Bretter - ORF
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Schon lange beschlich mich dieses Gefühl, dass eine unsichtbare Gottheit sich in meinem Haus<br />
breitgemacht hatte. Aber andererseits hieß es, jeder Schriftsteller fi nge irgendwann an, an der<br />
Realität zu zweifeln.<br />
Hera schlich auf ihre geheimnisvoll manipulative Weise durch die Zimmer und regelte den Ablauf<br />
der Feierlichkeiten in ihrer typisch korrekten Strebsamkeit. Als ich die Sektkisten einkühlte, war ich<br />
wütend genug und fuhr sie stürmisch an: „Wie konntest du nur?“<br />
„Was denn?“ meinte sie in einer gelangweilten Reposte.<br />
„So eine Party geben!“, giftete ich.<br />
Wenn ich meiner Freiheit beraubt war, ging mir die Wut überhaupt nicht mehr aus. Unten mixten<br />
sie meine Fruchtsäfte mit der von mir bezahlten Puffbrause und wurden jedem Klischee einer<br />
orgiastischen Gesellschaft gerecht.<br />
„Ok, es ist das erste Mal, aber ich verspreche, ich mache eine Tradition daraus“, erwiderte sie. Wie<br />
so oft, war das genau, was ich nicht hören wollte. Und wie noch öfter, schaffte sie es sogleich, dass<br />
es mir noch schlechter ging: „Ich dachte, ich lade deinen neuen Direktor ein, damit du ihm mal von<br />
deinem neuen Stück erzählen kannst.“<br />
Nach diesem Satz war ich eine Stunde alleine auf dem Rand der Badewanne sitzen geblieben und hatte<br />
eine ganze Flasche geleert. Mir war, als hätte ich mich auf meiner eigenen Beerdigung zu<br />
besaufen, weil das irgendwann mein letzter Wunsch gewesen war.<br />
Nachdem wir aufgegeben hatten, einen Platz zu suchen, an dem wir uns endlich ungestört küssen<br />
könnten, hatte Ate dann ihren Stecher, diesen Horst, getroffen und damit war der Abend praktisch<br />
gelaufen, weil er sie ständig vor sich herschob, um sich beim Direktor einzuschleimen. Trotz seiner<br />
sichtbaren Inkompetenz war er mittlerweile für den Spielplan verantwortlich und nannte den Direktor<br />
„Rupert“ anstatt „Herr Tomassi“, wie jeder andere es tat. Ob Nach mir die Sintfl ut! ein Erfolg werden<br />
würde oder nicht, war ihm dabei so egal wie mir die aktuelle Scheidungsrate. Solange er nach der<br />
letzten Vorstellung ein Parteibuch sein eigen nennen konnte, war er so zufrieden wie ein Astronaut,<br />
der auf die dunkle Seite des Mondes fährt.<br />
Hera hatte immer von mir verlangt, mir auch so ein Buch anzuschaffen. Dazu musste man wissen:<br />
Manche trauten ihr zu, Las Vegas gegründet zu haben oder Mitglied bei Scientology zu sein.<br />
Sie hatte einen dieser englischen Business-Titel, an den man sich fünf Minuten, nachdem man ihn<br />
gehört hat, nicht mehr erinnern kann. Ich hatte nie den Drang gehabt herauszufi nden, worum es<br />
in ihrem Beruf eigentlich ging. Ich kannte zwar das Büro, in dem sie arbeitete, einen Großteil ihrer<br />
Kollegen sowie diesen jungen Pförtner, der ihr wie ein geiler Automat immer auf die Backen sah,<br />
wenn sie morgens und abends durch die Drehtür schlüpfte. Aber immer, wenn sie mir von ihrem<br />
Job erzählte, kam ich mir wie ein Kleinkind vor. Ich fi ng einzelne Wörter auf und versuchte etwas<br />
Konkretes daraus zu formen, aber ich konnte mir einfach nicht erklären, wofür ihre Tätigkeit gut<br />
sein sollte. Wenn man mich fragte, sagte ich immer, es hatte wie so vieles irgendwie mit Controlling<br />
zu tun.<br />
Früher war sie ein lebenslustiger Geist gewesen, der die Nacht zum Tag machen konnte und mich<br />
zwischen den Polstern zu Höchstleistungen animierte. Sie war die beste Zuhörerin und liebte es,<br />
wenn ich ihr vor dem Einschlafen noch eine Gesichte erzählte. Als ich am Theater anfi ng, war sie<br />
bester Hoffnungen, dass sie bald in einer Premiere meines eigenen Stückes sitzen würde, aber je<br />
länger dieser Erfolg ausblieb, desto weiter entfernten wir uns voneinander. Irgendwann, so fi el mir<br />
auf, hörte sie mir überhaupt nicht mehr zu.<br />
An dem Tag, an dem ich ein Manuskript, das mir sechs Jahre lang aus dem Ruder gelaufen war, in<br />
tausend Fetzen riss, meinte sie, sie werde sich eine „richtige“ Arbeit suchen. Daraufhin absolvierte<br />
sie verschiedene Praktika, arbeitete unter anderem ein paar Mal im Kulturministerium, später bei<br />
einem alternativen Radiosender, für den sie Literaturwettbewerbe veranstaltete, um letztlich CD-<br />
Compilations, bedruckte Kaffeetassen und trendy Nagelfeilen verkaufen zu können.<br />
Schließlich nahm sie eine Stelle in dieser staatsnahen Berateragentur an, die in den Krone-<br />
Leserbriefen in Verruf geraten war, mit den Freimaurern gemeinsame Sache zu machen. Ab diesem<br />
Moment wähnte sie sich in Sicherheit und stellte mir urplötzlich ihre verschollene Schwester vor, die<br />
auch zum Theater wollte und vielleicht „einige meiner Träume teilen konnte“. Heute staunte ich, wie<br />
sehr sie damit das Schicksal beeinfl usst hatte. Seit damals war ich enttäuscht, dass sie nicht mehr<br />
an meine Fähigkeit zu glauben schien, den Unterhalt für unsere Familie zu erschreiben.<br />
Heute verdiente sie drei Mal soviel wie ich und dominierte jedes Gespräch wie in einer ihrer<br />
geschäftlichen Unterhaltungen. Gestern, bevor sie nochmals das Haus verlassen hatte, hatte sie<br />
plötzlich die Kellertür aufgerissen, mich angeschnauft und in ihrem geliebten, knappen Befehlston<br />
bretter<br />
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