23.11.2022 Aufrufe

Kinder- & Jugendgesundheit

Je gesünder unsere Kinder, desto gesünder sind die Erwachsenen der Zukunft! Im Rahmen dieser Ausgabe sprechen Expert:innen und junge Eltern über die aktuelle Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen in Österreich, den Mangel an pädiatrischen Kassenfachärzt:innen und den österreichischen Impfplan.

Je gesünder unsere Kinder, desto gesünder sind die Erwachsenen der Zukunft!

Im Rahmen dieser Ausgabe sprechen Expert:innen und junge Eltern über die aktuelle Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen in Österreich, den Mangel an pädiatrischen Kassenfachärzt:innen und den österreichischen Impfplan.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Eine Themenzeitung von Mediaplanet<br />

Lesen Sie mehr unter www.dergesundheitsratgeber.info/kindergesundheit/ 3<br />

Ein Mangel,<br />

der zur sozialen<br />

Schwelle wird<br />

Es ist ein Alarmsignal, das <strong>Kinder</strong>arzt<br />

Dr. Peter Voitl absetzt. Vor welchen<br />

großen Herausforderungen<br />

<strong>Kinder</strong>ärztinnen und -ärzte und<br />

das gesamte Gesundheitssystem<br />

stehen und welche Forderungen der<br />

Bundesfachgruppenobmann für<br />

<strong>Kinder</strong>- und Jugendheilkunde der<br />

Österreichischen Ärztekammer daher<br />

an die Politik hat, erklärt<br />

er im Interview.<br />

Prim. DDr.<br />

Peter Voitl<br />

Medizinalrat,<br />

Gründer des <strong>Kinder</strong>gesundheitszentrums<br />

Donaustadt,<br />

Bundesfachgruppenobmann<br />

für <strong>Kinder</strong>-<br />

& Jugendheilkunde<br />

FOTO: ZVG<br />

Wie bewerten Sie die aktuelle Situation der<br />

medizinischen Versorgung von <strong>Kinder</strong>n und Jugendlichen<br />

in Österreich?<br />

Schlecht – und dafür gibt es mehrere Gründe. Es gibt<br />

in Österreich einen Mangel an <strong>Kinder</strong>ärzt:innen, der<br />

in Wahrheit ein selektiver Mangel ist. Es gibt genügend<br />

Wahlärztinnen und -ärzte, aber zu wenige <strong>Kinder</strong>ärztinnen<br />

und -ärzte im solidarischen und niederschwelligen<br />

Kassensystem. Wir sehen auf allen Ebenen einen Rückgang<br />

der klassischen Kassenmedizin und parallel dazu<br />

eine Privatisierung in sämtlichen Bereichen.<br />

Warum ist das problematisch?<br />

Es wird dadurch eine soziale Schwelle eingebaut. Das<br />

kann ich auch aus eigener Erfahrung berichten. Ich<br />

war eine Zeit lang als Wahlarzt tätig. Es war für mich<br />

unerträglich, den aufgeblähten Säugling einer wohlhabenden<br />

Familie ausführlich zu untersuchen, während<br />

ich das herzkranke Kind, dem ich mit meiner Expertise<br />

hätte helfen können, nach seiner Herzoperation<br />

wegschicken musste, weil es keine Zusatzversicherung<br />

hatte. Das ist nicht die Medizin, die ich betreiben will.<br />

Das ist keine Kritik an Wahlärzt:innen, denn sie leisten<br />

hervorragende Arbeit; und ich bin auch nicht der<br />

Meinung, dass man dieses System einschränken sollte –<br />

doch die Kassenmedizin muss attraktiver werden.<br />

Wie kann die Kassenmedizin attraktiver werden?<br />

Es braucht Verbesserungen auf verschiedenen Ebenen.<br />

Da ist zunächst die Honorarsituation. Für den Mutter-<br />

Kind-Pass basieren die aktuellen Tarife auf jenen der<br />

frühen 1990er Jahre. Wir brauchen außerdem pädiatrische<br />

Primärversorgungseinheiten. Ich betreibe ein<br />

<strong>Kinder</strong>gesundheitszentrum, in dem wir als Team von<br />

Ärzt:innen pro Tag rund 300 Patient:innen auf Kassa<br />

betreuen können. Darüber hinaus ist es nach wie vor<br />

unverständlich, warum Oberärztinnen und -ärzte in<br />

Krankenhäusern nebenbei keine Kassenordinationen<br />

führen dürfen. Diese Absurdität stammt noch aus<br />

der Zeit des Überschusses an Ärzt:innen. Es würde<br />

unserem System heute aber sehr helfen, wenn fünf bis<br />

zehn Wochenstunden nicht etwa als Wahlärztin/-arzt,<br />

sondern als Kassenkinderärztin/-arzt geleistet werden<br />

dürften.<br />

Wohin wird sich die <strong>Kinder</strong>- und Jugendmedizin in<br />

Österreich in den nächsten zehn Jahren entwickeln?<br />

Wir erleben den größten Umbruch im medizinischen<br />

System seit dem Zweiten Weltkrieg. Durch den zunehmenden<br />

Mangel an Ärzt:innen, der auch durch den Pillenknick<br />

bedingt ist, erschöpft sich das aktuelle System.<br />

Die Privatmedizin springt ein und die Kassenmedizin<br />

wird zurückgefahren. Diesen Systemumbruch müssen<br />

wir ernst nehmen und Schritte dagegen unternehmen.<br />

Im Vorfeld dieses Gesprächs haben wir um Statements<br />

des Gesundheitsministeriums und der<br />

Österreichischen Gesundheitskassa angefragt.<br />

Leider sind beide Stellen unserer Anfrage nicht<br />

nachgekommen.<br />

Die Hauptproblematik des österreichischen Gesundheitswesens<br />

war und ist die Zersplitterung von Kompetenzen.<br />

Jeder ist für einen Teilbereich zuständig und<br />

versucht, in diesem Kosten zu sparen. Darüber gibt<br />

man natürlich nur ungern Auskunft. Es geht bei vielen<br />

Themen rein darum, wer welche Kosten übernimmt und<br />

was man dafür bekommt. Ich war etwa bei einigen Verhandlungsrunden<br />

zu den Primärversorgungseinheiten<br />

dabei. Wir haben oft stundenlang über absurde Details<br />

gesprochen, an denen es sich dann spießt.<br />

Wenn Ihnen Vertreter:innen von Gesundheitsministerium<br />

und Österreichischer Gesundheitskassa<br />

gegenübersitzen würden, welche Forderungen<br />

hätten Sie?<br />

Erstens: Forcierung der Primärversorgungseinheiten für<br />

<strong>Kinder</strong>heilkunde. Damit kann man kostengünstig eine<br />

gute Versorgungswirklichkeit erzielen – sowohl quantitativ<br />

als auch qualitativ. Zweitens: Die Situation um die<br />

Mutter-Kind-Pass-Honorare empfinden wir mittlerweile<br />

als mangelnde Wertschätzung. Die Untersuchungen<br />

sind für uns ein Defizit.<br />

Gibt es hier denn nicht Tendenzen zur<br />

Lösung seitens der Politik?<br />

Wir stoßen seit nun mehr zwanzig Jahren auf furchtbar<br />

viel Verständnis. Jede:r Gesundheitsmininister:in<br />

sagt, dass dringend etwas getan werden muss – bis zur<br />

nächsten Wahl, dann geht das Spiel wieder von vorne<br />

los. Es passiert schlicht nichts auf diesem Gebiet. Das<br />

liegt sicherlich auch an der Konstellation des Familienlastenausgleichsfonds.<br />

Daher werden wir Kassenärztinnen<br />

und -ärzte mit Ende März nächsten Jahres diese<br />

Leistungen kündigen, wenn bis dahin keine Lösung in<br />

den Gesprächen absehbar ist.<br />

Soziale Leistungen wie das <strong>Kinder</strong>betreuungsgeld<br />

sind an den Mutter-Kind-Pass geknüpft. Fördert<br />

eine Privatisierung hier nicht zusätzlich noch das<br />

soziale Ungleichgewicht?<br />

Genau! Wenn der Mutter-Kind-Pass privatisiert wird,<br />

wird das eine massive Verschlechterung mit sich<br />

bringen. Die, die es sich nicht leisten können, fallen<br />

damit auch um das <strong>Kinder</strong>betreuungsgeld. Wir haben<br />

hier lange genug zugesehen und können die aktuelle<br />

Situation nicht mehr tragen, sollte es zu keiner Lösung<br />

kommen. Eine weitere Forderung an die verantwortlichen<br />

Stellen ist außerdem die Übernahme der Lehrpraxis.<br />

Junge Kolleg:innen sollen so die zentralen Elemente<br />

der <strong>Kinder</strong>heilkunde, nämlich die Untersuchungen des<br />

Mutter-Kind-Passes und das Impfwesen, in der Praxis<br />

kennenlernen. Das ist derzeit aufgrund der missglückten<br />

Ausbildungsordnung sowie der fehlenden Finanzierung<br />

nicht möglich.<br />

Viele Eltern fühlen sich nun vielleicht verunsichert.<br />

Gibt es etwas Positives, das sie zum Abschluss<br />

mitgeben können?<br />

Ich möchte das enorme Engagement meiner Kolleg:innen<br />

hervorheben, die selbst unter den schwierigen<br />

Bedingungen der letzten Jahre zwischen Coronapandemie<br />

und Patient:innenansturm eine medizinische<br />

Versorgung auf sehr gutem Niveau angeboten haben.<br />

Das muss für meine Kolleg:innen sprechen, die trotz<br />

widriger Umstände täglich Großartiges leisten.<br />

Hauptgründe,<br />

warum pädiatrische<br />

§2-Kassenfachärztinnen<br />

und - ärzte teilweise<br />

keine Nachfolger:innen<br />

finden:<br />

• Work-Life Balance<br />

• „Einzelkämpfer:innentum“<br />

• Unternehmerisches Risiko<br />

• Hoher administrativer<br />

Aufwand<br />

• Ärztliche Tätigkeit<br />

„kommt zu kurz“<br />

• Nichtberücksichtigung<br />

von zeitlichem Aufwand<br />

• Komplizierte und<br />

unbefriedigende<br />

Honorargestaltung<br />

FOTO: SHUTTERSTOCK

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!