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Bretter - ORF

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sie haben eine Anzeige setzten lassen, ganz einfach und reduziert. Beim ersten Mal habe ich<br />

sie übersehen. Erst später ist es mir wieder eingefallen. Ich weiß auch nicht, warum ich hier bin.<br />

Ehrlich! Das mit uns ist jetzt schon so lang her, so unwichtig und fern, aber ich weiß nicht, etwas<br />

hat mich hergezogen. Ich hatte mich von der Vergangenheit schon verabschiedet, so wie es jeder<br />

macht, wenn viel Wasser ins Meer gefl ossen ist, aber trotzdem musste ich nochmals hierher.<br />

Es ist absurd, aber ich erweise einem Menschen die letzte Ehre, den ich seit Jahren nicht mehr<br />

getroffen habe. Sag, was ist mit dir geschehen? Was war los mit dir? Hab dich lange nicht mehr<br />

gesehen? Aber Gräber schweigen nun mal. Irgendwie schade, aber das Leben geht nun mal weiter,<br />

weil es immer weiter geht, weil es nie endet, oder ich das Ende so und so nicht erfassen kann.<br />

Weißt du, das von damals tut mir leid, auch wenn die Wunden sicher schon längst verheilt waren.<br />

Ich war jung und dumm. Das soll keine Rechtfertigung sein, eher das Relikt einer Zeit, damit du<br />

mich verstehst. Vielleicht bin ich auch deshalb hier, weil du mich erinnerst. Im Endeffekt weiß ich<br />

sicher nicht mehr viel, und das, was noch da ist, ist sicher auch schon verwaschen. Kein Mensch<br />

behält wirklich etwas im Kopf, schon gar nicht, wenn es lange her ist. Irgendwie wird dann doch<br />

alles gebogen und verschönt, aber das macht auch nichts mehr. Es war eine gute Zeit damals, und<br />

das kann ich nicht leugnen.<br />

Ach ja, ich bin verheiratet. Haben wir uns wirklich so lange nicht mehr gesehen? Nein, ich denke,<br />

das weißt du noch nicht. Komisch, dass wir uns so sehr aus den Augen verloren haben, aber wem<br />

sag ich das? Einem Grabstein, etwas Leblosem? Und ob du es hörst oder siehst oder verstehst?<br />

Woher soll ich es wissen? Was weiß ich schon, über das danach. Im Religionsunterricht wurde mir<br />

gesagt, Gott ist transzendent, dann ist es wohl der Himmel auch, und wenn es nach den Klerikern<br />

geht, dann schmorst du sowieso in der Hölle. Ich würde gerne wissen, ob sich einer erweicht hat,<br />

dich einzusegnen? Vielleicht stimmt ja auch Reinkarnation und du siehst mir längst als eine der<br />

Tauben, oben vom Türmchen der Kapelle auf die Schultern, oder das Nirwana hat dich ins Nichts<br />

versetzt. Und vielleicht ist auch alles einfach nur Lüge, und es endet doch mit einem Schlag, Stille,<br />

Vergessen und der ewigen Leere, dem Auslöschen. Was weiß ich schon, was niemand weiß. Auf<br />

jeden Fall noch immer nicht, warum ich wirklich hier bin. Ich hatte doch gar keinen Bezug mehr zu<br />

dir. Dazu mag ich den Tod nicht, sterben und alles drum herum. In meinem Kopf, da lebst du noch<br />

immer, da habe ich dich klar vor meinen Augen in strahlenden Farben. Es ist schon komisch.<br />

Ich weiß noch, da war ich noch klein, da hat mich meine Großmutter auf einen Friedhof<br />

mitgenommen, der sah nicht viel anders aus als dieser. Er war auf einem Hügel ein wenig<br />

außerhalb des Dörfchens angelegt, zu dem er wohl gehörte, um eine Kirche, begrenzt von hohen<br />

Mauern. Auf dem Weg dorthin hat sie mich sicher zwanzigmal ermahnt, dass ich anständig<br />

sein sollte, dass ich leise sein sollte, dass die Toten ihre Ruhe wollten. Wahrscheinlich war ich<br />

schrecklich eingeschüchtert, als wir dort angekommen sind. Ich habe ihr geholfen eine Unmenge<br />

an Gartengeräten und Blumen zu einem Grab zu schleppen. Sie war nie ein leiser Mensch, hat<br />

immer viel geredet, ob der Tag lang war oder nicht, als wollte sie, die Grenze ihrer eigenen Zeit<br />

schon fühlbar im Rücken, noch etwas weitergeben, einen Fußtritt hinterlassen, und wenn es<br />

nur ein paar Worte an einen Enkel, mich, waren, der eigentlich nicht erfassen konnte, was sie<br />

sagte. Am Friedhofstor redete sie von Nelken, die für sie die Blumen der Toten waren, aus denen<br />

Kränze und Gestecke gefl ochten wurden, mit einem letzten Lächeln, dass ich diese nie meiner<br />

Freundin schenken sollte, und strich mir über das Haar, aber ich mochte doch gar keine Mädchen<br />

und eine Freundin wollte ich schon gar nicht haben. Vielleicht ist es Zufall, vielleicht waren es<br />

auch ihre Worte, aber ich habe nie jemandem Nelken geschenkt. Sie muss es oft zu mir gesagt<br />

haben, bis dass es in Mark und Bein übergegangen war, dass ich ohne nachzudenken doch danach<br />

handle. Eigentlich absurd, denn sind nicht die Totenblumen eigentlich Lilien? Wenn ich so darüber<br />

nachdenke, was spielt es für eine Rolle? Hier habe ich eine letzte Rose für dich. Ich weiß, sie ist nicht<br />

schön, aber die Läden hatten schon geschlossen. Sie ist aus meinem Garten, eigentlich noch mehr<br />

Knospe als Blüte. War wohl die letzte dieses Jahres.<br />

Ich weiß nicht, ob meiner Großmutter das gefallen hätte, sie wird es mir auch nicht mehr sagen<br />

können. Damals erzählte sie mir, dass dort ihre halbe Familie begraben ist, und eigentlich habe ich<br />

nichts verstanden. Für mich war das Leben damals grenzenlos, sterben ein Begriff aus Büchern,<br />

und der Tod etwas, über das man nicht spricht, ein Tabu. Irgendwie ist er das heute auch noch.<br />

Ich bin dort herumgestanden, und mir war langweilig, während meine Oma Rosenkränze beim Bepfl<br />

anzen des Grabes gemurmelt hat. Langsam habe ich begonnen herumzuwandern, mir noch recht<br />

mühsam die Inschriften auf den Gräbern erlesen, als ich gesehen habe, dass dort gegraben wird. Zwei<br />

Männer in schäbigen Latzhosen haben ein Grab ausgehoben. Schaufel um Schaufel gruben sie sich<br />

rote nelken und keine überraschungen<br />

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