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PT-Magazin - Ausgabe 3•4 2023

PT-Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft Die Top-Themen: • Welt im Wandel Trends in Technologie und Wissenschaft • Lieferkettengesetz Möglichkeiten und Lösungen für den Mittelstand • Unternehmensführung Corporate Design, Prozesse und Humor • Jurylisten 2023 Über welche Unternehmen die Juroren beraten

PT-Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft

Die Top-Themen:
• Welt im Wandel Trends in Technologie und Wissenschaft
• Lieferkettengesetz Möglichkeiten und Lösungen für den Mittelstand
• Unternehmensführung Corporate Design, Prozesse und Humor
• Jurylisten 2023 Über welche Unternehmen die Juroren beraten

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46 Wirtschaft<br />

47<br />

© FREEPIK.COM | VIARPRODESIGN<br />

Der SHITSTORM<br />

lauert überall<br />

Reputation wird zum wichtigsten Kapital<br />

Wer sich in den sogenannten sozialen<br />

Medien umsieht, wird sehr schnell feststellen,<br />

dass eine neue Debattenkultur<br />

Einzug gehalten hat. Gleiches gilt für Bewertungsportale.<br />

Hotelzimmer, Speisen,<br />

Dienstleistungen, alles ist entweder supertoll,<br />

umwerfend und in schillernden<br />

Farben gezeichnet oder aber maximal<br />

verabscheuungswürdig, betrügerisch<br />

oder gar unmöglich. Schwarz oder weiß,<br />

Grautöne und sachliche Begründungen<br />

für die eigene Bewertungen gibt es<br />

kaum noch. „Dissen“ oder „liken“, dagegen<br />

oder dafür, Differenzierung scheint<br />

unpopulärer denn je. Dass ein Aspekt gut,<br />

ein anderer mittelmäßig und ein dritter<br />

tatsächlich verbesserungswürdig sein<br />

kann, ist zu komplex für eine Welt, in der<br />

sich die Kommunikation der Aufmerksamkeitsspanne<br />

von 160 Zeichen oder<br />

der Länge eines TikTok-Videos angepasst<br />

hat. Motto: Komm mir nicht mit Fakten,<br />

mein Weltbild ist gefestigt.<br />

„Komm mir nicht mit Fakten,<br />

mein Weltbild ist gefestigt“<br />

Noch schlimmer wird es, wenn sich ein<br />

Unternehmer politisch zu Wort meldet<br />

und eigene Interessen verfolgt, sich etwa<br />

für bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen<br />

für seine Branche einsetzt.<br />

Die eigene Meinung wird zunehmend<br />

zur Gefahr. Schnell bildet sich eine Opposition,<br />

die in der Argumentation etwas<br />

Frevelhaftes findet. Nicht selten stimmen<br />

dann in den Chor der Empörung<br />

auch unzufriedenen Kunden, ehemalige<br />

Mitarbeiter, selbsternannte Aktivisten<br />

und, wenn es ganz schlecht läuft und<br />

das gewählte Thema grundsätzlich zur<br />

öffentlichen Erregung taugt, Blogger, Influencer<br />

und sogar tagesaktuelle Medien<br />

ein. Der perfekte Shitstorm lauert an<br />

jeder Ecke. Schließlich bedarf es heute<br />

keines großen Skandals mehr, um sich<br />

der Empörung auszusetzen. Eine Kleinigkeit<br />

in der Lieferkette, die man im Zweifel<br />

gar nicht zu verantworten hat, oder ein<br />

falscher Begriff, der der neuen Cancel<br />

Culture nicht mehr genügt, reichen völlig<br />

aus. Und so kann jeder schnell zu seinem<br />

eigenen, ganz persönlichen Shitstorm<br />

kommen.<br />

Freunde sind selten im Auge des Orkans<br />

Selbstverständlich finden sich auch Berufsempörte,<br />

die bei einem Shitstorm<br />

dann die eigene Position übernehmen,<br />

wahlweise, weil es tatsächlich überzeugte<br />

Fans sind oder weil sie die andere<br />

<strong>PT</strong>-MAGAZIN <strong>3•4</strong> <strong>2023</strong><br />

<strong>PT</strong>-MAGAZIN <strong>3•4</strong> <strong>2023</strong><br />

Seite schlicht als Feindbild sehen, man<br />

selbst also eher zufällig auf der richtigen<br />

Seite zu stehen scheint. Das Problem:<br />

Dieser Zuspruch ist flüchtig und bringt<br />

ein neues Phänomen hervor: die Kontaktschuld.<br />

In der neuen (Social-)Media-Welt<br />

wird man nämlich nicht mehr nur für<br />

das verhaftet, was man selbst gesagt hat,<br />

sondern auch für das, was die eigenen<br />

„Freunde“ sagen oder mutmaßlich meinen.<br />

Die „falschen Freunde“ sind dadurch<br />

ebenso gefährlich wie echte Andersdenkende.<br />

Hinzu kommt ein anderes Phänomen:<br />

Freunde ducken sich weg. Wer den Schaden<br />

hat, braucht für den Spott nicht zu<br />

sorgen, heißt es nicht umsonst. So ist<br />

es auch bei Shitstorms. Viele erfahren<br />

in dieser Situation, dass Geschäftspartner<br />

und eigentlich gute Bekannte sich<br />

plötzlich rar machen oder gar die Seiten<br />

wechseln. „Wird schon was dran sein“,<br />

„haben wir ja immer schon geahnt“, „wie<br />

kann man nur?“. Zur Enttäuschung darüber,<br />

zu Unrecht am Pranger zu stehen,<br />

gesellt sich in der Regel die menschliche<br />

Enttäuschung über falsche Freunde oder<br />

gar offenen Verrat.<br />

Unternehmen müssen aufrüsten<br />

Um einen Shitstorm zu überstehen, sind<br />

verschiedene Maßnahmen notwendig,<br />

die meisten sollten vorbeugend ergriffen<br />

werden.<br />

Das wohl Wichtigste in diesem Zusammenhang<br />

ist, Reputationskapital aufzubauen.<br />

Reputation ist wie ein Girokonto.<br />

Wer regelmäßig einzahlt und sich so ein<br />

gewisses Vermögen aufbaut, kann in der<br />

Krise davon zehren. Der Aufbau einer<br />

starken Marke mit gelebten Markenwerten,<br />

regelmäßige Presse- und Öffentlichkeitsarbeit,<br />

Medienpartnerschaften<br />

mit ausgewählten Redaktionen und der<br />

tadellose Umgang mit Kunden sowie Exzellenz<br />

in der Dienstleistung gehören zu<br />

dem, was auf das Konto eingezahlt wird.<br />

Wer Kommunikationskanäle erst aufbauen<br />

muss, wenn der Shitstorm tobt,<br />

oder wer gar erst beginnt, eine wertige<br />

Kommunikation zu gestalten, wenn es in<br />

einer Krisensituation erforderlich ist, hat<br />

indes schlechte Karten. Das Reputationskonto<br />

lässt sich nur dann in Anspruch<br />

nehmen und gegebenenfalls überziehen,<br />

wenn vorher ein Guthaben aufgebaut<br />

wurde und eine gewisse Bonität in Form<br />

eines Vertrauensvorschusses besteht.<br />

Um diesen Vertrauensvorschuss aufzubauen,<br />

nicht nur, aber auch im Sinne<br />

einer Krisenprävention, sollten Unternehmen<br />

auch personell aufrüsten und<br />

wahlweise einen Pressesprecher oder<br />

Medienbeauftragten etablieren – und<br />

zwar völlig unabhängig von der Unternehmensgröße.<br />

Ein solcher Medienbeauftragter kann<br />

in guten Zeiten dafür sorgen, dass sich<br />

das Reputationskonto entwickelt und<br />

in schlechten Zeiten die Krise managen.<br />

Denn, auch das muss bedacht werden,<br />

tobt erstmal der Shitstorm, sollte in der<br />

Regel nicht mehr der Inhaber oder CEO<br />

selbst sprechen, sondern ein Medienpro-<br />

fi, der sein Handwerk versteht. So steht<br />

es auch in jedem Krisenhandbuch. Ein<br />

solcher Profi ist jedoch besser gewappnet,<br />

wenn er das Unternehmen nicht<br />

erst im Sturm kennenlernt, sondern bei<br />

ruhiger See die notwendigen Voraussetzungen<br />

schaffen konnte.<br />

Verzicht ist die beste Prävention<br />

Medienprofis werden heute in jedem Unternehmen<br />

gebraucht. Sie haben nicht<br />

nur die Aufgabe, Marken und Kommunikationsstrategien<br />

zu steuern, sie müssen<br />

vor allem dafür sorgen, dass nicht jeder<br />

kommunikative Trend mitgemacht wird.<br />

Die Kanäle sind heute schier unendlich,<br />

insbesondere online. Doch jeder neue<br />

Kanal schafft auch neue Gefahren und<br />

kann zum Inkubator von Shitstorms werden.<br />

Unternehmen sollten sich deswegen<br />

auf die wenigen Kanäle beschränken, die<br />

für sie im Kern wirklich wichtig sind und<br />

dabei jede Kommunikation mit „Nichtkunden“<br />

und „Nicht-Stakeholdern“ vermeiden.<br />

Weniger ist mehr. Nicht Reichweite<br />

führt zum Erfolg, nicht Interaktion,<br />

sondern Umsatz und Gewinn. Und wer<br />

Gewinn verspricht, ist in der Regel auch<br />

nicht derjenige, der sich empört. Diejenigen,<br />

die Shitstorms entfachen und<br />

sich echauffieren, sind meist keine guten<br />

Kunden, sondern kaufmännisch ohnehin<br />

wertlose Stimmungsmacher. Sich von<br />

solchen fernzuhalten, schützt die eigene<br />

Reputation auch im Hinblick auf die<br />

oben genannte Kontaktschuld und die<br />

eigenen finanziellen und technischen<br />

Ressourcen. Wenig hochklassige Kommunikation<br />

statt Jedermann-Marketing<br />

sollte deswegen zur Devise werden. •<br />

Falk S. Al-Omary<br />

ist Strategieberater rund<br />

um die Themen Marke,<br />

Medien, Meinungsbildung<br />

und Markteinführung sowie<br />

erfahrener Krisenkommunikationsmanager.<br />

www.al-omary.com<br />

Über den Autor<br />

© SILKE GALL

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