Neue Szene Epaper2024-04
DAS Stadtmagazin von Augsburgern für Augsburger und die bayrisch-schwäbische Region. Über interessante Menschen aus Politik, Sport, Kultur, Theater u.v.a.m.
DAS Stadtmagazin von Augsburgern für Augsburger und die bayrisch-schwäbische Region. Über interessante Menschen aus Politik, Sport, Kultur, Theater u.v.a.m.
- Keine Tags gefunden...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
ZOOM<br />
27<br />
Im Gespräch mit Leonie Pichler von<br />
Bluespots Productions<br />
Leonie, du hattest die Leitung des Ensembles<br />
für ein paar Jahre abgegeben, bist aber mittlerweile<br />
wieder ins Kollektiv zurückgekehrt. Wie<br />
kam das?<br />
Nach sieben Jahren bei Bluespots hatte ich<br />
das Gefühl, eigentlich alles erledigt zu haben,<br />
was ich mit dem Ensemble erreichen wollte. Wir<br />
haben lange um unser Standing, um Publikum,<br />
Räume und städtische Förderung gekämpft und<br />
endlich war das alles da. An diesem Punkt würden<br />
sich andere vielleicht entspannt zurücklehnen,<br />
aber ich wollte erstmal weiterziehen und mir<br />
wieder neue Ziele stecken. Außerdem brauchte<br />
ich nach dieser langen Phase der intensiven Gruppenerfahrung<br />
mal ein bisschen Raum, um meine<br />
eigene Stimme ausprobieren zu können.<br />
Was hast du in dieser Auszeit gemacht?<br />
Ich habe europaweit in verschiedenen<br />
Projekten aus dem Theaterbereich gearbeitet, war<br />
unter anderem fünf Jahre in Dänemark an einem<br />
Stadttheater beschäftigt. Als ich mit meinem ersten<br />
Kind schwanger wurde, fand diese Zeit aber<br />
auch wieder ein Ende und ich bin nach Augsburg<br />
und zu Bluespots zurückgekehrt. Aktuell leiten<br />
Miriam Artmann, Lisa Bühler, Marlene Lippok<br />
und ich das Ensemble gemeinsam. Ich freue mich<br />
enorm, jetzt wieder im Kollektiv zu arbeiten und<br />
anderen dabei zu helfen, ihre eigene Stimme zu<br />
finden und Sichtbarkeit zu erfahren.<br />
Wenn du mal auf eure Anfänge zurückschaust:<br />
Wie hat sich Bluespots, aber auch<br />
die freie Theaterszene in Augsburg seitdem<br />
verändert?<br />
Beides hat sich total positiv entwickelt.<br />
Wir sind mit den anderen freien Theatern in<br />
Augsburg und auch mit dem Staatstheater sehr<br />
gut vernetzt. Dieses Gemeinschaftsgefühl war zu<br />
unseren Anfangszeiten noch nicht so vorhanden,<br />
da hat jeder eher für sich gekämpft. Presse und<br />
Politik sprachen zu der Zeit häufig von einer<br />
Neiddebatte in der Theaterszene, was mittlerweile<br />
gar kein Thema mehr ist. Im Gegenteil, man<br />
respektiert und unterstützt sich gegenseitig. Was<br />
Bluespots angeht, sind wir über die Jahre erwachsener<br />
geworden und auf jeden Fall politischer.<br />
Zum diesjährigen Brechtfestival habt ihr mit<br />
dem Community-Theater-Projekt „Spiritueller<br />
Leerstand“ zwei Kirchen in Oberhausen<br />
„besetzt“. Wie seid ihr auf die Idee gekommen?<br />
Weil sich die Festivalausgabe größtenteils<br />
in Oberhausen abgespielt hat, wollten wir im<br />
Vorfeld mehr über den Stadtteil erfahren und<br />
haben uns vom gebürtigen Oberhauser Raimund<br />
Mittler durch sein Heimatviertel führen lassen.<br />
Dabei hat er uns St. Joseph gezeigt, wo der große<br />
Kirchenraum durch eine eingezogene Wand verkleinert<br />
wurde, weil es immer weniger Kirchenmitglieder<br />
gibt. Und er hat uns auch erklärt, dass<br />
die gegenüberliegende Kirche St. Johannes zum<br />
Verkauf steht. Das hat für uns ein interessantes<br />
Spannungsfeld aufgemacht: so viele Kunst- und<br />
Kulturschaffende suchen verzweifelt Räume,<br />
während die Kirche gerade versucht, ihre Räume<br />
zu verkleinern oder loszuwerden. Wir wollten uns<br />
gerne näher mit diesem spirituellen Leerstand<br />
befassen und so kam die Kooperation zustande.<br />
Ihr habt einen offenen Aufruf gestartet,<br />
jede:r durfte bei dem Projekt mitwirken.<br />
Die Teilnehmer:innen haben dann in nur 24<br />
Stunden zwei Theaterstücke entwickelt und<br />
in beiden Kirchen zur Aufführung gebracht.<br />
Wie habt ihr dieses Experiment erlebt?<br />
Für uns war das tatsächlich die erste reine<br />
Community-Theaterproduktion, bei der wir selbst<br />
nicht in die Stückentwicklung eingegriffen haben,<br />
sondern nur als Betreuer:innen unterstützend<br />
zur Seite standen. Für mich war das wahnsinnig<br />
spannend, aber auch herausfordernd, weil ich<br />
es nun mal gewohnt bin, Regie zu führen und<br />
alle Fäden in der Hand zu halten. Auch das enge<br />
Zeitfenster war nicht ohne. Die Teilnehmenden<br />
haben in 24 Stunden all das durchlebt, wofür<br />
wir bei einer normalen Produktion vier bis sechs<br />
Wochen Zeit haben. Ich habe großen Respekt vor<br />
dem Mut der Teilnehmer:innen, die dieses Experiment<br />
mitgemacht haben. Letztlich war das auch<br />
ein tolles demokratisches Übungsfeld: da treffen<br />
eine Handvoll fremder Leute mit unterschiedlichen<br />
Kenntnissen und Vorstellungen aufeinander,<br />
die in kürzester Zeit etwas Gemeinschaftliches<br />
erschaffen.<br />
Theater an außergewöhnlichen Orten ist<br />
definitiv eines eurer Markenzeichen. Auf eurer<br />
Webseite schreibt ihr: „Wir wollen keine feste<br />
Spielstätte. Die ganze Stadt ist unsere Bühne.“<br />
Worin liegt für euch der Reiz an wechselnden<br />
Spielorten?<br />
Wir wollen damit das Gewöhnliche durchbrechen,<br />
den Kunstraum erweitern und unser<br />
Publikum auf eine Reise mitnehmen. Die Orte,<br />
an denen wir spielen, haben auch immer einen<br />
inhaltlichen Bezug zur Inszenierung. Ein schönes<br />
Beispiel ist unsere Produktion „Reise ins Exil“.<br />
Da haben wir das Publikum im Hauptbahnhof<br />
in einen Zug einsteigen lassen, ihnen aber<br />
nicht gesagt, wohin die Fahrt geht. Durch diese<br />
Ungewissheit haben die Zuschauer:innen eine<br />
Art Miniatur-Exilerfahrung geteilt. Sie saßen<br />
mit einem Brecht-Darsteller auf engstem Raum<br />
in einem Bahnwaggon, der von seinen eigenen<br />
Exilerfahrungen erzählt hat. So kann das eine<br />
ganz andere Wirkung entfalten als auf einer<br />
klassischen Theaterbühne. Außerdem entstehen<br />
durch die wechselnden Orte ständig neue<br />
Kooperationen mit verschiedenen Akteuren oder<br />
Institutionen in Augsburg und wir erreichen<br />
meist nochmal andere Publikumsschichten.<br />
Ihr versteht euch als multimediales Theaterensemble.<br />
Warum wollt ihr euch nicht nur auf<br />
ein Medium beschränken?<br />
Weil wir in erster Linie Storyteller sind. Und<br />
es gibt eben Geschichten, die können mit dem<br />
einen Medium besser erzählt werden als mit allen<br />
anderen. Wir richten unsere medialen Ausdrucksformen<br />
immer danach aus, was es braucht, um die<br />
jeweilige Geschichte bestmöglich zu erzählen.<br />
Welche Projekte stehen dann als nächstes bei<br />
euch auf der Agenda?<br />
Diesen Sommer veranstalten wir im Rahmen<br />
des Friedensfests das Ideenfestival „HCKNZS“, bei<br />
dem die Teilnehmer:innen ein Wochenende lang<br />
gemeinsam verschiedene Aktionen und Konzepte<br />
für Demokratie und Zusammenhalt entwickeln.<br />
Die Anmeldung dafür läuft aktuell noch.<br />
Inspiriert von unserem „Spirituellen Leerstand“<br />
werden wir außerdem 2025 die „Church of new<br />
Realities“ errichten. Damit wollen wir in einer<br />
Kirche – hoffentlich wieder in St. Johannes –<br />
einen neuen, sinnstiftenden Gemeinschaftsort als<br />
Alternative zur Kirche gestalten, in dem man alle<br />
Feste im Sonnenkreislauf, monatliche Mondfeste<br />
oder auch wichtige Lebensereignisse feiern kann.<br />
So wollen wir die Lücke füllen, die dadurch<br />
entsteht, dass sich immer mehr Menschen von<br />
Religionen abwenden. (lina)