2013-04
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Unterhaltung<br />
JACQUELINE<br />
1. Kapitel<br />
Klack! Klack! Klack! Im Dorf geht es um. Klack!<br />
Klack! Klack! Ist ein Gespenst unterwegs? Die<br />
von der Spukerscheinung verursachten Geräusche<br />
sind leise, ungewöhnlich leise sogar. Sie sind daher nicht im<br />
Geringsten geeignet, einem redlichen Schläfer Angst einzujagen.<br />
Dennoch sitzt die alte Frau Pfotenhauer, die für gewöhnlich<br />
gar nicht mehr so sehr gut hört, sofort kerzengerade<br />
in ihrem Bett. Klack! Klack! Klack! „Wer so stiekum mit<br />
Hochhackigen über den Asphalt stakst, der hat ganz gewiss<br />
etwas zu verbergen“, denkt sie – und: „Ihr könnt so leise<br />
sein, wie ihr wollt – ich erwische euch alle.“ Sie hat diese<br />
nächtlichen Krachmacher noch nie gemocht. Das einstige<br />
Fräulein Pfotenhauer hielt sich als Jugendliche und auch danach<br />
strikt an die klare Richtlinie: „Eine deutsche Frau trägt<br />
keine Stöckelschuhe!“<br />
Die nunmehr alte Frau Pfotenhauer hat sie ausnahmslos<br />
erlebt – sie, die in den 50er und 60er Jahren nach überstandenen<br />
Unternehmungen irgendwann in der Nacht auf dem<br />
Heimweg – zumeist in Begleitung einer Mannsperson – an<br />
ihrem Haus vorbei kamen und dabei die nervigen Klackgeräusche<br />
verursachten. Anfangs die kesse Rosemarie, die<br />
dreiste Margarete und die freizügige Lieselotte, Jahre später<br />
dann die burschikose Brigitte, die unbekümmerte Karin und<br />
die flotte Ursula. Frau Pfotenhauer musste irgendwann gar<br />
nicht mehr ans Fenster hasten um die jeweilige Trägerin der<br />
Stöckelschuhe zu entlarven. Sie erkannte alle am persönlichen<br />
Klack – so, wie ein Autokenner eine Fahrzeugmarke<br />
am Brummen des Motors oder am „Plopp“ beim Zuschlagen<br />
der Türen ausmacht. Wenn freilich ein bislang noch nicht<br />
gehörter Klackrhythmus zu vernehmen war, dann war selbstredend<br />
eine Extra-Inspektion hinter den Scheiben fällig.<br />
Als irgendwann zuerst die Kavaliere und später auch die<br />
Mädels einen fahrbaren Untersatz ihr Eigen nannten und bis<br />
in die Nähe der jeweiligen Haustüren fahren konnten, gingen<br />
ihre Ermittlungen rapide zurück. Zu den Leidtragenden<br />
gehörten auch die wissbegierigen Damen aus der Nachbarschaft.<br />
Keine von ihnen brachte nun am nächsten Morgen<br />
noch in Erfahrung, welche zügellose Göre wieder einmal den<br />
Zapfenstreich grob missachtet hatte.<br />
Klack! Klack! Klack! Die erfahrene Frau Pfotenhauer<br />
weiß genau: „Wenn ich jetzt nicht herausfinde, wer das ist,<br />
dann schlafe ich die ganze lange Nacht keine Minute mehr.“<br />
Das Aufstehen fällt ihr schwer, sie schleppt sich dennoch ans<br />
Fenster und erkennt mit einem Blick, dass die dezente Lautstärke<br />
der Klacks etwas mit dem Gewicht der überwiegend<br />
in Rotbraun daherkommenden Trägerin zu tun hat. Anmutig<br />
schreitet das Wesen mit schlanken und hohen Beinen vorbei.<br />
Der Hals ist weit vorgestreckt, die seitlich stehenden großen<br />
Augen im schmalen Gesicht beobachten das Fenster, hinter<br />
dem eine Bewegung zu sehen war. Grazil wirkt der Stechschritt,<br />
der die Ursache für das gleichmäßige Klackgeräusch<br />
ist. Beim Blick auf das Hinterteil erkennt die Beobachterin<br />
einen hellen Fleck, der beinahe wie ein auf dem Kopf stehendes<br />
Herz aussieht. Die alte Frau Pfotenhauer muss zu<br />
ihrem großen Leidwesen erkennen, dass die überaus elegante<br />
Erscheinung keineswegs ein Balg aus dem Kreis der Dorfschönen<br />
ist.Am nächsten Morgen erfährt die ganze Nachbarschaft,<br />
dass mitten im Ort und mitten in der Nacht ein Reh<br />
auf der Hauptstraße herummarschiert ist.<br />
Die spontan geäußerten Kommentare zu diesem Skandal<br />
sind eindeutig. „Das Tier hat ganz bestimmt die Tollwut“,<br />
meint die pingelige Frau Hövelmann, während die<br />
stets gut unterrichtete Frau Schneider vermutet: „Wenn die<br />
Rehe auf der Hauptstraße herumlaufen, dann haben wir irgendwann<br />
auch die Wölfe vor der Haustüre. Deren Bestand<br />
wächst enorm und auf der Kalteiche ist kürzlich sogar einer<br />
herumgestromert, hat mir ein Bekannter erzählt.“ Ganz so<br />
weit mag die immer recht unverbindlich auftretende Frau<br />
Jandel-Isenberg nicht gehen, immerhin ahnt sie: „Das wird<br />
sich wohl noch zu einem Problem auswachsen.“ In dieser<br />
Art und Weise geht es noch ein Weilchen weiter und es ist an<br />
diesem Morgen noch einmal so wie ganz früher, als über die<br />
frühreifen und verdorbenen Früchtchen getratscht wurde. Indessen,<br />
gerade die zuletzt Genannte sollte mit ihrer Ahnung<br />
Recht behalten.<br />
2. Kapitel<br />
„Wir haben ein Problem“, verkündet meine Frau nämlich<br />
eines Morgens und erläutert die heikle Angelegenheit auch<br />
sogleich: „Gestern standen unsere Bohnen noch in einer<br />
prächtigen Blüte und heute ist hiervon nichts mehr zu sehen.<br />
Die Blüten sind restlos weg.“ „Ja, dann haben die Bohnen<br />
wohl ausgeblüht“, erwidere ich mehr oder weniger pragmatisch.<br />
„Du denkst wohl, ich spinne“, sagt sie und fährt mit<br />
leicht erhobener Stimme fort, „die Blüten sind teilweise mit<br />
den Stielen verschwunden. Irgendjemand hat sie abgebrochen<br />
oder abgerupft.“ Das Wort „abgerupft“ bringt mich auf eine<br />
Idee und ich schlage einen unverzüglichen Ortstermin vor.<br />
Zwölf Bohnenstangen habe ich vor einigen Wochen zu<br />
sechs Paaren schräg in den Boden gerammt und wie es sich<br />
gehört, mit einer dreizehnten Stange als Querverbindung<br />
verbunden und stabilisiert. Grüne Bohnen, Feuerbohnen und<br />
Wachsbohnen hat die Gattin rund um die Rankstangen in die<br />
Erde gelegt. Inzwischen winden sich die Kletterpflanzen mit<br />
ihren grünen Blättern schon bis in die Höhe der Querstange<br />
und bieten an und für sich einen erfreulichen Anblick. Wäre<br />
da nicht tatsächlich das völlige Fehlen der gelblichweißen<br />
und schön geformten Blüten.<br />
Meine Frau ist ratlos: „Wer macht nur so etwas?“ „Schau<br />
zum Boden; da liegt die Lösung des Rätsels“, entgegne ich<br />
und zeige auf einen schwarzen Klumpen, der aus etlichen<br />
42 durchblick 4/<strong>2013</strong>