Bretter - ORF
Bretter - ORF
Bretter - ORF
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
geklagt. Dann überlegte ich, dass das Theater mir langsam so vorkam wie mein eigenes Elternhaus.<br />
Zuerst hatte die Liebe meinen Eltern die Augen verbunden, dann hatten sie sich jahrelang ohne<br />
mit der Wimper zu zucken, ins Gesicht gelogen und heute gaben sie nach außen hin immer noch<br />
das perfekte Bild ab. Aber auch wenn ihr Haus immer frisch gestrichen war und der Garten von<br />
blühenden Apfelbäumen gesät, wollte in keinem Abfl uss das Wasser an dem Unrat der Leitungen in<br />
den Wänden vorbei in die Freiheit fl ießen.<br />
Ich selbst hätte irgendwann (vor einer Epoche!) jeden umgebracht, der sich meiner Frau genähert<br />
hätte. Und ich hatte sie geliebt, für eben jenen Einfl uss, den sie auf mich ausübte. Mittlerweile<br />
wusste ich: Es war bedenklich, wo die Liebe einen hinführt, und zugegeben: Es ist am schwersten,<br />
mit einer Frau zusammenzuleben, auch wenn das nie eine Ausrede sein darf.<br />
Da von mir wieder keine Unterstützung kam, stand Ate auf und sagte, sie hätte eine Idee, wie sie<br />
Horst beschäftigen könnte. Hera sah ihr nach, so als hätte sie ihr auf der Stiege eine Bärenfalle<br />
aufgestellt. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich nie geglaubt, dass die beiden Schwestern<br />
waren.<br />
Heras Meinung zu unserem Theaterproblem stützte sich übrigens wie in einer Ansprache des<br />
Bundeskanzlers auf die bloßen Wirtschaftsdaten.<br />
„So ist das nun Mal, wenn ein Schiff vor dem Kentern steht“, sagte sie trocken. „Seid froh, dass ihr<br />
keine Gewinne einfahrt, dann würde er mit der Peitsche über euch herfallen, Feuer spucken und<br />
noch mehr Entlassungen vornehmen.“<br />
Die kiffenden Hippies verstanden keinen Deut von dem, was sie sagte. Aber ich wusste: Sie hatte<br />
Recht. Es war das Paradoxon unserer Zeit, wenn auch gleichzeitig der schwächste Trost.<br />
„Alle machen mit“, sagte Ate später, wir waren endlich allein und sie spielte schon wieder an den<br />
Knöpfen ihrer Bluse herum. „Nur du weigerst dich noch.“<br />
Als wir Hera und den Keller wieder verlassen hatten, hatten mich tatsächlich Schuldgefühle geplagt.<br />
Ich fühlte mich wie der Vater der Crew, wollte sie nicht länger im Stich lassen und außerdem meiner<br />
frisch Angebeteten beweisen, wozu ich fähig war. „Ich werd euch helfen“, versprach ich also und<br />
sah ihr trotz der Dunkelheit tief in die Augen. Ich wusste: Sie nahm es nicht so genau in diesen<br />
Dingen. Sie war zu glücklich und beseelt, überhaupt auf der Welt zu sein. Sie war wunderschön<br />
und talentiert und im Grunde ein einfaches Opfer, auch wenn ich ihr Schwager war. Gerade diese<br />
Tatsache machte ihr im Übrigen nichts aus, sie hatte das, was man dem Stereotyp nach eine<br />
französische Lebenseinstellung nennt: Sie nahm es nicht so genau, wer hier wen vögelte und wer<br />
ganz woanders seit einer Dekade verheiratet war. Finn hatte den Innenraum des Anhängers leer<br />
geräumt und sämtliche Flaschen auf die Wiese gestellt, auf die nun tatsächlich einige erste Flocken<br />
niedergingen. Im ersten sanften Gestöber war ich an Horst vorbeigegangen, der im Garten stand<br />
und ahnungslos mit seinem Handy telefonierte. Ate saß schon auf den leeren Kisten in einem<br />
einigermaßen leeren aber warmen Raum und erhellte die Dunkelheit mit der Glut eines weiteren<br />
Joints.<br />
„Kann er uns nicht erwischen?“, fragte ich ein wenig besorgt.<br />
„Er frisst mir aus der Hand“, antwortete sie. Sie hatte ihn losgeschickt, um irgendeinen fi ktiven<br />
Ohrring zu suchen, den sie angeblich im Schnee verloren hatte. Ich dachte, es war wirklich an der<br />
Zeit, dass die beiden Kinder bekamen.<br />
„Ich werde euch schon noch helfen“, versprach ich wieder. „Es ist nur so, dass ich sehr sensibel<br />
reagiere, wenn etwas meine eigene Freiheit angeht. Ich bin nicht gern der Unterworfene.“<br />
Wieder gab sie keine Antwort und tat so, als hätte sie mich gar nicht gehört. Also legte ich ihr<br />
einen Finger auf den Oberschenkel, danach die ganze Hand. Das war zwar riskant, aber manchmal<br />
machte einen die Müdigkeit kühn.<br />
Wir küssten uns, lange und ausgiebig. Ich hatte nicht mehr gedacht, noch einmal etwas so<br />
Aufregendes erleben zu dürfen. Als wir pausierten, schwebte ich eine Sekunde lang im luftleeren<br />
Raum. Dann begann mich plötzlich irgendetwas massiv an ihr zu stören. Wieder schossen diese<br />
Fragen durch mein Hirn: War sie im Grunde nicht viel zu jung und zu uninteressant für mich?<br />
War sie nicht plump und dumm? War sie nicht ein Rädchen in einem System, das ihre Schwester<br />
erfunden haben könnte?<br />
Sie bemerkte meine Zweifel und begann wieder, mich mit ihren Spielen verrückt zu machen. Ich<br />
wusste, sie würde trotz der harten Sektkisten, der kalten Nacht und des gemieteten Automobils einen<br />
unglaublichen Fick abgeben. Ich wusste, sie wäre bereit, vor meinen Augen an sich herumzuspielen,<br />
damit mir mein letzter klarer Gedanke verenden würde. Während ich zögerte, hörte ich von irgendwo<br />
in der Peripherie eine leise Musik lauter werden, so lange wie es dauert, eine Tür auf- und wieder<br />
bretter<br />
48