vsao Journal Nr. 1 - Februar 2023
Frequenz - was das Hertz bewegt Politik - Spitäler im Notfallmodus Betablocker - Anwendung in der pädiatrischen Dermatologie Husten - die pharmakologische Sicht
Frequenz - was das Hertz bewegt
Politik - Spitäler im Notfallmodus
Betablocker - Anwendung in der pädiatrischen Dermatologie
Husten - die pharmakologische Sicht
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Fokus<br />
Sein Porträt wurde aufgrund seiner<br />
jüdischen Abstammung aus<br />
dem Hamburger Rathaus entfernt.<br />
Aber der Versuch in der<br />
Nazizeit, den Namen Heinrich Hertz aus<br />
der internationalen Wissenschaftsgeschichte<br />
zu eliminieren, scheiterte. Die<br />
Abkürzung Hz steht bis heute, und sicher<br />
auch in absehbarer Zukunft, für den<br />
Kehrwert der Schwingungsdauer, anfangs<br />
nur in harmonischen Schwingungen.<br />
Hertz war Physiker und beschäftigte sich<br />
mit elektromagnetischen Wellen, später<br />
eroberte die Frequenz aber viele Bereiche<br />
der Menschheit. Vereinfacht gesagt, handelt<br />
es sich um die Anzahl von definierten<br />
Ereignissen in einer Zeiteinheit, in der<br />
Physik während einer Sekunde.<br />
Herzschlag als Mass der Dinge<br />
Eine «Ruhepulsfrequenz» von 60 Schlägen<br />
pro Minute lässt uns gut schlafen, während<br />
die Smartwatches am Handgelenk bei 210<br />
in Farbstürmen schier zu explodieren<br />
scheinen. Auch der unregelmässige Herzschlag<br />
wird am Hometrainer mit einem<br />
Warnsignal gewürdigt. Ein wenig Gelassenheit<br />
scheint angebracht. Als Stoiker<br />
würde man sich vielleicht der Formulierung<br />
«ist halt so» hingeben. «Was soll ich<br />
versuchen zu ändern, was ich eigentlich<br />
nicht beeinflussen kann.» Der Hundebesitzer<br />
wähnt sich hier schnell als Stoiker.<br />
Kann er doch leicht an der Brustwand des<br />
vierbeinigen Gefährten sehen, dass die<br />
Herzfrequenz einer erheblichen Atemdepression<br />
Genüge tut. Soll heissen, dass in<br />
der Exspirationsphase die Herzfrequenz<br />
sinkt und in der Inspiration steigt. Je besser<br />
der Homo sapiens trainiert ist, umso<br />
eher kann er dies im kleinen Rahmen bei<br />
sich selbst feststellen.<br />
Die «Erschöpfungsherzfrequenz» bei<br />
Geparden am Ende der Jagd ist wissenschaftlich<br />
wenig untersucht, liegt aber bei<br />
ca. 250 Schlägen pro Minute. Wir alle wissen,<br />
vielleicht sogar aus eigener Beobachtung<br />
anlässlich einer Safari in Afrika, wie<br />
ein Gepard nach der Jagd aussieht. Unabhängig<br />
vom Jagderfolg ist er in einem solchen<br />
Ausmass erschöpft, mit rasendem Puls<br />
und hoher Atemfrequenz, dass er, unfähig<br />
zur Reaktion, oft ansehen muss, wie Hyänen<br />
oder Schakale seine Jagdbeute erobern. Zur<br />
Vermeidung des Verlustes möglichst schnell<br />
nach der Jagd mit dem Fressen zu beginnen,<br />
ist dem schnellsten Landraubtier erschöpfungsbedingt<br />
nicht möglich.<br />
Beim Säugetier, also auch beim Menschen,<br />
wäre die «Ruhepulsfrequenz» des<br />
Kolibris letal. Der schwirrende Flügelschlag,<br />
mit Frequenzen von bis zu 90 Hz<br />
und damit oberhalb des humanen optischen<br />
Auflösungsvermögens, erfordert eine<br />
enorme Menge an Sauerstoff und Energie<br />
in der Muskulatur, permanent. Der Kolibri<br />
vertilgt deshalb pro Tag etwa das<br />
Zweifache seines Körpergewichts, und<br />
sein Herz rast mit 400 Schlägen pro Minute<br />
in der Ruhe. Die Frequenz steigt auf bis<br />
zu 1200 beim Flug, das sind ca. 20 Hz!<br />
Unerhörtes Gehör<br />
Die 20 Hz des Flügelschlages beim Kolibri<br />
ist in etwa die untere Hörgrenze des Menschen.<br />
In jungen Jahren gelingt es uns, ca.<br />
20 000 Hz akustisch wahrzunehmen. Die<br />
obere Grenze der Hörfrequenz sinkt dramatisch<br />
mit dem Alter. Eine recht miese<br />
Leistung im Vergleich zu unseren «treuesten<br />
Gefährten», den Hunden. Nicht nur<br />
dass sie Geräusche bis zu 50 000 Hz wahrnehmen<br />
können. Sie schaffen mit den beweglichen<br />
Ohren eine selektive Ausrichtung<br />
und damit ein dreidimensionales<br />
Gehör. Letzteres natürlich nur, wenn die<br />
Rasse sich anatomisch nicht zu weit vom<br />
Ursprung Wolf entfernt hat. Der Basset<br />
fällt mit seinen riesigen Hängeschlappohren<br />
sicher nicht in diese Kategorie.<br />
Grenzen des Bewusstseins<br />
Aus der allgemeinen Definition von Frequenz<br />
ergibt sich aber kein tieferer Einblick<br />
in das «Dahinter». Die «Frequenz»<br />
der Eiablage bei den Termiten ist schier<br />
unvorstellbar: Alle fünf Sekunden legt die<br />
Königin ein Ei, bis zu 20 000 am Tag. Nach<br />
der Begattung durch den König, welche<br />
täglich mehrfach stattfindet, finden in<br />
kürzester Zeit Befruchtung, Eireifung und<br />
schliesslich die Eiablage statt. Um diese<br />
Frequenz aufrechtzuerhalten, sind König<br />
und Königin zeitlebens zusammen in einer<br />
kleinen «Mörtelkammer» innerhalb<br />
des Termitenbaus eingemauert. Zeit für<br />
Nahrungssuche bleibt den beiden nicht,<br />
sie werden permanent von den zweigeschlechtlichen<br />
Arbeitern gefüttert. Diese<br />
nehmen auch die Eier in Empfang und tragen<br />
sie in den homothermen Teil des Termitenbaus<br />
zur Inkubation.<br />
Rational sind wir in der Lage, die Eiablagefrequenz<br />
der Termiten zu erfassen.<br />
Sie wird uns rational bewusst. Analoges<br />
gilt z.B. auch für die Frequenz der Muskelkontraktionen<br />
beim Tigerpython, der seine<br />
gelegten Eier umschlingt. Dies dient<br />
nicht nur dem Schutz des Geleges, sondern<br />
auch der Konstanz der Inkubationstemperatur.<br />
Wärmeerzeugung durch Hüpfen<br />
oder Kniebeugen im kalten Winter<br />
sind uns Menschen bekannt. Auch die<br />
Kommunikation der kleinen Krokodile im<br />
Gelege kurz vor dem Schlupf, wenn sie mit<br />
piepsenden Lauten mittlerer Frequenz ihren<br />
Schlupf synchronisieren und das Muttertier<br />
zum Schutz aufbieten, sind uns rational<br />
völlig klar. Aber sind sie wirklich<br />
Teil unseres Bewusstseins?<br />
Fledermäuse orientieren sich akustisch<br />
im Raum. Die von ihnen emittierten<br />
Laute mit unterschiedlichen Frequenzen<br />
bis zu 200 000 Hz, die jenseits unserer<br />
Wahrnehmung sind, werden von Oberflächen<br />
reflektiert, und aus der Differenz der<br />
Echos zwischen linkem und rechtem Ohr,<br />
beide sind riesig und ausrichtbar, ergibt<br />
sich ein dreidimensionales Bild des Raumes.<br />
Und nicht nur des Raumes, sondern<br />
auch z.B. der sich schnell bewegenden<br />
Jagdbeute wie Insekten; akustisch, nicht<br />
optisch. Rational, mit ein wenig naturwissenschaftlicher<br />
Begabung, lässt sich diese<br />
besondere evolutionäre Entwicklung erfassen.<br />
Aber können wir diese Frequenzund<br />
Laufzeitphänomene tatsächlich erfassen?<br />
1974 erschien ein Essay, welcher zu<br />
den am meisten zitierten philosophischen<br />
Aufsätzen gehört: «What ist it like to be a<br />
bat?» von Thomas Nagel. Die subjektive<br />
Realität der Fledermaus ergibt sich aus ihren<br />
persönlichen Wahrnehmungen und<br />
Erfahrungen. Diese Erfahrungen müssen<br />
uns fremd bleiben, weil wir eben nicht die<br />
Sinne hierfür ausgebildet haben. Also<br />
wird uns die Wahrnehmung und die Realität<br />
der Fledermaus nie wirklich bewusst<br />
werden können, rational ja, emotional<br />
nein. Thomas Nagel hypothetisiert aber<br />
einen Schritt weiter: Ist es denn nicht so,<br />
dass uns die Realitäten anderer Menschen<br />
gleichfalls immer fremd sein müssen?<br />
Eben weil diese sich ja gleichfalls nicht<br />
nur auf objektiv und rational nachvollziehbaren<br />
eigenen Erlebnissen begründen,<br />
sondern auch auf die subjektive<br />
Wahrnehmung mit den eigenen Sinnen.<br />
Aber dieses philosophische Thema ist ein<br />
anderes.<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 1/23 51