bödecker iq 44 - des Friedrich-Bödecker-Kreises in Sachsen-Anhalt ...

Literaturzeitschrift Herzattacke. Markus sagt, dass die DDR hier
niemanden mehr interessiert, und dass dies mit unserer Generation enden
wird, weil sich der grausame Moloch dieser Welt nicht um menschliche
Gefühle schert.
In Ostdeutschland gibt es sehr wenige Südslawen, denn sie kamen nicht
als Gastarbeiter hierher, und auch die Kriegsflüchtlinge wurden
hauptsächlich in die Richtung westlicher Gebiete gelenkt. Die einzige
Person, die auf mich zukommt und sich in bosnischer Sprache an mich
wendet, ist Izeta. Sie sagt, sie ist mit einem Deutschen verheiratet, und
sie kommt zu jeder Veranstaltung, die der Literatur und Kultur unseres
Landes gewidmet ist. Mit ihr unterhalte ich mich über Tuzla, über Meša
Selimović und über bosnische Sevdalinkas, die hier sehr selten
erklingen.
Wir da unten, sage ich, haben zwar in einer Diktatur gelebt, aber wir
haben uns nicht viel darum gekümmert. Du kannst nicht dem Land
abschwören, in dem sich dein Leben gestaltet hat, dem Land, wo du zur
Schule gingst, liebtest, weintest, und das du, wie auch immer es war, als
deine einzige Heimat ansahst. Die alten, verbrauchten Fassaden werden
mit Aluminium und Glas überzogen, aber du wirst dich ganz und gar
nicht an diese gewöhnen können, denn sie verbergen deine Tage und
Nächte, deine Träume und Erinnerungen.
Es heißt, dass sich von allen Geschöpfen die Rabenmutter am wenigsten
um ihre Jungen sorgt. Nachdem sie die Eier ausgebrütet hat, lässt sie die
Jungen zurück, ohne sich viel darum zu kümmern, ob diese hungrig sind,
ob sie bleiben oder in ein anderes Nest umziehen. Welcher Staat ist mein
Land, in dem ich geboren bin, und an das ich mein Leben verschwendet
habe? Heimat, Vergessen, würde mein Freund Ludvig Bauer sagen.
Shakespeare war überzeugt, dass sich Tschechien an der Adria befindet.
So baute ich Luftschlösser, über dem Buch Peter Wawerzineks, in einem
kleinen Hotel an der Elbe und in der Dämmerung des binären Datums
11.11.11, während der kalte Herbstwind verdorrtes Laub über die
Trottoire Magdeburgs trieb, auf denen ein scharfes Auge noch die
Spuren amerikanischer Bomben und russischer Panzer bemerken kann.
Meine Gedanken, und das gesamte Universum um mich her,
übersiedelten allmählich in Schlaf, Nebel und Finsternis.
Magdeburg / Halle (Saale), 11. November 2011
Aus dem Kroatischen von Cornelia Marks