Kinder- & Jugendgesundheit
Je gesünder unsere Kinder, desto gesünder sind die Erwachsenen der Zukunft! Im Rahmen dieser Ausgabe sprechen Expert:innen und junge Eltern über die aktuelle Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen in Österreich, den Mangel an pädiatrischen Kassenfachärzt:innen und den österreichischen Impfplan.
Je gesünder unsere Kinder, desto gesünder sind die Erwachsenen der Zukunft!
Im Rahmen dieser Ausgabe sprechen Expert:innen und junge Eltern über die aktuelle Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen in Österreich, den Mangel an pädiatrischen Kassenfachärzt:innen und den österreichischen Impfplan.
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Ein Mangel,<br />
der zur sozialen<br />
Schwelle wird<br />
Es ist ein Alarmsignal, das <strong>Kinder</strong>arzt<br />
Dr. Peter Voitl absetzt. Vor welchen<br />
großen Herausforderungen<br />
<strong>Kinder</strong>ärztinnen und -ärzte und<br />
das gesamte Gesundheitssystem<br />
stehen und welche Forderungen der<br />
Bundesfachgruppenobmann für<br />
<strong>Kinder</strong>- und Jugendheilkunde der<br />
Österreichischen Ärztekammer daher<br />
an die Politik hat, erklärt<br />
er im Interview.<br />
Prim. DDr.<br />
Peter Voitl<br />
Medizinalrat,<br />
Gründer des <strong>Kinder</strong>gesundheitszentrums<br />
Donaustadt,<br />
Bundesfachgruppenobmann<br />
für <strong>Kinder</strong>-<br />
& Jugendheilkunde<br />
FOTO: ZVG<br />
Wie bewerten Sie die aktuelle Situation der<br />
medizinischen Versorgung von <strong>Kinder</strong>n und Jugendlichen<br />
in Österreich?<br />
Schlecht – und dafür gibt es mehrere Gründe. Es gibt<br />
in Österreich einen Mangel an <strong>Kinder</strong>ärzt:innen, der<br />
in Wahrheit ein selektiver Mangel ist. Es gibt genügend<br />
Wahlärztinnen und -ärzte, aber zu wenige <strong>Kinder</strong>ärztinnen<br />
und -ärzte im solidarischen und niederschwelligen<br />
Kassensystem. Wir sehen auf allen Ebenen einen Rückgang<br />
der klassischen Kassenmedizin und parallel dazu<br />
eine Privatisierung in sämtlichen Bereichen.<br />
Warum ist das problematisch?<br />
Es wird dadurch eine soziale Schwelle eingebaut. Das<br />
kann ich auch aus eigener Erfahrung berichten. Ich<br />
war eine Zeit lang als Wahlarzt tätig. Es war für mich<br />
unerträglich, den aufgeblähten Säugling einer wohlhabenden<br />
Familie ausführlich zu untersuchen, während<br />
ich das herzkranke Kind, dem ich mit meiner Expertise<br />
hätte helfen können, nach seiner Herzoperation<br />
wegschicken musste, weil es keine Zusatzversicherung<br />
hatte. Das ist nicht die Medizin, die ich betreiben will.<br />
Das ist keine Kritik an Wahlärzt:innen, denn sie leisten<br />
hervorragende Arbeit; und ich bin auch nicht der<br />
Meinung, dass man dieses System einschränken sollte –<br />
doch die Kassenmedizin muss attraktiver werden.<br />
Wie kann die Kassenmedizin attraktiver werden?<br />
Es braucht Verbesserungen auf verschiedenen Ebenen.<br />
Da ist zunächst die Honorarsituation. Für den Mutter-<br />
Kind-Pass basieren die aktuellen Tarife auf jenen der<br />
frühen 1990er Jahre. Wir brauchen außerdem pädiatrische<br />
Primärversorgungseinheiten. Ich betreibe ein<br />
<strong>Kinder</strong>gesundheitszentrum, in dem wir als Team von<br />
Ärzt:innen pro Tag rund 300 Patient:innen auf Kassa<br />
betreuen können. Darüber hinaus ist es nach wie vor<br />
unverständlich, warum Oberärztinnen und -ärzte in<br />
Krankenhäusern nebenbei keine Kassenordinationen<br />
führen dürfen. Diese Absurdität stammt noch aus<br />
der Zeit des Überschusses an Ärzt:innen. Es würde<br />
unserem System heute aber sehr helfen, wenn fünf bis<br />
zehn Wochenstunden nicht etwa als Wahlärztin/-arzt,<br />
sondern als Kassenkinderärztin/-arzt geleistet werden<br />
dürften.<br />
Wohin wird sich die <strong>Kinder</strong>- und Jugendmedizin in<br />
Österreich in den nächsten zehn Jahren entwickeln?<br />
Wir erleben den größten Umbruch im medizinischen<br />
System seit dem Zweiten Weltkrieg. Durch den zunehmenden<br />
Mangel an Ärzt:innen, der auch durch den Pillenknick<br />
bedingt ist, erschöpft sich das aktuelle System.<br />
Die Privatmedizin springt ein und die Kassenmedizin<br />
wird zurückgefahren. Diesen Systemumbruch müssen<br />
wir ernst nehmen und Schritte dagegen unternehmen.<br />
Im Vorfeld dieses Gesprächs haben wir um Statements<br />
des Gesundheitsministeriums und der<br />
Österreichischen Gesundheitskassa angefragt.<br />
Leider sind beide Stellen unserer Anfrage nicht<br />
nachgekommen.<br />
Die Hauptproblematik des österreichischen Gesundheitswesens<br />
war und ist die Zersplitterung von Kompetenzen.<br />
Jeder ist für einen Teilbereich zuständig und<br />
versucht, in diesem Kosten zu sparen. Darüber gibt<br />
man natürlich nur ungern Auskunft. Es geht bei vielen<br />
Themen rein darum, wer welche Kosten übernimmt und<br />
was man dafür bekommt. Ich war etwa bei einigen Verhandlungsrunden<br />
zu den Primärversorgungseinheiten<br />
dabei. Wir haben oft stundenlang über absurde Details<br />
gesprochen, an denen es sich dann spießt.<br />
Wenn Ihnen Vertreter:innen von Gesundheitsministerium<br />
und Österreichischer Gesundheitskassa<br />
gegenübersitzen würden, welche Forderungen<br />
hätten Sie?<br />
Erstens: Forcierung der Primärversorgungseinheiten für<br />
<strong>Kinder</strong>heilkunde. Damit kann man kostengünstig eine<br />
gute Versorgungswirklichkeit erzielen – sowohl quantitativ<br />
als auch qualitativ. Zweitens: Die Situation um die<br />
Mutter-Kind-Pass-Honorare empfinden wir mittlerweile<br />
als mangelnde Wertschätzung. Die Untersuchungen<br />
sind für uns ein Defizit.<br />
Gibt es hier denn nicht Tendenzen zur<br />
Lösung seitens der Politik?<br />
Wir stoßen seit nun mehr zwanzig Jahren auf furchtbar<br />
viel Verständnis. Jede:r Gesundheitsmininister:in<br />
sagt, dass dringend etwas getan werden muss – bis zur<br />
nächsten Wahl, dann geht das Spiel wieder von vorne<br />
los. Es passiert schlicht nichts auf diesem Gebiet. Das<br />
liegt sicherlich auch an der Konstellation des Familienlastenausgleichsfonds.<br />
Daher werden wir Kassenärztinnen<br />
und -ärzte mit Ende März nächsten Jahres diese<br />
Leistungen kündigen, wenn bis dahin keine Lösung in<br />
den Gesprächen absehbar ist.<br />
Soziale Leistungen wie das <strong>Kinder</strong>betreuungsgeld<br />
sind an den Mutter-Kind-Pass geknüpft. Fördert<br />
eine Privatisierung hier nicht zusätzlich noch das<br />
soziale Ungleichgewicht?<br />
Genau! Wenn der Mutter-Kind-Pass privatisiert wird,<br />
wird das eine massive Verschlechterung mit sich<br />
bringen. Die, die es sich nicht leisten können, fallen<br />
damit auch um das <strong>Kinder</strong>betreuungsgeld. Wir haben<br />
hier lange genug zugesehen und können die aktuelle<br />
Situation nicht mehr tragen, sollte es zu keiner Lösung<br />
kommen. Eine weitere Forderung an die verantwortlichen<br />
Stellen ist außerdem die Übernahme der Lehrpraxis.<br />
Junge Kolleg:innen sollen so die zentralen Elemente<br />
der <strong>Kinder</strong>heilkunde, nämlich die Untersuchungen des<br />
Mutter-Kind-Passes und das Impfwesen, in der Praxis<br />
kennenlernen. Das ist derzeit aufgrund der missglückten<br />
Ausbildungsordnung sowie der fehlenden Finanzierung<br />
nicht möglich.<br />
Viele Eltern fühlen sich nun vielleicht verunsichert.<br />
Gibt es etwas Positives, das sie zum Abschluss<br />
mitgeben können?<br />
Ich möchte das enorme Engagement meiner Kolleg:innen<br />
hervorheben, die selbst unter den schwierigen<br />
Bedingungen der letzten Jahre zwischen Coronapandemie<br />
und Patient:innenansturm eine medizinische<br />
Versorgung auf sehr gutem Niveau angeboten haben.<br />
Das muss für meine Kolleg:innen sprechen, die trotz<br />
widriger Umstände täglich Großartiges leisten.<br />
Hauptgründe,<br />
warum pädiatrische<br />
§2-Kassenfachärztinnen<br />
und - ärzte teilweise<br />
keine Nachfolger:innen<br />
finden:<br />
• Work-Life Balance<br />
• „Einzelkämpfer:innentum“<br />
• Unternehmerisches Risiko<br />
• Hoher administrativer<br />
Aufwand<br />
• Ärztliche Tätigkeit<br />
„kommt zu kurz“<br />
• Nichtberücksichtigung<br />
von zeitlichem Aufwand<br />
• Komplizierte und<br />
unbefriedigende<br />
Honorargestaltung<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK