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Menschen aus Stadt und Landkreis Osnabrück

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Außerhalb meines Hoffnungshorizontes<br />

Die Römer hatten sich weitgehend <strong>aus</strong> dem tributum (einer Kriegsanleihe)<br />

finanziert, die sie in ständige Eroberungskriege drängte.<br />

Die deutschen Kaiser mussten die Kosten des Reichs <strong>aus</strong> eigener<br />

Schatulle bezahlen; wählbar waren deshalb nur wenige Großgr<strong>und</strong>besitzer.<br />

„Am Anfang der Demokratie steht die Idee, der Steuerzahler<br />

selbst solle über die Höhe von Staats<strong>aus</strong>gaben <strong>und</strong> Steuern ent -<br />

scheiden. Dieses Verfahren sichere eine maßvolle <strong>und</strong> gleichmäßige<br />

Steuerlast. Doch heute versteht sich der Abgeordnete leider als<br />

Vordenker für neue Ausgaben, also für Steuererhöhungen, nicht als<br />

Garant maßvoller Steuerlasten.“<br />

Mit 31 Jahren wird er Ordinarius an der Westfälischen Wilhelms-Universität<br />

Münster, wird dort Prorektor, hält Vorlesungen im Staats- <strong>und</strong><br />

Steuerrecht. Er wohnt in Havixbeck, hat mittlerweile vier Kinder, ein<br />

Gr<strong>und</strong>stück für ein H<strong>aus</strong> ist auch schon gekauft. Doch dann kommt<br />

„Für ein Amt beim B<strong>und</strong>esverfassungsgericht<br />

kann sich niemand bewerben. Man wird<br />

berufen.“<br />

ein Anruf <strong>aus</strong> Heidelberg, er möge sich auf den Lehrstuhl für Staats<strong>und</strong><br />

Steuerrecht bewerben. Er folgt diesem Ruf, zieht mit seiner<br />

Familie nach Ziegelh<strong>aus</strong>en ins Neckartal, wo er noch heute mit Blick<br />

auf den Königstuhl lebt. Den Gedanken, einmal in Karlsruhe Richter<br />

zu werden, hatte er dabei nicht.<br />

„Für ein Amt beim B<strong>und</strong>esverfassungsgericht kann sich niemand<br />

bewerben. Man wird berufen. Als ich eines Morgens in der FAZ<br />

meinen Namen auf einer Liste des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts las,<br />

war ich sehr überrascht. Daran hatte ich nicht gedacht. Das war völlig<br />

außerhalb meines Hoffnungshorizontes.“<br />

Nach seiner Wahl bleibt er in Heidelberg. Die Kinder gehen dort zur<br />

Schule. Er fährt jeden Tag r<strong>und</strong> eine St<strong>und</strong>e nach Karlsruhe. Das Amt<br />

füllt seine Tage <strong>aus</strong>. Der Zweite Senat, dem er angehört, muss damals<br />

extrem wichtige Entscheidungen treffen. „Wir haben oft tagelang um<br />

das richtige Urteil gerungen, in Fragen der Wiedervereinigung, zum<br />

Vertrag von Maastricht oder dem Euro. Bei vielen dieser Fragen hat<br />

uns der Text des Gr<strong>und</strong>gesetzes oft allein gelassen. Vor allem die<br />

Wiedervereinigung stellte uns vor neuartige Aufgaben. Nach den<br />

Demonstrationen von Leipzig <strong>und</strong> Dresden hat die Welt den Atem<br />

angehalten, ob die Mauer fällt oder gar ein dritter Weltkrieg droht. Die<br />

gesamte Problematik wurde in der Entscheidung über den Einigungsvertrag<br />

bewusst, in dem die B<strong>und</strong>esrepublik <strong>und</strong> die DDR auch<br />

Änderungen des Gr<strong>und</strong>gesetzes beschlossen. Dabei war klar, dass<br />

die Verfassung nicht durch eine Vereinbarung mit einem fremden<br />

Staat geändert werden kann. Die Verfassungsänderung ist das Recht<br />

des Staatsvolkes. Doch die Lösung lag darin, dass der Einigungsvertrag<br />

keine Vereinbarung zwischen zwei Staaten war, sondern vom<br />

deutschen Volk auf dem Weg zur Einheit beschlossen wurde. Der<br />

B<strong>und</strong>estag <strong>und</strong> die Volkskammer der DDR haben als Vertreter des<br />

deutschen Staatsvolkes über diese Änderungen entschieden.“<br />

Heute ist Paul Kirchhof Seniorprofessor für Staats- <strong>und</strong> Steuerrecht<br />

der Universität Heidelberg. Er hält Vorlesungen, betreut Doktoranden,<br />

diskutiert seine Texte mit den Mitarbeitern. Drei seiner Kinder sind<br />

seinem Beispiel gefolgt <strong>und</strong> Juristen geworden. Der Älteste ist Kardiologe<br />

<strong>und</strong> trägt aktuelle Fragen der Medizinwissenschaft in die<br />

Diskussionen der Familie. Der <strong>Osnabrück</strong>er genießt mit seiner Frau<br />

die neugewonnene „Herrschaft“ über die gemeinsame Zeit. | LA<br />

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