ihre Ideen bestachen, ihren Stil,<br />
durch ihre Fantasie oder ihre Frechheit, durch ihren Mut. Durch ihr unübersehbares Talent. Oder<br />
durch alles zusammen.<br />
Wie ich mit 17 mal bei einem Literaturwettberb mitgemacht habe, fl og mein Beitrag schon in der<br />
ersten Runde raus. Die Autorinnen und Autoren, deren Texte hier zwischen diese beiden Buchdeckel<br />
gelangten, waren sehr viel erfolgreicher; und mit was? Mit Recht.<br />
Doris Knecht, September 2005<br />
Doris Knecht ist Journalistin in Wien und Zürich; sie schreibt für Falter, Tagesanzeiger, profi l und<br />
Presse. Ihr Buch „Hurra. Anleitung zum Doppelleben in 111 Schritten” ist im Czernin-Verlag<br />
erschienen.<br />
vorwort<br />
4
Simon Wint<br />
geboren 1968 im grau-grünen Norden Englands. Erlebt dort eine Kindheit geprägt von<br />
ABBA-Schallplatten und Glockenhosen der Marke Wrangler. Er genießt die übliche englische<br />
Schulausbildung bestehend aus 1/3 Mathematik und 2/3 Fußball, Sakko und Krawatte inklusive. Mit<br />
11 Jahren schreibt er eine schräge Kurzgeschichte über einen Staubsauger mit einem Gehirn. Die<br />
Geschichte kommt in das jährliche Schulmagazin, was seine Mutter freut und ihn zum Schreiben<br />
bringt. Schließlich macht er eine Ausbildung zum Grafi k-Designer und entdeckt nebenbei, dass<br />
er nicht Gitarre spielen kann. Er wird Mitglied einer Punkband. Umzug nach Manchester und<br />
Tätigkeiten als Grafi k-Designer, Fahrradverkäufer, Comic-Zeichner, Kabarettist. 1993 kommt er<br />
nach Tirol, 10.000 Schilling und ein deutsch-engliches Wörterbuch in der Hosentasche. Er gründet<br />
Familie und Designbüro und irgendwann geht es mit dem Schreiben wieder los.<br />
Unter Uns<br />
Er kratzte mich wieder am Bein und ich sagte ihm, dass er endlich damit aufhören soll.<br />
„Deine scheiß Nägel!“, sagte ich. „Das sind keine Nägel, das sind scheiß Krallen!“<br />
„Ja, ja, dann gib mir endlich ein Bier!“ Er lachte.<br />
Ich drehte mich zu ihm und drückte ein Auge zu. Die Sonne war wieder da, hinter einer fetten Wolke<br />
heraus gekrochen. Sid grinste mich an wie Jack Nicholson. Der Spinner.<br />
„Du solltest die Dinge schneiden, man! Du bist eine echte Gefahr!“<br />
Dann krabbelte ich hinüber zum Seil und zog die Kiste aus dem Wasser, so weit, bis ich zwei<br />
Bierfl aschen herausnehmen konnte. Dann ließ ich die Kiste sehr langsam hinunter in den See und<br />
schaute zu, wie die Luftblasen hochstiegen.<br />
„Was hab ich dir gesagt?“, sagte Sid durch eine Zigarette. Er öffnete seine Hände und zog seine<br />
Schultern hoch, wie ein bescheuerter Game-Show-Moderator. „Ich sagte doch, heute scheint die<br />
Sonne. Hab ich das nicht gesagt?“<br />
Ich nickte mit dem Kopf und rollte eine Flasche über den Steg zu Sid.<br />
„Hör niemals auf die scheiß Wetterfrösche. Arschlöcher. Die wissen nicht mehr als wir.“ Und dann<br />
machte er das Bier auf und ohne „Prost“ zu sagen hatte er gleich die Hälfte unten. Dann rülpste er<br />
und legte sich hin.<br />
„This is the life!“, sagte er.<br />
Seit dem langen Wochenende in London hatte er immer wieder diese dämlichen Sprüche auf<br />
Lager. Und dabei konnte er nicht einmal die Sprache richtig. Und als wir alle drei dort waren, in<br />
London, haben Tom und ich uns nicht getraut, unser Englisch so richtig auszuprobieren, weil es<br />
Sid nur genervt hätte, weil wir es besser konnten. „Hör dich an! Du klingst wie der Prince Henry!<br />
Oder irgendein Royal!“ So hat er das ganze Wochenende geredet.<br />
Ich saß da, die Beine gekreuzt. Hätte ich nur die Sonnenbrille nicht vergessen. Der Himmel war<br />
ein Drittel blau, zwei Drittel Asphalt. Immer wieder tauchten ein paar Leute auf. Jeder schaute die<br />
Wiese an und dann den Himmel. Irgendwann kamen drei Jungs und setzten sich an den Anfang<br />
des Steges. Sid guckte sie an.<br />
„Ich dachte du schläfst“, sagte ich.<br />
„Na.“ Antwortete er. „Ich bin immer wach, immer bereit. Du weißt nie.“<br />
„Ich gehe schwimmen.“<br />
„Gibt’s noch ein Bier?“ Er stützte sich auf seine Ellbogen.<br />
„Du hast noch.“ Ich zeigte auf seine Flasche.<br />
„Ist schon warm. Wie Pisse.“ Und dann zündete er eine an. „Willst du eine?“<br />
Ich stand auf. „Nein, danke. Mir ist echt heiss. Ich muss ins Wasser.“<br />
Das erste Mädchen, das Allererste, es hieß Lisa. Und durch sie habe ich Sid kennengelernt. Es gab<br />
diese Phase, da war ich vierzehn, da habe ich nur Computerspiele gespielt und Fußball geschaut.<br />
Damals waren Mädchen für mich einfach diese blöden Dinger, die in Splatter-Movies nur geschrien<br />
haben, bis sie jemand endlich abschlachtete. Sid hieß in Wirklichkeit Hannes, aber dann mochte er<br />
Punkmusik. Die Lisa war dabei ein Gruftie-Girl zu werden, mit schwarzen Haaren und zwei Ratten<br />
als Haustiere, namens Cheech und Chong. Dank den Ratten habe ich zum ersten mal gebumst,<br />
und zwar mit Lisa. Es war so, dass ich es einfach versucht habe und sie nicht nein sagen konnte,<br />
unter uns<br />
5
weil Gruftie-Girls mit Ratten nicht Angst haben dürfen, sonst wäre das ganze, dunkle rattige Image<br />
kaputt. Also ließ sie mich es tun. Aber nach sieben Wochen ging sie mir auf die Nerven und ich hatte<br />
eh diesen neuen Freund. Sid.<br />
Am Anfang hat der Tom ihn nicht so gemocht. Tom war verrückt, aber er war auch Amateur-Triathlet<br />
und das fand Sid voll scheiße. Am Abend zu schwimmen anstatt gegen Autos zu treten. Irgendwann<br />
waren wir alle fünfzehn oder sechzehn und Tom hatte die Nase voll vom Sport, also fi ngen wir an<br />
Bier zu trinken und mit Gitarren herum zu blödeln und dann waren wir zu dritt.<br />
Das Wasser war kalt. Ich kletterte die Leiter hoch und schnappte mir mein Handtuch. Die Sonne<br />
war wieder weg.<br />
„Es wird regnen“, sagte ich.<br />
„Niemals“, sagte Sid. „Es wird schön. Ich kann es spüren. Ich hab einen sechsten Sinn. Habe ich<br />
dir das schon mal gesagt?“<br />
Ich zitterte ein „Nein“.<br />
„Ich kann Gedanken lesen.“ Und dann setzte er die Sonnenbrille ab und starrte mich an. Ich starrte<br />
zurück und nach einer Weile gab ich auf.<br />
„Du bist verrückt.“<br />
„Kann sein.“ Er grinste. „Gibt’s noch ein Bier?“<br />
„Was? Schon wieder?“<br />
Er zeigte mir die leere Flasche. Ich holte ihm noch eines und schaute auf meine Uhr. Es war kurz<br />
nach vier.<br />
„Es wird regnen. Ganz sicher.“<br />
„Weck mich, wenn was passiert, okay?“ Sid legte sich wieder hin.<br />
Ich dachte an Tom.<br />
„Der wird wohl jetzt in Griechenland sein. Der Tom.“ Sagte ich.<br />
„Vielleicht.“<br />
„Doch, ganz sicher. Er ist schon gestern gefl ogen. In der Früh. Er hat schon Recht, den ganzen<br />
Sommer einfach abhängen, inselhüpfen. Ist sicher geil dort drüben.“<br />
„Seine Eltern zahlen es, oder? Sie zahlen doch alles. Scheiß Yuppies!“ Sid redete mit geschlossenen<br />
Augen. Der Depp.<br />
Das nächste Mädchen hieß Judith. Sie hatte keine Ratten, also dauerte es Wochen bis sie mit mir ins<br />
Bett ging. Wir waren insgesamt sieben Monate zusammen. Wir mochten dieselbe Musik, dieselben<br />
Filme, aber eines Mittwoch Abends sagte sie mir, dass sie nicht mehr Sex haben wolle. Es gab zwei<br />
Gründe. Erstens war es ihrer Meinung nach überbewertet, nichts Besonderes und zweitens war ihr<br />
Vater ein Pschychopath. Wir blieben trotzdem eine Weile zusammen und sagten niemandem ein<br />
Wort über den Sex. Irgendwann wurde ich verärgert und sie färbte sich die Haare rot. Dann war es<br />
endgültig aus.<br />
„’tschuldigung!“ Es war Sid.<br />
Ich rollte auf die Seite. Mein Mund klebte zusammen.<br />
„Was ist los?“ Ich war irgendwie fertig. Hätte ich nur die Sonnenbrille nicht vergessen.<br />
„Du hast geschlafen. Wie ein Baby. Richtig geschnarcht!“<br />
„Was?“ Ich drehte mich von der Sonne weg. Es war viertel nach fünf. Ich hatte Kopfschmerzen.<br />
„Geredet hast du auch. Im Schlaf, meine ich.“<br />
„Das glaube ich nicht!“<br />
„Doch. Willst auch ein Bier?“<br />
„Nein. Nichts mehr.“ Dann setzte ich mich auf.<br />
„Was habe ich gesagt? Im Schlaf?“<br />
„Keine Ahnung. Irgendeinen Scheiß.“<br />
Sid rauchte eine Zigarette, neben ihm fünf leere Flaschen und etwas weiter weg zwei Mädchen. Er<br />
neigte den Kopf nach vor und zwinkerte zu mir rüber. Die Mädchen waren höchstens vierzehn.<br />
Ich schüttelte den Kopf. „Das sind Kinder“, sagte ich.<br />
„Eben!“, lachte er. Der Trottel.<br />
unter uns<br />
6
Dann gab es Kathi. Als ich sie kennen lernte war es Herbst und sie hatte lange blonde Haare. Drei<br />
Tage später, bei unserer ersten Verabredung, da hat sie sich die Haare ganz kurz geschnitten, so<br />
richtig grob, als ob ihr kleiner Bruder es für sie getan hätte. Sie sagte mir, das würde man mit ihr<br />
machen, wenn sie ins Kloster käme. Manchmal, mitten am Vormittag, schauten die Leute die Kathi<br />
so an, als ob sie betrunken oder auf Drogen wäre. Aber das war sie nicht. Sie hatte einfach diese<br />
verrückte Ausstrahlung und diesen lauten Lacher und diesen geilen Körper mit riesigen Augen oben<br />
drauf. Und das machte mich alles wahnsinnig heiss und der Sex mit ihr war irgendwie saugut und<br />
irgendwie auch beängstigend. Ein bisschen wie mit einem guten Freund zu schlägern.<br />
Als der Schnee kam, gingen wir viel Snowboarden. Das war im letzten Winter. Abends waren wir<br />
entweder aus, oder in Toms Wohnung, wo wir bumsen konnten. Im Frühling schlug ich vor, dass<br />
wir am Samstag ein bisschen Mountainbiken gehen könnten, aber sie sagte, dass sie lieber mit<br />
mir Schluss mache. Irgendwann danach sah ich sie mit diesem Typen, namens Andi. Er war eine<br />
dieser üblichen Mischungen aus Snowboarder, Skateboarder und Arschloch. Ich war fertig, aber<br />
ich wollte es niemandem zeigen, also trug ich es monatelang mit mir herum, manchmal im Kopf<br />
und manchmal ganz tief unten im Bauch. Im Juli redete ich zum ersten Mal darüber, und zwar<br />
ausgerechnet mit Nicole. Und sie versprach mir, niemandem etwas zu sagen und ich vertraute ihr<br />
vollkommen und dabei wurde mir bewusst, dass Nicole Wahnsinn ist.<br />
„Sie hat was mit wem anderen gehabt.“ sagte Sid. Einfach so.<br />
„Was?“<br />
„Sie hat was mit einem anderen Kerl gehabt. Das weiß ich.“<br />
Ich spürte, wie es in meinem Hals eng wurde, wie die Luft weder rein noch raus wollte.<br />
„Sie hat mir zwar nicht gesagt, wer es ist, aber ich weiß es eh schon.“ Er zog an seiner Zigarette.<br />
„Scheiße.“ Sagte ich leise.<br />
Wir schauten auf das Wasser. Ich wartete.<br />
„Wir wären jetzt im August ein Jahr zusammen. Das ist doch Wahnsinn, oder?“<br />
Sid warf die Zigarette in den See.<br />
„Ich trinke noch ein letztes Bier. Magst auch eines?“ Er stand auf und ich wollte nur schnell<br />
weglaufen.<br />
„Nein. Danke.“<br />
Er ging zum Seil und kniete sich hin.<br />
„Komm! Trink noch eines mit mir. Ein letztes. Okay?“<br />
Ich nickte. Mir war schlecht. Und dann stand er da, mitten am Steg, mit den beiden Bierfl aschen in<br />
den Händen, wie Billy the Kid.<br />
„Willst du nicht wissen, wer es war?“, fragte er.<br />
Ich antwortete nicht.<br />
„Es war Tom“, sagte er.<br />
Mit achtzehn, also, verliebte ich mich in Nicole. Sie war dunkelhaarig und irgendwie melancholisch<br />
und sie war auch Sids Freundin. Sie war neunzehn und sie spielte Klavier, aber nur selten, weil<br />
sie so viel schlief. Ihre Eltern hatten Geld, aber davon wollte sie nichts wissen. Sie zog bald mit Sid<br />
zusammen und nachts, alleine in meinem Bett, sah ich oft ihr Gesicht. Nicole arbeitete in einer Bar<br />
und redete immer wieder von einer Weltreise, die sie irgendwann mit Sid machen würde. Sie sagte,<br />
dass sie mindestens zwei Jahre weg sein würden, und dass sie wahrscheinlich mit einem Kind<br />
zurückkommen würden. Dann vor drei Wochen ging ich mit ihr ins Bett.<br />
Einer meiner Freunde hat einmal gesagt, dass du den Sex mit einer Frau nach der Form ihres<br />
Mundes einschätzen könntest. Aber das war Scheiße, das wusste ich, weil Nicoles Mund irgendwie<br />
extrem war. Sie rauchte zu viel und sie trank ständig Rotwein und in ihrem Mund war alles dunkel,<br />
fast schwarz. Wäre ihr Mund eine volle Einkaufstasche und würde diese mitten auf der Straße platzen,<br />
dann würden Wein und Kaffee und Soja Sauce und Steaks und Bitterschokolade herausfallen. Aber<br />
im Bett war Nicole ganz zart und süß und schüchtern. Sie zitterte und sagte mir, ich solle das Licht<br />
ausmachen und dann drückte sie sich fest an mich. Das war vor drei Wochen und seitdem verstehe<br />
ich überhaupt nichts mehr; weil ich jetzt weiß, dass ich sie liebe und weil sie mit Sid zusammen ist.<br />
Dem Idioten.<br />
Regentropfen fi elen langsam vom Himmel.<br />
„Scheiß Wetter!“, sagte Sid.<br />
Ich saß nur da und schaute zu, wie die Leute am See ihre Sachen in Taschen stopften und<br />
unter uns<br />
7
Regenschirme aufspannten und versuchten, ihre protestierenden Kinder aus dem Wasser zu holen.<br />
Die Mädchen am Steg lachten und rannten barfuß weg.<br />
„Es fängt voll zu schiffen an! Geil!“ Sid lachte und dann machte er Geräusche, wie ein Kind, das<br />
versucht, ein amerikanisches Polizeiauto zu sein.<br />
Mir war kalt, und ich fühlte mich irgendwie krank.<br />
„Vielleicht sollten wir gehen?“, sagte ich. „Abhauen, bevor es schlimmer wird?“<br />
„Du hast Recht.“ Und Sid ging zu seinem Rucksack hinüber. Ich stand auf und mir war kurz<br />
schwindlig. Dann wickelte ich mein Handtuch um die Taille und zog die nasse Badehose aus. Aber<br />
die anderen Klamotten, die waren am Steg gelegen und jetzt waren auch sie halb nass.<br />
„He! Hast du so was schon mal gesehen?“<br />
Ich zog meine Jeans an und drehte mich zu Sid. Und da saß er, mit dieser Pistole in der Hand.<br />
„Was? Spinnst du! Was ist das? Scheiße!“<br />
„Na, was meinst du, was das wohl ist? Eine Kanone, man! Eine echte! Kein Scheiß!“ Sid lachte und<br />
hob das Ding in die Luft, richtete es auf mich.<br />
„He! Lass das! Scheiße, man!“ Ich duckte mich.<br />
Sid stand auf und schaute sich um. Die Regentropfen waren fett und kalt.<br />
„Tut mir echt Leid wegen der Wettervorhersage. Da war ich ein bisschen daneben. Fuck!“ Er streckte<br />
seinen Arm aus und schaute die Pistole entlang und drehte sich langsam im Kreis.<br />
„Sid! Verdammt! Steck das Ding endlich weg, man!“<br />
Ich kniete. „Steck es einfach weg! Komm, lass uns gehen!“<br />
Es war so, dass Sid eigentlich niemals Spengler werden wollte. Seine beiden ältereren Brüder waren<br />
Spengler und sein Vater hatte sein ganzes Leben lang mit Autos herumgespielt, obwohl er<br />
eigentlich Beamter war. Sid wollte Musik machen oder Album-Covers designen, das sagte er mir<br />
ständig. Und zeichnen konnte er auch. Aber mit siebzehn ließ er sich den Goofy auf den rechten<br />
Oberarm tätowieren und danach war er Spengler.<br />
„Sid! Lass das, bitte! Wenn das jemand sieht!“ Ich schaute über den See zu einem Mann mit einem<br />
Hund. Der Hund drehte durch, lief herum wie verrückt und versuchte irgendwie den Regen zu<br />
beißen. Der Mann schaute her.<br />
„Ich tu eh nichts.“ Er sprach mit der Pistole.<br />
„Hör zu.“ Sagte er. „Ich muss dich was fragen. Was Wichtiges.“ Die Pistole hing neben seiner Hüfte<br />
und er kam rüber zu mir. Ich setzte mich hin, ich konnte nicht mehr stehen.<br />
„Hat der Tom dich jemals angesprochen? Ich meine, wegen der Nicole? Hat er dir irgendetwas<br />
gesagt? Dass er auf sie steht, oder so was?“<br />
„Nichts.“<br />
„Aber er schaut doch ganz gut aus, oder? Der Tom? Der alte Triathlet hat einen guten Körper, oder?<br />
Aber der hat kaum eine Freundin gehabt. Das ist wohl komisch, oder? Was meinst du?“<br />
Ich schaute ihn nur an.<br />
„Aber, wieso meine Freundin? Der hat eh schon alles, oder? Die scheiß Wohnung von seinen Eltern.<br />
Und das Motorrad. So ein Arsch! Der muss mir noch die Freundin klauen! Echt, so ein Arsch!“<br />
Der Regen kam jetzt richtig stark. Die Tropfen hämmerten gegen den See und klangen wie eine<br />
Schallplatte, die zu Ende ist, oder ein Radiosender, den es nicht gibt.<br />
„Vorgestern, am Abend. Weißt du noch?“ Sid begann. „Da waren wir alle beim Löwen was trinken<br />
und danach bin ich mit dem Tom nach Hause gegangen?“<br />
„Ja.“<br />
„Er war ganz nett, oder? Und du auch! Shit!“ Er schaute die Pistole an. „Wir sind aber nicht gleich<br />
heimgegangen, der Tom und ich. Wir sind hierher. Zum See.“<br />
Ich schaute hinauf zu ihm.<br />
„Es war meine Idee. Wir sind vorher in die Firma, wegen dem Moped, weißt du? Und dann sind wir<br />
über die Feldwege zum See. Es war verrückt! Zwei Uhr Früh!“ Er streckte den Arm und die Pistole<br />
nach oben.<br />
„Echt?“, war alles, was ich dazu sagen konnte.<br />
„Ja, dann sind wir über den Zaun und er wollte ins Wasser, du weißt schon, der Triathlet. Dann ist<br />
er in der Unterhose rein.“ Er drehte sich zurück zum See und zum Ende des Stegs. „Da ist er hinein<br />
gesprungen.“<br />
unter uns<br />
8
Dann ging er ein paar Schritte Richtung Wasser.<br />
„Ja, und dann wollte er wieder raus. Und dann habe ich ihn erschossen.“<br />
Er stand wieder mitten am Steg. Er sah völlig irre aus, wie er mich ansah und mit der Pistole in der<br />
Hand. Dann kam er wieder zu mir rüber.<br />
„Ich habe seinen Rucksack genommen und ihn mit den großen Steinen dort vollgefüllt.“ Er deutete<br />
auf den Weg, der um den See führte. „Ich habe mindestens zehn oder zwölf von den Dingern hinein<br />
gegeben. Ich weiß es nicht genau. Aber das waren vielleicht zwanzig Kilo, alles zusammen. Ja, dann<br />
habe ich ihm den Rucksack wieder angezogen und ihn dann ins Wasser geworfen. Also, eigentlich<br />
nicht so richtig geworfen. Er ist halt da unten.“ Er zeigte auf den Steg, auf das Holz unter seinen<br />
Füßen. „Also, sein Kopf ist an dem Ende. Neben dem Bier.“ Und dabei musste er ein bisschen<br />
lachen. Danach war er ruhig.<br />
„Sid. Der Tom ist doch in Griechenland. Das weißt du.“ Ich sprach ganz langsam.<br />
„Nein, ist er nicht. Leider.“<br />
„He, Sid. Man, komm schon, sag so was nicht.“ Ich zitterte. „Du hast ein Bier zu viel erwischt. Ich<br />
auch.“<br />
„Sag was nicht? Was ist los mit dir? Bist du jetzt auch ein Arsch, oder was?“<br />
„Wenn das stimmt, was du gesagt hast, dann hätten wir heute irgendwas gehört. Du weißt schon. Es<br />
hätte jemand angerufen. Ich meine, er hätte den Flug verpasst, oder?“<br />
„Wer soll denn anrufen? Wem soll der Tom denn abgehen? Der wohnt doch alleine und seine Eltern<br />
sind in Wien, oder? Glaubst du, dass der Pilot Toms Eltern anruft, weil er ohne ihn nicht wegfl iegen<br />
darf? Der Tom ist gar nirgends hingefl ogen! So schaut’s aus!“<br />
Er richtete die Pistole wieder auf mich. Ich dachte kurz, wo hat er bloß das Ding her? Ich meine, ich<br />
weiß, dass sein Bruder, der Max, ein Vollkoffer ist und eine Messersammlung hat, aber das da ist<br />
eine echte Pistole. Scheiße! Das darf wohl nicht wahr sein!<br />
„Bist du mein Freund, oder was ist? Oder willst du mich auch verarschen? Wie der Tom?“<br />
Er richtete immer noch das Ding auf mich.<br />
„Sid.“<br />
„Ich rede mit dir! Wer ist dir wichtiger, er oder ich?“<br />
„Hör zu, Sid. Scheiße! Das ist doch nicht wahr, oder? Das mit Tom? Oder?“<br />
„Hast du die Frage nicht verstanden, oder was!“<br />
„Warte! Scheiße!“<br />
„He! Ich rede mit dir!“<br />
„Warte, man!“<br />
„Oder willst du jetzt auch was von meiner Freundin? Willst du sie auch fi cken?“<br />
„Sid!“<br />
„Ich rede mit dir!“<br />
„Sid!“<br />
Dann drückte er ab. Der Wichser.<br />
unter uns<br />
9
Lukas Werner<br />
geboren 1978 in Wien. Dort wächst er mit fünf Geschwistern auf. Nach der Matura ver sucht er<br />
sich in Schuhmacherlehre und Theologiestudium, die er beide wieder abbricht Aus lands dienst in<br />
Bolivien. 1991 beginnt er Kulturtechnik zu studieren. Während des letzten Jahres Studienaufenthalt<br />
in Warschau. Dort erste Schreibversuche. Bisher kreative Äußerungen eher in Malerei und Musik.<br />
Herr Maté<br />
Es klopft.<br />
Herr Maté dreht sich im Bett auf die andere Seite.<br />
Er legt das Ohr ans Holz.<br />
Wieder klopft es.<br />
Herein, sagt Herr Maté, doch niemand kommt herein.<br />
Er weiß es, im Lexikon nämlich, da hat er es nachgelesen.<br />
Das Lexikon kann er von seinem Bett aus sehen. Vierzehn Bände hat es, vierzehn schwarze,<br />
gescheite.<br />
Natürlich kann er von seinem Bett aus nicht im Lexikon nachsehen. Überhaupt kann er im Lexikon<br />
nicht mehr nachsehen. Dazu müsste er nämlich auf die Leiter steigen.<br />
Herr Maté hat eine Leiter, aber hinaufsteigen, das kann er schon lange nicht mehr. Hinuntersteigen,<br />
das ginge noch, denkt er, aber natürlich hat er es nicht ausprobiert.<br />
Eine Leiter, auf der man hinuntersteigen kann, ohne hinaufzusteigen. Unsinn, denkt Herr Maté, eine<br />
solche Leiter gibt es nicht.<br />
Es ist auch nicht unbedingt notwendig, denkt er, denn er hat es bereits nachgelesen. Immerhin,<br />
solch eine Leiter sollte man erfi nden.<br />
Es klopft.<br />
Herr Maté ist es, der klopft. Mit den Knöcheln der Hand klopft er aufs Holz.<br />
Er wartet. Mit dem Ohr am Brett wartet er.<br />
Jetzt klopft es wieder, doch es ist nicht Herr Maté, der klopft.<br />
Drinnen im Holz klopft es.<br />
Herr Maté weiß Bescheid. In einem der schwarzen Bücher hat er es gefunden.<br />
Ein Käfer, der im Holz wohnt solange er wie ein Wurm aussieht.<br />
Vielleicht schämt er sich, weil er so aussieht, denkt Herr Maté.<br />
Alle Würmer schämen sich, denkt er. Auch die Regenwürmer kommen erst aus der Erde, wenn sich<br />
ihre Löcher mit Wasser füllen. Alle, die sich hässlich fühlen wohnen im Holz oder in der Erde.<br />
Man kann es aber auch anders sehen. Bestimmt kann man es auch anders sehen, denkt er.<br />
Schmetterlinge können nicht im Holz wohnen. In der Erde vielleicht. Jedenfalls nicht im Holz. Was<br />
sollten sie dort mit ihren Flügeln anfangen. Fische auch nicht, auch in der Erde nicht. Immerhin<br />
leichter in der Erde, denkt Herr Maté, leichter jedenfalls als Schmetterlinge. Aber im Holz<br />
ausgeschlossen. Ausgeschlossen! denkt Herr Maté.<br />
Das Brett ist die Welt des Wurmes, denkt er.<br />
<strong>Bretter</strong> die die Welt bedeuten fällt ihm ein, und er lächelt.<br />
In der Tiefsee, denkt er. Einige auch in der Tiefsee.<br />
Es klopft.<br />
Herr Maté klopft zurück.<br />
Klopf auf Holz, denkt er, doch er weiß es nicht.<br />
Totenuhr, denkt Herr Maté. Im Volksmund Totenuhr.<br />
Herr Maté weiß Bescheid.<br />
In einem der schwarzen Bücher hat er es gefunden. Wie der Käfer eigentlich heißt, das hat er<br />
vergessen. Totenuhr jedenfalls im Volksmund. Totenuhr, aber nicht offi ziell.<br />
Holzbock, ist alles was ihm dazu einfällt.<br />
Man sieht den Wörtern nicht ohne weiteres an, was sie bedeuten, denkt Herr Maté, vielleicht lebt der<br />
Holzbock ja im Holz. Der Steinbock lebt aber auch nicht im Stein, fällt ihm ein.<br />
herr maté<br />
10
Klopf auf Holz, das weiß er auch nicht, aber das hat er nicht vergessen. Noch nie hat er gewusst,<br />
was das bedeutet.<br />
Ein ganzes Leben fragt man sich, was das bedeutet, Klopf auf Holz. Immerhin, man könnte ja<br />
irgendwo anrufen und fragen, denkt er.<br />
Es klopft.<br />
Herein, denkt Herr Maté. Doch er sagt es nicht.<br />
Gescheiter wäre, Heraus, meint er. Immerhin wohnt die Totenuhr doch im Brett. Totenuhr, komischer<br />
Name, denkt er.<br />
Im Mittelalter haben die Leute viel Angst gehabt. Herr Maté hat keine Angst. Vor Uhren hat er<br />
überhaupt keine Angst. Er hat auch eine Uhr.<br />
Man könnte sie wieder mal aufziehen, denkt er.<br />
Nicht vergessen: Kuckucksuhr aufziehen, Klopf auf Holz fragen!<br />
Hoffentlich bekomme ich Besuch, denkt er.<br />
Herr Maté hat einen Einfall: Wenn die Totenuhr in die Kuckucksuhr übersiedelt, kann sie vielleicht<br />
zusammen mit dem Kuckuck die Stunden ansagen. Der Kuckuck ruft und der Wurm klopft. Das<br />
wäre lustig. Jedenfalls, aus Holz ist sie, die Uhr. Auch der Kuckuck.<br />
Grauslich wäre eine Wurmuhr. Statt des Kuckucks sieht jede Stunde ein Wurm aus der Uhr und<br />
klopft.<br />
Grauslich, denkt er. Lustig wäre es aber doch.<br />
Es klopft.<br />
Herr Maté dreht sich ein wenig im Bett. Zeit aufzustehen, denkt er.<br />
Langsam richtet er sich auf und setzt sich auf die Kante. Von hier kann er sehen, dass es draußen<br />
schon hell ist. Drüben beim Fenster steht der Sessel. Wenn er sich zuerst am Bett, dann am<br />
Schreibtisch anhält, kann er bis zum Sessel gehen.<br />
In der Früh wird das Frühstück gebracht. Im Styropor. Herr Maté mag das nicht. Er mag es nicht,<br />
wenn er noch im Bett liegt, wenn ihm das Frühstück gebracht wird. Styropor mag er auch nicht.<br />
Natürlich kann man das Essen nicht in einer Steinschale bringen, das leuchtet ihm ein. Aus<br />
Holz vielleicht, zumindest im Mittelalter, damals vielleicht aus Holz, Steinschalen vielleicht in der<br />
Steinzeit.<br />
Das müsste man im Lexikon nachlesen, ob in der Steinzeit das Essen in Steinschalen gebracht<br />
wurde, denkt Herr Maté.<br />
Einem König vielleicht. Königen wurde das Essen vielleicht in Steinschalen gebracht.<br />
Jetzt hat er den Sessel erreicht und setzt sich.<br />
Am Morgen scheint die Sonne durchs Fenster.<br />
Der Bügel der Straßenbahn zieht über das Fensterbrett.<br />
Auf der Baustelle drüben wird gehämmert und gesägt.<br />
Wenn die Straßenbahn um die Kurve quietscht kann er bis fünf zählen, dann zieht der Bügel über<br />
das Fensterbrett.<br />
Man könnte den Sessel auch näher ans Fenster rücken, denkt Herr Maté, um die Straßenbahn zu<br />
sehen. Vielleicht hat der Bügel ja gar keine Straßenbahn. Unsinn, denkt Herr Maté, einen Bügel<br />
ohne Straßenbahn gibt es nicht.<br />
Außerdem sieht Herr Maté nicht mehr so gut. Jedenfalls hört er. Die Jungen sehen, denkt er, sehen<br />
besser als sie hören. Es scheint ihm, dass er früher auch besser gesehen als gehört hat. Wenn man<br />
alt ist, hört man besser als man sieht. Besser, denkt er, besser ist vielleicht nicht das richtige Wort.<br />
Logisch, denkt er, die Geräusche kommen auch um die Ecke.<br />
Die Straßenbahn quietscht. Herr Maté zählt bis fünf, dann zieht ihr Bügel über das Fensterbrett.<br />
Es klopft.<br />
Herein, sagt Herr Maté.<br />
Jemand kommt herein mit der Zeitung und einer Styroporschachtel in der Hand.<br />
Meistens Hühnerkeule, denkt er. Herr Maté öffnet die Schachtel. Dampf steigt aus dem Styropor<br />
auf.<br />
Und Gurkensalat, denkt Herr Maté, seltsam, Gurkensalat. Gurken kocht man nicht. Paprika,<br />
Paradeiser, Kohl alles kocht man, denkt er. Erbsen, denkt er, Erbsen kocht man auch.<br />
Vielleicht in der französischen Küche, denkt er, da kocht man ja auch Schnecken. Vielleicht kocht<br />
herr maté<br />
11
man Gurken in Frankreich.<br />
Radieschen, fällt ihm dann ein. Radieschen kocht man auch nicht. Gurken kann sein, aber<br />
Radieschen kocht man wahrscheinlich nicht. Nicht einmal in Frankreich, denkt er. Man sollte es<br />
immerhin ausprobieren.<br />
Auch heute Hühnerkeule im Styropor. Herr Maté mag Hühnerkeule. Er erinnert sich: Kuckucksuhr,<br />
Klopf auf Holz. Doch es scheint im plötzlich nicht mehr so wichtig.<br />
Das Glas der Brille ist zerbrochen. Zum Lesen muss man den Kopf ein wenig schief halten. Dann<br />
kann man lesen trotz des zerbrochenen Glases.<br />
Nicht alles versteht man. Anderswo würde man noch weniger verstehen, denkt Herr Maté. Anderswo.<br />
Nur einmal war Herr Maté anderswo.<br />
In Polen war er. Herr Maté will nicht zurück nach Polen. Im Krieg war er dort.<br />
Einmal Polen ist genug, denkt er. Es kam auch nicht drauf an, etwas zu verstehen, denkt er dann.<br />
Mit dem Bleistift unterstreicht er die Worte. Worte fühlt man, oder man versteht sie nicht, denkt er,<br />
nur wenn man sie fühlt, versteht man sie.<br />
Er liest. Erklärungsversuche, Wechselkurs, liest er.<br />
Er horcht. Er horcht in sich hinein.<br />
Er fühlt, doch er fühlt es nicht. Diese Worte fühlt man nicht, denkt er. Erklärungsversuche nicht,<br />
Wechselkurs auch nicht. Man denkt es, aber man fühlt es nicht.<br />
Er unterstreicht sie. Mit dem Bleistift unterstreicht er sie. Manchmal braucht es seine Zeit, denkt er,<br />
manchmal braucht das Gefühl eine Weile, dann meldet es sich. Dann muss man radieren.<br />
Es quietscht.<br />
Herr Maté zählt bis fünf, dann zieht der Bügel der Straßenbahn über das Fensterbrett.<br />
Er hält den Radiergummi in der Hand. Möglich, denkt er, möglich, dass der Radiergummi vor dem<br />
Bleistift erfunden wurde. Möglich aber unwahrscheinlich. Der Radiergummi macht nur Sinn wegen<br />
des Bleistiftes.<br />
Schlafen, Brett, essen, lieben, Haus, diese Worte unterstreicht Herr Maté nicht.<br />
Warm scheint sie auf sein Gesicht.<br />
Heute auch Königen, denkt Maté, heute wird sogar Königen das Essen im Styropor gebracht.<br />
Er schließt die Augen.<br />
Durchs Fenster scheint sie. Warm scheint sie durchs Fenster, die Sonne.<br />
herr maté<br />
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Yvonne Becák<br />
geboren 1977 in Wien. Dort wächst sie als Kind tschechoslowakischer Flüchtlinge auf. 1992<br />
besucht sie eine Handelsakademie. Ihr Klassenvorstand meint bereits nach wenigen Wochen, sie<br />
sei im falschen Schultyp gelandet, was sie fünf Jahre lang auch zu spüren bekommt. 1997 beginnt<br />
Yvonne Beák an der Universität Wien zu studieren. Nach einem kurzen Irrweg entscheidet sie sich<br />
für Tschechisch und Germanistik sowie Deutsch als Fremdsprache. Im Sommer 2004 bringt sie ihr<br />
Studium zu Ende. Sie absolviert mehrere Praktika und Studienaufenthalte in Tschechien, in Litauen<br />
und Polen. Im Schuljahr 2004/05 ist sie Unterrichtspraktikantin in Retz (NÖ). Seit ihrem 18. Lebensjahr<br />
schreibt sie von Zeit zu Zeit.<br />
Sabine Pawischitz<br />
geboren 1979 in Eisenstadt. Sie wächst in einer burgenlandkroatischen Familie bilingual<br />
auf, wobei sie sich erst nach der Matura für ihre Herkunft und zweite Muttersprache zu<br />
interessieren beginnt. Sie studiert in Wien, Zagreb und Belgrad Slawistik (Serbokroatisch,<br />
Russisch, Bulgarisch) und Deutsch als Fremdsprache, wodurch sie ihre Leidenschaft für den<br />
Balkan entdeckt. Diese intensiviert sich durch mehrmonatige Praktika in Bosnien, Bulgarien<br />
und Kroatien. 2004 arbeitet sie an zwei Gymnasien im Burgenland und unterrichtet Deutsch<br />
als Fremdsprache in einem Integrationskurs. In ihrer Freizeit schreibt Sabine Pawischitz als freie<br />
Mitarbeiterin für verschiedene burgenlandkroatische Minderheitenzeitschriften.<br />
Caje sukarije – Tanz, schönes Mädchen!<br />
Over and over<br />
It´s over all over<br />
Over and over and over<br />
Mark Brydon & Roisin Murphy<br />
Eigentlich bedenklich, Moloko kennen Milas Situation nicht, wissen aber trotzdem, wie es um die Dinge<br />
steht: It´s over all over – wie die herzblattsche Zusammenfassung von Susi, wie eine Therapiestunde<br />
bei der Psycho, die keinen tatsächlichen Einblick hat, aber dadurch, dass sie eine Person in eine<br />
bestimmte Schublade gesteckt hat, anscheinend doch weiß, wie es in ihrem Gegenüber zugeht,<br />
wie Gefühlskriege ausgekämpft werden, wie der Mangel an Glückshormonen das menschliche<br />
Innenleben zerfrisst und sich beim Erzählen von irgendwelchen zwischenmenschlichen Tiefschlägen<br />
wahrscheinlich vorstellen kann, woran der Erfolg am Zwischenmenschlichen gescheitert ist. Und<br />
dann folgt wieder eine Konklusion à la It´s over all over . Und dies nicht nur bezogen auf das Ende<br />
einer Beziehung, sondern auch auf jenes der Therapiestunde, die Euro 85,- kostet und nicht einmal<br />
60 Minuten dauert.<br />
Mila sitzt über ihrem Couscousaufl auf und weiß, dass aus dem ersehnten Kuss nichts mehr wird,<br />
denn: It´s over all over. Eine Träne rinnt ihr über die Wange, die voller Pickel ist und aus der<br />
Perspektive der Träne einer Buckelpiste gleichen muss, noch ein Tropfen aus dem Auge folgt und<br />
auch die nächste schlüpft aus dem Tränensack. Nach und nach entsteht eine ganze Schigruppe.<br />
Besser als eine vierte Gruppe, die noch dazu kopfl os ist, sind sie keinesfalls – schließlich stürzen<br />
sie sich die Wange im Schuss hinunter – von einem Parallelschwung scheinen sie überhaupt noch<br />
nie etwas gehört zu haben – und versickern entweder im Mund, in dem sie den Geschmack einer<br />
versalzenen Suppe hinterlassen oder sie begeben sich auf eine weitere Reise über das Kinn zum<br />
Hals, in den V-Ausschnitt, wie es im sommerlichen Abendgewitter oft ist, wenn man den Kopf<br />
nach hinten neigt, um ein paar Regentropfen zu kosten und diese weniger in den Mund als in den<br />
Ausschnitt tropfen, wo sie eigentlich nichts zu suchen haben, aber bei ihrem angenehmen kitzeln<br />
doch nichts anderes als ein Lächeln über die zuerst noch geöffneten Lippen gleiten lassen, welches<br />
Männer, wenn sie in diesem Moment gerade an einer vorbeigehen, als durch sie hervorgerufen<br />
verstehen wollen, so wie sie oft gerne Lob einhamstern, das ihnen eigentlich nicht zusteht.<br />
Auch Mila ist kurzfristig zum Lächeln zumute, die Tränen treten nun eine kleine Hügeltour an,<br />
caje sukarije – Tanz, schönes Mädchen!<br />
13
die über Milas Hautfalten im Bauchbereich führen bis sie im Nabel versickern, wodurch sich das<br />
Lächeln in einen abrupten Lacher verwandelt. Sie nimmt die Serviette von ihrem Schoß, schmeißt sie<br />
auf den Tisch, steht auf und nimmt den Kaffee, den sie sich gerade gemacht hat mit ins Bad, wo die<br />
Badewanne gerade eingelassen wird, der Schaum schon längst über den Badewannenrand quillt<br />
und Mila nicht erkennen lässt, wie hoch das Wasser schon steht. Doch sie denkt sich: „Du stehst<br />
mir schon bis hierher“, und deutet mit ihrer Hand eine waagrechte Handbewegung in Halshöhe<br />
an. Sie entledigt sich ihrer Unterhose und des T-shirts und steigt vorsichtig, prüfend ins Wasser<br />
– Gott sei Dank die richtige Temperatur. Ja, It´s over all over , aber deshalb ist das Leben auch kein<br />
schlechteres, wer weiß, vielleicht sogar ein besseres. „Schließlich ist es besser sich mehr Zeit für<br />
sich zu nehmen, als für jemanden, der sie sich kaum noch Zeit für mich nimmt“, murmelt sie vor<br />
sich hin und taucht unter die Haube aus Schaum, wobei sie sich vorstellt, es wäre Milchschaum<br />
und das so intensiv, dass sie die Zunge ausstreckt, um ihn zu kosten – erschrocken fährt sie hoch,<br />
grinst über ihr allzu ausgeprägtes Vorstellungsvermögen und spült sich mit verzerrtem Gesicht den<br />
Mund aus, dies tut sie so gründlich, dass das Wasser bereits über den Badewannenrand schwappt.<br />
„Wenn´s eh schon drüberrinnt, dann ist´s eh schon egal“, rechtfertigt Mila ihren nächsten Gedanken,<br />
setzt sich an jenen oberen Badewannenrand, wo sie für gewöhnlich ihren Kopf anlehnt und rutscht<br />
in die Wanne. Über das Kind in sich überrascht, kommt ein nochmaliges Lachen auf und damit<br />
das Aufwischen nachher auch Sinn hat, wiederholt sie das Rutschen noch einige Male. – „So, das<br />
hätten wir“, sagt sie sich, als sie feststellt, dass sie nur noch in zwei Dritteln der ursprünglichen<br />
Wassermenge sitzt.<br />
Das Mobiltelefon läutet – soll sie hingehen? Sie winkt ab und denkt sich: „Dann müsste ich den<br />
Rest der Wohnung auch noch aufwischen. Eh nur jemand, der gerade erfahren hat, dass es mit Fili<br />
vorbei ist – das spar ich mir. Besser ich lass das Mobiltelefon in nächster Zeit unmobil.“ Schließlich<br />
will sie in der Straßenbahn nicht daran erinnert werden, dass Filli ein Sack ist, der seinen Inhalt im<br />
A- oder B-Loch ihrer mutmaßlich besten Freundinnen entleert hat. Von den Lochbesitzerinnen ganz<br />
zu schweigen.<br />
Sie fasst den Entschluss: „Ich muss mein Umfeld wechseln – ich muss fl üchten – ich muss mich<br />
in etwas fl üchten.“ Am besten wäre da eine Arbeit, die ihr keine Zeit für Freizeit gibt, noch besser<br />
wäre eine, die Arbeits- und Freizeit verbindet. Dieses blöde Herumstudieren macht ihr ohnehin<br />
nicht so viel Freude, wieviel notwendig wäre, um es jemals zu beenden. Kaum geht es um<br />
mittelhochdeutsche Grammatik, wird ihr schlecht, kaum denkt sie an das Nibelungenlied, kommt<br />
ihr das Kotzen und dann diese Männerdominanz im Kanon ... – also was soll´s? Raus aus der<br />
Uni, rein ins Berufsleben, alle Wege stehen ihr frei, die Türen werden jedoch geschlossen bleiben,<br />
denn mit einer Gymnasialmatura, noch dazu mit einer, die ein Jahr später abgelegt worden ist, als<br />
vorgesehen und einem abgebrochenen Germanistikstudium werden sich die Arbeitgeberinnen und<br />
-geber nicht gerade um sie reißen. Wenn sie nach ihren Qualitäten gefragt würde, wäre es wohl<br />
nicht das Taktvollste, wenn sie erwähnte, dass sie alle Exfreunde dafür lobten, dass die küsst, als<br />
würde sie ihnen einen blasen. Naja, taktvoll wäre es wohl nicht, da mögen Milas Gedanken schon<br />
korrekt sein, aber sinnvoll, sinnvoll, wenn es sich um einen Arbeitgeber handelt, vermutlich schon.<br />
Sie sieht auch schon den Film vor sich: Hemd, Krawatte, Sakko und Schnürlsamthose – und zwar<br />
eine, dessen Zipp nicht zu ist, eine, die milchige Flecken um ihn herum aufweist und mit dem<br />
nicht genug: um den Reißverschluss glitzert auch noch der perlmuttfarbene Lippenstift, den ihr ihre<br />
Mutter immer vom Warschauer Flughafen mitnimmt.<br />
Es klingelt an der Wohnungstür, zuerst erschrickt Mila, überlegt, ob sie auf jemandes Besuch<br />
vergessen hat, doch nein, sie versucht ja gerade alle zu vergessen. Sie taucht unter und hofft, dass<br />
nicht mehr geklingelt wird, wenn sie wieder auftaucht, doch es ist zu hören, wenn auch dumpfer,<br />
da ihre Ohren voller Wasser sind.<br />
Jemand schlägt mit der ganzen Faust rhythmisch gegen Milas Eingangstür, diese Buschtrommeln<br />
kündigen defi nitiv Besuch an. Mila fi scht sich aus dem einschläfernden duftenden Wasser und<br />
schleppt sich zur Tür. Durch den Spion erkennt sie nur ein Auge, dass sich von der anderen Seite<br />
an die trennende Holztür presst. „Mila, ich bin´s! Mach auf!“ Es trommelt weiter. Besuch – bewirten,<br />
eine Fülle von Fragen beantworten, freundlich lächeln, na das hat ihr noch gefehlt. Mila macht auf.<br />
Ein schlumpfi ges Kichern springt ihr entgegen, lachende Augen fokussieren sie und dunkles dickes<br />
Haar schlägt gegen ihre Wangen. Eine würgegriffähnliche Umarmung folgt. Mila atmet tief ein, ein<br />
caje sukarije – Tanz, schönes Mädchen!<br />
14
Duft von Rosen, Wiese und Backstube drängt sich auf – das kann nur Tante Nevena sein. Zwei<br />
Hände schlagen gegen Milas Wangen, Lippen drücken sich auf Milas Lippen. Mit fremden Fingern<br />
werden die Spuren des klebrigen Lippenstiftes von Milas Gesicht gerubbelt. Sie bekommt keine Luft,<br />
schweigt, ist traurig und überfordert. Wie bei einer zerkratzten Schallplatte bekommt Mila nur die<br />
Hälfte des Gesagten mit. Während sie versucht zu sich zu kommen, kocht die Tante schon Kaffee und<br />
im Radio läuft „Freies Europa“. „Dünn bist du geworden mein Kind!“ Kopfschütteln folgt. „Ach, mein<br />
Kindchen. Mit Zucker? Ich liebe süßen Kaffee, wie alle Bulgaren.“ „Ja, mit Zucker!“, sagt Mila. „Ach,<br />
was ich schon wieder alles erlebt habe. Dieser furchtbare Bus, eine einzige Schikane, dabei sind wir<br />
ja schon fast bei der EU! Sofi a ist gar nicht so weit von Wien, dieser Bus macht eine Europareise bis<br />
er hier angelangt ist!“ Mila hört weg, sie muss sich konzentrieren um nicht zu weinen. Der Kaffee tut<br />
gut, wärmt den gereizten Magen. „Lass ´mal sehen, meine Sonne, was dir dieses Tässchen bringen<br />
wird!“ Tante Nevena liest Mila aus dem Kaffeesud. Sie kann das laut Gerüchten. Mila glaubt nicht<br />
daran, die Tante hat einfach nur zu viel Fantasie. „Hihihi, mein Kind, in einen Zigeuner wirst du<br />
dich verlieben und ein Kind wirst du von ihm bekommen!“ Nevena hält sich den Bauch vor Lachen,<br />
sie brüllt so richtig los, deutet an, drei Mal auf den Boden zu spucken, um alle bösen Geister zu<br />
vertreiben und schreit und windet sich. Sie zündet sich eine Zigarette an und beruhigt sich schön<br />
langsam. „Uf, ich habe schon geglaubt, ich müsste sterben. Mila und ihr Zigeuner-Gigolo. Hast wohl<br />
keinen Sex, oder? – dass du schon mit so einem ins Bett steigst! Kindchen, Kindchen, schwarze<br />
Augen rauben dir den Verstand, ich fasse es nicht.“ Tief saugt Nevena den Zigarettenrauch ein,<br />
schließt für einen Moment ihre Augen und bläst den nebeligen Dunst genüsslich durch ihre Nase<br />
ins Zimmer. Mila ist genervt. Die laute Tante mit ihrem Tschikstummel zwischen den pinkfarbenen<br />
Lippen, die sie noch dazu auslacht und ohne Ende wirres Zeug redet – genau das hat ihr noch<br />
gefehlt. „Ich mag es nicht, wenn man in meiner Wohnung raucht, Nevena.“ „Magst du auch eine?<br />
Ich rauche nicht, ich genieße und lebe! Schau mich an, ich bin frisch wie eine Rosenblüte, glatt<br />
wie ein Smaragd aus den Rhodopen!“ und stolz poliert Nevena ihre Goldzähne mit einer alten<br />
Papierserviette. Ein zischelndes Geräusch, und schon glimmt die nächste „Victory“ zwischen den<br />
bulgarischen Lippen, aus denen ein Wasserfall aus Gelächter und Worten sprudelt. Nevena erzählt,<br />
dass sie als Schneiderin bei einem Zirkus in Ruse arbeitet. Ihr Freund ist Matrose und gerade<br />
auf hoher See. „Er hat einen Bart wie Zar Boris. Ein schöner Mann. Sexy. Wenn er mich auf den<br />
Bauch küsst, kitzelt das so sehr, dass ich immer lachen muss. Ich bekomme Gänsehaut, wenn er<br />
mich ansieht. Darum liebe ich ihn.“ Nevena hat einen Augenaufschlag wie Marilyn Monroe, sie<br />
verdreht ihre Augen und schnauft, während sie sich erneut eine Zigarette anzündet. „Ich vermisse<br />
ihn.“ Nevena will in Wien noch vor dem Sommer Stoff für neue Kostüme kaufen. Mila ist todmüde,<br />
gefühllos und ausgelaugt. Sie bemüht sich ein letztes Mal ihre Mundwinkel in Richtung Ohren zu<br />
ziehen und wirft sich verwirrt ins Bett. Nevena bleibt noch lange wach, sieht fern, schreibt ein paar<br />
sms nach Bulgarien und trinkt Mastika vor dem Einschlafen.<br />
Der Duft von frischem Kaffee weckt Mila auf. Nevena will wieder nach Ruse. Sie ist traurig in Wien.<br />
„Komm doch mit, mein Täubchen! Da, trink einen Mastika und such dir einen Mann, der dich auf<br />
Händen trägt! Was willst du denn von so einer Mimose wie Florian? Oder wie heißt er schnell? Na, geh<br />
bitte! Keine Eier hat der Typ! Warmduscher! Schimpf ein bissl! Wo ist bloß dein ganzes Temperament<br />
geblieben? Nix hast du von deiner Familie. Kalt bist du, wie Eis! Da, trink einen Mastika und rauch<br />
eine, das tut gut! Glaub mir! Vielleicht bin ich dumm, aber wie man richtig lebt, das weiß ich!“ Es<br />
hallt, lacht und qualmt innerhalb von Milas Wänden, duftet nach Kaffee und Rosen, Musik aus allen<br />
Zimmern, Nevena hat die Stille vertrieben.<br />
Mila begleitet die Tante zum Südbahnhof. Nevena hat unzählige karierte Plastiktaschen zum Bersten<br />
gefüllt mit leuchtenden Stoffen. Mit dem Busfahrer wird verhandelt. Kopfschütteln. Euros wechseln<br />
den Besitzer. Der Mastika wird ausgepackt und anschließend raucht man zufrieden eine gemeinsame<br />
Friedenszigarette. „Shte se vidim, milichka, v Balgaria!“, ja, ja man wird sich sehen.<br />
Mila fühlt sich noch einsamer als zuvor. Ihre Mutter fl iegt als Stewardess quer durch Europa, die<br />
eine Hälfte der Familie sitzt in Bulgarien, die andere Hälfte ist im Mostviertel. Alles Spießer. Uni<br />
ist Scheiße, Job suchen frustrierend, ihr Freundeskreis ist in sich zusammengebrochen. Na toll,<br />
Mila hat rosige Aussichten. Sie will weg, weg und die <strong>Bretter</strong> der Welt erobern. So wie Nevena, mit<br />
einem Zirkus um die Welt reisen, von Marokko bis Usbekistan, lieben und geliebt werden und jeden<br />
Tag mit einem Lächeln im Gesicht einschlafen. Ist doch nicht zu viel verlangt, so halt wie in jedem<br />
Kinderfi lm – am Ende gibt es immer ein Happy End.<br />
caje sukarije – Tanz, schönes Mädchen!<br />
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Over an over, bei Mila gibt es kein Happy End. Mila schaut sich ihre Finger an. Sie erinnert sich an<br />
den Film „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Die Teenager im Film tätowieren sich Sterne mit Tinte unter<br />
ihre Haut. Mila probiert es auch. Sie nimmt eine Nähnadel, tränkt einen Faden mit Tinte und beginnt<br />
am Ringfi nger mit dem ersten Einstich. Mila kippt einen Mastika runter, dreht die Musik lauter und<br />
macht weiter. Die Tränen in ihren Augen verwandeln sich in ein Meer und wandern, plagen sich<br />
über ihr Gesicht und ihren Hals in ihr Dekollete. Sie weiß nicht, was ihr mehr Schmerzen bereitet<br />
– der blutende Finger oder ihr zerfl eddertes Herz. Stolz betrachtet sie den verkrüppelten Stern, der<br />
anstelle eines Freundschaftsringes ihre grobe Hand ziert. Mila schenkt einen Mastika nach und<br />
zündet eine Zigarette an, die ihre Tante da gelassen hat. Sie schreibt ihr ein sms nach Bugarien.<br />
Nevena antwortet nicht, wahrscheinlich hat sie kein Guthaben.<br />
Mila fühlt sich gelangweilt und einsam, ohne Aufgabe und ohne Berechtigung zu leben. Keine Arbeit,<br />
keine Freunde, keine Familie. Mila geht über den Naschmarkt. Ein paar Leute verkaufen alte Sachen,<br />
nichts als Ramsch. Sie kauft sich ein Eis und beobachtet das Geschehen. Sie geht nach Hause, nimmt<br />
alle DVDs, die der verlogene Idiot bei ihr gelassen hat und trägt sie auf den Markt. Vom Markt nimmt sie<br />
70 Euro heim. Es ist Samstag und alle Geschäfte sind schon geschlossen. Mila hat kein Brot mehr, keine<br />
Milch und keinen Kaffee. Sie fährt zum Südbahnhof und geht einkaufen. Eurolines – genau, das war<br />
doch der Bus von Nevena. Am Schalter fragt sie, was eine Karte nach Sofi a kostet. Ja, sie will eine. Ja, für<br />
heute. Mila geht zum Busparkplatz und setzt sich mit ihrem Einkauf in den leeren Bus nach Sofi a.<br />
Der Busfahrer starrt sie an. „Bagazha?“ Nein, sie hat kein Gepäck. Nein, sie wohnt in Bulgarien und<br />
war nur zu Besuch in Wien. Ja, so ist das. Kein Gepäck.<br />
Mila fühlt sich gut in ihrer neu erfundenen Lebensgeschichte. Entspannt lehnt sie sich zurück und<br />
wirft sich Brotkugerl in den Mund. Sie kontrolliert noch einmal, ob sie ihren Pass dabei hat. Perfekt.<br />
Seit sie mit den Fluchtgedanken spielt, trägt sie ihr rotes Reisedokument stets bei sich. In Ungarn<br />
kauft sie sich an der Grenze Zigaretten. In Serbien trinkt sie in einem Restaurant an der Straße einen<br />
starken türkischen Kaffee mit viel Zucker und in Sofi a übergibt sie sich am Busbahnhof. Mila bricht<br />
in Panik aus. Sie ist allein. Alles um sie ist fremd. Sie versteht fast nichts und kann nichts lesen. Die<br />
<strong>Bretter</strong> der Welt in einem bulgarischen Zirkus – der Busbahnhof erinnert eher an ein Erdbeben, aber<br />
nicht an eine Zauberwelt. Mila ist zu tiefst enttäuscht von sich selbst. Wieso hat sie das gemacht? So<br />
absolut plan- und kopfl os. Idiotin.<br />
Ein Taxifahrer spricht sie an. Pfff, in dem Zustand soll sie auch noch das bisschen Bulgarisch in<br />
ihrem Kopf zusammenkratzen?! „Nemski, deutsch or english!“ Er nickt, saugt an seiner Zigarette wie<br />
Tante Nevena und trottet tief beeindruckt davon. Ein gelbes rostiges Taxi hält wenig später neben<br />
Mila. Ein junger Bulgare kurbelt mit beiden Händen das Fenster auf der Beifahrerseite runter und<br />
erklärt, dass er Plamen heißt und in Wien gelebt hat. Super, noch ein Warmduscher. Bitte keine<br />
Anmachsprüche. Mila reibt sich die Augen, atmet tief durch und fragt nach einem Bus nach Ruse.<br />
Plamen möchte ihr Taxi sein. 30 Euro. Sie möchte aber nicht, dass Plamen ihr Taxi ist. Sie hat kein<br />
Geld und keine Kraft. Ihr ist übel, sie hat Durst und ist traurig. Plamen steigt aus und lädt Mila auf<br />
einen Kaffee ein.<br />
Plamen erzählt ihr von seinem illegalen Aufenthalt in der Glitzerwelt Westeuropas. Europa glitzert<br />
nur aus der Ferne. Wenn man um die Erde fl iegt, leuchtet es fast bis ins Unendliche, aber aus der<br />
Nähe staubt und beißt es. Ja, Mila kennt dieses Gefühl, alles beißt sie momentan.<br />
Drei Stunden später sitzt sie in Plamens Auto, das sie nach Ruse bringt. Mila ist müde und<br />
verschwitzt. Plamen ist charmant und männlich. Er riecht gut. Zigaretten raucht er, als würde er mit<br />
jedem Zug eine Geschichte weitererzählen, als sänge er ein Schlafl ied. Aus seinem Mund sprudelt<br />
ein perlmutfarbener Schleier, in den tausende von Erlebnissen eingewoben werden. Mila betrachtet<br />
ihn von der Seite und genießt die Fahrt. Manchmal dreht sie ihren Kopf Richtung Fenster – Felder,<br />
Berge, Schafhirten, Straßenhunde, Plattenbauten, Feigenbäume. Jede Sekunde beginnt eine neue<br />
Geschichte. „Du lächelst“, sagt Plamen zufrieden und hält bei einem Gasthof. „Ich habe Hunger.“<br />
Mila ist eingeladen worden – Rosenmarmelade, Palatschinken mit Feigen, seltsame Gewürze und<br />
guter Wein. Plamen setzt sich auf einen Stein und wutzelt einen Joint zwischen seinen Fingern. „Wir<br />
können in meinem Auto übernachten“, sagt er und zündet die „Nachspeise“ an. Mila macht das<br />
Radio lauter und schaut ihm zu. „Kannst du singen?“, fragt sie ihn. Er will nicht. „Warum bist du so<br />
caje sukarije – Tanz, schönes Mädchen!<br />
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nett zu mir? Gefalle ich dir? Wirst du mich in deinem Taxi vergewaltigen? Willst du mich ausrauben?<br />
Warum machst du das für mich?“ Plamen lächelt sie an und bleibt stumm. Mila legt sich schlafen.<br />
Sie macht zumindest die Augen zu, schlafen kann sie nicht.<br />
Irgendwann ist Mila doch eingeschlafen. Recht früh fährt ihr neuer bulgarischer Bekannter weiter.<br />
Mila wacht auf, ihr ist kalt. Mit den Fingernägeln kratzt sie auf ihren Zähnen herum. Ihre Lippen sind<br />
trocken und sie muss aufs Klo. „Wo sind wir?“ „In Schumen. Jetzt ist es nicht mehr weit.“ „Ich muss<br />
aufs Klo.“ Sie halten an einer Tankstelle.<br />
Ruse. Das kann sie lesen. Prostituierte prägen die Straßen der Peripherie. Es staubt, überall Hunde<br />
und Müll. Mila wird wieder schlecht. Sie hat Angst. Plamen will ihr die Stadt zeigen. Er hat Zeit.<br />
Mila ruft Nevena aus einer Telefonzelle an. Sie meldet sich nicht. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als<br />
mit Plamen zu warten. Sie setzen sich in den Donaupark. „Darf ich deine Haare berühren“, fragt<br />
er. „Du rauchst zu viel“, sagt sie. Plamen muss lachen und küsst Mila auf den Nacken. Er lehnt<br />
sich zurück und beginnt zu singen. „Da drüben ist Rumänien“, lenkt er ab. „Da hinten wachsen<br />
Kirschen“, kontert Mila. Plamen steckt Mila eine Zigarette in den Mund. „Was machst du hier?“ Mila<br />
weiß es selbst nicht. „Ich lenke mich ab und suche das Leben.“ Er nickt als könnte er verstehen und<br />
beginnt sie zu küssen. Zuerst auf den Mund, dann auf den Nacken. Er streichelt ihre Brüste, die mit<br />
jeder Berührung wachsen, und lächelt sie dabei die ganze Zeit an. Er lässt sie nicht aus den Augen.<br />
Plamen beobachtet sie – ihre Brüste, ihren Mund und ihre Augen. Mila ist verunsichert, aber sie will<br />
mit ihm schlafen und führt seine Hand zwischen ihre Beine. Ihr ganzer Körper ist angespannt und<br />
aufrecht, sie will Sex ohne Verpfl ichtungen. „Hast du ein Kondom?“ Er lacht und hört auf. „Du bist<br />
wunderschön.“<br />
Plamen bringt sie in seine Wohnung. „Ich dachte du bist aus Sofi a?“ „Nein, ich arbeite nur in<br />
Sofi a. Meine Familie kommt aus Ruse. Ich möchte dich ausführen.“ Sie gehen in ein bulgarisches<br />
Restaurant, tanzen und trinken viel zu viel. In der ganzen Stadt sind Mücken. Ruse summt, surrt<br />
und sticht.<br />
Mila hat gut geschlafen. Ruse gefällt ihr. Kleines Paris wird es von den Bulgaren genannt. Sie<br />
mag die Donau und ihren neuen Freund. „Dein Nacken schmeckt nach Lebkuchen. Ich möchte<br />
wissen, wie dein Bauchnabel schmeckt und wonach deine Brüste riechen“, sagt der schwarzäugige<br />
Taxifahrer. Mila erhebt sich selbstbewusst vom Frühstückstisch, zündet sich eine Zigarette an, steckt<br />
sie Plamen in den Mund und beginnt sich langsam auszuziehen. Sie weiß, dass sie ihm gefällt. Er<br />
sieht ihr lange in die Augen, raucht zufrieden und genießt das Spiel am Morgen. Er macht das<br />
Radio lauter und geht zu Mila. „Du bist ein Engel“, sagt er. „Darum hast du einen Stern auf deinem<br />
Finger“, liefert er die Erklärung dazu. Mila weiß nicht, was sie darauf sagen soll. Deshalb beginnt sie<br />
Plamen zu küssen. „Schlaf mit mir“, verlangt sie von ihm. Sie bleiben den ganzen Tag im Bett. Nur<br />
die Mücken durchbrechen die Stille. Plamen lässt sie nicht los. Mila fühlt sich gut.<br />
Plamen muss arbeiten und Mila beginnt ihre Tante zu suchen. Nevena ist in Varna, am Meer bei<br />
ihrem Geliebten. „Kindchen, Kindchen, du hast ihn schon getroffen, den Zigeuner, gell! Oh nein!<br />
Hihihihi! Hast dein Herz einem Bettler und Lügner geschenkt! Er ist verheiratet. Er liebt dich, aber<br />
pass auf dich auf! Komm nach Varna!“ Mila hat kein Geld. In Wien steht die Wohnung leer. Sie wird<br />
versuchen sie zu vermieten.<br />
Plamen soll verheiratet sein und ein Zigeuner? Aber Zigeuner leben doch in Wohnwagen, reisen<br />
umher und werden politisch korrekt Roma und Sinti genannt. Mila will es von Plamen selbst hören.<br />
„Bist du ein Zigeuner?“, fragt sie ihn. Er ist betrunken, lächelt sie an und zieht sie aus. „Wen<br />
interessiert das? Ich liebe dich, Mila.“ „Ich fahre morgen nach Wien. Kommst du mit?“ Plamen singt<br />
und singt und zieht sich auch aus. Er trägt Mila ins Schlafzimmer. Sie ist traurig, weil Plamen ihre<br />
Fragen nicht beantwortet und reist am nächsten Morgen ab.<br />
Im Bus nach Wien wird ihr speiübel. Wien zerfrisst sie. Die Einsamkeit macht sie roh und faltig. In<br />
Milas Unterleib sprießt ein Samen, doch davon weiß sie noch nichts und wessen er ist, schon gar<br />
nicht.<br />
caje sukarije – Tanz, schönes Mädchen!<br />
17
Constantin Göttfert<br />
geboren 1979 in Wien. Wächst mit zwei älteren Brüdern in einer Kleinstadt in der niederösterreichischen<br />
Steppe auf, schon früh zieht es ihn nach Wien. Aufenthalte in den USA und Finnland<br />
folgen, begleitet von einer wachsenden Liebe zur Literatur und Musik, die keinen Zenit erreichen<br />
wird. Er absolviert ein Studium an der pädagogischen Akademie, verwirft die damit verbundenen<br />
Zukunftspläne jedoch sogleich und ist mittlerweile dabei, sich mit dem Studium der Germanistik in<br />
Wien selbst den größten Gefallen zu tun. Nebenbei arbeitet er als Übersetzer und Assistent einer<br />
Ideenschmiede.<br />
Vernagelung<br />
Ich war Stunden in der Werkstatt gestanden und hatte Nägel in <strong>Bretter</strong> geschlagen. Mein Arm<br />
schmerzte. Alle, jeden einzelnen, hatte ich wieder herausgezogen und befühlte nun die rostigen<br />
Eisenteile zwischen Daumen und Zeigefi nger, zählte sie ab ohne hinzusehen. Erst als ich sicher<br />
war, keinen vergessen zu haben, steckte ich den Hammer durch die Schlaufe meiner Hose und die<br />
Nägel in die Hosentasche. Dann öffnete ich die Haustür, drückte schwach wie ein Kranker die Klinke<br />
herunter und sah Klara über das Kind gebeugt. Bei jedem Schritt schlugen die Spitzen der Nägel<br />
gegen meine Oberschenkel.<br />
Ich müsse essen, sagte sie ohne aufzusehen. Wer arbeite, müsse auch essen. Ihre Hand am Kopf<br />
des Kindes wie um es zu verdecken. Am Tisch stand ein Topf Suppe. Ich tauchte die Kelle ein und<br />
aß.<br />
Ein Meter zwanzig Länge, sagte sie. Das müsse sich ausgehen. Meine Haut war mit einer feinen<br />
Schicht Holzstaub überzogen. Die Hände wie Teile einer Maschine, deren Funktionieren ich bis vor<br />
kurzem nicht in Frage gestellt hatte. Ich sah, wie sich der feine Staub, der mir überall vom Körper<br />
fi el, mit der Suppe vermengte, rührte, bis nichts mehr davon zu sehen war und führte langsam den<br />
Löffel zum Mund. Das Gemüse war so weich, dass ich es mit der Zunge am Gaumen zerdrückte.<br />
Klara stand auf und ich sah das Kind, das sie die ganze Zeit über mit ihrem Körper verdeckt hatte, in<br />
der Wiege liegen. Dann ging mein Blick weiter, verfolgte die Schnur an der Wiege bis zu Klaras Hand,<br />
die sie hielt, als sie sich zu mir an den Tisch setzte. Ihre Handbewegung erfolgte im immer gleichen<br />
Rhythmus, als würde sie eine ständig wieder kehrende Fliege von ihrer Haut verscheuchen.<br />
Du warst fl eißig, sagte Klara. Ich nickte und log. Die Nägel, die ich beständig und gewissenlos<br />
Stunde für Stunde um ihre Bestimmung gebracht hatte, rieben an meine Oberschenkel. Davon,<br />
dass sie <strong>Bretter</strong> miteinander verbinden sollten, wollte ich nichts wissen.<br />
Den ganzen Tag über das Schlagen deines Hammers, sagte sie. Wie das Ticken einer Uhr. Ich sah,<br />
wie der Zeigefi nger aus ihrer Faust schoss wie ein Pfeil, dessen Bestimmung es war, den Hammer<br />
zu treffen, den ich immer bei mir trug und den sie nie erreichen durfte. Wo ihr Finger endete,<br />
verlängerte sie ihn in Gedanken. Unsere Augen trafen einander zum ersten Mal, seit ich die Stube<br />
betreten hatte, und sofort verriet sie sich, wie sie sich immer verraten würde. Ich steckte meine<br />
Hand in die Hosentasche und zählte die Nägel.<br />
Unser Kind hatte nie gesprochen. Ich hätte es in den Arm nehmen können wie Väter es taten, aber<br />
der Gedanke war mir unerträglich, geradezu blasphemisch. Unvorstellbar, dass es ein Mensch war,<br />
dachte ich, als mein Blick das Gesicht in der Wiege streifte. Die Augen wie mit Harz verklebt, der<br />
blanke riesige Schädel mit einer hauchdünnen Hautschicht überspannt. Als Klara aufhörte, die<br />
Wiege mit der Schnur zu bewegen, lag unser Kind bewegungslos in den Decken und ich hatte<br />
plötzlich den Griff meines Hammers in der Hand. Etwas riet mir, ihn weit von mir zu werfen. Das<br />
Wort Unglück stand im Raum. Aber stattdessen packte ich ihn immer fester, bis ich das Blut in der<br />
Faust pochen spürte. Ich wusste, dass Klara zusah, dass ihre Augen diesen Hammer fi xierten, mehr<br />
noch als ihr Kind, mehr noch als mich. Ich konnte ihr Begehren fühlen, meine Hand mit ihrer zu<br />
tauschen, nur für eine Sekunde den Griff zu halten. Gedanken, dass sie mich längst verlassen hätte,<br />
hielte ich nicht den Hammer in meiner Hand, mehr noch: Ich wäre ihr nutzlos wie ein zerbrochener<br />
Teller.<br />
Ich sah zurück in Klaras Augen. Mir war nicht aufgefallen, wie traurig sie war. Mir war nicht aufgefallen,<br />
wie traurig sie war, weil mir nicht aufgefallen war, wie traurig ich war. Ihre Hand zog wieder an der<br />
vernagelung<br />
18
Schnur und bewegte die Wiege. Darin lag unser Kind. Darin lag der haarlose Riesenkopf mit den<br />
verklebten Augen, als wäre er vom Rest des Körpers abgetrennt. Als wäre nichts anderes mehr unter<br />
den vielen heißen Decken, als gäben die Decken nach, wie Decken es tun, wenn man die Hand<br />
darauf legt. Klara und ich hatten einen Kopf in die Wiege gelegt, mehr noch: Ich hatte die Wiege um<br />
den Kopf des Kindes herum gebaut.<br />
Lust, etwas zu spalten. Noch immer der Hammer in meiner Hand. Klara zog die Schnur und bewegte<br />
die Wiege, bewegte das Kind. Endlich ließ ich den Hammer los. Sofort mein Griff in die Tasche zu<br />
den Nägeln.<br />
Minuten später trieb ich sie ins Holz. Ich war es gewohnt, zu treffen. Oft genug hatte ich auf meinen<br />
Daumen gezielt und verfehlt. Ich war wie der Messerwerfer im Zirkus, der das Fleisch verfehlen<br />
musste, weil er es nie anders gelernt hatte. Auf meiner Haut klebte der Holzstaub, bedeckte mich,<br />
überwucherte mich.<br />
Ich dachte daran, die Schnur an der Wiege zu durchschneiden und die Decken, in die unser Kind<br />
gewickelt war, zu durchwühlen. Ich hörte das Knacken von Holz, in das scharfes Eisen fährt. Der<br />
Gedanke gewann Überhand. Er stieß auf keinen Widerstand. Er erschien mir angemessen.<br />
Abends die Betrügende am Tisch mit der Schnur in der Hand. Geräusch einer schneidenden Schere.<br />
Die Nägel in der Tasche ritzten meinen Oberschenkel und Klara begann zu schreien. Sie sehe es<br />
genau, sagte sie. Ihr Gesicht erinnerte mich an trockene, aufgebrochene Erde. Ich dachte an einen<br />
Pfl ug. Es kam so schnell, dass ich nicht reagieren konnte. Ihre Klauen gruben sich in meinen<br />
Unterarm, entwurzelten ihn und mit ihm das, was ich in Händen hielt: die Nägel. Sie fi elen zu<br />
Boden. Sekunden später hörte ich noch das Klirren. Es war mir nicht möglich, die Gesetzmäßigkeit<br />
ihrer Tat nachzuvollziehen. Klaras Finger verlängerte sich. Er entwuchs ihrer Faust, bis er die Nägel<br />
am Boden berühren konnte.<br />
Ein Betrüger sei ich. Ihr Gesicht berichtete von Wahrheit. Ich kniete nieder, hob die Nägel auf. Gegen<br />
die Zweisamkeit, die sie mir bot, verwehrte ich mich und doch war sie meine Begleiterin auf dem<br />
Weg nach draußen. Hinter mir ihre Schritte, meine Hand fest am Schaft des Hammers. Ob ich es<br />
denn nun endlich machen würde, rief sie. Sie wolle und würde nun nicht mehr von mir weichen. Als<br />
wir die Werkstatt erreichten, starb ihre Vorstellung von dem, was ich geleistet hatte, einen schnellen,<br />
aber erwarteten Tod. Innerhalb von Sekunden überdeckte der Holzstaub auch ihr Gesicht wie eine<br />
Maske und ich erschrak bei dem Gedanken daran, dass es bei mir ähnlich sein müsse.<br />
Ich würde ihn nicht hergeben, sagte ich und spürte das Blut in der Hand pochen. Drang, den Hammer zu<br />
missbrauchen, seiner Funktion zu berauben. Klara nun am Boden sitzend. Ihr Kopf starr, wie geschnitzt,<br />
ihr Mund nach unten geklappt, Worte ausstoßend, die im Holzstaub rasch ihre Reinheit aufgeben<br />
mussten, noch bevor sie mein Ohr erreichten. Sie streckte die Hand aus, ihr Finger deutete auf die<br />
Holzplatte, die am Arbeitstisch aufl ag, entwuchs mit rasanter Geschwindigkeit ihrer Hand und berührte<br />
schließlich die glatte Fläche. Ich müsse nun, sagte sie, woraufhin ich die Nägel aus der Tasche nahm<br />
und die <strong>Bretter</strong> an die Platte nagelte. Klara kurz vor der Ekstase, Gesicht vor Schmerz und Lust verzogen.<br />
Leises Stöhnen, als ich die Seitenfl ächen anbrachte.<br />
Kurz danach die Holzkiste in meinen Händen, Klara wie tierisch darauf stürzend. Den Deckel solle<br />
ich nehmen, meinte sie. Worte wie „endlich“ fi elen. Aber ich wusste, dass noch nicht alles vorbei<br />
sein konnte. Ihr Fehler lag darin, mein Gesicht unter dem Holzstaub, der es die ganze Zeit über<br />
begraben hatte, vergessen zu haben. Sie hatte berechnet, aber in ihre Rechnung hatte sich ein<br />
Fehler eingeschlichen, mehr noch: sie hatte einen Teil vergessen, einen Faktor, der ihre Rechnung<br />
noch in die Irre treiben würde, der horrende Kosten entblößen würde. Ich spuckte in meine Hände<br />
und begann, den Holzstaub aus meinem Gesicht zu wischen und sah, wie sie mit Schrecken ihren<br />
Fehler erkannte, der nun durch nichts wieder gut zu machen sein würde. Womit sie nicht gerechnet<br />
hatte, war mein plötzlicher Drang nach Entdeckung. Das Entkleiden schien für mich nun mit der<br />
größten Lust verbunden zu sein.<br />
Ihre Augen starrten mir ins Gesicht, dann auf den Hammer, den ich vor mir her trug wie eine Fackel,<br />
der ich folgen musste. Verließ die Werkstatt, öffnete die Tür in die Stube, nur hinein und die Augen<br />
auf die Wiege geheftet. Nun Wahrheit, dachte ich, die Lust der Nacktheit.<br />
Riss die Schnur heraus aus der Verankerung, den Hammer gehoben, nur drauf, nur drauf. Holz,<br />
ich kenne dich, Kind, ich kenne dich, all das ist mein. Ich zerhieb die <strong>Bretter</strong>, riss die Decken<br />
vom Kindeskörper. Hinter mir Klara mit der Kiste wie das, was längst zurück lag. Schon die Späne<br />
auf dem Riesenschädel dieses entsetzlichen Körpers, schon Splitter im geschlossenen Auge und<br />
endlich die Stützen der Wiege durch, dass sie zerbrachen und das Kind mit dem Gesicht voran<br />
vernagelung<br />
19
auf den Fußboden klatschen ließen. Wie hölzern klapperten doch die Beine auf den Fliesen, wie<br />
knöchern dröhnte der Schädel im Raum!<br />
Und endlich Ruhe. Klara mit der Kiste hinter mir, ich durch die erleistete Arbeit des Zerschlagens<br />
wie selbst zerschlagen. Ihre Hände lasen das unsprechende Unaussprechliche auf und legten es<br />
in sein neues Bett aus Holz. Dann den Deckel darauf und mit zittrigen Fingern den ersten Nagel<br />
angesetzt. Nun die Zukunft, dachte ich, als ich das erste Eisen ins Holz trieb. vernagelung<br />
20
Marita Gruber<br />
geboren 1977 in Vorau. Nach Abschluss eines neusprachlichen Gymnasiums in der Steiermark<br />
verschlägt es sie durch eine Tourismusausbildung in die Schweiz und nach Frankreich. Letztendlich<br />
beginnt sie mit 21 doch noch zu studieren, um etwas „Gescheites“ zu machen. Neben zahlreichen<br />
Jobs im Personalmanagement fi ndet sie immer Zeit zu reisen (Norden Europas, Alaska & Kanada,<br />
Südamerika). 2002 verbringt sie ein Auslandssemester in Santiago de Chile. Obwohl das Schreiben<br />
von Kurzgeschichten Marita bereits während der Schulzeit immer begleitet hat, behielt sie ihre<br />
Geschichten in den letzten zehn Jahren für sich. Bei einer Schreibwerkstatt im Mai 2005 wird<br />
der Wunsch zu schreiben wieder neu entfacht. Marita schreibt über die alltäglichen Situationen<br />
des Lebens, über Menschen und deren Beziehungen zueinander. Derzeit arbeitet Marita an der<br />
Universität Wien und schreibt an ihrer Dissertation der Wirtschaftswissenschaften.<br />
<strong>Bretter</strong><br />
Unser Nachbar ist seit etwa drei Jahren in Pension. „Was heißt Pension?“ fragt meine Tochter Lisa.<br />
„Pension heißt, dass er nicht mehr arbeiten muss“, antworte ich. Meine Mutter sieht mich strafend<br />
an. Arbeit ist Freude und soll daher nicht mit „müssen“ in Verbindung gebracht werden. „Weißt du,<br />
er ist einfach ein Opa“, sagt sie daher. „Pension“ ist ihrer Meinung nach ein zu schwieriges Wort für<br />
ein 5jähriges Mädchen. „Wieso hab ich eigentlich keinen Opa?“ fragt Lisa. Daraufhin wendet sich<br />
meine Mutter wieder dem Kartoffelschälen zu.<br />
Herr Ranter, der Nachbar, hat früher für eine kleine Tischlerei im Ort gearbeitet.<br />
Er hat nie viel geredet, aber wir haben ihn gemocht. Manchmal hat er uns kleine Holzstücke von<br />
der Tischlerei mitgebracht, damit wir damit spielen konnten. Er hat uns gezeigt, wie man kleine<br />
Puppenhäuser baut. Als wir älter wurden, zeigte er den Buben in der Siedlung, wie man Baumhäuser<br />
baut. Wie man die <strong>Bretter</strong> so zusammensetzt, dass sie auch Wind und Regen standhalten. Und wie<br />
man das richtige Holz dafür auswählt.<br />
Heute sind die Buben Männer und schon lange lebt keiner von ihnen mehr in der Siedlung. Sie<br />
kommen an den Muttertagen oder zu Weihnachten – Wiener Kennzeichen auf dem BMW oder Audi<br />
und wunderbar duftende Ehefrauen auf dem Beifahrersitz. Nur wenige haben Kinder bekommen,<br />
dafür haben fast alle viel Geld. An den Tagen, an denen ich ihre Autos in die Strasse zur Siedlung<br />
einbiegen höre, gehe ich nicht aus dem Haus. „Wo ist denn deine Mama?“, fragen sie Lisa. „Die<br />
ist sehr beschäftigt!“, sagt Lisa dann. Meine Mutter verdreht bei dem Satz die Augen. Mit Marianne<br />
Ranter, der Schwiegertochter des Nachbarn unterhält sie sich oft darüber, dass die heutige Generation<br />
nichts mehr aushält. Sich nicht konfrontiert, nicht protestiert, nicht kämpft, sofort aufgibt. Die Liga,<br />
in der ich kämpfe, kennt meine Mutter nicht und die, in der sie kämpft, kenne ich nicht. Es sind<br />
nicht unterschiedliche Klassen, sondern unterschiedliche Welten. Sie meint, ich hätte Lisa den Satz<br />
eingetrichtert. Sie meint, ich würde ein Kind vorschieben, das an meiner Statt die Antworten gibt.<br />
Darüber hinaus meint sie, beschäftigt zu sein, ist noch kein Grund, seine Manieren zu vergessen.<br />
Schließlich wäre die Siedlung ohnehin nur zu allen heiligen Zeiten belebt.<br />
Wenn sie kommen, steht Herr Ranter von seiner Bank vor dem Haus auf, winkt ihnen<br />
kurz zu und geht hinein. Er tut so, als müsste er etwas Dringendes erledigen. Von meinem<br />
Küchenfenster aus kann ich sehen, dass er in Wirklichkeit nur durch sein Haus hindurchspaziert<br />
und durch den Hinterausgang auf das Feld geht. Dort bleibt er dann. Er wandert zu<br />
den Muttertagen durch die Weizenfelder und zu Weihnachten entlang der beschneiten<br />
Feldwege. Ganz langsam. Zwischendurch bückt er sich, um etwas aufzuheben oder etwas<br />
anzusehen, immer so, als wäre es etwas Besonderes. Er schenkt seine Aufmerksamkeit einer<br />
einzigen Kleinigkeit. Sonst macht er diese Feldspaziergänge nie, nur, wenn die Buben da sind.<br />
Als ich noch ein Kind war, ist er oft erst spät abends nach Hause gekommen. Seine Frau hat dann<br />
bereits am Fenster im ersten Stock gewartet. Sie wartete so lange, bis sie sehen konnte, dass er die<br />
Straße entlang ging. Dann schloss sie das Fenster, um nicht von ihm gesehen zu werden. In der<br />
Nachbarschaft hielt sich das hartnäckige Gerücht, dass Herr Ranter zu gerne ins Glaserl schaut und<br />
dabei auf Frau und Kind vergisst. Aber das war nicht so. Herbert, einer von den Buben, mochte<br />
bretter<br />
21
Herrn Ranter ganz besonders. Ich erinnere mich noch ein bisschen an den Tag, als Herbert mit<br />
blutiger Nase die Siedlungsstrasse herauf gelaufen kam. Das Blut war nicht schlimm, viel schlimmer<br />
war die Wut ihn ihm – er trat gegen jeden Laternenmasten und kickte die Kieselsteine, die vor ihm<br />
lagen, von der Strasse. Er wollte nicht erzählen, was passiert war, aber dass etwas passiert war, war<br />
nicht zu übersehen. Auch Herrn Ranter ist das nicht entgangen. Er ist gerade von der Tischlerei<br />
nach Hause gekommen. Herbert hat noch einmal gegen den Laternenmasten der Siedlung getreten<br />
und ausgespuckt. Wenige Zentimeter vor ihm ist Herr Ranter stehen geblieben und hat ihn lange<br />
angesehen. Keiner von beiden hat etwas gesagt. Sicher eine Minute lang. Danach hat Herr Ranter<br />
genickt und gesagt „Kommst morgen zu mir in die Werkstatt.“ – es war keine Frage und Herbert hat<br />
auch nicht geantwortet. Es war einfach eine Feststellung. Niemand von uns weiß, was ihm der Herr<br />
Ranter am nächsten Tag gesagt hat aber seit diesem Tag ist der Herbert nie mehr mit einer blutigen<br />
Nase nach Hause gekommen. Und einmal in der Woche ist er in die Werkstatt vom Herrn Ranter<br />
gegangen. Wenn wir ihn gefragt haben, was er dort macht, hat er gesagt „<strong>Bretter</strong> bearbeiten“. Wir<br />
haben darüber nur gelacht, wenn der Herbert nicht dabei war.<br />
„Mama, woran denkst du?“, fragt Lisa. Meine Mutter sieht mich kopfschüttelnd an. Ich gebe der Lisa<br />
die Löffel in die Hand, damit sie den Tisch für uns drei decken kann. Manchmal wundere ich mich,<br />
dass sie immer pünktlich zum Essen zu Hause ist und nicht gerufen werden muss – als ich noch<br />
klein war, hat mich meine Mutter immer gerufen, wenn das Essen schon am Tisch gestanden ist und<br />
selbst dann bin ich oft so spät gekommen, dass alles bereits kalt war. Das lag aber vielleicht auch an<br />
dem Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir.<br />
Der Herbert ist einer von denen, die gar nicht mehr nach Hause kommen. Als ich so etwa 14 Jahre<br />
alt war, hat er mir einmal gut gefallen. Einen ganzen Sommer lang bin ich überall dort hingegangen,<br />
wo er auch hingegangen ist. Er hat mir gefallen, weil er im Gegensatz zu den anderen nicht viel<br />
geredet hat. Für Mädchen hat er sich nie interessiert – weder damals noch später. Trotzdem habe ich<br />
immer versucht, mit ihm zu reden. Im Schwimmbad bin ich immer dann aufs WC gegangen, wenn<br />
er sich beim Kiosk ein Eis gekauft hat, nur damit ich ihn kurz anlächeln kann. Ich weiß nicht, ob er<br />
es bemerkt hat und am Ende des Sommers hat mir dann auch eher der Robert gefallen, der damals<br />
schon 16 war und ein Moped hatte. Aber einmal im August bin ich erst spät vom Schwimmbad nach<br />
Hause gegangen. Ich bin eingeschlafen und alle aus der Siedlung haben es lustig gefunden, mich<br />
alleine zurückzulassen. Erst als der Bademeister seine Abschlussrunde gemacht hat, hat er mich<br />
entdeckt. Kopfschüttelnd hat er mich aufgeweckt und nach Hause geschickt. An dem Abend habe<br />
ich mein violettes Haarband vergessen und später nie mehr gefunden. Auf dem Heimweg bin ich<br />
im Dorf bei der Tischlerei vorbeigegangen – ein Fenster war geöffnet und man konnte hören, dass<br />
jemand arbeitete. Ganz langsam bin ich zu diesem Fenster gegangen, um zu sehen, was drinnen<br />
vor sich ging. Und da sah ich ihn – Herrn Ranter. Er war nach vorne gebeugt, und hobelte. Immer<br />
wenn er sich zwischendurch aufrichtete, strich er mit der fl achen Hand über das vor ihm liegende<br />
Brett. Im Hintergrund spielte ein altes Radio Musik. Die Musik kannte ich nicht, aber die Melodie ist<br />
mir auch später noch ab und zu eingefallen – vor allem deswegen, weil Herr Ranter begonnen hat,<br />
mitzusummen. Die Musik war in seinem Kopf.<br />
Ich hebe meinen Kopf und sehe Herrn Ranter durchs Fenster. Er sitzt auf der Gartenbank vor<br />
seinem Haus. Wenn ich ihn jetzt hier vor mir sitzen sehe, weiß ich, dass die Musik in seinem Kopf<br />
weg ist. Marianne Ranter hat meiner Mutter erzählt, dass er am Anfang seiner Pension jeden Tag<br />
ins Dorf gegangen und vor der Tischlerei stehen geblieben ist. Die Tischlerei war etwa zwei Jahre vor<br />
seiner Pension von Martin, dem Sohn des Tischlereigründers, übernommen wurden, da sich der alte<br />
Herr Elbich zurückziehen wollte. An solchen Tagen sei Martin immer aus der Tischlerei gekommen,<br />
um ein paar Worte mit Herrn Ranter zu reden. Hineingelassen hat er ihn nie mehr. Davon wusste<br />
Marianne nur deswegen, weil Martin sie angerufen hatte – er hatte gefragt, ob sie nichts machen<br />
könne, es bräche ihm das Herz, wenn der alte Mann immer zu ihm komme und während er mit ihm<br />
sprach den Blick nicht von der Hobelbank ließ, die er durch die Türe sehen konnte.<br />
Angeblich hat sich Marianne daraufhin ein Herz gefasst und zu ihrem Schwiegervater gesagt: „Jetzt<br />
brauchst den jungen Herrn Elbich nicht mehr zu belästigen, Vater. Du bist immer ein guter Tischler<br />
gewesen, aber die kommen schon ohne dich zurecht.“<br />
Dann hat sich Herr Ranter die Gartenbank vor dem Haus aufgestellt – so, dass er alles überblicken<br />
kann. Und so dass er den seltenen Besucher und früheren Bewohner der Siedlung gut zuwinken<br />
konnte bevor er hinter das Haus verschwindet.<br />
bretter<br />
22
Vor einigen Monaten hat er dann damit begonnen, ein kleines Gartenhaus zu bauen. An einem<br />
Mittwoch ist Lisa nach Hause gekommen und hat mir gesagt, ich solle aus dem Fenster schauen.<br />
„Schau, Mama, die bauen etwas!“, hat sie gemeint. Zuerst hat Herr Ranter zwei Holzböcke aufgestellt,<br />
direkt vor seinem Haus im Garten. Danach sind einige seiner ehemaligen Kollegen gekommen – sie<br />
haben ihm Eichenbretter gebracht, noch unverarbeitet. Herr Ranter hat ein Brett nach dem anderen<br />
auf die beiden Holzböcke gelegt und begonnen, sie zu streichen. An manchen Tagen ist Lisa zu ihm<br />
gegangen und hat sich vor ihm in die Wiese gesetzt, um ihm zuzusehen. Während dieser Zeit kehrte<br />
auch das Lächeln auf seine Lippen zurück. Als die <strong>Bretter</strong> geschnitten waren, begann er daraus ein<br />
kleines Häuschen zu bauen. Vom Küchenfenster aus konnte ich sehen, wie es wächst.<br />
Ende Juli ist es fertig gewesen. „Morgen sollen wir alle kommen!“ hat Lisa zuhause erzählt. Gerade<br />
als ich Luft holte, um zu formulieren, warum ich nicht kommen werde, sagte meine Mutter „Das<br />
ist wunderbar, wir kommen gerne! – Lisa, lauf gleich noch einmal rauf und frag, was wir mitbringen<br />
können!“. Als Lisa das Zimmer verließ, haben wir uns angesehen ohne etwas zu sagen.<br />
Der nächste Tag war ein Sonntag. Ich bin erst gegen 9:00 aufgestanden und habe Frühstück gemacht.<br />
Wie immer konnte ich dabei in den Nachbargarten sehen. Zuerst sah ich Herrn Ranter. Er<br />
stand ziemlich starr mitten in seinem Garten. Das Gartenhaus vor ihm war ein Haufen schwarzer<br />
<strong>Bretter</strong>. Schnell rannte ich die Stiege hinunter – „Jemand hat es angezündet“, sagte meine Mutter,<br />
die bereits vor unserem Haus stand. „Es war schon in der Früh, in etwa 5:00. Ich wollte euch nicht<br />
wecken …“<br />
Als ich mich umdrehte, sah ich Lisa in unseren Garten laufen. Sie hatte ein Versteck, ganz hinten<br />
bei einem Wacholderbusch, wo sie immer hinging, wenn sie sich vor der Welt verkriechen wollte. Ihr<br />
Gesicht war voller Tränen. Herr Ranter stand vor den Trümmern und zündete sich eine Zigarette an.<br />
„Mach dir nichts draus, Papa.“ sagte Marianne. „Du kannst das jederzeit wieder machen – es waren<br />
ja nur ein paar alte <strong>Bretter</strong>.“ Herr Ranter hat nichts gesagt und ist ins Haus gegangen.<br />
bretter<br />
23
Richard Purschwitz<br />
geboren 1970. Wächst in der Oberpfalz auf und lässt sich zunächst nur widerwillig bilden. Schließlich<br />
studiert er nach dem Abitur 1990 durchaus Germanistik, Politikwissenschaften, So-ziologie und<br />
leider auch Geschichte, mit heißem Bemühn, ist nicht mehr ein armer Tor, sondern klüger als wie<br />
zuvor. Reisen führen ihn nach Afrika und Osteuropa. Seit 1996 ist er als Lehrer an verschiedenen<br />
Schulen tätig, seit 2000 an der Fach- und Berufsoberschule in Schwandorf. Die Abenteuer, die<br />
ihm derzeit täglich widerfahren, haben Namen, blonde Haare und ein quirliges Wesen. Die Töchter<br />
Hannah, Amelie und Charlotte lassen ihm daher wenig Gelegenheit zum Schreiben.<br />
Interview mit einem Unbescholtenen<br />
Ehrlich gesagt: Nein.<br />
Nein, ich weiß nicht genau, was man mir vorwirft. Ich könnte Ihnen natürlich aus der Anklageschrift<br />
vorlesen, man hat sie mir schon vor einiger Zeit zugeschickt, aber das steht ja auch alles in den<br />
Zeitungen und Sie wissen das sicherlich besser und genauer. Die Anklageschrift habe ich nur<br />
überfl ogen, was soll ich auch schon groß dazu sagen? Ich streite doch gar nicht ab, dass ich das<br />
war, das angebliche „Schwein von Babice“, wie der „Wiener Morgen“ so schön geschrieben hat<br />
kürzlich. Das habe ich ja auch nie geleugnet, dass ich da der Lagerkommandant war. Warum man<br />
gerade jetzt die Sache wieder aufrollt, ist mir schleierhaft, aber es wird wohl mit den Prozessen in<br />
Frankfurt zu tun haben. Dort geht man ja ganz eifrig zu Werke und tut so, als seien die Geschehnisse<br />
vom vorigen Jahr. Dabei ist das alles jetzt fast zwanzig Jahre her! Na ja, da hat sich wohl die hiesige<br />
Staatsanwaltschaft gedacht, sie müsse nun auch wieder neue Prozesse in Gang setzen.<br />
Ich verstehe das alles nicht, diese ganze Aufregung. Gerade hier ist man doch viel klüger vorgegangen<br />
als in Deutschland. Da gab’s diese Volksgerichte, glaube, so bis ‘55, dann die Amnestie von ‘57 und<br />
dann war, von ein paar Ausnahmen abgesehen, Ruhe im Schachterl. Und jetzt das!<br />
„Missbrauch der Amtsgewalt“, heißt es, „Quälereien“, „Kriegsverbrechen“. So ein Unsinn! Der Krieg<br />
war ja viel weiter im Osten und als Anfang ’45 das Lager geräumt wurde, war ich schon ins Reich<br />
zurückkommandiert worden. Und Babitz war nicht Auschwitz. In den Nebenlagern ging es ganz<br />
anders zu, da musste in erster Linie die Produktion am Laufen gehalten werden. Nur das will man<br />
nicht hören.<br />
Aber glauben Sie mir: In Wirklichkeit steckt da etwas ganz anderes dahinter! Davon wird im Prozess<br />
offi ziell nicht die Rede sein, aber ich bin mir ganz sicher, dass es die Sache mit den <strong>Bretter</strong>n ist, die<br />
mir das jetzt eingebrockt hat. Das hat man mir damals übel genommen und das nimmt man mir bis<br />
heute noch krumm!<br />
Ja, genau: <strong>Bretter</strong>. Da muss ich ein bisschen ausholen, sonst verstehen Sie das nicht, junger<br />
Mann. Es geht um einen <strong>Bretter</strong>zaun. Solides, gutes Lindenholz, gefertigt aus den Wäldern<br />
der Umgebung. Dicke <strong>Bretter</strong>, gute 15 Zentimeter breit, mehr als drei Meter hoch, auf festem<br />
Beton fundament, gut fi xiert und wunderbar eingelassen in die Erde. Es sah so aus, als wachse<br />
gleichsam der Zaun aus der Erde. Und das Schönste: Es gab ihn gleich zwei Mal! In einem<br />
Abstand von etwa anderthalb Metern zum inneren stand rings um das Lager ein zweiter Zaun,<br />
genauso beeindruckend und mächtig wie der innere, nein noch eleganter, weil die einzelnen<br />
<strong>Bretter</strong> oben zugespitzt waren. Nur an zwei Stellen war der doppelte Zaun durchbrochen,<br />
einmal am Tor und einmal am Südosteck, bei den Wohnräumen der Aufseherinnen. Der<br />
<strong>Bretter</strong>zaun war von den IG-Farben-Mitarbeitern im Frühjahr 1942 errichtet worden, fragen<br />
Sie mich bitte nicht, wofür. Die hatten ja alle Freiheiten in Babitz, nachdem die Polen rausgeworfen<br />
worden waren. Ich selbst kam im April ’43 an. Humbert Achamer-Pifrader selbst, der feine Mann,<br />
ich kann wirklich nur mit Hochachtung sprechen vom Doktor, hatte mich aus der Verwaltung<br />
der Einsatzgruppe A empfohlen. Die Versetzung zu Höß nach Auschwitz als Kommandant des<br />
Nebenlagers Babitz sollte ein Sprung auf der Karriereleiter werden. Eine formelle Beförderung<br />
hat es nicht gebracht, ich blieb SS-Hauptsturmführer, aber natürlich ist eine Lagerkommandantur,<br />
auch wenn es „nur“ ein Nebenlager war, schon etwas anderes als eine reine Verwaltungsarbeit für<br />
die Einsatzgruppe. Achamer-Pifrader hat ausdrücklich meine Organisationskraft hervorgehoben,<br />
müssen Sie wissen, und mich persönlich beim Reichsführer SS für den Posten bei Höß empfohlen.<br />
Damals wusste ich noch nicht, was der Himmler für ein Waschlappen war.<br />
interview mit einem unbescholtenen<br />
24
Aber Sie haben Recht, ich wollte Ihnen ja die Sache mit dem Zaun erklären. Also: Dieser wunderbare<br />
Zaun verlieh dem Lager eine großartige Atmosphäre. Den Vorschlag, ihn gleich einzureißen<br />
und durch einen Drahtzaun zu ersetzen (vom Strom war bei uns im Frühjahr ’43 noch nicht die<br />
Rede), habe ich sofort zurückgewiesen. Es mussten zunächst die Ställe, die Scheunen und die<br />
Baracken, dazu die Essräume und die Brunnen errichtet oder instand gesetzt werden. Ich erinnere<br />
mich, dass einer meiner ersten Befehle ausdrücklich lautete, beim Bau der Wachtürme in den Ecken<br />
des Lagerareals strengstens darauf zu achten, die Substanz der <strong>Bretter</strong>zäune nicht zu beschädigen.<br />
Ärger gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht, den setzte es dann erst später, so im Hochsommer<br />
1944, kurz bevor die weiblichen Häftlinge dann nach Birkenau gebracht wurden.<br />
Der Alltag im Lager? Ja, mein junger Freund, das ist eine sehr berechtigte Frage, denn wenn es<br />
so etwas wie Entlastungsgründe für mich braucht bei diesem Prozess, dann genau das. Ich habe<br />
peinlich genau darauf geachtet, dass Disziplin und Ordnung herrschten. Wir hatten eine Aufgabe<br />
zu erfüllen und das Letzte, was ich mir zu Beginn meiner Tätigkeit dort nachsagen lassen wollte,<br />
war, dass durch irgendwelche aufrührerischen Aktionen oder auch durch wilde Erschießungen die<br />
Arbeit leide.<br />
Sie müssen wissen, das Lager Babitz war ein Wirtschaftshof. Es ging um landwirtschaftliche<br />
Produktion für das Stammlager. Getreide, Kohl, Wruke, Raps, Rüben wurden angebaut, dazu gab<br />
es die Pferdezucht, die ein Kommando von männlichen Häftlingen übernahm. Das andere der<br />
beiden Kommandos arbeitete mit den Frauen auf den Feldern außerhalb des Lagers. Die Ernten<br />
waren gut, die Böden ertragreich. Wir bekamen regelmäßig Dünger aus Birkenau, Asche aus den<br />
Krematorien. Das tat den Böden gut. Die Pferde, die auf den Feldern eingesetzt wurden, hat man<br />
leider, angeblich kriegswichtig, im Mai 1944 beschlagnahmt. Mir blieb nichts anderes übrig,<br />
als Häftlinge vor die Pfl üge und Eggen spannen zu lassen. Aber das ging auch, freilich etwas<br />
langsamer.<br />
Was draußen auf den Feldern bei der täglichen Arbeit geschah, entzieht sich weitgehend meiner<br />
Kenntnis. Mir wurde ein Trupp ganz junger SS-Männer aus den Totenkopfbataillons zugeteilt,<br />
leider auch einige Ukrainer darunter. Fragen Sie mich nicht, warum seit Mitte ’43 immer mehr SS-<br />
Leute aus ostischen Gebieten zu uns stießen. Na ja, jedenfalls gingen gerade die nicht unbedingt<br />
zimperlich um mit den Häftlingen, die ja auch zu einem Großteil aus Ukrainerinnen bestanden. Bei<br />
den Frauen war das die Hauptgruppe, neben einigen Russinnen und vielleicht zwei Dutzend Polinnen.<br />
Jüdinnen waren bei den Frauen keine dabei, aber immer wieder mal ein paar bei den<br />
männlichen Häftlingen. Die meisten blieben aber nur kurze Zeit und wurden dann wieder abgezogen<br />
ins Stammlager.<br />
Einer der SS-Ukrainer, Schwarzer, glaube ich, hieß der, soll ziemlich gewütet haben draußen auf den<br />
Feldern, und auch einer der jungen Totenköpfl er mit Namen Sauer. Ich habe die beiden ausdrücklich<br />
ermahnt, die Arbeit dadurch nicht zu sehr leiden zu lassen, denn den Versorgungsauftrag der IG<br />
Farben für deren Mitarbeiter, der im Juni 1943 bei mir auf dem Tisch lag, wollte ich auf keinen<br />
Fall gefährdet wissen. Ansonsten interessierte mich das nicht, was auf den Feldern geschah. Mein<br />
Verantwortungsbereich war das eigentliche Lagerareal, und da war ich strikt darauf bedacht, dass<br />
zwar Disziplin, aber eben auch anständige hygienische Verhältnisse und gute Versorgung für die<br />
Häftlinge herrschten.<br />
Ich frage Sie: Wo gab es das schon, dass die Stuben in einem Lager im Winter beheizt waren? Dass<br />
es einen Herd gab in jeder Stube, mehrere Schüsseln mit warmem Wasser, zwei Toiletten? Ich habe<br />
das angeordnet und zwei meiner Mitarbeiterinnen bei der Lagerkommandantur, Frau Bormann und<br />
Frau Friedel Fuhrmann – sie lebt übrigens hier in Wien, wussten Sie das? – achteten peinlich genau<br />
auf Hygiene und Sauberkeit. Einmal gab es eine Typhusepidemie, da haben wir die Häftlinge ihre<br />
Sachen selbst waschen lassen und nicht die verseuchten Kleider aus Birkenau genommen. Binnen<br />
kürzester Zeit war die Epidemie eingedämmt.<br />
Drei Mal am Tag gab es eine Mahlzeit, früh und abends auch Kaffee. Verhungert ist uns niemand und<br />
wenn auf meinem Schreibtisch Meldungen ankamen, dass die Lieferungen aus Babitz umfangreich<br />
und von großer Güte waren, dann ließ ich schon mal eine Sau schlachten zur Belohnung für die<br />
Häftlinge. Das war im Übrigen recht lustig anzuschauen, denn ich überließ diese Tätigkeit ein<br />
paar ganz jungen Polinnen, die so etwas noch nie gemacht hatten. Meine Männer hatten mir das<br />
vorgeschlagen und ich ließ dafür alle Häftlinge antreten zum Zuschauen. Friedel Fuhrmann übergab<br />
sich allerdings, als sie sah, wie die jungen Dinger gierig das warme Blut der Sau tranken.<br />
Kurzum, es herrschte eine geregelte Ordnung in Babitz. Ich möchte sogar behaupten, dass die<br />
Häftlinge froh waren, hier zu sein und nicht in einem der anderen Wirtschaftshöfe, in Plawy<br />
interview mit einem unbescholtenen<br />
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etwa oder in Harmense, dem Gefl ügelhof. Und ich möchte betonen – schreiben Sie das, junger<br />
Mann! –, dass es zu keiner Zeit irgendwelche Revolten oder andere aufrührerische Aktionen unter<br />
meinem Kommando in Babitz gegeben hat. Auch solche Axtmassaker wie in Budy in der Frauen-<br />
Strafkompanie kamen nie vor. Dort haben ja einige der deutschen Funktionshäftlingsfrauen 1942<br />
üble Dinge angerichtet. Nein, so etwas gab es bei uns nicht. Überhaupt: Funktionshäftlinge hatten<br />
wir nicht. Das habe ich immer abgelehnt, so sehr mir Höß auch in zwei Briefen die Vorteile solcher<br />
Leute geschildert hat. Ich entgegnete stets mit Hinweisen auf zu erwartende Unzuverlässigkeiten von<br />
Funktionshäftlingen und betonte auch, dass die gute Disziplin bei uns so etwas unnötig macht.<br />
Ja, mein junger Freund, darauf müssen Sie mich wohl ansprechen. Es stimmt schon, einmal, im<br />
Herbst 1943, musste ich doch zu einer schärferen Maßnahme greifen. Aber auch das kann man ja<br />
inzwischen nachlesen, den Zeitungen hat man da ganz richtig eingefl üstert. Ich will mit Nachdruck<br />
betonen, dass das ein Einzelfall war und dass als Folge genau das eingetreten ist, was ich erwartet<br />
habe – eine Rückkehr zur unbedingten Disziplin bei den Gefangenen und übrigens auch bei den<br />
Wachmännern.<br />
Begonnen hat das mit zwei erfolgreichen Fluchtversuchen im August und im September. Da haben<br />
sich die SS-Wachmänner jeweils ganz schön dumm angestellt und sich überlisten lassen. Zum<br />
Austreten in die Büsche! Hah! Die Toilette so weit weg und das Tor so nah! Dass ich nicht lache! Ich<br />
habe den jungen SS-Mann dafür einen Tag auf den Feldern mitarbeiten lassen.<br />
Aber so dreist wie diese junge Russin, die einfach den Zaun übersteigen wollte, war sonst keine.<br />
Gut, man muss ihr zugestehen, dass sie offenbar geschickt klettern konnte, denn der weitgehend<br />
makellose Zaun war mit ebenen, glatten <strong>Bretter</strong>n gezogen, frei von Vertiefungen, die als Tritte hätten<br />
dienen können, ohne Löcher oder Bruchstellen, nicht mal ein vorstehender Nagel. Ich hatte diesen<br />
herrlichen Zaun, also den inneren, kurz nach meinem Amtsantritt mit einem satten braunroten<br />
Anstrich versehen lassen und dabei angeordnet, dass alle Unebenheiten beseitigt werden. Der<br />
äußere, ich gebe es zu, wurde etwas weniger pfl eglich behandelt. Der Zwischenraum blieb mit<br />
Brennesseln und Gestrüpp bewuchert. Fragen Sie mich also nicht, wie es diese Russin geschafft hat,<br />
über den inneren Zaun zu klettern. Und wie sie aus dem Zwischenraum hätte ausbrechen wollen,<br />
blieb mir auch schleierhaft. Vielleicht hätte ich sie fragen sollen? Jedenfalls konnte ich gerade noch<br />
verhindern, dass geschossen wurde. Die Wachleute waren wieder übertölpelt worden, es gab ein<br />
riesiges Geschrei, als der Fluchtversuch bemerkt wurde, und zwei SS-Männer wollten Salven durch<br />
den Zaun schießen, die die Russin sicher auch erwischt hätten. Ich wusste in diesem Moment<br />
zwar noch nicht genau, wie ich reagieren würde, aber eine zweite Entehrung der <strong>Bretter</strong>, diesmal<br />
durch Einschüsse, wollte ich in keinem Falle dulden. Mit einem Haken ließ ich die Russin aus dem<br />
Gestrüpp ziehen und erst einmal in einen Waschraum sperren. Erst am späten Nachmittag, als mit<br />
hereinbrechendem Dunkel die Häftlinge von der Feldarbeit zurückkamen – im Herbst war das vor<br />
allem Kartoffelernte und Steineklauben –, handelte ich, wie ich in dieser Situation handeln musste.<br />
Ich konnte mir von dieser kleinen Drecksrussin doch nicht die ganze Lagerordnung kaputt machen<br />
lassen. Ich ließ alle Häftlinge, das waren inzwischen weit über dreihundert, antreten und von den<br />
Wachleuten zwei Männer auswählen, die mir mein kleines Exempel wortwörtlich statuieren sollten.<br />
Gut, wenn Sie so wollen, waren das eben Funktionshäftlinge, aber eben nur für diese eine Funktion.<br />
Einer weigerte sich, den ließ ich sofort erschießen. Ein anderer übernahm dann für ihn die Arbeit.<br />
An genau jener Stelle, wo dieses Miststück meinen Zaun überkletterte, ließ ich sie festnageln, an<br />
beiden Händen und einem Fuß. Ein zweiter langer Zimmermannnagel war nicht auffi ndbar, auch<br />
nicht in der Hufschmiede. Die erste Nacht schrie sie, später war sie nur noch leise wimmernd<br />
zu vernehmen. An den folgenden Tagen ließ ich jeweils zum Morgen- und zum Abendappell alle<br />
Häftlinge eine Stunde lang vor der Russin antreten und richtete einige mahnende Worte an die<br />
Versammelten. Am Abend des dritten Tages war sie dann tot. Mit drei anderen Toten von den<br />
Feldern ließ ich sie in einem Karren ins Stammlager bringen.<br />
Was soll ich Ihnen sagen, die Strafaktion war erfolgreich. Es gab danach im Lager keinen einzigen<br />
nennenswerten Zwischenfall und schon gar keinen Fluchtversuch mehr. Außerdem zeigte mir<br />
das erneut, dass der ganze Aufwand mit den Funktionshäftlingen wenig taugte. Einer der beiden<br />
Männer, die mit zuerst zögerlichen, dann kräftigeren Hammerschlägen die Russin am wiederholten<br />
Klettern hinderten, hing eines morgens in der Baracke, der andere wurde auf dem Feld erschlagen,<br />
aber ich weiß nicht, ob das SS-Männer waren oder andere Häftlinge. Der Vorfall geschah außerhalb<br />
des Lagerareals und hatte mich demnach nicht zu interessieren.<br />
Und jetzt frage ich Sie, junger Mann: Soll es dieser eine Vorfall wert sein, angesichts der sonst<br />
zivilen Situation in Babitz, mich vor Gericht zu zerren? Führt man sich denn nicht vor Augen, dass<br />
interview mit einem unbescholtenen<br />
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ich Verantwortung hatte: für Disziplin, für meine Männer, für die Aufseherinnen, für die Produktion,<br />
für die Tiere, für die Häftlinge? Nein, ich sage Ihnen, bei diesem Prozess geht es in Wirklichkeit um<br />
etwas ganz anderes, nur kann man das nicht offi ziell sagen!<br />
Worum? Na, eben um den Zaun, meine schönen <strong>Bretter</strong>! Ob der Vorfall mit der Russin damit überhaupt<br />
zusammenhing, weiß ich nicht, glaube ich auch nicht. Jedenfalls hat Baer, der Nachfolger von Höß<br />
und Liebehenschel, davon nichts erwähnt in jenem Schreiben vom Juni 1944. Angeblich kam die<br />
Meldung aus Berlin, direkt aus dem Reichssicherheitshauptamt. Gemäß Verordnung Nr. sowieso,<br />
RSHA-Drucksache, seien die Umzäunungen in allen Stamm- und Nebenlagern auf dem gesamten<br />
Reichsgebiet, im Generalgouvernement und in den inzwischen judenfreien Ge-bieten im Osten<br />
einheitlich zu gestalten. Draht oder Stacheldraht, mindestens 350 cm Höhe, Be-festigungspfosten<br />
alle fünf bis zehn Meter. Ab 250 Insassen solle der Zaun zudem unter Strom gesetzt werden. Die<br />
Wachmannschaften seien zu ihrer Sicherheit zu instruieren.<br />
Ich habe Baer, mit dem ich deutlich besseren Umgang hatte als mit Liebehenschel, sofort kontaktiert<br />
und ihn gebeten, für Babitz eine Ausnahmeregelung zuzulassen. Ich habe ihm erklärt, wie ich den<br />
Zaun persönlich gepfl egt, alle <strong>Bretter</strong> einzeln immer wieder auf Beschädigungen überprüft hatte,<br />
und ihm auch den Zusammenhang von Ordnung, Sauberkeit und Disziplin im Lager mit der durch<br />
den Zaun bedingten guten Atmosphäre geschildert. Er halte das alles für nachvollziehbar, hatte Baer<br />
gesagt, aber die Weisung komme eben direkt vom RSHA. Da könne er nichts machen. Er riet mir,<br />
dem Befehl umgehend nachzukommen und den <strong>Bretter</strong>zaun – „auch den äußeren!“ – einreißen zu<br />
lassen. Er wollte mir auch ein paar Gefangene schicken, die für diese Arbeit einzusetzen seien.<br />
Wie? Was? Sie meinen, der Befehl sei Folge eines Großauftrages der SS an einen drahtproduzierenden<br />
Betrieb, der zuvor mächtig geschmiert habe? Das hat mir der Baer auch erzählt, aber ich kann<br />
das nicht glauben. Nein, nein, das war schon mehr oder minder direkt gegen mich gerichtet!<br />
Sie können sich vorstellen, junger Mann, was das bei uns auslöste! Ich hatte zuvor noch nie<br />
irgendeinen Befehl verweigert, aber das ging zu weit. Und ich wusste auch schon genau, wem ich<br />
das zu verdanken hatte. Das waren diese SS-Kasper von der Einsatzgruppenverwaltung, die mir<br />
seinerzeit den Sprung nach Babitz missgönnten. Und denen offenbar auch nicht gefi el, was sie über<br />
die geordneten Zustände von Babitz hörten. Da hatten sie nichts Besseres zu tun, als mich über<br />
meinen Zaun zu treffen.<br />
Unwahrscheinlich? Na, hören Sie, das liegt doch auf der Hand! Die Protektion durch Dr. Achamer-<br />
Pifrader, das hat man in diesen Kreisen nie überwunden. „Donau-Gruppe“, hieß es verächtlich. Es<br />
hat nicht lange gedauert, bis man in Berlin intrigierte. Das RSHA war eine einzige Schwatzbude!<br />
Und dann hat man mit kleinen Sticheleien wie diesem blödsinnigen Zaun-Befehl systematisch die<br />
besten Männer drangsaliert.<br />
Der Riss ging im Grunde durch die gesamte SS. Die einen, aufrechte Deutsche mit klarem Ziel<br />
und scharfem Verstand, denen die Grundideen einer Eliteeinheit nie entglitten, die anderen,<br />
die Germanenschwätzer, die Mythenheinis, die Ordenstrottel, die nicht davor zurückscheuten,<br />
rumänische, lettische, estnische, ukrainische SS-Einheiten aufzustellen. Warum nicht gleich ein<br />
jüdisches SS-Kommando? Der Himmler, den ich zuerst verehrt habe: Nach dem Brief war der für<br />
mich nur noch der „Reichsführer Arschloch“. Am Schluss dann auf die Kapsel beißen, das sah ihm<br />
gleich.<br />
Nein, mein junger Freund, da ist nichts unwahrscheinlich. Das war eine gezielte Aktion gegen mich.<br />
Da sollte Unruhe ins Lager gebracht werden und ich wette, die spekulierten auch auf Ausbrüche.<br />
Ich wollte partout keinen anderen Zaun als diese schönen doppelten <strong>Bretter</strong>, die im Übrigen ihren<br />
Zweck ja auch voll erfüllten. Ein Drahtzaun, am besten noch unter Strom – das hätte dem Geist<br />
des Lagers widersprochen. Stellen Sie sich doch bitte vor, was das für Unruhe bringt, wenn sich<br />
der erste Häftling gegen den Zaun wirft. Ich wollte diese Zustände wie im Stammlager nicht, und<br />
das war auch überhaupt nicht nötig. Also ignorierte ich zunächst den Befehl und schob vor, viel<br />
Verwaltungsarbeit zu haben. Auf Nachfrage von Baer Anfang August orderte ich zunächst einige<br />
Kilometer Stacheldraht, was wie der Beginn der Umrüstaktion aussehen sollte. Ich ließ den Draht<br />
aber in den Zwischenraum zwischen den <strong>Bretter</strong>n versenken. Meines Erachtens nach war dies ein<br />
guter Kompromiss, denn die Fluchtgefahr sank und der Anblick, den ich zu zwei Seiten des Zauns<br />
aus meiner Schreibstube hatte, wurde mir nicht verschandelt. Als dann Ende August für mich<br />
völlig überraschend sämtliche Frauen des Lagers – inzwischen über 500 – abgezogen, zuerst nach<br />
Birkenau und dann in verschiedene Lager nach Deutschland verschafft wurden, sah ich erst recht<br />
nicht ein, warum für die verbliebenen etwa 150 männlichen Gefangenen mein Zaun eingerissen<br />
interview mit einem unbescholtenen<br />
27
werden sollte. Einige Monate hörte ich gar nichts in dieser Sache, dann kam Anfang Dezember<br />
ein erneuter Befehl, diesmal direkt an mich gerichtet und direkt aus Berlin. Von „notwendigen<br />
Sicherungsmaßnahmen“, von „Erfahrungswerten aus anderen Lagern“ war da die Rede, aber auch<br />
von „Konsequenzen“, die mich beträfen.<br />
Aber ich ließ mich nicht einschüchtern, ich hatte ja auch meine Leute im RSHA. Mitte Dezember<br />
ging dann alles ganz schnell, die Gerüchte vom Vordringen der Russen wurden immer konkreter.<br />
Am 20. Dezember kam schon der Versetzungsbefehl und bereits am 22. trat ich meinen Dienst<br />
in Berlin an. Ich habe sie dann überall gerochen im Amt, diese Widerlinge, die mir meinen Zaun<br />
nehmen wollten. Bis die Russen kamen, passierte in Babitz nichts Wesentliches mehr, aber ich weiß<br />
aus sicherer Quelle, dass der Zaun noch mindestens bis 1947 stehen blieb. Wer weiß, vielleicht gibt<br />
es ihn heute noch?<br />
Der Prozess? Ja, sehen Sie, das ist der Schlusspunkt der ganzen Sache. Man hat mir meine<br />
damalige Weigerung, den Zaun einreißen zu lassen, so übel genommen, dass man nur darauf<br />
gewartet hat, es mir heimzuzahlen. Sie glauben ja gar nicht, welchen Einfl uss ehemalige SSler<br />
bei uns noch haben, junger Mann! Meist sind das solche vom Schlage des Doktors, der ja leider<br />
umgekommen ist seinerzeit in Linz, feine, hochanständige Männer, die damals nichts anderes getan<br />
haben, als die Ehre des Reiches zu verteidigen, Befehle zu befolgen und ihrem Land zu dienen.<br />
Aber es gibt auch immer noch diese falschen Schlangen, diese Geheimbündler, diese lächerlichen<br />
Mittsommerfackelhalter, die meinen, mit Strippenziehen im Hintergrund alte Rechnungen<br />
begleichen zu müssen. Gezielt Informationen streuen, um Rivalen von einst zu schaden. Und ein<br />
paar karrieresüchtige Jungstaatsanwälte haben sich dafür instrumentalisieren lassen.<br />
Nun bin also ich an der Reihe. Aber nicht mit mir! Ich werde reden und die wahren Hintergründe<br />
des Prozesses aufrollen. Die gönnten mir einfach meine <strong>Bretter</strong> nicht, so schaut’s aus! Nur leider<br />
will die Öffentlichkeit diese Wahrheiten nicht hören. Denen geht’s wie den Leuten in Frankfurt doch<br />
nur um KZ-Gruselgeschichten.<br />
Aber Sie, Sie scheinen ein kluger junger Mann zu sein, einer, der die wirklichen Zusammenhänge<br />
wissen will und sie versteht.<br />
Darf ich fragen, wie alt Sie sind? 1940 geboren? Na, schaun’S! Und studieren tun’S? Die Wirtschaft<br />
swissenschaften? Na, da werden’S aber sicher eine gute Anstellung fi nden. Wie war noch gleich Ihr<br />
werter Name? Wie? Oh, na dann! Ja, bitte, danke, bitte, gerne, hat mich auch gefreut, Sie kennen zu<br />
lernen. Habe die Ehre, Herr Tennenbaum!<br />
interview mit einem unbescholtenen<br />
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Wolfgang Rieder<br />
geboren 1982 in Krems a. d. Donau. Als archetypisches Serieneinzelkind wächst er in einem<br />
Kuhkaff im Nirgendwo des Waldviertels auf, in dem sich Fuchs und Henne noch gute Nacht<br />
sagen. Auf ein missglücktes Gastspiel an einer HTL folgt die Matura an einer AHS. Nach dem<br />
planlosen Zivildienst befi ndet er sich gerade in der Phase des planlosen Studierens. Teils unauffällig<br />
zumeist überreizt verbringt er seine Zeit als Medienjunkie und Stubenhocker. Schreiben ist für<br />
ihn Hobby, Neurose und Zeitkahlschlag zugleich, dazwischen der ganz normale Alltag eines Twens<br />
im hedonistischen Zeittrend.<br />
rote Nelken und keine Überraschungen<br />
Ist der Tod nur ein Schlaf, wie kann dich das Sterben erschrecken? Hast du es je noch gespürt, wenn<br />
du des Abends entschliefst?<br />
Hebbel<br />
Der Tod ist durch den unumkehrbaren Verlust der für das spezielle Lebewesen typischen und<br />
wesentlichen Lebensfunktionen gekennzeichnet (siehe Leben). Die Schwierigkeit einer für alle Lebewesen<br />
gültigen Defi nition lässt sich an Hand der Beispiele Tod von Bakterien und Tod von Säugetieren<br />
erahnen. In ersterem Fall ist der Tod entweder durch den unumkehrbaren Verlust der<br />
Zellintegrität (Lyse) oder dem unumkehrbaren Verlust der Zellteilungsfähigkeit (z. B. durch Zerstörung<br />
des Genoms) defi niert, in zweiterem Fall durch die unumkehrbare Desintegration lebensnotwendiger<br />
Organe wie des Herzkreislaufsystems und des zentralen Nervensystems (Gehirn). Der Tod ist ein<br />
Prozess, und das Eintreten des Todes lässt sich selten exakt einem Zeitpunkt zuordnen. Der Tod ist<br />
der Zustand eines Organismus nach der Beendigung des Lebens und nicht zu verwechseln mit dem<br />
Sterben, das einen Teil des Lebens darstellt.<br />
über<br />
Für dich war es ein Tag wie jeder andere. Die Arbeit will nie ein Ende fi nden, aber was sollst du<br />
auch anderes machen. Du hast Verpfl ichtungen, einen Kredit zu bezahlen, Benzin zu kaufen, das<br />
Essen auf den Tisch zu bringen, die Maschine am Laufen zu halten. Alles will geölt werden und Geld<br />
ist das beste Schmiermittel. Deshalb stehst du hier, die Schaufel in der Hand und gräbst ein Loch,<br />
so wie du es schon oft getan hast. Heimlich fragst du dich, warum sie noch immer keinen Bagger<br />
gekauft haben, fl uchst darüber im Leisen, als sich der Spaten an einem Stein verkantet. Wenigstens<br />
brennt dir nicht mehr die Sonne auf den Rücken, fl üsterst du zu dir selbst, hievst dich mit den<br />
Händen hoch und machst eine Pause. Der Kollege hätte schon längst wieder mit dem Bier zurück<br />
sein sollen. Du magst diese Arbeit nicht. Sie ist dir zuwider und lästig, und so blickst du schweigend<br />
in das Loch vor dir und fragst dich, wie lange du noch brauchen würdest, wie lange es dauert, bis<br />
du etwas Hohles unter dir hörst, das dir das Ende und gleichzeitig den ekelhaften Teil ankündigt.<br />
3 Meter, vielleicht 4, 5 liegt hier niemand tief. Eigentlich sind sie alle an der Oberfl äche verscharrt,<br />
näher als es sich die meisten denken. Als du das erste Mal jemanden ausgegraben hast, wusstest<br />
du, du wolltest kremiert werden. Von dir sollte nichts bleiben als Staub, ein paar Knochen in einem<br />
Mörser zu einheitlich grauer Masse zerstoßen. Im Prinzip ist es dir egal, was mit deinem Körper<br />
passiert, du willst schlicht und einfach nicht mehr ausgegraben werden.<br />
Du trinkst dein Bier und schaufelst weiter. Es ist kühl und trotzdem steht dir der Schweiß auf der<br />
Stirn. Das heimliche Fluchen in dir, es vergeht, es verschwindet immer, wenn du keuchen musst,<br />
wenn du dich unter der Last biegst wie die <strong>Bretter</strong>, auf die du kommen wirst. Das Leben, so sagst<br />
du dir, ist Geld. Nichts ist umsonst, nur der Tod, und der kostet das Leben, surrt es wie ein Echo in<br />
deinem Kopf. Eigentlich sollte es nie so werden. Eigentlich wolltest du nie so werden. Als Kind, da<br />
hattest du andere Helden, wolltest so sein wie sie und so tun wie sie, einfach bewundernswert aus<br />
tiefster Seele, wenn so was ein Mensch überhaupt hat, doch aus alldem ist nichts geworden, und<br />
so gräbst du ein Loch für einen Niemand, dessen Namen du, wenn überhaupt, nur in der Zeitung<br />
lesen wirst, den du nie kanntest und auch nie kennen wirst. Du bist nur die Dienstleistung für die<br />
anderen, für Freunde und Familie, für Enkelchen und Kinder, falls etwas vorhanden ist. Du bist die<br />
Drecksarbeit für die schöne Leich, für einen würdigen Abgang zu den Würmern. Bei dem Gedanken<br />
rote nelken und keine überraschungen<br />
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musst du schmunzeln. Ja ja, die Würmer, alle werden sie kriegen, aber du willst ihnen entkommen,<br />
in die Luft zu Pulver, Kohlendioxyd und Klärschlamm.<br />
Beim ersten Mal, da hast du dich vor diesem Moment gefürchtet, wenn sich erste helle Holzsplitter<br />
in der Erde zeigen, der Rest der schön gehobelten <strong>Bretter</strong>. Damals hat dein Kollege kein Wort gesagt<br />
und schweigend weitergemacht, als wäre es das Normalste der Welt. Du hast dich ertappt gefühlt,<br />
wie ein Grabräuber, als würdest du etwas tun, was nicht getan werden sollte, aber die Toten ruhen<br />
nicht, sie vermodern nur, sie blähen sich auf, werden zu Wasser und Erde und verschwinden. Die<br />
Knochen, du hast sie ignoriert, sie versucht zu betrachten wie Abfall einer Fleischerei, ein nicht<br />
verwertbares Restprodukt, das du nach Vorschrift abgegeben hast. Mit der Zeit hast du allem immer<br />
weniger Beachtung geschenkt. Lästig war dir nur die Kleidung, die Synthetik, die besser hält als<br />
ein Loch im Schädel. Wird nicht auch für einen Schlächter das Töten zur Routine und das Blut<br />
zur Begleiterscheinung? So waren für dich auch diese weißen Beine, nebensächlich, ein Tagwerk.<br />
Endlich war es tief genug, die Reste entfernt. Heimlich atmest du auf, blickst hoch in den Himmel,<br />
auf eine graue Wolkendecke, stellst dir vor, dies wäre dein eigenes, dein letztes, Heim. Still packt<br />
dich kalter Schauer. Du schüttelst den Kopf vor dir selbst, steigst über die Leiter hinaus, fühlst dich<br />
befreit wie ein Sträfl ing, der dem Henker entrinnen konnte, stellst deine Arbeit schnell fertig und<br />
verlässt den Ort mit der Hoffnung, es ist dein letztes Mal gewesen.<br />
Als dich einmal jemand als bessere Art von Müllmann bezeichnet hat, der nur den Abfall des Lebens<br />
entsorgt, musstest du heimlich lachen. Du hast oftmals an die Friedhofsmauern gepisst aber<br />
niemals in eines der Löcher. Wer weiß, vielleicht ist doch alles anders als es scheint?<br />
unter<br />
das meer blau wie bergkristall der wind ein endloser warmer strom die sonne ein geschenk du liegst<br />
da im klang der zikaden in den bäumen die zehen im sand aus einem radio musik das lachen von<br />
menschen du gehst mit erstrahlst im moment ein lachen siehst ihr in die augen willst eine sekunde<br />
unendlichkeit dein mund auf ihren lippen nur eine berührung wiederholung eines versprechens<br />
etwas kaltes auf deinem rücken du springst auf und zurück zerrst ihn ins wasser ihr grinst über eure<br />
dummheit schüttelst dir das wasser aus den ohren wie kinder dein blick auf ihr eine überspielte<br />
geste die gestrenge fällst zurück spielst den getroffenen die ergießende theatralik in jeder bewegung<br />
wartest dass sie dich rettet deine hand ergreift siehst sie kommen nimmst sie in deine arme<br />
dein gesicht wie ein räudiger köter verspricht nicht mehr so böse zu sein keine hand und kein fuß zu<br />
fassen aber dieser moment braucht es auch nicht du scherzt mit ihr kannst deine fi nger nicht von ihr<br />
lassen willst sie nie wieder hergeben willst dass alles so bleibt in der momentaufnahme erstarrt in genau<br />
diesem gefühl verharrt was wolltest du jemals mehr was könnte höher sein geladener sein verrückter<br />
sein als das und wenn alles falsch wäre was macht es schon junge dumme hunde machen fehler und<br />
ihnen wird verziehen aber darüber willst du nicht nachdenken leichtigkeit hat dich gepackt und mit sich<br />
gerissen du nimmst sie an der hand gehst mit ihr am stand entlang wo sich die wellen brechen fühlst das<br />
wasser den sand auf deiner haut ihre fi nger in deinen aus deinem mund kommen nur sinnlosigkeiten<br />
aber sie liebt dich trotzdem du siehst es in ihren augen hörst es im klang ihrer stimme willst zerspringen<br />
vor glück ihr kauft wassereis in orange und grün wieder musik in den ohren tanz zumindest bewegung<br />
und immer nur sie im kopf alles verschmilzt mit ihr zu ihr und für sich küsst die süße von ihren<br />
lippen willst sie schmecken sie riechen nichts kann je näher sein nie plastischer nie mehr strom der<br />
freund ein paar scherze schnelle worte mal mit mal ohne pointe aber immer witzig das leben prasselt<br />
auf dich ein sternenschauer an helllichten tagen versuchst dich an einem universum aus tanzenden<br />
träumen alles darf ohne kopf geschehen ohne zwang dem versuch zu überdenken mit einmaligkeit<br />
als experiment die singularität des seins auf glatteis mit stelzen ohne sicherheitsnetz und doppeltem<br />
boden und doch ohne verletzungsgefahr einfach gespielt um sich zu verheddern du willst auch<br />
nicht raus nicht fl iehen und nicht laufen alles andere ist sekundär versuchst dich am unmöglichen<br />
erklimmst berge durch gedanken durchwanderst täler in gesten und immer wieder sie und sie und<br />
wieder sie bist du einfach glücklich simpel für den moment für den streich deiner hand und deines<br />
freundes für alles und jeden ein streben ohne widerstand ein kampf ohne gegner harmonische<br />
dissonanzen werden weggelacht mit der sonne auf der haut dem salz in der luft kostenlos für dich<br />
und alle mit dir für eine welt ohne verstand ohne wiederruf grenzenlos und breit wie der horizont einer<br />
emotion aus sinnloser sinnigkeit wieder ihre haut eine versuchung ohne gegenwehr für das eins der<br />
seifenblasen im wind geschaukelt alles kinderspiel und sie lächelt in deinen augen<br />
Auf dem Weg hier her hattest du viel Zeit nachzudenken, zu viel Zeit für deinen Geschmack. Das<br />
Brennen in deiner Kehle nahm dir die Worte. Deine Zunge taub wie das Stroh auf den Feldern. Nur<br />
rote nelken und keine überraschungen<br />
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das Motorgeräusch füllt die Orte der alten Tage, der verkramten Erinnerungen, die mehr Gefühl als<br />
Bild, wie Echos um dich schwirrten. Als du das Auto parkst, gleich unter eine Linde, verharrst du,<br />
wartest, erfl ehst, dass etwas passiert, das dich noch einmal umkehren lässt, das dir diese kalte<br />
Konfrontation erlässt. Du steigst aus, blickst nach oben, ins Herbstlaub, das mit dem Wind fl üstert.<br />
Die Glocke der Kapelle vor dir schlägt zum Sonnenuntergang und dich fröstelt. Dein Blick nach<br />
unten, hoffst du auf einen Gedanken, auf ein Stück Land, das du betrittst und dich trägt.<br />
Eigentlich weißt du nicht, was du hier tun sollst. Du hörst den groben spitzen Splitt unter deinen<br />
schweren Stiefeln knirschen. Es ist einsam hier um diese Zeit. Eigentlich ist es hier immer einsam.<br />
Du bleibst kurz stehen, badest dich im gelben Licht des Sonnenunterganges, betrachtest die<br />
Schatten, siehst aus dem Mund kleine Rauchwolken aufsteigen und ins Nichts verschwinden. Dein<br />
Atem ist tief und schwer. Diese Orte wirken träge auf dich, einlullend wie ein Wiegenlied, das der<br />
Wind heimlich pfeift. Der Schatten des Kreuzes, überlebensgroß in Stahl verankert im kalten Stein,<br />
fällt auf dich wie eine Drohung. Du hebst die Hand zur Stirn, zum Herz, von links zum Herz, legst sie<br />
auf deine Brust, verharrst in Schweigen, siehst nach oben zu der Legende aus Büchern, zu einem<br />
Symbol dessen Bedeutung du nie verstehen wolltest. Leid und Demut, oder ist Demut Leid? Es wollte<br />
nie einen Platz bei dir fi nden. Deine Defi nition solle anders aussehen, nicht verbunden sein mit<br />
Mythos und Ethos, nicht getragen von Ideen, die so alt waren, dass sie für dich die Dimension eines<br />
Urzeitreliktes hatten. Warum führst du dann den Ritus aus? Hat er sich so tief in dich gefressen,<br />
dass du ihn dir nicht mehr herausschneiden konntest? Warum will er nicht mehr gehen? Hat er<br />
sich heimlich bei dir einen Platz gehalten, den er sonst nie verlässt, sich versteckt und tarnt, um<br />
dich dann zu überlaufen, wenn du es nicht erwartest? Leise hauchst du, amen, mehr in Gedanken<br />
als in Worten. Die Ruhe des Ortes hat sich in dich gesetzt, sich in dir verankert und dich hoch<br />
gehoben. Heimlich wie Rohypnol schleicht es sich in deine Blutbahn, schüttet Sand in dein Getriebe<br />
aus Rezeptoren und Transmittern. Deine Füße wie Blei am Boden, erhebst du deinen Blick, suchst<br />
langsam, willst gar nicht fi nden.<br />
Die Blumen sind noch frisch, die Erde noch zerwühlt. Du gehst langsam hin, deine Schritte träge<br />
am Boden, zögernd, überlegst, ob du nicht doch besser wieder gehen solltest, beschwichtigst dich<br />
selbst, es hätte keinen Sinn, niemand sei damit geholfen, alles lange vorbei und vergessen, und<br />
drehst doch nicht um. Die Hände verschränkt wie zum Gebet, stehst du davor, hörst noch einmal<br />
auf den Wind, bevor du deine Augen senkst auf den schwarzen Block aus Marmor, der in frischen<br />
goldenen Lettern ihren Namen trägt. Auf dem Boden noch ein Kranz, verdorrt in der Hitze, auf<br />
immergrünen Zweigen vertrocknete Blätter von roten Nelken. Du bückst dich, richtest das Band in<br />
schwarz. Von deiner Familie, liest du leise zu dir selbst. Dein Kopf in stillem Kampf mit der Leere<br />
gegen die absurden alten Schatten. Du weißt, warum du hier bist? Du bist nicht umsonst so weit<br />
gefahren? Warum bist du verwundert über dich selbst, dass es dich doch noch so weit getrieben<br />
hat in den Abend eines Tages im Herbst weit hinaus an kaum mehr bekannte Orte, die du schon<br />
vergessenen geglaubt hast? Du weißt noch immer nicht, was du hier eigentlich machen sollst?<br />
Zweifelst an dir selbst, willst gehen, hast den Entschluss bereits gefasst, da hältst du inne, siehst<br />
hoch in den Himmel, holst eine Kerze aus deiner Tasche, zündest sie an, stellst sie zu dem Block<br />
aus Stein. Wieder sagt dir etwas, dass du weg sollst, dass du deine Pfl icht schon längst erfüllt hast,<br />
dass du wieder zurückkehren sollst, zu dem, was jetzt dein Leben ist, und den Toten ihre Ruhe<br />
geben sollst; doch etwas lässt dich nicht weg, hält dich gefangen mit seinem Atem, fl üstert tief<br />
vergraben in dir, als wollte es sich einen Weg aus dir heraus suchen. Du schüttelst den Kopf, setzt<br />
dich auf den Boden, suchst deine Zigaretten und zündest eine an der Kerze an. Du fühlst dich<br />
unwohl, denn dein Verhalten missfällt dir selbst. An diesem Ort wurde es dich anders gelehrt, aber<br />
du weißt sonst nicht mehr weiter, willst etwas Zeit gewinnen um nachzudenken, um eine Antwort<br />
zu fi nden. Dein Blick schweift ins Nichts, in einen abendlichen Tagtraum der Gedankenstille, als du<br />
nach Worten zu suchen beginnst, du ansetzt und abbrichst, jeder Versuch ein Kampf mit dir selbst,<br />
ein Ringen um etwas Authentisches, ein Stück zweifelsfreie Wahrheit.<br />
Du hast mir einmal gesagt, dass jedes Mal ein Seemann stirbt, wenn ich mir eine Zigarette an<br />
einer Kerze anzünde. Ich habe immer darüber gelächelt, aber vielleicht trifft es ja hier zu? Ich<br />
habe dich nie gefragt, woher du das hast. Wer es dir erzählt hat. Versteh mich nicht falsch, es<br />
hat mich interessiert, aber ich dachte, es wäre ein Spruch wie es viele sind, der nur mehr für<br />
sich selbst lebt und aus einem Grund entstanden ist, den heute sowieso keiner mehr versteht,<br />
aber zumindest bin ich hier. Mir hat es keiner gesagt. Liegt wahrscheinlich daran, dass ich weit<br />
weg bin von hier, keine Brücken mehr habe, und auch keine mehr schlagen will, einfach weil<br />
mein Leben an anderen Orten stattfi ndet. Ich habe es in der Zeitung gelesen. Deine Eltern wohl,<br />
rote nelken und keine überraschungen<br />
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sie haben eine Anzeige setzten lassen, ganz einfach und reduziert. Beim ersten Mal habe ich<br />
sie übersehen. Erst später ist es mir wieder eingefallen. Ich weiß auch nicht, warum ich hier bin.<br />
Ehrlich! Das mit uns ist jetzt schon so lang her, so unwichtig und fern, aber ich weiß nicht, etwas<br />
hat mich hergezogen. Ich hatte mich von der Vergangenheit schon verabschiedet, so wie es jeder<br />
macht, wenn viel Wasser ins Meer gefl ossen ist, aber trotzdem musste ich nochmals hierher.<br />
Es ist absurd, aber ich erweise einem Menschen die letzte Ehre, den ich seit Jahren nicht mehr<br />
getroffen habe. Sag, was ist mit dir geschehen? Was war los mit dir? Hab dich lange nicht mehr<br />
gesehen? Aber Gräber schweigen nun mal. Irgendwie schade, aber das Leben geht nun mal weiter,<br />
weil es immer weiter geht, weil es nie endet, oder ich das Ende so und so nicht erfassen kann.<br />
Weißt du, das von damals tut mir leid, auch wenn die Wunden sicher schon längst verheilt waren.<br />
Ich war jung und dumm. Das soll keine Rechtfertigung sein, eher das Relikt einer Zeit, damit du<br />
mich verstehst. Vielleicht bin ich auch deshalb hier, weil du mich erinnerst. Im Endeffekt weiß ich<br />
sicher nicht mehr viel, und das, was noch da ist, ist sicher auch schon verwaschen. Kein Mensch<br />
behält wirklich etwas im Kopf, schon gar nicht, wenn es lange her ist. Irgendwie wird dann doch<br />
alles gebogen und verschönt, aber das macht auch nichts mehr. Es war eine gute Zeit damals, und<br />
das kann ich nicht leugnen.<br />
Ach ja, ich bin verheiratet. Haben wir uns wirklich so lange nicht mehr gesehen? Nein, ich denke,<br />
das weißt du noch nicht. Komisch, dass wir uns so sehr aus den Augen verloren haben, aber wem<br />
sag ich das? Einem Grabstein, etwas Leblosem? Und ob du es hörst oder siehst oder verstehst?<br />
Woher soll ich es wissen? Was weiß ich schon, über das danach. Im Religionsunterricht wurde mir<br />
gesagt, Gott ist transzendent, dann ist es wohl der Himmel auch, und wenn es nach den Klerikern<br />
geht, dann schmorst du sowieso in der Hölle. Ich würde gerne wissen, ob sich einer erweicht hat,<br />
dich einzusegnen? Vielleicht stimmt ja auch Reinkarnation und du siehst mir längst als eine der<br />
Tauben, oben vom Türmchen der Kapelle auf die Schultern, oder das Nirwana hat dich ins Nichts<br />
versetzt. Und vielleicht ist auch alles einfach nur Lüge, und es endet doch mit einem Schlag, Stille,<br />
Vergessen und der ewigen Leere, dem Auslöschen. Was weiß ich schon, was niemand weiß. Auf<br />
jeden Fall noch immer nicht, warum ich wirklich hier bin. Ich hatte doch gar keinen Bezug mehr zu<br />
dir. Dazu mag ich den Tod nicht, sterben und alles drum herum. In meinem Kopf, da lebst du noch<br />
immer, da habe ich dich klar vor meinen Augen in strahlenden Farben. Es ist schon komisch.<br />
Ich weiß noch, da war ich noch klein, da hat mich meine Großmutter auf einen Friedhof<br />
mitgenommen, der sah nicht viel anders aus als dieser. Er war auf einem Hügel ein wenig<br />
außerhalb des Dörfchens angelegt, zu dem er wohl gehörte, um eine Kirche, begrenzt von hohen<br />
Mauern. Auf dem Weg dorthin hat sie mich sicher zwanzigmal ermahnt, dass ich anständig<br />
sein sollte, dass ich leise sein sollte, dass die Toten ihre Ruhe wollten. Wahrscheinlich war ich<br />
schrecklich eingeschüchtert, als wir dort angekommen sind. Ich habe ihr geholfen eine Unmenge<br />
an Gartengeräten und Blumen zu einem Grab zu schleppen. Sie war nie ein leiser Mensch, hat<br />
immer viel geredet, ob der Tag lang war oder nicht, als wollte sie, die Grenze ihrer eigenen Zeit<br />
schon fühlbar im Rücken, noch etwas weitergeben, einen Fußtritt hinterlassen, und wenn es<br />
nur ein paar Worte an einen Enkel, mich, waren, der eigentlich nicht erfassen konnte, was sie<br />
sagte. Am Friedhofstor redete sie von Nelken, die für sie die Blumen der Toten waren, aus denen<br />
Kränze und Gestecke gefl ochten wurden, mit einem letzten Lächeln, dass ich diese nie meiner<br />
Freundin schenken sollte, und strich mir über das Haar, aber ich mochte doch gar keine Mädchen<br />
und eine Freundin wollte ich schon gar nicht haben. Vielleicht ist es Zufall, vielleicht waren es<br />
auch ihre Worte, aber ich habe nie jemandem Nelken geschenkt. Sie muss es oft zu mir gesagt<br />
haben, bis dass es in Mark und Bein übergegangen war, dass ich ohne nachzudenken doch danach<br />
handle. Eigentlich absurd, denn sind nicht die Totenblumen eigentlich Lilien? Wenn ich so darüber<br />
nachdenke, was spielt es für eine Rolle? Hier habe ich eine letzte Rose für dich. Ich weiß, sie ist nicht<br />
schön, aber die Läden hatten schon geschlossen. Sie ist aus meinem Garten, eigentlich noch mehr<br />
Knospe als Blüte. War wohl die letzte dieses Jahres.<br />
Ich weiß nicht, ob meiner Großmutter das gefallen hätte, sie wird es mir auch nicht mehr sagen<br />
können. Damals erzählte sie mir, dass dort ihre halbe Familie begraben ist, und eigentlich habe ich<br />
nichts verstanden. Für mich war das Leben damals grenzenlos, sterben ein Begriff aus Büchern,<br />
und der Tod etwas, über das man nicht spricht, ein Tabu. Irgendwie ist er das heute auch noch.<br />
Ich bin dort herumgestanden, und mir war langweilig, während meine Oma Rosenkränze beim Bepfl<br />
anzen des Grabes gemurmelt hat. Langsam habe ich begonnen herumzuwandern, mir noch recht<br />
mühsam die Inschriften auf den Gräbern erlesen, als ich gesehen habe, dass dort gegraben wird. Zwei<br />
Männer in schäbigen Latzhosen haben ein Grab ausgehoben. Schaufel um Schaufel gruben sie sich<br />
rote nelken und keine überraschungen<br />
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tiefer in den Boden, während meine Großmutter leise Amen seufzte, das Gebet von vorne begann.<br />
Es dauerte nicht lange, da begann einer der Männer mit mir zu reden, während ich in das Loch<br />
starrte und wartete, was sie hoch holen würden.<br />
Ich habe noch genau vor meinen Augen, wie sie auf den Sargdeckel kamen. Das Holz war vermodert,<br />
teilweise eingebrochen, wippte stark, wenn sie darauf traten, aber sie hatten keine Angst, hinab zu<br />
fallen. Schweigend sah ich ihnen zu, betrachtete den Haufen an Erde und Steinen, der wuchs, und<br />
hörte ihnen zu. Wollte ich damals höfl ich sein, oder war es kindliches Interesse, wie an einem neuen<br />
unbekannten Spielzeug? Sie brachen die <strong>Bretter</strong> mit einer Eisenstange heraus, legen sie neben den<br />
Hügel, der dieses Grab vormals versiegelt hatte. Irgendwie habe ich mir erwartet, dass darunter<br />
Erde sein würde, oder rein gar nichts, dass nichts von einem Menschen bleiben würde. Asche zu<br />
Asche, Staub zu Staub, was sollte davon auch noch übrig sein. Erde war im Grunde genommen<br />
da, aber darunter war ein schwarzer Müllsack mit Reißverschluss. Einer von ihnen trat mit einem<br />
Fuß dagegen, betrachtete die Reaktion. Als nichts geschah, zerstachen sie ihn mit ihren Spaten,<br />
um schließlich das hervorzuholen, was wirklich blieb. Sie legten die Knochen separat bei Seite, als<br />
wollten sie dem längst Verwesten eine letzte Ehre erteilen, tranken dabei Bier und redeten von einer<br />
Obduktion, die wohl an diesem Fragment einer Person gemacht worden sei. Als sie auf den Schädel<br />
stießen, nahm einer von ihnen den skelettierten Rest auf seinen Spaten und hielt ihn mir mit einem<br />
verschmitzen Lächeln entgegen.<br />
Der Tod, ich hatte ihn nie so gesehen, so endgültig und unausweichlich. Ich hatte Angst, schreckliche<br />
Angst. Meine Beine waren erstarrt, wie zementiert in diesem Platz vor einem halbleeren Grab. Der<br />
Mann forderte mich auf, den Schädel zu nehmen, er würde mich schon nicht beißen. Gelbe Zähne<br />
blitzten unter den dünnen fl eischfarbenen Lippen hervor, im Mundwinkel eine Marlboro oder ein<br />
ähnliches Kraut gekniffen.<br />
vorsichtig greifst du nach dem kopf weichst wieder zurück willst weglaufen nur fort von hier getrieben<br />
von neugier dem kindlichen element von einem hang zum unbekannten an deinem abhang entlang<br />
siehst in die leeren augenhöhlen suchst nach einen blick wo keiner sein kann zögernd wartend<br />
hoffst du auf eine eingabe auf eine stimme die dir sagt was gut und böse ist ob du das tun sollst oder<br />
darfst er bedrängt dich und du fühlst dich getrieben noch immer wartest du streckst langsam deine<br />
hand berührst den kahlen knochen mit den fi ngerkuppen schreckst noch einmal zurück wieder<br />
die gleichen fragen in welch ein dilemma bist du geraten du willst laufen nur weg von hier weg von<br />
diesem ort weg vom tod kalter schauer auf deinem rücken deine hand zittert und du mit ihr er lacht<br />
dich an der mann der kopf und dein willen sie lachen dich alle aus deine großmutter will sie dass du<br />
das tust würde sie es erlauben würde sie zustimmen glaubst du ein blick zu ihr sie sieht dich nicht<br />
noch ein blick sie reagiert nicht siehst deine hand die zurückschreckt fasst dir ein herz das schon<br />
längst in deiner hose ist deine knie am schlottern ist es verboten ist es recht das ist ein toter der wird<br />
nicht mehr lebendig der ist bei gott oder sonst irgendwo was macht er dann vor deinen augen warum<br />
glotzt er dich so hohl an will er dir etwas sagen was will der schädel von dir wenn er könnte wollte<br />
er mit dir sprechen wird er es heute nacht in deinen träumen wird er dir die wahrheit sagen die dir<br />
niemand sagen konnte wo hört alles auf wo beginnt es mit dem ende du schließt deine augen willst<br />
nicht mehr sehen willst das gelächter nicht mehr hören fasst unter das kiefer bohrst deine fi nger in<br />
dunkle schwarze erde fühlst sie weich und feucht brocken auf deiner hand stücke von ihm aus einer<br />
anderen welt nur nicht von hier hebst langsam an die schwere reißt deine hand nach unten ist er so<br />
der tot wird alles einmal so sein wirst du einmal so sein deine mutter und alles um dich geht alles<br />
diesen einen weg zum bleichen zum nagen und vergehen was wird aus dir dein atem stockt du hältst<br />
die luft an fühlst die zähne auf deiner haut nimmst deine zweite hand viel zu schwer er lacht noch<br />
immer der gräber und der kopf sie lachen dich aus wollen dich verspotten deine großmutter sieht sie<br />
dich was wird sie über dich denken wird sie dich auch auslachen wird sie es ihnen gleich tun ein ruck<br />
die decke sie fällt ab du wie stein ein schlag zu boden dumpfer klang du lässt ihn fallen erschrickst<br />
und glaubst zu fallen den halt verloren zu haben abgelitten zu sein ins böse in die verachtung deine<br />
neugier hatte dich weggerissen aufgehoben fallen gelassen und einen tritt verpasst ein schritt zurück<br />
du willst schreien weinen zeigen dass es dich noch gibt nur leeres krächzen tonlos sprachlos und<br />
wortkarg rollt der schädel wieder ins grab zurück in die vergangenheit das lachen des gräbers noch<br />
in deinem kopf der tod so plastisch irreal unaufhaltsam unausweichlich hier<br />
Die Totengräber grinsten mir entgegen, redeten wieder von einer Obduktion, dem Wort das ich nicht<br />
kannte und machten weiter, schaufelten und brachen <strong>Bretter</strong> aus dem Boden, bis sie auf harten<br />
Stein stießen. Ich fühlte mich schlecht, als hätte ich etwas schrecklich Verbotenes gemacht. Ich<br />
rote nelken und keine überraschungen<br />
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habe das niemals jemandem erzählt, aber vielleicht habe ich damals begonnen ein Stück von dem<br />
zu verstehen, was ich heute noch nicht fassen kann, denn bald wirst du auch nicht mehr sein als ein<br />
paar weiße Knochen in dunkler Erde in einem Plastiksack. Ich werde das Geräusch, als die <strong>Bretter</strong><br />
brachen, nie vergessen, das Nachgeben unter einer Eisenstange, das Biegen und Bersten.<br />
Ich werde auch dich nie vergessen. Du hast mir einmal mehr als alles andere bedeutet. Nur mit dir<br />
war der Himmel wirklich blau und das Gras wirklich grün, und alles war echt und geladen wie ein<br />
Experiment, in dem wir beide gegenseitig unsere Versuchsobjekte waren, einfach elektrisch, wie<br />
eine Achterbahnfahrt oder das Gefühl, etwas Verbotenes getan zu haben. Ich hätte für dich alles<br />
und noch mehr gegeben, hätte Berge für dich versetzt und Sterne vom Himmel geholt, nur um<br />
dich bei mir zu haben. In meiner Erinnerung höre ich noch immer dein Lachen, den Klang deiner<br />
Stimme, wenn du sagst, dass du mich liebst, spüre noch immer, dass mir jedes Mal dabei der Atem<br />
gestockt ist, und ich gehofft habe, es geht nie vorbei, aber die Zeit hat uns beide anderes gelehrt.<br />
Wir konnten alles besiegen, nur sie nicht. Sie hat uns zusammengeführt und wieder getrennt, und<br />
jetzt bin ich zu spät. Ich konnte nichts mehr dagegen machen. Wahrscheinlich hätte ich es sowieso<br />
nie, aber ich hätte es doch versuchen können, aber ich habe nichts gewusst, habe dich verloren,<br />
und dich nicht mehr gefunden. Ich liebe meine Frau, aber das mit dir, das war einmalig. Es wird<br />
wohl nie mehr wieder so gut. Etwas fürs Leben, und wenn es auch nur blass ist, und wenn es auch<br />
Selbstbetrug ist, und wenn es auch alles nicht mehr stimmt, wie ich es jetzt vor mir sehe, so bleibt<br />
es mir doch so und nicht anders, so bleibt es doch so bei mir, bis auch ich dir Gesellschaft leiste,<br />
wo auch immer du jetzt bist.<br />
Du stehst auf, siehst noch einmal auf die Kerze, deren rotes Licht jetzt in die Nacht fl ackert,<br />
schließt die Augen für einen Strom von Bildern, ergibst dich dem Moment in stiller Wehmut. In<br />
einer bittersüßen Flut wird das Leben zum Film, einem Zeitraffer aus Aufnahmen, jede für sich<br />
einzigartig, jede für sich ein Stück, das betrachtet werden will, doch viel zu schnell wieder verläuft,<br />
wie Sand durch die Finger rinnt, um wieder zu verschwinden, noch ehe sie richtig begriffen werden<br />
konnte. So fühlst du dich hin und her gerissen, bist wie ein Segel im Wind deiner Gefühle, getrieben<br />
durch den Zufall, durch andere, durch dich selbst und deinen Willen, durch Umstände, die du<br />
nicht mehr beeinfl ussen kannst. Du vermisst sie, diese alten Tage, in denen alles noch neu war;<br />
so intensiv, so überwältigend, dass du niemals dafür Worte fi nden konntest. Wird dir jetzt bewusst,<br />
was du hier suchst? Nicht sie war dein Ziel, nicht die Erkenntnis, dass ihr Ende besiegelt ist, nicht<br />
die Trauer zu einem Menschen, den du längst nicht mehr kanntest. Nichts Logisches hat dich hier<br />
her gelockt, sondern der Wunsch nach etwas Altem, einem Stück, dass du verloren und vergessen<br />
geglaubt hast, dem Rest von etwas, das in deinem Leben so weit von dir gewichen war, dass du es<br />
kaum mehr am Horizont ausmachen konntest. Noch ein letzter heimlicher Blick, als ob du es noch<br />
immer nicht glauben kannst, erwachst aus deinem nächtlichen Tagtraum, überwindest die Stasis<br />
und verlässt langsam den Ort, als ob du versuchen wolltest kein Geräusch zu machen, die Ruhe<br />
nicht zu stören. Zurück bleibt Stille, der Klang des Windes, das Flackern von Lichtern, und ein fast<br />
gespenstisches Schweigen in dir selbst.<br />
Du bist in dieser Nacht noch lange nicht nach Hause gekommen, hast Kilometer mit dem Auto<br />
abgespult, einfach nur um zu fahren, als wolltest du vor etwas davon laufen. Alles war schon dunkel,<br />
als du deine Wohnung betrittst, verriegelst leise die Tür, wirfst einen Blick in das Zimmer, in dem<br />
deine Kinder schlafen. In dir, langsam und träge, verharrst du, siehst wieder ihre Augen, das Meer<br />
und die Sonne auf ihrer Haut, hörst das Meer rauschen, fühlst den Sand zwischen deinen Zehen,<br />
ihre Hand in deiner, ihre Lippen auf deinem Mund, hörst das Ächzen von <strong>Bretter</strong>n, riechst rote<br />
Nelken.<br />
rote nelken und keine überraschungen<br />
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Caroline Schiel<br />
Caroline Schiel ist ein Pseudonym von Gertraud Klemm, geboren 1971 in Wien. Jugend und<br />
Studienzeit in Baden und Wien. Erste Schreibversuche mit 13. Nach einem Biologiestudium und<br />
ein paar Jahren Berufserfahrung im naturwissenschaftlichen Bereich besinnt sich Gertraud auf ihre<br />
musischen Wurzeln und beginnt wieder vermehrt zu schreiben. Zwei Mal hat sie schon erfolgreich<br />
bei Wortlaut teilgenommen (deswegen auch das Pseudonym), was sie sehr gefreut und unter<br />
anderem dazu bewogen hat, mit dem Schreiben Ernst zu machen. Gertraud musiziert, malt und liest<br />
sehr gerne. Im Augenblick gönnt sie sich ein Freijahr, schreibt an ihrem ersten Roman und sucht<br />
nach einem Verlag für ihre Kurzgeschichten. Wenn sie genug Zeit und Geld hat, reist oder wandert<br />
sie gerne durch die Welt, am liebsten mit ihrem Mann oder allein.<br />
Der Sargträger<br />
Mit angemessen kleinen, würdigen Ameisenschrittchen und gebeugtem Haupt trotte ich im<br />
Trauerzug hinter einer großen, hageren Salzburgerin mit schwarzen Stöckelschuhen her. Mein<br />
gesenkter Blick erlaubt mir das eingehende Studium der abgewetzten Stöckel, die der ständig<br />
plappernden Trägerin im Kies erschreckend wenig Stabilität verleihen. Wie ich ist sie scheinbar<br />
nur eine entfernte Bekannte des Verschiedenen und daher am sich verjüngenden Schwanz des<br />
Trauerzuges zu fi nden; nach hinten werden die Reihen schütterer und die Laune besser – die Moral<br />
wird gegen Ende des Zuges immer dünner, so, als ginge der Menschenmenge mit wachsender<br />
räumlicher Distanz zum Verstorbenen der Saft zum Trauern aus. Stattdessen verkürzt man sich z.<br />
B. heute die Zeitdauer damit, die Qualität von Schnäpsen aus dem oberen Inntal zu loben oder man<br />
kritisiert das Wesen der Bestattung an sich, so wie es die Stöckelschuhfrau soeben vor mir heftig<br />
tut.<br />
„Das gehört doch alles schon längst abgeschafft. Kein Mensch braucht diese Quälerei. Eingraben und<br />
fertig“, höre ich sie sagen. Ich hebe den Blick kurz: Angesichts der Tatsache, dass das, was ich von<br />
ihr sehen kann, auch schon verrunzelt genug aussieht, um in absehbarer Zeit selbst mit „eingraben<br />
und fertig“ von den Lebenden verabschiedet zu werden, bewundere ich ihre Nonchalance und ihre<br />
Respektlosigkeit, die sie vielleicht sogar sich selbst gegenüber beweist.<br />
Der in Kürze Begrabene ist der Vater eines Freundes von mir, ich habe ihn nicht oft gesehen, zwei<br />
Mal vielleicht, aber dem Freund zuliebe will ich mich gerne zeigen. Meine fehlende, aufrichtige<br />
Anteilnahme und den ausbleibenden Tränenfl uss verberge ich hinter einer in alle Richtungen ausufernden<br />
Sonnenbrille von Dior, die mich ein Viertel meines Monatsgehalts gekostet hat. Ich mache<br />
mir vor, dass dieser überdimensionierte, schwarze Schild meinen kleinen, dürren Körper ziert,<br />
ihm etwas von seiner Schmächtigkeit nimmt, etwa so, wie die riesigen Facettenaugen den Libellen<br />
etwas Majestätisches, Unberührbares verleihen; Libellen mit kleinen Augen würden kein Schwein<br />
interessieren, man würde nach ihnen schlagen wie nach allen anderen dürren, stabförmigen<br />
Fluginsekten auch.<br />
Prall und üppig präsentiert sich der Frühlingstag, so übervoll mit Leben, Pollenfl ug, balzenden Vögeln,<br />
sich paarenden Schusterkäfern und Maikäfern, richtig aufdringlich schiebt sich die Lebenskraft vor<br />
die Schatten des Sterbens. Es scheint grotesk, sich an einem Tag wie diesem dem Tod zu widmen,<br />
die Trauergemeinschaft tut sich eh schwer, aber bitte, die Meisten bemühen sich ja.<br />
Der Zug kommt ins Stocken, das kollektive Scharren im Kies verebbt, der Kopf der Menschenschlange<br />
hat das Grab erreicht. Nun verteilt sich die Trauergemeinschaft geschmeidig auf dem<br />
wenigen Platz, der zur Verfügung steht, umfl ießt dynamisch die angrenzenden Gräber, bedacht,<br />
beim Herumstehen zwischen den Gräbern keine pietätlosen Berührungen mit Grabsteinen zu<br />
verursachen. Ich kann nichts sehen, weiß es aber genau, weil ich in letzter Zeit oft in der ersten<br />
Reihe stehen durfte. Begräbnisse haben mein letztes halbes Jahr begleitet, und weitere Begräbnisse<br />
werden folgen, zumindest arbeiten mehrere Krebsarten in den Körpern einiger meiner noch<br />
verbliebenen Familienmitglieder sehr zielstrebig daran.<br />
Den Anfang des großen Sterbens machten meine Großeltern, die quasi Hand in Hand gestorben sind,<br />
so knapp hintereinander, dass die Trauergemeinde immer wieder den schwachsinnigen Vergleich mit<br />
Papageien bemühte – Papageien nämlich sterben vor Kummer, wenn sie ihre Partner verlieren, sie<br />
der sargträger<br />
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hören auf zu fressen und zu trinken und warten geduldig, bis sie tot vom Baum fallen. Ein bisschen<br />
war es wirklich so gewesen, Opa hatte nach Omas Tod sein Gebiss ausgespieen, seinen faltigen<br />
Mundtrichter für immer versiegelt und war drei Tage später aus seinem Rollstuhl gekippt, mausetot,<br />
vertrocknet. Wir nickten damals also beipfl ichtend, wenn die Papageientheorie tröstend gespendet<br />
wurde, meine Hände unter dem Tisch aber verselbständigten sich – in meinem ins unermessliche<br />
steigenden Grant zupfte und riss ich mir im Verborgenen die Haut um die Fingernägel blutig.<br />
Kurz darauf ereignete sich das in den Medien als „Autobahn Tragödie“ bezeichnete Verscheiden<br />
meiner Eltern, die durch die Wucht eines Lastwagens voller saftiger, rot glänzender Äpfel zu Tode<br />
gequetscht worden waren; am Steuer des geisterfahrenden Lasters saß ein besoffener, steirischer<br />
Mostbauer. Irgendjemand hatte mich zum Unfallort gebracht, die Aufräumarbeiten hatten noch<br />
nicht begonnen und aus dem Führerhaus des Krankenwagens hatte ich einen guten Blick auf das,<br />
was die Tücke der physikalischen Kräfte von meinen Eltern übergelassen hatte. Der Renault meiner<br />
Eltern sah nachher aus wie ein Teil der fruchtigen Ladung, so klein und würfelig inmitten einem Meer<br />
von Äpfeln und Kisten, und obenauf wie Schokospäne auf einem feinen Nachtisch die zerborstenen<br />
<strong>Bretter</strong> der Paletten. Meine Eltern selbst waren wohl zu einer Art Gulasch oder gar Brei geworden,<br />
zumindest schloss ich das aus der Tatsache, dass man mir ihren Anblick entschieden verwehrte.<br />
Die Organisation von Begräbnissen wurde zu einer erschöpfenden Routine, die mich dergestalt in<br />
Anspruch nahm, dass ich meinen eigentlichen Vollwaisenstatus erst nach der Doppelbeerdigung<br />
meiner Eltern realisierte, nämlich, als ich mich beim Leichenschmaus zwischen Menschen<br />
gepfercht fand, die in konzentrierter, gefasster Gier ihre Wiener Schnitzel zersäbelten und in<br />
sich hineinstopften, eine Demonstration geschlossener Gleichgültigkeit. So war das Leben nun<br />
mal; gegen Ende gibt es meist noch einige grausliche Details über unkontrollierte Körpersäfte,<br />
Schläuche usw., dann wird gestorben, beerdigt und im Wirtshaus wieder die Kurve gekratzt,<br />
schnell zurück in das Mahlwerk des Verdrängens, denn das Leben muss weitergehen, „wird scho´<br />
wieder, gehen´s Fräulein, bringen´s mir noch ein Krügerl“. Alle außer mir hatten jetzt fl eischliche<br />
Bedürfnisse, Appetit, Durst, Bedarf nach Berauschung. Eine wohlmeinende Hand lud mir<br />
Schweinsbraten und Knödel auf meinen Teller und eine weibliche Stimme säuselte mir beruhigende,<br />
zum Essen ermunternde Worte ins Ohr. Der Gedanke an Dinge im Mund haben, Kauen, und<br />
überhaupt, Schlucken, war lächerlich. Die Wucht der Einsamkeit traf mich überraschend, aber<br />
gut gezielt. Damals hatte ich mich erhoben und am Klo eingesperrt. Es war ein altmodisches,<br />
mittelschlecht riechendes Klo mit rissigem Steinboden, einer Holzbrille und einer in ein feines<br />
Netzwerk zersprungenen Klomuschel, in dessen Labyrinth ich so lange hineinstarrte, bis der<br />
Brechreiz sich darin verlor wie ein böser Traum. Etwas legte sich auf mich, eine kühle, schwere<br />
Decke, nicht daran denken, nicht daran denken, nicht daran denken. Der Wunsch zu weinen wurde<br />
in kalte Umschläge eingepackt und für später aufgehoben.<br />
Dann ging ich zurück und stand die Feier bis zum Ende durch. Die letzten Gäste waren zäh, und<br />
nachdem sie satt gefressen hatten und mit Alkohol abgefüllt waren, rang es ihnen am Ende dann<br />
doch noch glaubwürdige Traurigkeit ab. Nachdem dann die übrig gebliebenen Tanten und Onkel mit<br />
von Tränen süffi gen Augen ihre schlaffen, nassen Wangen an meiner trocken gerieben hatten und<br />
gegangen waren, blieb ich im Gastzimmer zurück wie ein ungeliebter, vergessener Gegenstand. Die<br />
eintrocknenden Tränen spannten auf meinen Wangen, daran wagte ich zu denken; es fühlte sich<br />
nicht gut an, aber auch nicht schlecht.<br />
So ist es jetzt immer noch. Alles, was sich geändert hat, ist, dass mir der Mundraum viel zu klein<br />
geworden ist, ungefähr so, als hätte man eine Schlehe gegessen, die die Mundschleimhaut in null<br />
komma nix zusammenschnurren lässt. Essen ist noch schwieriger geworden. Seit dem Klobesuch<br />
am Begräbnis meiner Eltern ist meine Trauer wie hinter einem dunklen <strong>Bretter</strong>verschlag verborgen,<br />
schläft dort ruhig und atmet gleichmäßig. Etwas fl üstert mir zu, „Du darfst diesen Zustand jetzt<br />
nicht ändern, die kühle Einsamkeit ist erträglich; alles andere würde aus Dir hervorplatzen und Dich<br />
spalten“. „Ja“, pfl ichte ich still bei.<br />
Der Trauerzug hat sich langsam vorwärts geschlängelt, bald bin ich dran, mein Scherfl ein dazu<br />
beizutragen und ein bisschen Erde auf den Sarg zu werfen. In kann es schon hören, das Geräusch<br />
des rituellen Verschüttens, zuerst Platsch, und dann ein leises Rieseln, fast gleichzeitig, aber eben<br />
nur fast. Der Redefl uss der Salzburgerin vor mir ist auch endlich versiegt; ich frage mich, ob sie jetzt<br />
vielleicht wirklich ein bisschen traurig geworden ist, so in unmittelbarer Sargnähe, und ich vergönne<br />
ihr eine ausgewachsene Angst vor dem Tod. Platsch, Riesel. Gleich bin ich dran. Die Salzburgerin<br />
sieht beim aktiven bzw. bemühten Trauern gleich noch älter aus. Aber was mich wirklich überrascht,<br />
der sargträger<br />
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ist die Miene jenes Sargträges, der jetzt die Funktion des Erdschaufel-Reichens übernommen hat:<br />
Er sieht fast so betroffen aus wie die unmittelbaren Familienangehörigen. Seine blasse Haut ist über<br />
den Wangenknochen gespannt, die Augen liegen tief und in zwei düsteren Seen aus Schatten,<br />
kraftlos und resigniert kriecht ihm eine dünne Haarsträhne über die Stirn.<br />
Mit gesenktem Blick reicht er mir die Schaufel, ich nehme sie und werfe die Erde in etwas zu hohem<br />
Bogen auf das Grab; Patsch, Riesel. Ein an Biomüll erinnerndes Konglomerat von Erde, Blumen und<br />
Schleifen bedeckt den hellen Sarg dürftig. Ich verweile ein wenig, will mich irgendwie verabschieden,<br />
werde nervös, weil mir nichts Gescheites einfällt, statt dessen belagert Biomüll mein Gehirn, ich kann<br />
nur an den Anblick und Geruch runzliger Radieschen und schimmliger Zitronen denken, und zu allem<br />
Überdruss kommen auch noch Nacktschnecken dazu. Ich lasse meinen Blick verstohlen seitlich zum<br />
faszinierenden Sargträger schweifen, da nickt mir der plötzlich zu, verschmitzt und überraschend<br />
vertraut. Er trägt ein weinrotes Sakko mit goldenen Knöpfen, seine Würde hat etwas Tröstliches und ich<br />
würde ihn gerne nachher umarmen. Dankbar lächle ich ihn an, nicke zurück, etwas zu heftig, denn dieses<br />
Nicken destabilisiert den Halt meiner Sonnenbrille, und bevor ich nach ihr greifen kann, gleitet sie<br />
behände über meine Nase und fällt in steilem Winkel mit einem unpässlichen „Tock“ auf den Sarg.<br />
Ich erstarre, unterdrücke das dringende Bedürfnis, mich hinzuhocken und die Brille aus dem Grab<br />
zu retten. Genauso wenig kann ich sie dem Grab opfern, bei dem Gedanken an die Kosten blutet<br />
mir das Herz. Ich blicke beschämt in die Runde, verhohlene Komik ist in den Gesichtern zu lesen,<br />
aber der Sargträger macht eine beschwichtigende Kopfbewegung und winkt mich weiter. Als ich an<br />
ihm vorbeigehe, raunt er mir zu: „Später.“ Sonst nichts.<br />
Ich zapple weiter, den letzten Flaschenhals der Prozession, das Kondolieren, zu überwinden. Als<br />
ich auch dort vorbei bin, nehme ich auf den Stufen einer einschüchternd aussehenden Gruft Platz<br />
und warte, bis sich die Reihen endgültig lichten und der Trauerzug zerbröselt. Die Gesellschaft<br />
versammelt sich vor dem Friedhof und startet den Abmarsch zum Leichenschmaus.<br />
Endlich ist es ruhig, ich habe das Grab im Blickfeld, richtig nackt und erbärmlich sieht es jetzt<br />
aus, so ganz ohne lebendige Menschen rundherum, ein Loch in der Erde und ein in Stehwänden<br />
gefangener Erdhaufen daneben, irgendwo dazwischen der erloschene Körper in einer Kiste aus<br />
lackierten Eichenholzbrettern.<br />
Ich warte, aber der Sargträger bleibt verschwunden. Also warte ich weiter, ohne Sonnenbrille, mit<br />
geschlossenen Augen, bade mein Gesicht in der warmen Frühlingssonne. Als ich das Knirschen<br />
im Kies höre, weiß ich, es ist der Sargträger. Aus einem anderen Eck des Friedhofs kommt er mit<br />
schlaksigem Gang auf mich zu, und je näher er kommt, desto mehr muss ich an staksende Fohlen<br />
denken; ich könnte ihn stundenlang genussvoll dabei beobachten, wie er auf mich zu kommt. Vor<br />
mir bleibt er stehen, etwas schwankend, die Arme baumeln noch nach; ich erhebe mich, linkisch<br />
neigt er den Kopf und sieht mich von unten an, macht sich kleiner, ich habe keine Ahnung was das<br />
bedeuten soll, aber es stört mich nicht. Irgendwie sind wir von zwei verschiedenen Gattungen, und<br />
dennoch haben wir viel gemeinsam – unsere Seltenheit, unser fast ein bisschen Außerirdisch-Sein;<br />
vielleicht könnte man uns sogar im selben Käfi g halten.<br />
„Das war ja eine Meisterleistung“, beginnt er die Unterhaltung. Seine Stimme ist hell, klar und<br />
unmännlich.<br />
„Ja, wirklich“, pfl ichte ich bei, muss lächeln.<br />
„Holen wir sie mal raus, oder?“ Er lächelt zurück, offenbart ein echtes Clowngesicht, mit großem,<br />
klobigem Kopf; dort wo die Wangenknochen beginnen, ist es am breitesten und verjüngt sich zum<br />
Kinn fast herzförmig. Von der betroffenen Schattigkeit beim Begräbnis ist nichts mehr zu sehen,<br />
dezent vorstehende Schneidezähne und die fl inken Augen verleihen ihm etwas Hasenartiges.<br />
Ich nicke und wir gehen zum Grab, er springt leichtfüßig neben den Sarg und legt in Erde und<br />
Blumen scharrend meine Brillen frei, reicht sie mir und klettert wieder aus der Grube. Wie aus dem<br />
Nichts ertönt in meinem Hirn plötzlich das Kinderlied „Häschen in der Grube“, und ich kann es<br />
meine Mutter singen hören, ihre Stimme ist jung und gesund und tröstlich, die Melodie kriecht wie<br />
ein Wurm in mein gepanzertes Herz und versetzt mich in Panik. Schnell greife ich nach der Brille,<br />
setzte sie auf und drücke sie auf die Nase, fast brutal.<br />
„Ist alles in Ordnung?“, fragt der Sargträger.<br />
„Ja“, lüge ich.<br />
„Sie sehen grauenvoll aus.“<br />
„Kreislaufschwäche“, lüge ich weiter.<br />
„Kommen Sie mit in die Tischlerei, dort können Sie sich kurz setzen. Ich habe gerade Mittagspause.“;<br />
er wartet gar nicht auf eine Antwort sondern führt mich gleich ab.<br />
Ich wehre mich nicht, sein Arm liegt so fest und bestimmt auf meiner Schulter, und so, wie<br />
der sargträger<br />
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Feuerwehrmänner in Decken gehüllte, entwurzelte Menschen über verbrannte Erde in Sicherheit<br />
bringen, führt er mich über den knirschenden Kies.<br />
Wir verlassen den Friedhof durch eine schmale Hintertüre, die direkt in den Hof einer kleinen<br />
Tischlerei führt. Eine Verheißung von Fichtenholz und Waldböden liegt in der Luft, der Holzgeruch<br />
wird intensiver, köstlich, als wir durch eine Lagerhalle mit endlos langen, in Wandregalen liegenden<br />
<strong>Bretter</strong>n in die eigentliche Tischlerei kommen. Ein schmaler, langer Raum tut sich auf, mit einer<br />
großen Arbeitsfl äche, gefährlich aussehenden Geräten und Werkzeugen sowie einem unordentlich<br />
voll gestopften Regal mit Büchern, Katalogen und Plänen. In einem Eck stehen eigenartige<br />
Konstrukte, die mich an Krücken erinnern, oder besser noch, an die Stützen aus Salvador Dalis<br />
Bildern, über die Uhren dahin schmelzen oder in denen der Schlaf ruht. Ein unter einer dicken<br />
Staubschicht begrabenes Telefon vollendet das Stillleben.<br />
„Warten Sie hier, ich mache Ihnen Tee“, sagt der Sargträger und verschwindet in eine winzige<br />
Küche, die durch eine Türe getrennt wird, die offensichtlich niemals geschlossen wird. Alles ist<br />
mit Staub bedeckt: der Herd, die Kästen, der Wasserkocher, die Teedose, die Tassen wohl auch.<br />
Ich setze mich auf einen Drehsessel neben der offenen Küchentüre und schaukle mit leicht<br />
geöffneten Augen, während der Sargträger beim Tee machen leise herumklappert und klirrt. Durch<br />
die Augenschlitze beobachte ich abwechselnd ihn und die Werkstatt. Schließlich reicht er mir eine<br />
Tasse mit zu starkem, schwarzem Tee, ich winke bei Zucker ab, bedanke mich und blase verlegen<br />
auf die Oberfl äche des Getränks. Er nimmt auf der Arbeitsfl äche Platz; seine Beine baumeln ins<br />
Leere.<br />
„Sie sind also Sargträger“, breche ich das Schweigen.<br />
Er schüttelt den Kopf und grinst. „Nein. Ich bin eigentlich Tischler. Aber ich arbeite hier bei der<br />
Friedhofsverwaltung, weil ich keinen anderen Job gefunden habe.“<br />
„Bauen Sie hier Särge?“, frage ich.<br />
„Nein, die kommen aus der Sargfabrik. Die Tischlerei ist nur zufällig neben dem Friedhof, ganz<br />
praktisch, die Toten beschweren sich selten über den Lärm.“ Er lächelt nicht.<br />
Ich nicke, auch nicht lächelnd. „Sie haben sehr professionell ausgesehen, dort beim Grab. Sehr<br />
traurig und betroffen; das gehört wohl zum Job, oder?“<br />
Er schüttelt wieder den Kopf, sieht dabei angestrengt auf den Boden. „Nein, es trifft mich wirklich<br />
fast jedes Mal. Das Trauern. Die Verzweifl ung. Aber auch die Gleichgültigkeit.“<br />
Ich fühle mich ertappt. Spätestens nach dem Wegfall meiner Brillen muss er in meinem Gesicht<br />
gelesen haben; mein Ringen nach Mitgefühl, nach den richtigen Worten des Abschieds, die sich<br />
bitten ließen.<br />
„Keine Angst, es geht mich nichts an. Außerdem …“, er beugt sich zu mir nach vor und stützt die<br />
Ellenbogen auf die Oberschenkel, „… habe ich Sie trauern gesehen.“<br />
Ich spüre, wie sich meine Brauen heben. „Ach“, sage ich gekünstelt.<br />
„Ja. Auf der Beerdigung Ihrer Eltern, vor einem halben Jahr. Ich bin für einen Kollegen dort<br />
eingesprungen, der sich den Fuß gebrochen hat. Ich hab Sie sofort wieder erkannt.“<br />
Sein Blick penetriert mich, ich wende mich ab und verschränke die Arme vor der Brust. „Ich will<br />
nicht darüber reden; wenn Sie damit anfangen, mich zu bedauern, werde ich gehen.“<br />
Er rutscht vom Tisch, geht zu den eigenartigen Holzkrücken in der Ecke, berührt sie mit den<br />
Fingerspitzen. Mit dem Rücken zu mir sagt er leise: „Nein, ich will gar nicht mit Ihnen darüber reden.<br />
Aber ich will Ihnen etwas zeigen; kommen Sie her.“<br />
Die Konversation ist gefährdet, ins Belehrende abzugleiten, ich kenne das schon, und nichts ist<br />
schlimmer, als sich wieder mit einem klebrigen, lauwarmen Brei aus gut gemeinten Ratschlägen<br />
übergießen zu lassen.<br />
Ich erhebe mich, bereit zur Flucht, greife nach Tasche und Brille. Dann gehe ich zu ihm. Erst<br />
jetzt sehe ich, wie schön die Krücken gearbeitet sind. Es sind ein- oder zweibeinige Konstrukte<br />
aus an den Kanten abgerundeten, polierten <strong>Bretter</strong>n, mit mehrteiligen Aufsätzen. Das Ganze sieht<br />
ein bisschen nach zerschnittenen, weich und rund gemachten Kinderhochstühlen aus, oder nach<br />
Gehhilfen für Missbildungen, deren Scheußlichkeit die Grenzen meiner Vorstellungskraft sprengt.<br />
„Wozu sind die?“, fl üstere ich und fürchte mich ein bisschen vor der Antwort.<br />
„Für meine Kürbisse. Ich züchte Riesenkürbisse. Manche dürfen nicht auf dem Boden liegen, also<br />
habe ich Ihnen diese Kürbiskrücken gebastelt. Ich habe schon einige Preise gewonnen.“<br />
Er lächelt mich an, und die Begeisterung in seinen Augen sowie die Erleichterung über das<br />
Ausbleiben von Schilderungen unsäglicher Verkrüppelungen rühren mich so sehr, dass mir die<br />
Tränen in die Augen schießen.<br />
der sargträger<br />
38
Er sieht mich entgeistert, aber immer noch lächelnd an.<br />
„Sie weinen ja.“<br />
„Das ist in Ordnung. Ich weine auch bei Faschingsumzügen.“<br />
„Ach so.“<br />
„Dafür weine ich nicht bei Begräbnissen oder Hochzeiten“, setze ich nach.<br />
Er nickt abwesend.<br />
„Verstehe ich“, murmelt er. „Wissen Sie, das ganze Jahr lang begrabe ich Menschen und sehe ihre<br />
Angehörigen leiden, oder auch nicht. Manchmal kommt nur eine Handvoll Leute, manchmal gar<br />
niemand. Manchmal begraben wir kleine Kinder, da brauche ich Ihnen wohl nichts zu erzählen. Und<br />
währenddessen sprießen, blühen, wachsen meine Kürbisse heran. Es ist eine Art Ausgleichssport.<br />
Das Weinen…“, er setzt sich wieder auf den Tisch, „ist eine eigene Wissenschaft. Ich kenne<br />
mindestens fünf Arten des Weinens.“<br />
„Ja“, sage ich. „Ich alleine kenne bei mir drei.“ Ich bin über meine Offenherzigkeit überrascht, aber<br />
angenehm überrascht.<br />
Dann dreht er sich nach mir um und blickt auf meine Tasche. „Sie müssen jetzt gehen, nicht?“<br />
Ich nicke. „Ja. Danke für den Tee.“<br />
Er gibt mir die Hand; sie ist trocken und kühl, aber nicht kalt. Er sieht mir fest in die Augen. „Machen<br />
Sie es gut. Und kommen Sie mich bald wieder besuchen.“<br />
„Ja, spätestens beim nächsten Begräbnis. Sieht so aus, als wäre das bald.“<br />
„Das tut mir leid“, sagt er. „Aber dann zeige ich Ihnen die ersten Kürbisse.“<br />
Ich nicke und verlasse die Werkstadt, drehe mich noch einmal um, winke ihm zu, er sieht mir<br />
nach, regungslos, eines der Gestelle in der rechten Hand.<br />
Ich gehe die Straße entlang. Es ist noch heller und heißer geworden. Den Kopf immer noch voller<br />
Riesenkürbisse, setze ich meinen Körper auf eine Parkbank im Schatten. Vor dem Friedhof versammelt<br />
sich die nächste Trauergemeinde, eine Handvoll Leute, die gedämpft miteinander plaudern. Ich<br />
weiß nicht ob ich lachen oder weinen soll und verschiebe die Entscheidung auf später.<br />
der sargträger<br />
39
Rudi Stüger jun.<br />
geboren 1984 in Gmunden. Er wächst in Ebensee auf dem Gebiet des ehemaligen Konzentrationslagers<br />
auf, besucht zuerst ein Gymnasium in Bad Ischl und später ebendort die Handelsakademie. Am<br />
Lesen hatte er schon immer seine Freude, seit wenigen Jahren widmet er sich auch aktiv dem<br />
Schreiben. Was einmal aus ihm werden wird, weiß er noch nicht. Was er weiß ist, dass er M. liebt!<br />
Segenwerksbesitzer<br />
Eine selige Säge, eine gesegnete Säge, die der Pfarrer abgesegnet hat mit seinem Weihwasser, ehe<br />
man ihn abgesägt hat, als er dem Ministranten ins heiligste Weihrauchfasserl gegriffen hat. So eine<br />
besitzt er. Auf dem Land macht man so etwas, dass man sich die Säge segnen lässt, damit keiner,<br />
der bei der Arbeit den Kopf verliert, die Hand verliert oder auch nur ein paar Finger. Der heilige Gott<br />
und seine Mitarbeiter schauen auf das Sägewerk und seine Mitarbeiter und ganz besonders auf den<br />
Chef, der es veranlasst hat, dass sein Werk gesegnet, sein Sägewerk zum Segenwerk gemacht wird.<br />
Ein gesegnetes Werk zum Sägen von Holz, ein gefährliches Handwerk, ein schwerer Beruf, zu dem<br />
man berufen sein muss, wie er glaubt.<br />
So steht er jeden Morgen auf und geht hinüber, nur über die Straße, denn er wohnt gleich neben<br />
seinem heiligen Werk, im selbstgebauten Holzblockhaus mit Herrgottswinkel. Das Holz vor der<br />
gesegneten Hütte imponiert, er zeigt es gernejedem und lagert es auf einem Holzplatz vor der<br />
Säge, dass jeder es sehe. Die Mitarbeiter sind glücklich, dass es ihn gibt, wo könnten sie sonst ihre<br />
wertlose Zeit verbringen, als im kreischenden Segenwerk. Sie hören gut zu, was der Chef sagt, und<br />
gehorchen. Die Hörigkeit des Fußvolks ist ihm wichtig. Er verkauft seine Hölzer bis nach Italien,<br />
wohin er gern auf Urlaub fährt, darum muss alles wie am Schnürchen laufen – das Überleben des<br />
Werks hängt am seidenen Faden (der Wirtschaft geht’s nicht gut; darum wählt er die Partei des<br />
Volkes und hört dessen Musik). Woher das Geld kommt, ist egal, wichtig ist, dass die Mitarbeiter<br />
aus Österreich sind. Er hat es sich nie leicht gemacht, der Sägewerksbesitzer, zahlt anständige<br />
Löhne an anständige Angestellte und Arbeiter. Die Sicherheit der Holzarbeiter ist geboten,<br />
wenn auch nicht oberstes Gebot, denn an der Wirtschaftlichkeit kommt man nicht vorbei. In der<br />
heutigen Zeit hat kaum jemand Geld, es gibt immer mehr Bettler, die sich kein Holzblockhaus, wie<br />
er es besitzt, leisten können.<br />
Die Partei der Blumen und Wiesen, die Landschaftspartei in der heimischen Parteienlandschaft ist ihm<br />
ein Dorn im Auge. Er soll nicht so viel absägen vom schönen, alles umgebenden Wald der Umgebung.<br />
Geld kann man nicht essen, Gold kann man nicht atmen, sagen sie ihm, während er sich mit einer<br />
großzügigen Spende an den Bergsteigerbund selber lobt. Die Natur ist ihm wichtig, nichts hat er lieber<br />
als einen bodenständigen Familienausfl ug in die heimischen Berge, in denen er sich auf heimeligen<br />
Lichtungen ablichten und in den örtlichen Zeitungen abdrucken lässt. Ein Foto beim Abdrücken auf<br />
der Rotwildjagd, im Walkjanker, mit Abzeichen bestückt, hausgemacht von der braven Frau bestickt.<br />
Eine brave Frau, die sticken und gar nicht übel fi cken kann. Manchmal muss er aber trotzdem<br />
hindreschen auf ihr noch jung aussehendes Gesicht. Er hält sie sich gerne bei der Stange, damit<br />
ihr nicht einfi ele eines anderen Stängel zu begehren. Das Kind schaut lieb aus in seinen gestrickten<br />
Wollstutzen und der kleinen Trachtenlederhose. Die Eintracht der Familie mit der Kleintracht des Kindes<br />
macht sich gut im Vierfarbdruck für das Wahlplakat des Sägewerkbesitzers und Bürgermeiste<br />
rsesselanwerbers. Für rechts und Ordnung will er sorgen und sich um die kleinen, betriebsamen<br />
Leute kümmern und nicht um die Kümmeltürken, die uns das Holz wurmig machen und mit ihren<br />
unmäßigen Kindermassen die Schulen verseuchen. Mit der Wirtschaft muss es bergauf gehen,<br />
sagt er beim Interview vom Lokalfernsehsender, vor dem stählernen Gipfelkreuz, das zeigt, dass die<br />
Alpen uns heilig sind.<br />
Seine gesegneten Mitarbeiter wählen ihn nicht, denn sie fürchten ihn, auch wenn er ihnen<br />
das Brot in ihr Körberl legt; nicht einmal die Sekretärin, der er des Öfteren die schönen Fladen<br />
aus den Körbchen holen darf und ein dickeres Gehalt zahlt, solange sie nur nicht zunimmt,<br />
wird ihn wählen. Er vernascht gern hin und wieder eine gute Jause, während die brave Frau<br />
im Holzblockhaus einen Haushalt führt, der ihr das Ein-und-Alles sein muss. Spaß muss sein;<br />
doch zuerst kommt die Arbeit und so haben die Mitarbeiter nicht viel zu lachen und schon<br />
segenwerksbesitzer<br />
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im jüngsten Alter die schwersten Gehörschäden von der brüllenden Säge, die aus brutalen<br />
Baumstämmen zahme <strong>Bretter</strong> und Latten schneidet. Der Wald ist gefährlich, mit seinen<br />
Tieren und dunklen Stellen, an denen der Chef sich gerne versteckt. Gern geht er hinein in den<br />
Wald mit dem Sohn und zeigt ihm seinen Zapfen, den der Kleine streicheln darf. Ein zahmes Tier<br />
des Waldes, man darf es nur keinem weitererzählen, sonst beißt es dich tot. Der Samen des Zapfens<br />
tropft still auf die Erde, der Sägewerkchef braucht schließlich mehr Bäume.<br />
Die Mutter weiß es längst, welche Tiere der Sohn im Wald streicheln darf, doch die Herz-Schläge<br />
des Mannes lassen sie schweigen wie das Gold in ihrem Schmuckkästchen. Der Mann stopft ihr das<br />
Maul mit Juwelen und zum Dank dafür darf er ihr seinen Schwanz nachstopfen. So ein Hochzeitstag<br />
tut gut; und das Kind bleibt verschont. Sich selber schont der heilige Werkschef nicht, er arbeitet<br />
hart und ist der Partei ein treues Mitglied, von dem man viel erwarten kann. Man stärkt ihm den<br />
Rücken mit Stücken aus Geld und Geschäften, die man ihm bereitwillig zuspielt. Der Trachtenverein<br />
lässt sich ein Holzblockhaus bauen und hängt dort ein Bild von ihrem Götzen auf: Bürgermeister soll<br />
er werden; unser Obmann ist er schon längst und wir vertrauen ihm blind.<br />
Blind muss man sein, um ihm zu vertrauen. Brutal wie seine Säge zeigt er rücksichtslos seinen<br />
Mitbewerbern die messerscharfen Zähne. Überall mischt er mit, in der Wirtschaft wie beim Kartenspiel<br />
im Wirtshaus. Locker fallen ihm die Sprüche, wie warmes Sägemehl, zwischen den alpinweißen<br />
Zähnen hervor und überzeugen seine Anhänger (er hat einen ganzen Fuhrpark davon). Dass er<br />
seinem Kind im Wald einen Zapfenstreich spielt, darüber will niemand etwas wissen, wenn der<br />
Sägewerkbesitzer eine Stammtischrunde schmeißt. Die Menschen um ihn haben nur eine Stimme,<br />
der er kein Gehör schenkt, er will sie nur zählen – die Wahl steht schon vor der Tür. Das Kind hat<br />
noch keine Stimme, es dürfte sie auch nicht benutzen; zuviel könnte es sagen. Und wieder schlägt<br />
er im hirschgeweihgesäumten Vorhaus dem Kind auf die Schläfe und bringt es dazu noch mehr zu<br />
stottern und öfter ins Bett zu pinkeln, damit es die Schläge verdient. Schlagen Sie zu, steht es in<br />
seinen Werbeprospekten geschrieben und so kann man sich an ihm und seinem Holzblockhaus ein<br />
Beispiel nehmen.<br />
Schon steht er vor der Tür, der heilige Wahlsonntag unseres Herrn. Der Kirchengang ist eine<br />
schöne Pfl icht. Der Sägewerkchef hört schon die Stimme des heiligen Jesus auf dem Wahlzettel<br />
sein Kreuzerl aufstellen, auf dem der Sohn des Volkes heute nur für dessen Partei sterben soll. Der<br />
neue Pfarrer fi ckt keine Kinder und so ist der Sohn als Ministrant dabei, denn die besten Seiten<br />
des Kindes hebt der Vater sich gerne für das eigene fl eischige Wohl auf. Wohlauf geht’s nach der<br />
Predigt vom hochheiligen Messezentrum ins Wirtshaus, dem Wahlbüro der Marktgemeinde, wo die<br />
Blitzlichter der örtlichen Berichterstattung den Spitzenkandidaten erwarten. Dort steckt er sein Ding<br />
in den Schlitz und die Zähne blitzen den Linsen entgegen – das Kind wird auf den Arm genommen.<br />
Der Familiensonntagsspaziergang führt in die Wahlzentrale im neu gebauten Trachtenvereinshaus.<br />
Gespannt steht die Sägewerksfamilie vor dem Bildschirm. Der Kandidat trägt vor Aufregung eine<br />
raue Latte in der Hose, die das Kind, zur Feier des Tages, heute noch hobeln wird dürfen.<br />
Im Sägewerk brennt’s! tönen die Rufe – und alles rennt. Angesengt steht es da, das heilige<br />
Segenwerk, in seiner eigenen Asche versinkend. Verschwindende, lodernde Reste erblickt er noch,<br />
der Sägewerkchef in lodener Weste. In Flammen steht es, sein Lebenswerk, in die er sich stürzt, um<br />
zu retten, was schon lange verloren ist (er hat sich noch nie zurückhalten können). Die Frau hält das<br />
Kind an seiner kurz angebundenen Leine und ihnen beiden die Augen zu, im Augenblick da er sich<br />
in sein Glutnest wirft. Da brennt es, sein Leben, und er legt sich selber nach. Wo sind unser heiligster<br />
Gott und seine hoch gepriesenen Mitarbeiter? – mit der freiwilligen Feuerwehr beim Kirchenwirt? Mit<br />
Blaulicht kommen sie angefahren – Weihwasser marsch! – es heult die Sirene und Irene, die Frau,<br />
und ihr Kind heulen mit ihr Tränen, um das Feuer zu löschen; doch der neueste Bürgermeister der<br />
schönen Marktgemeinde steigt nicht mehr aus seiner Asche.<br />
Die Segenwerkskapelle spielt ihn schön, den Trauermarsch, als man den seligen Chef zu Grabe<br />
trägt. Die Mitarbeiter tragen Trauer, doch vielmehr Furcht vor der Arbeitslosigkeit in ihren Köpfen<br />
und Herzen. Das Kind und die Mutter weinen Rotz und Wasser – sie sind jetzt erlöst. So lässt<br />
man ihn hinab, damit er hinauffahren möge in seinen angebeteten Himmel, im maßgetischlerten<br />
Eichensarg. Darin liegt er, weich gebettet, umhüllt von den <strong>Bretter</strong>n seines Lebens-Werkes.<br />
Dem Kind gefällt die Blasmusik; dass es bald nie wieder glücklich werden wird können, weiß es<br />
noch nicht und unschuldig befühlt es in seiner Rocktasche einen einsamen Zapfen.<br />
segenwerksbesitzer<br />
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Nicholas Unger<br />
geboren 1981 in Wien, wächst mit Unterbrechungen am Wiener Stadtrand auf. Nach seiner<br />
Matura 1999 in Wien folgt ein munteres Wechseln der Studienrichtungen (Anglistik, Politik-<br />
und Theaterwissenschaften), bevor ihn seine Leidenschaft für das Kino an die Filmschule Wien<br />
verschlägt, wo er von 2001 bis 2003 eine Ausbildung zum „Filmschaffenden” absolviert. Das dort<br />
erworbene dramaturgische Basiswissen versucht er seither in kurzen wie längeren Geschichten<br />
sowie Drehbüchern zu trainieren. 2004 gewinnt eine Kurzgeschichte über eine jenseitige Begegnung<br />
zwischen Gott und Peter Ustinov den „Preis für muttersprachliche Autoren” des Vereins Exil. Seit<br />
dem 1. Juni 2005 ist er als Zivildiener beschäftigt und hofft danach irgendwann einen bescheidenen<br />
Platz in einer Ecke der Literaturindustrie fi nden zu können.<br />
bretter<br />
„Fürwahr, zuerst entstand das Chaos, aber danach die Erde ...“<br />
Hesiod, Theogonie 116<br />
Eine Woche vor der Premiere stellten sich diese Schauspieler immer noch wie grunzende Primaten<br />
an, die gerade vom Baum gefallen waren und nun ein Pas de deux tanzen sollten.<br />
Krampfhaft, mit aller Mühe, die aus einer Menschenseele gewrungen werden kann, versuchten<br />
sie ihre Emotionen unter Kontrolle zu bringen, aber insgesamt schienen sie zu überrascht zu sein,<br />
überhaupt welche in sich vorzufi nden.<br />
„Dabei sollte doch gerade einen Künstler so etwas nicht aus dem Konzept werfen, oder?“<br />
Finn hörte mich nicht, weil er die Dekoration für die Schluss-Szene, die an einem gewaltigen Strang<br />
aus Drahtseilen hing, wieder zu uns nach oben zog. Seine Stirn und seine Wangen hatten inzwischen<br />
die Farbe von Tomaten angenommen, während sein Hals zu zerreißen und sein Bizeps gleich durch<br />
seinen Overall zu platzen schien. Ich dankte Gott dafür, dass ich derjenige von uns beiden war, der<br />
die Hirnarbeit zu verrichten hatte, bis er mir mit einem verzweifelten Nicken deutete, doch bitte<br />
endlich das Tau zu befestigen.<br />
Es war die Arbeit, die man einem Zehnjährigen zumuten sollte: um den Strang zu sichern, klemmte<br />
man ihn in eine Zange am Arm eines Flaschenzugs. Per Knopfdruck öffnete und verschloss sich die<br />
Zange und die Dekoration hing entweder acht Meter über der restlichen Kulisse oder schnellte bis<br />
zu einem genau berechneten Punkt aus dem Himmel hinunter.<br />
Als die letzte Probe begann, lehnten wir zusammen über den Kostümierten und schnippten unsere<br />
Glut auf ihre Köpfe hinab. Ich tat mir bereits schwer, mich des Inhalts des Stückes zu entsinnen,<br />
wusste aber, dass es die Presse für eine Parabel zur aktuellen neoliberalen Wirtschaftswelt zu halten<br />
hatte.<br />
Das ganze Jahr hatte ich Finn noch nicht so schwitzen gesehen, dabei arbeiteten wir zum ersten Mal<br />
mit diesem neuartigen Supergerüst, das tatsächlich alle Stücke spielte.<br />
„Was hältst du von dem Ding“, fragte er, während uns eine süßlich duftende Wolke umgab und<br />
ich darüber nachdachte, wieder erfolgreich zwei Millionen Spermien in mir abgetötet zu haben.<br />
Ich beäugte die Konstruktion so fasziniert, als würde eine Sternschnuppe zwei Meter über meinem<br />
Kopf vorbeiziehen, zog an unserem Glimmstängel und meinte dann: „Wenigstens ist man hier oben<br />
immer noch ungestört.“<br />
Ich hatte mich wie immer aus den Diskussionen herausgehalten, während die restliche Belegschaft<br />
auf die Barrikaden gegangen war. Ich wusste nicht, was es bringen sollte, im Takt der Revolution<br />
zu schlagen, schließlich brauchten wir alle, inklusive der Hauptrollen und der Regie, das Geld<br />
und waren daher dem Willen des neuen Staatstheaterdirektors ausgeliefert, den wir von unserem<br />
Arbeitsplatz aus im Publikumsraum gähnen sehen konnten. Während Finn und die anderen Neuen<br />
sich über seine Ungerechtigkeiten erregt hatten, als wäre auf der Bühne mit echten Patronen ein<br />
Menschenopfer gebracht worden, wunderte mich überhaupt nichts mehr. Wer acht Jahre in diesem<br />
Beruf war, wusste nur zu gut, dass das wahre Lustspiel hinter den Kulissen stattfand.<br />
Dieses riesige „Ding“, das wir gerade befestigt hatten, um es am Ende der folgenden Probe noch einmal<br />
hinunterzulassen, sah aus wie das Beil einer felsernen Guillotine. Die ganze Idee dazu war ein<br />
so gehirnverwichster Action-Gag, dass erst Finn mir erklären musste, dass es das versteinerte Herz<br />
bretter<br />
42
des im selben Akt sterbenden Protagonisten darstelle.<br />
„Keine Sau interessiert sich heute mehr für den Konfl ikt, der einen Menschen ins Äußerste treibt“,<br />
erregte ich mich fl üsternd, während man sich unter uns die Textzeilen an den Kopf schmiss und mit<br />
Lichteffekten den Ehekrieg irgendeines Königspaares inszenierte.<br />
„Was zählt ist nur, wie am Ende die Planke unter den Füßen des Helden kracht und wie weit dann<br />
sein Blut aus dem Maul eines Papp-Haifi sches ins Publikum spritzt.“<br />
Er sagte nichts dazu. Wenn ich bekifft war, lamentierte ich immer darüber, dass dies die manipulativste<br />
Welt von allen geworden war. Außerdem wusste er, dass ich wieder schweigen würde, sobald Ate<br />
ihren Auftritt hatte.<br />
Im selben Moment erstach König Ludwig eine spanische Infantin, weil er in Ruhe mit seiner<br />
jüngeren Mätresse bumsen wollte. Wenn man wegen der Inszenierung einen Flop erwarten durfte,<br />
war gegen den Text absolut nichts einzuwenden. Offenbar war es eines jener modernen Stücke, an<br />
dem jemand zehn Jahre lang herumgeschrieben hatte, weil niemand es hatte spielen wollen. Soweit<br />
ich mich erinnerte, hatte der Autor sein Herzblut gegeben, plus alles, was er als Dramatiker gelernt<br />
hatte. Das war schon mehr als man von den meisten Kinofi lmen sagen konnte.<br />
Ate spielte die Titelrolle der Marquise von Pompadour, auf die angeblich der Ausspruch Nach mir die<br />
Sintfl ut! zurückzuführen ist, nach welchem auch das Stück benannt war. Sie tauchte aus der Hölle,<br />
das heißt dem neumodischen Bühnenboden, auf und schwebte in ihrem luftigen Kleid, das von der<br />
Position des Direktors aus mit Sicherheit durchsichtig war, über die neu verlegten <strong>Bretter</strong>, die die<br />
sprichwörtliche Welt bedeuteten. Ich selbst stand in den Watte-Wolken über ihr und beobachtete<br />
sie so gebannt, wie ein Attentäter sein Opfer verfolgt. In der fi ktiven Realität unter mir riss der nach<br />
Liebe lechzende Tyrannen-König an dem Verschluss ihres Mieders und ich griff nach dem Auslöser<br />
des Flaschenzugs, um ihn mit seinem eigenen, zu Stein gefrorenen Herzen zu erschlagen.<br />
„Die müssen die Zuseher wirklich für einen Haufen Primitive halten“, fl üsterte Finn im selben<br />
Moment. „Kein Mensch versteht das mit dem Felsbrocken, wenn er nicht schon vorher etabliert<br />
wurde, oder?“<br />
Vor Schreck fi el mir der glühende Joint aus der Hand. Ich starrte ihn an und hatte mit einem Schlag<br />
tausend Fragen vor meiner banalen Stirn: Hatte mich Ates Erscheinung in den vergangenen Wochen<br />
tatsächlich so verwirrt, dass ich diesen Fehler übersehen hatte? War ich fähig, ähnliches in meinen<br />
eigenen Stücken außer Acht zu lassen? War das der Grund, warum nicht mal mehr meine eigene<br />
Frau meine Werke lesen wollte?<br />
Plötzlich tönte germanischer Befehlston von unten herauf: „Was is’n da oben los?“<br />
Der Direktor stand neben seiner entblößten Hauptdarstellerin auf der Bühne, die Hände in die<br />
Hüften gestützt. Ate war geistesgegenwärtig auf unseren brennenden Freund getreten und blickte<br />
vorwurfsvoll nach oben, ohne sich die Brüste zu bedecken.<br />
Ich tat, wofür ich eigentlich bezahlt wurde, allerdings wie üblich eine Minute nachdem mein Stichwort<br />
gefallen war: Ich drückte den Knopf der Fernbedienung, das Drahtseil rutschte fast lautlos<br />
durch die Zange, das Beil schnellte nach unten, blieb aber nach vier von acht Metern frei schwebend<br />
stecken.<br />
Ich beugte mich wieder über das Geländer, Ate sah immer noch zu mir nach oben, genauso<br />
überrascht, wie sie das am Ende des Stückes tun sollte, das ich gerade für sie schrieb.<br />
Erst Finn erlöste uns, indem er wieder den Dummen spielte.<br />
„Es klemmt!“, schrie er dem Direktor entgegen und hielt mit einem Arm den Werkzeugkasten über<br />
die Brüstung, so als wäre es eine Streichholzschachtel. Das Gerüst war so sicher, dass ich als<br />
Verantwortlicher niemals ins Gefängnis gegangen wäre, hätte es jemals jemanden erwischt.<br />
Als ich am Ende der Woche von der Generalprobe nach Hause kam, stand der Party-Service vor<br />
unserer Tür und Hera nahm mir grußlos mein letztes Bargeld ab, um den Anhänger für den restlichen<br />
Abend zu mieten. Ich war den ganzen Tag schlecht gelaunt gewesen, weil es immer kälter wurde<br />
und ich im Glauben aus dem Haus gegangen war, dass mich bei meiner Wiederkehr ein erneuter<br />
Zeugungsversuch erwarten würde. Vorsorglich war ich nach dem letzen Vorhang sogar in einen<br />
Strip-Schuppen gegangen. Nicht, dass ich für gewöhnlich Mühe hatte, einen hochzukriegen, bei<br />
Hera schon gar nicht, aber schaden konnte es nie.<br />
Als ich dann mein von selbst lärmendes Heim betrat und feststellte, dass ich der einzige<br />
Überraschungsgast war, wurde mir bewusst, dass auch zehn Ehejahre nichts daran ändern, dass<br />
man überhaupt nichts von seiner Frau weiß. Sie war das größte Rätsel für mich. Schon seit mehreren<br />
Monaten taten wir es nur mehr an ihren fruchtbarsten Tagen, so, als ob wir die beweihräucherten<br />
Anweisungen des Klerus einzuhalten hätten, um allem Irdischen einen Gefallen zu tun. Mir persönlich<br />
bretter<br />
43
war es um die Welt mittlerweile scheißegal. Ich war nur sicher, dass ein Kind das Letzte war, was<br />
diese Beziehung brauchte.<br />
Keiner der Fritzen aus ihrem Büro machte Anstalten, mir zu helfen, und ich ließ mir Zeit, ihre<br />
durstigen Kehlen zu versorgen und versteckte mich stattdessen im einzigen warmen Ort außerhalb<br />
des Hauses – jenem Anhänger – um noch einmal alleine zu sein, bevor ich mich in den fremden<br />
Gesichtern zu baden hatte. Zu meiner Überraschung trafen da gerade die ersten Bühnenarbeiter<br />
ein, wenig später erschienen die Souffl eusen und dann sah ich schließlich die ersten Schauspieler,<br />
die sich an einem solchen Abend eigentlich nervös zu Hause verkrochen, um sich dem eigenen<br />
Mantra der schwersten Textzeilen auszusetzen.<br />
Ich telefonierte mit Finn, der sich dafür entschuldigte, nicht mit mir über die Feier gesprochen<br />
zu haben, jedenfalls war die ganze Mannschaft informiert und Hera hatte ihn persönlich vor zwei<br />
Wochen eingeladen. Ich hatte keinen Grund ihm irgendetwas übel zu nehmen, tatsächlich hatte<br />
ich nie mit ihm über meine Ehe gesprochen, aber dennoch musste er mir zur Entschädigung etwas<br />
Gras besorgen gehen, damit ich meine Art der Rache an meiner Frau üben konnte: Sollte das Thema<br />
Nachwuchs doch noch auf ihrem heutigen Tagesplan stehen, wollte ich meinen Schwimmern wenigstens<br />
den Orientierungssinn geraubt haben.<br />
Als ich mit zwei weiteren Sektkisten auf die Straße trat, parkte Ates roter Mini schon auf dem Platz<br />
in der Auffahrt, der immer für sie reserviert war. Sie stieg gerade aus und rieb sich erstmal ihre<br />
schlanken Oberarme. Als die ersten Blätter gefallen waren, hatte ich ihr versprochen, mich um<br />
die Heizung ihres Wagens zu kümmern, aber immer, wenn ich sie sah, verlor ich die Lust, etwas<br />
Sinnvolles zu tun. Vor lauter Verwirrung schaffte ich es nicht einmal zu schreiben. Ich rang mir mit<br />
Mühe eine Seite ab, von einem ganzen Akt ganz zu schweigen.<br />
Kaum hatte ich ihre langen, sanften Strähnen vorsichtig wie Kristalle von Eisblumen zur Seite<br />
geschoben und sie auf ihre pfi rsichrote Wange geküsst, stieg der Rest des pfauenfedernen Ensembles<br />
neben uns in die Bremsen. Typisch Theaterleute, hatten sie nur ihr eigenes Geschnatter<br />
mitgebracht.<br />
„Sagt mal, was macht ihr denn hier?“ fragte ich verdutzt. „Wenn die Maske und das Licht an einem<br />
solchen Abend ausgehen, lasse ich mir das einreden, aber die Hauptrollen?“<br />
Zur Antwort marschierten sie an mir vorbei, so als wären sie Teenager und ich ihr lästiger Vater, der<br />
die ganze Nacht in seinem Sessel auf ihre Rückkehr gewartet hatte. Keiner der Schwäne machte<br />
Anstalten, mir eine der Kisten abzunehmen, dabei war die Probe gut verlaufen und sogar mein Kran<br />
hatte diesmal gehalten, was er versprach.<br />
„Sie reden nicht mehr mit dir. Sie sagen, du wärst ein Streikbrecher.“ Ates Worte waren als feuchtkalte<br />
Wölkchen in den Abend gestoben.<br />
„Die Arbeitswelt heutzutage ist ein Ozeandampfer, von dem man nicht einfach hinunter springen<br />
kann“, antwortete ich beiläufi g. Dann sah ich ihr in die Augen und fügte betont charmant hinzu:<br />
„Mein Bild von einer Ehe trifft das übrigens auch.“<br />
Sie gab keine Antwort und deshalb war ich, glaube ich, neuerdings in sie verliebt. Ich staunte, wie<br />
kurvig sie war, trotz des dicken Norwegerpullovers und der Winterjacke, die sie an jenem Abend trug.<br />
Auch wenn der Rest der Familie sie gekühlt behandelte, kam sie immer noch jeden Sonntag zum<br />
Essen vorbei. Was auch immer sie verbrach, sie fand nichts dabei, sie war so unschuldig wie der<br />
erste Schnee, der demnächst fallen müsste. Ich wünschte mir, ähnlich unschlagbar zu sein, aber<br />
stattdessen taumelte ich mit Dreißig zwischen den Tauen wie ein zerschmettertes Fliegengewicht.<br />
Früher hatte ich nichts lieber getan, als mich um das geistige Destillat der unmittelbaren Menschen<br />
um mich zu kümmern. Heute schienen jene, von denen mein Schicksal abhing, ihre Seelen verloren<br />
zu haben.<br />
Gerade als ich die Sektkisten auf den gefrorenen Rasen werfen, ihr Handgelenk packen und sie in<br />
ein Hotelzimmer fahren wollte, fragte sie frostig: „Hast du Tomassi schon gesehen?“<br />
Verdutzt folgte ich ihrem Blick zum Küchenfenster in meinem Rücken und erkannte, dass es<br />
eine Demonstration gehobener Klasse war: Unser Direktor stand höchstselbst mit dem letzten<br />
halbvollen Sektglas vor meiner Frau und belächelte sie wie einen verzauberten Brillianten. Im<br />
nächsten Augenblick würden die Schauspieler die Küche betreten, um sich trotz seiner Anwesenheit<br />
und der Premiere am nächsten Tag in die Besinnungslosigkeit zu saufen. Hera aber, die mir aus<br />
Langeweile nach jeder Liebesnacht Kartentricks vorführte, zielte mit einem Blick, so tödlich wie ein<br />
Pfeil, genau zwischen meine Betrüger-Augen.<br />
bretter<br />
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Schon lange beschlich mich dieses Gefühl, dass eine unsichtbare Gottheit sich in meinem Haus<br />
breitgemacht hatte. Aber andererseits hieß es, jeder Schriftsteller fi nge irgendwann an, an der<br />
Realität zu zweifeln.<br />
Hera schlich auf ihre geheimnisvoll manipulative Weise durch die Zimmer und regelte den Ablauf<br />
der Feierlichkeiten in ihrer typisch korrekten Strebsamkeit. Als ich die Sektkisten einkühlte, war ich<br />
wütend genug und fuhr sie stürmisch an: „Wie konntest du nur?“<br />
„Was denn?“ meinte sie in einer gelangweilten Reposte.<br />
„So eine Party geben!“, giftete ich.<br />
Wenn ich meiner Freiheit beraubt war, ging mir die Wut überhaupt nicht mehr aus. Unten mixten<br />
sie meine Fruchtsäfte mit der von mir bezahlten Puffbrause und wurden jedem Klischee einer<br />
orgiastischen Gesellschaft gerecht.<br />
„Ok, es ist das erste Mal, aber ich verspreche, ich mache eine Tradition daraus“, erwiderte sie. Wie<br />
so oft, war das genau, was ich nicht hören wollte. Und wie noch öfter, schaffte sie es sogleich, dass<br />
es mir noch schlechter ging: „Ich dachte, ich lade deinen neuen Direktor ein, damit du ihm mal von<br />
deinem neuen Stück erzählen kannst.“<br />
Nach diesem Satz war ich eine Stunde alleine auf dem Rand der Badewanne sitzen geblieben und hatte<br />
eine ganze Flasche geleert. Mir war, als hätte ich mich auf meiner eigenen Beerdigung zu<br />
besaufen, weil das irgendwann mein letzter Wunsch gewesen war.<br />
Nachdem wir aufgegeben hatten, einen Platz zu suchen, an dem wir uns endlich ungestört küssen<br />
könnten, hatte Ate dann ihren Stecher, diesen Horst, getroffen und damit war der Abend praktisch<br />
gelaufen, weil er sie ständig vor sich herschob, um sich beim Direktor einzuschleimen. Trotz seiner<br />
sichtbaren Inkompetenz war er mittlerweile für den Spielplan verantwortlich und nannte den Direktor<br />
„Rupert“ anstatt „Herr Tomassi“, wie jeder andere es tat. Ob Nach mir die Sintfl ut! ein Erfolg werden<br />
würde oder nicht, war ihm dabei so egal wie mir die aktuelle Scheidungsrate. Solange er nach der<br />
letzten Vorstellung ein Parteibuch sein eigen nennen konnte, war er so zufrieden wie ein Astronaut,<br />
der auf die dunkle Seite des Mondes fährt.<br />
Hera hatte immer von mir verlangt, mir auch so ein Buch anzuschaffen. Dazu musste man wissen:<br />
Manche trauten ihr zu, Las Vegas gegründet zu haben oder Mitglied bei Scientology zu sein.<br />
Sie hatte einen dieser englischen Business-Titel, an den man sich fünf Minuten, nachdem man ihn<br />
gehört hat, nicht mehr erinnern kann. Ich hatte nie den Drang gehabt herauszufi nden, worum es<br />
in ihrem Beruf eigentlich ging. Ich kannte zwar das Büro, in dem sie arbeitete, einen Großteil ihrer<br />
Kollegen sowie diesen jungen Pförtner, der ihr wie ein geiler Automat immer auf die Backen sah,<br />
wenn sie morgens und abends durch die Drehtür schlüpfte. Aber immer, wenn sie mir von ihrem<br />
Job erzählte, kam ich mir wie ein Kleinkind vor. Ich fi ng einzelne Wörter auf und versuchte etwas<br />
Konkretes daraus zu formen, aber ich konnte mir einfach nicht erklären, wofür ihre Tätigkeit gut<br />
sein sollte. Wenn man mich fragte, sagte ich immer, es hatte wie so vieles irgendwie mit Controlling<br />
zu tun.<br />
Früher war sie ein lebenslustiger Geist gewesen, der die Nacht zum Tag machen konnte und mich<br />
zwischen den Polstern zu Höchstleistungen animierte. Sie war die beste Zuhörerin und liebte es,<br />
wenn ich ihr vor dem Einschlafen noch eine Gesichte erzählte. Als ich am Theater anfi ng, war sie<br />
bester Hoffnungen, dass sie bald in einer Premiere meines eigenen Stückes sitzen würde, aber je<br />
länger dieser Erfolg ausblieb, desto weiter entfernten wir uns voneinander. Irgendwann, so fi el mir<br />
auf, hörte sie mir überhaupt nicht mehr zu.<br />
An dem Tag, an dem ich ein Manuskript, das mir sechs Jahre lang aus dem Ruder gelaufen war, in<br />
tausend Fetzen riss, meinte sie, sie werde sich eine „richtige“ Arbeit suchen. Daraufhin absolvierte<br />
sie verschiedene Praktika, arbeitete unter anderem ein paar Mal im Kulturministerium, später bei<br />
einem alternativen Radiosender, für den sie Literaturwettbewerbe veranstaltete, um letztlich CD-<br />
Compilations, bedruckte Kaffeetassen und trendy Nagelfeilen verkaufen zu können.<br />
Schließlich nahm sie eine Stelle in dieser staatsnahen Berateragentur an, die in den Krone-<br />
Leserbriefen in Verruf geraten war, mit den Freimaurern gemeinsame Sache zu machen. Ab diesem<br />
Moment wähnte sie sich in Sicherheit und stellte mir urplötzlich ihre verschollene Schwester vor, die<br />
auch zum Theater wollte und vielleicht „einige meiner Träume teilen konnte“. Heute staunte ich, wie<br />
sehr sie damit das Schicksal beeinfl usst hatte. Seit damals war ich enttäuscht, dass sie nicht mehr<br />
an meine Fähigkeit zu glauben schien, den Unterhalt für unsere Familie zu erschreiben.<br />
Heute verdiente sie drei Mal soviel wie ich und dominierte jedes Gespräch wie in einer ihrer<br />
geschäftlichen Unterhaltungen. Gestern, bevor sie nochmals das Haus verlassen hatte, hatte sie<br />
plötzlich die Kellertür aufgerissen, mich angeschnauft und in ihrem geliebten, knappen Befehlston<br />
bretter<br />
45
formuliert: „Hast du wieder deine Kreditkarte eingesteckt?“<br />
Ich hatte müde von meiner qualvoll verzogenen Schreibmaschine aufgesehen: „Ja!?“<br />
Und sie hatte erwidert: „Soll ich mir dann hier draußen den Arsch abfrieren, oder was?“<br />
Gegen Mitternacht, als der Sekt und die Brötchen langsam zu Ende gingen, folgte ich Ate in jeden<br />
Winkel des Hauses, das wie ein buntes Loch betrunkene Kollegen und schlechte Musik ausspie.<br />
Mich interessierte die Laune der Gäste überhaupt nicht mehr, auch wenn ich ab und an Lust bekam,<br />
den Partyschreck zu geben.<br />
In der Tat hatte ich andere Träume umzusetzen: Jede Nacht erschien mir mittlerweile dieselbe<br />
Szene, in der Ate als Stewardess verkleidet war. Wir bumsten auf einer Toilette, wodurch wir unser<br />
Flugzeug verpassten, welches dann vor unseren Augen an einem Felsen zerbarst.<br />
Vierundzwanzig Stunden zuvor wäre ich an diesem Höhepunkt beinahe von Hera erwischt worden:<br />
Ich wachte schweißgebadet auf und sie saß mit einem verregneten Trenchcoat neben mir auf dem<br />
Bett und hauchte dämonische Schwaden in die Dunkelheit.<br />
„Wo kommst du her?“, fragte ich, nachdem der erste Schreck sich gelegt hatte. „Deine Frisur sieht<br />
so aus, als hättest du dir eine Strumpfhose über den Kopf gezogen.“ Ich hatte keine Ahnung, warum<br />
ich das sagte, aber früher hätten wir beide darüber herzlich gelacht.<br />
„Ich hab ein paar Brandbomben gelegt“, meinte sie gleichgültig und schnippte ein wenig Asche auf<br />
meine Seite des Bettes, wo schon meine ausgeborgte Kreditkarte lag. Bevor ich Gelegenheit hatte,<br />
eine Frage zu stellen, präzisierte sie: „Wegen einem Klienten.“<br />
Und damit hatte sie das Zauberwort gesagt, um unsere Unterhaltung zu beenden.<br />
Von ihrer Kundschaft verstand ich soviel wie von der Traumforschung. In ihrem Büro gab man sich<br />
jedenfalls gerade die Klinke in die Hand: Vom Kulturstaatssekretär über den Vizebürgermeister bis<br />
zur neunzehnjährigen Sänger-Göre inklusive Manager-Tross wollte alle Welt ihren Rat. Nur ich schien<br />
nicht bereit, auf sie zu hören und im Zungenkampf Horst vom Anus des Direktors zu vertreiben.<br />
„Hier geht es auch nicht“, meinte Ate, als sie aus dem Keller kam. Zur Entschädigung begann sie<br />
im Halbdunkel die Innenseite meiner Schenkel zu streicheln, was dem Zündeln bei offenem Gashahn<br />
gleichkam. Natürlich bog im nächsten Moment meine Frau um die Ecke und sah uns beide<br />
an, als würden wir hinter ihrem Rücken das Familiensilber verhökern.<br />
„Was geht denn hier vor?“, fragte sie spitz. Die Marquise stotterte und schluckte, doch ich log gekonnt:<br />
„Mir reicht es! Ich will jetzt wissen, wer sich in meinem Refugium breitgemacht hat!“<br />
Finn saß auf dem Fußboden vor dem Fernseher und machte einen gezähmten Eindruck. Er war<br />
von einem halben Dutzend qualmender Mädchen umringt, die meisten waren die Dienstmägde am<br />
Königshof Ludwigs XV. Wäre Hera nicht dabei gewesen, hätte ich ihm stolz auf die Schulter geklopft,<br />
schließlich heftete er sich bei solchen Partys immer an mich, weil ich angeblich mehr Erfahrung mit<br />
Frauen hatte. Dieser unwissende Tropf lernte erst, was er mir voraus hatte, als ich, eingerahmt von<br />
meinen beiden Nymphen, eintrat.<br />
„Entschuldige“, meinte er plump und funkelte mich mit seinen roten Augen an. „Hast du gewusst,<br />
dass Tomassi da oben ist? Ich bin lieber gleich hier unten geblieben.“<br />
Bevor Hera sich empören konnte, nahm ich ihm wie bei einer Polizeikontrolle das restliche Gras<br />
aus der Hand und schimpfte ihn, ob er denn nicht wisse, „dass das nicht sehr förderlich für seine<br />
Fortpfl anzung war?“. Dann schickte ich ihn, noch mehr Sektkisten aus dem Anhänger auf der Straße<br />
zu holen. Er erhob sich glücklich seufzend, wie ein Hund, der zufrieden war, dass sein Herrchen ihn<br />
noch unter Kontrolle hatte. Ich wollte ihm später seinen Spaß gerne gönnen, aber jetzt hatte ich bei<br />
weitem andere Sorgen.<br />
Wie die Schlange um die gefesselten Kaninchen stolzierte Hera durch die hippen Gören, die sich<br />
auf meinem alten Kellersofa breitgemacht hatten. Sie waren wie Finn, Ate und Horst in ihren<br />
Zwanzigern, also etwa zehn Jahre jünger als Hera und ich. Sie schienen eine Generation zu formen,<br />
der vierzig Programme und die letzte gesicherte Frühpension als Lebensziel reichte. Plötzlich fühlte<br />
ich mich doch auf eine gewisse sentimentale Weise mit meiner Frau verbunden. Das war mindestens<br />
so überraschend wie ein Finalspiel nach 0:3 Rückstand noch ins Elfmeterschießen zu retten.<br />
„Noch nie war der Titel eines Stückes treffender für die Besetzung gewesen!“, fl üsterte sie mir zu, als<br />
wir uns setzten, und ich konnte mir ein ernsthaftes Lächeln nicht verkneifen.<br />
Ate hörte es und schielte genervt zur Decke, bevor sie auf den Pappkisten, in denen ich meine<br />
Manuskripte stapelte, Platz nahm, um sich ebenfalls eine Tüte zusammenzukleben.<br />
Ich merkte schon, meiner Frau begann diese ganze Sache gehörig gegen den Strich zu gehen.<br />
„Warum stört es euch, dass ich euren Chef eingeladen habe, er ist doch ein netter Mann?“<br />
bretter<br />
46
Da mischten sich böse wie erstaunte Blicke aus dem enttäuschten Publikum und ich ortete gleich,<br />
dass ich zwischen sämtliche Fronten gleichzeitig geraten war.<br />
Entgegen des ursprünglichen Plans war Rupert Tomassi durch das Erscheinen des Ensembles<br />
nicht aus der Fassung zu bringen. Im Gegenteil, er ging zum Gegenangriff über, schlug ungewohnt<br />
amikale Töne an und hatte mittlerweile jedem außer mir auf die Schulter geklopft. Während Ate<br />
weiteren Rauch in meinem Zimmer verteilte, sich ihres Pullovers entledigte und eine enge weiße<br />
Bluse präsentierte, unter der sie berechtigterweise nichts zu tragen schien, wurden Heras Augen mit<br />
jedem Atemzug von der Missgunst zerfressen. Noch dazu hatte sie sich auf meinen Schoß gesetzt,<br />
so als wäre das wieder die natürlichste Sache der Welt. Nun wünschte ich doch, oben würde ein<br />
Feuer ausbrechen oder einer der Halbtoten würde sich aus dem Fenster stürzen, damit sie von<br />
unserem Sitz weggelockt wurde, aber keiner meiner Kollegen schien mir heute einen Gefallen tun<br />
zu wollen.<br />
„Es ist der reinste Psychoterror“, fi ng eine Gepeinigte, die die Gräfi n Du Barry spielte, an, ihr Leid<br />
zu klagen.<br />
„Es ist ja kein Wunder, so wie wir in die Schulden geführt worden sind“, gab die Herzogin von<br />
Châteauroux zu bedenken. Auf Heras Zwischenfrage versicherte ich, dass ich mich nicht in ihre<br />
Revolution eingemischt hatte. In Wahrheit hatten sie mich mehr als einmal gebeten, ihr Robespierre<br />
zu sein, aber ich erinnerte sie beständig daran, dass man diesen ein paar Jahre nach der Wende<br />
ebenfalls aufs Schafott gezerrt hatte.<br />
Ich staunte selbst, wie gut sich meine Frau aufs Zuhören verstand, wenn die Sorgen nicht aus meiner<br />
Richtung klangen. Sie erfuhr, dass neuerdings JEDER Mitarbeiter beim Verlassen des Theaters<br />
die Eingangshalle kontrollieren musste, ob auch ja alle Programmblätter und Champagnergläser<br />
weggeräumt worden waren. Zigaretten waren in den Büroräumen verboten worden (von Marihuana<br />
in den Technikräumen ganz zu schweigen) und draußen vor der Tür durfte nur geraucht werden,<br />
wenn gerade Regenzeit war.<br />
„Geatmet wird auf Befehl“, sagte die Du Barry. „Trinkwasser wird kostenpfl ichtig.“<br />
Natürlich war auch an mir nicht vorbeigegangen, dass er umherschritt mit seinem drahtigen Gang<br />
und seiner wehenden weißen Mähne, als wollte er Franz-Josef Strauß’ Geist wiedererwecken, weil<br />
es bei ihm zu einem ordentlichen Stoiber-Speichellecker nicht ganz gereicht hatte. Immer mehr<br />
und mehr Kollegen gingen plötzlich auf Kur oder ließen sich von Nervenärzten behandeln. Niemand<br />
stellte sich mehr als Betriebsrat auf. Jeder achtete plötzlich auf seinen Rücken, weil Mobbing und<br />
Anschwärzen wie die Pest grassierten. Während sie Hera weitererzählten und diese aufgeregt in<br />
meinem Schoß zu wippen begann, starrte ich Ate an, die im Schneidersitz wippte, eine Hand in<br />
ihren Schoß gelegt und mit ihrem Blick eine Reaktion in meiner Hose zu provozieren versuchte. Ich<br />
wehrte mich tapfer, auch wenn ich wusste, dass ich Tag für Tag zu einem leichteren Opfer werden<br />
würde.<br />
Tomassi wandte die besonders feige Taktik an, mit niemandem von Angesicht zu Angesicht die<br />
Klingen zu kreuzen, sondern nahm sich immer den jeweiligen Vorgesetzten zur Seite und hielt ihn<br />
mit seiner Nerverei von der Arbeit ab. Es schien, als wollte er das Theater lieber vernichten, als es<br />
aus dem Orkan zu fahren. Nur so erklärt es sich, dass er die skurilsten Entscheidungen traf: Erst am<br />
Abend zuvor hatte er die Feuerwache rausgeworfen und einen unachtsamen Raucher, der ein alter<br />
Freund von ihm war, dafür eingestellt.<br />
Er hatte einige frühzeitige Pensionen bewilligt, um wichtige Machtpositionen unter seiner Hand zu<br />
sammeln. Das alles ging im Höllentempo eines Oligarchen vor sich; aber dennoch blickte er zu<br />
dumm aus der Wäsche, als dass das alles auf seinem eigenen Mist gewachsen wäre.<br />
Ate hatte nun tatsächlich ihre Nippel wie kleine rosa Antennen in meine Richtung gestellt. Ich war<br />
süchtig nach ihren Funkwellen und wollte ehebaldigst an ihren Knöpfen drehen. Hera tatschte<br />
derweil unwissend an meiner Hand mit dem Ehering herum, so als solle jeder sehen, welch Glück<br />
wir nicht hatten, für immer zusammengeschweißt zu sein.<br />
Überall wurde gespart, erzählten die Mädchen weiter, dafür wurden Millionen für die neue Bühne,<br />
bessere Werbung und freundliche Presseberichte ausgegeben. Er kam montags bis sonntags<br />
wann immer es ihm passte und kontrollierte sogar wie der Nachtwächter seine Arbeit erledigte. Im<br />
Innenraum des Theaterkörpers schlich sich der Schlendrian wie ein Wurm durch das morsche Holz.<br />
Der Bühnenboden glänzte dafür wie der Sternenhimmel in der Beleuchtung darüber.<br />
Dann war die Berichterstattung vorüber und man erwartete, dass von Hera und mir ein Urteil<br />
gesprochen wurde. Mir war, als hätten die Schüler den Eltern ihr Leid über den neuen Klassenvorstand<br />
bretter<br />
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geklagt. Dann überlegte ich, dass das Theater mir langsam so vorkam wie mein eigenes Elternhaus.<br />
Zuerst hatte die Liebe meinen Eltern die Augen verbunden, dann hatten sie sich jahrelang ohne<br />
mit der Wimper zu zucken, ins Gesicht gelogen und heute gaben sie nach außen hin immer noch<br />
das perfekte Bild ab. Aber auch wenn ihr Haus immer frisch gestrichen war und der Garten von<br />
blühenden Apfelbäumen gesät, wollte in keinem Abfl uss das Wasser an dem Unrat der Leitungen in<br />
den Wänden vorbei in die Freiheit fl ießen.<br />
Ich selbst hätte irgendwann (vor einer Epoche!) jeden umgebracht, der sich meiner Frau genähert<br />
hätte. Und ich hatte sie geliebt, für eben jenen Einfl uss, den sie auf mich ausübte. Mittlerweile<br />
wusste ich: Es war bedenklich, wo die Liebe einen hinführt, und zugegeben: Es ist am schwersten,<br />
mit einer Frau zusammenzuleben, auch wenn das nie eine Ausrede sein darf.<br />
Da von mir wieder keine Unterstützung kam, stand Ate auf und sagte, sie hätte eine Idee, wie sie<br />
Horst beschäftigen könnte. Hera sah ihr nach, so als hätte sie ihr auf der Stiege eine Bärenfalle<br />
aufgestellt. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich nie geglaubt, dass die beiden Schwestern<br />
waren.<br />
Heras Meinung zu unserem Theaterproblem stützte sich übrigens wie in einer Ansprache des<br />
Bundeskanzlers auf die bloßen Wirtschaftsdaten.<br />
„So ist das nun Mal, wenn ein Schiff vor dem Kentern steht“, sagte sie trocken. „Seid froh, dass ihr<br />
keine Gewinne einfahrt, dann würde er mit der Peitsche über euch herfallen, Feuer spucken und<br />
noch mehr Entlassungen vornehmen.“<br />
Die kiffenden Hippies verstanden keinen Deut von dem, was sie sagte. Aber ich wusste: Sie hatte<br />
Recht. Es war das Paradoxon unserer Zeit, wenn auch gleichzeitig der schwächste Trost.<br />
„Alle machen mit“, sagte Ate später, wir waren endlich allein und sie spielte schon wieder an den<br />
Knöpfen ihrer Bluse herum. „Nur du weigerst dich noch.“<br />
Als wir Hera und den Keller wieder verlassen hatten, hatten mich tatsächlich Schuldgefühle geplagt.<br />
Ich fühlte mich wie der Vater der Crew, wollte sie nicht länger im Stich lassen und außerdem meiner<br />
frisch Angebeteten beweisen, wozu ich fähig war. „Ich werd euch helfen“, versprach ich also und<br />
sah ihr trotz der Dunkelheit tief in die Augen. Ich wusste: Sie nahm es nicht so genau in diesen<br />
Dingen. Sie war zu glücklich und beseelt, überhaupt auf der Welt zu sein. Sie war wunderschön<br />
und talentiert und im Grunde ein einfaches Opfer, auch wenn ich ihr Schwager war. Gerade diese<br />
Tatsache machte ihr im Übrigen nichts aus, sie hatte das, was man dem Stereotyp nach eine<br />
französische Lebenseinstellung nennt: Sie nahm es nicht so genau, wer hier wen vögelte und wer<br />
ganz woanders seit einer Dekade verheiratet war. Finn hatte den Innenraum des Anhängers leer<br />
geräumt und sämtliche Flaschen auf die Wiese gestellt, auf die nun tatsächlich einige erste Flocken<br />
niedergingen. Im ersten sanften Gestöber war ich an Horst vorbeigegangen, der im Garten stand<br />
und ahnungslos mit seinem Handy telefonierte. Ate saß schon auf den leeren Kisten in einem<br />
einigermaßen leeren aber warmen Raum und erhellte die Dunkelheit mit der Glut eines weiteren<br />
Joints.<br />
„Kann er uns nicht erwischen?“, fragte ich ein wenig besorgt.<br />
„Er frisst mir aus der Hand“, antwortete sie. Sie hatte ihn losgeschickt, um irgendeinen fi ktiven<br />
Ohrring zu suchen, den sie angeblich im Schnee verloren hatte. Ich dachte, es war wirklich an der<br />
Zeit, dass die beiden Kinder bekamen.<br />
„Ich werde euch schon noch helfen“, versprach ich wieder. „Es ist nur so, dass ich sehr sensibel<br />
reagiere, wenn etwas meine eigene Freiheit angeht. Ich bin nicht gern der Unterworfene.“<br />
Wieder gab sie keine Antwort und tat so, als hätte sie mich gar nicht gehört. Also legte ich ihr<br />
einen Finger auf den Oberschenkel, danach die ganze Hand. Das war zwar riskant, aber manchmal<br />
machte einen die Müdigkeit kühn.<br />
Wir küssten uns, lange und ausgiebig. Ich hatte nicht mehr gedacht, noch einmal etwas so<br />
Aufregendes erleben zu dürfen. Als wir pausierten, schwebte ich eine Sekunde lang im luftleeren<br />
Raum. Dann begann mich plötzlich irgendetwas massiv an ihr zu stören. Wieder schossen diese<br />
Fragen durch mein Hirn: War sie im Grunde nicht viel zu jung und zu uninteressant für mich?<br />
War sie nicht plump und dumm? War sie nicht ein Rädchen in einem System, das ihre Schwester<br />
erfunden haben könnte?<br />
Sie bemerkte meine Zweifel und begann wieder, mich mit ihren Spielen verrückt zu machen. Ich<br />
wusste, sie würde trotz der harten Sektkisten, der kalten Nacht und des gemieteten Automobils einen<br />
unglaublichen Fick abgeben. Ich wusste, sie wäre bereit, vor meinen Augen an sich herumzuspielen,<br />
damit mir mein letzter klarer Gedanke verenden würde. Während ich zögerte, hörte ich von irgendwo<br />
in der Peripherie eine leise Musik lauter werden, so lange wie es dauert, eine Tür auf- und wieder<br />
bretter<br />
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zuzumachen. Dann küsste sie mich wieder und mir war, als hörte ich Schritte näher kommen. Als<br />
der brave Horst artig aufgrölte, wischte ich uns beiden die Lippen ab und nahm ihr den Joint aus<br />
der Hand.<br />
Eine Sekunde später schaute mich eine weiße Weihnachtsmähne mit Schneefl ocken darin an.<br />
Seine Brille war beschlagen, weil es schneite und außerdem feucht war bei uns im Innenraum. Ich<br />
verschob die Sache erneut und setzte einen Fuß nach draußen.<br />
„Was iss’n da drinn’ los?“, nuschelte er. Ich merkte gleich: Die Zeit der Rache war gekommen. Ich<br />
blies ihm meinen Marihuanarauch mit etwas Spucke ins Gesicht und stapfte wieder in Richtung<br />
Partyhütte.<br />
Der Ausgang des Abends war allen scheißegal. Ate und ich machten Staatstheater und die anderen<br />
hielten sich immer noch mit den letzten Sektfl aschen auf. Finn meinte, es wäre möglich gewesen,<br />
dass der Publikumsraum schon voll war, wenn das besoffene Ensemble in der Maske eintrudelte.<br />
Aber in Wahrheit war das egal, schließlich kam man nur noch als Gast zu uns, um am nächsten<br />
Tag im Büro vor den Kollegen die Stirn über den Theaterbetrieb heutzutage runzeln zu können – wir<br />
waren alle die schlichten Pagen eines uralten Statussymbols. Tomassi, unser Boss, war schon vor<br />
einiger Zeit abgehauen. Anscheinend bekam er es jetzt doch mit der Angst zu tun.<br />
Ich meinte knapp Bis später! und warf das Handy wieder fort. Anschließend steckte ich mir Ates<br />
glitschigen Slip zurück in den Mund und drang langsam wieder in sie ein.<br />
Wir hatten das Grundstück verlassen, als der Schnee wie Zucker auf den Zäunen gelegen war. Hera<br />
hatte sich hingelegt, nachdem sie ihre üblichen Kopfschmerzen plagten, und das letzte dreckige<br />
Dutzend lag gerade mit müden Augen vor den mauvefarbenen Panoramafenstern, um über die<br />
Rettung der Zukunft zu philosophieren.<br />
Ate ging völlig in ihrer Rolle auf. Sie spielte eine Frau, die von ihrer mütterlichen Schwester alles, bloß<br />
keine Moral gelernt hatte. Wie die echte Pompadour begünstigte sie gerade den Gelehrten, Künstler<br />
und Schriftsteller in mir und ließ mich vergessen, welch ungeheure Summen sie für Klunker und<br />
Fummel ausgab.<br />
Sie hatte bereits ihr Kostüm für den ersten Akt angezogen: einen offenen Nerzmantel, schwarze<br />
Strümpfe und hohe Schuhe, von denen sie einen am Geländer zum Himmel, neben dem<br />
Auslöserknopf für den Flaschenzug, abgelegt hatte. Ihr BH lag über irgendeiner Kiste mit Drähten<br />
und einer Uhr drauf, die ich noch nie dort gesehen hatte. Ihr Höschen hatte ich ihr zuletzt geraubt.<br />
Sie keuchte leise aber schwer in mein Ohr und war der Inbegriff der schuldhaften Verfehlung.<br />
Ich brauchte keine Erklärung für all das zu suchen. Die Sache kam von selbst ins Rollen.<br />
Erbarmungslose Räderwerke griffen Zahn um Zahn ineinander, übertrugen ihre Kraft von einem<br />
Mechanismus auf einen anderen und zermalmten uns dabei.<br />
Mittendrin, als mir die ersten Schweißtropfen von der Stirn rannten, beschlich mich plötzlich dieses<br />
bekannte Gefühl einer chaotischen Leere und ich wusste nicht, warum ich ein halbes Jahr lang von<br />
diesem Moment geträumt hatte. Wieder mal kam ich mir wie ein Kind vor; oder so, als hätte ich eine<br />
Latte vorm Kopf.<br />
Ich zog mich selbst heraus und steckte mich unaufgeklärt gleich wieder hinein. Mittendrin war ich<br />
ein Affe mit einer großen geraden Banane in der Hand.<br />
Einmal möchte ich eine Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt fällen, sagte ich mir. Nur einmal<br />
möchte ich wissen, wie das ist! Dann hörte ich wieder auf, mich zu konzentrieren. Ich schob meine<br />
Hüfte nach hinten und ließ sie automatisiert wieder nach vorne schnellen. Dazwischen blickte ich<br />
mich an meinem Arbeitsplatz um. Die Gleichgültigkeit in mir nahm das Gewicht eines riesigen<br />
Felsbrockens an. Ich hielt mich selbst für einen gehirnverwichsten Tropf.<br />
Als mein Blick nach unten fi el, traute ich den Augen des Betrügers nicht. Der weiße Haarschopf<br />
kniete vor Heras Füßen und küsste den Ring, den ich ihr einmal an den Finger gesteckt hatte. Ich<br />
beugte mich vor, um es besser sehen zu können. Als Heras Schwester nicht mitrückte, richtete ich<br />
ihre Hüfte schnell zu meinen Gunsten aus. Sie sprachen miteinander, das war eindeutig. Ich musste<br />
erst Ate den Mund zuhalten, um sie besser verstehen zu können.<br />
„Du musst besser aufpassen, sie haben dich fast durchschaut“, schimpfte sie derb mit ihm.<br />
„Ach, nach mir die Sintfl ut“, meinte er lakonisch. Beinahe hätte ich aufgelacht.<br />
„Wann genau?“, fragte er dann, wie ein kleinlauter Pudel.<br />
bretter<br />
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„Im dritten Akt“, antwortete sie. „Wenn sie Glück haben, geht niemand drauf.“<br />
Ich hatte ihn noch nie besorgt gesehen und sie noch nie derart enttarnt.<br />
„Die Versicherung zahlt in jedem Fall“, streichelte sie ihm nun Hoffnung über den Kopf.<br />
„Kann man den Zünder wirklich zu niemand anderem zurückverfolgen?“, fragte er noch.<br />
„Ich hab alles im Baumarkt gekauft. Und mit seiner Kreditkarte bezahlt.“<br />
Im selben Moment fühlte ich mich dümmer als jeder Affe dieser Welt. Ich schloss die Augen, durch<br />
die sich eine einzelne, überraschte Träne zwängte und nahm meine zornige Hand von Ates gerade<br />
aufbebenden Lippen.<br />
„Weiter, immer weiter“, fl üsterte sie hastig und begann an meinem Finger herumzulutschen.<br />
Eine weitere Träne baumelte in meinem Augenwinkel, so wie das felserne Beil über den<br />
<strong>Bretter</strong>n mit der blank polierten Oberfl äche. Ich begann sie noch härter zu stoßen, es war<br />
grotesk, aber wenn ich schon dabei war, wollte ich es auch zu einem vernünftigen Ende<br />
bringen. Ich spürte die ersten Tropfen tief in sie schießen, was ihr sehr zu gefallen schien.<br />
Gleichzeitig fi el mir wieder ihre Schwester ein, die ich umbringen wollte, aber vorher sollte sie<br />
noch sehen, was ich hier gerade tat. Ich löste meine Hand von Ates Mund und hatte plötzlich<br />
das Bedürfnis auf irgendetwas drauf zu schlagen. Instinktiv bot sich ihre herrliche Backe dafür.<br />
Als es klatschte, riss ich die Augen wie nach einem Alptraum wieder auf und abertausend Fragen<br />
schossen durch mein Primatengehirn: Mussten sie das nicht gehört haben? War nicht gerade Ates<br />
Fuß abgerutscht? Kannte ich nicht dieses surrende Geräusch?<br />
Mein Blick fi el auf den Flaschenzug – die Zange war wie mein Mund überrascht geöffnet. Im nächsten<br />
Moment krachte es unter uns, so laut, dass es Ate zu Boden warf und einige der Holzlatten wie die<br />
dicksten Tropfen des Schwimmbeckens nach einer Wasserbombe zu uns nach oben geschleudert<br />
wurden. Ich löste Ates Schuh von der Fernbedienung, lehnte mich an die Brüstung und sah ein<br />
klaffendes, blutverschmiertes Loch in den nagelneuen Planken unter mir.<br />
Seither ist eine verdächtige Ruhe um mich eingekehrt. Ich spule eine dieser Geschichten nach der<br />
anderen herunter und fühle mich dabei wie eine einfache, von komplexen Zweifeln zerfressene<br />
Zelle; jedes Mal von Neuem darüber verblüfft, glasklare Gefühle in mir vorzufi nden.<br />
In meiner restlichen, sehr einsamen Zeit spreche ich mit Hera. Jeder Tag endet damit, dass sie mich<br />
fragt, wann sich meine Seele ebenfalls endlich in Luft aufl öst. Als ob ich wüsste, wie hart das Leben<br />
ist, wenn man seine Seele behalten will!<br />
bretter<br />
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Zita Bereuter<br />
geboren 1973 in Egg. Ist schon sehr früh der Faszination von Büchern erlegen. Viele Stunden<br />
verbrachte sie in der Gemeindebücherei Egg, der Vor arlberger Landesbibliothek, der Bibliothek<br />
der Pädagogischen Akademie Feldkirch, der University of Derby Library, der Bibliothek der<br />
Fachhochschule Vorarlberg und der Manchester Metropolitan University Library. In einigen dieser<br />
Bibliotheken hat sie Abschlussarbeiten zu verschiedenen Studien geschrieben. Während dieser<br />
Studien arbeitet sie im Aktuellen Dienst des Landesstudio Vorarlberg. Seit 2001 Redakteurin bei<br />
FM4, u.a. Organisatorin von Wortlaut. Ebenfalls seit 2001 als Grafi kerin tätig. Beschäftigt sich sowohl<br />
redaktionell als auch gestalterisch mit Büchern: Staatspreis für das schönste Buch Österreichs<br />
2004.<br />
Pamela Rußmann<br />
geboren 1975 im steirischen Bruck an der Mur. Studium der Anglistik und Germanistik. Seit fast einer<br />
Dekade werkt Pamela in verschiedenen Positionen und Redaktionen bei FM4, zuletzt als Leiterin<br />
der Literatur redaktion, Organisatorin des FM4 Literaturwettbewerbs Wort laut, Filmredakteurin und<br />
seit 2000 mit großer, nicht enden wollender Leidenschaft als Autorin/Kolumnistin für fm4.orf.at.<br />
Abseits von FM4 ist sie mit ebenfalls nicht enden wollender Leidenschaft Mama einer Tochter sowie<br />
Fotografi n und Sprecherin.<br />
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