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Gier nach Gewalt<br />
Kathartischer Eskapismus, aber nicht wie im Schlager: Nach einer Vielzahl<br />
an Singles veröffentlichte die Berliner Industrial-Krachmaschine<br />
Gewalt letztes Jahr ihr Debüt „Paradies”. Nach der Inaugurierung im<br />
Volkstheater folgt dieses Jahr nun unter dem Motto „Gier” der Kreuzzug<br />
der einzig wahren Vertreter des Depressionismus. TEXT: STEFAN BAUMGARTNER<br />
Fotos: Magnus Winter, Cloud Hills<br />
Gewalt, das sind (immer schon)<br />
Helen Henfling und Patrick Wagner<br />
– der zudem auch über die<br />
Apokalypse rezitiert – an den Gitarren und<br />
(seit einiger Zeit) Jasmin Rilke am Bass.<br />
Der Beat kommt aus der DM1-Konserve.<br />
Sechs Jahre lang gab es nur Seven-Inch-<br />
Vinyls und Konzerte, 2021 dann endlich<br />
das verführerisch, aber irritierend mit „Paradies”<br />
betitelte Debüt. Das Album füllt<br />
gleich eine Doppel-LP und deren Zweiteilung<br />
ist offensichtlich: Auf der zweiten<br />
Platte sind einige neuabgemischte Stücke<br />
der Singles versammelt. Vergangenen<br />
Herbst wurde „Paradies” gemeinsam mit<br />
Fuckhead im kleinen Rahmen im Volkstheater<br />
präsentiert.<br />
Jahrhundertfick<br />
Ganz gleich, ob am Plattenteller oder auf<br />
der Bühne: Gewalt werden auch über ihr<br />
Stück „Jahrhundertfick” hinaus ebendiesem<br />
Titel quer durch ihr Œuvre gerecht.<br />
Es geht um Unterwerfung, um die „verfickte”<br />
Seele, um den Schmerz, der „wie<br />
aus dem Nichts zusticht” und natürlich<br />
um ein Paradies, das eigentlich die wahre<br />
Hölle ist. Zu den Texten, die stets zwischen<br />
Utopie und Dystopie mäandern, krächzen<br />
die Gitarren in kaputter Verstimmung,<br />
und der Bass bohrt sich tief in den dröhnenden<br />
Taktschlag, der mal hektisch, mal<br />
monoton, aber stets wie eine Salve aus einem<br />
Urschlamm zu gurgeln scheint. Beinahe<br />
könnte man dazu tanzen, wenn man<br />
nicht gerade an seinen Pulsadern herumfummeln<br />
würde, hat ein Besucher im<br />
Volkstheater durch das gleißend grelle Stroboskop-Licht<br />
hindurch trefflich reüssiert.<br />
Wagner bellt, tobt und schreit quer durch<br />
Echo und Hall und versetzt die Textzeile<br />
„Ich werd eingewiesen / Zur eigenen<br />
Sicherheit” aus der lyrischen in die faktische<br />
Realität.<br />
„Unsere Musik kann einen wirklich durchdringen”,<br />
meinte Wagner im Gespräch vergangenes<br />
Jahr – und ja, das, was Gewalt zelebrieren<br />
ist eine größtmögliche Zumutung,<br />
unweigerlich werden Erinnerungen an die<br />
frühen Einstürzenden Neubauten, The<br />
Grey Wolves, Nitzer Ebb, Front 242, Laibach<br />
oder auch DAF wach. Gewalt sind ähnlich<br />
mechanisch und unterkühlt, minimalistisch,<br />
pulsierend und stumpf: In etwa das, was<br />
Rammstein für die Popmusik sind, nur für<br />
ein Publikum, das das Unbehagen im be-<br />
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Österreich-Shows von Gewalt.<br />
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drohlichen, stickig vernebelten Untergrund<br />
sucht. Die Stücke berserkern und eskalieren<br />
roh vor sich hin und verkünden allumfassenden<br />
Defätismus – es ist ein apokalyptischer,<br />
drogesker Rave, der in seiner Intensität<br />
gleich wie der Rattenfänger von Hameln<br />
in eine Katharsis lockt, so wie etwa auch<br />
Sunno))) mitten hinein in die Schönheit<br />
des Schalldrucks: direkt aus dem Kopf in<br />
den Bauch. Gewalt wirkt auf den Rezipienten<br />
wie ein Aufruf zur Trance, in der er<br />
sich vor die im gleichnamigen Song erbaute<br />
Wand stellt, erschießen lässt und sich aus<br />
seinen hervorquellenden Eingeweiden geläutert<br />
neu erbricht.<br />
n Gewalt gastieren im Rahmen ihrer „Gier”-<br />
Tour am 27. April im Orpheum Graz, am<br />
29. im Fluc Wien, am 30. im Spielboden<br />
Dornbirn, am 1. Mai im Kulturhof Villach<br />
und am 3. im PMK Innsbruck.<br />
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