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Hänicher Bote | November-Ausgabe 2022

Hänicher Bote | November-Ausgabe 2022 mit dem gewerblichen Sonderthema "Gesundheit & Freizeit"

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24 ALTES HANDWERK<br />

Historische Bauschlosserei und Schmiedewerkstatt<br />

(Gräfenhainichen/HäBo). Der<br />

Schriftsetzer war ein Ausbildungsberuf<br />

im Druckereigewerbe. Er übte die<br />

„Kunst des künstlichen Schreibens“<br />

(Typografie) aus. Ohne die anderen<br />

Berufe herabwürdigen zu wollen: Der<br />

Beruf des Schriftsetzers ist einer der<br />

qualifiziertesten Berufe, der ein sehr<br />

gutes Allgemeinwissen, zudem großes<br />

handwerkliches Geschick und<br />

gründliches spezifisches Wissen, ein<br />

sicheres Sprachgefühl, Sicherheit in<br />

Grammatik und Orthographie, rasche<br />

Auffassungsgabe, geistige Wendigkeit<br />

und präzises Denken, dazu eine<br />

gute, eventuell korrigierte Sehschärfe<br />

und sichere Beobachtungsgabe<br />

verlangt. Nicht<br />

umsonst werden<br />

Schriftsetzer als<br />

die Intellektuellen<br />

unter den<br />

Handwerkern<br />

bezeichnet. Solche,<br />

die in Zeitungsdruckereien<br />

arbeiteten, galten<br />

zudem häufig als<br />

politisch links.<br />

Prominente Beispiele<br />

für Menschen,<br />

die einst<br />

den Schriftsetzerberuf<br />

erlernt<br />

haben, sind der<br />

Politiker Wolfgang<br />

Thierse, der<br />

Schriftsteller Mark Twain und der<br />

Entertainer Karl Dall.<br />

Johannes Gensfleisch zum Gutenberg<br />

(um 1400 – 1468), Patriziersohn und<br />

gelernter Goldschmied aus Mainz, ist<br />

der Erfinder der „Schwarzen Kunst“<br />

und des Drucks mit beweglichen und<br />

wiederverwendbaren Metallettern.<br />

Seine Erfindung ersetzte das bisher<br />

übliche Schreiben und Kopieren von<br />

Büchern per Hand. Gutenbergs spek-<br />

<strong>Hänicher</strong> <strong>Bote</strong><br />

<strong>Bote</strong><br />

16. <strong>November</strong> <strong>2022</strong><br />

August Reinhard stellt alte Berufe vor – Teil 31: Der Schriftsetzer<br />

Wappen der Buchdrucker, Schriftsetzer<br />

und Fotosetzer<br />

takulärstes Werk ist die sogenannte<br />

42-zeilige (pro Seite) lateinische<br />

Gutenberg-Bibel, in nur einer Schriftgröße<br />

mit insgesamt 290 verschiedenen<br />

Schriftzeichen gesetzt, die 1455<br />

vollendet wurde. Der Buchdruck<br />

breitete sich danach in Europa rasch<br />

aus und damit die Umlaufgeschwindigkeit<br />

neuer Ideen, Techniken und<br />

Ideologien. Ohne ihn hätte die Reformation<br />

keine Chance gehabt.<br />

Der Schriftsetzer konnte nach der<br />

Ausbildung sämtliche notwendigen<br />

Schritte ausführen, um aus einem Manuskript<br />

eine fertige Vorlage für den<br />

Druck herzustellen. Dazu musste er<br />

es mit Satzanweisungen versehen, einen<br />

Entwurf anfertigen<br />

und die<br />

spätere Druckform<br />

herstellen<br />

können.<br />

Die älteste Technik<br />

des Setzens<br />

war der Handsatz<br />

(ab 1886 auch<br />

Maschinensatz).<br />

Für Schriftsetzerlehrlinge war es am Anfang nicht einfach, den Setzkasten auf der<br />

schrägen Ablage zu überblicken.<br />

Foto: Privatarchiv<br />

Der Schriftsetzer<br />

setzte die aus<br />

Blei gegossenen<br />

Buchstaben mit<br />

einem Wortzwischenraum<br />

in einen<br />

sogenannten<br />

Winkelhaken,<br />

den er in der linken<br />

Hand hielt,<br />

während er mit den Fingern der rechten<br />

Hand die einzelnen Lettern aus<br />

dem Setzkasten griff. In der Regel<br />

setzte er pro Stunde 1.500 Zeichen.<br />

Da die Lettern aus Blei bestanden,<br />

musste sehr auf Reinlichkeit geachtet<br />

werden, denn die Gefahr einer Bleivergiftung<br />

war sehr groß. Bevor diese<br />

Gefahr erkannt wurde, litten viele<br />

Schriftsetzer an der „Bleikrankheit“.<br />

Schriftsetzer waren zugleich Typografen,<br />

das heißt sie waren auch<br />

zuständig für die Gestaltung des<br />

Schriftbildes. Dafür stellten sie Bildelemente,<br />

wie Klischees (Druckstöcke<br />

zur Wiedergabe von Bildern<br />

und grafischen Elementen, die unter<br />

anderem im Ätzverfahren aus Kunststoffplatten<br />

gewonnen wurden, oder<br />

als Linol- oder Bleischnitt), her und<br />

brachten sie in den Satz ein.<br />

Ein innerbetrieblicher Aufstieg war<br />

der Einsatz als Korrektor. Dieser<br />

las alle Satzarbeiten auf einem Korrekturabzug<br />

auf Rechtschreib- und<br />

typografische Fehler sowie auf Abweichungen<br />

vom Manuskript gegen<br />

und zeichnete die von ihm entdeckten<br />

Satzfehler an. Es entwickelte<br />

sich eine eigene „Druckersprache“.<br />

Doppelgesetztes nannte man „Hochzeiten“,<br />

Buchstaben einer anderen<br />

Schriftart „Zwiebelfische“ und als<br />

„Jungfrau“ bezeichnete man einen<br />

fehlerlosen Satz. Bei Auslassungen,<br />

den „Leichen“, musste der Setzer diesen<br />

ein Grab schaufeln und zwar so,<br />

Links ist eine Linotype, eine Zeilensetz- und Gießmaschine, zu sehen. Auf dem rechten Foto handelt es sich um ein Setzregal<br />

als Bestandteil des Arbeitsplatzes für den Schriftsetzer. Beide Ausstellungsstücke stehen im Museum alter Buchdruckmaschinen<br />

in Gräfenhainichen.<br />

Fotos: (HäBo) Bebber<br />

dass die Zeile durch den eingefügten<br />

Buchstaben oder das eingefügte Wort<br />

nicht zu lang wurde und der ganze<br />

Satz auseinanderfiel. Passierte dies,<br />

wurde von einem „Eierkuchen“ gesprochen.<br />

Leicht zu korrigieren ließen<br />

sich im Vergleich dazu auf dem Kopf<br />

stehende Zeichen, die „Fliegenköpfe“<br />

genannt wurden. Als Handwerkskünstler<br />

wurde auf eine hochwertige<br />

Arbeit sehr viel Wert gelegt, was<br />

sich an den abschätzigen Begriffen<br />

für schlecht ausgebildete und unsauber<br />

arbeitende Kollegen erahnen ließ.<br />

Man nannte sie „Hudler“.<br />

Bleisetzer mussten den Text lesen<br />

können, obwohl er spiegelverkehrt<br />

und „auf dem Kopf stehend“ vom<br />

Körper weg gesetzt wurde. Sie lernten<br />

weiterhin die ausgewogene Gestaltung<br />

ganzer Seiten bis hin zur<br />

Verwendung von Seidenpapierstreifen<br />

zur Anpassung der Abstände zwischen<br />

einzelnen Buchstaben<br />

Eine Besonderheit der grafischen Berufe,<br />

wie Schriftsetzer und Drucker,<br />

war das sogenannte „Gautschen“:<br />

Nach der Prüfung wurden die „Fehler“<br />

aus der Lehre symbolisch abgewaschen,<br />

indem der Geselle in eine<br />

Bütte mit kaltem Wasser getaucht<br />

wurde.<br />

Zur Ausbildung gehörte es, dass ältere<br />

Gesellen und Meister die Schriftsetzer-Neulinge<br />

auf die Existenz<br />

von (nicht existierenden) Bleiläusen<br />

hinwiesen oder einen zu Ordnung<br />

und Sauberkeit erzogen und die Satzspiegel<br />

polieren ließen. Ein weiterer<br />

beliebter Spaß war es außerdem,<br />

Neulinge in die angeschlossene Reproabteilung<br />

zu schicken, um dort tütenweise<br />

Rasterpunkte zu holen.<br />

Im Gräfenhainichener Buchdruckmuseum<br />

kann man noch viel mehr über<br />

den fast ausgestorbenen Beruf des<br />

Schriftsetzers erfahren.

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