Fokus unterscheidbar – etliche Kulturen kennen aber auch eine Zweiteilung in Abgeschlossenes und Nichtabgeschlossenes als zentrale Kategorien. Sie schlagen sich natürlich dann entsprechend in der Sprache der heiligen Texte nieder. Die alten Texte sind voll von Aussagen, die sich genau über das Verhältnis des Einzelnen oder einer Gruppe zu unterschiedlichsten Zeitphänomenen Gedanken machen. Auch ist klar: Zeit kann linear sein – von einer Schöpfung, allgemeiner «dem Weltbeginn» bis hin zum «Ende aller Tage» (Weltenende, Armageddon) zieht sich ein zeitlicher Fluss. Dieser wird aber im Rahmen der religiösen Vorstellungen rhythmisiert und auch durch eine zyklische Komponente bereichert: Schon die Feststellung, dass es überhaupt so etwas wie Stunden, Tage, Wochen und Jahre mit festen/festlichen Zeiten gibt, dokumentiert diese Rhythmisierung. Feste als Ausbruch aus dem Alltag Der Ausbruch aus dem linearen Zeitstrom (von der Wiege bis zur Bahre) ist entscheidend durch die Feste geprägt. Dies gilt für eher säkulare, nicht religiöse Zusammenhänge (Geburtstage, «runde» Feste, Jubiläen, welche alle wiederkehren und das Leben rhythmisieren), und umso stärker für religiöse Feste. Selbst im 21. Jahrhundert ist dies noch spürbar. Festen wird immer noch ein besonderer Status zuerkannt, so dass sie beispielsweise als arbeitsfrei definiert sind. Und genau diese Funktion erfüllen die zyklischen Feste in Bezug auf den Alltag: Sie erlauben es dem Individuum und der Gemeinschaft, aus dem linearen Alltagsfluss auszusteigen und in eine andere Welt zu treten. Die Welt des Feiertags oder die Welt des freien Tags ermöglicht, einen Schritt zurückzutreten und alles aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Die meisten Religionen erkennen diesem nicht arbeitenden Betrachten einen sehr grossen Wert zu. Es ist möglich, zu fragen, ob mit der voranschreitenden Religionsferne in westlichen Gesellschaften vielleicht auch ein geschrumpftes Gespür für diesen Wechsel von Alltag und Feiertag einhergeht. So könnte es sich letztlich auch um eine abnehmende Sensibilität für das zyklisch Wiederkehrende handeln, die eben auch soziologisch beobachtet werden kann. In jedem Fall sind aber die Unterbrechungen – und das in einer gewissen Frequenz – notwendig und heilsam. Diese Einsicht ist für alle Ebenen der Zeit belegbar: Es beginnt schon beim Wechsel von Wachen und Schlafen. Nur eine gute Frequenz von Aktivität und Ruhepausen im Lauf von 24 Stunden sichert langfristig eine austarierte Gesundheit. Ebenso kann die Tagesstruktur insgesamt, die in der Vergangenheit häufig durch Gebete rhythmisiert wurde, ins Feld geführt werden. Fromme Muslime beten fünfmal am Tag, um den Tagesablauf zu rhythmisieren und immer wieder einen Schritt aus dem Hamsterrad des Alltags zu machen. Judentum und Christentum kennen die siebenmalige Unterbrechung des Tagesgeschehens durch Gebete (Quelle: Psalm 119). Dies alles sind im Grund genommen Frequenzphänomene. Aber auch auf weiteren Ebenen läuft die Rhythmisierung weiter: Unsere Woche mit ihren sieben Tagen ist fest mit babylonischen (und später griechisch-römischen) Götternamen verbunden – diese wechseln sich innerhalb von sieben Tagen einmal ab. Der siebte Tag hat seit den Babyloniern besondere Relevanz. Als Schabbat ist er im Judentum bekannt und als Sonntag im Christentum. Die lineare Abfolge der Tage wird durch einen Ruhetag rhythmisiert, eine gewisse Frequenz wird etabliert. Auf der Ebene der Monate (die antiken Kulturen hatten häufig einen Mondkalender zur Grundlage) spielen die Mondzyklen mit Neumond, Halbmond und Vollmond eine entscheidende Rolle. Hier wird permanent rhythmisiert und wiederholend-periodisch frequenziert. Ruhe für den Boden, Freiheit für die Menschen Wird der Fokus erweitert, so kommen neben den Jahreszeiten auch die Jahre (hier nun als Sonnenjahre) hinzu. Ein Leben in Einklang mit den Jahreszeiten, mit den Rhythmen und Frequenzen der Natur, galt über lange Zeit als erstrebenswert. Heute sind solche Aspekte wieder vermehrt ein Thema bei Gesundheitsdiskussionen. Geht man noch weiter, dann lohnt sich erneut ein Blick in die grossen Frequenzen der Jahresabfolgen: Es geht nun nicht mehr um das Sieben-Tage-Schema, sondern um das Sieben-Jahre-Schema: Alle sieben Jahre soll nach biblischer Vorstellung dem Acker ein Brachjahr zuteilwerden – im Dienste der Regeneration. Daraus entstand im Übrigen das gar nicht mehr agrarische, aber doch eigentlich zur Regeneration gedachte Sabbatical, das akademisch immer noch präsent ist und gelebt wird. Auch hier kann man den biblischen Ursprung (Bücher Exodus und Deuteronomium) von aktuell mit Überzeugung gelebten Praktiken nachweisen. Es handelt sich wieder um ein Phänomen der Rhythmisierung und der Etablierung einer übergreifenden Frequenz. Als letzter Mosaikstein dieser Betrachtung kann das Jobeljahr (Grundlage: biblisches Buch Levitikus) genannt werden. Alle sieben mal sieben Jahre erfolgt ein Freilassungsjahr in der Tradition des Judentums. Abhängigkeiten in Besitzfragen werden annulliert. Nach 50 Jahren muss also nach religiöser Vorstellung ein klarer Strich gezogen werden. Bankhypotheken in Israel enden auf diesen Termin, in der Antike sollte durch den Schuldenerlass vor allem der ausufernden Schuldsklaverei in rhythmisierten Abständen Einhalt geboten werden. Dies alles zeigt eines: Alte und traditionelle Konzepte der Rhythmisierung und Frequenzschaffung haben Jahrhunderte und Jahrtausende überdauert und spielen sogar im heutigen Alltag des 21. Jahrhunderts immer noch eine Rolle. Es lohnt sich also auch in kulturgeschichtlicher und damit auch in religiöser Hinsicht, auf solche rhythmischen Zeitstrukturen zu achten. Sie führen in den meisten Fällen hin zum ganz und gar Menschlichen bzw. zum balancierten Umgang mit der belebten Umwelt und mit sich selbst. 46 1/23 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
©Pierre-Yves Massot Lachen und Träume für unsere Kinder im Spital Jede Woche erhalten die Kinder im Spital Besuch von den Traumdoktoren. Ihre Spende schenkt Lachen. Herzlichen Dank. www.theodora.ch IBAN CH51 0900 0000 1006 1645 5