Artykuły - Zbliżenia Interkulturowe
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<strong>Artykuły</strong><br />
Doch die Unheils-Beschleunigung<br />
im prophetischen Faust begnügt sich<br />
nicht mit der Zertrümmerung von<br />
Bildungsresten und kultureller Erinnerung.<br />
Angesichts steigender Staatsverschuldung<br />
zur Finanzierung der Sozialsysteme<br />
entwickelt der Faust-Schüler,<br />
Baccalaureus, einen Masterplan zur<br />
globalen Entsorgung demographischer<br />
Probleme. Den als greisen Gelehrten<br />
verkleideten Mephisto konfrontiert er<br />
mit einem Vorschlag in Sachen Sterbehilfe:<br />
„Das Alter ist ein kaltes Fieber /<br />
Im Frost von grillenhafter Not; / Hat<br />
einer dreißig Jahr vorüber, / So ist er<br />
schon so gut wie tot. / Am besten wär’s,<br />
Euch zeitig totzuschlagen.“<br />
Mit dem Verlust der Humanität öffnet<br />
Goethe aber auch das Tor zur globalen<br />
Science-Fiction-Phantasie, die das<br />
Ziel hat, den Menschen zu optimieren.<br />
Der Versuch, den menschlichen Phänotyp<br />
zu ändern durch Eingriff in seinen<br />
Genotyp misslingt zwar im zweiten Teil<br />
der Faust-Tragödie: Der (mit Mephistos<br />
Hilfe) künstlich generierte Mensch präsentiert<br />
sich hier als nur halb zur Welt<br />
gekommener Homunculus. Aber gelungen<br />
ist, wie die intellektuellen Kunststücke<br />
dieses Homunculus zeigen, ein<br />
wichtiges Ziel des zum Gentechniker<br />
avancierten Famulus Wagner, „ein Hirn,<br />
das trefflich denken soll“. Eine Optimierung<br />
des menschlichen Gehirns also.<br />
Alle Gedächtnisbrücken nach rückwärts<br />
sind bereits abgebrochen, und die nach<br />
vorn gerichteten Intelligenzoperationen<br />
können viel leichter technische Rechner<br />
besorgen.<br />
Menschen kommen im Faust zunehmend<br />
als Störfall vor: Der auf Weltherrschaft<br />
sinnende Faust denkt die globa-<br />
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le Zukunft nämlich als Vertreibung,<br />
Flucht und Migration – Philemon und<br />
Baucis sollen von ihrem Anwesen gejagt<br />
werden, das Faust in Besitz nehmen will.<br />
Auch das Ende der eurozentristischen<br />
Belehrungsgesellschaft hat Goethe bereits<br />
fest im Blick. Als habe er Ratzingers<br />
Regensburger Rede und die kochende<br />
islamische Volksseele vorausgeahnt,<br />
schreibt er im West-östlichen Divan: „Das<br />
eigentliche, einzige und tiefste Thema<br />
der Welt- und Menschengeschichte,<br />
dem alle übrigen untergeordnet sind,<br />
bleibt der Konflikt des Unglaubens und<br />
Glaubens.“ Der Islam definiert sich vor<br />
dem Hintergrund eines ungebrochenen<br />
glaubens- und damit gedächtnisgestützten<br />
sakralen Weltverständnisses. Mit der<br />
notwendigen Folge, dass aus der Sicht<br />
des Islams auf westlicher Seite der Dialogpartner<br />
fehlt. Zumindest, solange die<br />
Globalisierung dem westlichen Muster<br />
einer Aufklärung folgt, die sich im faustischen<br />
Sinne versteht: als Abwerfen von<br />
Gedächtnis- und Glaubens-„Ballast“ im<br />
Interesse einer beschleunigten Gewinnung<br />
von Zukunft ohne Herkunft.<br />
Hat Goethe an Therapiemöglichkeiten<br />
der „veloziferischen“ Tendenzen<br />
der sich ankündigenden Globalisierung<br />
geglaubt? Er hat jedenfalls nicht erwartet,<br />
dass sich die „Dampfmaschinen<br />
dämpfen“ lassen. Für sich selber hat er<br />
den Ausgang der globalen Entwicklung<br />
offen gehalten mit einer denkwürdigen<br />
Bemerkung gegenüber Eckermann: „Übrigens<br />
aber ist der Mensch ein dunkles<br />
Wesen, er weiß nicht, woher er kommt<br />
noch wohin er geht, er weiß wenig von<br />
der Welt und am wenigsten von sich<br />
selber. Ich kenne mich auch nicht, und<br />
Gott soll mich auch davor behüten.“