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Bretter - ORF

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hören auf zu fressen und zu trinken und warten geduldig, bis sie tot vom Baum fallen. Ein bisschen<br />

war es wirklich so gewesen, Opa hatte nach Omas Tod sein Gebiss ausgespieen, seinen faltigen<br />

Mundtrichter für immer versiegelt und war drei Tage später aus seinem Rollstuhl gekippt, mausetot,<br />

vertrocknet. Wir nickten damals also beipfl ichtend, wenn die Papageientheorie tröstend gespendet<br />

wurde, meine Hände unter dem Tisch aber verselbständigten sich – in meinem ins unermessliche<br />

steigenden Grant zupfte und riss ich mir im Verborgenen die Haut um die Fingernägel blutig.<br />

Kurz darauf ereignete sich das in den Medien als „Autobahn Tragödie“ bezeichnete Verscheiden<br />

meiner Eltern, die durch die Wucht eines Lastwagens voller saftiger, rot glänzender Äpfel zu Tode<br />

gequetscht worden waren; am Steuer des geisterfahrenden Lasters saß ein besoffener, steirischer<br />

Mostbauer. Irgendjemand hatte mich zum Unfallort gebracht, die Aufräumarbeiten hatten noch<br />

nicht begonnen und aus dem Führerhaus des Krankenwagens hatte ich einen guten Blick auf das,<br />

was die Tücke der physikalischen Kräfte von meinen Eltern übergelassen hatte. Der Renault meiner<br />

Eltern sah nachher aus wie ein Teil der fruchtigen Ladung, so klein und würfelig inmitten einem Meer<br />

von Äpfeln und Kisten, und obenauf wie Schokospäne auf einem feinen Nachtisch die zerborstenen<br />

<strong>Bretter</strong> der Paletten. Meine Eltern selbst waren wohl zu einer Art Gulasch oder gar Brei geworden,<br />

zumindest schloss ich das aus der Tatsache, dass man mir ihren Anblick entschieden verwehrte.<br />

Die Organisation von Begräbnissen wurde zu einer erschöpfenden Routine, die mich dergestalt in<br />

Anspruch nahm, dass ich meinen eigentlichen Vollwaisenstatus erst nach der Doppelbeerdigung<br />

meiner Eltern realisierte, nämlich, als ich mich beim Leichenschmaus zwischen Menschen<br />

gepfercht fand, die in konzentrierter, gefasster Gier ihre Wiener Schnitzel zersäbelten und in<br />

sich hineinstopften, eine Demonstration geschlossener Gleichgültigkeit. So war das Leben nun<br />

mal; gegen Ende gibt es meist noch einige grausliche Details über unkontrollierte Körpersäfte,<br />

Schläuche usw., dann wird gestorben, beerdigt und im Wirtshaus wieder die Kurve gekratzt,<br />

schnell zurück in das Mahlwerk des Verdrängens, denn das Leben muss weitergehen, „wird scho´<br />

wieder, gehen´s Fräulein, bringen´s mir noch ein Krügerl“. Alle außer mir hatten jetzt fl eischliche<br />

Bedürfnisse, Appetit, Durst, Bedarf nach Berauschung. Eine wohlmeinende Hand lud mir<br />

Schweinsbraten und Knödel auf meinen Teller und eine weibliche Stimme säuselte mir beruhigende,<br />

zum Essen ermunternde Worte ins Ohr. Der Gedanke an Dinge im Mund haben, Kauen, und<br />

überhaupt, Schlucken, war lächerlich. Die Wucht der Einsamkeit traf mich überraschend, aber<br />

gut gezielt. Damals hatte ich mich erhoben und am Klo eingesperrt. Es war ein altmodisches,<br />

mittelschlecht riechendes Klo mit rissigem Steinboden, einer Holzbrille und einer in ein feines<br />

Netzwerk zersprungenen Klomuschel, in dessen Labyrinth ich so lange hineinstarrte, bis der<br />

Brechreiz sich darin verlor wie ein böser Traum. Etwas legte sich auf mich, eine kühle, schwere<br />

Decke, nicht daran denken, nicht daran denken, nicht daran denken. Der Wunsch zu weinen wurde<br />

in kalte Umschläge eingepackt und für später aufgehoben.<br />

Dann ging ich zurück und stand die Feier bis zum Ende durch. Die letzten Gäste waren zäh, und<br />

nachdem sie satt gefressen hatten und mit Alkohol abgefüllt waren, rang es ihnen am Ende dann<br />

doch noch glaubwürdige Traurigkeit ab. Nachdem dann die übrig gebliebenen Tanten und Onkel mit<br />

von Tränen süffi gen Augen ihre schlaffen, nassen Wangen an meiner trocken gerieben hatten und<br />

gegangen waren, blieb ich im Gastzimmer zurück wie ein ungeliebter, vergessener Gegenstand. Die<br />

eintrocknenden Tränen spannten auf meinen Wangen, daran wagte ich zu denken; es fühlte sich<br />

nicht gut an, aber auch nicht schlecht.<br />

So ist es jetzt immer noch. Alles, was sich geändert hat, ist, dass mir der Mundraum viel zu klein<br />

geworden ist, ungefähr so, als hätte man eine Schlehe gegessen, die die Mundschleimhaut in null<br />

komma nix zusammenschnurren lässt. Essen ist noch schwieriger geworden. Seit dem Klobesuch<br />

am Begräbnis meiner Eltern ist meine Trauer wie hinter einem dunklen <strong>Bretter</strong>verschlag verborgen,<br />

schläft dort ruhig und atmet gleichmäßig. Etwas fl üstert mir zu, „Du darfst diesen Zustand jetzt<br />

nicht ändern, die kühle Einsamkeit ist erträglich; alles andere würde aus Dir hervorplatzen und Dich<br />

spalten“. „Ja“, pfl ichte ich still bei.<br />

Der Trauerzug hat sich langsam vorwärts geschlängelt, bald bin ich dran, mein Scherfl ein dazu<br />

beizutragen und ein bisschen Erde auf den Sarg zu werfen. In kann es schon hören, das Geräusch<br />

des rituellen Verschüttens, zuerst Platsch, und dann ein leises Rieseln, fast gleichzeitig, aber eben<br />

nur fast. Der Redefl uss der Salzburgerin vor mir ist auch endlich versiegt; ich frage mich, ob sie jetzt<br />

vielleicht wirklich ein bisschen traurig geworden ist, so in unmittelbarer Sargnähe, und ich vergönne<br />

ihr eine ausgewachsene Angst vor dem Tod. Platsch, Riesel. Gleich bin ich dran. Die Salzburgerin<br />

sieht beim aktiven bzw. bemühten Trauern gleich noch älter aus. Aber was mich wirklich überrascht,<br />

der sargträger<br />

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