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TIM_SAMMEL_APRIL2022

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JAMES BOND<br />

Billie Eilish hat soeben für ihren Bond-Titelsong<br />

„No Time To Die” einen Oscar eingestreift! Wir<br />

gratulieren nicht nur herzlich, sondern blicken<br />

zu diesem Anlass auch auf die diverse Geschichte<br />

zurück!<br />

16<br />

Natty Dread<br />

Während Putins Russland-<br />

Invasion mit abertausend<br />

Toten und viel Irrsinn tobt,<br />

wir noch immer an den Wehen von<br />

Corona leiden und die Klimakrise schrill<br />

tickt, hat die Ortsgruppe Hannover der<br />

Fridays for Future-Bewegung ein noch<br />

viel größeres Dilemma aufs Tableau<br />

gebracht: den Haarschnitt.<br />

Für den 25. März wäre in Hannover<br />

nämlich eine Demonstration mit musikalischer<br />

Begleitung angesetzt gewesen,<br />

als eine der Musikerinnen war die mit<br />

internationaler, mehrsprachiger, also:<br />

kulturell diverser Band gesegnete (wenngleich<br />

künstlerisch wenig spannende)<br />

Ronja Maltzahn angekündigt. Sie wurde<br />

dann kurzfristig doch wieder ausgeladen,<br />

die Aktivisten begründeten die Absage<br />

mit der Frisur der (weißen) Sängerin:<br />

Dreadlocks seien in den USA ein Widerstandssymbol<br />

der Bürgerrechtsbewegung<br />

schwarzer Menschen geworden. „Wenn<br />

eine weiße Person also Dreadlocks trägt,<br />

dann handelt es sich um kulturelle Aneignung,<br />

da wir als weiße Menschen uns<br />

aufgrund unserer Privilegien nicht mit<br />

der Geschichte oder dem kollektiven<br />

Trauma der Unterdrückung auseinandersetzen<br />

müssen”, schrieben die Klimaschützer.<br />

Allerdings schießen sie ein Angebot,<br />

für das sie sich später entschuldigten,<br />

nach: Wenn sich Maltzahn die Haare<br />

abschnitte, dürfte sie doch auftreten.<br />

Ich persönlich ziehe den Hut vor der<br />

EDITORIAL<br />

Künstlerin, die die Sache zwar öffentlich<br />

machte – und damit neben einem<br />

massiven Shitstorm gegen die FFF-<br />

Bewegung auch ein breites Medienecho<br />

auslöste – aber dennoch zu Protokoll gab,<br />

Enttäuschung, aber keinen Groll zu hegen<br />

und gar mit den Verantwortlichen in den<br />

Diskurs treten wolle. So viel Raison und<br />

Dezenz ist heute rar geworden, insbesondere,<br />

wenn es um emotional<br />

aufgeladene und/oder höchstgradig<br />

persönliche Begebenheiten handelt, wie<br />

das eigene Aussehen.<br />

Nicht nur bei den tapfer streitbaren Recken<br />

des Internetzes, sondern auch in der Fachpresse<br />

gab es hingegen nur wenig<br />

Verständnis für das arrogante Auftreten<br />

der FFF-Aktivisten, mit dem sich die eigentliche<br />

honorable Bewegung nur wenig<br />

Gutes getan hat. Fangen wir einmal bei<br />

der Basis an: Die amerikanische, schwarze<br />

Bürgerrechtsbewegung hat die Dreadlocks<br />

von den Rastafaris übernommen, der<br />

frauenverachtenden und schwulenfeindlichen<br />

jamaikanischen Pseudoreligion.<br />

Die Rastas haben es von den muslimischen<br />

Derwischen oder hinduistischen Sadhus;<br />

selbst Wikinger, vermuten Historiker,<br />

haben die Haarkämme gehasst. Ja, man<br />

könnte als guter Christ sogar bis zum<br />

vierten Buch Mose zurückspringen, wo<br />

geschrieben steht, dass sich jemand, der<br />

sich dem Herrn geweiht habe, kein<br />

Schermesser über sein Haupt fahren lassen<br />

solle. Dass die Kulturgeschichte der verwahrlosten<br />

Köpfe also auf eine Bewegung<br />

zurückzuführen ist, ist somit von Haus<br />

aus schon einmal ein hanebüchener Blödsinn,<br />

die Annahme, dass ich nur deswegen<br />

verfilzte Haare trage, weil ich als wohlstandsverwöhnter<br />

Europäer in Jamaika<br />

urlaubte, und das total niedlich fand, ist<br />

schlichtweg frech. Und selbst wenn: Es<br />

gab in den letzten Jahren auch immer<br />

wieder einen Aufschrei über „weiße Bluesmusiker”,<br />

bei der stets vergessen wurde,<br />

dass Bands wie die Rolling Stones, Led<br />

Zeppelin oder Cream für einen zweiten<br />

Karriereschub bei ihren schwarzen Vorreitern<br />

wie Muddy Waters oder John Lee<br />

Hooker gesorgt haben. Oder auch Dylan<br />

und Clapton, die gar Bob Marley zu einem<br />

neuen Frühling verhalfen. Und weiters:<br />

Gerade die politische Linke fordert, aus<br />

den eigenen Scheuklappen auszubrechen<br />

und andere kulturelle Eigenarten respektieren<br />

und vielleicht sogar schätzen zu<br />

lernen. Wenn ich dies tue, ist es nur selbstverständlich,<br />

dass ich jene im besten Falle<br />

übernehme und so für ein Potpourri aus<br />

den irdischen Liebreizen sorge.<br />

Letztlich kann man nur hoffen, dass<br />

Maltzahn (die vom positiven Medienecho<br />

wohl noch lange zehren wird können)<br />

nicht tatsächlich klein beigibt und sich<br />

die Haare schneidet, sonst schreien gar<br />

noch die Skinheads „kulturelle<br />

Aneigung”.<br />

Stefan Baumgartner (Chefredakteur)<br />

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