277.TIROL - April 2022
Ausgabe 6, April 2022
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tirol.sportlich und gesund tirol.sportlich und gesund 79<br />
Geh’<br />
weiter, geh’<br />
immer<br />
weiter<br />
Seit rund 60 Jahren kenne<br />
und korrespondiere ich<br />
mit Kurt Diemberger. Ich<br />
habe vor ihm als großen<br />
Bergsteiger großen Respekt.<br />
Und er ist ja noch<br />
immer kräftig unterwegs.<br />
Wishing Kurt a Very Happy<br />
90th Birthday!<br />
CHRIS BONINGTON<br />
LINKS:<br />
„Gerannt bin ich nie, das<br />
hab ich gerne den anderen<br />
überlassen“, erklärt Kurt.<br />
Den Grund dafür schreibt<br />
er mir gleich auf.<br />
(© GemNova)<br />
Kurt war als Einziger dabei, als mein Vater an<br />
der Chogolisa über die Wächte trat und in den<br />
Abgrund gerissen wurde. Danach hatte er die<br />
schreckliche Mission, meiner Mutter Generl die<br />
letzten Habseligkeiten meines Vaters zu übergeben.<br />
Vor allem die Tagebücher. Seitdem ist er<br />
ihr schicksalhaft verbunden, ist ein guter und<br />
treuer Freund geworden. Wann immer er in Salzburg<br />
weilte, hat er auch meine Mutter besucht<br />
und unterstützt. Respekt zu seinem Leben!<br />
KRIEMHILD BUHL MIT<br />
MUTTER GENERL UND<br />
SCHWESTER SILVIA<br />
Das erste Mal haben wir uns im vorigen Jahrhundert<br />
getroffen. Bei irgendeinem Bergfilmfestival.<br />
In Trient, in Salzburg, in St. Anton am Arlberg, wir<br />
wissen es beide nicht mehr. Seitdem sind wir in<br />
Kontakt geblieben. Ab und zu ein Telefongespräch,<br />
eine E-Mail. Am 16. März feierte Kurt Diemberger<br />
seinen 90. Geburtstag. Er, der Erstbesteiger von<br />
zwei Achttausendern. Ein schöner Grund, in Calderino<br />
bei Bologna dieses Interview zu führen.<br />
Als Bergsteiger bist du Extremsituationen<br />
gewohnt. Wie bist du eigentlich<br />
durch die Corona-Pandemie gekommen?<br />
Zuerst bin ich einfach hineingeschwommen,<br />
hab mir nicht viele Gedanken<br />
gemacht. Dann ließ ich mich sofort drei<br />
Mal impfen. Hier in unserer Gegend, vor<br />
allem auch in Mailand, war es ja am<br />
Anfang besonders schlimm. Mit der Zeit<br />
ist mir dieses Virus dann schon ziemlich<br />
auf die Nerven gegangen. Aber ich war<br />
und bin sehr vorsichtig, passe auf, meide<br />
die Menschen. Dass du hier bist, ist eine<br />
große Ausnahme. Eigentlich mag ich das<br />
nicht. Ich möchte niemanden anstecken,<br />
gleichzeitig gehöre ich mit 90 ohnehin zur<br />
Risikogruppe.<br />
Mit 90 darf man schon einen Rückblick<br />
machen. Was hast du in deinem Leben<br />
falsch, was richtig gemacht?<br />
Das jetzt spontan festzustellen, ist<br />
unmöglich, das kann ich nicht. Ich lass<br />
einfach noch ein paar Jahre vergehen, bis<br />
ich ein abschließendes Urteil fälle. Aber<br />
natürlich hab ich vieles falsch, freilich<br />
auch vieles richtig gemacht. Und ja, es<br />
gab in meinem Leben sehr viele prägende<br />
Momente. War es am K2 wirklich richtig<br />
noch weiterzugehen? Hätten wir früher<br />
umdrehen sollen? Ich weiß es nicht.<br />
Du hast in Wien studiert, hast dann<br />
fünf Jahre als Lehrer in Salzburg unterrichtet.<br />
Du hattest also einen sicheren<br />
Job und bist dennoch in die Berge ausgebrochen.<br />
Warum? Würdest du das<br />
heute auch noch so machen?<br />
(Denkt kurz nach.) Ja, ich würde wohl<br />
wieder Bergführer werden. Weil ich gerne<br />
etwas weitergebe, weil mir die Berge<br />
so viel bedeuten. Eigentlich sind mir die<br />
Berge genau so nahe wie die Menschen.<br />
Dabei geht es mir nicht nur um die Achttausender,<br />
nein, mir geht es um den Berg<br />
an sich. Es gibt da so eine Schwingung,<br />
ein – wie sage ich das bloß – eine Anziehungskraft,<br />
die mich mit dem Berg verbindet.<br />
Heute steige ich nicht mehr auf<br />
Berge, hoffe aber mit meinen Vorträgen<br />
Ich habe Kurt vor einigen Jahren bei einem Vortrag<br />
in Brixen kennengelernt. Da habe ich vor<br />
lauter Lachen fast geweint. Er hat so eine schöne,<br />
so eine packende Art zu erzählen. Ich könnte<br />
ihm da stundenlang zuhören. Er ist schon eine<br />
ganz besondere Persönlichkeit.<br />
TAMARA LUNGER<br />
und Büchern doch noch einiges weitergeben<br />
zu können.<br />
Du bist neben Hermann Buhl der einzige<br />
Mensch, der zwei Achttausender<br />
erstbestiegen hat. 1957 den Broad<br />
Peak, 1960 den Dhaulagiri. Hat das<br />
heute für dich noch eine Bedeutung?<br />
Durchaus. Das waren einmalige Erlebnisse.<br />
Dort zu sein, wo vor dir noch niemand war.<br />
Beinahe in die Seele des Berges hineinschweben<br />
zu dürfen. Diese Gipfel hatten<br />
dort oben eine doppelte Wolke. Sie erschienen<br />
mir wie die Schwünge des Geistes der<br />
Berge. Und diesem Kraftfeld durfte ich bei<br />
meinen Expeditionen immer wieder nahekommen.<br />
Dafür bin ich auch heute noch<br />
sehr dankbar. So etwas vergisst man nicht.<br />
Nach dem Broad Peak wolltest du<br />
mit Hermann Buhl noch die Chogolisa<br />
besteigen. Du gingst zehn, zwanzig<br />
Meter voraus, plötzlich war dein<br />
Gefährte weg. Wächtenbruch. Wie lange<br />
hast du daran noch gekiefelt?<br />
Lange, sehr lange. Ein einziger falscher<br />
Schritt, der zwischen Leben und Tod ent-