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Bretter - ORF

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des im selben Akt sterbenden Protagonisten darstelle.<br />

„Keine Sau interessiert sich heute mehr für den Konfl ikt, der einen Menschen ins Äußerste treibt“,<br />

erregte ich mich fl üsternd, während man sich unter uns die Textzeilen an den Kopf schmiss und mit<br />

Lichteffekten den Ehekrieg irgendeines Königspaares inszenierte.<br />

„Was zählt ist nur, wie am Ende die Planke unter den Füßen des Helden kracht und wie weit dann<br />

sein Blut aus dem Maul eines Papp-Haifi sches ins Publikum spritzt.“<br />

Er sagte nichts dazu. Wenn ich bekifft war, lamentierte ich immer darüber, dass dies die manipulativste<br />

Welt von allen geworden war. Außerdem wusste er, dass ich wieder schweigen würde, sobald Ate<br />

ihren Auftritt hatte.<br />

Im selben Moment erstach König Ludwig eine spanische Infantin, weil er in Ruhe mit seiner<br />

jüngeren Mätresse bumsen wollte. Wenn man wegen der Inszenierung einen Flop erwarten durfte,<br />

war gegen den Text absolut nichts einzuwenden. Offenbar war es eines jener modernen Stücke, an<br />

dem jemand zehn Jahre lang herumgeschrieben hatte, weil niemand es hatte spielen wollen. Soweit<br />

ich mich erinnerte, hatte der Autor sein Herzblut gegeben, plus alles, was er als Dramatiker gelernt<br />

hatte. Das war schon mehr als man von den meisten Kinofi lmen sagen konnte.<br />

Ate spielte die Titelrolle der Marquise von Pompadour, auf die angeblich der Ausspruch Nach mir die<br />

Sintfl ut! zurückzuführen ist, nach welchem auch das Stück benannt war. Sie tauchte aus der Hölle,<br />

das heißt dem neumodischen Bühnenboden, auf und schwebte in ihrem luftigen Kleid, das von der<br />

Position des Direktors aus mit Sicherheit durchsichtig war, über die neu verlegten <strong>Bretter</strong>, die die<br />

sprichwörtliche Welt bedeuteten. Ich selbst stand in den Watte-Wolken über ihr und beobachtete<br />

sie so gebannt, wie ein Attentäter sein Opfer verfolgt. In der fi ktiven Realität unter mir riss der nach<br />

Liebe lechzende Tyrannen-König an dem Verschluss ihres Mieders und ich griff nach dem Auslöser<br />

des Flaschenzugs, um ihn mit seinem eigenen, zu Stein gefrorenen Herzen zu erschlagen.<br />

„Die müssen die Zuseher wirklich für einen Haufen Primitive halten“, fl üsterte Finn im selben<br />

Moment. „Kein Mensch versteht das mit dem Felsbrocken, wenn er nicht schon vorher etabliert<br />

wurde, oder?“<br />

Vor Schreck fi el mir der glühende Joint aus der Hand. Ich starrte ihn an und hatte mit einem Schlag<br />

tausend Fragen vor meiner banalen Stirn: Hatte mich Ates Erscheinung in den vergangenen Wochen<br />

tatsächlich so verwirrt, dass ich diesen Fehler übersehen hatte? War ich fähig, ähnliches in meinen<br />

eigenen Stücken außer Acht zu lassen? War das der Grund, warum nicht mal mehr meine eigene<br />

Frau meine Werke lesen wollte?<br />

Plötzlich tönte germanischer Befehlston von unten herauf: „Was is’n da oben los?“<br />

Der Direktor stand neben seiner entblößten Hauptdarstellerin auf der Bühne, die Hände in die<br />

Hüften gestützt. Ate war geistesgegenwärtig auf unseren brennenden Freund getreten und blickte<br />

vorwurfsvoll nach oben, ohne sich die Brüste zu bedecken.<br />

Ich tat, wofür ich eigentlich bezahlt wurde, allerdings wie üblich eine Minute nachdem mein Stichwort<br />

gefallen war: Ich drückte den Knopf der Fernbedienung, das Drahtseil rutschte fast lautlos<br />

durch die Zange, das Beil schnellte nach unten, blieb aber nach vier von acht Metern frei schwebend<br />

stecken.<br />

Ich beugte mich wieder über das Geländer, Ate sah immer noch zu mir nach oben, genauso<br />

überrascht, wie sie das am Ende des Stückes tun sollte, das ich gerade für sie schrieb.<br />

Erst Finn erlöste uns, indem er wieder den Dummen spielte.<br />

„Es klemmt!“, schrie er dem Direktor entgegen und hielt mit einem Arm den Werkzeugkasten über<br />

die Brüstung, so als wäre es eine Streichholzschachtel. Das Gerüst war so sicher, dass ich als<br />

Verantwortlicher niemals ins Gefängnis gegangen wäre, hätte es jemals jemanden erwischt.<br />

Als ich am Ende der Woche von der Generalprobe nach Hause kam, stand der Party-Service vor<br />

unserer Tür und Hera nahm mir grußlos mein letztes Bargeld ab, um den Anhänger für den restlichen<br />

Abend zu mieten. Ich war den ganzen Tag schlecht gelaunt gewesen, weil es immer kälter wurde<br />

und ich im Glauben aus dem Haus gegangen war, dass mich bei meiner Wiederkehr ein erneuter<br />

Zeugungsversuch erwarten würde. Vorsorglich war ich nach dem letzen Vorhang sogar in einen<br />

Strip-Schuppen gegangen. Nicht, dass ich für gewöhnlich Mühe hatte, einen hochzukriegen, bei<br />

Hera schon gar nicht, aber schaden konnte es nie.<br />

Als ich dann mein von selbst lärmendes Heim betrat und feststellte, dass ich der einzige<br />

Überraschungsgast war, wurde mir bewusst, dass auch zehn Ehejahre nichts daran ändern, dass<br />

man überhaupt nichts von seiner Frau weiß. Sie war das größte Rätsel für mich. Schon seit mehreren<br />

Monaten taten wir es nur mehr an ihren fruchtbarsten Tagen, so, als ob wir die beweihräucherten<br />

Anweisungen des Klerus einzuhalten hätten, um allem Irdischen einen Gefallen zu tun. Mir persönlich<br />

bretter<br />

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