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Neue Szene Epaper 2023-07

DAS Stadtmagazin für Augsburg und die bayerisch-schwäbische Region. Kunst, Kultur, Sport, Politik und alles über die Menschen, die diese Stadt zu dem machen, was sie ist, nämlich zur schönsten Stadt der Welt!

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42<br />

KULTUR<br />

Hansi Ruile<br />

11.04.1949 – 09.06.<strong>2023</strong><br />

Ein großer, innovativer Augsburger Kultur-Geist<br />

Ein Nachruf.<br />

E<br />

in Fernseher soll aus dem<br />

Hotel-Fenster geflogen sein,<br />

wurde gemunkelt, als eine<br />

weltbekannte Theatergruppe<br />

aus New York in Augsburg bei La<br />

Piazza gastierte. Begeistert engagiert<br />

von Hansi Ruile aus dem Bürgerzentrum<br />

Kresslesmühle. Waren<br />

damals Drogen im Spiel, gings um<br />

Eifersucht oder waren es Geldprobleme,<br />

die für so viel Ärger gesorgt<br />

hatten? Damals entstanden durch<br />

diese Theater-Truppe hohe Kosten,<br />

die das gute Image von Hansi Ruile<br />

und seinem Team ankratzten.<br />

Das war dem pensionierten<br />

Hansi nach einigen Jahrzehnten<br />

nicht mehr anzusehen, wenn er mit<br />

seiner Einkaufstasche voll entspannt<br />

an mir vorbeischlenderte, Richtung<br />

Stadtmarkt, während ich beim<br />

türkischen Arkadas an der Maximilianstraße<br />

saß und ein chinesisches<br />

Gericht verspeiste. Das schreib ich<br />

jetzt absichtlich, weil es bestens zeigt<br />

wie multikulti Augsburg ist. Es ging<br />

los mit den Amis, den US-GIs, die<br />

nach dem Krieg in die Augsburger<br />

Kasernen und Kneipen einzogen.<br />

Dann kamen die Italiener, die<br />

Griechen, Portugiesen, Jugoslawen<br />

und Türken, die „Gastarbeiter“<br />

genannt wurden. Hansi sah sie nicht<br />

als bezahlte Arbeitsmaschinen an,<br />

sondern schlicht und einfach als<br />

Menschen wie du und ich.<br />

Es wundert mich nicht, wenn<br />

mir der italienische interkulturelle<br />

Literaturwissenschaftler, Dichter,<br />

Essayist, Herausgeber und Übersetzer<br />

Carmino Gino Chiellino<br />

per Mail aus Kalabrien mitteilt:<br />

„Hansi Ruile und ich haben uns<br />

Anfang der 80er Jahre in seiner<br />

Mühle kennengelernt. Ich war neu<br />

in der Stadt. Hansi hat mich mit<br />

dem kulturellen Stadtleben vertraut<br />

gemacht und ich habe sein Interesse<br />

für die aufkommenden interkulturellen<br />

Veränderungen im damaligen<br />

deutschen Alltag unterstützt. Daraus<br />

ist eine langjährige und fruchtbare<br />

Pionierarbeit im Bereich des<br />

interkulturellen Zusammenlebens<br />

entstanden. Ich betrachte es als einen<br />

seltenen Glücksfall, dass wir zusammengekommen<br />

sind und diese<br />

Kulturarbeit für die Stadt Augsburg<br />

geleistet haben.“<br />

Hansi trug bei seinen Stadtmarktgängen<br />

im Ruhestand neben<br />

der Einkaufstasche immer sein<br />

berühmtes „Mich-kann-nichtserschüttern-Lächeln“<br />

auf den Lippen<br />

seines offenen und freundlichen<br />

Gesichts mit den neugierigen<br />

Augen. Das war es wohl auch, das<br />

den Hans-Joachim zum lieben, netten,<br />

stets coolen und unaufgeregten<br />

„Hansi“ werden ließ. Er wohnte auch<br />

nach seiner rund 40jährigen Mühle-<br />

Ära mit seiner italienischen Ehefrau<br />

im Ulrichsviertel, in der Kirchgasse,<br />

in einer superromantischen Wohnung.<br />

Damit hatte er sich einen weiteren<br />

Traum erfüllt. Und auch echt<br />

verdient. Hier war Beginn und Ende<br />

seines Lebens als großer innovativer<br />

Augsburger Kultur-Geist.<br />

Es waren wohl fast so um die<br />

zwanzig Jahre, dass ich Hansi nach<br />

gemeinsamen Kinder-Erlebnissen<br />

in Lechhausen nicht mehr gesehen<br />

hatte. Ich besuchte ihn 1977 in<br />

seiner frisch eröffneten Kresslesmühle,<br />

um einen Bericht in unserem<br />

Augsburg-Magazin „Lueginsland“<br />

zu schreiben: „In der Kresslesmühle<br />

tanzen Tisch und Stühle“. Wir<br />

waren als Kinder in Lechhausen<br />

aufgewachsen. Auch wenn Hans im<br />

Bärenkeller wohnte, so lebte und<br />

spielte er nicht nur in den Sommerferien<br />

bei Cousin Arno Ruile, dessen<br />

Eltern einen Lebensmittelladen an<br />

der Ecke Blücher-Wartenburgerstraße<br />

besaßen. Damals wohnte ich<br />

mit meinen Eltern genau gegenüber.<br />

Kein Wunder, dass Arno und<br />

Hansi auch zusammen beim<br />

Lechviertel-Verein dabei waren, als<br />

diese für eine Auffrischung und<br />

menschliche Belebung des unter<br />

einer Autolawine verkommenen<br />

Viertels kämpften. Ohne Autos,<br />

ohne Lkw-Verkehr mit aufgedeckten<br />

Lechkanälen und mit bezahlbaren<br />

modernisierten Wohnungen. Ich<br />

kann mich daran erinnern, als ich als<br />

Knabe in den frühen 1960ern in der<br />

Jakober Vorstadt lebte, dass noch die<br />

Klo-Fässer aus den Altbauwohnungen<br />

abgeholt wurden.<br />

Als ich neulich mit Arno über<br />

Hansi sprach, meinte dieser: „Wir<br />

waren ja wie Brüder. Wir steckten<br />

immer zusammen, wenn‘s irgendwie<br />

ging.“ Wir durften als Kinder, Hansi,<br />

Arno und ich, manchmal mit dem<br />

Auto von Arnos Vater mitfahren. Es<br />

ging mit dem Käfer nach Stätzling<br />

zu den Bauern, Kartoffeln und<br />

Eier einkaufen oder in die Jakober<br />

Vorstadt in die Getreidemühle<br />

gegenüber der Stadtmetzg. Dort<br />

gabs frisch gemahlenes Mehl zu<br />

kaufen. Aus dieser schönen Erinnerung<br />

heraus kam es wohl, dass Hansi<br />

mit seinen Altstadtfreunden um die<br />

verlassene Mühle als Sitz und Veranstaltungsort<br />

für ihre Bürgeraktion<br />

kämpfte.<br />

Daraus entstand dann<br />

das Altstadtzentrum Kresslesmühle<br />

und verwandelte<br />

sich nach und nach zum<br />

Bürgerhaus, zur Kabarettbühne,<br />

zum Kulturhaus<br />

und präsentiert sich<br />

heutzutage als Kultur- und<br />

Bildungshaus mit veganem Restaurant.<br />

Unter Hansis Leitung waren<br />

darin früher Theater, Konzerte,<br />

Lesungen, Filme, Dia-Vorträge, Volkstänze,<br />

Altennachmittage, Workshops<br />

fürs Töpfern und Stricken, Kindergruppen,<br />

Sprachschulen und sogar<br />

Schafkopf-Turniere beheimatet.<br />

Einer der ersten Redakteure des<br />

Mühle-Magazins, Wolfgang „Taube“<br />

Taubert, der sich jetzt um Flüchtlingskinder<br />

und um die Jakober<br />

Vorstadt kümmert, sagt das gleich<br />

zwei Mal zu mir, damit ich es auch<br />

wirklich kapiere und hier bringe:<br />

„Wir bräuchten viel mehr Hansi<br />

Ruiles in Augsburg, statt irgendwo<br />

Hergeflogene von sonst woher.“<br />

Auch wenn Hansi Ruile den ehemaligen<br />

Oberbürgermeister Hans<br />

Breuer mit einem offenen Brief<br />

über ein Parkhaus-Problem unter<br />

Druck setzte, attestierte der liberale<br />

SPD-Mann Breuer dem Mühle-Boss<br />

Hansi: „Ihr beispielhafter Einsatz hat<br />

die Sensibilität für das Miteinander<br />

im urbanen Raum geweckt!“<br />

Arno Ruile ließ mich über<br />

seinen Cousin und Bruder Hansi<br />

wissen: „Er hat sich auf keiner Idee<br />

ausgeruht, er war immer auf der<br />

Suche nach neuen Impulsen!“<br />

Was soll ich da noch sagen?<br />

Vielleicht: „Hansi, du hast Augsburg<br />

gutgetan!“<br />

Text: Peter Garski

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