Bretter - ORF
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tiefer in den Boden, während meine Großmutter leise Amen seufzte, das Gebet von vorne begann.<br />
Es dauerte nicht lange, da begann einer der Männer mit mir zu reden, während ich in das Loch<br />
starrte und wartete, was sie hoch holen würden.<br />
Ich habe noch genau vor meinen Augen, wie sie auf den Sargdeckel kamen. Das Holz war vermodert,<br />
teilweise eingebrochen, wippte stark, wenn sie darauf traten, aber sie hatten keine Angst, hinab zu<br />
fallen. Schweigend sah ich ihnen zu, betrachtete den Haufen an Erde und Steinen, der wuchs, und<br />
hörte ihnen zu. Wollte ich damals höfl ich sein, oder war es kindliches Interesse, wie an einem neuen<br />
unbekannten Spielzeug? Sie brachen die <strong>Bretter</strong> mit einer Eisenstange heraus, legen sie neben den<br />
Hügel, der dieses Grab vormals versiegelt hatte. Irgendwie habe ich mir erwartet, dass darunter<br />
Erde sein würde, oder rein gar nichts, dass nichts von einem Menschen bleiben würde. Asche zu<br />
Asche, Staub zu Staub, was sollte davon auch noch übrig sein. Erde war im Grunde genommen<br />
da, aber darunter war ein schwarzer Müllsack mit Reißverschluss. Einer von ihnen trat mit einem<br />
Fuß dagegen, betrachtete die Reaktion. Als nichts geschah, zerstachen sie ihn mit ihren Spaten,<br />
um schließlich das hervorzuholen, was wirklich blieb. Sie legten die Knochen separat bei Seite, als<br />
wollten sie dem längst Verwesten eine letzte Ehre erteilen, tranken dabei Bier und redeten von einer<br />
Obduktion, die wohl an diesem Fragment einer Person gemacht worden sei. Als sie auf den Schädel<br />
stießen, nahm einer von ihnen den skelettierten Rest auf seinen Spaten und hielt ihn mir mit einem<br />
verschmitzen Lächeln entgegen.<br />
Der Tod, ich hatte ihn nie so gesehen, so endgültig und unausweichlich. Ich hatte Angst, schreckliche<br />
Angst. Meine Beine waren erstarrt, wie zementiert in diesem Platz vor einem halbleeren Grab. Der<br />
Mann forderte mich auf, den Schädel zu nehmen, er würde mich schon nicht beißen. Gelbe Zähne<br />
blitzten unter den dünnen fl eischfarbenen Lippen hervor, im Mundwinkel eine Marlboro oder ein<br />
ähnliches Kraut gekniffen.<br />
vorsichtig greifst du nach dem kopf weichst wieder zurück willst weglaufen nur fort von hier getrieben<br />
von neugier dem kindlichen element von einem hang zum unbekannten an deinem abhang entlang<br />
siehst in die leeren augenhöhlen suchst nach einen blick wo keiner sein kann zögernd wartend<br />
hoffst du auf eine eingabe auf eine stimme die dir sagt was gut und böse ist ob du das tun sollst oder<br />
darfst er bedrängt dich und du fühlst dich getrieben noch immer wartest du streckst langsam deine<br />
hand berührst den kahlen knochen mit den fi ngerkuppen schreckst noch einmal zurück wieder<br />
die gleichen fragen in welch ein dilemma bist du geraten du willst laufen nur weg von hier weg von<br />
diesem ort weg vom tod kalter schauer auf deinem rücken deine hand zittert und du mit ihr er lacht<br />
dich an der mann der kopf und dein willen sie lachen dich alle aus deine großmutter will sie dass du<br />
das tust würde sie es erlauben würde sie zustimmen glaubst du ein blick zu ihr sie sieht dich nicht<br />
noch ein blick sie reagiert nicht siehst deine hand die zurückschreckt fasst dir ein herz das schon<br />
längst in deiner hose ist deine knie am schlottern ist es verboten ist es recht das ist ein toter der wird<br />
nicht mehr lebendig der ist bei gott oder sonst irgendwo was macht er dann vor deinen augen warum<br />
glotzt er dich so hohl an will er dir etwas sagen was will der schädel von dir wenn er könnte wollte<br />
er mit dir sprechen wird er es heute nacht in deinen träumen wird er dir die wahrheit sagen die dir<br />
niemand sagen konnte wo hört alles auf wo beginnt es mit dem ende du schließt deine augen willst<br />
nicht mehr sehen willst das gelächter nicht mehr hören fasst unter das kiefer bohrst deine fi nger in<br />
dunkle schwarze erde fühlst sie weich und feucht brocken auf deiner hand stücke von ihm aus einer<br />
anderen welt nur nicht von hier hebst langsam an die schwere reißt deine hand nach unten ist er so<br />
der tot wird alles einmal so sein wirst du einmal so sein deine mutter und alles um dich geht alles<br />
diesen einen weg zum bleichen zum nagen und vergehen was wird aus dir dein atem stockt du hältst<br />
die luft an fühlst die zähne auf deiner haut nimmst deine zweite hand viel zu schwer er lacht noch<br />
immer der gräber und der kopf sie lachen dich aus wollen dich verspotten deine großmutter sieht sie<br />
dich was wird sie über dich denken wird sie dich auch auslachen wird sie es ihnen gleich tun ein ruck<br />
die decke sie fällt ab du wie stein ein schlag zu boden dumpfer klang du lässt ihn fallen erschrickst<br />
und glaubst zu fallen den halt verloren zu haben abgelitten zu sein ins böse in die verachtung deine<br />
neugier hatte dich weggerissen aufgehoben fallen gelassen und einen tritt verpasst ein schritt zurück<br />
du willst schreien weinen zeigen dass es dich noch gibt nur leeres krächzen tonlos sprachlos und<br />
wortkarg rollt der schädel wieder ins grab zurück in die vergangenheit das lachen des gräbers noch<br />
in deinem kopf der tod so plastisch irreal unaufhaltsam unausweichlich hier<br />
Die Totengräber grinsten mir entgegen, redeten wieder von einer Obduktion, dem Wort das ich nicht<br />
kannte und machten weiter, schaufelten und brachen <strong>Bretter</strong> aus dem Boden, bis sie auf harten<br />
Stein stießen. Ich fühlte mich schlecht, als hätte ich etwas schrecklich Verbotenes gemacht. Ich<br />
rote nelken und keine überraschungen<br />
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