Bretter - ORF
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ich Verantwortung hatte: für Disziplin, für meine Männer, für die Aufseherinnen, für die Produktion,<br />
für die Tiere, für die Häftlinge? Nein, ich sage Ihnen, bei diesem Prozess geht es in Wirklichkeit um<br />
etwas ganz anderes, nur kann man das nicht offi ziell sagen!<br />
Worum? Na, eben um den Zaun, meine schönen <strong>Bretter</strong>! Ob der Vorfall mit der Russin damit überhaupt<br />
zusammenhing, weiß ich nicht, glaube ich auch nicht. Jedenfalls hat Baer, der Nachfolger von Höß<br />
und Liebehenschel, davon nichts erwähnt in jenem Schreiben vom Juni 1944. Angeblich kam die<br />
Meldung aus Berlin, direkt aus dem Reichssicherheitshauptamt. Gemäß Verordnung Nr. sowieso,<br />
RSHA-Drucksache, seien die Umzäunungen in allen Stamm- und Nebenlagern auf dem gesamten<br />
Reichsgebiet, im Generalgouvernement und in den inzwischen judenfreien Ge-bieten im Osten<br />
einheitlich zu gestalten. Draht oder Stacheldraht, mindestens 350 cm Höhe, Be-festigungspfosten<br />
alle fünf bis zehn Meter. Ab 250 Insassen solle der Zaun zudem unter Strom gesetzt werden. Die<br />
Wachmannschaften seien zu ihrer Sicherheit zu instruieren.<br />
Ich habe Baer, mit dem ich deutlich besseren Umgang hatte als mit Liebehenschel, sofort kontaktiert<br />
und ihn gebeten, für Babitz eine Ausnahmeregelung zuzulassen. Ich habe ihm erklärt, wie ich den<br />
Zaun persönlich gepfl egt, alle <strong>Bretter</strong> einzeln immer wieder auf Beschädigungen überprüft hatte,<br />
und ihm auch den Zusammenhang von Ordnung, Sauberkeit und Disziplin im Lager mit der durch<br />
den Zaun bedingten guten Atmosphäre geschildert. Er halte das alles für nachvollziehbar, hatte Baer<br />
gesagt, aber die Weisung komme eben direkt vom RSHA. Da könne er nichts machen. Er riet mir,<br />
dem Befehl umgehend nachzukommen und den <strong>Bretter</strong>zaun – „auch den äußeren!“ – einreißen zu<br />
lassen. Er wollte mir auch ein paar Gefangene schicken, die für diese Arbeit einzusetzen seien.<br />
Wie? Was? Sie meinen, der Befehl sei Folge eines Großauftrages der SS an einen drahtproduzierenden<br />
Betrieb, der zuvor mächtig geschmiert habe? Das hat mir der Baer auch erzählt, aber ich kann<br />
das nicht glauben. Nein, nein, das war schon mehr oder minder direkt gegen mich gerichtet!<br />
Sie können sich vorstellen, junger Mann, was das bei uns auslöste! Ich hatte zuvor noch nie<br />
irgendeinen Befehl verweigert, aber das ging zu weit. Und ich wusste auch schon genau, wem ich<br />
das zu verdanken hatte. Das waren diese SS-Kasper von der Einsatzgruppenverwaltung, die mir<br />
seinerzeit den Sprung nach Babitz missgönnten. Und denen offenbar auch nicht gefi el, was sie über<br />
die geordneten Zustände von Babitz hörten. Da hatten sie nichts Besseres zu tun, als mich über<br />
meinen Zaun zu treffen.<br />
Unwahrscheinlich? Na, hören Sie, das liegt doch auf der Hand! Die Protektion durch Dr. Achamer-<br />
Pifrader, das hat man in diesen Kreisen nie überwunden. „Donau-Gruppe“, hieß es verächtlich. Es<br />
hat nicht lange gedauert, bis man in Berlin intrigierte. Das RSHA war eine einzige Schwatzbude!<br />
Und dann hat man mit kleinen Sticheleien wie diesem blödsinnigen Zaun-Befehl systematisch die<br />
besten Männer drangsaliert.<br />
Der Riss ging im Grunde durch die gesamte SS. Die einen, aufrechte Deutsche mit klarem Ziel<br />
und scharfem Verstand, denen die Grundideen einer Eliteeinheit nie entglitten, die anderen,<br />
die Germanenschwätzer, die Mythenheinis, die Ordenstrottel, die nicht davor zurückscheuten,<br />
rumänische, lettische, estnische, ukrainische SS-Einheiten aufzustellen. Warum nicht gleich ein<br />
jüdisches SS-Kommando? Der Himmler, den ich zuerst verehrt habe: Nach dem Brief war der für<br />
mich nur noch der „Reichsführer Arschloch“. Am Schluss dann auf die Kapsel beißen, das sah ihm<br />
gleich.<br />
Nein, mein junger Freund, da ist nichts unwahrscheinlich. Das war eine gezielte Aktion gegen mich.<br />
Da sollte Unruhe ins Lager gebracht werden und ich wette, die spekulierten auch auf Ausbrüche.<br />
Ich wollte partout keinen anderen Zaun als diese schönen doppelten <strong>Bretter</strong>, die im Übrigen ihren<br />
Zweck ja auch voll erfüllten. Ein Drahtzaun, am besten noch unter Strom – das hätte dem Geist<br />
des Lagers widersprochen. Stellen Sie sich doch bitte vor, was das für Unruhe bringt, wenn sich<br />
der erste Häftling gegen den Zaun wirft. Ich wollte diese Zustände wie im Stammlager nicht, und<br />
das war auch überhaupt nicht nötig. Also ignorierte ich zunächst den Befehl und schob vor, viel<br />
Verwaltungsarbeit zu haben. Auf Nachfrage von Baer Anfang August orderte ich zunächst einige<br />
Kilometer Stacheldraht, was wie der Beginn der Umrüstaktion aussehen sollte. Ich ließ den Draht<br />
aber in den Zwischenraum zwischen den <strong>Bretter</strong>n versenken. Meines Erachtens nach war dies ein<br />
guter Kompromiss, denn die Fluchtgefahr sank und der Anblick, den ich zu zwei Seiten des Zauns<br />
aus meiner Schreibstube hatte, wurde mir nicht verschandelt. Als dann Ende August für mich<br />
völlig überraschend sämtliche Frauen des Lagers – inzwischen über 500 – abgezogen, zuerst nach<br />
Birkenau und dann in verschiedene Lager nach Deutschland verschafft wurden, sah ich erst recht<br />
nicht ein, warum für die verbliebenen etwa 150 männlichen Gefangenen mein Zaun eingerissen<br />
interview mit einem unbescholtenen<br />
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