PT-Magazin - Ausgabe 3•4 2023
PT-Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft Die Top-Themen: • Welt im Wandel Trends in Technologie und Wissenschaft • Lieferkettengesetz Möglichkeiten und Lösungen für den Mittelstand • Unternehmensführung Corporate Design, Prozesse und Humor • Jurylisten 2023 Über welche Unternehmen die Juroren beraten
PT-Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft
Die Top-Themen:
• Welt im Wandel Trends in Technologie und Wissenschaft
• Lieferkettengesetz Möglichkeiten und Lösungen für den Mittelstand
• Unternehmensführung Corporate Design, Prozesse und Humor
• Jurylisten 2023 Über welche Unternehmen die Juroren beraten
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© FREEPIK.COM | VIARPRODESIGN<br />
Der SHITSTORM<br />
lauert überall<br />
Reputation wird zum wichtigsten Kapital<br />
Wer sich in den sogenannten sozialen<br />
Medien umsieht, wird sehr schnell feststellen,<br />
dass eine neue Debattenkultur<br />
Einzug gehalten hat. Gleiches gilt für Bewertungsportale.<br />
Hotelzimmer, Speisen,<br />
Dienstleistungen, alles ist entweder supertoll,<br />
umwerfend und in schillernden<br />
Farben gezeichnet oder aber maximal<br />
verabscheuungswürdig, betrügerisch<br />
oder gar unmöglich. Schwarz oder weiß,<br />
Grautöne und sachliche Begründungen<br />
für die eigene Bewertungen gibt es<br />
kaum noch. „Dissen“ oder „liken“, dagegen<br />
oder dafür, Differenzierung scheint<br />
unpopulärer denn je. Dass ein Aspekt gut,<br />
ein anderer mittelmäßig und ein dritter<br />
tatsächlich verbesserungswürdig sein<br />
kann, ist zu komplex für eine Welt, in der<br />
sich die Kommunikation der Aufmerksamkeitsspanne<br />
von 160 Zeichen oder<br />
der Länge eines TikTok-Videos angepasst<br />
hat. Motto: Komm mir nicht mit Fakten,<br />
mein Weltbild ist gefestigt.<br />
„Komm mir nicht mit Fakten,<br />
mein Weltbild ist gefestigt“<br />
Noch schlimmer wird es, wenn sich ein<br />
Unternehmer politisch zu Wort meldet<br />
und eigene Interessen verfolgt, sich etwa<br />
für bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen<br />
für seine Branche einsetzt.<br />
Die eigene Meinung wird zunehmend<br />
zur Gefahr. Schnell bildet sich eine Opposition,<br />
die in der Argumentation etwas<br />
Frevelhaftes findet. Nicht selten stimmen<br />
dann in den Chor der Empörung<br />
auch unzufriedenen Kunden, ehemalige<br />
Mitarbeiter, selbsternannte Aktivisten<br />
und, wenn es ganz schlecht läuft und<br />
das gewählte Thema grundsätzlich zur<br />
öffentlichen Erregung taugt, Blogger, Influencer<br />
und sogar tagesaktuelle Medien<br />
ein. Der perfekte Shitstorm lauert an<br />
jeder Ecke. Schließlich bedarf es heute<br />
keines großen Skandals mehr, um sich<br />
der Empörung auszusetzen. Eine Kleinigkeit<br />
in der Lieferkette, die man im Zweifel<br />
gar nicht zu verantworten hat, oder ein<br />
falscher Begriff, der der neuen Cancel<br />
Culture nicht mehr genügt, reichen völlig<br />
aus. Und so kann jeder schnell zu seinem<br />
eigenen, ganz persönlichen Shitstorm<br />
kommen.<br />
Freunde sind selten im Auge des Orkans<br />
Selbstverständlich finden sich auch Berufsempörte,<br />
die bei einem Shitstorm<br />
dann die eigene Position übernehmen,<br />
wahlweise, weil es tatsächlich überzeugte<br />
Fans sind oder weil sie die andere<br />
<strong>PT</strong>-MAGAZIN <strong>3•4</strong> <strong>2023</strong><br />
<strong>PT</strong>-MAGAZIN <strong>3•4</strong> <strong>2023</strong><br />
Seite schlicht als Feindbild sehen, man<br />
selbst also eher zufällig auf der richtigen<br />
Seite zu stehen scheint. Das Problem:<br />
Dieser Zuspruch ist flüchtig und bringt<br />
ein neues Phänomen hervor: die Kontaktschuld.<br />
In der neuen (Social-)Media-Welt<br />
wird man nämlich nicht mehr nur für<br />
das verhaftet, was man selbst gesagt hat,<br />
sondern auch für das, was die eigenen<br />
„Freunde“ sagen oder mutmaßlich meinen.<br />
Die „falschen Freunde“ sind dadurch<br />
ebenso gefährlich wie echte Andersdenkende.<br />
Hinzu kommt ein anderes Phänomen:<br />
Freunde ducken sich weg. Wer den Schaden<br />
hat, braucht für den Spott nicht zu<br />
sorgen, heißt es nicht umsonst. So ist<br />
es auch bei Shitstorms. Viele erfahren<br />
in dieser Situation, dass Geschäftspartner<br />
und eigentlich gute Bekannte sich<br />
plötzlich rar machen oder gar die Seiten<br />
wechseln. „Wird schon was dran sein“,<br />
„haben wir ja immer schon geahnt“, „wie<br />
kann man nur?“. Zur Enttäuschung darüber,<br />
zu Unrecht am Pranger zu stehen,<br />
gesellt sich in der Regel die menschliche<br />
Enttäuschung über falsche Freunde oder<br />
gar offenen Verrat.<br />
Unternehmen müssen aufrüsten<br />
Um einen Shitstorm zu überstehen, sind<br />
verschiedene Maßnahmen notwendig,<br />
die meisten sollten vorbeugend ergriffen<br />
werden.<br />
Das wohl Wichtigste in diesem Zusammenhang<br />
ist, Reputationskapital aufzubauen.<br />
Reputation ist wie ein Girokonto.<br />
Wer regelmäßig einzahlt und sich so ein<br />
gewisses Vermögen aufbaut, kann in der<br />
Krise davon zehren. Der Aufbau einer<br />
starken Marke mit gelebten Markenwerten,<br />
regelmäßige Presse- und Öffentlichkeitsarbeit,<br />
Medienpartnerschaften<br />
mit ausgewählten Redaktionen und der<br />
tadellose Umgang mit Kunden sowie Exzellenz<br />
in der Dienstleistung gehören zu<br />
dem, was auf das Konto eingezahlt wird.<br />
Wer Kommunikationskanäle erst aufbauen<br />
muss, wenn der Shitstorm tobt,<br />
oder wer gar erst beginnt, eine wertige<br />
Kommunikation zu gestalten, wenn es in<br />
einer Krisensituation erforderlich ist, hat<br />
indes schlechte Karten. Das Reputationskonto<br />
lässt sich nur dann in Anspruch<br />
nehmen und gegebenenfalls überziehen,<br />
wenn vorher ein Guthaben aufgebaut<br />
wurde und eine gewisse Bonität in Form<br />
eines Vertrauensvorschusses besteht.<br />
Um diesen Vertrauensvorschuss aufzubauen,<br />
nicht nur, aber auch im Sinne<br />
einer Krisenprävention, sollten Unternehmen<br />
auch personell aufrüsten und<br />
wahlweise einen Pressesprecher oder<br />
Medienbeauftragten etablieren – und<br />
zwar völlig unabhängig von der Unternehmensgröße.<br />
Ein solcher Medienbeauftragter kann<br />
in guten Zeiten dafür sorgen, dass sich<br />
das Reputationskonto entwickelt und<br />
in schlechten Zeiten die Krise managen.<br />
Denn, auch das muss bedacht werden,<br />
tobt erstmal der Shitstorm, sollte in der<br />
Regel nicht mehr der Inhaber oder CEO<br />
selbst sprechen, sondern ein Medienpro-<br />
fi, der sein Handwerk versteht. So steht<br />
es auch in jedem Krisenhandbuch. Ein<br />
solcher Profi ist jedoch besser gewappnet,<br />
wenn er das Unternehmen nicht<br />
erst im Sturm kennenlernt, sondern bei<br />
ruhiger See die notwendigen Voraussetzungen<br />
schaffen konnte.<br />
Verzicht ist die beste Prävention<br />
Medienprofis werden heute in jedem Unternehmen<br />
gebraucht. Sie haben nicht<br />
nur die Aufgabe, Marken und Kommunikationsstrategien<br />
zu steuern, sie müssen<br />
vor allem dafür sorgen, dass nicht jeder<br />
kommunikative Trend mitgemacht wird.<br />
Die Kanäle sind heute schier unendlich,<br />
insbesondere online. Doch jeder neue<br />
Kanal schafft auch neue Gefahren und<br />
kann zum Inkubator von Shitstorms werden.<br />
Unternehmen sollten sich deswegen<br />
auf die wenigen Kanäle beschränken, die<br />
für sie im Kern wirklich wichtig sind und<br />
dabei jede Kommunikation mit „Nichtkunden“<br />
und „Nicht-Stakeholdern“ vermeiden.<br />
Weniger ist mehr. Nicht Reichweite<br />
führt zum Erfolg, nicht Interaktion,<br />
sondern Umsatz und Gewinn. Und wer<br />
Gewinn verspricht, ist in der Regel auch<br />
nicht derjenige, der sich empört. Diejenigen,<br />
die Shitstorms entfachen und<br />
sich echauffieren, sind meist keine guten<br />
Kunden, sondern kaufmännisch ohnehin<br />
wertlose Stimmungsmacher. Sich von<br />
solchen fernzuhalten, schützt die eigene<br />
Reputation auch im Hinblick auf die<br />
oben genannte Kontaktschuld und die<br />
eigenen finanziellen und technischen<br />
Ressourcen. Wenig hochklassige Kommunikation<br />
statt Jedermann-Marketing<br />
sollte deswegen zur Devise werden. •<br />
Falk S. Al-Omary<br />
ist Strategieberater rund<br />
um die Themen Marke,<br />
Medien, Meinungsbildung<br />
und Markteinführung sowie<br />
erfahrener Krisenkommunikationsmanager.<br />
www.al-omary.com<br />
Über den Autor<br />
© SILKE GALL