25.09.2023 Aufrufe

Gesund & Leben 2023/10

  • Keine Tags gefunden...

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

IMMUNSYSTEM<br />

„IMPFUNGEN SIND DER<br />

BESTE IMMUNSCHUTZ!“<br />

Im Gespräch mit GESUND & LEBEN erläutert Univ.-<br />

Prof. Dr. med. univ. Winfried F. Pickl unter anderem,<br />

warum Impfungen besser sind als die natürliche Infektion,<br />

was Autoimmunerkrankungen mit latenten Infektionen<br />

zu tun haben und wie werdende Eltern schon<br />

vor der Geburt das Immunsystem ihres Kindes stärken<br />

können.<br />

Herr Prof. Dr. Pickl, die Hygienehypothese besagt,<br />

dass der Kontakt mit bestimmten<br />

Mikroorganismen im Kindesalter zur Entwicklung<br />

des Immunsystems beiträgt. Ist das so?<br />

Diese Annahme basiert auf der Beobachtung, dass<br />

Kinder, die schon im frühen Alter viel Zeit auf einem<br />

Bauernhof, genauer gesagt im Kuhstall, verbringen,<br />

später weniger häufig von allergischen Reaktionen betroffen<br />

sind. Irgendetwas in der Stallluft scheint unser<br />

Immunsystem in eine bestimmte Richtung zu lenken,<br />

wir wissen aber noch nicht, was genau.<br />

Noch früher im <strong>Leben</strong> setzen Studien an, die den<br />

wichtigen Einfluss der vaginalen Geburt<br />

auf das für das Immunsystem wichtige Mikrobiom<br />

im Darm untersuchen …<br />

Es stimmt, dass die erste Besiedlung der Neugeborenen<br />

mit den Mikroben der Mutter während des Geburtsvorgangs<br />

erfolgt, ich würde das aber nicht überbewerten.<br />

Unsere Kaiserschnitt-Rate ist hoch, aber<br />

aus multifaktoriellen Gründen. Mütter werden immer<br />

älter und vieles spricht dann gegen ein anatomisches<br />

Geburtsrisiko. Der beste Immunschutz, den man einem<br />

Kind schon vor der Geburt mitgeben kann, ist<br />

ein guter Impfschutz der Eltern. Denn alles was die<br />

Mutter an Antikörpern im Körper trägt, wird über die<br />

Plazenta 1:1 auf das Baby übertragen. Werdende Väter<br />

können ebenfalls durch eine gute Immunisierung<br />

zum Nestschutz des Kindes beitragen, indem sie dann<br />

deutlich weniger Erreger von außen in die Familie<br />

einschleppen. Zudem wissen wir aus Studien, die die<br />

<strong>Gesund</strong>heit von Kindern in der BRD und der DDR verglichen<br />

haben, dass sich eine frühe Kinderbetreuung<br />

in Kitas oder Kindergärten, wie sie im Osten gang und<br />

gäbe war, positiv auf das Immunsystem der Kinder<br />

auswirkte, was an einer geringeren Neigung für Allergien<br />

ablesbar ist. Das Ergebnis: Der frühe Kontakt<br />

mit leichten Infektionen von anderen Kindern trainiert<br />

die Immunabwehr gut. Das ist aber kein Plädoyer für<br />

Masernpartys oder ähnliche schwerwiegende Infektionen!<br />

Dafür gibt es die wichtige Sechsfach-Impfung (3.<br />

bis 6. <strong>Leben</strong>smonat), und die MMR -Impfung (<strong>10</strong>. bis<br />

13. <strong>Leben</strong>smonat), die Kinder noch vor dem Eintritt in<br />

Gemeinschaftseinrichtungen benötigen.<br />

Warum sind<br />

Impfungen<br />

so wichtig?<br />

Sie sind deshalb so<br />

wichtig, weil ernste<br />

Infektionen schwerwiegende<br />

Folgen haben<br />

können. Bei der Impfung<br />

wird eine abgeschwächte<br />

Version des Erregers oder nur<br />

ein bestimmtes Antigen selbst<br />

verabreicht. Macht man eine Infektion<br />

wie beispielsweise Masern auf natürlichem<br />

Weg durch, besteht die Gefahr, schwere<br />

Durchfälle, Mittelohr- und Lungenentzündungen<br />

sowie eine Gehirnhautentzündung zu bekommen.<br />

Mumps kann hingegen zu Meningitis, Enzephalitis<br />

mit nachfolgender Schwerhörigkeit sowie Bauchspeicheldrüsenentzündung<br />

und bei Männern zur<br />

Unfruchtbarkeit führen. Röteln stellt bei schwangeren<br />

Frauen ein großes Risiko für das ungeborene<br />

Kind dar. Beim Durchmachen natürlicher Infektionen<br />

besteht zudem die Gefahr, dass sich Viren<br />

Orte im Körper suchen und dann<br />

für immer in den Körperzellen<br />

sitzen bleiben. Wie das ebenfalls<br />

zu Folgeerkrankungen<br />

führen kann, ist Gegenstand<br />

der aktuellen Forschung.<br />

Was weiß man<br />

dazu bereits?<br />

Es wird etwa vermutet,<br />

dass Epstein Barr – ein<br />

Virus, mit dem 80 Prozent<br />

von uns infiziert sind – bei<br />

entsprechender Veranlagung<br />

die Entwicklung von Multipler<br />

Sklerose fördert. Zudem gibt es die<br />

Hypothese, dass Typ-1-Diabetes mit dem Vorhandensein<br />

von Coxsacki-Viren zusammenhängt. Bei vielen<br />

Autoimmunerkrankungen wissen wir nicht, warum<br />

das Immunsystem den eigenen Körper angreift, aber<br />

latente (Virus-)Infektionen sind eine denkmögliche Ursache.<br />

Ein anderes viel diskutiertes Thema im<br />

Zusammenhang mit dem Immunsystem ist der<br />

falsche Einsatz von Antibiotika.<br />

Die Erfindung von Antibiotika ist ein Meilenstein der<br />

Medizingeschichte und ihr Einsatz in vielen Fällen<br />

„Im Dreck spielen“, der<br />

Besuch des Kindergartens,<br />

eine natürliche Geburt<br />

sind nur einige von vielen<br />

Faktoren, die unser<br />

Immunsystem stärken.<br />

Durch die<br />

Immunsystem-<br />

Forschung wird<br />

man auch in<br />

Zukunft große<br />

Schritte in der<br />

Krebstherapie<br />

machen<br />

können.<br />

30<br />

GESUND & LEBEN <strong>10</strong>/23<br />

FOTOS: ISTOCK_ YURII ZASIMOV_ SUPERSIZER_ PROSTOCK-STUDIO_ DNY59_ ETERNALCREATIVE<br />

<strong>2023</strong><br />

Impfen hilft<br />

schwerwiegende<br />

Infektonen mit<br />

großen Folgen zu<br />

vermeiden und die<br />

richtige<br />

Einnahme von<br />

Antibiotika<br />

unterstützt die<br />

Vemeidung von<br />

Restistenzen im<br />

Körper.<br />

Gold wert. Wichtig ist, sie leitliniengerecht einzusetzen<br />

– das heißt, das richtige Antibiotikum in<br />

der richtigen Dosierung und über den richtigen<br />

Zeitraum zu verschreiben. Für Patientinnen<br />

und Patienten gilt: Das Antibiotikum bitte<br />

immer bis zum Ende nehmen, um die<br />

Bildung von Resistenzen zu vermeiden!<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Warum wird das Immunsystem<br />

im Alter schwächer?<br />

Ein Grund ist, dass die Thymusdrüse,<br />

die die T-Lymphozyten<br />

hervorbringt, schrumpft und im<br />

Alter kaum mehr vorhanden ist. Ein<br />

weiterer hängt vermutlich von den<br />

vorhandenen Nischen im Knochenmark<br />

und in der Milz ab. Plasmazellen<br />

und T-Lymphozyten brauchen<br />

diese, um entsprechend ernährt und<br />

stimuliert zu werden, damit sie am <strong>Leben</strong><br />

bleiben. Man kann sich das wie bei<br />

einem Wasserglas vorstellen: Wenn ein Glas<br />

voll – also das Knochenmark mit Gedächtniszellen<br />

ausgefüllt ist – gibt es keine freien Nischen<br />

mehr. Das trifft im Alter zu. Die Forschung<br />

beschäftigt sich derzeit intensiv damit, herauszufinden,<br />

ob und wie die Nischengröße beeinflussbar<br />

ist.<br />

Was steht derzeit noch im Fokus der<br />

Immunsystem-Forschung?<br />

Letztendlich geht es bei der Immunantwort der<br />

B- und T-Zellen immer um eines: Habe ich ein<br />

Repertoire an Zellen, die genau auf ein Antigen<br />

– also eine Struktur, die vom Immunsystem als<br />

fremd erkannt wird – passen und werden neue<br />

Repertoires noch in großer (ausreichender)<br />

Menge hergestellt? Sollte das nicht der Fall sein,<br />

ist ein vielversprechender Weg die sogenannte<br />

CAR-T-Zell-Therapie, bei der die patienteneigenen<br />

T-Zellen entnommen, mit einem künstlichen<br />

Rezeptor ausgestattet und wieder in den<br />

Patienten zurücktransfundiert werden. Diese<br />

Therapie wirkt sehr gut bei bestimmten Krebsarten<br />

(z. B. Lymphdrüsenkrebs), ist aber noch<br />

sehr teuer. Wir identifizieren aber mehr und<br />

mehr Tumor-Antigene und dieser Bereich wird<br />

in Zukunft sicher eine noch größere Rolle spielen.<br />

Eine weitere Frage beschäftigt sich damit,<br />

ob eine ähnliche Vorgangsweise auch bei B-Zellen<br />

möglich ist. Was zur Zeit bereits sehr erfolgreich<br />

ist, ist der passive Transfer von bestimmten<br />

Antikörpern. Diese können Tumorerkrankungen<br />

heilen, Allergien bekämpfen und bestimmte<br />

Entzündungsfaktoren im Körper abfangen, die<br />

zu umfangreich gebildet werden.<br />

Ein weiterer ganz wichtiger Meilenstein ist die<br />

Allergie-Impfung mit rekombinant hergestellten<br />

Allergen-Fragmenten zur Ausbildung von sogenannten<br />

„blockierenden Antikörpern“. n<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

31

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!