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Christkatholisch_2023-16

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4 Thema<br />

<strong>Christkatholisch</strong> <strong>16</strong>/<strong>2023</strong><br />

Hildegard von Bingen<br />

beschrieb die<br />

Erkenntnis der Welt<br />

als einen Akt, bei<br />

dem Geist und Herz<br />

beteiligt seien, und<br />

verglich sie gar mit<br />

einer liebenden<br />

Umarmung.<br />

Foto: iStock<br />

«Teile und herrsche»<br />

«Die Wissenschaft, so<br />

formulierte es René<br />

Descartes, muss uns<br />

zu ‹Herren und Besitzern<br />

der Natur› machen.»<br />

Es war der Herrschaftsanspruch, der<br />

sich in der Neuzeit durch Technik und<br />

Technologie mehr und mehr Bahn<br />

brach, der die Zusammengehörigkeit<br />

von Himmel und Erde aufkündigte.<br />

«Teile und herrsche», lautete seit jeher<br />

der Leitspruch der Mächtigen. Alles<br />

wurde auseinandergerissen und gegeneinander<br />

ausgespielt: Schöpfer und Geschöpf,<br />

Himmel und Erde, Geist und<br />

Materie, Vernunft und Seele, Mann und<br />

Frau. Durch Abgrenzung und Abwertung<br />

entstand ein kompliziertes System,<br />

wo das Oben und Unten genau festgelegt<br />

war, das der Logik der Herrschaft<br />

folgte und die Verbundenheit verdrängte.<br />

Die Frau wurde – als der Natur näher<br />

– unten eingeordnet, ebenso die sogenannt<br />

Wilden: Beide bedürfen der Führung<br />

durch den männlichen Geist, da<br />

sie weniger fähig seien, die Vernunft<br />

walten zu lassen und sich als moralisch<br />

leicht verführbar zeigten.<br />

Das Naturverhältnis veränderte sich<br />

über die Jahrhunderte merklich. Hildegard<br />

beschrieb die Erkenntnis der<br />

Welt als einen Akt, bei dem Geist und<br />

Herz beteiligt seien, und verglich sie<br />

gar mit einer liebenden Umarmung. In<br />

der aufkommenden Neuzeit sprach<br />

man dagegen teilweise davon, man<br />

müsse die Natur auf die Folter spannen,<br />

damit sie ihre Geheimnisse preisgebe.<br />

Das Denken und Forschen geschah<br />

von einem zunehmend imperialistischen<br />

Standpunkt. Die Wissenschaft,<br />

so formulierte es René Descartes<br />

(1596–<strong>16</strong>50), muss uns zu «Herren<br />

und Besitzern der Natur» machen.<br />

Damit spielte er auch auf den biblischen<br />

Schöpfungsauftrag im Ersten<br />

Buch Mose an (Gen 1,26). Descartes ist<br />

natürlich nicht für die gesamte neuzeitliche<br />

Entwicklung verantwortlich.<br />

So bemerkt der Schweizer Philosoph<br />

Dominik Perler: «Wenn Descartes die<br />

Menschen ‹maîtres de la nature› nennt,<br />

kürt er sie nicht zu Herrschern, sondern<br />

er fordert sie auf, Meister der Natur<br />

zu werden – Meister, die wie ein<br />

Handwerksmeister durch gründliches<br />

Naturstudium ein bestimmtes Wissen<br />

und eine Fertigkeit erworben haben.<br />

Er setzt Tiere auch nicht mit Maschinen<br />

gleich, sondern schreibt ihnen<br />

durchaus Schmerzen und damit auch<br />

Leidensfähigkeit zu.»<br />

Theologische Wurzeln der<br />

Herrschaft über die Natur<br />

Das Grunddatum des biblischen Glaubens<br />

ist der Auszug aus Ägypten und die<br />

Befreiung der Israelit:innen aus der Sklaverei.<br />

Das heisst, der biblische Glaube<br />

wurzelt in einem geschichtlichen Ereignis<br />

und nicht in erster Linie in der Überzeugung,<br />

dass Gott der Schöpfer des<br />

Universums ist. Die Schöpfungsgeschichten<br />

im ersten und zweiten Kapitel<br />

des Ersten Buches Moses entstehen beide<br />

später als das Zweite Buch Moses. Sie<br />

halten fest, dass der befreiende Gott auch<br />

die schöpferische Gottheit sei, GOTT, der<br />

Himmel und Erde erschaffen habe und<br />

allem Lebendigen Atem schenke.<br />

Verzerrende Interpretationen<br />

der Schöpfungsgeschichten<br />

Sonne und Mond verlieren in der ersten<br />

Schöpfungserzählung den göttlichen<br />

Status, den sie in den babylonischen<br />

Schöpfungsmythen noch innehatten.<br />

Die Menschen wiederum werden nicht<br />

als Arbeitssklaven und -sklavinnen der<br />

Götter geschaffen. Sie sind Gottes<br />

Stellvertreter:innen und haben Anteil an<br />

der schöpferischen Lebensmacht. Doch

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