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JAMES BOND Billie Eilish hat soeben für ihren Bond-Titelsong „No Time To Die” einen Oscar eingestreift! Wir gratulieren nicht nur herzlich, sondern blicken zu diesem Anlass auch auf die diverse Geschichte zurück! 16 Natty Dread Während Putins Russland- Invasion mit abertausend Toten und viel Irrsinn tobt, wir noch immer an den Wehen von Corona leiden und die Klimakrise schrill tickt, hat die Ortsgruppe Hannover der Fridays for Future-Bewegung ein noch viel größeres Dilemma aufs Tableau gebracht: den Haarschnitt. Für den 25. März wäre in Hannover nämlich eine Demonstration mit musikalischer Begleitung angesetzt gewesen, als eine der Musikerinnen war die mit internationaler, mehrsprachiger, also: kulturell diverser Band gesegnete (wenngleich künstlerisch wenig spannende) Ronja Maltzahn angekündigt. Sie wurde dann kurzfristig doch wieder ausgeladen, die Aktivisten begründeten die Absage mit der Frisur der (weißen) Sängerin: Dreadlocks seien in den USA ein Widerstandssymbol der Bürgerrechtsbewegung schwarzer Menschen geworden. „Wenn eine weiße Person also Dreadlocks trägt, dann handelt es sich um kulturelle Aneignung, da wir als weiße Menschen uns aufgrund unserer Privilegien nicht mit der Geschichte oder dem kollektiven Trauma der Unterdrückung auseinandersetzen müssen”, schrieben die Klimaschützer. Allerdings schießen sie ein Angebot, für das sie sich später entschuldigten, nach: Wenn sich Maltzahn die Haare abschnitte, dürfte sie doch auftreten. Ich persönlich ziehe den Hut vor der EDITORIAL Künstlerin, die die Sache zwar öffentlich machte – und damit neben einem massiven Shitstorm gegen die FFF- Bewegung auch ein breites Medienecho auslöste – aber dennoch zu Protokoll gab, Enttäuschung, aber keinen Groll zu hegen und gar mit den Verantwortlichen in den Diskurs treten wolle. So viel Raison und Dezenz ist heute rar geworden, insbesondere, wenn es um emotional aufgeladene und/oder höchstgradig persönliche Begebenheiten handelt, wie das eigene Aussehen. Nicht nur bei den tapfer streitbaren Recken des Internetzes, sondern auch in der Fachpresse gab es hingegen nur wenig Verständnis für das arrogante Auftreten der FFF-Aktivisten, mit dem sich die eigentliche honorable Bewegung nur wenig Gutes getan hat. Fangen wir einmal bei der Basis an: Die amerikanische, schwarze Bürgerrechtsbewegung hat die Dreadlocks von den Rastafaris übernommen, der frauenverachtenden und schwulenfeindlichen jamaikanischen Pseudoreligion. Die Rastas haben es von den muslimischen Derwischen oder hinduistischen Sadhus; selbst Wikinger, vermuten Historiker, haben die Haarkämme gehasst. Ja, man könnte als guter Christ sogar bis zum vierten Buch Mose zurückspringen, wo geschrieben steht, dass sich jemand, der sich dem Herrn geweiht habe, kein Schermesser über sein Haupt fahren lassen solle. Dass die Kulturgeschichte der verwahrlosten Köpfe also auf eine Bewegung zurückzuführen ist, ist somit von Haus aus schon einmal ein hanebüchener Blödsinn, die Annahme, dass ich nur deswegen verfilzte Haare trage, weil ich als wohlstandsverwöhnter Europäer in Jamaika urlaubte, und das total niedlich fand, ist schlichtweg frech. Und selbst wenn: Es gab in den letzten Jahren auch immer wieder einen Aufschrei über „weiße Bluesmusiker”, bei der stets vergessen wurde, dass Bands wie die Rolling Stones, Led Zeppelin oder Cream für einen zweiten Karriereschub bei ihren schwarzen Vorreitern wie Muddy Waters oder John Lee Hooker gesorgt haben. Oder auch Dylan und Clapton, die gar Bob Marley zu einem neuen Frühling verhalfen. Und weiters: Gerade die politische Linke fordert, aus den eigenen Scheuklappen auszubrechen und andere kulturelle Eigenarten respektieren und vielleicht sogar schätzen zu lernen. Wenn ich dies tue, ist es nur selbstverständlich, dass ich jene im besten Falle übernehme und so für ein Potpourri aus den irdischen Liebreizen sorge. Letztlich kann man nur hoffen, dass Maltzahn (die vom positiven Medienecho wohl noch lange zehren wird können) nicht tatsächlich klein beigibt und sich die Haare schneidet, sonst schreien gar noch die Skinheads „kulturelle Aneigung”. Stefan Baumgartner (Chefredakteur) | 03