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Bretter - ORF

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formuliert: „Hast du wieder deine Kreditkarte eingesteckt?“<br />

Ich hatte müde von meiner qualvoll verzogenen Schreibmaschine aufgesehen: „Ja!?“<br />

Und sie hatte erwidert: „Soll ich mir dann hier draußen den Arsch abfrieren, oder was?“<br />

Gegen Mitternacht, als der Sekt und die Brötchen langsam zu Ende gingen, folgte ich Ate in jeden<br />

Winkel des Hauses, das wie ein buntes Loch betrunkene Kollegen und schlechte Musik ausspie.<br />

Mich interessierte die Laune der Gäste überhaupt nicht mehr, auch wenn ich ab und an Lust bekam,<br />

den Partyschreck zu geben.<br />

In der Tat hatte ich andere Träume umzusetzen: Jede Nacht erschien mir mittlerweile dieselbe<br />

Szene, in der Ate als Stewardess verkleidet war. Wir bumsten auf einer Toilette, wodurch wir unser<br />

Flugzeug verpassten, welches dann vor unseren Augen an einem Felsen zerbarst.<br />

Vierundzwanzig Stunden zuvor wäre ich an diesem Höhepunkt beinahe von Hera erwischt worden:<br />

Ich wachte schweißgebadet auf und sie saß mit einem verregneten Trenchcoat neben mir auf dem<br />

Bett und hauchte dämonische Schwaden in die Dunkelheit.<br />

„Wo kommst du her?“, fragte ich, nachdem der erste Schreck sich gelegt hatte. „Deine Frisur sieht<br />

so aus, als hättest du dir eine Strumpfhose über den Kopf gezogen.“ Ich hatte keine Ahnung, warum<br />

ich das sagte, aber früher hätten wir beide darüber herzlich gelacht.<br />

„Ich hab ein paar Brandbomben gelegt“, meinte sie gleichgültig und schnippte ein wenig Asche auf<br />

meine Seite des Bettes, wo schon meine ausgeborgte Kreditkarte lag. Bevor ich Gelegenheit hatte,<br />

eine Frage zu stellen, präzisierte sie: „Wegen einem Klienten.“<br />

Und damit hatte sie das Zauberwort gesagt, um unsere Unterhaltung zu beenden.<br />

Von ihrer Kundschaft verstand ich soviel wie von der Traumforschung. In ihrem Büro gab man sich<br />

jedenfalls gerade die Klinke in die Hand: Vom Kulturstaatssekretär über den Vizebürgermeister bis<br />

zur neunzehnjährigen Sänger-Göre inklusive Manager-Tross wollte alle Welt ihren Rat. Nur ich schien<br />

nicht bereit, auf sie zu hören und im Zungenkampf Horst vom Anus des Direktors zu vertreiben.<br />

„Hier geht es auch nicht“, meinte Ate, als sie aus dem Keller kam. Zur Entschädigung begann sie<br />

im Halbdunkel die Innenseite meiner Schenkel zu streicheln, was dem Zündeln bei offenem Gashahn<br />

gleichkam. Natürlich bog im nächsten Moment meine Frau um die Ecke und sah uns beide<br />

an, als würden wir hinter ihrem Rücken das Familiensilber verhökern.<br />

„Was geht denn hier vor?“, fragte sie spitz. Die Marquise stotterte und schluckte, doch ich log gekonnt:<br />

„Mir reicht es! Ich will jetzt wissen, wer sich in meinem Refugium breitgemacht hat!“<br />

Finn saß auf dem Fußboden vor dem Fernseher und machte einen gezähmten Eindruck. Er war<br />

von einem halben Dutzend qualmender Mädchen umringt, die meisten waren die Dienstmägde am<br />

Königshof Ludwigs XV. Wäre Hera nicht dabei gewesen, hätte ich ihm stolz auf die Schulter geklopft,<br />

schließlich heftete er sich bei solchen Partys immer an mich, weil ich angeblich mehr Erfahrung mit<br />

Frauen hatte. Dieser unwissende Tropf lernte erst, was er mir voraus hatte, als ich, eingerahmt von<br />

meinen beiden Nymphen, eintrat.<br />

„Entschuldige“, meinte er plump und funkelte mich mit seinen roten Augen an. „Hast du gewusst,<br />

dass Tomassi da oben ist? Ich bin lieber gleich hier unten geblieben.“<br />

Bevor Hera sich empören konnte, nahm ich ihm wie bei einer Polizeikontrolle das restliche Gras<br />

aus der Hand und schimpfte ihn, ob er denn nicht wisse, „dass das nicht sehr förderlich für seine<br />

Fortpfl anzung war?“. Dann schickte ich ihn, noch mehr Sektkisten aus dem Anhänger auf der Straße<br />

zu holen. Er erhob sich glücklich seufzend, wie ein Hund, der zufrieden war, dass sein Herrchen ihn<br />

noch unter Kontrolle hatte. Ich wollte ihm später seinen Spaß gerne gönnen, aber jetzt hatte ich bei<br />

weitem andere Sorgen.<br />

Wie die Schlange um die gefesselten Kaninchen stolzierte Hera durch die hippen Gören, die sich<br />

auf meinem alten Kellersofa breitgemacht hatten. Sie waren wie Finn, Ate und Horst in ihren<br />

Zwanzigern, also etwa zehn Jahre jünger als Hera und ich. Sie schienen eine Generation zu formen,<br />

der vierzig Programme und die letzte gesicherte Frühpension als Lebensziel reichte. Plötzlich fühlte<br />

ich mich doch auf eine gewisse sentimentale Weise mit meiner Frau verbunden. Das war mindestens<br />

so überraschend wie ein Finalspiel nach 0:3 Rückstand noch ins Elfmeterschießen zu retten.<br />

„Noch nie war der Titel eines Stückes treffender für die Besetzung gewesen!“, fl üsterte sie mir zu, als<br />

wir uns setzten, und ich konnte mir ein ernsthaftes Lächeln nicht verkneifen.<br />

Ate hörte es und schielte genervt zur Decke, bevor sie auf den Pappkisten, in denen ich meine<br />

Manuskripte stapelte, Platz nahm, um sich ebenfalls eine Tüte zusammenzukleben.<br />

Ich merkte schon, meiner Frau begann diese ganze Sache gehörig gegen den Strich zu gehen.<br />

„Warum stört es euch, dass ich euren Chef eingeladen habe, er ist doch ein netter Mann?“<br />

bretter<br />

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