bödecker iq 44 - des Friedrich-Bödecker-Kreises in Sachsen-Anhalt ...

Schicksale in meinem Land nach. Neue Grenzen entstanden in Blut und
Flammen, trennten Väter und Söhne, Jungen und Mädchen, lösten Ehen
auf und richteten Millionen zugrunde, die heute von ungewünscht bis
ungeliebt umherirren. Das Unglück Europas, sagt Kundera, liegt in zwei
Diktaturen begründet: Hitler hat Europas Seele umgebracht, indem er die
Juden tötete, und Stalin hat später unbarmherzig Europas Körper in
Stücke gerissen. Wawerzineks Geschichte über schwermütige
Menschen, die vor dem Rhinozeros der Geschichte Rettung suchen und
ihre Liebsten der Gunst oder Ungunst des Schicksals anheim geben, und
die zulassen, dass diese sich ihr ganzes Leben lang Fragen stellen, auf
die es keine Antworten gibt, drängt sich mir eine andere Frage auf:
können Menschen auch unter brachialen Diktaturregimes ihr kleines
menschliches Glück verwirklichen?
Mir kommen Worte Edvard Kadeljs in den Sinn, die wir in der Schule
gelernt haben, dass das menschliche Glück nicht vom politischen System
abhängt, außer wenn es um ein System sozialistischer Selbstverwaltung
geht. Und so kommen wir zu der Erzählung über Jugoslawien: auch
wenn wir bis gestern für die Ostdeutschen Amerika waren, sind wir
heute für sie Ausgestoßene und Bettler. Und trotzdem, sie sprechen
voller Nostalgie und Liebe von unserer zerfallenen Heimat, sie erinnern
sich seltener Aufenthalte in Dubrovnik und Sarajevo und bewundern
noch immer das Land, das wir selbst gering geschätzt und zerstört haben.
Obwohl sie die beste Form des Kapitalismus bekommen haben, sprechen
heute viele „Ossis“ (so werden sie von ihren westlichen Landsleuten
spöttisch genannt) voller Melancholie über ihren Realsozialismus. Der
Dämon der Nostalgie richtet sich auch hier auf, als ein Traum von einer
Gesellschaft der Gleichheit – wir waren arm, aber auf eine seltsame Art
waren wir alle gleich. Wir hatten eine kollektive Wärme.
Der Kapitalismus hat die Geschichte von Brüderlichkeit und Gleichheit
für immer zerschmettert – erfolgreich sind allein die Wölfe, jene, die
Geld erwirtschaften können, und alle anderen sind Schafe, einer sozialen
Gerechtigkeit ausgeliefert, deren Fundamente immer mehr einstürzen,
vor dem mitleidslosen Drachen des Egoismus und des Profits. Die
ersehnte Gesellschaftsordnung ließ die einstige lebendige Wärme
erkalten, einsame und eisige Zeiten sind angebrochen. Der Mensch kann
auch in undemokratischen Regimes glücklich sein. Während die Jugend
des Westens die Okkupation und Zertrümmerung der unmenschlichen