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Bretter - ORF

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Constantin Göttfert<br />

geboren 1979 in Wien. Wächst mit zwei älteren Brüdern in einer Kleinstadt in der niederösterreichischen<br />

Steppe auf, schon früh zieht es ihn nach Wien. Aufenthalte in den USA und Finnland<br />

folgen, begleitet von einer wachsenden Liebe zur Literatur und Musik, die keinen Zenit erreichen<br />

wird. Er absolviert ein Studium an der pädagogischen Akademie, verwirft die damit verbundenen<br />

Zukunftspläne jedoch sogleich und ist mittlerweile dabei, sich mit dem Studium der Germanistik in<br />

Wien selbst den größten Gefallen zu tun. Nebenbei arbeitet er als Übersetzer und Assistent einer<br />

Ideenschmiede.<br />

Vernagelung<br />

Ich war Stunden in der Werkstatt gestanden und hatte Nägel in <strong>Bretter</strong> geschlagen. Mein Arm<br />

schmerzte. Alle, jeden einzelnen, hatte ich wieder herausgezogen und befühlte nun die rostigen<br />

Eisenteile zwischen Daumen und Zeigefi nger, zählte sie ab ohne hinzusehen. Erst als ich sicher<br />

war, keinen vergessen zu haben, steckte ich den Hammer durch die Schlaufe meiner Hose und die<br />

Nägel in die Hosentasche. Dann öffnete ich die Haustür, drückte schwach wie ein Kranker die Klinke<br />

herunter und sah Klara über das Kind gebeugt. Bei jedem Schritt schlugen die Spitzen der Nägel<br />

gegen meine Oberschenkel.<br />

Ich müsse essen, sagte sie ohne aufzusehen. Wer arbeite, müsse auch essen. Ihre Hand am Kopf<br />

des Kindes wie um es zu verdecken. Am Tisch stand ein Topf Suppe. Ich tauchte die Kelle ein und<br />

aß.<br />

Ein Meter zwanzig Länge, sagte sie. Das müsse sich ausgehen. Meine Haut war mit einer feinen<br />

Schicht Holzstaub überzogen. Die Hände wie Teile einer Maschine, deren Funktionieren ich bis vor<br />

kurzem nicht in Frage gestellt hatte. Ich sah, wie sich der feine Staub, der mir überall vom Körper<br />

fi el, mit der Suppe vermengte, rührte, bis nichts mehr davon zu sehen war und führte langsam den<br />

Löffel zum Mund. Das Gemüse war so weich, dass ich es mit der Zunge am Gaumen zerdrückte.<br />

Klara stand auf und ich sah das Kind, das sie die ganze Zeit über mit ihrem Körper verdeckt hatte, in<br />

der Wiege liegen. Dann ging mein Blick weiter, verfolgte die Schnur an der Wiege bis zu Klaras Hand,<br />

die sie hielt, als sie sich zu mir an den Tisch setzte. Ihre Handbewegung erfolgte im immer gleichen<br />

Rhythmus, als würde sie eine ständig wieder kehrende Fliege von ihrer Haut verscheuchen.<br />

Du warst fl eißig, sagte Klara. Ich nickte und log. Die Nägel, die ich beständig und gewissenlos<br />

Stunde für Stunde um ihre Bestimmung gebracht hatte, rieben an meine Oberschenkel. Davon,<br />

dass sie <strong>Bretter</strong> miteinander verbinden sollten, wollte ich nichts wissen.<br />

Den ganzen Tag über das Schlagen deines Hammers, sagte sie. Wie das Ticken einer Uhr. Ich sah,<br />

wie der Zeigefi nger aus ihrer Faust schoss wie ein Pfeil, dessen Bestimmung es war, den Hammer<br />

zu treffen, den ich immer bei mir trug und den sie nie erreichen durfte. Wo ihr Finger endete,<br />

verlängerte sie ihn in Gedanken. Unsere Augen trafen einander zum ersten Mal, seit ich die Stube<br />

betreten hatte, und sofort verriet sie sich, wie sie sich immer verraten würde. Ich steckte meine<br />

Hand in die Hosentasche und zählte die Nägel.<br />

Unser Kind hatte nie gesprochen. Ich hätte es in den Arm nehmen können wie Väter es taten, aber<br />

der Gedanke war mir unerträglich, geradezu blasphemisch. Unvorstellbar, dass es ein Mensch war,<br />

dachte ich, als mein Blick das Gesicht in der Wiege streifte. Die Augen wie mit Harz verklebt, der<br />

blanke riesige Schädel mit einer hauchdünnen Hautschicht überspannt. Als Klara aufhörte, die<br />

Wiege mit der Schnur zu bewegen, lag unser Kind bewegungslos in den Decken und ich hatte<br />

plötzlich den Griff meines Hammers in der Hand. Etwas riet mir, ihn weit von mir zu werfen. Das<br />

Wort Unglück stand im Raum. Aber stattdessen packte ich ihn immer fester, bis ich das Blut in der<br />

Faust pochen spürte. Ich wusste, dass Klara zusah, dass ihre Augen diesen Hammer fi xierten, mehr<br />

noch als ihr Kind, mehr noch als mich. Ich konnte ihr Begehren fühlen, meine Hand mit ihrer zu<br />

tauschen, nur für eine Sekunde den Griff zu halten. Gedanken, dass sie mich längst verlassen hätte,<br />

hielte ich nicht den Hammer in meiner Hand, mehr noch: Ich wäre ihr nutzlos wie ein zerbrochener<br />

Teller.<br />

Ich sah zurück in Klaras Augen. Mir war nicht aufgefallen, wie traurig sie war. Mir war nicht aufgefallen,<br />

wie traurig sie war, weil mir nicht aufgefallen war, wie traurig ich war. Ihre Hand zog wieder an der<br />

vernagelung<br />

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