Gesund & Leben - 05
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Das <strong>Gesund</strong>heitssystem braucht<br />
keinen ,kompletten Umbau‘,<br />
sondern mehr Flexibilität, um<br />
auf regionale Besonderheiten<br />
einzugehen und Ärztinnen<br />
und Ärzte als Kassenärzte zu<br />
gewinnen“, reagiert Ärztekammerpräsident<br />
Dr. Johannes Steinhart<br />
auf die jüngsten Aussagen seitens der Österreichischen<br />
<strong>Gesund</strong>heitskasse. Diese hatte sich<br />
kürzlich für Versorgungszentren und gegen Einzelordinationen<br />
ausgesprochen, der Landarzt, der<br />
alleine eine Ordination betreibt, würde bald – bis<br />
auf einige wenige Ausnahmen in einzelnen Tälern<br />
– der Vergangenheit angehören.<br />
Eine optimale Patientenversorgung sieht aber,<br />
so Steinhart, anders aus: „Alles über einen Kamm<br />
zu scheren, die Einzelordinationen abschaffen zu<br />
wollen und alle – nämlich Ärztinnen und Ärzte<br />
sowie Patientinnen und Patienten – in Versorgungszentren<br />
zu zwingen, das wird nicht aufgehen“,<br />
sagt er.<br />
Auch die Umsetzbarkeit sei zweifelhaft, denn<br />
bereits jetzt gebe es Probleme, genügend Ärztinnen<br />
und Ärzte zu finden, die gemeinsam eine Primärversorgungseinheit<br />
gründen. „Das Problem<br />
ist, dass die Kassenverträge zu unflexibel sind, und<br />
solange sich das nicht ändert, hilft es auch nicht,<br />
statt Einzelordinationen Zentren aufstellen zu<br />
wollen“, meint Steinhart. Vielmehr müsse auf die<br />
Bedürfnisse aller, nämlich sowohl der Ärztinnen<br />
und Ärzte als auch der Patientinnen und Patienten,<br />
eingegangen werden.<br />
NAHE AM PATIENTEN<br />
„In manchen Regionen sind Zentren sinnvoll, in<br />
MEHR<br />
FLEXIBILITÄT FÜR<br />
OPTIMALE<br />
Die Ärztekammer fordert mehr<br />
Flexibilität im <strong>Gesund</strong>heitssystem<br />
sowie ein Nebeneinander von<br />
Primärversorgungseinheiten<br />
und Hausärzten – gerade auch<br />
im Sinne der Zufriedenheit der<br />
Patientinnen und Patienten.<br />
PATIENTENVERSORGUNG<br />
FOTOS: ISTOCK_AANDREYPOPOV; ÄRZTEKAMMER FÜR WIEN/ STEFAN SEELIG<br />
Dr. Erik Randall Huber,<br />
Obmann der Kurie<br />
niedergelassene Ärzte<br />
und Vizepräsident<br />
der Ärztekammer<br />
für Wien<br />
Dr. Johannes<br />
Steinhart,<br />
Präsident<br />
der Ärztekammer<br />
für Wien<br />
anderen ist der Landarzt weiterhin wichtig und<br />
richtig“, sagt Steinhart. Gerade in einer alternden<br />
Bevölkerung müsse die wohnortnahe Versorgung<br />
sichergestellt sein: „Patientinnen und Patienten<br />
benötigen ihren Vertrauensarzt, der wohnortnah<br />
verfügbar ist, und kein Zentrum, das kilometerweit<br />
entfernt ist“, so Steinhart. Der Schlüssel für<br />
eine optimale Patientenversorgung sei das Nebeneinander<br />
von verschiedenen Angeboten: Versorgungszentren,<br />
Einzelordinationen, Gruppenpraxen,<br />
aber auch der Ausbau von Ärztenetzwerken.<br />
„Netzwerke zwischen einzelnen Ärztinnen und<br />
Ärzten führen zu einer engeren Zusammenarbeit,<br />
aber gleichzeitig bleiben die Ärztinnen und Ärzte<br />
für ihre Patientinnen und Patienten greifbar, weil<br />
sie wohnortnah verfügbar sind“, sagt der Ärztekammerpräsident.<br />
VERSORGUNGSNOTSTAND IN<br />
DER ALLGEMEINMEDIZIN<br />
„Die Patientinnen und Patienten sind die Beitragszahler,<br />
und wir wissen, dass sie sich beide<br />
Versorgungsformen wünschen – sowohl die Hausärztin<br />
oder den Hausarzt als auch Primärversorgungseinheiten“,<br />
ergänzt Dr. Erik Randall Huber,<br />
Obmann der Kurie niedergelassene Ärzte und<br />
„In manchen Regionen<br />
sind Zentren sinnvoll, in anderen<br />
ist der Landarzt weiterhin<br />
wichtig und richtig.“<br />
Vizepräsident der Ärztekammer für Wien. Die<br />
Krankenkasse sei daher aufgerufen, im Sinne ihrer<br />
Beitragszahler beide Angebote zu unterstützen,<br />
anstatt sie gegeneinander auszuspielen.<br />
Wien zählt mittlerweile elf Primärversorgungseinheiten.<br />
„Natürlich bieten diese Einrichtungen<br />
Vorteile, wie zum Beispiel lange Öffnungszeiten<br />
sowie ein Miteinander verschiedener <strong>Gesund</strong>heitsberufe“,<br />
ergänzt Huber. Aber: „Wir leben in<br />
einer Zeit, in der Patientinnen und Patienten nach<br />
wie vor auch wohnortnah zu ihrer langjährigen<br />
Vertrauensärztin oder ihrem langjährigen Vertrauensarzt<br />
gehen wollen.“ Es sei der falsche Weg,<br />
hier mit Zwang zu versuchen, Patientenströme<br />
zu lenken. „Wenn wir ausschließlich Primärversorgungseinheiten<br />
anbieten, riskieren wir, dass<br />
manche Menschen den Arztbesuch auslassen<br />
oder aufschieben, was in der Folge die Kosten für<br />
das <strong>Gesund</strong>heitssystem erhöhen könnte“, warnt<br />
Huber.<br />
IMMER WENIGER ALLGEMEINMEDIZINER<br />
MIT KASSENVERTRÄGEN IN WIEN<br />
Für den Kurienobmann geht die Debatte außerdem<br />
am wahren Problem vorbei: In der längerfristigen<br />
Betrachtung zeige sich, dass die Zahl der Allgemeinmedizinerinnen<br />
und -mediziner in Wien<br />
mit Kassenvertrag von ungefähr 800 im Jahr 2010<br />
auf knapp 690 im laufenden Jahr zurückgegangen<br />
ist – und das bei einem gleichzeitigen Bevölkerungswachstum<br />
von mehr als 200.000 Menschen.<br />
Huber: „Es gibt einen Versorgungsnotstand in der<br />
Allgemeinmedizin. Wir sollten endlich darüber<br />
diskutieren, wie wir die Kassenmedizin attraktiver<br />
gestalten können und uns dann erst über die Versorgungsformen<br />
den Kopf zerbrechen.“ n<br />
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