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Bretter - ORF

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Vor einigen Monaten hat er dann damit begonnen, ein kleines Gartenhaus zu bauen. An einem<br />

Mittwoch ist Lisa nach Hause gekommen und hat mir gesagt, ich solle aus dem Fenster schauen.<br />

„Schau, Mama, die bauen etwas!“, hat sie gemeint. Zuerst hat Herr Ranter zwei Holzböcke aufgestellt,<br />

direkt vor seinem Haus im Garten. Danach sind einige seiner ehemaligen Kollegen gekommen – sie<br />

haben ihm Eichenbretter gebracht, noch unverarbeitet. Herr Ranter hat ein Brett nach dem anderen<br />

auf die beiden Holzböcke gelegt und begonnen, sie zu streichen. An manchen Tagen ist Lisa zu ihm<br />

gegangen und hat sich vor ihm in die Wiese gesetzt, um ihm zuzusehen. Während dieser Zeit kehrte<br />

auch das Lächeln auf seine Lippen zurück. Als die <strong>Bretter</strong> geschnitten waren, begann er daraus ein<br />

kleines Häuschen zu bauen. Vom Küchenfenster aus konnte ich sehen, wie es wächst.<br />

Ende Juli ist es fertig gewesen. „Morgen sollen wir alle kommen!“ hat Lisa zuhause erzählt. Gerade<br />

als ich Luft holte, um zu formulieren, warum ich nicht kommen werde, sagte meine Mutter „Das<br />

ist wunderbar, wir kommen gerne! – Lisa, lauf gleich noch einmal rauf und frag, was wir mitbringen<br />

können!“. Als Lisa das Zimmer verließ, haben wir uns angesehen ohne etwas zu sagen.<br />

Der nächste Tag war ein Sonntag. Ich bin erst gegen 9:00 aufgestanden und habe Frühstück gemacht.<br />

Wie immer konnte ich dabei in den Nachbargarten sehen. Zuerst sah ich Herrn Ranter. Er<br />

stand ziemlich starr mitten in seinem Garten. Das Gartenhaus vor ihm war ein Haufen schwarzer<br />

<strong>Bretter</strong>. Schnell rannte ich die Stiege hinunter – „Jemand hat es angezündet“, sagte meine Mutter,<br />

die bereits vor unserem Haus stand. „Es war schon in der Früh, in etwa 5:00. Ich wollte euch nicht<br />

wecken …“<br />

Als ich mich umdrehte, sah ich Lisa in unseren Garten laufen. Sie hatte ein Versteck, ganz hinten<br />

bei einem Wacholderbusch, wo sie immer hinging, wenn sie sich vor der Welt verkriechen wollte. Ihr<br />

Gesicht war voller Tränen. Herr Ranter stand vor den Trümmern und zündete sich eine Zigarette an.<br />

„Mach dir nichts draus, Papa.“ sagte Marianne. „Du kannst das jederzeit wieder machen – es waren<br />

ja nur ein paar alte <strong>Bretter</strong>.“ Herr Ranter hat nichts gesagt und ist ins Haus gegangen.<br />

bretter<br />

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