24.08.2023 Aufrufe

TOPFIT Sommer 2023

Bescheid wissen - gesund bleiben Ihr Magazin für Gesundheit, Fitness und Wellness

Bescheid wissen - gesund bleiben
Ihr Magazin für Gesundheit, Fitness und Wellness

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

12 Diagnose & Therapie<br />

Illu oben: © tang90246 / 123rf.com<br />

Phantomton<br />

im Ohr<br />

»Ich höre was, was Du nicht hörst« – für<br />

Menschen, die von Tinnitus betroffen<br />

sind, können Ohrgeräusche lange ein<br />

ständiger Begleiter sein. Moderne interdisziplinäre<br />

Behandlungskonzepte tragen<br />

den vielschichten Auswirkungen eines<br />

Tinnitus Rechnung – und verhelfen<br />

den Betroffenen so oft zu einer deutlich<br />

verbesserten Lebensqualität.<br />

Von Dr. Nina Schreiber<br />

Dass Hören nicht nur ein Genuss, sondern<br />

auch Terror sein kann, kennen wir alle:<br />

Der Lärm etwa eines Presslufthammers kann<br />

derart enervierend sein, dass man sich am liebsten<br />

die Ohren zuhält, bis es vorbei ist. Für drei<br />

Millionen Menschen in Deutschland ist diese<br />

Radikalmaßnahme keine Hilfe: Sie leiden unter<br />

Tinnitus.<br />

Bei den einen machen sich die Ohrgeräusche<br />

als schrilles Pfeifen oder Zischen bemerkbar,<br />

andere hören ein nervtötendes Rauschen,<br />

Klingeln oder Summen. Auch Tonhöhe und<br />

Lautstärke sind nicht bei allen Betroffenen<br />

gleich ausgeprägt; die hohen, lauten Geräusche<br />

werden allerdings von den meisten als besonders<br />

unangenehm empfunden. Zudem können<br />

die Töne kontinuierlich andauern oder mit<br />

kurzen Unterbrechungen bestehen, sie können<br />

an- oder abschwellend sein.<br />

Inwieweit der Betroffene sich durch den Tinnitus<br />

beeinträchtigt fühlt, ist individuell unterschiedlich.<br />

Fakt ist jedoch: Vor allem ein chronischer<br />

Tinnitus kann massiven Auswirkungen<br />

auf Körper und Psyche haben. Oft gesellen<br />

sich weitere erhebliche Probleme wie Schlafstörungen,<br />

Unruhe, Konzentrationsprobleme<br />

oder Angstzustände bis hin zur Entstehung<br />

einer Depression hinzu. Je nach Belastungsgrad<br />

sprechen die Ärzte dann entweder von<br />

einem kompensierten Tinnitus, der gar nicht<br />

oder nur gelegentlich stört (Grad I und Grad<br />

II), oder von einem dekompensierten Tinnitus,<br />

der mit einem erheblichen Leidensdruck einhergeht<br />

(Grad III und Grad IV).<br />

Ein Symptom —<br />

unterschiedliche Auslöser<br />

Tinnitus<br />

Tinnitus ist keine Krankheit, sondern ein<br />

Symptom. Für die Behandlung bedeutet das:<br />

Nicht das Symptom Tinnitus muss vordringlich<br />

behandelt werden, sondern die Ursachen<br />

– und manchmal auch die Folgen.<br />

Dabei kommen für die Ohrgeräusche, die<br />

nicht durch eine akustische Stimulation von<br />

außen entstehen, sondern scheinbar vom Ohr<br />

selbst erzeugt werden, ganz unterschiedliche<br />

Auslöser infrage; inzwischen sind mehr als<br />

400 mögliche Ursachen und deren Kombinationen<br />

identifiziert, die zu einem Tinnitus führen<br />

können. Akute (z. B. ein Knall- bzw. Explosionstrauma)<br />

und chronische Lärmschäden<br />

gelten als die häufigsten bekannten Auslöser.<br />

Doch tritt der Tinnitus auch oft in Zusammenhang<br />

mit einer Ohrerkrankung auf. Dazu<br />

gehören z. B. Entzündungen des Gehörgangs,<br />

des Mittelohrs oder auch der Nasennebenhöhlen,<br />

krankhafte Gefäßveränderungen im<br />

Ohrbereich oder Durchblutungsstörungen im<br />

Innenohr, aber auch ein Hörsturz, die Menière-Krankheit,<br />

eine Otosklerose oder Altersschwerhörigkeit.<br />

Ebenso können ein Fremdkörper<br />

im Ohr oder ein gutartiger Tumor<br />

am Hörnerv ursächlich verantwortlich sein.<br />

Manchmal tritt ein Tinnitus auch im Rahmen<br />

der Taucher- oder Druckluftkrankheit auf.<br />

Was nur wenige wissen: Ein zu niedriger oder<br />

zu hoher Blutdruck, Herzrhythmusstörungen<br />

oder bestimmte Medikamente können ebenfalls<br />

einen Tinnitus hervorrufen. Ein weiterer<br />

relativ häufiger Auslöser sind Muskelverspannungen<br />

und -verhärtungen im Kiefergelenk<br />

oder im Bereich der Halswirbelsäule, denn die<br />

somatosensorischen Nervenbahnen im Hirnstamm<br />

sind mit der Hörbahn verschaltet.<br />

Stress als Verstärker<br />

Zwischen seelischer Anspannung und einem<br />

Tinnitus scheint ebenfalls ein Zusammenhang<br />

zu bestehen. Studien belegen, dass Tinnitusgeplagte<br />

überdurchschnittlich oft in Lebenskrisen<br />

oder als Folge einer chronischen Stressbelastung<br />

von Ohrgeräuschen heimgesucht werden.<br />

Hinzu kommt, dass gestresste Patienten<br />

ihren Tinnitus offenbar schlechter bewältigen<br />

können als Menschen, die psychisch nicht<br />

vorbelastet sind. Sie sind deshalb besonders<br />

gefährdet, dass aus einem akuten ein chronischer<br />

Tinnitus wird. Andererseits kann aber<br />

auch der Tinnitus selbst ein stresserzeugender<br />

Faktor sein – ein Teufelskreis aus Stress,<br />

Tinnitus, verstärkter Stress, verstärkter Tinnitus,<br />

der ohne therapeutische Hilfe oft nicht zu<br />

durchbrechen ist.<br />

Tinnitus entsteht im Kopf<br />

Lange Zeit ging die Forschung davon aus, dass<br />

es sich bei Tinnitus um eine Erkrankung des<br />

Innenohrs handelt. Es hat sich jedoch gezeigt,<br />

dass ein Tinnitus selbst dann bestehen bleibt,<br />

wenn der Hörnerv komplett durchtrennt ist<br />

und damit kein Schallsignal mehr vom Ohr<br />

zum Gehirn weitergeleitet werden kann. Die<br />

Schlussfolgerung der Wissenschaftler: Auch<br />

wenn das auslösende Ereignis – z. B. eine verminderte<br />

Hörleistung infolge eines Hörsturzes<br />

oder eines Schalltraumas – im Innenohr stattfindet,<br />

ist der eigentliche Entstehungsort für<br />

das Ohrgeräusch aus dem Nichts das zentrale<br />

Nervensystem – und nicht das Innenohr.<br />

Das Gehirn, das normalerweise darin geübt<br />

ist, unwichtige (Hintergrund-)Geräusche zu<br />

»ignorieren«, ist plötzlich nicht mehr in der<br />

Lage, den Tinnitus aus der Wahrnehmung<br />

auszublenden. Ausgangspunkt ist eine verstärkte<br />

Erregung entlang der zentralen Hörbahn<br />

– die gesteigerte Nervenaktivität konnten<br />

die Neurowissenschaftler mithilfe hochmoderner<br />

bildgebender Verfahren wie der<br />

funktionellen Magnetresonanztomographie<br />

(MRT) sogar sichtbar machen. Die Forscher<br />

<strong>TOPFIT</strong> 2 / <strong>2023</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!