smartLiving Magazin Stuttgart | Ausgabe 04/2023
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FERNWÄRME –<br />
EINE ALTERNATIVE<br />
ZUR WÄRMEPUM-<br />
DIE ROLLE DER FERNWÄRME<br />
Welche Rolle die Fernwärme in einem klimaneutralen Energiesystem<br />
spielt, hat die Dena (eine Beratungseinrichtung der<br />
Bundesregierung) in einer aktuellen Studie thematisiert. Hier<br />
ein paar Eckpunkte:<br />
Zahl der Anschlüsse und Infrastruktur: Erstens steigt die Zahl der<br />
Fernwärmeanschlüsse bis 2<strong>04</strong>5 deutlich an. In den Langfristszenarien<br />
wird davon ausgegangen, dass die Zahl der Anschlüsse bis<br />
2<strong>04</strong>5 auf etwa das Doppelte ansteigt und somit mehr Haushalte,<br />
Gewerbe und Industriebetriebe Fernwärme als zentrale Quelle<br />
der Wärmeversorgung nutzen. Das bedeutet, dass das bestehende<br />
Fernwärmeleitungssystem erheblich ausgebaut werden muss.<br />
Mit einer steigenden Bedeutung der Wärmenetze ist vor allem in<br />
dicht besiedelten urbanen Gebieten zu rechnen, denn: Je höher<br />
die Wärmebedarfs- bzw. Anschlussdichte, desto effizienter ist das<br />
Netz. So ergeben sich klare Kostenvorteile gegenüber dezentralen<br />
Alternativen.<br />
Fernwärmeerzeugung: Zweitens steigt aufgrund der höheren<br />
Fernwärmeanschlüsse auch die Fernwärmeerzeugung von derzeit<br />
rund 134 auf 148 TWh im Jahr 2030 und auf 175 TWh im<br />
Jahr 2<strong>04</strong>5 an. Der Anstieg liegt dabei etwas niedriger als das<br />
Wachstum der Anschlüsse, da der Gesamtverbrauch gleichzeitig<br />
durch die Sanierungen im Gebäudebestand reduziert wird. Je geringer<br />
die Einsparungen ausfallen, desto höher ist der projizierte<br />
Fernwärmebedarf.<br />
Technologiemix: Drittens verändert sich der Technologiemix<br />
der Fernwärmeerzeugung. Um das Ziel der Klimaneutralität zu<br />
erreichen, werden die heute dominierenden Gas- und Kohle-<br />
KWK-Anlagen schrittweise abgeschaltet und durch einen Mix<br />
von Erneuerbare-Energien-Technologien ersetzt. Dieser Mix<br />
umfasst insbesondere Großwärmepumpen, aber auch Geothermie<br />
(tiefe, oberflächennahe als auch Grubenwasser), Solarthermie,<br />
Biomasse, Abwärme aus Industrie und weiteren Sektoren,<br />
und – ab 2<strong>04</strong>0 und in begrenztem Umfang – auch Wasserstoff-KWK-Anlagen.<br />
Speicher und Flexibilität: Viertens werden an Wärmenetze angeschlossene<br />
Wärmespeicher mithilfe von Elektrokesseln zunehmend<br />
auch als Flexibilitätsoption für die variable Stromerzeugung<br />
aus Wind- und PV-Anlagen genutzt und erhöhen so die<br />
Flexibilität des Energiesystems.<br />
künftige Gesetzgebung gilt es bei der Umstellung auf klimaneutrale<br />
Wärmeerzeugung mit zu berücksichtigen.<br />
Umweltministerin Thekla Walker: „Wir wollen schnellstmöglich<br />
ins Handeln kommen. Die Wärmeplanung der Kommunen<br />
zeigt uns im Detail, was die Akteure vor Ort brauchen – welche<br />
Rahmenbedingungen wir als Land verändern müssen, welche<br />
zusätzlichen Förderungen es braucht, damit die Menschen im<br />
Land baldmöglichst sicher, klimaneutral und bezahlbar heizen<br />
können.“<br />
Das EnBW-Heizkraftwerk Altbach: Aus den Anlagen am Standort kann<br />
eine gesicherte Fernwärmeleistung von 280 Megawatt ausgekoppelt werden.<br />
100.000 GEBÄUDE SOLLEN JÄHRLICH NEU ANS WÄRMENETZ ANGESCHLOSSEN WERDEN<br />
Was tun, wenn die alten Öl- und Gasheizungen kaputt gehen?<br />
Eine Frage, an der sich seit der Formulierung des<br />
künftigen Heizungsgesetzes die Gemüter erhitzen. Für jährlich<br />
rund 100.000 Gebäude soll diese Frage einfach beantwortet werden:<br />
so viel Häuser sollen künftig zusätzlich ans Fernwärmenetz<br />
angeschlossen werden. So zumindest hat es die Bundesbauministerin<br />
Klara Geywitz (SPD) unlängst auf dem sogenannten<br />
Fernwärmegipfel erklärt.<br />
Fernwärme also als Alternative zur Wärmepumpe und weiteren<br />
Techniken. Denn eine der Gipfelerklärungen lautet: „Wer sich<br />
an ein geplantes Fernwärmenetz anschließen lassen will, sollte<br />
von der Pflicht zum Einbau einer Heizung befreit werden, die die<br />
65-Prozent-Vorgabe für erneuerbare Energien erfüllt.“ Ist demnach<br />
ein Fernwärmenetz geplant, kann man die bisherige Gasheizung<br />
weiter betreiben oder übergangweise sich eine ähnliche<br />
Heizung einbauen lassen. Details gab es beim Fernwärmegipfel<br />
allerdings noch nicht, der neue Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes<br />
(„Heizungsgesetz“) wird sie aber wohl enthalten.<br />
Wirtschaftsminister Robert Habeck und weitere Verteter hatten<br />
bei diesem Gipfel bekräftigt, „dass bis 2030 insgesamt die<br />
Hälfte der Wärme in den Netzen klimaneutral erzeugt werden<br />
soll“. Bisher allerdings stammt die Wärme in diesen Netzen zu<br />
zwei Dritteln aus fossil befeuerten Kraftwerken. Wie soll diese<br />
Klimaneutralität gelingen? Laut den Langfristszenarien des<br />
Bundeswirtschaftsministeriums steigt der Anteil der Fernwärme<br />
am gesamten Wärmeverbrauch von heute zehn Prozent auf<br />
dann etwa 25 Prozent an. „Großwärmepumpen, Geo- und Solarthermie<br />
sind die zentralen Energiequellen“, so die Deutsche<br />
Energie-Agentur (Dena).<br />
„BERLIN ENTSCHEIDET, WAS WIR DÜRFEN“<br />
Eine Deckung von 25 Prozent des Wärmebedarfs durch Fernwärme<br />
hält auch der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) für<br />
realistisch. Deren Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing meinte<br />
nach dem Ende des Wärmegipfels: „Das klare Bekenntnis der zuständigen<br />
Ministerien, die Voraussetzungen für einen massiven<br />
Ausbau der Fernwärme zu schaffen, bewertet der VKU außerordentlich<br />
positiv. Die Fernwärme ist das zentrale Instrument zur<br />
Dekarbonisierung der Wärmeversorgung. Wenn die gemeinsam<br />
bekundeten Zielsetzungen jetzt umgesetzt werden, kommen wir<br />
einen großen Schritt auf dem Weg der Wärmewende voran.“<br />
Die Fernwärme als Option zum klimaneutralen Heizen brauche<br />
aus Sicht des Stadtwerkeverbands drei Dinge: mehr Zeit, mehr<br />
Geld und mehr Akzeptanz. Die gesetzlichen Regelungen müssten<br />
Kommunen und kommunale Unternehmen befähigen, die<br />
notwendigen Investitionen in den Ausbau und die Erzeugung<br />
sowie Erschließung klimaneutraler Wärmequellen zu stemmen.<br />
„Dafür sind auch wirksame finanzielle Förderungen notwendig“,<br />
meinte Liebing. „Das Bundesprogramm BEW und die KWK-Förderung<br />
laufen 2026 aus und brauchen eine Anschlusslösung.<br />
Gemeinsam mit dem Bundesgesetz für die Wärmeplanung und<br />
einer praxisgerechten Novelle des Gebäudeenergiegesetzes kann<br />
so ein wirksamer Rahmen für den Ausbau der Wärmenetze geschaffen<br />
werden. Dabei sollte auf zu starre Fristen, die manche<br />
Wärmenetzbetreiber nicht erreichen können, verzichtet werden.<br />
Ansonsten würden sie solche Festlegungen vom Ausbau abhalten.<br />
Als Stadtwerke wollen wir die Bürgerinnen und Bürger bestmöglich<br />
bei der Wärmewende unterstützen. Die Fernwärme ist<br />
dafür eine gute Lösung. Wir können. Wir wollen. Nun entscheidet<br />
Berlin, wie viel und was wir dürfen.“<br />
EIGENER WÄRMEGIPFEL FÜR BADEN-WÜRTTEMBERG<br />
Unterdessen hat Baden-Württemberg noch vor den Sommerferien<br />
seinen eigenen „Wärmegipfel“ abgehalten. Das Land verpflichtet<br />
die 1<strong>04</strong> Stadtkreise und Großen Kreisstädte des Landes<br />
zu einer kommunalen Wärmeplanung. Diese Wärmepläne<br />
müssen bis Ende dieses Jahres vorliegen. Sie zeigen auf, wie die<br />
Wärmeversorgung vor Ort bis 2<strong>04</strong>0 klimaneutral wird und welche<br />
Zwischenschritte bis dahin notwendig sind – etwa der Bau,<br />
die Erweiterung oder Umstellung eines Nah- oder Fernwärmenetzes.<br />
Zudem arbeitet die Bundesregierung an grundlegenden<br />
Weichenstellungen bei der Gebäudeenergieeffizienz und weiteren<br />
Anforderungen an die kommunale Wärmeplanung. Diese<br />
BUNDESWEITE VORREITERROLLE<br />
Ralf Broß, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Städtetags<br />
Baden-Württemberg, sieht mit der baden-württembergischen<br />
Gesetzgebung und den kommunalen Wärmeplanungen eine<br />
gute Grundlage dafür, dass nun die richtigen Investitionsentscheidungen<br />
getroffen werden können: „Die aktuellen Gesetzesvorhaben<br />
auf Bundesebene setzen den Rahmen für die weiteren<br />
Schritte in der Wärmewende. Jetzt müssen wir die Gelegenheit<br />
beim Schopfe packen und gemeinsam dafür Sorge tragen, dass<br />
wir unsere Vorreiterrolle im Land nicht verspielen. Allerdings<br />
sind in dem Verhältnis zwischen Landes- und Bundesrecht noch<br />
zahlreiche Fragen zu klären. Mit Blick auf die fortschreitenden<br />
Planungen vor Ort sowie auf die Dringlichkeit des Klimaschutzes<br />
müssen die baden-württembergischen Planungen jetzt rasch<br />
mit jenen auf Bundesebene in Einklang gebracht werden.“<br />
Steffen Jäger, Präsident des Gemeindetags, meint dazu: „Eine gelingende<br />
Wärmewende ist eine zwingende Voraussetzung für das<br />
Erreichen der Klimaziele. Wärmenetze, die Wärme aus erneuerbarer<br />
Erzeugung oder Abwärme liefern, sind hierbei ein wichtiger<br />
Baustein. Durch eine kommunale Wärmeplanung können<br />
die jeweiligen, vor Ort zielführenden Maßnahmen ermittelt werden.<br />
Wichtig ist uns aber: die verfügbaren Ressourcen – sowohl<br />
in den Rathäusern als auch am Markt sind knapp. Deshalb müssen<br />
die Rahmenbedingungen für die Wärmeplanung pragmatisch<br />
ausgestaltet und Bestandspläne anerkannt werden. In den<br />
Kommunen weiß man im Zweifel am besten, wo eine vertiefte<br />
Planung sinnvoll sein kann und wo man gegebenenfalls auch<br />
ganz darauf verzichtet.“<br />
Fernwärme-Ausbau in <strong>Stuttgart</strong>-Ost.<br />
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Foto: Daniel Maier-Gerber/EnBW<br />
Foto: Uli Deck/EnBW<br />
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