TOPFIT Sommer 2023
Bescheid wissen - gesund bleiben Ihr Magazin für Gesundheit, Fitness und Wellness
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12 Diagnose & Therapie<br />
Illu oben: © tang90246 / 123rf.com<br />
Phantomton<br />
im Ohr<br />
»Ich höre was, was Du nicht hörst« – für<br />
Menschen, die von Tinnitus betroffen<br />
sind, können Ohrgeräusche lange ein<br />
ständiger Begleiter sein. Moderne interdisziplinäre<br />
Behandlungskonzepte tragen<br />
den vielschichten Auswirkungen eines<br />
Tinnitus Rechnung – und verhelfen<br />
den Betroffenen so oft zu einer deutlich<br />
verbesserten Lebensqualität.<br />
Von Dr. Nina Schreiber<br />
Dass Hören nicht nur ein Genuss, sondern<br />
auch Terror sein kann, kennen wir alle:<br />
Der Lärm etwa eines Presslufthammers kann<br />
derart enervierend sein, dass man sich am liebsten<br />
die Ohren zuhält, bis es vorbei ist. Für drei<br />
Millionen Menschen in Deutschland ist diese<br />
Radikalmaßnahme keine Hilfe: Sie leiden unter<br />
Tinnitus.<br />
Bei den einen machen sich die Ohrgeräusche<br />
als schrilles Pfeifen oder Zischen bemerkbar,<br />
andere hören ein nervtötendes Rauschen,<br />
Klingeln oder Summen. Auch Tonhöhe und<br />
Lautstärke sind nicht bei allen Betroffenen<br />
gleich ausgeprägt; die hohen, lauten Geräusche<br />
werden allerdings von den meisten als besonders<br />
unangenehm empfunden. Zudem können<br />
die Töne kontinuierlich andauern oder mit<br />
kurzen Unterbrechungen bestehen, sie können<br />
an- oder abschwellend sein.<br />
Inwieweit der Betroffene sich durch den Tinnitus<br />
beeinträchtigt fühlt, ist individuell unterschiedlich.<br />
Fakt ist jedoch: Vor allem ein chronischer<br />
Tinnitus kann massiven Auswirkungen<br />
auf Körper und Psyche haben. Oft gesellen<br />
sich weitere erhebliche Probleme wie Schlafstörungen,<br />
Unruhe, Konzentrationsprobleme<br />
oder Angstzustände bis hin zur Entstehung<br />
einer Depression hinzu. Je nach Belastungsgrad<br />
sprechen die Ärzte dann entweder von<br />
einem kompensierten Tinnitus, der gar nicht<br />
oder nur gelegentlich stört (Grad I und Grad<br />
II), oder von einem dekompensierten Tinnitus,<br />
der mit einem erheblichen Leidensdruck einhergeht<br />
(Grad III und Grad IV).<br />
Ein Symptom —<br />
unterschiedliche Auslöser<br />
Tinnitus<br />
Tinnitus ist keine Krankheit, sondern ein<br />
Symptom. Für die Behandlung bedeutet das:<br />
Nicht das Symptom Tinnitus muss vordringlich<br />
behandelt werden, sondern die Ursachen<br />
– und manchmal auch die Folgen.<br />
Dabei kommen für die Ohrgeräusche, die<br />
nicht durch eine akustische Stimulation von<br />
außen entstehen, sondern scheinbar vom Ohr<br />
selbst erzeugt werden, ganz unterschiedliche<br />
Auslöser infrage; inzwischen sind mehr als<br />
400 mögliche Ursachen und deren Kombinationen<br />
identifiziert, die zu einem Tinnitus führen<br />
können. Akute (z. B. ein Knall- bzw. Explosionstrauma)<br />
und chronische Lärmschäden<br />
gelten als die häufigsten bekannten Auslöser.<br />
Doch tritt der Tinnitus auch oft in Zusammenhang<br />
mit einer Ohrerkrankung auf. Dazu<br />
gehören z. B. Entzündungen des Gehörgangs,<br />
des Mittelohrs oder auch der Nasennebenhöhlen,<br />
krankhafte Gefäßveränderungen im<br />
Ohrbereich oder Durchblutungsstörungen im<br />
Innenohr, aber auch ein Hörsturz, die Menière-Krankheit,<br />
eine Otosklerose oder Altersschwerhörigkeit.<br />
Ebenso können ein Fremdkörper<br />
im Ohr oder ein gutartiger Tumor<br />
am Hörnerv ursächlich verantwortlich sein.<br />
Manchmal tritt ein Tinnitus auch im Rahmen<br />
der Taucher- oder Druckluftkrankheit auf.<br />
Was nur wenige wissen: Ein zu niedriger oder<br />
zu hoher Blutdruck, Herzrhythmusstörungen<br />
oder bestimmte Medikamente können ebenfalls<br />
einen Tinnitus hervorrufen. Ein weiterer<br />
relativ häufiger Auslöser sind Muskelverspannungen<br />
und -verhärtungen im Kiefergelenk<br />
oder im Bereich der Halswirbelsäule, denn die<br />
somatosensorischen Nervenbahnen im Hirnstamm<br />
sind mit der Hörbahn verschaltet.<br />
Stress als Verstärker<br />
Zwischen seelischer Anspannung und einem<br />
Tinnitus scheint ebenfalls ein Zusammenhang<br />
zu bestehen. Studien belegen, dass Tinnitusgeplagte<br />
überdurchschnittlich oft in Lebenskrisen<br />
oder als Folge einer chronischen Stressbelastung<br />
von Ohrgeräuschen heimgesucht werden.<br />
Hinzu kommt, dass gestresste Patienten<br />
ihren Tinnitus offenbar schlechter bewältigen<br />
können als Menschen, die psychisch nicht<br />
vorbelastet sind. Sie sind deshalb besonders<br />
gefährdet, dass aus einem akuten ein chronischer<br />
Tinnitus wird. Andererseits kann aber<br />
auch der Tinnitus selbst ein stresserzeugender<br />
Faktor sein – ein Teufelskreis aus Stress,<br />
Tinnitus, verstärkter Stress, verstärkter Tinnitus,<br />
der ohne therapeutische Hilfe oft nicht zu<br />
durchbrechen ist.<br />
Tinnitus entsteht im Kopf<br />
Lange Zeit ging die Forschung davon aus, dass<br />
es sich bei Tinnitus um eine Erkrankung des<br />
Innenohrs handelt. Es hat sich jedoch gezeigt,<br />
dass ein Tinnitus selbst dann bestehen bleibt,<br />
wenn der Hörnerv komplett durchtrennt ist<br />
und damit kein Schallsignal mehr vom Ohr<br />
zum Gehirn weitergeleitet werden kann. Die<br />
Schlussfolgerung der Wissenschaftler: Auch<br />
wenn das auslösende Ereignis – z. B. eine verminderte<br />
Hörleistung infolge eines Hörsturzes<br />
oder eines Schalltraumas – im Innenohr stattfindet,<br />
ist der eigentliche Entstehungsort für<br />
das Ohrgeräusch aus dem Nichts das zentrale<br />
Nervensystem – und nicht das Innenohr.<br />
Das Gehirn, das normalerweise darin geübt<br />
ist, unwichtige (Hintergrund-)Geräusche zu<br />
»ignorieren«, ist plötzlich nicht mehr in der<br />
Lage, den Tinnitus aus der Wahrnehmung<br />
auszublenden. Ausgangspunkt ist eine verstärkte<br />
Erregung entlang der zentralen Hörbahn<br />
– die gesteigerte Nervenaktivität konnten<br />
die Neurowissenschaftler mithilfe hochmoderner<br />
bildgebender Verfahren wie der<br />
funktionellen Magnetresonanztomographie<br />
(MRT) sogar sichtbar machen. Die Forscher<br />
<strong>TOPFIT</strong> 2 / <strong>2023</strong>