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TIM_SAMMEL_APRIL2022

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Gier nach Gewalt<br />

Kathartischer Eskapismus, aber nicht wie im Schlager: Nach einer Vielzahl<br />

an Singles veröffentlichte die Berliner Industrial-Krachmaschine<br />

Gewalt letztes Jahr ihr Debüt „Paradies”. Nach der Inaugurierung im<br />

Volkstheater folgt dieses Jahr nun unter dem Motto „Gier” der Kreuzzug<br />

der einzig wahren Vertreter des Depressionismus. TEXT: STEFAN BAUMGARTNER<br />

Fotos: Magnus Winter, Cloud Hills<br />

Gewalt, das sind (immer schon)<br />

Helen Henfling und Patrick Wagner<br />

– der zudem auch über die<br />

Apokalypse rezitiert – an den Gitarren und<br />

(seit einiger Zeit) Jasmin Rilke am Bass.<br />

Der Beat kommt aus der DM1-Konserve.<br />

Sechs Jahre lang gab es nur Seven-Inch-<br />

Vinyls und Konzerte, 2021 dann endlich<br />

das verführerisch, aber irritierend mit „Paradies”<br />

betitelte Debüt. Das Album füllt<br />

gleich eine Doppel-LP und deren Zweiteilung<br />

ist offensichtlich: Auf der zweiten<br />

Platte sind einige neuabgemischte Stücke<br />

der Singles versammelt. Vergangenen<br />

Herbst wurde „Paradies” gemeinsam mit<br />

Fuckhead im kleinen Rahmen im Volkstheater<br />

präsentiert.<br />

Jahrhundertfick<br />

Ganz gleich, ob am Plattenteller oder auf<br />

der Bühne: Gewalt werden auch über ihr<br />

Stück „Jahrhundertfick” hinaus ebendiesem<br />

Titel quer durch ihr Œuvre gerecht.<br />

Es geht um Unterwerfung, um die „verfickte”<br />

Seele, um den Schmerz, der „wie<br />

aus dem Nichts zusticht” und natürlich<br />

um ein Paradies, das eigentlich die wahre<br />

Hölle ist. Zu den Texten, die stets zwischen<br />

Utopie und Dystopie mäandern, krächzen<br />

die Gitarren in kaputter Verstimmung,<br />

und der Bass bohrt sich tief in den dröhnenden<br />

Taktschlag, der mal hektisch, mal<br />

monoton, aber stets wie eine Salve aus einem<br />

Urschlamm zu gurgeln scheint. Beinahe<br />

könnte man dazu tanzen, wenn man<br />

nicht gerade an seinen Pulsadern herumfummeln<br />

würde, hat ein Besucher im<br />

Volkstheater durch das gleißend grelle Stroboskop-Licht<br />

hindurch trefflich reüssiert.<br />

Wagner bellt, tobt und schreit quer durch<br />

Echo und Hall und versetzt die Textzeile<br />

„Ich werd eingewiesen / Zur eigenen<br />

Sicherheit” aus der lyrischen in die faktische<br />

Realität.<br />

„Unsere Musik kann einen wirklich durchdringen”,<br />

meinte Wagner im Gespräch vergangenes<br />

Jahr – und ja, das, was Gewalt zelebrieren<br />

ist eine größtmögliche Zumutung,<br />

unweigerlich werden Erinnerungen an die<br />

frühen Einstürzenden Neubauten, The<br />

Grey Wolves, Nitzer Ebb, Front 242, Laibach<br />

oder auch DAF wach. Gewalt sind ähnlich<br />

mechanisch und unterkühlt, minimalistisch,<br />

pulsierend und stumpf: In etwa das, was<br />

Rammstein für die Popmusik sind, nur für<br />

ein Publikum, das das Unbehagen im be-<br />

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drohlichen, stickig vernebelten Untergrund<br />

sucht. Die Stücke berserkern und eskalieren<br />

roh vor sich hin und verkünden allumfassenden<br />

Defätismus – es ist ein apokalyptischer,<br />

drogesker Rave, der in seiner Intensität<br />

gleich wie der Rattenfänger von Hameln<br />

in eine Katharsis lockt, so wie etwa auch<br />

Sunno))) mitten hinein in die Schönheit<br />

des Schalldrucks: direkt aus dem Kopf in<br />

den Bauch. Gewalt wirkt auf den Rezipienten<br />

wie ein Aufruf zur Trance, in der er<br />

sich vor die im gleichnamigen Song erbaute<br />

Wand stellt, erschießen lässt und sich aus<br />

seinen hervorquellenden Eingeweiden geläutert<br />

neu erbricht.<br />

n Gewalt gastieren im Rahmen ihrer „Gier”-<br />

Tour am 27. April im Orpheum Graz, am<br />

29. im Fluc Wien, am 30. im Spielboden<br />

Dornbirn, am 1. Mai im Kulturhof Villach<br />

und am 3. im PMK Innsbruck.<br />

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