277.TIROL - April 2022
Ausgabe 6, April 2022
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tirol.sportlich und gesund<br />
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Was mich am Berg so<br />
fesselt, ist das Unbekannte,<br />
das große Rätsel<br />
hinter einer sich ganz langsam<br />
öffnenden Türe.<br />
scheidet. Hermann war viel erfahrener<br />
als ich, konnte mehr, wusste mehr. Und<br />
dann, ein verhängnisvoller Schritt in die<br />
falsche Richtung, in den Tod. Zum Glück<br />
waren wir nicht angeseilt, sonst wäre<br />
auch ich heute nicht hier. Später hab ich<br />
dann immer nach dem Grund gesucht,<br />
nach einem möglichen Fehler. Aber den<br />
gibt es nicht, weil in solchen Situationen<br />
alles blitzschnell geht. Leben. Oder Tod.<br />
Dazwischen gibt es nichts.<br />
1986 ist dir dann mit Julie Tullis endlich<br />
die Besteigung des K2 gelungen. Mit<br />
einem tragischen Ende.<br />
Julie war mein alpiner Lebensmensch. Insgesamt<br />
sind damals in wenigen Stunden<br />
fünf Menschen am K2 gestorben, nur der<br />
Willi Bauer und ich haben den Weg zurück<br />
ins Basislager geschafft. Ein paar Fingerkuppen<br />
mussten mir danach amputiert werden.<br />
Und es ist dieser eine Satz, ich weiß<br />
nicht mehr, wer ihn mir zugerufen hat, den<br />
ich nie mehr vergessen werde: „Heute Nacht<br />
ist uns die Julie gestorben.“ Meine Julie.<br />
Als ich ganz jung war, hab ich sein Buch „Gipfel<br />
und Gefährten“ gekauft und immer wieder gelesen.<br />
Ich hab´s schön in Nylon eingepackt, damit es ja<br />
nicht kaputt geht. Er war und ist ein ganz Großer,<br />
ein wirkliches Vorbild für mich. Außerdem<br />
ist er ein wirklich kreativer Mensch, mit dem<br />
Fotoapparat, der Filmkamera, der Feder. Ich wünsche<br />
ihm nur das Allerbeste – und mir, dass wir<br />
uns bald mal wieder sehen.<br />
HANS KAMMERLANDER<br />
Dein Stil beim Höhenbergsteigen war<br />
ein völlig anderer als jener von Messner,<br />
Habeler oder Kammerlander. Du<br />
hast gerne lange geschlafen, hast dir<br />
bewusst viel Zeit gelassen, dann auf<br />
den Gipfeln der Achttausender auch<br />
Filme gedreht.<br />
Mein Credo war immer: Wer langsam<br />
geht, geht gut. Gerannt bin ich nie, das hab<br />
ich gern den anderen überlassen. Ich hab<br />
vor allem nach meinem Gespür gehandelt,<br />
war grundsätzlich vorsichtig, hatte auch<br />
sehr viel Glück. Vielleicht lebe ich auch<br />
deshalb noch. Wobei: Beim Abstieg war<br />
ich immer schnell, ich bin ja meist am<br />
Hintern abgerutscht. Weil unten, also im<br />
Basislager, wollte ich immer ganz schnell<br />
sein. Auch des guten Essens wegen.<br />
Reinhold Messner beklagt immer wieder<br />
den Verlust des „traditionellen<br />
Bergsteigens“. Wie siehst du das?<br />
BILD:<br />
„Warte, ich muss dir noch<br />
etwas zeigen“, sagt Kurt.<br />
Und spaziert dann gemütlich<br />
ins Haus, um etwas zu<br />
holen. (© GemNova)<br />
Da hat der Reinhold – und auch andere<br />
– schon recht. Was mich am Berg so fesselt,<br />
ist das Unbekannte, das große Rätsel<br />
hinter einer sich ganz langsam öffnenden<br />
Türe. Als junger Kerl wurde ich „Tiefenschürfer“<br />
genannt, weil ich in der Tiefe,<br />
in der Höhe, vor allem in mir selbst, Neues<br />
entdecken wollte. In den Kletterhallen,<br />
auf den ganzen Normalwegen wird man<br />
genau das nicht finden. Darum hoffe ich,<br />
dass das Pendel wieder zurückschlägt<br />
und die Jungen sich vermehrt auf die<br />
Suche nach dem wirklichen Abenteuer<br />
machen. Es gibt ja noch so viel zu tun.<br />
Aber draußen, in der Natur, in den Bergen.<br />
Seit über 40 Jahren bist du mit Teresa<br />
zusammen, lebst hier in der Nähe von<br />
Bologna in deinen Hügeln. Bist du noch<br />
immer täglich zu Fuß unterwegs?<br />
(Lacht.) Ja, ich gehe jeden Tag bis zur Straße<br />
runter und wieder zurück. Ich nenne das „la<br />
posta“, weil dort unten ist der Postkasten. Ich<br />
schaue immer nach der Post, schließlich will<br />
ich ja wissen, was es Neues gibt. Und dann<br />
gibt es noch etwas, mein tägliches inneres<br />
Mantra: Geh’ weiter, geh’ immer weiter.<br />
Hast du eigentlich nie daran gedacht,<br />
wieder zurück nach Österreich, in die<br />
Berge, zu kommen?<br />
(Lacht.) Ich bin ja immer wieder in Österreich.<br />
Am Ossiachersee in Kärnten hab<br />
ich ein Haus, in Salzburg eine Mietwohnung.<br />
Und viele Vorträge hab ich ja ebenfalls<br />
in Österreich gemacht. Aber die<br />
Hügel von Bologna, du siehst es ja selbst,<br />
haben schon einen ganz besonderen Reiz.<br />
Wenn ich von hier heroben ins Tal schaue,<br />
von einem Hügel zum anderen, ist es fast<br />
so, also würde ich am K2 stehen und über<br />
die Welt blicken. Grenzen haben für mich<br />
ja keine Bedeutung. Erst Corona hat die<br />
Grenzen wieder zugemacht. Nicht nur die<br />
zwischen den Staaten. Leider.<br />
Eine letzte Frage noch. Hast du eigentlich<br />
Angst vor dem Tod?<br />
Nein, warum denn? Es gibt ja keinen Grund<br />
dazu. Warum sollen wir vor etwas Angst<br />
haben, dass doch nicht zu ändern ist?<br />
Kurt wird nicht müde, auch die kühler werdende<br />
Temperatur scheint ihm nicht viel<br />
auszumachen. „Ich glaub, wir können die<br />
Maske jetzt kurz abnehmen“, sagt er dann.<br />
Es ist ruhig hier, hoch über Calderino. Der<br />
Blick geht über die Hügel, da und dort zeigt<br />
Als Kurt „seine“ Achttausender<br />
erstbestieg, war ich 13 bzw.<br />
16 Jahre alt. Hermann Buhl war<br />
ein Freund meines Großvaters,<br />
er war oft bei uns zu Hause und<br />
ich kann mich erinnern, dass er<br />
erzählte, Kurt sei bei seiner<br />
nächsten Expedition zum Broad<br />
Peak dabei. Ich habe sie beneidet!<br />
1967 habe ich meine Bergführerausbildung<br />
gemacht, und<br />
plötzlich war auch der Kurt da.<br />
Als Teilnehmer. Das war einfach<br />
unglaublich: der berühmte Kurt<br />
Diemberger mit mir im gleichen<br />
Bergführerkurs. 1974 haben wir<br />
uns im Makalu Basislager erneut<br />
getroffen, auch lange miteinander<br />
geredet. Und dann halt immer<br />
wieder. Kurt ist eine Legende,<br />
ein Vorbild.<br />
WOLFGANG NAIRZ<br />
sich ein Fels. „Ab und zu sehe ich den jungen<br />
Leuten beim Klettern zu. Schon beeindruckend,<br />
was die können. Aber gut, die<br />
meisten kennen mich ja gar nicht.“ Wir<br />
sitzen gemütlich im Freien, machen es uns<br />
nicht in seinem Haus bequem. „Weil meine<br />
Frauen wollen das nicht, Eintritt verboten,<br />
sozusagen.“ Langsam wird es dunkel, Zeit,<br />
uns zu verabschieden. Leicht fällt es nicht.<br />
Ich gehe durchs schwere Tor, das sich<br />
langsam hinter mir schließt. Noch ein Blick<br />
zurück, Kurt steht vor dem Haus, lächelt,<br />
winkt, ruft noch kurz: „Bis zum nächsten<br />
Mal, pfiat di.“<br />
DAS GESPRÄCH FÜHRTE<br />
REINHOLD OBLAK<br />
Gratulation zu<br />
70 Jahren<br />
traditionellem<br />
Alpinismus<br />
und Storytelling.<br />
REINHOLD MESSNER<br />
Kurt hat nicht nur Alpingeschichte<br />
geschrieben, sondern<br />
diese auch gelebt. Als<br />
er etwa bei der Erstbesteigung<br />
am Broad Peak bereits am<br />
Gipfel war, zum unvergessenen<br />
Hermann Buhl abgestiegen und<br />
dann mit ihm nochmals zurück<br />
zum Gipfel ist. Das zeigt<br />
schon eine ganz besondere<br />
menschliche Größe, Hut ab.<br />
Ich durfte mit Kurt und seiner<br />
Bergpartnerin Julie Tullis<br />
am K2 (1984) und am Nanga<br />
Parbat (1985) das Base Camp<br />
teilen, da kommen wunderschöne<br />
Erinnerungen auf. Alles<br />
Gute Kurt, bleib g´sund.<br />
PETER HABELER<br />
STEVE HOUSE<br />
Der größte Erfolg eines<br />
Bergsteigers, einer Bergsteigerin<br />
ist ein hohes<br />
Alter zu erreichen. In<br />
dieser Hinsicht wünsche<br />
ich mir, deinen Spuren<br />
folgen zu dürfen, Kurt.<br />
Genauso, wie auch andere<br />
deinen Spuren in den Alpen,<br />
im Himalaya, im Karakorum<br />
gefolgt sind. Alles<br />
Gute zum Neunziger!<br />
Mehr<br />
zu Kurt<br />
Diemberger