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OLIVER LAIR<br />
RUND UM DIE WELT<br />
Aconcagua – Grenzgang der Gefühle<br />
Der zweithöchste der Seven Summits, der fordernde beinahe 7000-er in den Anden ist Wagnis und Abenteuer zugleich<br />
Die Anden sind mit ihrer Ausdehnung von 7.400 Kilometern die<br />
längste Gebirgskette der Erde. Über 100 Gipfel erreichen Höhen von<br />
über 6000 m. Der Höchste davon, der Aconcagua, an der Grenze zwischen<br />
Argentinien und Chile, mit 6.965 m sollte es diesmal werden.<br />
Lange Vorbereitungen galt es zu treffen, zahlreiche Verzichte zu üben<br />
und Comfort hintanzustellen, denn den durften wir auf unserer Expedition<br />
nicht erwarten. Wir wollten es diesmal ohne Unterstützung<br />
von Trägern oder Führern „by fair means“ schaffen. Vom Basislager<br />
aus alles selbst hochtragen, vom Zelt über Kochgeschirr, Verpflegung<br />
und Ausrüstung und ohne Flaschensauerstoff.<br />
Von Oliver Lair<br />
IN<strong>TE</strong>NSIVE VORBEREITUN-<br />
GEN. Bereits die Vorbereitungen<br />
mit monatelangem Training von zumindest<br />
drei bis vier Stunden alle<br />
zwei Tage, mit 15 kg und mehr Ballast<br />
im Rucksack, Besorgung der<br />
Ausrüstung und des Materials unter<br />
Worst-Case-Szenario, notwendige<br />
Gesundheitschecks, Organisation der<br />
Besteigungsgenehmigung, und, und,<br />
und. Schließlich war es dann aber<br />
soweit, und wir standen am Eingang<br />
des Nationalparkes Provincial Aconcagua,<br />
hielten das Besteigungspermit<br />
und die Fäkalbeutel in der Hand – Yuhuuh!<br />
Und es durfte endlich losgehen!<br />
DER ANMARSCH. Über das endlose<br />
Tal des Rio Horcones hieß es von<br />
2.700 m über das Zwischenlager Confluencia<br />
mehr als 30 km und 1.700<br />
hm zum Basislager Plaza de Mulas<br />
auf 4.400 m aufzusteigen. Hier unterstützten<br />
uns aber die gutmütigen<br />
und tapferen Maultiere. Sie trugen einen<br />
Gutteil (den schwersten) unserer<br />
Ausrüstung bis zum Basislager. Dann<br />
war aber Schluss mit Comfort und<br />
uns standen zehn Tage für die weitere<br />
Gipfelbesteigung zur Verfügung. Vor<br />
allem eine Frage der Höhenakklimatisation<br />
und des Wetters! Zuerst hieß<br />
es aber, die vorgeschriebenen Arztuntersuchungen<br />
positiv zu absolvieren,<br />
um „grünes Licht“ für den weiteren<br />
Aufstieg zu erhalten. Der Wetterbericht<br />
musste gecheckt werden und zumindest<br />
der Versuch einer Prognose<br />
für die weiteren Tage unternommen<br />
werden, denn in den Hochlagern war<br />
keine Netzanbindung vorhanden. Wir<br />
waren nun für mehrere Tage uns und<br />
unserem Schicksal überlassen.<br />
AUFSTIEG. Der Aufstieg zum ersten<br />
Hochlager Nido de Condores auf<br />
5.600 m mit knapp 22 kg schwerem<br />
Christine und Oliver am Gipfel des<br />
Aconcagua auf 6.965 m.<br />
Gepäck in der bereits dünnen Luft<br />
war dann eine erste Herausforderung.<br />
Es galt langsam zu gehen und<br />
zu hoffen, dass der Körper das Spiel<br />
der Höhenanpassung mitspielt. Ausreichend<br />
zu trinken, Wind und Staub<br />
zu ignorieren, einfach nur durchzuhalten.<br />
Nachdem das Zelt aufgestellt<br />
war, musste Schnee geschmolzen und<br />
Wasser erhitzt werden, um zumindest<br />
ein wenig Nahrung und ausreichend<br />
warme Getränke zu erhalten und dem<br />
Körper damit Energie zuführen zu<br />
können. Sich ja nicht zu überanstrengen<br />
war die Devise, denn das wäre<br />
hier oben fatal! In dieser Höhe tritt im<br />
Ruhezustand keine wirkliche Regeneration<br />
mehr ein, und selbst das Schlafen<br />
wird zur Herausforderung.<br />
Unser ambitionierter Plan mit dem<br />
sofortigen Aufstieg wurde dann aber<br />
von einem Sturm mit über 160 km/h<br />
Windspitzen jäh gestoppt. So mussten<br />
wir zwei weitere Tage im ersten<br />
Hochlager verbringen, und der Aufstieg<br />
zum Hochlager Colera musste<br />
vorerst warten. Denn Sicherheit war<br />
oberstes Gebot, und starker Wind bei<br />
Temperaturen von -20°C und tiefer,<br />
Blick auf die mächtige Aconcagua-Südwand, eine der mächtigsten Eiswände<br />
der Welt. <br />
Fotos: Lair<br />
kann sich bereits lebensbedrohend<br />
auswirken. „Geduld“ war daher angesagt,<br />
ein Wort das ich „nicht wirklich<br />
gerne höre“ und tatsächlich erst<br />
durch die Unterstützung meiner Frau<br />
ertrage. Aber da musste ich durch!<br />
Am übernächsten Tag sollte es dann<br />
funktionieren. Unsere Gebete wurden<br />
erhört und das Wetter besserte sich,<br />
der Aufstieg ins zweite Hochlager auf<br />
6.000 m konnte beginnen.<br />
Eine hohe Bereitschaft sich selbst zu<br />
quälen und an die Grenzen zu gehen,<br />
muss auf solchen Unternehmungen<br />
unbedingt vorhanden sein, denn lustig<br />
ist es nicht immer! Die Nacht im<br />
zweiten Hochlager verlief dann ohne<br />
Schlaf, und wir traten die Gipfeletappe<br />
noch in der Nacht, körperlich<br />
geschwächt und nicht mit besten Voraussetzungen<br />
an. Aber es hieß jetzt,<br />
alle Kräfte zu bündeln, positiv zu bleiben,<br />
„kleine“ Problemchen hintanzustellen<br />
und sich auf die Besteigung<br />
zu fokussieren. Die knapp 1000 Höhenmeter<br />
in der zunehmend dünnen<br />
Luft und das immer steiler werdende<br />
Gelände mit leichten Kletterpassagen<br />
waren Herausforderung, Überwindung<br />
und Abenteuer zugleich. Beinahe<br />
nach jedem Schritt musste pausiert<br />
werden und jeder einzelne Meter wurde<br />
zur Qual. Dann aber tatsächlich am<br />
höchsten Punkt Amerikas auf 6.965 m<br />
stehen zu können, ergibt ein Gefühl<br />
von unbeschreiblicher Erfüllung. Ein<br />
Glücksmoment für die Ewigkeit! Wir<br />
hatten es geschafft – unglaublich war<br />
für mich aber die Leistung meiner<br />
Frau, und wir standen beide am Gipfel!<br />
Von unseren ursprünglich zehn<br />
Expeditionsteilnehmern schafften es<br />
noch weitere drei bis zum Gipfel, einer<br />
musste wegen Höhenkrankheit vom<br />
Zwischenlager absteigen, zwei vom<br />
Basislager mit Lungenödem ausgeflogen<br />
werden, und der Rest wurde noch<br />
auf der Gipfeletappe „ausgesiebt“. Es<br />
war eben kein Honiglecken, sondern<br />
ein Grenzgang für Körper und Geist.<br />
ABSTIEG. Der Abstieg gestaltete<br />
sich dann nochmals interessant, war<br />
mit knapp 45 km bis zum Nationalparkeingang<br />
noch einmal recht fordernd,<br />
aber mit dem Gefühl der Zufriedenheit<br />
und der Gewissheit es geschafft<br />
zu haben, ein schönes Unterfangen.<br />
Die von Diamir-Erlebnisreisen bestens<br />
organisierte und von Odlo<br />
Sportwäsche top ausgestattete Expedition<br />
konnte damit als voller Erfolg<br />
verbucht werden und bleibt garantiert<br />
ein traumhaftes und unvergessliches<br />
Abenteuer.<br />
Detailtouren sind mit Beschreibungen<br />
auf www.outdoorcative.com<br />
Autor Oliver Lair zu lesen.<br />
Die 150 m hohen Eisbrüche am Horcones-Gletscher.<br />
RUNDSCHAU Seite 22 20./21. März 2024