Bretter - ORF
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Caroline Schiel<br />
Caroline Schiel ist ein Pseudonym von Gertraud Klemm, geboren 1971 in Wien. Jugend und<br />
Studienzeit in Baden und Wien. Erste Schreibversuche mit 13. Nach einem Biologiestudium und<br />
ein paar Jahren Berufserfahrung im naturwissenschaftlichen Bereich besinnt sich Gertraud auf ihre<br />
musischen Wurzeln und beginnt wieder vermehrt zu schreiben. Zwei Mal hat sie schon erfolgreich<br />
bei Wortlaut teilgenommen (deswegen auch das Pseudonym), was sie sehr gefreut und unter<br />
anderem dazu bewogen hat, mit dem Schreiben Ernst zu machen. Gertraud musiziert, malt und liest<br />
sehr gerne. Im Augenblick gönnt sie sich ein Freijahr, schreibt an ihrem ersten Roman und sucht<br />
nach einem Verlag für ihre Kurzgeschichten. Wenn sie genug Zeit und Geld hat, reist oder wandert<br />
sie gerne durch die Welt, am liebsten mit ihrem Mann oder allein.<br />
Der Sargträger<br />
Mit angemessen kleinen, würdigen Ameisenschrittchen und gebeugtem Haupt trotte ich im<br />
Trauerzug hinter einer großen, hageren Salzburgerin mit schwarzen Stöckelschuhen her. Mein<br />
gesenkter Blick erlaubt mir das eingehende Studium der abgewetzten Stöckel, die der ständig<br />
plappernden Trägerin im Kies erschreckend wenig Stabilität verleihen. Wie ich ist sie scheinbar<br />
nur eine entfernte Bekannte des Verschiedenen und daher am sich verjüngenden Schwanz des<br />
Trauerzuges zu fi nden; nach hinten werden die Reihen schütterer und die Laune besser – die Moral<br />
wird gegen Ende des Zuges immer dünner, so, als ginge der Menschenmenge mit wachsender<br />
räumlicher Distanz zum Verstorbenen der Saft zum Trauern aus. Stattdessen verkürzt man sich z.<br />
B. heute die Zeitdauer damit, die Qualität von Schnäpsen aus dem oberen Inntal zu loben oder man<br />
kritisiert das Wesen der Bestattung an sich, so wie es die Stöckelschuhfrau soeben vor mir heftig<br />
tut.<br />
„Das gehört doch alles schon längst abgeschafft. Kein Mensch braucht diese Quälerei. Eingraben und<br />
fertig“, höre ich sie sagen. Ich hebe den Blick kurz: Angesichts der Tatsache, dass das, was ich von<br />
ihr sehen kann, auch schon verrunzelt genug aussieht, um in absehbarer Zeit selbst mit „eingraben<br />
und fertig“ von den Lebenden verabschiedet zu werden, bewundere ich ihre Nonchalance und ihre<br />
Respektlosigkeit, die sie vielleicht sogar sich selbst gegenüber beweist.<br />
Der in Kürze Begrabene ist der Vater eines Freundes von mir, ich habe ihn nicht oft gesehen, zwei<br />
Mal vielleicht, aber dem Freund zuliebe will ich mich gerne zeigen. Meine fehlende, aufrichtige<br />
Anteilnahme und den ausbleibenden Tränenfl uss verberge ich hinter einer in alle Richtungen ausufernden<br />
Sonnenbrille von Dior, die mich ein Viertel meines Monatsgehalts gekostet hat. Ich mache<br />
mir vor, dass dieser überdimensionierte, schwarze Schild meinen kleinen, dürren Körper ziert,<br />
ihm etwas von seiner Schmächtigkeit nimmt, etwa so, wie die riesigen Facettenaugen den Libellen<br />
etwas Majestätisches, Unberührbares verleihen; Libellen mit kleinen Augen würden kein Schwein<br />
interessieren, man würde nach ihnen schlagen wie nach allen anderen dürren, stabförmigen<br />
Fluginsekten auch.<br />
Prall und üppig präsentiert sich der Frühlingstag, so übervoll mit Leben, Pollenfl ug, balzenden Vögeln,<br />
sich paarenden Schusterkäfern und Maikäfern, richtig aufdringlich schiebt sich die Lebenskraft vor<br />
die Schatten des Sterbens. Es scheint grotesk, sich an einem Tag wie diesem dem Tod zu widmen,<br />
die Trauergemeinschaft tut sich eh schwer, aber bitte, die Meisten bemühen sich ja.<br />
Der Zug kommt ins Stocken, das kollektive Scharren im Kies verebbt, der Kopf der Menschenschlange<br />
hat das Grab erreicht. Nun verteilt sich die Trauergemeinschaft geschmeidig auf dem<br />
wenigen Platz, der zur Verfügung steht, umfl ießt dynamisch die angrenzenden Gräber, bedacht,<br />
beim Herumstehen zwischen den Gräbern keine pietätlosen Berührungen mit Grabsteinen zu<br />
verursachen. Ich kann nichts sehen, weiß es aber genau, weil ich in letzter Zeit oft in der ersten<br />
Reihe stehen durfte. Begräbnisse haben mein letztes halbes Jahr begleitet, und weitere Begräbnisse<br />
werden folgen, zumindest arbeiten mehrere Krebsarten in den Körpern einiger meiner noch<br />
verbliebenen Familienmitglieder sehr zielstrebig daran.<br />
Den Anfang des großen Sterbens machten meine Großeltern, die quasi Hand in Hand gestorben sind,<br />
so knapp hintereinander, dass die Trauergemeinde immer wieder den schwachsinnigen Vergleich mit<br />
Papageien bemühte – Papageien nämlich sterben vor Kummer, wenn sie ihre Partner verlieren, sie<br />
der sargträger<br />
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