26 ZOOM Die Rastlosen L Foto: © Christina Kestler, Helle Tage Fotografie Seit 14 Jahren begeistert das Augsburger Ensemble mit multimedialen (Theater-) Aktionen an ungewöhnlichen Orten. Ob Brecht in der Sauna, künstlerische Audio-Walks oder ein kollektives Pop-up-Museum, immer wieder setzt Bluespots Productions neue Impulse in der Stadt. Wir sprechen mit Gründerin Leonie Pichler über ihre Rückkehr zu Bluespots, kreative Kirchenbesetzungen und anstehende Projekte. Von Lina Frijus-Plessen
ZOOM 27 Im Gespräch mit Leonie Pichler von Bluespots Productions Leonie, du hattest die Leitung des Ensembles für ein paar Jahre abgegeben, bist aber mittlerweile wieder ins Kollektiv zurückgekehrt. Wie kam das? Nach sieben Jahren bei Bluespots hatte ich das Gefühl, eigentlich alles erledigt zu haben, was ich mit dem Ensemble erreichen wollte. Wir haben lange um unser Standing, um Publikum, Räume und städtische Förderung gekämpft und endlich war das alles da. An diesem Punkt würden sich andere vielleicht entspannt zurücklehnen, aber ich wollte erstmal weiterziehen und mir wieder neue Ziele stecken. Außerdem brauchte ich nach dieser langen Phase der intensiven Gruppenerfahrung mal ein bisschen Raum, um meine eigene Stimme ausprobieren zu können. Was hast du in dieser Auszeit gemacht? Ich habe europaweit in verschiedenen Projekten aus dem Theaterbereich gearbeitet, war unter anderem fünf Jahre in Dänemark an einem Stadttheater beschäftigt. Als ich mit meinem ersten Kind schwanger wurde, fand diese Zeit aber auch wieder ein Ende und ich bin nach Augsburg und zu Bluespots zurückgekehrt. Aktuell leiten Miriam Artmann, Lisa Bühler, Marlene Lippok und ich das Ensemble gemeinsam. Ich freue mich enorm, jetzt wieder im Kollektiv zu arbeiten und anderen dabei zu helfen, ihre eigene Stimme zu finden und Sichtbarkeit zu erfahren. Wenn du mal auf eure Anfänge zurückschaust: Wie hat sich Bluespots, aber auch die freie Theaterszene in Augsburg seitdem verändert? Beides hat sich total positiv entwickelt. Wir sind mit den anderen freien Theatern in Augsburg und auch mit dem Staatstheater sehr gut vernetzt. Dieses Gemeinschaftsgefühl war zu unseren Anfangszeiten noch nicht so vorhanden, da hat jeder eher für sich gekämpft. Presse und Politik sprachen zu der Zeit häufig von einer Neiddebatte in der Theaterszene, was mittlerweile gar kein Thema mehr ist. Im Gegenteil, man respektiert und unterstützt sich gegenseitig. Was Bluespots angeht, sind wir über die Jahre erwachsener geworden und auf jeden Fall politischer. Zum diesjährigen Brechtfestival habt ihr mit dem Community-Theater-Projekt „Spiritueller Leerstand“ zwei Kirchen in Oberhausen „besetzt“. Wie seid ihr auf die Idee gekommen? Weil sich die Festivalausgabe größtenteils in Oberhausen abgespielt hat, wollten wir im Vorfeld mehr über den Stadtteil erfahren und haben uns vom gebürtigen Oberhauser Raimund Mittler durch sein Heimatviertel führen lassen. Dabei hat er uns St. Joseph gezeigt, wo der große Kirchenraum durch eine eingezogene Wand verkleinert wurde, weil es immer weniger Kirchenmitglieder gibt. Und er hat uns auch erklärt, dass die gegenüberliegende Kirche St. Johannes zum Verkauf steht. Das hat für uns ein interessantes Spannungsfeld aufgemacht: so viele Kunst- und Kulturschaffende suchen verzweifelt Räume, während die Kirche gerade versucht, ihre Räume zu verkleinern oder loszuwerden. Wir wollten uns gerne näher mit diesem spirituellen Leerstand befassen und so kam die Kooperation zustande. Ihr habt einen offenen Aufruf gestartet, jede:r durfte bei dem Projekt mitwirken. Die Teilnehmer:innen haben dann in nur 24 Stunden zwei Theaterstücke entwickelt und in beiden Kirchen zur Aufführung gebracht. Wie habt ihr dieses Experiment erlebt? Für uns war das tatsächlich die erste reine Community-Theaterproduktion, bei der wir selbst nicht in die Stückentwicklung eingegriffen haben, sondern nur als Betreuer:innen unterstützend zur Seite standen. Für mich war das wahnsinnig spannend, aber auch herausfordernd, weil ich es nun mal gewohnt bin, Regie zu führen und alle Fäden in der Hand zu halten. Auch das enge Zeitfenster war nicht ohne. Die Teilnehmenden haben in 24 Stunden all das durchlebt, wofür wir bei einer normalen Produktion vier bis sechs Wochen Zeit haben. Ich habe großen Respekt vor dem Mut der Teilnehmer:innen, die dieses Experiment mitgemacht haben. Letztlich war das auch ein tolles demokratisches Übungsfeld: da treffen eine Handvoll fremder Leute mit unterschiedlichen Kenntnissen und Vorstellungen aufeinander, die in kürzester Zeit etwas Gemeinschaftliches erschaffen. Theater an außergewöhnlichen Orten ist definitiv eines eurer Markenzeichen. Auf eurer Webseite schreibt ihr: „Wir wollen keine feste Spielstätte. Die ganze Stadt ist unsere Bühne.“ Worin liegt für euch der Reiz an wechselnden Spielorten? Wir wollen damit das Gewöhnliche durchbrechen, den Kunstraum erweitern und unser Publikum auf eine Reise mitnehmen. Die Orte, an denen wir spielen, haben auch immer einen inhaltlichen Bezug zur Inszenierung. Ein schönes Beispiel ist unsere Produktion „Reise ins Exil“. Da haben wir das Publikum im Hauptbahnhof in einen Zug einsteigen lassen, ihnen aber nicht gesagt, wohin die Fahrt geht. Durch diese Ungewissheit haben die Zuschauer:innen eine Art Miniatur-Exilerfahrung geteilt. Sie saßen mit einem Brecht-Darsteller auf engstem Raum in einem Bahnwaggon, der von seinen eigenen Exilerfahrungen erzählt hat. So kann das eine ganz andere Wirkung entfalten als auf einer klassischen Theaterbühne. Außerdem entstehen durch die wechselnden Orte ständig neue Kooperationen mit verschiedenen Akteuren oder Institutionen in Augsburg und wir erreichen meist nochmal andere Publikumsschichten. Ihr versteht euch als multimediales Theaterensemble. Warum wollt ihr euch nicht nur auf ein Medium beschränken? Weil wir in erster Linie Storyteller sind. Und es gibt eben Geschichten, die können mit dem einen Medium besser erzählt werden als mit allen anderen. Wir richten unsere medialen Ausdrucksformen immer danach aus, was es braucht, um die jeweilige Geschichte bestmöglich zu erzählen. Welche Projekte stehen dann als nächstes bei euch auf der Agenda? Diesen Sommer veranstalten wir im Rahmen des Friedensfests das Ideenfestival „HCKNZS“, bei dem die Teilnehmer:innen ein Wochenende lang gemeinsam verschiedene Aktionen und Konzepte für Demokratie und Zusammenhalt entwickeln. Die Anmeldung dafür läuft aktuell noch. Inspiriert von unserem „Spirituellen Leerstand“ werden wir außerdem 2025 die „Church of new Realities“ errichten. Damit wollen wir in einer Kirche – hoffentlich wieder in St. Johannes – einen neuen, sinnstiftenden Gemeinschaftsort als Alternative zur Kirche gestalten, in dem man alle Feste im Sonnenkreislauf, monatliche Mondfeste oder auch wichtige Lebensereignisse feiern kann. So wollen wir die Lücke füllen, die dadurch entsteht, dass sich immer mehr Menschen von Religionen abwenden. (lina)