STADTBLATT Juni 2023
Das STADTBLATT ist die führende und verkaufsstärkste Stadtillustrierte für Osnabrück und Umgebung. #stadtblattosnabrück #stadtblatt #osnabrück www.stadtblatt-osnabrueck.de
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010<br />
Fragen an ...<br />
Laura Jessen,<br />
Gewerkschafterin und Juso-Vorsitzende in Osnabrück<br />
<strong>STADTBLATT</strong>: Warum bist Du Gewerkschaftsmitglied<br />
geworden?<br />
LAURA JESSEN: Meine Eltern sind beide<br />
in der IG BCE, daher bin ich mit Gewerkschaften<br />
aufgewachsen. Bei meiner<br />
ersten Demo war ich noch im<br />
Kindergarten, da haben mich meine<br />
Eltern mitgenommen. 2016 bin ich<br />
dann noch während meines Studiums<br />
in die Gewerkschaft eingetreten.<br />
<strong>STADTBLATT</strong>: Traditionell konzentrieren<br />
sich Gewerkschaften auf das Handwerk.<br />
Siehst Du in letzter Zeit eine<br />
Zunahme von Vertretungen im Dienstleistungsbereich?<br />
LAURA JESSEN: Das kann man so pauschal<br />
nicht sagen. Ich glaube, dass<br />
durch die Streiks bei verdi und in der<br />
Eisenbahnbranche natürlich gerade<br />
ein großer Blick auf den Dienstleistungssektor<br />
fällt. Gerade verdi ist laut<br />
und präsent, das sollen die Vertretungen<br />
auch sein! Nichtsdestotrotz ist<br />
auch die klassische Arbeitnehmer:innenvertretung<br />
durch die IG Metal oder<br />
eben auch meine Gewerkschaft immer<br />
noch aktiv.<br />
<strong>STADTBLATT</strong>: In den letzten Jahren verzeichneten<br />
Gewerkschaften einen<br />
starken Mitgliederschwund. Wie kann<br />
man jüngere Generationen heute für<br />
eine Mitgliedschaft und Gewerkschaftsarbeit<br />
begeistern?<br />
LAURA JESSEN: Den Mitgliederschwund<br />
sieht man nicht nur bei Gewerkschaften,<br />
sondern auch bei den Jusos und Ver -<br />
einen. Ich glaube, dass Corona dafür<br />
auch mitverantwortlich war. Momentan<br />
erlebe ich aber, dass die jüngeren<br />
Menschen wieder aktiv werden, einen<br />
Platz in der Gesellschaft und Lebenssinn<br />
suchen. Dabei können Gewerkschaften<br />
unterstützen und Orientierung<br />
geben.<br />
<strong>STADTBLATT</strong>: Was macht eine Gewerkschaft<br />
auch für junge Menschen<br />
attraktiv?<br />
LAURA JESSEN: Ich habe selbst die Erfahrung<br />
gemacht, dass junge Menschen<br />
nach Gemeinschaft und coolen<br />
Aktivitäten suchen. Und natürlich will<br />
man auch etwas erreichen, die Welt<br />
ein Stück weit verändern. Und wo<br />
ginge das besser, als in einer Gewerkschaft.<br />
<strong>STADTBLATT</strong>: Du selbst bist Studentin<br />
und trotzdem Mitglied in einer Gewerkschaft,<br />
die vornehmlich das<br />
Handwerk vertritt. Wie passt das?<br />
LAURA JESSEN: Ich wollte früher Er -<br />
zieherin, Elektrikerin oder Tischlerin<br />
werden. Aber damit verdient man nunmal<br />
kaum etwas. Deswegen studiere<br />
ich jetzt. Außerdem<br />
möchte ich<br />
nicht von 8 bis<br />
16 Uhr arbeiten.<br />
Dann hat man<br />
nichts mehr vom<br />
Tag und lebt nur<br />
noch fürs Wochenende,<br />
an dem<br />
man sich dann<br />
von der Arbeit erholen<br />
muss.<br />
<strong>STADTBLATT</strong>: Wie<br />
nimmst Du die<br />
Arbeitnehmer:innensituation<br />
zur<br />
Zeit wahr?<br />
LAURA JESSEN:<br />
Gerade der Einstieg<br />
in den Arbeitsmarkt<br />
stellt<br />
junge Menschen<br />
vor eine Herausforderung.<br />
Man wird mit einer 38- bis<br />
40-Stunden- Woche konfrontiert, die<br />
kaum Zeit für Freizeit ermöglicht.<br />
Dazu kommt die Inflation, Energie -<br />
krise und der Krieg in der Ukraine. Das<br />
alles ist unglaublich erdrückend und<br />
nimmt einem die Luft zum Atmen.<br />
<strong>STADTBLATT</strong>: Deswegen hast Du in<br />
deiner 1. Mai-Rede die Vier-Tage-<br />
Woche gefordert. Eine Forderung, die<br />
sicherlich auch Kritiker:innen auf den<br />
Plan ruft.<br />
LAURA JESSEN: Und ob! Schnell wird<br />
einem dann Faulheit vorgeworfen.<br />
Und das tut weh. Nur weil wir uns<br />
nicht ausbeuten lassen wollen oder<br />
auf Kosten unserer körperlichen und<br />
psychischen Gesundheit arbeiten<br />
wollen, heißt es ja nicht, dass wir faul<br />
sind.<br />
<strong>STADTBLATT</strong>: Der Arbeitgeberverband<br />
und Andrea Nahles haben als Reaktion<br />
unlängst gefordert, dass mehr als<br />
weniger Arbeit notwendig sei, gerade<br />
auch mit Blick auf den Fachkräfte -<br />
mangel …<br />
LAURA JESSEN: Den Fachkräftemangel<br />
sehe ich auch, aber genauso die Menschen,<br />
die sich ausbilden lassen. Wir<br />
sind ja nicht auf einen Schlag 50 Prozent<br />
we niger Menschen in Ausbildung<br />
geworden. Arbeit muss aber attraktiv<br />
sein.<br />
<strong>STADTBLATT</strong>: Deswegen forderst Du die<br />
Arbeiter:innen in Deiner Rede dazu<br />
auf, auf die Straße zu gehen und zu<br />
streiken. Funktioniert das in Deutschland<br />
überhaupt? Mit Blick auf Frankreich<br />
und die öffentlichen Reaktionen<br />
auf den Bahnstreik vergangenen<br />
Laura Jessen, IG Bergbau, Chemie, Energie: Haute in ihrer Rede<br />
zum 1. Mai ordentlich auf den Putz.<br />
Monat scheint unsere Streikkultur ja<br />
kaum vorhanden zu sein …<br />
FOTO: NOAH SCHNARRE<br />
LAURA JESSEN: Die Streikfreude von<br />
Frankreich werden wir wohl in Deutsch -<br />
land nicht erleben. Deutsche Arbei -<br />
ter:innen geben sich meiner Meinung<br />
nach oft mit dem Status quo zufrieden.<br />
Aber die Jugend macht mir Hoffnung.<br />
Bei Friday for Future oder den CSDs<br />
gehen viele auf die Straße. Und wenn<br />
man als Gewerkschaft oder politische<br />
Partei eine Öffentlichkeit für den Gedanken<br />
schafft, dass es das gute Recht<br />
eines jeden Arbeitnehmenden ist, für<br />
bessere Bedingungen auf die Straße<br />
zu gehen, dann kommen die Menschen<br />
auch.<br />
<strong>STADTBLATT</strong>: Ein Gedanke, der sich bei<br />
der Entscheidung an einem Streik teilzunehmen<br />
auch stellt, ist, ob der eigene<br />
Job dann nicht in Gefahr ist.<br />
LAURA JESSEN: Diese Ängste gibt es<br />
bestimmt. Aber dafür gibt es in<br />
Deutschland das Streikrecht! Ich<br />
glaube, hier muss verstärkt Aufklärungsarbeit<br />
geleistet werden.<br />
INTERVIEW: NOAH SCHNARRE<br />
HIGHLIGHTS IM JUNI<br />
20./21.6. „Bruno Walter<br />
Musiktage“<br />
22.6. 125. Geburtstag<br />
Erich Maria<br />
Remarque<br />
24.6. Swim for peace<br />
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