Bretter - ORF
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das Motorgeräusch füllt die Orte der alten Tage, der verkramten Erinnerungen, die mehr Gefühl als<br />
Bild, wie Echos um dich schwirrten. Als du das Auto parkst, gleich unter eine Linde, verharrst du,<br />
wartest, erfl ehst, dass etwas passiert, das dich noch einmal umkehren lässt, das dir diese kalte<br />
Konfrontation erlässt. Du steigst aus, blickst nach oben, ins Herbstlaub, das mit dem Wind fl üstert.<br />
Die Glocke der Kapelle vor dir schlägt zum Sonnenuntergang und dich fröstelt. Dein Blick nach<br />
unten, hoffst du auf einen Gedanken, auf ein Stück Land, das du betrittst und dich trägt.<br />
Eigentlich weißt du nicht, was du hier tun sollst. Du hörst den groben spitzen Splitt unter deinen<br />
schweren Stiefeln knirschen. Es ist einsam hier um diese Zeit. Eigentlich ist es hier immer einsam.<br />
Du bleibst kurz stehen, badest dich im gelben Licht des Sonnenunterganges, betrachtest die<br />
Schatten, siehst aus dem Mund kleine Rauchwolken aufsteigen und ins Nichts verschwinden. Dein<br />
Atem ist tief und schwer. Diese Orte wirken träge auf dich, einlullend wie ein Wiegenlied, das der<br />
Wind heimlich pfeift. Der Schatten des Kreuzes, überlebensgroß in Stahl verankert im kalten Stein,<br />
fällt auf dich wie eine Drohung. Du hebst die Hand zur Stirn, zum Herz, von links zum Herz, legst sie<br />
auf deine Brust, verharrst in Schweigen, siehst nach oben zu der Legende aus Büchern, zu einem<br />
Symbol dessen Bedeutung du nie verstehen wolltest. Leid und Demut, oder ist Demut Leid? Es wollte<br />
nie einen Platz bei dir fi nden. Deine Defi nition solle anders aussehen, nicht verbunden sein mit<br />
Mythos und Ethos, nicht getragen von Ideen, die so alt waren, dass sie für dich die Dimension eines<br />
Urzeitreliktes hatten. Warum führst du dann den Ritus aus? Hat er sich so tief in dich gefressen,<br />
dass du ihn dir nicht mehr herausschneiden konntest? Warum will er nicht mehr gehen? Hat er<br />
sich heimlich bei dir einen Platz gehalten, den er sonst nie verlässt, sich versteckt und tarnt, um<br />
dich dann zu überlaufen, wenn du es nicht erwartest? Leise hauchst du, amen, mehr in Gedanken<br />
als in Worten. Die Ruhe des Ortes hat sich in dich gesetzt, sich in dir verankert und dich hoch<br />
gehoben. Heimlich wie Rohypnol schleicht es sich in deine Blutbahn, schüttet Sand in dein Getriebe<br />
aus Rezeptoren und Transmittern. Deine Füße wie Blei am Boden, erhebst du deinen Blick, suchst<br />
langsam, willst gar nicht fi nden.<br />
Die Blumen sind noch frisch, die Erde noch zerwühlt. Du gehst langsam hin, deine Schritte träge<br />
am Boden, zögernd, überlegst, ob du nicht doch besser wieder gehen solltest, beschwichtigst dich<br />
selbst, es hätte keinen Sinn, niemand sei damit geholfen, alles lange vorbei und vergessen, und<br />
drehst doch nicht um. Die Hände verschränkt wie zum Gebet, stehst du davor, hörst noch einmal<br />
auf den Wind, bevor du deine Augen senkst auf den schwarzen Block aus Marmor, der in frischen<br />
goldenen Lettern ihren Namen trägt. Auf dem Boden noch ein Kranz, verdorrt in der Hitze, auf<br />
immergrünen Zweigen vertrocknete Blätter von roten Nelken. Du bückst dich, richtest das Band in<br />
schwarz. Von deiner Familie, liest du leise zu dir selbst. Dein Kopf in stillem Kampf mit der Leere<br />
gegen die absurden alten Schatten. Du weißt, warum du hier bist? Du bist nicht umsonst so weit<br />
gefahren? Warum bist du verwundert über dich selbst, dass es dich doch noch so weit getrieben<br />
hat in den Abend eines Tages im Herbst weit hinaus an kaum mehr bekannte Orte, die du schon<br />
vergessenen geglaubt hast? Du weißt noch immer nicht, was du hier eigentlich machen sollst?<br />
Zweifelst an dir selbst, willst gehen, hast den Entschluss bereits gefasst, da hältst du inne, siehst<br />
hoch in den Himmel, holst eine Kerze aus deiner Tasche, zündest sie an, stellst sie zu dem Block<br />
aus Stein. Wieder sagt dir etwas, dass du weg sollst, dass du deine Pfl icht schon längst erfüllt hast,<br />
dass du wieder zurückkehren sollst, zu dem, was jetzt dein Leben ist, und den Toten ihre Ruhe<br />
geben sollst; doch etwas lässt dich nicht weg, hält dich gefangen mit seinem Atem, fl üstert tief<br />
vergraben in dir, als wollte es sich einen Weg aus dir heraus suchen. Du schüttelst den Kopf, setzt<br />
dich auf den Boden, suchst deine Zigaretten und zündest eine an der Kerze an. Du fühlst dich<br />
unwohl, denn dein Verhalten missfällt dir selbst. An diesem Ort wurde es dich anders gelehrt, aber<br />
du weißt sonst nicht mehr weiter, willst etwas Zeit gewinnen um nachzudenken, um eine Antwort<br />
zu fi nden. Dein Blick schweift ins Nichts, in einen abendlichen Tagtraum der Gedankenstille, als du<br />
nach Worten zu suchen beginnst, du ansetzt und abbrichst, jeder Versuch ein Kampf mit dir selbst,<br />
ein Ringen um etwas Authentisches, ein Stück zweifelsfreie Wahrheit.<br />
Du hast mir einmal gesagt, dass jedes Mal ein Seemann stirbt, wenn ich mir eine Zigarette an<br />
einer Kerze anzünde. Ich habe immer darüber gelächelt, aber vielleicht trifft es ja hier zu? Ich<br />
habe dich nie gefragt, woher du das hast. Wer es dir erzählt hat. Versteh mich nicht falsch, es<br />
hat mich interessiert, aber ich dachte, es wäre ein Spruch wie es viele sind, der nur mehr für<br />
sich selbst lebt und aus einem Grund entstanden ist, den heute sowieso keiner mehr versteht,<br />
aber zumindest bin ich hier. Mir hat es keiner gesagt. Liegt wahrscheinlich daran, dass ich weit<br />
weg bin von hier, keine Brücken mehr habe, und auch keine mehr schlagen will, einfach weil<br />
mein Leben an anderen Orten stattfi ndet. Ich habe es in der Zeitung gelesen. Deine Eltern wohl,<br />
rote nelken und keine überraschungen<br />
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