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648 RFA VVG Schlussbericht 13.10.2010 - Seco - admin.ch

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BÜRO FÜR ARBEITS- UND SOZIALPOLITISCHE STUDIEN BASS AG<br />

KONSUMSTRASSE 20 . CH-3007 BERN . TEL +41 (0)31 380 60 80 . FAX +41 (0)31 398 33 63<br />

INFO@BUEROBASS.CH . WWW.BUEROBASS.CH<br />

Regulierungsfolgenabs<strong>ch</strong>ätzung zur Totalrevision des<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes<br />

<strong>S<strong>ch</strong>lussberi<strong>ch</strong>t</strong><br />

Im Auftrag von:<br />

Staatssekretariat für internationale Finanzfragen SIF<br />

Staatssekretariat für Wirts<strong>ch</strong>aft SECO<br />

Autoren: Matthias Gehrig (Büro BASS), Dr. Lucien Gardiol (Büro BASS)<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Beratung: Prof. Dr. Winand Emons (Universität Bern)<br />

Juristis<strong>ch</strong>e Unterstützung: Dr. Blaise Carron (Wenger Plattner Re<strong>ch</strong>tsanwälte)<br />

Bern, 14. Oktober 2010


Der vorliegende Beri<strong>ch</strong>t wurde vom Büro BASS im Rahmen eines Auftrags des Staatssekretariats für inter-<br />

nationale Finanzfragen SIF und des Staatssekretariats für Wirts<strong>ch</strong>aft SECO ausgearbeitet. Die einzelnen<br />

Aussagen des Beri<strong>ch</strong>ts entspre<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t notwendigerweise den Positionen oder Eins<strong>ch</strong>ätzungen des SIF<br />

oder des SECO.<br />

Dr. Blaise Carron von Wenger Plattner Re<strong>ch</strong>tsanwälte hat das aus Ökonomen bestehende Fors<strong>ch</strong>ungsteam<br />

des Büro BASS bei der juristis<strong>ch</strong>en Analyse unterstützt und war an der ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse ni<strong>ch</strong>t betei-<br />

ligt. Die präsentierten Folgerungen und Empfehlungen entspre<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t notwendigerweise den Positio-<br />

nen oder Eins<strong>ch</strong>ätzungen von Dr. Blaise Carron oder von Wenger Plattner Re<strong>ch</strong>tsanwälte.<br />

Die Verantwortung für die präsentierten Ergebnisse, Folgerungen und Empfehlungen tragen die Autoren<br />

des Büro BASS.<br />

Verwaltungsinterne Begleitung:<br />

Dina Beti (SIF)<br />

Bruno Dorner (SIF)<br />

Marcel Wendelspiess (SIF)<br />

Alkuin Kölliker (SECO)<br />

Nicolas Wallart (SECO)<br />

Vorges<strong>ch</strong>lagene Zitierweise:<br />

Gehrig Matthias und Lucien Gardiol (2010): Regulierungsfolgenabs<strong>ch</strong>ätzung zur Totalrevision des Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes. <strong>S<strong>ch</strong>lussberi<strong>ch</strong>t</strong>, im Auftrag des Staatssekretariats für internationale Finanzfra-<br />

gen SIF und des Staatssekretariats für Wirts<strong>ch</strong>aft SECO, Bern: Büro BASS<br />

Bezugsquellen:<br />

www.sif.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>, www.seco.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/rfa, www.buerobass.<strong>ch</strong>


Inhaltsverzei<strong>ch</strong>nis<br />

Inhaltsverzei<strong>ch</strong>nis I<br />

Abkürzungen 9<br />

Glossar 10<br />

1 Kurzfassung 16<br />

1.1 Einleitung 16<br />

1.1.1 Hintergrund 16<br />

1.1.2 Ziele und Gegenstand der <strong>RFA</strong> 16<br />

1.1.3 Methodik der <strong>RFA</strong> 17<br />

1.2 Der S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt 19<br />

1.2.1 Die ökonomis<strong>ch</strong>e Bedeutung des S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarktes 19<br />

1.2.2 Die vers<strong>ch</strong>iedenen Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en 19<br />

1.2.3 Die vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanäle 20<br />

1.3 Notwendigkeit und Mögli<strong>ch</strong>keit staatli<strong>ch</strong>en Handelns 21<br />

1.3.1 Notwendigkeit und Funktion des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes 21<br />

1.3.2 Notwendigkeit der Totalrevision des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes 25<br />

1.4 Auswirkungen der Regulierung 28<br />

1.4.1 Auswirkungen der einzelnen Massnahmen 32<br />

1.4.2 Auswirkungen in den einzelnen Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en 45<br />

1.4.3 Auswirkungen auf die einzelnen gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Gruppen 48<br />

1.4.4 Auswirkungen auf die Gesamtwirts<strong>ch</strong>aft 53<br />

1.4.5 Zielerrei<strong>ch</strong>ungsgrad: Die Auswirkungen vor dem Hintergrund des Regulierungsbedarfs 55<br />

1.5 Alternative Regelungen und Handlungsoptionen 58<br />

1.6 Zweckmässigkeit im Vollzug 65<br />

Teil I: Grundlagen 67<br />

2 Einleitung 67<br />

2.1 Gegenstand der <strong>RFA</strong> 67<br />

2.2 Ziele der <strong>RFA</strong> 67<br />

2.3 Fragestellungen der <strong>RFA</strong> 67<br />

2.4 Textaufbau 69<br />

2.5 Begriffe, Abkürzungen, Spra<strong>ch</strong>regelung 69<br />

3 Wirkungsmodell, Vorgehen, Methodik 70<br />

3.1 Das Wirkungsmodell, das der <strong>RFA</strong> zugrunde liegt 70<br />

3.1.1 Das Wirkungsmodell im Überblick 70<br />

3.1.2 Die untersu<strong>ch</strong>ten ökonomis<strong>ch</strong>en Zielgrössen 72<br />

3.2 Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Formulierung der methodis<strong>ch</strong>en Problemstellung der <strong>RFA</strong> 77<br />

3.3 Das Vorgehen im Rahmen der <strong>RFA</strong> 77<br />

3.4 Im Rahmen der <strong>RFA</strong> verwendete Methoden 78<br />

I


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik 80<br />

4.1 Gefahren, Risiken und Risikopolitik 80<br />

4.2 Risikoaversion und Funktion der Versi<strong>ch</strong>erung 81<br />

4.3 Nutzen der Versi<strong>ch</strong>erung 83<br />

4.4 Kosten der Versi<strong>ch</strong>erung 85<br />

4.5 Risikodiskriminierung und Solidarität 85<br />

4.6 Marktunvollkommenheiten und Marktversagen 87<br />

4.6.1 Adverse Selektion 87<br />

4.6.2 Moral Hazard 88<br />

4.6.3 Imperfect Information 89<br />

4.6.3.1 Überblick 89<br />

4.6.3.2 Klassifikation der Informationsdefizite des VN 92<br />

4.6.3.3 Ursa<strong>ch</strong>en der Informationsdefizite der VN 94<br />

4.6.3.4 Auswirkungen der Informationsdefizite der VN 96<br />

4.6.4 Bes<strong>ch</strong>ränkte Rationalität (Bounded Rationality) 101<br />

4.7 Die ökonomis<strong>ch</strong>e Funktion des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes 102<br />

5 Marktanalyse 106<br />

5.1 Marktdefinition 106<br />

5.1.1 Produktspezifis<strong>ch</strong>e Dimension 106<br />

5.1.2 Juristis<strong>ch</strong>e Dimension 106<br />

5.1.3 Geografis<strong>ch</strong>e Dimension 107<br />

5.2 Wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Bedeutung der Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft 107<br />

5.2.1 Kennzahlen und Datenquellen 107<br />

5.2.2 Institutionelle Einheiten und Bes<strong>ch</strong>äftigte 109<br />

5.2.3 Prämienvolumen 111<br />

5.2.4 Bruttowerts<strong>ch</strong>öpfung 111<br />

5.3 Teilmärkte 112<br />

5.3.1 Produktteilmärkte 113<br />

5.3.2 Kundensegmente 113<br />

5.4 Marktkonzentration 114<br />

5.5 Marktakteure, Marktinteraktion und Marktorganisation 117<br />

5.5.1 Marktskizze: Überblick 117<br />

5.5.2 Das Marktangebot: Die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen 118<br />

5.5.3 Die Marktna<strong>ch</strong>frage: Die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer 118<br />

5.5.4 Marktplatz: Versi<strong>ch</strong>erungsintermediäre 119<br />

5.6 Analyse der Vertriebskanäle 120<br />

5.6.1 Die Vertriebskanäle im Überblick 120<br />

5.6.1.1 Bedeutung der Vertriebskanäle im Privatkundenmarkt 120<br />

5.6.1.2 Bedeutung der Vertriebskanäle im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft 121<br />

5.6.1.3 Bestandteile der Vermittlerents<strong>ch</strong>ädigung 122<br />

5.6.2 Der Direktvertrieb 123<br />

5.6.3 Der Vertrieb über Versi<strong>ch</strong>erungsagenten 123<br />

5.6.4 Der Vertrieb über Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und Versi<strong>ch</strong>erungsbroker 127<br />

5.6.4.1 Versi<strong>ch</strong>erungsmakler vs. Versi<strong>ch</strong>erungsbroker 127<br />

5.6.4.2 Die Dienstleistung der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker 127<br />

5.6.4.3 Ents<strong>ch</strong>ädigung der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker und -makler 127<br />

5.6.4.4 Das Maklerges<strong>ch</strong>äft mit Privatkunden und Kleinstunternehmen 130<br />

5.6.4.5 Die ökonomis<strong>ch</strong>e Funktion von Maklerpools 132<br />

5.6.5 Der Vertrieb über Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und Strukturbetriebe 132<br />

5.7 Konsumentens<strong>ch</strong>utzbedarf im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt 134<br />

II


5.7.1 Informationsdefizite der VN 136<br />

5.7.2 Ex ante Opportunismus und S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung der Vermittler 137<br />

5.7.3 Vertragslaufzeit und Kündigungsre<strong>ch</strong>te 139<br />

5.7.4 Risikoselektion der VU 139<br />

5.7.5 Bran<strong>ch</strong>enspezifis<strong>ch</strong>e Problemstellungen 140<br />

5.7.6 S<strong>ch</strong>lussfolgerungen 141<br />

Teil II: Analyse der einzelnen Veränderungen 143<br />

6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>) 144<br />

6.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse 144<br />

6.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen 144<br />

6.1.2 Identifikation der Veränderungen 146<br />

6.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung 146<br />

6.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung 148<br />

6.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse des Regulierungsszenario 149<br />

6.4.1 Analyse der Auswirkungen 151<br />

6.4.1.1 Auswirkungen auf die primären Kosten 151<br />

6.4.1.2 Auswirkungen auf die sekundären Kosten 152<br />

6.4.1.3 Auswirkungen auf die tertiären Kosten 153<br />

6.4.1.4 Verhaltensänderungen 156<br />

6.4.2 Normative Analyse 157<br />

6.5 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse der Alternativszenarien 160<br />

6.5.1 Varianten im Regulierungsszenario 161<br />

6.5.2 Alternativszenario 1 162<br />

6.5.3 Alternativszenario 2 162<br />

6.6 Exkurs: Das Argument «pacta sunt servanda» 163<br />

6.7 Zusammenfassung 164<br />

6.7.1 Gegenstand der Regulierung 164<br />

6.7.2 Motivation und Hintergründe der Regulierung 164<br />

6.7.3 Ziele der Regulierung 164<br />

6.7.4 Auswirkungen der Regulierung 164<br />

6.7.5 Empfehlungen 165<br />

7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>) 167<br />

7.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse 167<br />

7.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen 167<br />

7.1.2 Identifikation der Veränderungen 167<br />

7.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung 169<br />

7.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung 169<br />

7.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse 170<br />

7.4.1 Der Nutzen vorvertragli<strong>ch</strong>er Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten 170<br />

7.4.2 ∆ 1 : Zusätzli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>ten gemäss Art. 12 Abs. 1-2 E-<strong>VVG</strong> 174<br />

7.4.3 ∆ 2 : Ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte 180<br />

7.4.4 ∆ 3 : Konkretisierung von Form und Zeitpunkt der Informationserteilung 183<br />

7.4.5 ∆ 4 : Verlängerung der Verwirkungsfrist des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts infolge IPV 183<br />

7.4.6 ∆ 5 : Veränderter Beginn des Fristenlaufes des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts infolge IPV 184<br />

7.5 Zusammenfassung 185<br />

7.5.1 Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung 185<br />

7.5.2 Auswirkungen der Regulierung 186<br />

7.5.3 Empfehlungen 188<br />

III


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>) 190<br />

8.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse 190<br />

8.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen 190<br />

8.1.2 Klärung von Unklarheiten und von Interpretationsspielräumen 192<br />

8.1.3 Identifikation der Veränderungen 194<br />

8.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung 197<br />

8.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung 198<br />

8.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse 199<br />

8.4.1 Nutzen und Bedeutung vorvertragli<strong>ch</strong>er Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten 199<br />

8.4.2 ∆ 1 und ∆ 2 : Erhebli<strong>ch</strong>keit von Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en 200<br />

8.4.3 ∆ 3 : Zeitpunkt der Erfüllung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t 204<br />

8.4.4 ∆ 4 : Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung 206<br />

8.4.5 ∆ 5 - ∆ 8 Re<strong>ch</strong>tsfolgen der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung 208<br />

8.4.5.1 ∆ 5 : Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist 211<br />

8.4.5.2 ∆ 6 : Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis 214<br />

8.4.5.3 ∆ 7 : Einführung einer Kausalität mit Teilung der S<strong>ch</strong>adenssumme 217<br />

8.4.5.4 ∆ 8 : Rückwirkender Anspru<strong>ch</strong> auf erhöhte Prämie 219<br />

8.5 Zusammenfassung 221<br />

8.5.1 Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung 221<br />

8.5.2 Auswirkungen der Regulierung 222<br />

8.5.3 Empfehlungen 223<br />

9 S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung (Art. 34 / 41 E-<strong>VVG</strong>) 226<br />

9.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse 226<br />

9.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen 226<br />

9.1.2 Identifikation der Veränderungen 227<br />

9.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung 228<br />

9.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung 228<br />

9.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse 230<br />

9.4.1 ∆ 1 : Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t 230<br />

9.4.2 ∆ 2 : Begrenzung der Übernahme von S<strong>ch</strong>adenminderungskosten 232<br />

9.4.3 ∆ 3 : Zuweisung der S<strong>ch</strong>adenermittlungskosten an das VU 234<br />

9.5 Zusammenfassung 236<br />

9.5.1 Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung 236<br />

9.5.2 Auswirkungen der Regulierung 236<br />

9.5.3 Empfehlungen 237<br />

10 Prämienanpassungsklausel (Art. 49 E-<strong>VVG</strong>) 239<br />

10.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse 239<br />

10.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen 239<br />

10.1.2 Identifikation der Veränderungen 239<br />

10.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung 241<br />

10.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung 241<br />

10.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse 241<br />

10.4.1 Analyse des Regulierungsszenario 241<br />

10.4.2 Analyse der Alternativszenarien 246<br />

10.4.3 Exkurs: Staatli<strong>ch</strong> angeordnete Prämienanpassungen 248<br />

10.5 Zusammenfassung 248<br />

10.5.1 Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung 248<br />

IV


10.5.2 Auswirkungen der Regulierung 248<br />

10.5.3 Empfehlungen 249<br />

11 Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>) 250<br />

11.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse 250<br />

11.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen 250<br />

11.1.2 Identifikation der Veränderungen 251<br />

11.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung 251<br />

11.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung 252<br />

11.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse 253<br />

11.4.1 Ausübung der Kündigungsre<strong>ch</strong>te unter dem geltenden <strong>VVG</strong> 254<br />

11.4.2 Analyse der Kündigungsre<strong>ch</strong>te der VN 256<br />

11.4.2.1 Warum VN ihre Versi<strong>ch</strong>erungsverträge kündigen 256<br />

11.4.2.2 Kosten und Nutzen der Kündigungsre<strong>ch</strong>te der VN 257<br />

11.4.2.3 Normative Analyse der Kündigungsre<strong>ch</strong>te des VN 258<br />

11.4.3 Analyse der Kündigungsre<strong>ch</strong>te der VU 259<br />

11.5 Zusammenfassung 261<br />

11.5.1 Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung 261<br />

11.5.2 Auswirkungen der Regulierung 261<br />

11.5.3 Empfehlungen 263<br />

12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>) 264<br />

12.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse 264<br />

12.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen 264<br />

12.1.2 Versi<strong>ch</strong>erte Gefahr - befür<strong>ch</strong>tetes Ereignis - versi<strong>ch</strong>ertes Ereignis - Versi<strong>ch</strong>erungsfall 264<br />

12.1.3 Identifikation der Veränderungen 268<br />

12.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung 273<br />

12.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung 274<br />

12.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse 275<br />

12.4.1 Analyse der Auswirkungen von Art. 57 E-<strong>VVG</strong> 275<br />

12.4.2 Analyse der Auswirkungen von Art. 58 E-<strong>VVG</strong> 280<br />

12.5 Zusammenfassung 280<br />

12.5.1 Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung 280<br />

12.5.2 Auswirkungen der Regulierung 281<br />

12.5.3 Empfehlungen 282<br />

13 Verjährung von Forderungen aus dem Vertrag (Art. 66 E-<strong>VVG</strong>) 284<br />

13.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse 284<br />

13.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen 284<br />

13.1.2 Identifikation der Veränderungen 284<br />

13.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung 285<br />

13.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung 285<br />

13.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse 286<br />

13.5 Zusammenfassung 288<br />

13.5.1 Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung 288<br />

13.5.2 Auswirkungen der Regulierung 288<br />

13.5.3 Empfehlungen 288<br />

V


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG) 291<br />

14.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse 291<br />

14.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen 291<br />

14.1.2 Klärung begriffli<strong>ch</strong>er Interpretationsspielräume 292<br />

14.1.3 Identifikation der Veränderungen 292<br />

14.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung 293<br />

14.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung 294<br />

14.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse des Versi<strong>ch</strong>erungsvertriebs 296<br />

14.4.1 Die ökonomis<strong>ch</strong>e Funktion der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler 296<br />

14.4.2 Su<strong>ch</strong>kosten und entartete Anreize 298<br />

14.4.2.1 Ergebnisse der ökonomis<strong>ch</strong>en Literatur 298<br />

14.4.2.2 Su<strong>ch</strong>kosten im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt ohne Vermittler 298<br />

14.4.2.3 Der Einfluss der VU auf die Su<strong>ch</strong>kosten 299<br />

14.4.2.4 Der Einfluss des idealen Maklers auf die Su<strong>ch</strong>kosten 300<br />

14.4.2.5 Der Interessenskonflikt 300<br />

14.4.3 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse der vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanäle 304<br />

14.4.3.1 Der Vertrieb über angestellte Versi<strong>ch</strong>erungsagenten 304<br />

14.4.3.2 Der Vertrieb über selbständige Versi<strong>ch</strong>erungsagenten 304<br />

14.4.3.3 Der Vertrieb über klassis<strong>ch</strong>e Makler und Broker 305<br />

14.4.3.4 Der Vertrieb über Maklerpools 306<br />

14.4.3.5 Der Vertrieb über Honorarmakler 307<br />

14.5 Analyse des Alternativszenario 1 307<br />

14.5.1 Analyse der Auswirkungen 308<br />

14.5.2 Normative Analyse 310<br />

14.6 Analyse des Regulierungsszenario 311<br />

14.6.1 Analyse der Auswirkungen 311<br />

14.6.1.1 Szenario 1 – Statis<strong>ch</strong>e Analyse 312<br />

14.6.1.2 Szenario 2: Dynamis<strong>ch</strong>e Analyse 316<br />

14.6.2 Normative Analyse von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> 323<br />

14.6.3 Auswirkungen verglei<strong>ch</strong>barer Regulierungen in Skandinavien 324<br />

14.6.3.1 Finlande 325<br />

14.6.3.2 Norvège 326<br />

14.6.3.3 Suède 326<br />

14.6.3.4 Conclusion 326<br />

14.7 Analyse des Alternativzsenario 2 327<br />

14.8 Zusammenfassung 329<br />

14.8.1 Gegenstand der Regulierung 329<br />

14.8.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung 329<br />

14.8.3 Auswirkungen der Regulierung 329<br />

14.8.4 Empfehlungen 332<br />

15 Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (Art. 73 E-<strong>VVG</strong>) 333<br />

15.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse 333<br />

15.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen 333<br />

15.1.2 Identifikation der Veränderungen 333<br />

15.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung 334<br />

15.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung 334<br />

15.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse 335<br />

15.4.1 Hintergrundinformationen 335<br />

15.4.2 Analyse des Regulierungsszenario 336<br />

15.4.2.1 Auswirkungen in der überobligatoris<strong>ch</strong>en Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erung 336<br />

15.4.2.2 Auswirkungen in der kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung 337<br />

VI


15.4.3 Analyse des Alternativszenario 339<br />

15.5 Zusammenfassung 342<br />

15.5.1 Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung 342<br />

15.5.2 Auswirkungen der Regulierung 342<br />

15.5.3 Empfehlungen 343<br />

16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>) 344<br />

16.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse 344<br />

16.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen 344<br />

16.1.2 Identifikation der Veränderungen 344<br />

16.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung 346<br />

16.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung 346<br />

16.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse 348<br />

16.4.1 Analyse des Regulierungsszenario 348<br />

16.4.1.1 Positive Analyse der Auswirkungen 348<br />

16.4.1.2 Normative Analyse 361<br />

16.4.2 Analyse von Alternativszenario 1 (allgemeiner Einredeauss<strong>ch</strong>luss) 362<br />

16.4.2.1 Positive Analyse der Auswirkungen 362<br />

16.4.2.2 Normative Analyse 363<br />

16.4.3 Analyse von Alternativszenario 2 (Pfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung) 364<br />

16.4.3.1 Positive Analyse der Auswirkungen 364<br />

16.4.3.2 Normative Analyse 366<br />

16.5 Zusammenfassung 366<br />

16.5.1 Gegenstand der Regulierung 366<br />

16.5.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung 367<br />

16.5.3 Auswirkungen der Regulierung 367<br />

16.5.4 Empfehlungen 370<br />

17 S<strong>ch</strong>adenregulierung (Art. 94 E-<strong>VVG</strong>) 371<br />

17.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse 371<br />

17.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen 371<br />

17.1.2 Identifikation der Veränderungen 371<br />

17.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung 372<br />

17.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung 372<br />

17.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse 373<br />

17.4.1 Analyse der Auswirkungen 373<br />

17.5 S<strong>ch</strong>lussfolgerungen und Empfehlungen 376<br />

17.6 Zusammenfassung 376<br />

17.6.1 Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung 376<br />

17.6.2 Auswirkungen der Regulierung 376<br />

17.6.3 Empfehlungen 377<br />

18 Anhang 379<br />

18.1 Anhang 1: Quantifizierung der Teilmärkte 379<br />

19 Literaturverzei<strong>ch</strong>nis 384<br />

19.1 Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Literatur 384<br />

19.2 Internationale Beri<strong>ch</strong>te 385<br />

VII


19.3 Dokumente der Versi<strong>ch</strong>erer, Broker, Agenten und Behörden 385<br />

19.4 Vernehmlassungsantworten 386<br />

VIII


Abkürzungen<br />

Abkürzungen<br />

Tabelle 1: Abkürzungen<br />

APV Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten des VN / Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

(Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

AS Alternativszenario<br />

B2B Business-To-Business (Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft)<br />

B2C Business-To-Consumer (Privatkundenges<strong>ch</strong>äft)<br />

BFS Bundesamt für Statistik<br />

BPV Bundesamt für Privatversi<strong>ch</strong>erung<br />

BS Referenzszenario = Ben<strong>ch</strong>markszenario<br />

BZ Betriebszählung (des Bundesamt für Statistik BFS)<br />

DFR Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

E-<strong>VVG</strong> Bundesgesetz über den Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag <strong>VVG</strong>, Entwurf vom 21. Januar 2009<br />

FINMA Eidgenössis<strong>ch</strong>e Finanzmarktaufsi<strong>ch</strong>t FINMA<br />

GKV Gesundheitsbefragung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (Art. 73 E-<strong>VVG</strong>)<br />

IPV Vovertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>ten des VU / Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzung (Art. 12-<br />

14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

KdV Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (Art. 53 und 55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

KTG Krankentaggeld-Versi<strong>ch</strong>erung/Versi<strong>ch</strong>erer<br />

ME Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

NhV Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

OK Ordentli<strong>ch</strong>e Kündigung (Art. 53 E-<strong>VVG</strong>)<br />

PAK Prämieanpassungsklausel (Art. 49 E-<strong>VVG</strong>)<br />

<strong>RFA</strong> Regulierungsfolgenabs<strong>ch</strong>ätzung<br />

RS Regulierungsszenario<br />

SAM S<strong>ch</strong>adenabwendung und -minderung (Art. 34/41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

SECO Staatssekretariat für Wirts<strong>ch</strong>aft SECO<br />

SIF Staatssekretariat für internationale Finanzfragen<br />

SR S<strong>ch</strong>adenregulierung (Art. 94 E-<strong>VVG</strong>)<br />

SVV S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>er Versi<strong>ch</strong>erungsverband<br />

VE-<strong>VVG</strong> Vorentwurf <strong>VVG</strong> der Expertenkommission Totalrevision <strong>VVG</strong> vom 31. Juli 2006<br />

VFV Verjährung von Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag (Art. 66 E-<strong>VVG</strong>)<br />

VGR Volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Gesamtre<strong>ch</strong>nung<br />

VI Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler bzw. Versi<strong>ch</strong>erungsintermediäre<br />

VN Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer<br />

VP Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt<br />

VU Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

VV Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag<br />

<strong>VVG</strong> Bundesgesetz über den Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag (Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetz, <strong>VVG</strong>) vom<br />

2. April 1908 (Stand am 1. Juli 2009): SR 221.229.1<br />

WR Widerruf<br />

WRR Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

9


Glossar<br />

Glossar<br />

■ Adverse Selektion (Adverse Selection): Wenn die VU ex ante, d.h. vor Vertragss<strong>ch</strong>luss, ni<strong>ch</strong>t in der<br />

Lage sind, die Risiken zu diskriminieren, müssen sie einen sog. Mis<strong>ch</strong>vertrag (pooling contract) anbieten,<br />

dessen Prämie für ein dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>es Risiko bere<strong>ch</strong>net ist (generelle Prämie). Diese Prämie übersteigt<br />

die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft der guten Risiken. Diese reagieren auf zwei mögli<strong>ch</strong>e Weisen: Sie verzi<strong>ch</strong>ten auf<br />

eine Fremdversi<strong>ch</strong>erung ihres Risikos oder wandern zu einem anderen VU ab. In beiden Fällen verliert das<br />

VU, das den Mis<strong>ch</strong>vertrag anbietet, die guten Risiken. Dies führt dazu, dass das VU die Prämien na<strong>ch</strong> oben<br />

anpassen muss, wenn es keinen Verlust ma<strong>ch</strong>en will. Eine Prämienerhöhung führt jedo<strong>ch</strong> zu einer weite-<br />

ren Abwanderung der guten Risiken. Diesen Prozess der Ansammlung s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter Risiken nennt man ad-<br />

verse Selektion. Adverse Selektion führt zu einer Reduktion der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken und er-<br />

höht die Instabilität des Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts.<br />

■ Asymmetris<strong>ch</strong>e Information (Asymmetric Information): Sowohl die VU als au<strong>ch</strong> die VN sind Infor-<br />

mationsdefiziten ausgesetzt (→ unvollständige Information). Von asymmetris<strong>ch</strong>er Information spri<strong>ch</strong>t<br />

man, wenn die Vertragsparteien in unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>em Ausmass von den Informationsdefiziten betroffen<br />

sind; wenn die Informationen also asymmetris<strong>ch</strong> über die Vertragsparteien verteilt sind. Asymmetris<strong>ch</strong>e<br />

Information kann zu einem Marktversagen führen und einen staatli<strong>ch</strong>en Eingriff in die Vertragsfreiheit<br />

re<strong>ch</strong>tfertigen. Insbesondere ermögli<strong>ch</strong>t asymmetris<strong>ch</strong>e Information opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten der Ver-<br />

tragsparteien (→ ex ante Opportunismus und ex post Opportunismus).<br />

■ Bes<strong>ch</strong>ränkte Rationalität (Bounded Rationality): Aus der experimentellen Wirts<strong>ch</strong>aftsfors<strong>ch</strong>ung ist<br />

bekannt, dass si<strong>ch</strong> Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte in komplexen Ents<strong>ch</strong>eidungssituationen oft ni<strong>ch</strong>t rational im Sinne<br />

der Nutzenmaximierung verhalten. Bes<strong>ch</strong>ränkte Rationalität kann zu einem Marktversagen führen und<br />

staatli<strong>ch</strong>e Eingriffe in die Vertragsfreiheit re<strong>ch</strong>tfertigen. Im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt dürften insbesondere die<br />

folgenden Verhaltensanomalien relevant sein, die aus der experimentellen Wirts<strong>ch</strong>aftsfors<strong>ch</strong>ung bekannt<br />

sind: Framinganomalie (→ Framinganomalie), Selbtübers<strong>ch</strong>ätzungsanomalie (→ Selbstübers<strong>ch</strong>ätzungs-<br />

anomalie), Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keitsanomalie(→ Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keitsanomalie) und eine zu hohe Gegenwarts-<br />

präferenz(→ Zu hohe Gegenwartspräferenz).<br />

■ Cheapest Cost Avoider: Diejenige Vertragspartei, die ein Vertragsrisiko unter Aufwendung der ge-<br />

ringsten Kosten vermeiden kann, wird in der ökonomis<strong>ch</strong>en Literatur «Cheapest Cost Avoider» genannt.<br />

Aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t sollte ein Vertragsrisiko dem Cheapest Cost Avoider zugeordnet wer-<br />

den.<br />

■ Cheapest Insurer: Es gibt Vertragsrisiken, ni<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t mit einem vertretbaren Aufwand verhindert wer-<br />

den können, so dass es keinen Cheapest Cost Avoider (→ Cheapest Cost Avoider) gibt. In diesem Fall<br />

sollte das Vertragsrisiko derjenigen Vertragspartei zugeordnet werden, wel<strong>ch</strong>e das Risiko zu den günstigs-<br />

ten Konditionen versi<strong>ch</strong>ern kann. Diese Vertragspartei wird «Cheapest Insurer» genannt.<br />

■ Ex ante Opportunismus der VI: Ex ante Opportunismus der VI liegt dann vor, wenn sie die Informati-<br />

onsdefizite der VN (→ unvollständige Information und asymmetris<strong>ch</strong>e Information) vor Vertragss<strong>ch</strong>luss (ex<br />

ante) opportunistis<strong>ch</strong> ausnutzen, indem sie den VN Versi<strong>ch</strong>erungsverträge empfehlen und verkaufen, die<br />

ni<strong>ch</strong>t den Nutzen der VN, sondern ihren eigenen Nutzen (Ertrag) maximieren. Dur<strong>ch</strong> die opportunistis<strong>ch</strong>e<br />

Ausbeutung 1 der Vertrauensbeziehung kommen die VI in den Genuss einer Opportunitätsprämie. Ex ante<br />

Opportunismus führt dazu, dass die Kaufents<strong>ch</strong>eide der VN bezügli<strong>ch</strong> ihren Präferenzen und Bedürfnisse<br />

suboptimal sind. Im s<strong>ch</strong>limmsten Fall führt ex ante Opportunismus der VI zu einem Win-Loose-Vertrag, der<br />

für den VN eine negative Konsumentenrente (→ Konsumentenrente) aufweist.<br />

1 Wir verwenden den Begriff der «Ausbeutung», weil dieser in der ökonomis<strong>ch</strong>en Literatur in Zusammenhang mit opportunistis<strong>ch</strong>em<br />

Verhalten gebräu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist.<br />

10


Glossar<br />

■ Ex ante Opportunismus der VN: Ex ante Opportunismus der VN liegt dann vor, wenn sie die Informa-<br />

tionsdefizite der VU (→ unvollständige Information und asymmetris<strong>ch</strong>e Information) bezügli<strong>ch</strong> ihres S<strong>ch</strong>a-<br />

denrisikos opportunistis<strong>ch</strong> ausnutzen, indem sie ihre vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t korrekt<br />

und/oder unvollständig wahrnehmen (Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung). Dur<strong>ch</strong> diese opportunistis<strong>ch</strong>e Ausbeu-<br />

tung der Informationsdefizite der VU kommen sie in den Genuss einer Opportunitätsprämie, die in Form<br />

zu tiefer, risikoinadäquater Prämien anfällt. Ex ante Opportunismus der VN führt zu risikoinadäquaten<br />

Prämien und fördert damit die adverse Selektion (→ adverse Selektion).<br />

■ Ex post Opportunismus der VN: Ex post Opportunismus der VN liegt dann vor, wenn si<strong>ch</strong> diese na<strong>ch</strong><br />

Vertragss<strong>ch</strong>luss ni<strong>ch</strong>t vertragskonform und/oder unredli<strong>ch</strong> verhalten, um in den Genuss einer Opportuni-<br />

tätsprämie zu kommen. Ex post Opportunismus ist mögli<strong>ch</strong>, wenn die VU aufgrund von prohibitiv hohen<br />

Transaktionskosten ni<strong>ch</strong>t in der Lage sind, das Verhalten der VN während der Vertragslaufzeit adäquat zu<br />

beoba<strong>ch</strong>ten. Ex post Opportunismus der VN kann si<strong>ch</strong> in vers<strong>ch</strong>iedener Art und Weise äussern: Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsbetrug, Geltendma<strong>ch</strong>ung von unbere<strong>ch</strong>tigten oder überhöhten S<strong>ch</strong>adensersatzforderungen, Verlet-<br />

zung von Obliegenheiten etc.<br />

■ Ex post Opportunismus der VU: Ex post Opportunismus der VU liegt dann vor, wenn si<strong>ch</strong> die VU<br />

na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss ni<strong>ch</strong>t vertragskonform und/oder unredli<strong>ch</strong> verhalten, um in den Genuss einer Oppor-<br />

tunitätsprämie zu kommen. Ex post Opportunismus ist mögli<strong>ch</strong>, wenn die VN aufgrund von prohibitiv<br />

hohen Transaktionskosten ni<strong>ch</strong>t in der Lage sind, das Verhalten der VU adäquat zu beoba<strong>ch</strong>ten. Ex post<br />

Opportunismus der VU kann si<strong>ch</strong> in vers<strong>ch</strong>iedener Art und Weise äussern: Ablehnung von bere<strong>ch</strong>tigten<br />

Forderungen der VN, vorsätzli<strong>ch</strong>e Vers<strong>ch</strong>leppung der S<strong>ch</strong>adenregulierung, um die VN «auszuhungern» 2<br />

etc.<br />

■ Framinganomalie: Man weiss aus der experimentellen Wirts<strong>ch</strong>aftsfors<strong>ch</strong>ung, dass ni<strong>ch</strong>t nur der Inhalt,<br />

sondern au<strong>ch</strong> die Art und Weise der Darstellung von Informationen die Ents<strong>ch</strong>eide von Wirts<strong>ch</strong>aftssubjek-<br />

ten beeinflussen können. Dieses Phänomen wird in der ökonomis<strong>ch</strong>en Literatur «Framinganomalie» ge-<br />

nannt. S<strong>ch</strong>äfer und Ott (2005, 66) verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en die Framinganomalie mit folgenden Beispielen: «Bei<br />

Befragung von Patienten, die vor der Ents<strong>ch</strong>eidung standen, entweder eine s<strong>ch</strong>were Operation dur<strong>ch</strong>führen zu lassen mit dem<br />

Risiko, den Eingriff ni<strong>ch</strong>t zu überleben oder auf die Operation zu verzi<strong>ch</strong>ten, ents<strong>ch</strong>ieden si<strong>ch</strong> signifikant mehr Patienten für die<br />

Operation, wenn man ihnen z.B. sagt: ‚Die Überlebenswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit ist 70%’, als wenn man ihnen z.B. sagte: ‚Die Sterbewahr-<br />

s<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit ist 30%’. Eine Preisangabe für Automobile, die lautet: ‚Normalpreis 20'000 Euro, Rabatt bei Barzahlung 2'000 Euro’,<br />

wird von vielen Kunden der folgenden Angabe vorgezogen ‚Normalpreis 18'000 Euro, Aufs<strong>ch</strong>lag für Ratenzahlung 2'000 Euro».<br />

Die Framinganomalie dürfte bezügli<strong>ch</strong> der Art und Weise, wie ein Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler den VN über<br />

Vertragsrisiken, z.B. über das Risiko eine frühzeitigen Rückkaufs einer Sparversi<strong>ch</strong>erung, aufklären, bedeu-<br />

tend sein.<br />

■ Gebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler: Art. 183 der Aufsi<strong>ch</strong>tsverordnung (AVO, SR 961.011) unter-<br />

s<strong>ch</strong>eidet zwis<strong>ch</strong>en gebundenen und ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern (→ ungebundene Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvermittler). Im Wesentli<strong>ch</strong>en handelt es si<strong>ch</strong> bei gebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern um VI, deren<br />

Provisionseinnahmen zu mehr als 50 Prozent von einem oder zwei VU stammen und/oder wenn ein VU<br />

direkt oder indirekt am Gesells<strong>ch</strong>aftskapital des VI mit mehr als 10 Prozent beteiligt ist. Es können im we-<br />

sentli<strong>ch</strong>en folgende Arten von gebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern differenziert werden: (1) Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsagenten (→ Versi<strong>ch</strong>erungsagenten): (1.1) Angestellte Aussendienstmitarbeiter der VU (direct writers)<br />

und (1.2) selbständige Versi<strong>ch</strong>erungsagenten (exclusive agents); (2) Mehrfa<strong>ch</strong>agenten (→ Mehrfa<strong>ch</strong>agen-<br />

ten); (3) Strukturbetriebe (→ Strukturbetriebe).<br />

■ Inhouse-Broker: Grosse Unternehmen verfügen zum Teil über eigene, d.h. angestellte Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vermittler. Diese kaufen für ihr Unternehmen die notwendigen Versi<strong>ch</strong>erungsdeckungen bei den vers<strong>ch</strong>ie-<br />

2 Der Begriff «Aushungern» wurde von den befragten Experten – u.a. au<strong>ch</strong> von Experten der befragten VU selbst – verwendet.<br />

11


Glossar<br />

denen VU ein. In diesem Sinne handelt es si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei den Inhouse-Brokern um ungebundene VI (→<br />

ungebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler).<br />

■ Markt für Zitronen (Market for Lemons): Ein «Markt für Zitronen» kann si<strong>ch</strong> entfalten, wenn die<br />

Konsumenten ni<strong>ch</strong>t in der Lage sind, die Qualität bzw. Eigens<strong>ch</strong>aften der am Markt verfügbaren Produk-<br />

ten zu erkennen. Vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tert ein Anbieter die Qualität seines Produktes, sinken zum einen seine Pro-<br />

duktionskosten. Zum anderen bleibt die Na<strong>ch</strong>frage na<strong>ch</strong> seinen Produkten unberührt: Die Käufer wandern<br />

ni<strong>ch</strong>t ab, weil diese gar ni<strong>ch</strong>t wissen, dass die Qualität der Produkte bei den Konkurrenten besser ist. Auf-<br />

grund der Reduktion der Produktionskosten kann der Qualitätsvers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terer den Preis seines Produktes<br />

senken, so dass die Na<strong>ch</strong>frage na<strong>ch</strong> seinem Produkt trotz der Qualitätsvers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terung steigt. Dies führt<br />

dazu, dass andere Anbieter dem Qualitätsvers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terer folgen werden, so dass ein «race down to the<br />

bottom» ausgelöst wird: Es resultiert letztli<strong>ch</strong> ein Markt, in dem nur Produkte s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter Qualität überle-<br />

ben, wobei das Qualitätsniveau ni<strong>ch</strong>t den Präferenzen der Käufer entspri<strong>ch</strong>t.<br />

■ Mehrfa<strong>ch</strong>agenten: Mehrfa<strong>ch</strong>agenten sind gebundene VI, die ni<strong>ch</strong>t nur für ein VU, sondern für mehre-<br />

re wenige VU Versi<strong>ch</strong>erungsverträge vermitteln. Die Mehrfa<strong>ch</strong>agenten bezei<strong>ch</strong>nen si<strong>ch</strong> oft als Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsmakler und als unabhängig. Mehrfa<strong>ch</strong>agenten unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> von Strukturbetrieben (→ Struk-<br />

turbetriebe) einzig dahingehend, dass es si<strong>ch</strong> bei Mehrfa<strong>ch</strong>agenten um kleine Unternehmen, oft um Ein-<br />

personenunternehmen handelt, während Strukturbetriebe eine Vielzahl von Mehrfa<strong>ch</strong>agenten bes<strong>ch</strong>äf-<br />

tigt.<br />

■ Moral Hazard: Unter Moral Hazard versteht man im vorliegenden Zusammenhang das Phänomen,<br />

dass die Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte ihr Verhalten verändern, wenn sie ein Risiko bei einem VU fremdversi<strong>ch</strong>ert<br />

haben. Moral Hazard entsteht bei Versi<strong>ch</strong>erungen deshalb, weil die Erträge von risikobehaftetem Verhal-<br />

ten na<strong>ch</strong> wie vor beim VN anfallen, die Kosten dieses Verhaltens in Form von S<strong>ch</strong>äden jedo<strong>ch</strong> beim VU.<br />

Moral Hazard ist mögli<strong>ch</strong>, weil die VU aufgrund von prohibitiv hohen Transaktionskosten ni<strong>ch</strong>t in der Lage<br />

sind, das Verhalten der VN während der Vertragslaufzeit adäquat zu beoba<strong>ch</strong>ten.<br />

■ Konsumentenrente (Consumer Surplus): Die Konsumentenrente misst den Wert einer Markttransak-<br />

tion (Zei<strong>ch</strong>nung eines Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags) aus Si<strong>ch</strong>t des Konsumenten (VN). Die Konsumentenrente ist<br />

die Differenz zwis<strong>ch</strong>en dem Preis, den ein Konsument für ein Gut zu zahlen bereit ist (Reservationspreis:<br />

maximale Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft) und dem Preis, wel<strong>ch</strong>er der Konsument tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> bezahlen muss<br />

(Marktpreis: Versi<strong>ch</strong>erungsprämie). Die Summe der Konsumentenrenten aller Konsumenten und Produ-<br />

zentenrenten (→ Produzentenrente) aller Produzenten einer Volkswirts<strong>ch</strong>aft determiniert die ökonomis<strong>ch</strong>e<br />

Wohlfahrt (→ ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt).<br />

■ Maklerpools: Maklerpools bündeln die Na<strong>ch</strong>frage einer Vielzahl von Versi<strong>ch</strong>erungsmaklern und Mehr-<br />

fa<strong>ch</strong>agenten. Die dem Maklerpool anges<strong>ch</strong>lossenen Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und Mehrfa<strong>ch</strong>agenten kaufen<br />

die Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte für Ihre VN ni<strong>ch</strong>t direkt bei den VU, sondern indirekt über den Maklerpool ein.<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt (Welfare): Mit dem Begriff «ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt» wird in der Wohl-<br />

fahrtsökonomik der wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e und soziale Wohlstand der Bevölkerung einer Volkswirts<strong>ch</strong>aft bezei<strong>ch</strong>-<br />

net. Die ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt ist dabei dur<strong>ch</strong> die Summe der Konsumenten- und Produzentenrenten<br />

(→ Konsumentenrente und Produzentenrente) gegeben.<br />

■ Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten: Gemäss Calabresi (1979) löst ein S<strong>ch</strong>adenereignis drei Arten von Kosten<br />

aus: Primäre, sekundäre und tertiäre S<strong>ch</strong>adenskosten (→ sekundäre und tertiäre S<strong>ch</strong>adenskosten). Unter<br />

den primären S<strong>ch</strong>adenskosten versteht man den Wert aller S<strong>ch</strong>äden bei den Opfern einer S<strong>ch</strong>ädigung –<br />

gemessen in verni<strong>ch</strong>teten Nutzwerten. Die primären Kosten umfassen ni<strong>ch</strong>t nur den Wert der dur<strong>ch</strong> ein<br />

S<strong>ch</strong>adensereignis verni<strong>ch</strong>teten und quantifizierbaren Aktiva, sondern au<strong>ch</strong> intangible Nutzenkomponen-<br />

ten (Beispiel: S<strong>ch</strong>merzen infolge eines Unfalls).<br />

■ Produzentenrente (Producer Surplus): Die Produzentenrente misst den Wert einer Markttransaktion<br />

(Zei<strong>ch</strong>nung eines Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags) aus Si<strong>ch</strong>t der Produzenten (VU). Die Produzentenrente ist die<br />

12


Glossar<br />

Differenz zwis<strong>ch</strong>en dem Marktpreis (Prämie) und dem Preis (Reservationspreis), zu dem der Produzent (VU)<br />

gerade no<strong>ch</strong> bereit wäre, das Gut (Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt) anzubieten. Die Summe der Produzentenrenten<br />

aller Produzenten und der Konsumentenrenten aller Konsumenten (→ Konsumentenrente) einer Volks-<br />

wirts<strong>ch</strong>aft determiniert die ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt (→ ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt).<br />

■ Opportunitätskostenanomalie: Für ein rationales Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt ist es irrelevant, ob Kosten in<br />

Form von Geldausgaben oder in anderer Form auftreten. Dies ist in der Realität jedo<strong>ch</strong> oft ni<strong>ch</strong>t so: «Wer<br />

in einem bereits abbezahlten Haus wohnt, tendiert oft dazu, die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en anfallenden Wohnungskosten niedriger<br />

zu bewerten, als wenn er monatli<strong>ch</strong> eine Miete zahlen muss.» (S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005, 67). Die Opportunitätskos-<br />

tenanomalie dürfte insbesondere in Zusammenhang mit Art. 68 E-<strong>VVG</strong> relevant sein: Spielt es für den VN<br />

eine Rolle, ob er seinen Versi<strong>ch</strong>erungsmakler direkt mittels Honorar oder aber indirekt mittels Courtage<br />

ents<strong>ch</strong>ädigt?<br />

■ Risikoaversion: Unter Risikoaversion bezei<strong>ch</strong>net man das, was man in der Umgangsspra<strong>ch</strong>e «Si<strong>ch</strong>er-<br />

heitsbedürfnis» nennt. Ein risikoaverses Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt zieht bei der Wahl zwis<strong>ch</strong>en mehreren Alterna-<br />

tiven mit glei<strong>ch</strong>em Erwartungswert die Alternative mit der geringsten Streuung des Ergebnisses vor. Es<br />

bewertet Abwei<strong>ch</strong>ungen vom Mittelwert gegen unten subjektiv stärker als Abwei<strong>ch</strong>ungen gegen oben,<br />

die dem Betrage na<strong>ch</strong> den Abwei<strong>ch</strong>ungen gegen unten entspre<strong>ch</strong>en (abnehmender Grenznutzen). Ein<br />

risikoaverses Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt ist bereit, einen Preis dafür zu bezahlen, eine riskante Lotterie zu vermei-<br />

den und mit einer si<strong>ch</strong>eren Alternative zu ersetzen. Wären die Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte ni<strong>ch</strong>t risikoavers, d.h.<br />

risikoneutral, würde es keinen Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt geben.<br />

■ Selbstübers<strong>ch</strong>ätzungsanomalie: Individuen übers<strong>ch</strong>ätzen ihre Fähigkeiten oft. Selbstübers<strong>ch</strong>ätzung<br />

kann dazu führen, dass die VN Risiken unters<strong>ch</strong>ätzen: «So wird das Risiko, selbst einen Unfall zu erleiden, von<br />

potentiellen Unfallopfern oft systematis<strong>ch</strong> als zu gering einges<strong>ch</strong>ätzt, au<strong>ch</strong> wenn ihnen die abstrakte Gefahr wohl<br />

bekannt ist. [...]. Sie [die Selbstübers<strong>ch</strong>ätzungsanomalie, BASS] kann sowohl der Erklärung als au<strong>ch</strong> der Begründung<br />

staatli<strong>ch</strong>en Zwangs bei der Si<strong>ch</strong>erheitsregulierung (z.B. Gurtzwang) und in den Sozialversi<strong>ch</strong>erungen dienen.» (S<strong>ch</strong>äfer<br />

und Ott 2005, 67).<br />

■ Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten: Gemäss Calabresi (1979) löst ein S<strong>ch</strong>adenereignis drei Arten von Kosten<br />

aus: Primäre, sekundäre und tertiäre S<strong>ch</strong>adenskosten (→ primäre und tertiäre S<strong>ch</strong>adenskosten). Unter<br />

sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten versteht man die Kosten der Ni<strong>ch</strong>texistenz von Risikostreuung. Die Kosten<br />

eines S<strong>ch</strong>adens sind ni<strong>ch</strong>t nur davon abhängig, in wel<strong>ch</strong>er Höhe primäre Kosten anfallen, sondern au<strong>ch</strong><br />

davon, wie si<strong>ch</strong> diese verteilen: Ein S<strong>ch</strong>aden, der si<strong>ch</strong> auf eine grössere Anzahl von Personen und/oder<br />

einen längeren Zeitraum verteilt, ist wegen der Risikoaversion der Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte lei<strong>ch</strong>ter zu ertragen<br />

als ein S<strong>ch</strong>aden, der si<strong>ch</strong> auf einen Zeitpunkt und auf ein einzelnes Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt konzentriert (→<br />

Risikoaversion). Sekundäre Kosten können in diesem Sinne als Differenz zwis<strong>ch</strong>en dem Nutzen bei versi-<br />

<strong>ch</strong>ertem Einkommen und dem Erwartungsnutzen bei unversi<strong>ch</strong>ertem Einkommen definiert werden.<br />

■ Strukturbetriebe: Strukturbetriebe sind gebundene VI, die eine Vielzahl von Mehrfa<strong>ch</strong>agenten (→<br />

Mehrfa<strong>ch</strong>agenten) bes<strong>ch</strong>äftigen. Die Strukturbetriebe bezei<strong>ch</strong>nen si<strong>ch</strong> oft als unabhängige Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vermittler, zum Teil au<strong>ch</strong> als Versi<strong>ch</strong>erungsmakler.<br />

■ Superior Risk Bearer: Es gibt Vertragsrisiken, die ni<strong>ch</strong>t zu vertretbaren Kosten vermieden werden<br />

können (→ Cheapest Cost Avoider) und die ni<strong>ch</strong>t versi<strong>ch</strong>ert werden können, da si<strong>ch</strong> für diese Risiken kei-<br />

ne Versi<strong>ch</strong>erungsmärkte herausgebildet haben (→ Cheapest Insurer). In diesem Fall sollte das Vertragsrisi-<br />

ko derjenigen Vertragspartei zugeordnet werden, die am besten mit dem Risiko und einer allfälligen Ver-<br />

wirkli<strong>ch</strong>ung der Gefahr umgehen kann. Diese Vertragspartei wird «Superior Risk Bearer»<br />

■ Tertiäre S<strong>ch</strong>adenskosten: Gemäss Calabresi (1979) löst ein S<strong>ch</strong>adenereignis drei Arten von Kosten<br />

aus: Primäre, sekundäre und tertiäre S<strong>ch</strong>adenskosten (→ primäre und sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten). Unter<br />

den tertiären S<strong>ch</strong>adenskosten versteht man die Transaktionskosten, die in Zusammenhang mit dem Versi-<br />

13


Glossar<br />

<strong>ch</strong>erungsvertrag, d.h. bei der Abwicklung und Verteilung des S<strong>ch</strong>adens entstehen. Im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt<br />

können folgende Arten von tertiären S<strong>ch</strong>adenskosten differenziert werden:<br />

- Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten (sear<strong>ch</strong> costs): Kosten, die in Zusammenhang mit der Informations-<br />

su<strong>ch</strong>e anfallen können. Beispiel: Kosten der Analyse des Versi<strong>ch</strong>erungsbedarfs eines VN, die bei<br />

einem Versi<strong>ch</strong>erungsbroker anfallen.<br />

- Vereinbarungskosten (bargaining and decision costs): Kosten, die in Zusammenhang mit dem<br />

Verhandeln und Ausarbeiten der konkreten Vertragsbedingungen entstehen.<br />

- Abwicklungskosten: Kosten, die in Zusammenhang mit der Abwicklung des Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

trags anfallen. Beispiele: Kosten der S<strong>ch</strong>adenregulierung und des Prämieninkassos, die bei den VU<br />

anfallen.<br />

- Überwa<strong>ch</strong>ungskosten (monitoring costs): Kosten, die na<strong>ch</strong> Vertragsabs<strong>ch</strong>luss entstehen, wenn<br />

das Verhalten eines Vertragspartners beoba<strong>ch</strong>tet werden muss. Beispiel: Kosten, die bei den VU<br />

entstehen, wenn sie überprüfen müssen, ob ein VN die vertragli<strong>ch</strong> vereinbarten Massnahmen der<br />

Risikoprävention und Risikominderung umgesetzt hat.<br />

- Kontrollkosten (verifications costs): Kosten, die in Zusammenhang mit der Kontrolle der vertrag-<br />

li<strong>ch</strong> vereinbarten Eigens<strong>ch</strong>aften der Leistungslieferung entstehen können. Beispiel: Kosten, die bei<br />

den VU anfallen, wenn sie die Bere<strong>ch</strong>tigung einer S<strong>ch</strong>adensersatzforderung eines Ges<strong>ch</strong>ädigten<br />

kontrollieren müssen.<br />

- Dur<strong>ch</strong>setzungskosten (enforcement costs): Kosten, die in Zusammenhang mit der Dur<strong>ch</strong>setzung<br />

der vertragli<strong>ch</strong> vereinbarten Leistungen entstehen können. Beispiel: Kosten, die bei einem VN an-<br />

fallen, wenn er eine unbere<strong>ch</strong>tigte Deckungseinrede eines VU abwehren muss.<br />

- Geri<strong>ch</strong>tskosten (redress costs): Kosten, die bei der Dur<strong>ch</strong>setzung von S<strong>ch</strong>adensersatzansprü<strong>ch</strong>en<br />

und anderen Ents<strong>ch</strong>ädigungen anfallen, wenn es zu Leistungsstörungen oder anderen Vertrags-<br />

brü<strong>ch</strong>en kommt.<br />

■ Ungebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler: Art. 183 der Aufsi<strong>ch</strong>tsverordnung (AVO, SR 961.011) un-<br />

ters<strong>ch</strong>eidet zwis<strong>ch</strong>en ungebundenen und gebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern (→ gebundene Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvermittler). Im Wesentli<strong>ch</strong>en handelt es si<strong>ch</strong> bei ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern um VI,<br />

deren Provisionseinnahmen ni<strong>ch</strong>t zu mehr als 50 Prozent von einem oder zwei VU stammen und die be-<br />

zügli<strong>ch</strong> der Eigentümerstruktur von keinem VU abhängig sind. Ungebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler<br />

werden übli<strong>ch</strong>erweise Versi<strong>ch</strong>erungsmakler (→ Versi<strong>ch</strong>erungsmakler) und/oder Versi<strong>ch</strong>erungsbroker (→<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsbroker) genannt. Da die Bezei<strong>ch</strong>nungen «Versi<strong>ch</strong>erungsmakler» und «Versi<strong>ch</strong>erungsbroker»<br />

ni<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>ützt sind, gibt es im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt allerdings au<strong>ch</strong> gebundene Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vermittler, die si<strong>ch</strong> als Versi<strong>ch</strong>erungsmakler oder Versi<strong>ch</strong>erungsbroker bezei<strong>ch</strong>nen.<br />

■ Unvollständige Information (Imperfect Information): Sowohl die VU als au<strong>ch</strong> die VN sind Informa-<br />

tionsdefiziten ausgesetzt. Die Informationsdefizite der VU betreffen vor Vertragss<strong>ch</strong>luss das Risiko des zu<br />

versi<strong>ch</strong>ernden Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekts und na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss das Verhalten der versi<strong>ch</strong>erten VN während<br />

der Vertragslaufzeit. Die Informationsdefizite der VN betreffen das Marktangebot, die Eigens<strong>ch</strong>aften des<br />

gezei<strong>ch</strong>neten Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags sowie die Qualität und das Verhalten der VU und der Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vermittler. Unvollständige Information kann zu einem Marktversagen führen und einen staatli<strong>ch</strong>en Eingriff<br />

in die Vertragsfreiheit re<strong>ch</strong>tfertigen.<br />

■ Versi<strong>ch</strong>erungsbroker: Versi<strong>ch</strong>erungsbroker sind in der Regel ungebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler.<br />

Der Begriff «Versi<strong>ch</strong>erungsbroker» unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> vom Begriff «Versi<strong>ch</strong>erungsmakler» (→ Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsmakler) dahingehend, dass der Begriff «Versi<strong>ch</strong>erungsbroker» eher ungebundene VI bezei<strong>ch</strong>net, die<br />

im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft tätig sind, während der Begriff «Versi<strong>ch</strong>erungsmakler» eher für ungebundene<br />

VI verwendet wird, die im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft und im Ges<strong>ch</strong>äft mit Kleinstunternehmen (Gewerbe) aktiv<br />

sind.<br />

14


Glossar<br />

■ Versi<strong>ch</strong>erungsmakler: Bei Versi<strong>ch</strong>erungsmakler handelt es si<strong>ch</strong> in der Regel um ungebundene Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvermittler. Allerdings gibt es au<strong>ch</strong> Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und Strukturbetriebe (→ Mehrfa<strong>ch</strong>agenten<br />

und Strukturbetriebe), die si<strong>ch</strong> als Versi<strong>ch</strong>erungsmakler bezei<strong>ch</strong>nen. Der Begriff «Versi<strong>ch</strong>erungsmakler»<br />

unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> vom Begriff «Versi<strong>ch</strong>erungsbroker» (→ Versi<strong>ch</strong>erungsbroker) dahingehend, dass der<br />

Begriff «Versi<strong>ch</strong>erungsbroker» eher ungebundene VI bezei<strong>ch</strong>net, die im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft tätig sind,<br />

während der Begriff «Versi<strong>ch</strong>erungsmakler» eher für ungebunden VI verwendet wird, die im Privatkun-<br />

denges<strong>ch</strong>äft und im Ges<strong>ch</strong>äft mit Kleinstunternehmen (Gewerbe) aktiv sind.<br />

■ Die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keitsanomalie: Mens<strong>ch</strong>en haben Mühe, mit kleinen Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keiten umzu-<br />

gehen: «Kleine Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keiten werden man<strong>ch</strong>mal mit null glei<strong>ch</strong>gesetzt, was erhebli<strong>ch</strong>en Auswirkungen auf<br />

die Fähigkeit hat, ri<strong>ch</strong>tige Ents<strong>ch</strong>eidungen, etwa zur S<strong>ch</strong>adensvermeidung oder –versi<strong>ch</strong>erung zu treffen. Typis<strong>ch</strong>er ist<br />

allerdings bei Unfallgefahren die systematis<strong>ch</strong> Übers<strong>ch</strong>ätzung von Risiken mit geringer Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit und die<br />

Unters<strong>ch</strong>ätzung von Risiken mit relativ hoher Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit.» (S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005, 69).<br />

■ Zillmerung: Abs<strong>ch</strong>reibung der Abs<strong>ch</strong>lusskosten, die beim VU beim Abs<strong>ch</strong>luss einer Einzellebensversi-<br />

<strong>ch</strong>erung entstehen, auf die ersten Jahre der Vertragslaufzeit. Die Zillmerung von Sparversi<strong>ch</strong>erungen führt<br />

dazu, dass die VN hohe Vermögensverluste bis hin zum Totalverlust realisieren, wenn sie, aus wel<strong>ch</strong>en<br />

Gründen au<strong>ch</strong> immer, gezwungen sind, die Sparversi<strong>ch</strong>erungspolice frühzeitig zurückzukaufen.<br />

■ Zu hohe Gegenwartspräferenz: Die Zeitpräferenzrate misst, wie ein Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt Konsum in<br />

der Zukunft im Verglei<strong>ch</strong> zum Konsum in der Gegenwart bewertet. Ist einem Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt der Kon-<br />

sum eines Gutes X in der Gegenwart t zum Beispiel 10 Franken wert, der Konsum des glei<strong>ch</strong>en Gutes ein<br />

Jahr später (im Zeitpunkt t+1) jedo<strong>ch</strong> nur 8 Franken, beträgt die Zeitpräferenzrate 20 Prozent. Ist der Wert<br />

des Konsums des Gutes zum Zeitpunkt t+1 hingegen nur 4 Franken, beträgt die Zeitpräferenzrate 60<br />

Prozent etc.: Je höher die Zeitpräferenzrate, desto tiefer ist der Wert, den der Konsum eines Gutes in der<br />

Zukunft für ein Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt hat. Teilweise wird in der ökonomis<strong>ch</strong>en Literatur argumentiert, dass<br />

Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte eine zu hohe Zeitpräferenzrate haben und deshalb zu wenig für die Zukunft vorsor-<br />

gen. Diese Zusammenhänge sind für den Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt besonders bedeutsam: S<strong>ch</strong>liesst ein Wirt-<br />

s<strong>ch</strong>aftssubjekt einen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag ab, verzi<strong>ch</strong>tet es in der Gegenwart, d.h. zum Zeitpunkt des<br />

Vertragss<strong>ch</strong>lusses, auf Konsum, da es einen Teil seines Vermögens für Prämienzahlungen verwendet. Tritt<br />

in der Zukunft ein S<strong>ch</strong>adensereignis ein und erhält das Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt im Rahmen seiner Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsdeckung Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen des VU, kann es hingegen mehr konsumieren, als dies der Fall<br />

gewesen wäre, wenn es keine Versi<strong>ch</strong>erung abges<strong>ch</strong>lossen hätte. Sozialversi<strong>ch</strong>erungen können u.a. mit<br />

dem Argument einer zu hohen Zeitpräferenzrate der Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte begründet werden.<br />

15


1 Kurzfassung<br />

1 Kurzfassung<br />

1.1 Einleitung<br />

1.1.1 Hintergrund<br />

Am 11. Februar 2003 beauftragte das damals no<strong>ch</strong> zuständige Eidgenössis<strong>ch</strong>e Justiz- und Polizeideparte-<br />

ment (EJPD) eine wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> ausgeri<strong>ch</strong>tete Expertenkommission unter der Leitung von Prof. Dr. An-<br />

ton K. S<strong>ch</strong>nyder von der Universität Züri<strong>ch</strong> mit der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs (VE-<strong>VVG</strong>) samt<br />

erläuterndem Beri<strong>ch</strong>t für eine Totalrevision des Bundesgesetzes über den Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag (<strong>VVG</strong>). Das<br />

geltende <strong>VVG</strong> datiert aus dem Jahr 1908. Im Juli 2006 s<strong>ch</strong>loss die Expertenkommission ihre Arbeit ab und<br />

übergab den Gesetzesentwurf dem mittlerweile zuständigen Eidgenössis<strong>ch</strong>en Finanzdepartment (EFD).<br />

Der Bundesrat beauftragte das Bundesamt für Privatversi<strong>ch</strong>erung (BPV) in der Folge mit der Ausarbeitung<br />

einer auf dem Expertenentwurf basierenden Vernehmlassungsvorlage (E-<strong>VVG</strong>). Die Vernehmlassung fand<br />

daraufhin zwis<strong>ch</strong>en Januar und Juli 2009 statt. In der Vernehmlassung wurde u.a. kritisiert, dass die wirt-<br />

s<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Folgen der Regulierung des Versi<strong>ch</strong>erungsmarktes im Rahmen der <strong>VVG</strong>-Totalrevision ni<strong>ch</strong>t in<br />

genügender Art und Weise analysiert wurden.<br />

Vor diesem Hintergrund haben si<strong>ch</strong> das mittlerweile zuständige Staatssekretariat für internationale Finanz-<br />

fragen SIF und das Staatssekretariat für Wirts<strong>ch</strong>aft SECO ents<strong>ch</strong>ieden, eine vertiefte Regulierungsfolgen-<br />

abs<strong>ch</strong>ätzung (<strong>RFA</strong>) bezügli<strong>ch</strong> der Totalrevision des <strong>VVG</strong> im Rahmen eines verwaltungsexternen Auftrages<br />

dur<strong>ch</strong>zuführen.<br />

1.1.2 Ziele und Gegenstand der <strong>RFA</strong><br />

Die <strong>RFA</strong> ist ein Instrument zur Untersu<strong>ch</strong>ung und Darstellung der volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Auswirkungen von<br />

Vorlagen des Bundes. 3 Sie umfasst fünf Prüfpunkte:<br />

■ Notwendigkeit und Mögli<strong>ch</strong>keit staatli<strong>ch</strong>en Handelns<br />

■ Auswirkungen auf die einzelnen gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Gruppen<br />

■ Auswirkungen auf die Gesamtwirts<strong>ch</strong>aft<br />

■ Alternative Regelungen<br />

■ Zweckmässigkeit im Vollzug<br />

Die <strong>RFA</strong> zur Totalrevision des <strong>VVG</strong> verfolgt zwei Ziele:<br />

■ Transparente Darstellung der Auswirkungen der Revision in der Gesells<strong>ch</strong>aft und in der Wirts<strong>ch</strong>aft.<br />

■ Analyse von Regulierungsalternativen und Identifikation eines allfälligen Optimierungspotentials.<br />

Das Studienmandat, wel<strong>ch</strong>es das SIF und das SECO dem Büro für arbeits- und sozialpolitis<strong>ch</strong>e Studien<br />

(BASS) erteilt haben, umfasst die 12 Massnahmengruppen und damit die wesentli<strong>ch</strong>en geplanten<br />

Veränderungen, die in Tabelle 2 dargestellt sind.<br />

Das Studienmandat, wel<strong>ch</strong>es das SIF und das SECO dem Büro für arbeits- und sozialpolitis<strong>ch</strong>e Studien<br />

(BASS) erteilt haben, legt den S<strong>ch</strong>werpunkt auf wesentli<strong>ch</strong>e geplante Veränderungen, wel<strong>ch</strong>e im Rahmen<br />

der Vernehmlassung teilweise kontrovers diskutiert wurden. Die Studie untersu<strong>ch</strong>t die 12 Massnahmen-<br />

gruppen, die in Tabelle 2 dargestellt sind.<br />

3 Nähere Angaben finden si<strong>ch</strong> auf der <strong>RFA</strong>-Internetseite des SECO unter www.seco.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/rfa.<br />

16


1 Kurzfassung<br />

1.1.3 Methodik der <strong>RFA</strong><br />

Bei der Erarbeitung der <strong>RFA</strong> kamen folgende sozialwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Methoden zur Anwendung:<br />

■ Experteninterviews: Befragung von 42 Experten der Wissens<strong>ch</strong>aft, der Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft, des<br />

Konsumentens<strong>ch</strong>utzes, der Konsumentenpresse und der Bundesverwaltung.<br />

■ S<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>e Befragung von 14 ausgewählten Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU) zur Erhebung<br />

quantitativer Informationen, wobei 6 VU geantwortet haben.<br />

■ Analyse von Literatur und anderen Dokumenten: Es wurden folgende Arten von Dokumenten<br />

analysiert und ausgewertet: (1) Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Literatur; (2) Internationale Beri<strong>ch</strong>te; (3) Publizierte Do-<br />

kumente von Versi<strong>ch</strong>erern, Brokern, Agenten und Behörden; (4) Präsentationen und Unterlagen, die uns<br />

von den befragten Experten ausgehändigt wurden; (5) Vernehmlassungsantworten von Vernehmlassungs-<br />

teilnehmern<br />

17


1 Kurzfassung<br />

Tabelle 2: Gegenstand der <strong>RFA</strong>: Die 12 Massnahmengruppen und die wi<strong>ch</strong>tigsten geplanten Änderungen<br />

Widerrufsre<strong>ch</strong>t (WRR, Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Einführung eines Widerrufsre<strong>ch</strong>ts, das die VN während 14 Tagen na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss geltend<br />

ma<strong>ch</strong>en können<br />

Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (IPV, Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Erweiterung der Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte<br />

■ Ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende Formulierung der Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte<br />

Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (APV, Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist bezügli<strong>ch</strong> der Re<strong>ch</strong>tsfolgen von APV<br />

■ Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis bezügli<strong>ch</strong> der Leistungsbefreiung der VU<br />

infolge APV<br />

■ Einführung einer Kausalität mit Teilung der S<strong>ch</strong>adenssumme bei APV<br />

■ Einführung eines rückwirkenden Anspru<strong>ch</strong>s des VU auf die erhöhte Prämie bei APV<br />

S<strong>ch</strong>adenabwendung und -minderung (SAM, Art. 34/41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t auf unmittelbar drohende S<strong>ch</strong>adenereignisse<br />

■ Begrenzung der Übernahme von S<strong>ch</strong>adenminderungskosten dur<strong>ch</strong> das VU<br />

■ Übernahme der Kosten von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren dur<strong>ch</strong> die VU<br />

Prämienanpassungsklausel (PAK, Art. 49 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Verbot von Prämienerhöhungen mittels PAK, wenn ein VU die Prämienerhöhung selbst<br />

vers<strong>ch</strong>uldet hat<br />

Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (KdV, Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Einführung eines ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>ts, das die VN spätestens 3 Jahre na<strong>ch</strong><br />

Vertragss<strong>ch</strong>luss zum ersten Mal geltend ma<strong>ch</strong>en können<br />

Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (NhV, Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Verbot von Deckungsauss<strong>ch</strong>lüssen und Leistungsreduktionen der VU im Fall von<br />

Vertragsbeendigungen, wenn das befür<strong>ch</strong>tete Ereignis no<strong>ch</strong> während der Vertragslaufzeit<br />

eingetreten ist<br />

Verjährung von Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag (VFV, Art. 66 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Verlängerung der Verjährungsfrist bei Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag von 2 auf 5<br />

Jahre<br />

■ Veränderter Beginn des Fristenlaufes: Eintritt des Versi<strong>ch</strong>erungsfalls ? Eintritt der Fälligkeit<br />

Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (ME, Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG):<br />

■ Einführung einer Pfli<strong>ch</strong>t der ungebundenen VI, die VN über die Art, Höhe und Bere<strong>ch</strong>nung der<br />

Maklerents<strong>ch</strong>ädigung dur<strong>ch</strong> die VU zu informieren<br />

■ Einführung einer Pfli<strong>ch</strong>t der ungebundenen VI, den VN die von den VU erhaltenen<br />

Maklerents<strong>ch</strong>ädigungen - allenfalls na<strong>ch</strong> Abzug der eigenen Aufwendungen - weiterzugeben<br />

Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (GKV, Art. 73 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Einführung der Mögli<strong>ch</strong>keit des Arbeitnehmers, dem VU zu untersagen, den Arbeitgeber über<br />

einen Gesundheitsvorbehalt zu informieren, der im Rahmen einer Gesundheitsprüfung<br />

angebra<strong>ch</strong>t wurde<br />

Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (DFR, Art. 91 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Einführung eines Re<strong>ch</strong>ts der ges<strong>ch</strong>ädigten Person, von der haftpfli<strong>ch</strong>tigen Person Auskunft über<br />

deren Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz zu verlangen<br />

■ Einführung eines direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t der ges<strong>ch</strong>ädigten Person gegenüber dem<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer des S<strong>ch</strong>ädigers<br />

S<strong>ch</strong>adenregulierung (SR, Art. 91 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Verpfli<strong>ch</strong>tung der Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer, innerhalb von 3 Monaten na<strong>ch</strong> Anmeldung einer<br />

Ents<strong>ch</strong>ädigungsforderung s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> Stellung zu beziehen.<br />

Abkürzungen: VN = Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer, VU = Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen, VI = Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler bzw. Versi<strong>ch</strong>erungsintermediäre<br />

Quelle: <strong>VVG</strong>, E-<strong>VVG</strong>, juristis<strong>ch</strong>e Analyse, eigene Darstellung<br />

18


1 Kurzfassung<br />

1.2 Der S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt<br />

1.2.1 Die ökonomis<strong>ch</strong>e Bedeutung des S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarktes<br />

Die Bedeutung des S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarktes für die S<strong>ch</strong>weizer Volkswirts<strong>ch</strong>aft kann folgender-<br />

massen bes<strong>ch</strong>rieben werden:<br />

■ Bruttowerts<strong>ch</strong>öpfung 4 : Die Bruttowerts<strong>ch</strong>öpfung der S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft betrug im<br />

Jahr 2007 21.9 Mia. Franken, was einem Anteil von 4.2 Prozent am Bruttoinlandprodukt des Jahres 2007<br />

entspri<strong>ch</strong>t.<br />

■ Anzahl institutioneller Einheiten 5 : Im Jahr 2008 gab es im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt 2’419<br />

institutionelle Einheiten, was 0.8 Prozent der Anzahl institutioneller Einheiten der gesamten S<strong>ch</strong>weizer<br />

Volkswirts<strong>ch</strong>aft entspri<strong>ch</strong>t. Von den 2'419 institutionellen Einheiten sind 1'603 im Wirts<strong>ch</strong>aftszweig «Tä-<br />

tigkeit von Versi<strong>ch</strong>erungsmakler» tätig.<br />

■ Anzahl Bes<strong>ch</strong>äftigte 6 : Im Jahr 2008 bes<strong>ch</strong>äftigte die S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft 67'132 er-<br />

werbstätige Personen, was 1.9 Prozent aller Bes<strong>ch</strong>äftigten der S<strong>ch</strong>weizer Volkswirts<strong>ch</strong>aft entspri<strong>ch</strong>t.<br />

27'792 Bes<strong>ch</strong>äftigte waren im Wirts<strong>ch</strong>aftszweig «Unfall- und S<strong>ch</strong>adenversi<strong>ch</strong>erung», 12'089 im Wirt-<br />

s<strong>ch</strong>aftszweig «Krankenkassen» und 12'170 im Wirts<strong>ch</strong>aftszweig «Tätigkeit von Versi<strong>ch</strong>erungsmakler»<br />

tätig.<br />

■ Prämienvolumen 7 : Das Prämienvolumen im direkten S<strong>ch</strong>weizerges<strong>ch</strong>äft betrug im Jahr 2008 53.4<br />

Mia. Franken. Dabei entfielen 29.6 Mia. Franken auf das Lebensversi<strong>ch</strong>erungs-Ges<strong>ch</strong>äft und 23.8 Mia.<br />

Franken auf den Berei<strong>ch</strong> «Ni<strong>ch</strong>t-Leben».<br />

1.2.2 Die vers<strong>ch</strong>iedenen Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en<br />

Die wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Bedeutung der vers<strong>ch</strong>iedenen Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en wird in Abbildung 1 in Form<br />

der im Jahr 2008 verdienten Prämien dargestellt. Folgende Bemerkungen müssen bei der Interpretation<br />

der Abbildung berücksi<strong>ch</strong>tigt werden:<br />

■ Das Prämienvolumen der Bran<strong>ch</strong>e «Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen», wel<strong>ch</strong>e die berufli<strong>ch</strong>e Vorsorge<br />

umfasst, ist in der Abbildung ni<strong>ch</strong>t dargestellt, da der Grossteil des Prämienvolumens dieser Bran<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t<br />

dem <strong>VVG</strong>, sondern dem BVG unterliegt. Das Prämienvolumen betrug im Jahr 2008 20.6 Mia. Franken.<br />

■ Vom Prämienvolumen der Krankenttaggeldversi<strong>ch</strong>erungen in der Höhe von 2'764 Mio. Franken entfal-<br />

len 2'684 Mio. Franken (97 Prozent) auf die kollektive Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung. Die Einzelkranken-<br />

taggeldversi<strong>ch</strong>erung wies im Jahr 2008 ein Prämienvolumen von «nur gerade» 84 Mio. Franken auf.<br />

■ Vom Prämienvolumen der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen in der Höhe von 5'889 Mio. Franken im Jahr<br />

2008 entfielen 2'524 Mio. Franken auf ambulante Heilbehandlungen, 3'303 Mio. Franken auf stationäre<br />

Heilbehandlungen und 95 Mio. Franken auf Pflegeversi<strong>ch</strong>erungen.<br />

■ Das Prämienvolumen der obligatoris<strong>ch</strong>en Motorfahrzeughaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung ist in Abbildung 1 in<br />

der Bran<strong>ch</strong>e «Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen» und ni<strong>ch</strong>t in der Bran<strong>ch</strong>e «Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen» ent-<br />

halten.<br />

4 Quelle: Volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Gesamtre<strong>ch</strong>nung VGR, 2007.<br />

5 Quelle: Betriebs- und Unternehmensregister BUR, 2008.<br />

6 Quelle: Betriebs- und Unternehmensregister BUR, 2008.<br />

7 Quelle: FINMA, gebu<strong>ch</strong>te Prämien Brutto, 2008.<br />

19


1 Kurzfassung<br />

Abbildung 1: Jährli<strong>ch</strong>es Prämienvolumen in den einzelnen Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en<br />

Quelle: FINMA, verdiente Prämien im Jahr 2008<br />

1.2.3 Die vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanäle<br />

Im Wesentli<strong>ch</strong>en werden Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte über folgende Vertriebskanäle vertrieben:<br />

■ Direktvertrieb: Dabei ist insbesondere der Vertrieb über das Internet zu nennen.<br />

■ Vertrieb über Versi<strong>ch</strong>erungsagenten: Versi<strong>ch</strong>erungsagenten sind gebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermitt-<br />

ler 8 , die nur für ein einziges VU Versi<strong>ch</strong>erungsverträge vermitteln. Man unters<strong>ch</strong>eidet zwis<strong>ch</strong>en angestell-<br />

ten Aussendienstmitarbeitenden (direct writers) und unabhängigen Agenten (exclusive agents). Rund 50<br />

Prozent ihres Einkommens generieren die Versi<strong>ch</strong>erungsagenten über Abs<strong>ch</strong>luss- und Erneuerungsprovisi-<br />

onen.<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Unfallversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Übrige Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Gebäudeversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Re<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Verkehrsserviceversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Kreditversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Kautionsversi<strong>ch</strong>erungen<br />

172<br />

142<br />

135<br />

361<br />

1'283<br />

2'167<br />

2'068<br />

■ Vertrieb über Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und Strukturbetriebe: Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und Strukturbetriebe<br />

sind gebundene VI, die Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ni<strong>ch</strong>t nur von einem, sondern von mehreren, jedo<strong>ch</strong> weni-<br />

gen VU vermitteln. Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und Strukturbetriebe werden von den VU mittels Bestandes-<br />

Courtagen, Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen und Superprovisionen ents<strong>ch</strong>ädigt.<br />

■ Vertrieb über Finanzintermediäre: Versi<strong>ch</strong>erungen werden au<strong>ch</strong> von Finanzintermediären vermittelt,<br />

insbesondere im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen.<br />

■ Vertrieb über Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und Versi<strong>ch</strong>erungsbroker: Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsbroker sind in der Regel ungebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler 9 , die Versi<strong>ch</strong>erungsverträge von allen<br />

oder von einer Vielzahl von VU vermitteln. Die Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und –broker werden von den VU<br />

8 Art. 183 AVO unters<strong>ch</strong>eidet zwis<strong>ch</strong>en gebundenen und ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern. Art. 183 AVO besagt im wesent-<br />

li<strong>ch</strong>en, dass ein Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler dann ein gebundener ist, wenn mehr als 50 Prozent seiner Provisionen von einem oder zwei<br />

VU entstammen und/oder wenn VU direkt oder indirekt mit mehr als 10 Prozent des Gesells<strong>ch</strong>aftskapitals des VI beteiligt sind.<br />

9 Vgl. vorangehende Fussnote.<br />

2'764<br />

2'723<br />

5'381<br />

5'889<br />

8'561<br />

0 1'000 2'000 3'000 4'000 5'000 6'000 7'000 8'000 9'000<br />

Verdiente Prämien in Mio. Fr.<br />

20


1 Kurzfassung<br />

mittels Bestandes-Courtagen, Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen (Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen) und Superprovisionen<br />

ents<strong>ch</strong>ädigt.<br />

■ Vertrieb über Vereine, Verbände und Partnerunternehmen: Zunehmend werden Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

produkte von Unternehmen und Institutionen vertrieben, die ihr Kernges<strong>ch</strong>äft ni<strong>ch</strong>t im Versi<strong>ch</strong>erungsbe-<br />

rei<strong>ch</strong> haben, jedo<strong>ch</strong> ein Kundenportfolio, einen Mitarbeiter- oder einen Mitgliederbestand haben, die für<br />

die Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft interessant sind. Folgende Unternehmen und Institutionen können differen-<br />

ziert werden: Partnerunternehmen, Berufsverbände, Bran<strong>ch</strong>enverbände, Konsumentenverbände und –<br />

vereinigungen.<br />

Zur Bedeutung der vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanäle im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft lässt si<strong>ch</strong> Folgendes sagen:<br />

■ Im Privatkundenmarkt ist der Agenten-Kanal eindeutig der stärkste Kanal. In den meisten Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsbran<strong>ch</strong>en werden über 80 Prozent der Verträge mit Privatkunden über Versi<strong>ch</strong>erungsagenten ge-<br />

zei<strong>ch</strong>net.<br />

■ Der Direktvertrieb spielt im S<strong>ch</strong>weizer Privatkundenmarkt no<strong>ch</strong> eine untergeordnete Rolle. Der Anteil<br />

des Direktvertriebs am Prämienvolumen im Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben dürfte zwis<strong>ch</strong>en zwei und fünf Prozent<br />

liegen.<br />

■ Der Anteil der Verträge mit Privatkunden, die über Versi<strong>ch</strong>erungsmakler, Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und Struk-<br />

turbetriebe gezei<strong>ch</strong>net werden, dürfte je na<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>e zwis<strong>ch</strong>en 5 und 20 Prozent betra-<br />

gen. Der Anteil der ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler an diesen 5 bis 20 Prozent ist als tief einzu-<br />

s<strong>ch</strong>ätzen.<br />

■ In ausgewählten Bran<strong>ch</strong>en spielen versi<strong>ch</strong>erungsfremde Partnerunternehmen und Konsumentenvereine,<br />

die Kontakt zu Konsumenten mit einem Versi<strong>ch</strong>erungsbedarf haben, eine bedeutende Rolle.<br />

■ Finanzintermediäre spielen im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen eine bedeutende Rolle.<br />

Anders zeigt si<strong>ch</strong> die Situation im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft:<br />

■ Im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft sind die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker sehr bedeutend: Der Marktanteil der Broker<br />

steigt mit der Unternehmensgrösse. Im Kleinstkundenges<strong>ch</strong>äft dürfte der Agenten-Kanal allerdings na<strong>ch</strong><br />

wie vor der stärkste Kanal sein. Der Marktanteil der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker im Segment der rund 4'500<br />

Unternehmen und Institutionen mit mehr als 75 Bes<strong>ch</strong>äftigten wird auf rund 80 Prozent ges<strong>ch</strong>ätzt.<br />

■ In Wirts<strong>ch</strong>aftszweigen, in wel<strong>ch</strong>en die (kleinen) Unternehmen relativ homogen sind, spielen au<strong>ch</strong> Bra-<br />

<strong>ch</strong>en- und Berufsverbände eine wi<strong>ch</strong>tige Rolle.<br />

1.3 Notwendigkeit und Mögli<strong>ch</strong>keit staatli<strong>ch</strong>en Handelns<br />

1.3.1 Notwendigkeit und Funktion des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes<br />

Bedeutung der Vertragsfreiheit im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt<br />

Das Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetz (<strong>VVG</strong>) reguliert den Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag und tangiert damit die Ver-<br />

tragsfreiheit. Diese umfasst typis<strong>ch</strong>erweise Abs<strong>ch</strong>lussfreiheit (inkl. Vertragspartnerwahlfreiheit), Inhalts-<br />

freiheit, Formfreiheit und Aufhebungsfreiheit. Der ökonomis<strong>ch</strong>e Nutzen der Vertragsfreiheit liegt darin,<br />

dass sie in einem Markt, der die Eigens<strong>ch</strong>aften des vollständigen Wettbewerbs aufweist, die knappen<br />

Ressourcen an den Ort ihrer wertvollsten Verwendung steuert und damit zu einer pareto-effizienten Allo-<br />

kation der knappen Ressourcen führt. Die ökonomis<strong>ch</strong>e Produktivität der Vertragsfreiheit postuliert au<strong>ch</strong><br />

das Coase Theorem. Dieses besagt, dass unabhängig von der originären Verteilung der Handlungsre<strong>ch</strong>te<br />

(property rights) eine pareto-effiziente Allokation der Ressourcen resultiert, wenn zwei Bedingungen er-<br />

füllt sind:<br />

21


1 Kurzfassung<br />

■ Die Handlungsre<strong>ch</strong>te sind eindeutig spezifiziert und frei übertragbar.<br />

■ Es gibt keine Transaktionskosten: die Kosten der Information und Koordination bei der Übertragung<br />

und Dur<strong>ch</strong>setzung der Handlungsre<strong>ch</strong>te sind glei<strong>ch</strong> Null.<br />

Im Idealfall eines atomistis<strong>ch</strong>en Marktes mit vielen Na<strong>ch</strong>fragern und Anbietern, in dem Vertragsparteien<br />

vollständig und symmetris<strong>ch</strong> informiert sind, si<strong>ch</strong> rational im Sinne der Nutzenmaximierung verhalten und<br />

in dem es keine Transaktionskosten gibt, gibt es folgli<strong>ch</strong> keinen Anlass für Eingriffe in die Vertragsfreiheit,<br />

die über die Si<strong>ch</strong>erstellung der Dur<strong>ch</strong>setzbarkeit von Verträgen hinausgehen. Ein Eingriff in die Vertrags-<br />

freiheit im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt lässt si<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong> deshalb nur dann re<strong>ch</strong>tfertigen, wenn Marktunvoll-<br />

kommenheiten existieren, die zu einem Marktversagen im Sinne einer ineffizienten Allokation der knap-<br />

pen Ressourcen führen.<br />

Marktunvollkommenheiten im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt<br />

Im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt sind es die folgenden drei Phänomene, die aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t einen Eingriff<br />

in die Vertragsfreiheit re<strong>ch</strong>tfertigen können:<br />

■ Existenz von Transaktionskosten: Die Existenz von Transaktionskosten führt dazu, dass die originäre<br />

Verteilung der Vertragsrisiken auf die Vertragsparteien ni<strong>ch</strong>t effizienz-neutral ist. Was dies bedeutet, wir<br />

weiter unten expliziert.<br />

■ Bes<strong>ch</strong>ränkte Rationalität (Bounded Rationality): Aus der experimentellen Wirts<strong>ch</strong>aftsfors<strong>ch</strong>ung ist<br />

bekannt, dass si<strong>ch</strong> Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte in komplexen Ents<strong>ch</strong>eidungssituationen oft ni<strong>ch</strong>t rational im Sinne<br />

der Nutzenmaximierung verhalten. Die Zei<strong>ch</strong>nung eines Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags dur<strong>ch</strong> einen Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

nehmer (VN) ist eine derartige komplexe Ents<strong>ch</strong>eidungssituation, wobei folgenden Bes<strong>ch</strong>ränkungen der<br />

Rationalität der VN berücksi<strong>ch</strong>tigt werden müssen:<br />

- Die Framinganomalie: Ni<strong>ch</strong>t nur der Inhalt, sondern au<strong>ch</strong> die Art und Weise der Darstellung von<br />

Informationen dur<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI) beeinflussen die Kaufents<strong>ch</strong>eide der VN.<br />

- Die Selbstübers<strong>ch</strong>ätzungsanomalie: Individuen übers<strong>ch</strong>ätzen ihre Fähigkeiten oft. Selbstüber-<br />

s<strong>ch</strong>ätzung kann dazu führen, dass die VN Vertragsrisiken unters<strong>ch</strong>ätzen. Die Selbstübers<strong>ch</strong>ät-<br />

zungsanomalie dürfte insbesondere in Zusammenhang mit dem Risiko eine frühzeitigen Rück-<br />

kaufs einer Sparversi<strong>ch</strong>erungspolice relevant sein.<br />

- Die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keitsanomalie: Mens<strong>ch</strong>en haben Mühe, mit kleinen Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keiten um-<br />

zugehen. Die Konsumenten sind deshalb zum Teil auf den wohlwollenden Rat der Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vermittler angewiesen.<br />

■ Asymmetris<strong>ch</strong>e und unvollständige Information: Sowohl die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN) als au<strong>ch</strong><br />

die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU) sind vor und na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss Informationsdefiziten unters<strong>ch</strong>ied-<br />

li<strong>ch</strong>ster Art ausgesetzt.<br />

Die erste Funktion des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes: Effiziente Allokation der<br />

Vertragsrisiken<br />

In Zusammenhang mit dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag fallen bei den VN, den VU und bei den Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vermittlern Transaktionskosten unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>ster Natur an:<br />

■ Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten (sear<strong>ch</strong> costs)<br />

■ Vereinbarungskosten (bargaining and decision costs)<br />

■ Abwicklungskosten<br />

■ Änderungs- und Anpassungskosten<br />

■ Überwa<strong>ch</strong>ungs- und Kontrollkosten (monitoring and verification costs)<br />

■ Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten (enforcement and redress costs)<br />

22


1 Kurzfassung<br />

Die Existenz von Transaktionskosten führt dazu, dass die Allokation von Vertrags- und S<strong>ch</strong>adensrisiken im<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag ni<strong>ch</strong>t effizienz-neutral ist: Die originäre Verteilung der Handlungsre<strong>ch</strong>te (property<br />

rights) ist entgegen dem Coase Theorem bezügli<strong>ch</strong> des Effizienzkriteriums ni<strong>ch</strong>t irrelevant. Die Zuteilung<br />

der Vertragsrisiken tangiert die Effizienz, weil die Kosten der Risikovermeidung der Vertragsparteien un-<br />

ters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> ho<strong>ch</strong> sind:<br />

«Je na<strong>ch</strong> Zuordnung der Risiken auf den Anbieter oder Na<strong>ch</strong>frager einer Leistung wird der Preis der Leistung unter-<br />

s<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> ho<strong>ch</strong> sein. Wenn alle Risiken auf den Anbieter entfallen, wird er einen hohen Preis für seine Leistung ver-<br />

langen, der mindestens den Erwartungswert dieser Risiken enthält. Wenn dagegen der Na<strong>ch</strong>frager alle Risiken über-<br />

nimmt, wird der Preis entspre<strong>ch</strong>end niedrig sein. Wi<strong>ch</strong>tig ist nun, dass bei der Aushandlung des vollständigen Vertra-<br />

ges die Verhandlungspartner die Risiken ni<strong>ch</strong>t beliebig verteilen. Bei rationalem Verhalten werden sie vielmehr ihren<br />

gemeinsamen Nutzen aus dem Vertrag dadur<strong>ch</strong> vergrössern, dass jeweils derjenige ein spezifis<strong>ch</strong>es Risiko übernimmt,<br />

der dieses Risiko mit dem geringsten Aufwand vermeiden [«Cheapest Cost Avoider 10 », BASS], versi<strong>ch</strong>ern [«Cheapest<br />

Insurer 11 », BASS] oder auf sonstige Weise bewältigen [«Superior Risk Bearer 12 », BASS] kann. Es ist lei<strong>ch</strong>t einzusehen,<br />

dass diese Regelung zum beiderseitigen Vorteil der Parteien ist. Wenn derjenige, der das Risiko mit dem geringsten<br />

Aufwand bewältigen kann, es vertragli<strong>ch</strong> übernimmt, wird sein Preisaufs<strong>ch</strong>lag, den er für die Übernahme des Risikos<br />

verlangt, relativ gering sein.» (S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005, 402).<br />

Die Existenz von Transaktionskosten, insbesondere von Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten, kann dazu führen,<br />

dass die Vertragsparteien die Vertragsrisiken im Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag ineffizient verteilen, da sie Informa-<br />

tionsdefiziten ausgesetzt sind. Daraus ergibt si<strong>ch</strong> die erste Funktion des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes:<br />

Erste Funktion des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes – Servicefunktion: Zuordnung von Risiken wie in<br />

einem vollständigen Vertrag (fully specified contract), wie in einem Vertrag also, den redli<strong>ch</strong>e und wohlin-<br />

formierte Parteien bei Transaktionskosten in der Höhe von Null ges<strong>ch</strong>lossen hätten.<br />

Die zweite Funktion des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes: Reduktion von ex ante<br />

Opportunismus 13<br />

Die Existenz unvollständiger und asymmetris<strong>ch</strong> verteilter Information (Imperfect Information) sowie das<br />

Phänomen der bes<strong>ch</strong>ränkten Rationalität (Bounded Rationality) können dazu führen, dass die Vertragspar-<br />

teien einen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag abs<strong>ch</strong>liessen, der – bereits aus der Perspektive vor Vertragss<strong>ch</strong>luss - ni<strong>ch</strong>t<br />

den Nutzen beider Parteien fördert. Aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t sind derartige Win-Loose-Verträge ni<strong>ch</strong>t gül-<br />

tig: «Na<strong>ch</strong> dem ökonomis<strong>ch</strong>en Vertragsparadigma liegt ein gültiger Vertrag nur vor, wenn eine Vereinbarung die<br />

ökonomis<strong>ch</strong>e Funktion des Vertrags erfüllt, d.h. den Nutzen beider Partien fördert. [...]. Entspri<strong>ch</strong>t ein Vertrag [...]<br />

dem ökonomis<strong>ch</strong>en Modell ni<strong>ch</strong>t, fördert er also ni<strong>ch</strong>t den Nutzen beider Parteien, dann kann er aus ökonomis<strong>ch</strong>er<br />

10 Diejenige Vertragspartei, die ein Vertragsrisiko unter Aufwendung der geringsten Kosten vermeiden kann, wird in der ökonomi-<br />

s<strong>ch</strong>en Literatur «Cheapest Cost Avoider» genannt. Aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t sollte ein Vertragsrisiko dem Cheapest Cost<br />

Avoider zugeordnet werden.<br />

11 Es gibt Vertragsrisiken, die ni<strong>ch</strong>t mit einem vertretbaren Aufwand verhindert werden können, so dass es keinen Cheapest Cost<br />

Avoider gibt. In diesem Fall sollte das Vertragsrisiko derjenigen Vertragspartei zugeordnet werden, wel<strong>ch</strong>e das Risiko zu den güns-<br />

tigsten Konditionen versi<strong>ch</strong>ern kann. Diese Vertragspartei wird «Cheapest Insurer» genannt.<br />

12 Es gibt Vertragsrisiken, die ni<strong>ch</strong>t zu vertretbaren Kosten vermieden werden können und die ni<strong>ch</strong>t versi<strong>ch</strong>ert werden können, da<br />

si<strong>ch</strong> für diese Risiken keine Versi<strong>ch</strong>erungsmärkte herausgebildet haben. In diesem Fall sollte das Vertragsrisiko derjenigen Vertrags-<br />

partei zugeordnet werden, die am besten mit dem Risiko und einer allfälligen Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Gefahr umgehen kann. Diese<br />

Vertragspartei wird «Superior Risk Bearer» genannt.<br />

13 Sowohl die VN als au<strong>ch</strong> die VU sind vor Vertragss<strong>ch</strong>luss (ex ante) Informationsdefiziten ausgesetzt. Nutzt eine Vertragspartei die<br />

Informationsdefizite der Gegenpartei opportunistis<strong>ch</strong> aus, so dass letztli<strong>ch</strong> ein Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag resultiert, der ni<strong>ch</strong>t zum Vorteil<br />

beider Vertragsparteien ist, nennt man dieses opportunistis<strong>ch</strong>e Verhalten «ex ante Opportunismus».<br />

23


1 Kurzfassung<br />

Si<strong>ch</strong>t keine Geltung beanspru<strong>ch</strong>en und sollte dur<strong>ch</strong> einen Eingriff in die Vertragsinhalte korrigiert werden.» (S<strong>ch</strong>äfer<br />

und Ott 2005, 421ff).<br />

Im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt können zwei Arten von Win-Loose-Verträgen differenziert werden:<br />

■ Win(VN)-Loose(VU)-Verträge: Die VN nutzen die Informationsdefizite der VU bezügli<strong>ch</strong> ihres S<strong>ch</strong>a-<br />

densrisikos opportunistis<strong>ch</strong> aus, indem sie ihren vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t adäquat na<strong>ch</strong>-<br />

kommen (Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung).<br />

■ Win(VI/VU)-Loose(VN)-Verträge: Die VI nutzen die Informationsdefizite der VN bezügli<strong>ch</strong> der Eigen-<br />

s<strong>ch</strong>aften des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags opportunistis<strong>ch</strong> aus, indem sie ni<strong>ch</strong>t oder ni<strong>ch</strong>t adäquat über Ver-<br />

tragseigens<strong>ch</strong>aften informieren, die den Abs<strong>ch</strong>luss gefährden. Dieses opportunistis<strong>ch</strong>e Verhalten ist aus<br />

ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t deshalb ni<strong>ch</strong>t zulässig, weil die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en dem VI und dem VN eine Ver-<br />

trauensbeziehung ist.<br />

Vor diesem Hintergrund kann die zweite Funktion des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes folgendermassen<br />

formuliert werden:<br />

Zweite Funktion des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes – Reduktion des ex ante Opportunismus:<br />

Das Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetz reduziert den ex ante Opportunismus vor Vertragsabs<strong>ch</strong>luss, indem es<br />

für die vorvertragli<strong>ch</strong>e Situation Informations- und Verhaltensvors<strong>ch</strong>riften statuiert.<br />

Die dritte Funktion des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes: Reduktion von ex post<br />

Opportunismus 14<br />

Die Existenz von Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten sowie von Überwa<strong>ch</strong>ungs- und Kontrollkosten führen<br />

dazu, dass die Vertragsparteien na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss ni<strong>ch</strong>t ständig beoba<strong>ch</strong>ten können, ob si<strong>ch</strong> die Ge-<br />

genparteien vertragsgemäss verhalten. Aufgrund der Existenz von sogenannten Opportunitätsprämien<br />

kann si<strong>ch</strong> eine Vertragspartei dazu veranlasst sehen, die Informationsdefizite der Gegenpartei na<strong>ch</strong> Ver-<br />

tragss<strong>ch</strong>luss opportunistis<strong>ch</strong> auszubeuten, indem sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vertragskonform verhält. Im Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsmarkt können folgende Spielarten des ex post Opportunismus differenziert werden:<br />

■ Ex post Opportunismus dur<strong>ch</strong> VN: Verletzung von Obliegenheiten dur<strong>ch</strong> die VN, Versi<strong>ch</strong>erungsbe-<br />

trug.<br />

■ Ex post Opportunismus dur<strong>ch</strong> VU: Bestreiten von bere<strong>ch</strong>tigten Forderungen der VN, Geltendma-<br />

<strong>ch</strong>ung von unbere<strong>ch</strong>tigten Deckungsauss<strong>ch</strong>lüssen und vorsätzli<strong>ch</strong>e Vers<strong>ch</strong>leppung der S<strong>ch</strong>adenregulie-<br />

rung.<br />

■ Ex post Opportunismus dur<strong>ch</strong> VI: Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, wel<strong>ch</strong>e die VN Glauben ma<strong>ch</strong>en, in deren<br />

Interesse zu beraten, empfehlen und verkaufen diesen Produkte, die ni<strong>ch</strong>t den Nutzen der VN, sondern<br />

den Nutzen der VI selbst maximieren.<br />

Vor diesem Hintergrund kann die dritte Funktion des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes folgendermassen<br />

formuliert werden:<br />

Dritte Funktion des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes – Reduktion des ex post Opportunismus: Das<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetz reduziert den ex post Opportunismus na<strong>ch</strong> Vertragsabs<strong>ch</strong>luss und vor Ver-<br />

tragsbeendigung dur<strong>ch</strong> Informations- und Verhaltensvors<strong>ch</strong>riften.<br />

14 Aufgrund prohibitiv hoher Transaktionskosten kann eine Vertragspartei das Verhalten der Gegenpartei na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss und<br />

während der Vertragslaufzeit ni<strong>ch</strong>t ständig und umfassend beoba<strong>ch</strong>ten. Die Vertragsparteien sind deshalb Informationsdefiziten<br />

ausgesetzt, wel<strong>ch</strong>e das Verhalten der Gegenpartei während der Vertragslaufzeit betreffen. Nutzt eine Vertragspartei diese Informati-<br />

onsdefizite der Gegenpartei opportunistis<strong>ch</strong> aus, indem sie si<strong>ch</strong> während der Vertragslaufzeit ni<strong>ch</strong>t vertragskonform oder unredli<strong>ch</strong><br />

verhält, um in den Genuss einer Opportunitätsprämie zu kommen, spre<strong>ch</strong>en Ökonomen von «ex post Opportunismus».<br />

24


1 Kurzfassung<br />

1.3.2 Notwendigkeit der Totalrevision des<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes<br />

Die bisherigen Ausführungen haben die Notwendigkeit von Eingriffen in die Vertragsfreiheit im Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsmarkt im Rahmen eines Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>gewiesen. Die<br />

konkrete Notwendigkeit der Totalrevision des <strong>VVG</strong> ergibt si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> nur dann, wenn das geltende <strong>VVG</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t (mehr) in der Lage ist, seine Funktionen in genügender Art und Weise wahrzunehmen. Dies ma<strong>ch</strong>t<br />

deutli<strong>ch</strong>, dass die Notwendigkeit der Revision empiris<strong>ch</strong> begründet sein muss.<br />

Ehe wir uns den Problemen zuwenden, für wel<strong>ch</strong>e es im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt empiris<strong>ch</strong>e Evi-<br />

denz gibt, mö<strong>ch</strong>ten wir darauf hinweisen, dass si<strong>ch</strong> der grösste Teil der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler und der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen redli<strong>ch</strong> und fair verhält. Weil das Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetz – wie im voran-<br />

gehenden Abs<strong>ch</strong>nitt ausgeführt – vor allem die Aufgabe hat, ex ante Opportunismus und ex post Oppor-<br />

tunismus zu verhindern, bringt es der Gegenstand der vorliegenden <strong>RFA</strong> mit si<strong>ch</strong>, dass wir uns v.a. mit<br />

Situationen bes<strong>ch</strong>äftigen müssen, in wel<strong>ch</strong>en opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten auftritt. Dieser Sa<strong>ch</strong>verhalt soll<br />

aber ni<strong>ch</strong>t darüber hinweg täus<strong>ch</strong>en, dass das Versi<strong>ch</strong>erungsges<strong>ch</strong>äft au<strong>ch</strong> unter dem geltenden <strong>VVG</strong> in<br />

den allermeisten Fällen problemlos und zur Zufriedenheit aller involvierten Vertragsparteien abgewickelt<br />

werden kann.<br />

Privatkundenges<strong>ch</strong>äft (B2C-Markt)<br />

Zu den empiris<strong>ch</strong>en Tatbeständen im Privatkundenmarkt, die potentiell in der Lage sind, die Totalrevisi-<br />

on des <strong>VVG</strong> zu begründen, gehören die folgenden:<br />

■ Aggressive Verkaufste<strong>ch</strong>niken, Irreführung und Täus<strong>ch</strong>ung im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Im<br />

S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt gibt es eine ni<strong>ch</strong>t unbedeutende Zahl an VI, wel<strong>ch</strong>e die VN gezielt irrefüh-<br />

ren und täus<strong>ch</strong>en und diese mittels aggressiven Verkaufste<strong>ch</strong>niken zu Vertragss<strong>ch</strong>lüssen verleiten, die<br />

ni<strong>ch</strong>t in ihrem Interesse sind. Probleme treten insbesondere in folgenden Berei<strong>ch</strong>en auf:<br />

- Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten und ihre Re<strong>ch</strong>tsfolgen: Es gibt VI, wel<strong>ch</strong>e die Bedeutung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten<br />

herunterspielen, ni<strong>ch</strong>t über die dramatis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsfolgen von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen infor-<br />

mieren, die VN zu unwahrheitsgemässen Angaben auffordern oder die entspre<strong>ch</strong>enden Fragen<br />

glei<strong>ch</strong> selbst beantworten, na<strong>ch</strong>dem sie den Versi<strong>ch</strong>erungsantrag von den VN haben unters<strong>ch</strong>rei-<br />

ben lassen.<br />

- Gezielte Desinformation über Produkteigens<strong>ch</strong>aften: Die opportunistis<strong>ch</strong>en VI verleiten die VN zu<br />

unvorteilhaften Vertragss<strong>ch</strong>lüssen, indem sie über Vertragseigens<strong>ch</strong>aften, die den Abs<strong>ch</strong>luss ge-<br />

fährden könnten, überhaupt ni<strong>ch</strong>t, inadäquat oder absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> fals<strong>ch</strong> informieren.<br />

- Irreführung der VN bezügli<strong>ch</strong> der Interessensbindung der VI: Es gibt VI, wel<strong>ch</strong>e die VN bezügli<strong>ch</strong><br />

ihrer Interessensbindung und damit bezügli<strong>ch</strong> ihrer Qualität bewusst irreführen: Erstens gibt es<br />

gebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, wel<strong>ch</strong>e die VN Glauben ma<strong>ch</strong>en, unabhängig zu sein, objek-<br />

tiv zu beraten und ihre Empfehlungen einzig an den Interessen der VN auszuri<strong>ch</strong>ten. Zweitens<br />

gibt es aufgrund einer Gesetzeslücke gebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, die si<strong>ch</strong> als ungebun-<br />

den bezei<strong>ch</strong>nen dürfen. Drittens verwenden gebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler oft die unge-<br />

s<strong>ch</strong>ützte Bezei<strong>ch</strong>nung «Versi<strong>ch</strong>erungsmakler» - eine Bezei<strong>ch</strong>nung, wel<strong>ch</strong>e die Konsumenten mit<br />

unabhängiger Beratung glei<strong>ch</strong>setzen. Letztli<strong>ch</strong> führen diese Phänomene dazu, dass es für die VN<br />

prima vista ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong> ist, die Qualität eines Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers zu erkennen.<br />

- Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen: Über 90 Prozent der Bes<strong>ch</strong>werden, die bei der Vermittleraufsi<strong>ch</strong>t<br />

der FINMA von Konsumenten deponiert werden, beziehen si<strong>ch</strong> auf die obligatoris<strong>ch</strong>e Krankenver-<br />

si<strong>ch</strong>erung und die Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen.<br />

25


1 Kurzfassung<br />

- Qualität der opportunistis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler: Bei der Mehrheit der opportunistis<strong>ch</strong>en<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler handelt es si<strong>ch</strong> um gebundene Vermittler, und dabei oft um Mehrfa<strong>ch</strong>-<br />

agenten und s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t ausgebildete Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler von sogenannten Strukturbetrieben.<br />

Etwa 20 Prozent der Bes<strong>ch</strong>werden, die bei der Vermittleraufsi<strong>ch</strong>t der FINMA eingehen, beziehen<br />

si<strong>ch</strong> auf ungebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler.<br />

■ Informationsdefizite der VN bezügli<strong>ch</strong> Vertragseigens<strong>ch</strong>aften im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Die VN<br />

haben bezügli<strong>ch</strong> der von ihnen gezei<strong>ch</strong>neten Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen substantielle Informationsdefizite.<br />

Die Informationsdefizite betreffen insbesondere folgende Vertragseigens<strong>ch</strong>aften:<br />

- Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse<br />

- Vertragslaufzeit<br />

- Kündigungsre<strong>ch</strong>te<br />

- Bedeutung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten und Re<strong>ch</strong>tsfolgen ihrer Verletzung<br />

- Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen: siehe Details unter dem na<strong>ch</strong>folgenden Aufzählungspunkt.<br />

■ Vers<strong>ch</strong>iedenste Problemstellungen im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen: Im Berei<strong>ch</strong> der<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen gibt es vers<strong>ch</strong>iedenste Problemstellungen im Zusammenhang mit dem Prinzip<br />

der Zillmerung 15 , dem Risiko eines vorzeitigen Rückkaufs der Police, den Risiken von fondsgebundenen<br />

Produkten und den Abs<strong>ch</strong>luss- und Verwaltungskosten:<br />

- S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung I: Es gibt Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, die ni<strong>ch</strong>t adäquat über das Risiko eines früh-<br />

zeitigen Rückkaufs der Police einer gezillmerten Sparversi<strong>ch</strong>erung mit periodis<strong>ch</strong>er Prämienzah-<br />

lung und über das Risiko von fondsgebundenen Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen informieren.<br />

- S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung II: Gezillmerte Sparprodukte mit periodis<strong>ch</strong>er Prämienzahlungen werden in<br />

grossem Stil an junge VN vertrieben, für wel<strong>ch</strong>e diese Produkte enorme Vertragsrisiken enthalten<br />

und deshalb für diese gänzli<strong>ch</strong> ungeeignet sind. Dies führt dazu, dass die betroffenen VN massive<br />

Vermögensverluste realisieren, wenn sie die Police aus finanziellen Gründen frühzeitig zurückkau-<br />

fen müssen.<br />

- Produktqualität I: Die Zillmerung der Abs<strong>ch</strong>lusskosten ist eine Produkteigens<strong>ch</strong>aft, die für die VN<br />

sehr ungünstig ist. Ein Markt für Zitronen 16 , auf wel<strong>ch</strong>em si<strong>ch</strong> aufgrund von Informationsdefiziten<br />

nur diejenigen Produkte dur<strong>ch</strong>setzen können, die eine s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te Qualität aufweisen, könnte er-<br />

klären, warum si<strong>ch</strong> auf dem Markt der Sparversi<strong>ch</strong>erungen ungezillmerte Produkte ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>-<br />

setzen konnten.<br />

- Produktqualität II: Die Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen sind bei gezillmerten Sparversi<strong>ch</strong>erungen derart ho<strong>ch</strong>,<br />

dass sie von einigen der befragten Experten im Verglei<strong>ch</strong> zu der Alternative des Banksparens als<br />

ni<strong>ch</strong>t konkurrenzfähig bezei<strong>ch</strong>net wurden. Aufgrund der Ausführungen dieser Experten muss da-<br />

von ausgegangen werden, dass es si<strong>ch</strong> bei einem ni<strong>ch</strong>t unbedeutenden Teil des Prämienvolumens<br />

gezillmerter Sparversi<strong>ch</strong>erungen um suboptimal alloziierte Sparkapitalien handelt.<br />

■ Lange Vertragslaufzeiten: Lange Vertragslaufzeiten sind in der Regel ni<strong>ch</strong>t im Interesse des VN. Den-<br />

no<strong>ch</strong> werden na<strong>ch</strong> wie vor Versi<strong>ch</strong>erungsverträge mit sehr langen Vertragslaufzeiten ohne jährli<strong>ch</strong>es Kün-<br />

15 Mit «Zillmerung» wird das Verfahren bzw. die Praxis der Abs<strong>ch</strong>reibung der Abs<strong>ch</strong>lusskosten, die beim VU beim Abs<strong>ch</strong>luss einer<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erung entstehen, auf die ersten Jahre der Vertragslaufzeit, bezei<strong>ch</strong>net. Die Zillmerung von Sparversi<strong>ch</strong>erungen<br />

führt dazu, dass die VN hohe Vermögensverluste bis hin zum Totalverlust realisieren, wenn sie gezwungen sind, die Sparversi<strong>ch</strong>e-<br />

rungspolice frühzeitig zurückzukaufen.<br />

16 Ein Markt für Zitronen (vgl. Glossar) kann si<strong>ch</strong> entfalten, wenn die Konsumenten ni<strong>ch</strong>t in der Lage sind, die Qualität bzw. Eigen-<br />

s<strong>ch</strong>aften der am Markt verfügbaren Produkten zu erkennen. Vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tert ein Anbieter die Qualität seines Produktes und kann er<br />

deshalb den Preis des Produktes senken, steigt die Na<strong>ch</strong>frage na<strong>ch</strong> seinen Produkten, da die Konsumenten die Qualitätsvers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te-<br />

rung ni<strong>ch</strong>t erkennen können. Andere Anbieter werden dem Qualitätsvers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terer folgen, so dass bezügli<strong>ch</strong> der Produktqualität<br />

ein «race down to the bottom» ausgelöst wird: Es resultiert letztli<strong>ch</strong> ein Markt, in dem nur Produkte s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter Qualität überleben,<br />

wobei das Qualitätsniveau ni<strong>ch</strong>t den Präferenzen der Käufer entspri<strong>ch</strong>t.<br />

26


1 Kurzfassung<br />

digungsre<strong>ch</strong>t vertrieben. Die Existenz der langen Vertragslaufzeiten dürfte si<strong>ch</strong> damit erklären, dass die<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler beim Abs<strong>ch</strong>luss von Policen mit langen Vertragslaufzeiten höhere Abs<strong>ch</strong>lussprovi-<br />

sionen erhalten. Informierte VN verlangen ein jährli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t, wenn sie einen Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vertrag abs<strong>ch</strong>liessen, was ihnen von den VU bedingungslos gewährt wird. Nur VN, die das Risiko eines<br />

Vertrags mit einer langen Laufzeit ni<strong>ch</strong>t zu erkennen in der Lage sind, s<strong>ch</strong>liessen heute no<strong>ch</strong> Verträge<br />

ohne ein jährli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t ab.<br />

■ Ex post Opportunismus der VU: In den Jahresberi<strong>ch</strong>ten der Ombudsstelle der Privatversi<strong>ch</strong>erung und<br />

der SUVA finden si<strong>ch</strong> vereinzelt Hinweise auf ex post Opportunismus der VU (Geltendma<strong>ch</strong>ung von unbe-<br />

re<strong>ch</strong>tigten Deckungsauss<strong>ch</strong>lüssen, Ablehnung bere<strong>ch</strong>tigter Forderungen von VN, vorsätzli<strong>ch</strong>e Vers<strong>ch</strong>lep-<br />

pung der S<strong>ch</strong>adenregulierung). Aufgrund der verfügbaren empiris<strong>ch</strong>en Evidenz darf allerdings der S<strong>ch</strong>luss<br />

gezogen werden, dass si<strong>ch</strong> der Grossteil der VU bei der S<strong>ch</strong>adenregulierung redli<strong>ch</strong> verhält und ex post<br />

Opportunismus der VU im Privatkundenmarkt kein vordringli<strong>ch</strong>es Problem darstellt.<br />

■ Kündigung von Krankenzusatz- und (kollektiven) Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungsverträgen<br />

dur<strong>ch</strong> die VU: Es gibt Konsumenten und Kleinstunternehmen, die na<strong>ch</strong> erfolgter Kündigung eines beste-<br />

henden Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags dur<strong>ch</strong> ein VU ni<strong>ch</strong>t mehr in der Lage sind, einen neuen Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

trag abzus<strong>ch</strong>liessen, da sie keinen Versi<strong>ch</strong>erer finden, der bereit ist, sie zu versi<strong>ch</strong>ern. Aus ökonomis<strong>ch</strong>er<br />

Si<strong>ch</strong>t stellt dies im Grundsatz kein Problem dar, das einen staatli<strong>ch</strong>en Eingriff in die Vertragsfreiheit re<strong>ch</strong>t-<br />

fertigen kann. 17 Denn da die VU Gewinnmaximierer sind, werden sie jedes Risiko versi<strong>ch</strong>ern, wenn der<br />

entspre<strong>ch</strong>ende Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag einen positiven erwarteten Gewinn für das VU aufweist. Es gibt al-<br />

lerdings einen Fall, bei wel<strong>ch</strong>em ein staatli<strong>ch</strong>er Eingriff in die Vertragsfreiheit aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t<br />

mögli<strong>ch</strong>erweise begründet werden kann: Bei Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen und bei (kollektiven) Kranken-<br />

taggeldversi<strong>ch</strong>erungen versi<strong>ch</strong>ern die VN das Risiko, ein s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes Risiko zu sein. Dies hängt damit zu-<br />

sammen, dass die S<strong>ch</strong>adenswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keiten in diesen beiden Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en über die Zeit<br />

korreliert sein können. Beispiel: Ein Individuum erhält na<strong>ch</strong> drei Jahren Laufzeit eines Krankenzusatzversi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvertrags die Diagnose «Krebs», so dass klar ist, dass in den nä<strong>ch</strong>sten Jahren sehr hohe Kosten im<br />

Gesundheitswesen anfallen werden, die der Krankenversi<strong>ch</strong>erer zu übernehmen hat. Wenn der Kranken-<br />

versi<strong>ch</strong>erer diesem VN den Vertrag nun kündet, wird dieser ni<strong>ch</strong>t mehr in der Lage sein, einen neuen Ver-<br />

si<strong>ch</strong>erungsvertrag zu zei<strong>ch</strong>nen. Analoge Beispiele können bezügli<strong>ch</strong> der kollektiven Krankenttaggeldversi-<br />

<strong>ch</strong>erung konstruiert werden.<br />

Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft (B2B-Markt)<br />

In Zusammenhang mit dem Revisionsbedarf, der si<strong>ch</strong> aus Si<strong>ch</strong>t des Firmenkundenges<strong>ch</strong>äfts ergibt, kön-<br />

nen die empiris<strong>ch</strong>en Tatbestände folgendermassen zusammengefasst werden:<br />

■ Keine empiris<strong>ch</strong>en Hinweise auf bedeutende Marktunvollkommenheiten: Im Firmenkundenge-<br />

s<strong>ch</strong>äft gibt es – abgesehen von den empiris<strong>ch</strong>en Tatbeständen, die in den na<strong>ch</strong>folgenden zwei Aufzäh-<br />

lungspunkten expliziert werden – aus Si<strong>ch</strong>t der VN keine empiris<strong>ch</strong>en Hinweise auf bedeutende Marktun-<br />

vollkommenheiten.<br />

■ Kollektive Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung: Die VU sehen in den Allgemeinen Versi<strong>ch</strong>erungsbedingun-<br />

gen (AVB) von kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungsverträgen im Fall von Vertragsbeendigungen und<br />

Arbeitgeberwe<strong>ch</strong>seln von Angestellten Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse und Leistungseins<strong>ch</strong>ränkungen vor, die ni<strong>ch</strong>t<br />

im Interessen der VN und ihrer Bes<strong>ch</strong>äftigten sind. Ein Markt für Zitronen kann erklären, warum si<strong>ch</strong> im<br />

Berei<strong>ch</strong> der kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung derartige Produkteigens<strong>ch</strong>aften dur<strong>ch</strong>setzen konnten,<br />

17 Ausser wenn die Situation derart ist, dass aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ein Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium wüns<strong>ch</strong>enswert ist.<br />

27


1 Kurzfassung<br />

die ni<strong>ch</strong>t den Präferenzen der VN entspre<strong>ch</strong>en und überdies den Wettbewerb hemmen, da sie den We<strong>ch</strong>-<br />

sel des Versi<strong>ch</strong>erers oder den Arbeitgeberwe<strong>ch</strong>sel eines Angestellten mit Risiken versehen. 18<br />

■ Verjährung von Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag: Au<strong>ch</strong> in Zusammenhang mit Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungspolicen von Firmenkunden, insbesondere in Zusammenhang mit Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen,<br />

kommt es immer wieder vor, dass bere<strong>ch</strong>tigte Forderungen von VN aufgrund der kurzen, zur Zeit gelten-<br />

den Verjährungsfrist (2 Jahre) verjähren.<br />

■ S<strong>ch</strong>utzbedarf von Kleinstunternehmen: Die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en dem Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler und<br />

dem VN ist im Segment der Kleinstunternehmen (< 10 Bes<strong>ch</strong>äftigte) – analog zur Beziehung zwis<strong>ch</strong>en<br />

dem Privatkunden und dem VI – eine Vertrauensbeziehung. Im Gegensatz hierzu ist der Einkauf von Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsdeckung bei grösseren Unternehmen ab etwa 10 Bes<strong>ch</strong>äftigten rational in dem Sinne struktu-<br />

riert, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung von den VN als zu optimierender Kostenfaktor begriffen wird. Vor<br />

dem Hintergrund, dass das Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetz v.a. die Funktion hat, die Vertragsparteien vor<br />

opportunistis<strong>ch</strong>er Ausbeutung 19 zu s<strong>ch</strong>ützen, ergibt si<strong>ch</strong>, dass es im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft einen zusätzli-<br />

<strong>ch</strong>en Konsumentens<strong>ch</strong>utzbedarf nur bei den Kleinstunternehmen gibt.<br />

S<strong>ch</strong>lussfolgerung<br />

Wir haben zu Beginn dieses Abs<strong>ch</strong>nitts ausgeführt, dass die dargelegten Problemstellungen im S<strong>ch</strong>weizer<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt eine Totalrevision des <strong>VVG</strong> begründen können. Diese Formulierung impliziert, dass<br />

aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t der empiris<strong>ch</strong>e Na<strong>ch</strong>weis von Marktunvollkommenheiten zwar notwendig, ni<strong>ch</strong>t<br />

jedo<strong>ch</strong> hinrei<strong>ch</strong>end für die Begründung eines Eingriffs in die Vertragsfreiheit ist. Die Existenz von Mark-<br />

tunvollkommenheiten ist für die Begründung eines Regulierungseingriffs deshalb ni<strong>ch</strong>t hinrei<strong>ch</strong>end, weil<br />

Regulierungseingriffe mit direkten Vollzugskosten und indirekten Kosten verbunden sind, die si<strong>ch</strong> u.a.<br />

aufgrund von Verhaltensänderungen der Marktakteure ergeben. Aus diesem Grund müssen sowohl die<br />

positiven als au<strong>ch</strong> die negativen Auswirkungen der geplanten Totalrevision des <strong>VVG</strong> identifiziert, qualifi-<br />

ziert und wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong> gegeneinander abgewogen werden. Dieser Aufgabe kommen wir im<br />

na<strong>ch</strong>folgenden Abs<strong>ch</strong>nitt na<strong>ch</strong>.<br />

1.4 Auswirkungen der Regulierung<br />

Die wi<strong>ch</strong>tigsten im Zusammenhang mit der <strong>VVG</strong>-Revision zu bea<strong>ch</strong>tenden Zielgrössen und die entspre-<br />

<strong>ch</strong>enden erwarteten Auswirkungen der einzelnen geplanten Veränderungen sind in Tabelle 3 dargestellt.<br />

Die Auswirkungen der einzelnen Veränderungen beziehen si<strong>ch</strong> dabei jeweils auf die vorges<strong>ch</strong>lagene Lö-<br />

sung im E-<strong>VVG</strong> («Regulierungsszenario») im Verglei<strong>ch</strong> zur Situation unter dem geltenden <strong>VVG</strong> («Referenz-<br />

szenario»). Die alternativen Regulierungsoptionen, die wir im Rahmen der <strong>RFA</strong> untersu<strong>ch</strong>t haben, sind in<br />

dieser Tabelle ni<strong>ch</strong>t berücksi<strong>ch</strong>tigt (vgl. hierfür Kapitel 1.5). Die Eins<strong>ch</strong>ätzungen der Auswirkungen und<br />

ihre wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>e Bewertung sind qualitativer Natur. Sie sind das Ergebnis der ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

und empiris<strong>ch</strong>en Analysen, die im Rahmen der <strong>RFA</strong> vorgenommen wurden. Die Tabelle ist folgendermas-<br />

sen zu lesen:<br />

18 Die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass die Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erer ein Freizügigkeitsabkommen s<strong>ch</strong>liessen mussten, um Deckungslücken beim<br />

Arbeitgeberwe<strong>ch</strong>sel von Angestellten (z.T.) verhindern zu können, ist ein starker empiris<strong>ch</strong>er Hinweis, dass der Me<strong>ch</strong>anismus eines<br />

Marktes für Zitronen spielt: Kooperatives Verhalten (Freizügigkeitsabkommen) war notwendig, um eine im Verglei<strong>ch</strong> zur Marktlö-<br />

sung pareto-superiore Allokation der S<strong>ch</strong>adensrisiken realisieren zu können. Leider werden mit dem besagten Freizügigkeitsabkom-<br />

men ni<strong>ch</strong>t alle relevanten Fallkonstellationen abgedeckt.<br />

19 Wir verwenden den Begriff der «Ausbeutung», weil dieser in der ökonomis<strong>ch</strong>en Literatur in Zusammenhang mit opportunisti-<br />

s<strong>ch</strong>em Verhalten gebräu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist.<br />

28


1 Kurzfassung<br />

■ Ein grünes Plus-Zei<strong>ch</strong>en (+) bedeutet, dass bezügli<strong>ch</strong> der betroffenen Zielgrösse eine Veränderung zu<br />

erwarten ist, die aus gesamtwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t positiv zu bewerten ist. Bei den einzelnen aufgeführten<br />

Marktakteursgruppen (VN, VI, VU) bedeutet ein grünes Plus-Zei<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t zwingend, dass die erwarteten<br />

Auswirkungen au<strong>ch</strong> von den betroffenen Akteursgruppen selbst positiv bewertet werden. So ist z.B. eine<br />

Reduktion des ex ante Opportunismus von VI aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t positiv zu bewerten, da<br />

die Reduktion von ex ante Opportunismus zu einer Erhöhung der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt (Summe der<br />

Konsumenten- und Produzentenrenten) führt. Die opportunistis<strong>ch</strong>en VI selbst hingegen bewerten ein<br />

Eins<strong>ch</strong>ränkung der Mögli<strong>ch</strong>keiten zum ex ante Opportunismus negativ, da diese Eins<strong>ch</strong>ränkung ihren<br />

Provisionsertrag reduziert. Diese Problemstellung ist letztli<strong>ch</strong> darauf zurückzuführen, dass individuelle Ra-<br />

tionalität (Nutzenmaximierung des einzelnen Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekts) und kollektive Rationalität (gesamtwirt-<br />

s<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Wohlfahrt) auseinanderfallen können, wenn Marktunvollkommenheiten existieren.<br />

■ Ein rotes Minus-Zei<strong>ch</strong>en (−) bedeutet, dass bezügli<strong>ch</strong> der betroffenen Zielgrösse eine Veränderung zu<br />

erwarten ist, die wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong> negativ zu bewerten ist. Au<strong>ch</strong> hier gilt, dass die entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Auswirkungen aus Si<strong>ch</strong>t der betroffenen Akteursgruppe ni<strong>ch</strong>t zwingend negativ bewertet werden müs-<br />

sen.<br />

■ Kein Eintrag bedeutet, dass die betreffende Zielgrösse von der Revision überhaupt ni<strong>ch</strong>t betroffen ist.<br />

■ Ein s<strong>ch</strong>warzes Glei<strong>ch</strong>heits-Zei<strong>ch</strong>en (=) bedeutet, dass die Zielgrösse zwar betroffen ist, die Verände-<br />

rung jedo<strong>ch</strong> verna<strong>ch</strong>lässigbar ausfallen dürfte – allenfalls aufgrund von Auswirkungen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er<br />

Ri<strong>ch</strong>tung, die si<strong>ch</strong> gegenseitig aufheben.<br />

■ Eine Zelle, die das Zei<strong>ch</strong>en (+/-) enthält, bedeutet, dass Auswirkungen zu erwarten sind, die aus wohl-<br />

fahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t gegensätzli<strong>ch</strong> sind, wobei wir ni<strong>ch</strong>t in der Lage sind, den Nettoeffekt einzu-<br />

s<strong>ch</strong>ätzen.<br />

■ Notation zu den Zielgrössen «Marktvolumen»: In den Zeilen zu der Zielgrösse «Marktvolumen»<br />

verwenden wir anstelle der Plus- und Minus-Zei<strong>ch</strong>en rote und grüne Pfeile (� � � � ���� ���� ����), um sowohl die<br />

Ri<strong>ch</strong>tung der Veränderung dieser Zielgrösse als au<strong>ch</strong> ihre wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>e Bedeutung anzeigen zu<br />

können. Diese Erweiterung ist notwendig, da die Mengen-Zielgrössen (Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge,<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken, Marktvolumen) zur ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt keinen eindeutigen Zu-<br />

sammenhang aufweisen: Eine Reduktion des Marktvolumens kann je na<strong>ch</strong> Situation mit einer Erhöhung<br />

oder einer Reduktion der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt verbunden sein 20 . Das Glei<strong>ch</strong>e unter umgekehrten<br />

Vorzei<strong>ch</strong>en gilt für eine Zunahme des Marktvolumens.<br />

In Zusammenhang mit Tabelle 3 ers<strong>ch</strong>einen uns zwei Bemerkungen wi<strong>ch</strong>tig:<br />

■ In der Tabelle sind nur die Auswirkungen der 12 Massnahmengruppen dargestellt, die wir im Rahmen<br />

der <strong>RFA</strong> untersu<strong>ch</strong>t haben. Überhaupt gilt: Jegli<strong>ch</strong>e Aussagen im vorliegenden Beri<strong>ch</strong>t beziehen si<strong>ch</strong> einzig<br />

auf diese 12 Massnahmengruppen. Die Spalte «Total» in Tabelle 3 kann deshalb ni<strong>ch</strong>t als «<strong>VVG</strong>-<br />

Revision», sondern nur als Summe der 12 Massnahmengruppen interpretiert werden.<br />

■ Die Tabelle zeigt eine sehr aggregierte Si<strong>ch</strong>t auf die 12 Massnahmengruppen. Wir empfehlen den Le-<br />

sern dringend, Tabelle 3 nur vor dem Hintergrund der detaillierten Ausführungen zu den einzelnen Mass-<br />

nahmengruppen in den Abs<strong>ch</strong>nitten 1.4 bis 1.6 zu interpretieren. Ansonsten gehen wi<strong>ch</strong>tige Differenzie-<br />

rungen verloren – v.a. deshalb, weil die Auswirkungen der Revision in vers<strong>ch</strong>iedenen Teilmärkten (insbe-<br />

sondere: in vers<strong>ch</strong>iedenen Produkt- und Kundenteilmärkten) unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> sein können.<br />

20 Eine Ausdehnung des Marktvolumens ist in zwei Fällen wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong> negativ zu bewerten: Fall 1: Die Ausdehnung des<br />

Prämienvolumens ist auf eine Erhöhung des Preises der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung (z.B. aufgrund einer Zunahme der Transaktionskosten)<br />

zurückzuführen. Fall 2: Die Ausdehnung des Prämienvolumens ist auf eine Zunahme der Anzahl von Win-Loose-<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen zurückzuführen.<br />

29


1 Kurzfassung<br />

In den na<strong>ch</strong>folgenden beiden Abs<strong>ch</strong>nitten erläutern wir die erwarteten Auswirkungen der Revision, die in<br />

Tabelle 3 im Überblick dargestellt sind – in einem ersten S<strong>ch</strong>ritt entlang der einzelnen Massnahmengrup-<br />

pen (Abs<strong>ch</strong>nitt 1.4.1), in einem zweiten S<strong>ch</strong>ritt entlang der vers<strong>ch</strong>iedenen Produktteilmärkte bzw. Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en (Abs<strong>ch</strong>nitt 1.4.2) und in einem dritten S<strong>ch</strong>ritt entlang der vers<strong>ch</strong>iedenen von der Revi-<br />

sion betroffenen gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Gruppen (Abs<strong>ch</strong>nitt 1.4.3). In Abs<strong>ch</strong>nitt 1.4.4 fassen wir die Auswir-<br />

kungen auf die Gesamtwirts<strong>ch</strong>aft zusammen. In Abs<strong>ch</strong>nitt 1.4.5 bewerten wir die Totalrevision vor dem<br />

Hintergrund des Regulierungsbedarfs, den wir in Abs<strong>ch</strong>nitt 1.3.2 identifiziert haben.<br />

30


1 Kurzfassung<br />

Tabelle 3: Die Auswirkungen der untersu<strong>ch</strong>ten Massnahmen im Überblick<br />

Auswirkungen auf...<br />

WRR IPV APV SAM PAK KdV NhV VFV ME GKV DFR SR<br />

Total<br />

Art.-Nr. im E-<strong>VVG</strong> / E-VAG 7, 8 12-14 15-23 34/41 49 53 57-58 66 68, 45 73 91 94<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten + = + - + +/- = + + + - + -<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten + + + + + +<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten + - = - - = + + - + +/-<br />

Transaktionskosten + = + - - + + +/- - + + -<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten<br />

Abwicklungskosten<br />

-<br />

+<br />

-<br />

-<br />

-<br />

+/-<br />

+<br />

+<br />

+<br />

-<br />

- -<br />

+/-<br />

-<br />

+<br />

-<br />

-<br />

+<br />

- + -<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten - + - + -<br />

Änderungs- & Anpassungskosten - + - - - - -<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten + + - +/- + - + + - + -<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten +<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN) + + + - + + - +<br />

Informationsdefizite der VN + + + + +<br />

Ex ante Opportunismus der VN - - -<br />

Moral hazard der VN + + +<br />

Ex post Opportunismus der VN + + + -<br />

Misstrauen gegenüber VI und VU + + + + + +<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI) + + + + + +<br />

Ex ante Opportunismus der VI + + + + + +<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

+<br />

+<br />

+<br />

+<br />

+<br />

+<br />

+<br />

+<br />

+<br />

+<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU) + - + - + + + + - + =<br />

Ex post Opportunismus der VU + + + + + + =<br />

Andere Verhaltensanpassungen - - - - -<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV + + + - + +/- + + + + - - -<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids + + + + + +<br />

Risikoadäquanz der Prämien - - - +<br />

Produktqualität + + + + + +<br />

Vertragsrisiken des VN + + + + + + + + + + - - =<br />

Vertragsrisiken des VU - - - + - - - -<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen + + + - + + + +<br />

Adverse Selektion - - - +<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

+<br />

+<br />

+<br />

+ + +<br />

+<br />

+<br />

+<br />

+ +<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t + + + - + +/- + + + + - + -<br />

Prämienvolumen (Marktvolumen) ���� ���� ���� ���� = ���� ���� ���� ���� ���� ���� ���� =<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV ���� ���� ���� ���� ����<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ���� ���� ���� ���� ���� ���� ���� ���� ���� ���� ����<br />

Prämienhöhe ���� ���� ���� ���� ���� ���� ���� ���� ���� ���� ����<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ���� ���� ���� ���� ���� ���� = = = ���� ���� ���� ����<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ���� ���� ���� ���� ���� ���� = ���� ���� ���� ���� ���� ����<br />

Instabilität des Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts - - =<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt + + + - + + + + + + - + -<br />

Renten der VN + + + - + + + + + + - - -<br />

Renten der VI - - - - = - - + + - -<br />

Renten der VU - - - - = - - = + - - = =<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte + + + + - + =<br />

Legende: vgl. Ausführungen auf der vorangehenden Seite; Quelle: eigene Darstellung<br />

31


1 Kurzfassung<br />

1.4.1 Auswirkungen der einzelnen Massnahmen<br />

Im Folgenden fassen wir die Auswirkungen zusammen, die wir für die vers<strong>ch</strong>iedenen geplanten Verände-<br />

rungen erwarten, die wir im Rahmen der <strong>RFA</strong> untersu<strong>ch</strong>t haben.<br />

Widerrufsre<strong>ch</strong>t (WRR, Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Aufgrund der Erfahrungen mit dem Widerrufsre<strong>ch</strong>t, das im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt zum Teil bei<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen s<strong>ch</strong>on jetzt gewährt wird, kann davon ausgegangen werden, dass der Wider-<br />

ruf von Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen kein Massenphänomen sein wird. Ein VU, das in der Lage war, die Häufig-<br />

keit von Widerrufen bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen zu quantifizieren, bezifferte den Anteil der widerrufe-<br />

nen Verträge auf 0.2 Prozent.<br />

Die Einführung des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts dürfte zu folgenden Auswirkungen führen:<br />

■ Kosten des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts: Die Einführung des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts wird die sekundären 21 und primären<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten 22 ni<strong>ch</strong>t in erwähnenswertem Umfang verändern. Entgegen den Verlautbarungen im<br />

Rahmen der Vernehmlassung ist ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er, dass das Widerrufsre<strong>ch</strong>t zu einer Erhöhung der tertiären<br />

Kosten 23 (Transaktionskosten) führen wird. Es ist zwar korrekt, dass bei einem Widerruf beim VU <strong>admin</strong>i-<br />

strative Aufwendungen entstehen und zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten des Vertragss<strong>ch</strong>lusses resultieren können. Die-<br />

sen tertiären Kosten stehen allerdings Einsparungen in der Zukunft entgegen, da VN, die mit ihrem Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvertrag zufrieden sind, ihre Versi<strong>ch</strong>erungsverträge weniger oft künden und weniger zu unkoope-<br />

rativem und opportunistis<strong>ch</strong>em Verhalten neigen.<br />

■ Nutzen des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts: Der Nutzen des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts besteht zum einen darin, dass Wohl-<br />

fahrtsverluste verhindert werden können, wenn VN Versi<strong>ch</strong>erungsverträge zei<strong>ch</strong>nen, die ihren Nutzen<br />

ni<strong>ch</strong>t maximieren. Zum anderen wird die Verfügbarkeit des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts eine präventive Wirkung auf<br />

das Verhalten der VU und ihre Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler entfalten: Der Ertrag von S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung und<br />

aggressiven Verkaufste<strong>ch</strong>niken wird sinken, da derartiges opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten der Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vermittler mit dem Widerruf sanktioniert werden kann.<br />

■ Unbeabsi<strong>ch</strong>tigte Nebeneffekte und Missbrau<strong>ch</strong>spotential: Dem Widerrufsre<strong>ch</strong>t ist ein Miss-<br />

brau<strong>ch</strong>spotential inhärent. Insbesondere können VN das Widerrufsre<strong>ch</strong>t dahingehend missbrau<strong>ch</strong>en, dass<br />

sie in den Genuss einer temporären kostenlosen Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung kommen. Das Missbrau<strong>ch</strong>spoten-<br />

tial s<strong>ch</strong>ätzen wir allerdings als sehr gering ein, da die VU die Mögli<strong>ch</strong>keit haben, Missbräu<strong>ch</strong>e auszu-<br />

s<strong>ch</strong>liessen – insbesondere dadur<strong>ch</strong>, dass sie die Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung erst 14 Tage na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss<br />

einsetzen lassen.<br />

Insgesamt wird die Einführung eines Widerrufsre<strong>ch</strong>ts zu einer Erhöhung der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt<br />

führen.<br />

21 Unter sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten versteht man die Kosten der Ni<strong>ch</strong>texistenz von Risikostreuung. Die Kosten eines S<strong>ch</strong>adens sind<br />

ni<strong>ch</strong>t nur abhängig davon, in wel<strong>ch</strong>er Höhe primäre Kosten (vgl. na<strong>ch</strong>stehende Fussnote) anfallen, sondern au<strong>ch</strong> davon, wie si<strong>ch</strong><br />

diese verteilen: Ein S<strong>ch</strong>aden, der si<strong>ch</strong> auf eine grössere Anzahl von Personen und/oder einen längeren Zeitraum verteilt, ist wegen<br />

der Risikoaversion der Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte lei<strong>ch</strong>ter zu ertragen als ein S<strong>ch</strong>aden, der si<strong>ch</strong> auf einen Zeitpunkt und auf ein einzelnes<br />

Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt konzentriert.<br />

22 Unter den primären S<strong>ch</strong>adenskosten versteht man den Wert aller S<strong>ch</strong>äden bei den Opfern einer S<strong>ch</strong>ädigung – gemessen in ver-<br />

ni<strong>ch</strong>teten Nutzwerten.<br />

23 Unter den tertiären S<strong>ch</strong>adenskosten versteht man die Transaktionskosten, die in Zusammenhang mit dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag<br />

bei der Abwicklung und Verteilung des S<strong>ch</strong>adens entstehen. Im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt können folgende Arten von tertiären S<strong>ch</strong>adens-<br />

kosten differenziert werden: Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten (sear<strong>ch</strong> costs); Vereinbarungskosten (bargaining and decision costs);<br />

Abwicklungskosten; Überwa<strong>ch</strong>ungskosten (monitoring costs); Kontrollkosten (verifications costs); Dur<strong>ch</strong>setzungskosten (enforce-<br />

ment costs); Geri<strong>ch</strong>tskosten (redress costs); Politis<strong>ch</strong>e Kosten.<br />

32


1 Kurzfassung<br />

Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>ten der VU (IPV, Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong> sehen im Berei<strong>ch</strong> der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten im Wesentli<strong>ch</strong>en folgende<br />

Änderungen vor:<br />

■ Einführung einer ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessenden Formulierung der Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte<br />

■ Erweiterung der Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte gemäss Art. 12 Abs. 1-2 E-<strong>VVG</strong><br />

Wir erwarten aufgrund dieser Massnahmen die folgenden Auswirkungen:<br />

■ Kosten der veränderten Informationspfli<strong>ch</strong>ten: Jede Veränderung, insbesondere jede Erweiterung<br />

der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten, führt bei den VU zu Anpassungskosten: Die s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Do-<br />

kumente, mit wel<strong>ch</strong>en die VU ihre Informationspfli<strong>ch</strong>t wahrnehmen, müssen verändert werden. Bei diesen<br />

Anpassungskosten handelt es si<strong>ch</strong> grundsätzli<strong>ch</strong> um einmalige Kosten, die nur anfallen, wenn die Infor-<br />

mationspfli<strong>ch</strong>ten verändert werden. Da das Instrument der Informationspfli<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t neu ges<strong>ch</strong>affen<br />

werden muss, sind die zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten als eher gering einzus<strong>ch</strong>ätzen. Wir s<strong>ch</strong>ätzen die Gesamtkosten<br />

auf 4 Millionen Franken. Damit die Kosten infolge veränderter Informationspfli<strong>ch</strong>ten mögli<strong>ch</strong>st gering<br />

ausfallen, muss den VU ein zeitli<strong>ch</strong>er Vorlauf gewährt werden, damit si<strong>ch</strong> diese auf die Umsetzung adä-<br />

quat vorbereiten können.<br />

■ Nutzen der veränderten Informationspfli<strong>ch</strong>ten: Sofern sie wahrgenommen werden, reduzieren<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>ten Informationsdefizite der VN, die si<strong>ch</strong> negativ auf ihre Wohlfahrt<br />

auswirken können. Dadur<strong>ch</strong> können die Informationspfli<strong>ch</strong>ten zu folgenden Nutzen führen:<br />

1. Ermögli<strong>ch</strong>ung eines nutzenoptimalen Konsuments<strong>ch</strong>eids des VN;<br />

2. Intensivierung des Wettbewerbs;<br />

3. Vertragskonformes Verhalten der VN während der Vertragslaufzeit (Reduktion von sekundären<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten);<br />

4. Reduktion von Transaktionskosten (Vereinbarungskosten, Abwicklungskosten, Änderungs- und<br />

Anpassungskosten, Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten);<br />

5. Erkennen von opportunistis<strong>ch</strong>em Verhalten der VU na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss.<br />

Das Ausmass der Nutzen ist letztli<strong>ch</strong> v.a. davon abhängig, wie die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler die neuen In-<br />

formationspfli<strong>ch</strong>ten wahrnehmen.<br />

■ Grenzen der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten: Die Wirkung des Instruments der vorvertrag-<br />

li<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten ist aus drei Gründen bes<strong>ch</strong>ränkt:<br />

1. Es setzt voraus, dass die informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte von den VN überhaupt wahrgenommen<br />

werden. Davon kann ni<strong>ch</strong>t ohne Weiteres ausgegangen werden, da im Zentrum der Beratung ei-<br />

nes VN dur<strong>ch</strong> einen VI das mündli<strong>ch</strong>e Gesprä<strong>ch</strong> und ni<strong>ch</strong>t die s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Unterlagen stehen;<br />

2. Es setzt «mündige Konsumenten» in dem Sinne voraus, dass es das Problem der bes<strong>ch</strong>ränkten<br />

Rationalität der VN ni<strong>ch</strong>t lösen kann: Die Wirkung der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte hängt von<br />

der Art und Weise ab, wie sie von den VI im mündli<strong>ch</strong>en Beratungsgesprä<strong>ch</strong>s präsentiert werden<br />

(Framinganomalie);<br />

3. Es kann keine befriedigende Präventivwirkung entfalten, weil au<strong>ch</strong> im E-<strong>VVG</strong> keine pönalen Sank-<br />

tionen für Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzungen statuiert sind. Die VU sind kaum ökonomis<strong>ch</strong>en Anrei-<br />

zen ausgesetzt, opportunistis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern die Zusammenarbeit zu kündigen.<br />

Insgesamt ist zu erwarten, dass die geplanten Veränderungen in Zusammenhang mit den vorvertragli<strong>ch</strong>en<br />

Informationspfli<strong>ch</strong>ten bei opportunistis<strong>ch</strong>en VI ni<strong>ch</strong>t die gewüns<strong>ch</strong>te Wirkungen entfalten werden.<br />

Von den zusätzli<strong>ch</strong>en in Art. 12 E-<strong>VVG</strong> vorgesehenen Informationspfli<strong>ch</strong>ten dürfte vor allem Art. 12 Abs.<br />

2 lit. b E-<strong>VVG</strong> (Abs<strong>ch</strong>luss- und Verwaltungskosten bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungen) bedeutende Auswirkungen<br />

auf die ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt entfalten: Die Transparenzvors<strong>ch</strong>rift dürfte zu einer substantiellen Reduk-<br />

tion der Abs<strong>ch</strong>lusskosten in der Bran<strong>ch</strong>e «Einzelleben» führen.<br />

33


1 Kurzfassung<br />

Eine positive Analyse der Transaktionskosten und eine normative Analyse in der Tradition der ökonomi-<br />

s<strong>ch</strong>en Analyse des Re<strong>ch</strong>ts haben ergeben, dass eine ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende Formulierung der Liste der in-<br />

formationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert ist.<br />

Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten der VU (APV, Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Der Anteil der S<strong>ch</strong>adensfälle, bei wel<strong>ch</strong>en die VU eine Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung geltend ma<strong>ch</strong>en können,<br />

liegt zwis<strong>ch</strong>en 0 und 0.5 Prozent – je na<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>e. Die typis<strong>ch</strong>en Fälle von Anzeigepfli<strong>ch</strong>t-<br />

verletzungen sind:<br />

- Vers<strong>ch</strong>weigen vorbestehender Krankheiten bei Personenversi<strong>ch</strong>erungen<br />

- Vers<strong>ch</strong>weigen von Fahrausweisentzügen und hohen Bussen sowie Fals<strong>ch</strong>angaben bezügli<strong>ch</strong> des<br />

häufigsten Fahrers bei Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen<br />

- Fals<strong>ch</strong>angaben bezügli<strong>ch</strong> der historis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>adenfrequenz bei Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen<br />

- Vers<strong>ch</strong>weigen von Vertragskündigungen dur<strong>ch</strong> die Vorversi<strong>ch</strong>erer<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse der Auswirkungen der geplanten Veränderungen in Zusammenhang mit den<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten und den Re<strong>ch</strong>tsfolgen von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen hat zu folgenden<br />

Ergebnissen geführt:<br />

■ Die Präzisierungen zur Erhebli<strong>ch</strong>keit von Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en, zum Zeitpunkt für die Beurteilung<br />

der Anzeigepfli<strong>ch</strong>terfüllung sowie zur vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>t sind aus wohlfahrts-<br />

ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t zu begrüssen:<br />

- Nutzen: Sie werden die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten senken und die Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit erhöhen,<br />

was zu tieferen Transaktionskosten führen wird. Vertragsrisiken sowohl der VN als au<strong>ch</strong> der VU<br />

können reduziert werden. Diese Auswirkungen werden den Preis der Versi<strong>ch</strong>erung tendenziell<br />

senken und die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken tendenziell erhöhen.<br />

- Kosten: Die Präzisierungen zur Erhebli<strong>ch</strong>keit von Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en werden zu einmaligen Anpas-<br />

sungskosten führen, da die VU gewisse Fragen, die sie im Rahmen der vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeige-<br />

pfli<strong>ch</strong>ten der VN stellen, anpassen müssen. Die zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten sind als gering einzus<strong>ch</strong>ätzen.<br />

■ Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist: Die Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist wird<br />

zu folgenden Auswirkungen führen:<br />

- Nutzen: Die Einführung wird zu einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten führen, da die<br />

VU bei Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen, die später als 5 Jahre na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss erkannt werden,<br />

neu leistungspfli<strong>ch</strong>tig bleiben würden. Au<strong>ch</strong> würden die Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten sin-<br />

ken, die in Zusammenhang mit Auseinandersetzungen zwis<strong>ch</strong>en VN und VU bezügli<strong>ch</strong> Anzeige-<br />

pfli<strong>ch</strong>tverletzungen entstehen, die länger als 5 Jahre zurückliegen.<br />

- Kosten: Es müssen Verhaltensänderungen der VU erwartet werden, da die Einführung einer abso-<br />

luten Verwirkungsfrist die Vertragsrisiken der VU erhöht. Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> würden die VU Mass-<br />

nahmen ergreifen, um die 5-jährige Verwirkungsfrist auszuhebeln – zum Beispiel dur<strong>ch</strong> Vertrags-<br />

erneuerungen, so dass der Fristenlauf neu beginnt. Ebenso ist zu erwarten, dass die VU ihre Kon-<br />

troll- und Überwa<strong>ch</strong>ungsmassnahmen intensivieren würden. Diese Verhaltensänderungen führen<br />

zu einer Erhöhung der Vereinbarungskosten, der Kontroll- und Überwa<strong>ch</strong>ungskosten sowie der<br />

Änderungs- und Anpassungskosten. Ebenso kann ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen werden, dass die Einfüh-<br />

rung einer absoluten Verwirkungsfrist die sorgfältige und wahrheitsgemässe Erfüllung der Anzei-<br />

gepfli<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> die VN negativ tangieren würde. Dadur<strong>ch</strong> werden die Prämien weniger risikoadä-<br />

34


1 Kurzfassung<br />

quat, was die Menge der Risiken reduzieren wird, die von den Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekten fremdversi-<br />

<strong>ch</strong>ert werden (adverse Selektion 24 ).<br />

Aus der ökonomis<strong>ch</strong>en Perspektive der Effizienz ist die Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist be-<br />

zügli<strong>ch</strong> der Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung negativ zu bewerten. Au<strong>ch</strong> eine normative Analy-<br />

se in der Tradition der ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse des Re<strong>ch</strong>ts hat zum Ergebnis geführt, dass die Einführung<br />

einer absoluten Verwirkungsfrist ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert ist.<br />

■ Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis: Die Auswirkungen der Einführung eines<br />

qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis sind ähnli<strong>ch</strong>er Natur wie diejenigen der Einführung einer absoluten<br />

Verwirkungsfrist:<br />

- Nutzen: Die Leistungspfli<strong>ch</strong>t der VU im Fall einer lei<strong>ch</strong>tfahrlässigen Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung führt<br />

zu einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten.<br />

- Kosten: Aufgrund von Verhaltensänderungen der VU ist eine Erhöhung der Kontroll- und Über-<br />

wa<strong>ch</strong>ungskosten, der Vereinbarungskosten und der Änderungs- und Anpassungskosten zu er-<br />

warten, was si<strong>ch</strong> negativ auf den Preis der Versi<strong>ch</strong>erung auswirkt. Während die Einführung einer<br />

absoluten Verwirkungsfrist zu einer Reduktion der Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten führt, ist<br />

für die Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis das Gegenteil zu erwarten: Es wird<br />

zusätzli<strong>ch</strong>e Auseinandersetzungen bezügli<strong>ch</strong> der Frage geben, ob eine lei<strong>ch</strong>tfahrlässige oder aber<br />

grobfahrlässige bzw. absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung vorliegt. Da die Einführung eines quali-<br />

fizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis die Sanktionen reduziert, die ein VN zu erwarten hat, wenn er<br />

seine Anzeigepfli<strong>ch</strong>t verletzt, muss davon ausgegangen werden, dass die Häufigkeit von Anzei-<br />

gepfli<strong>ch</strong>tverletzungen steigen wird.<br />

Insgesamt erwarten wir, dass die Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis den Preis der<br />

Versi<strong>ch</strong>erung erhöht und die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken senken wird, so dass Wohlfahrtsverluste in<br />

Form reduzierter Konsumenten- und Produzentenrenten resultieren. Au<strong>ch</strong> eine normative Analyse in der<br />

Tradition der ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse des Re<strong>ch</strong>ts hat zum Ergebnis geführt, dass die Einführung eines qua-<br />

lifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert ist.<br />

■ Erstreckung der Kausalität auf den Umfang des S<strong>ch</strong>adens: Die Einführung einer Kausalität mit<br />

Teilung der S<strong>ch</strong>adenssumme wird zu folgenden Auswirkungen führen:<br />

- Nutzen: Die Erstreckung der Kausalität auf den Umfang des S<strong>ch</strong>adens wird zu einer Reduktion<br />

der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten führen.<br />

- Kosten: Bei Personens<strong>ch</strong>äden birgt die Einführung einer Kausalität mit Teilung der S<strong>ch</strong>adenssum-<br />

me die Gefahr von Auseinandersetzungen bezügli<strong>ch</strong> der Aufteilung bzw. Zuordnung eines S<strong>ch</strong>a-<br />

dens auf vers<strong>ch</strong>iedene medizinis<strong>ch</strong>e Ursa<strong>ch</strong>en. Derartige Auseinandersetzungen führen zu zusätz-<br />

li<strong>ch</strong>en Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten. Da au<strong>ch</strong> die Einführung einer Kausalität mit Teilung<br />

der S<strong>ch</strong>adenssumme die Sanktionen reduziert, die ein VN zu erwarten hat, wenn er seinen vorver-<br />

tragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t in adäquater Art und Weise na<strong>ch</strong>kommt, dürfte au<strong>ch</strong> diese ten-<br />

denziell zu einer Erhöhung der Häufigkeit von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen führen.<br />

Insgesamt erwarten wir, dass die Erstreckung der Kausalität auf den Umfang des S<strong>ch</strong>adens zu einer Erhö-<br />

hung der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt führt, wenn Personens<strong>ch</strong>äden von der Regelung ausgenommen wer-<br />

den.<br />

24 Wenn die VU ex ante, d.h. vor Vertragss<strong>ch</strong>luss, ni<strong>ch</strong>t in der Lage sind, die Risiken zu diskriminieren, müssen sie einen sog. Mis<strong>ch</strong>-<br />

vertrag (pooling contract) anbieten, dessen Prämie für ein dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>es Risiko bere<strong>ch</strong>net ist (generelle Prämie). Diese Prämie<br />

übersteigt die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft der guten Risiken, so dass diese auf eine Fremdversi<strong>ch</strong>erung ihres Risikos verzi<strong>ch</strong>ten. Die Abwan-<br />

derung der guten Risiken ma<strong>ch</strong>t eine Prämienerhöhung notwendig, die zu einer weiteren Abwanderung der guten Risiken führt.<br />

Diesen Prozess der Ansammlung s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter Risiken nennt man adverse Selektion.<br />

35


1 Kurzfassung<br />

■ Rückwirkender Anspru<strong>ch</strong> der VU auf die erhöhte Prämie: Dem geltenden Re<strong>ch</strong>t haftet der Makel<br />

an, dass Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen, die ni<strong>ch</strong>t zu einer Leistungsfreiheit des VU führen, für den VN, der<br />

die Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung begangen hat, keine Konsequenzen hat. Der rückwirkende Anspru<strong>ch</strong> des VU<br />

auf die Differenz zwis<strong>ch</strong>en der risikoadäquaten Prämie, die der VN bei korrekter Anzeige hätte bezahlen<br />

müssen und der effektiv bezahlten (zu tiefen und risikoinadäquaten) Prämie, s<strong>ch</strong>liesst diese Lücke. Der<br />

Nutzen des rückwirkenden Anspru<strong>ch</strong>s auf die erhöhte Prämie ist in erster Linie in der Präventivwirkung zu<br />

sehen: Die Häufigkeit von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen wird sinken. Allerdings führt die geplante Neuerung<br />

zu drei Problemen:<br />

- Erstens birgt die Regelung ein hohes Missbrau<strong>ch</strong>spotential: Die VU könnten dazu übergehen, Fan-<br />

tasie-Tarife für Risiken zu entwickeln, die sie gar ni<strong>ch</strong>t versi<strong>ch</strong>ern.<br />

- Zweitens sind Auseinandersetzungen bezügli<strong>ch</strong> der Höhe der hypothetis<strong>ch</strong>en Prämie zu erwarten<br />

– insbesondere deshalb, weil eine Prämie ni<strong>ch</strong>t ein rein versi<strong>ch</strong>erungsmathematis<strong>ch</strong>es Konstrukt<br />

ist, sondern au<strong>ch</strong> von anderen Faktoren wie dem Vertriebskanal, den Marktverhältnissen und den<br />

Marktstrategien der VU abhängt.<br />

- Drittens stellt die Verpfli<strong>ch</strong>tung zur Rückzahlung der erhöhten Prämie für die VN ein sehr hohes<br />

Vertragsrisiko dar: Insbesondere dann, wenn keine absolute Verwirkungsfrist eingeführt wird,<br />

kann der rückwirkende Anspru<strong>ch</strong> des VU auf die erhöhte Prämie einen VN finanziell ruinieren –<br />

dies gilt in besonderem Ausmass für Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen.<br />

Die Einführung einer monetären Sanktion von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen, die ni<strong>ch</strong>t zu einer Leistungsbe-<br />

freiung des VU führen, ist aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t grundsätzli<strong>ch</strong> zu begrüssen. Die im E-<strong>VVG</strong> vorgesehene<br />

Konkretisierung dieser Sanktion ist aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t allerdings suboptimal. Insbesondere<br />

ist kein Nutzen eines rückwirkenden Anspru<strong>ch</strong>s auf die erhöhte Prämie ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, wenn das VU bereits<br />

eine Leistungsbefreiung geltend ma<strong>ch</strong>en kann, die betragsmässig die ges<strong>ch</strong>uldete Prämienrückzahlung<br />

übersteigt und in der Regel bereits einen pönalen Charakter hat. Aus diesem Grund hat Art. 10 Abs. 3 VE-<br />

<strong>VVG</strong> ursprüngli<strong>ch</strong> vorgesehen, dass der rückwirkende Anspru<strong>ch</strong> auf die erhöhte Prämie ni<strong>ch</strong>t besteht,<br />

wenn das VU von seiner Leistungsbefreiung infolge Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung Gebrau<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t.<br />

S<strong>ch</strong>adenabwendung und -minderung (SAM, Art. 34 und 41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Die Kosten von Massnahmen der S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung betragen gemäss den be-<br />

fragten VU je na<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>e zwis<strong>ch</strong>en 0 und 2 Prozent des jährli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>adenvolumens, die<br />

Kosten der S<strong>ch</strong>adenermittlung 0.5 bis 2 Prozent des S<strong>ch</strong>adenvolumens. Die geplanten Neuerungen von<br />

Art. 34 und 41 E-<strong>VVG</strong> werden zu folgenden Auswirkungen führen:<br />

■ Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t: Die Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t auf unmittelbar dro-<br />

hende Ereignisse wird zu folgenden Auswirkungen führen:<br />

- Nutzen: Die Vorerstreckung wird zu einer Reduktion der primären S<strong>ch</strong>adenskosten führen, da die<br />

VN neu au<strong>ch</strong> bei unmittelbar drohenden S<strong>ch</strong>äden verpfli<strong>ch</strong>tet sind, Massnahmen der S<strong>ch</strong>aden-<br />

abwendung zu ergreifen. Darüber hinaus kann eine bestehenden Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheit aufgelöst<br />

werden, was die Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten senken wird.<br />

- Kosten: Die Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t kann zu einer Erweiterung des Deckungsumfangs<br />

führen. Ein Beispiel hierfür sind Produktrückrufaktionen, die von den VU gesondert versi<strong>ch</strong>ert<br />

werden. Eine Erweiterung des Deckungsumfangs ist aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t<br />

wüns<strong>ch</strong>enswert, weil sie zu risikoinadäquateren Prämien führt und damit die adverse Selektion<br />

begünstigt.<br />

Die Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t wird zu einer Erhöhung der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt führen,<br />

wenn den VU das Re<strong>ch</strong>t eingeräumt wird, spezifis<strong>ch</strong>e, konkret formulierte Massnahmen der S<strong>ch</strong>adenab-<br />

wendung und –minderung vom Geltungsberei<strong>ch</strong> von Art. 34 E-<strong>VVG</strong> auszunehmen.<br />

36


1 Kurzfassung<br />

■ Begrenzung der Übernahme von S<strong>ch</strong>adensminderungskosten dur<strong>ch</strong> die VU: Mit Art. 41 Abs. 3<br />

wird die Übernahme von S<strong>ch</strong>adenminderungskosten dur<strong>ch</strong> die VU gegen oben plafoniert: Kosten von<br />

Massnahmen der S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung, die zusammen mit den übrigen Leistungen die<br />

Versi<strong>ch</strong>erungssumme übersteigen, müssen die VU nur no<strong>ch</strong> dann übernehmen, wenn sie die Massnahmen<br />

selbst veranlasst haben. Die Eins<strong>ch</strong>ränkung der Kostenübernahmen dur<strong>ch</strong> die VU wird zu einer Reduktion<br />

der primären S<strong>ch</strong>adenskosten führen: Sie stellt si<strong>ch</strong>er, dass die VN ni<strong>ch</strong>t Massnahmen der S<strong>ch</strong>adenabwen-<br />

dung und –minderung ergreifen, deren Kosten höher sind als der Erwartungswert des verhinderten S<strong>ch</strong>a-<br />

dens. Darüber hinaus senkt sie die Vertragsrisiken der VU, was tendenziell zu tieferen Kapitalkosten (Re-<br />

duktion der Rückstellungen) führt.<br />

■ Zuweisung der S<strong>ch</strong>adenermittlungskosten an das VU: Bereits heute tragen die VU im Normalfall<br />

die Kosten der S<strong>ch</strong>adenermittlung, wobei die Bes<strong>ch</strong>ränkung auf die Versi<strong>ch</strong>erungssumme gilt. Auswirkun-<br />

gen dürfte die Neuerung nur bei Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren haben, die es nur im Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben gibt<br />

und äusserst selten vorkommen: Da unter dem geltenden <strong>VVG</strong> (Art. 67 Abs. 5) die VU und VN die Kosten<br />

von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren unter si<strong>ch</strong> aufteilen, führt Art. 41 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong> zu einer Umverteilung<br />

dieser Kosten zu Lasten der VU, was zu einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten führt. Da die VN<br />

aufgrund Art. 41 Abs. 2 keinen ökonomis<strong>ch</strong>en Anreiz mehr haben, Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren zu verhin-<br />

dern, kann eine Erhöhung der Häufigkeit von sol<strong>ch</strong>en Verfahren ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen werden. Vor diesem<br />

Hintergrund ist eine Erhöhung der Kosten der S<strong>ch</strong>adenregulierung zu erwarten, was aus wohlfahrtsöko-<br />

nomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert ist.<br />

Prämienanpassungsklausel (PAK, Art. 49 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Art. 49 E-<strong>VVG</strong> sieht vor, dass die VU Prämienanpassungen auf der Basis einer Prämienanpassungsklausel<br />

(PAK) nur no<strong>ch</strong> dann vornehmen können, wenn die Notwendigkeit der Prämienanpassung auf exogene<br />

Faktoren zurückzuführen ist, die vom betreffenden VU ni<strong>ch</strong>t beeinflusst werden konnten.<br />

Die Nutzen von Art. 49 E-<strong>VVG</strong> sind die folgenden:<br />

■ Reduktion von ex post Opportunismus der VU: Art. 49 E-<strong>VVG</strong> verhindert, dass si<strong>ch</strong> die VU ex post einen<br />

Teil der Konsumentenrenten aneignen können, indem sie während der Vertragslaufzeit Prämienerhöhun-<br />

gen dur<strong>ch</strong>führen, deren Notwendigkeit sie selbst vers<strong>ch</strong>uldet haben (Beispiel: Lockvogelangebote).<br />

■ Präventivwirkung: Die Häufigkeit von Prämienanpassungen wird sinken, was si<strong>ch</strong> positiv auf die Kon-<br />

sumentenrenten auswirkt.<br />

Diese Nutzen müssen gegen folgende Kosten abgewogen werden:<br />

■ Erhöhung der sekundären und tertiären S<strong>ch</strong>adenskosten: Wenn ein VU die Notwendigkeit einer Prä-<br />

mienanpassung selbst – allenfalls ni<strong>ch</strong>t vorsätzli<strong>ch</strong> (Beispiel: Fehler bei der Prämienkalkulation) – vers<strong>ch</strong>ul-<br />

det hat und eine Anpassung der Prämien unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> wird, entstehen zum einen höhere sekundäre<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten, wenn das VU die Prämienerhöhung ni<strong>ch</strong>t mittels einer PAK dur<strong>ch</strong>führen kann. Denn<br />

ohne PAK müssen die VU die betroffenen Verträge künden: Dabei kann der Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz von<br />

«trägen» VN verloren gehen. Zum anderen entstehen au<strong>ch</strong> höhere tertiäre S<strong>ch</strong>adenskosten in Form von<br />

zusätzli<strong>ch</strong>en Vereinbarungskosten, da die betroffenen VN neue Versi<strong>ch</strong>erungsverträge abs<strong>ch</strong>liessen müs-<br />

sen.<br />

■ Erhöhung der Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten: Es kann ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen werden, dass die vage<br />

Formulierung von Art. 49 Abs. 1 zu zusätzli<strong>ch</strong>en Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten führen wird.<br />

Eine normative Analyse in der Tradition der ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse des Re<strong>ch</strong>ts hat zu folgenden<br />

Ergebnissen geführt:<br />

37


1 Kurzfassung<br />

■ Der Grundsatz, dass die VU Prämienanpassungen auf der Basis einer PAK nur dann vornehmen können,<br />

wenn sie die Notwendigkeit der Prämienanpassung ni<strong>ch</strong>t selbst vers<strong>ch</strong>ulden, ist aus wohlfahrtsökonomi-<br />

s<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t zu begrüssen.<br />

■ Prämienanpassungen, wel<strong>ch</strong>e die VU auf einzelnen Verträgen dur<strong>ch</strong>führen, na<strong>ch</strong>dem si<strong>ch</strong> ex post her-<br />

ausgestellt hat, dass das VU das Risiko des VN fals<strong>ch</strong> einges<strong>ch</strong>ätzt hat, sind grundsätzli<strong>ch</strong> zu unterbinden.<br />

Derartige Prämienanpassungen stehen im Widerspru<strong>ch</strong> zum Grundsatz «pacta sunt servanda». Diese Aus-<br />

sage gilt ni<strong>ch</strong>t für Versi<strong>ch</strong>erungsverträge, bei wel<strong>ch</strong>en vertragli<strong>ch</strong> relative Prämien vorgesehen sind, die<br />

vom S<strong>ch</strong>adensverlauf abhängig sind. Art. 49 E-<strong>VVG</strong> entspri<strong>ch</strong>t dieser Forderung, da Prämienerhöhungen<br />

auf einzelnen Policen mittels PAK stets vom VU selbst ves<strong>ch</strong>uldet sein dürften.<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse hat darüber hinaus ergeben, dass Art. 49 E-<strong>VVG</strong> ein konzeptionelles Problem<br />

inhärent ist: Die VN können bei einer Prämienerhöhung mittels PAK ni<strong>ch</strong>t erkennen, ob die Notwendigkeit<br />

der Prämienerhöhung vom VU selbst vers<strong>ch</strong>uldet oder auf Veränderungen exogener Faktoren (Beispiel:<br />

Te<strong>ch</strong>nologies<strong>ch</strong>ocks im Gesundheitswesen) zurückzuführen ist. Die Regulierung von Prämienanpassungs-<br />

klauseln wäre unseres Era<strong>ch</strong>tens deshalb besser im Versi<strong>ch</strong>erungsaufsi<strong>ch</strong>tsgesetz (VAG) aufgehoben.<br />

Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (KdV, Art. 53 und 55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Bezügli<strong>ch</strong> der Ausübung von Kündigungsre<strong>ch</strong>ten sind folgende empiris<strong>ch</strong>e Tatbestände zu berücksi<strong>ch</strong>-<br />

tigen:<br />

■ Die Mehrheit der VN kündigen ihre Verträge ni<strong>ch</strong>t, obwohl ihnen vertragli<strong>ch</strong> ein Kündigungsre<strong>ch</strong>t zur<br />

Verfügung steht, das sie unmittelbar (d.h. einmal pro Jahr) geltend ma<strong>ch</strong>en könnten.<br />

■ Versi<strong>ch</strong>erungsverträge mit langer Vertragslaufzeit haben für die Konsumenten (Privatkundenmarkt)<br />

keinen Nutzen – die VU gewähren auf Anfrage (kostenlos) ein jährli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t oder sehen ein<br />

sol<strong>ch</strong>es in ihren Verträgen sogar standardmässig vor.<br />

■ Der Anteil der Kündigungen, die von den VN ausgelöst wurden, beträgt in den meisten Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

bran<strong>ch</strong>en mehr als 90%. Au<strong>ch</strong> das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall wird fast nur von den VN genutzt.<br />

Art. 53 E-<strong>VVG</strong> sieht ein ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t vor, das von den VN spätestens drei Jahre na<strong>ch</strong><br />

Vertragss<strong>ch</strong>luss ausgeübt werden kann.<br />

Die wi<strong>ch</strong>tigsten Nutzen der Mögli<strong>ch</strong>keit einer zeitnahen Vertragskündigung sind:<br />

■ Reduktion von Wohlfahrtsverlusten infolge nutzensuboptimaler Verträge<br />

■ Präventivwirkung: Mögli<strong>ch</strong>keit der zeitnahen Sanktion von S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung, ex ante Opportunismus<br />

und ex post Opportunismus<br />

■ Auswirkungen eines erhöhten Wettbewerbsdrucks: Kostensenkungen, Zunahme der Bedeutung des<br />

kostengünstigen Direktvertriebs, Erhöhung der Produktqualität und Erhöhung der Beratungsqualität der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler<br />

Diesen Nutzen stehen in erster Linie höhere Transaktionskosten in Form zusätzli<strong>ch</strong>er Vereinbarungs-<br />

kosten gegenüber, die resultieren, wenn es im Markt mehr Bewegungen gibt.<br />

Insgesamt ist zu erwarten, dass Art. 53 E-<strong>VVG</strong> zu einer Erhöhung der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt führen<br />

wird, wobei die Renten der VI und VU fallen und die Renten der VN zunehmen werden.<br />

Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (NhV, Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Die juristis<strong>ch</strong>e Analyse von Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> unter Berücksi<strong>ch</strong>tigung der ursprüngli<strong>ch</strong>en Formulie-<br />

rungen im VE-<strong>VVG</strong> (Art. 46 und 47) hat zu einer Interpretation von Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> geführt, die<br />

folgendes impliziert:<br />

38


1 Kurzfassung<br />

■ Die Mögli<strong>ch</strong>keit der VU, das zeitli<strong>ch</strong>e Zuordnungskriterium (S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip, Claims Made<br />

Prinzip etc.) frei zu bestimmen, wird von Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t tangiert.<br />

■ Art. 57 E-<strong>VVG</strong> wird nur bei Stufengefahren 25 und nur bei Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen bzw. Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

bran<strong>ch</strong>en zu Auswirkungen führen, bei wel<strong>ch</strong>en das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip gilt.<br />

■ Art. 58 E-<strong>VVG</strong> kann au<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsverträge betreffen, bei wel<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t das S<strong>ch</strong>adenverursa-<br />

<strong>ch</strong>ungsprinzip gilt. Darüber hinaus kann Art. 58 E-<strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t nur bei Stufengefahren, sondern au<strong>ch</strong> bei<br />

Einzelgefahren 26 zur Anwendung kommen.<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse hat zu folgenden Ergebnissen geführt:<br />

■ Art. 57 E-<strong>VVG</strong> führt bei Versi<strong>ch</strong>erungen, bei wel<strong>ch</strong>en das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip vereinbart wur-<br />

de, dazu, dass Vertragsklauseln ni<strong>ch</strong>tig sind, die eine Leistungsbefreiung des VU für Folgeereignisse vorse-<br />

hen, die na<strong>ch</strong> Vertragsbeendigung aber innerhalb von 5 Jahren na<strong>ch</strong> Erlös<strong>ch</strong>en des VV eintreten.<br />

■ Art. 58 E-<strong>VVG</strong> führt dazu, dass Vertragsklauseln ni<strong>ch</strong>tig sind, die eine Leistungsbefreiung oder Leis-<br />

tungsreduktion der VU für S<strong>ch</strong>adensereignisse vorsehen, die no<strong>ch</strong> während der Vertragslaufzeit zum Ein-<br />

tritt des Versi<strong>ch</strong>erungsfalls geführt haben.<br />

Die Ni<strong>ch</strong>tigkeit dieser Vertragsklauseln wird zu folgenden ökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkungen führen:<br />

■ Nutzen: (1) Die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten werden sinken, da die Häufigkeit von Leistungsbefreiun-<br />

gen und –reduktionen der VU abnimmt; (2) Der (Preis)Wettbewerb wird intensiviert, weil aus Si<strong>ch</strong>t der VN<br />

die Risiken eines We<strong>ch</strong>sels des Versi<strong>ch</strong>erers abnehmen; (3) Reduktion von Opportunitätsprämien der VU,<br />

die derzeit no<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>ende Vertragsklauseln haben.<br />

■ Kosten: (1) Zunahme der S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU; (2) Die Kapitalkosten der VU werden steigen, da<br />

zusätzli<strong>ch</strong>e Rückstellungen gebildet werden müssen; (3) Die Transaktionskosten werden steigen, v.a. weil<br />

zusätzli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>adensfälle reguliert werden müssen.<br />

Während der Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung abnimmt, werden die Prämien steigen, da die S<strong>ch</strong>adenszah-<br />

lungen der VU zunehmen. Die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV nimmt zu, so dass au<strong>ch</strong> die Zah-<br />

lungsbereits<strong>ch</strong>aft der VN zunimmt, weshalb keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung der Anzahl gezei<strong>ch</strong>neter VV<br />

zu erwarten ist. Das Marktvolumen wird insgesamt zunehmen.<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt wird insgesamt zunehmen. Während die Renten der VU und der VI si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

wesentli<strong>ch</strong> verändern, allenfalls lei<strong>ch</strong>t sinken werden, werden die Renten der VN und der versi<strong>ch</strong>erten<br />

Personen zunehmen.<br />

Die Gefahren von Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> liegen in zwei Punkten:<br />

■ Sollte Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> entgegen unserer Interpretation derart ausgelegt werden, dass die Freiheit<br />

der VU bei der Bestimmung des zeitli<strong>ch</strong>en Zuordnungskriteriums einges<strong>ch</strong>ränkt wird, können Wohlfahrts-<br />

verluste eintreten, da in diesem Fall Win-Win-Versi<strong>ch</strong>erungsverträge verunmögli<strong>ch</strong>t werden.<br />

■ Wenn Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> zu einer Elimination des Freizügigkeitsabkommens und zu einer Eliminati-<br />

on von Vertragsklauseln führen, wel<strong>ch</strong>e für die Arbeitnehmenden bzw. versi<strong>ch</strong>erten Personen einen vor-<br />

teilhaften Übertritt in die Einzeltaggeldversi<strong>ch</strong>erung vorsehen, führen Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> in der Bran-<br />

<strong>ch</strong>e «Krankentaggeld» zu Wohlfahrtsverlusten.<br />

25 Bei Stufengefahren ist zwis<strong>ch</strong>en Primärgefahr und Folgegefahr zu unters<strong>ch</strong>eiden. Zum Eintritt des versi<strong>ch</strong>erten Ereignisses brau<strong>ch</strong>t<br />

es ein Primär- und ein Folgeereignis. Das Primärereignis und das Folgeereignis treten typis<strong>ch</strong>erweise ni<strong>ch</strong>t zum glei<strong>ch</strong>en Zeitpunkt<br />

ein. Beispiel «Unfallversi<strong>ch</strong>erung»: Unfall = Primärereignis, Unfalltod = Folgeereignis.<br />

26 Die Verwirkli<strong>ch</strong>ung einer Einzelgefahr führt direkt zum Eintritt des versi<strong>ch</strong>erten Ereignisses. Beispiele: Tod in der Todesfallversi<strong>ch</strong>e-<br />

rung, Diebstahl in der Kaskoversi<strong>ch</strong>erung.<br />

39


1 Kurzfassung<br />

Letztli<strong>ch</strong> ist die ökonomis<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>eidende Frage die folgende: Würden die VN (und bei der kollektiven<br />

Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung: die versi<strong>ch</strong>erten Personen) einer Prämienerhöhung zustimmen, um De-<br />

ckungsauss<strong>ch</strong>lüsse und Leistungsbefreiungen der VU zu verhindern, die bei Vertragsbeendigungen ent-<br />

stehen können? Die Antwort auf diese Frage lautet unseres Era<strong>ch</strong>tens «Ja»: Andernfalls müsste man einen<br />

plausiblen ökonomis<strong>ch</strong>en Grund dafür anbringen können, warum die Bereits<strong>ch</strong>aft der VN (und der versi-<br />

<strong>ch</strong>erten Personen bei KTG-Verträgen), eine Gefahr zu versi<strong>ch</strong>ern, davon abhängt, zu wel<strong>ch</strong>em Zeitpunkt<br />

si<strong>ch</strong> die versi<strong>ch</strong>erte Gefahr verwirkli<strong>ch</strong>t. Einen sol<strong>ch</strong>en Grund können wir ni<strong>ch</strong>t erkennen.<br />

Verjährung von Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag (VFV, Art. 66 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Art. 66 sieht eine Verlängerung der Verjährung von Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag von zwei<br />

auf fünf Jahre vor. Darüber hinaus wird für den Beginn des Fristenlaufes der Zeitpunkt des Eintritts der<br />

Fälligkeit anstelle des Zeitpunkts des Eintritts des Versi<strong>ch</strong>erungsfalls vorgesehen.<br />

Hintergrund von Art. 66 E-<strong>VVG</strong> ist die empiris<strong>ch</strong>e Tatsa<strong>ch</strong>e, dass es aufgrund der kurzen Verjährungs-<br />

frist von zwei Jahren immer wieder dazu kommt, dass bere<strong>ch</strong>tigte Forderungen der VN aus dem Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvertrag verjähren:<br />

■ In den meisten Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en beträgt der Anteil der S<strong>ch</strong>adensfälle, bei wel<strong>ch</strong>en die Verjährung<br />

eintritt, zwis<strong>ch</strong>en 0 und 0.1 Prozent. Im Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben gibt es Verjährungen in erster Linie bei Haft-<br />

pfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen, wenn es um grössere Personens<strong>ch</strong>äden geht.<br />

■ Im Berei<strong>ch</strong> der Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen kommt es in Zusammenhang mit IV-Fällen no<strong>ch</strong> relativ<br />

häufig zur Verjährungen. Bei einem der befragten VU beträgt der Anteil der S<strong>ch</strong>adensfälle, bei wel<strong>ch</strong>en<br />

die Verjährung eintritt, rund ein halbes Prozent.<br />

Art. 66 E-<strong>VVG</strong> wird zu einer Reduktion der Häufigkeit der Verjährungen von Forderungen aus dem Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvertrag führen, was zu folgenden Auswirkungen führt:<br />

■ Nutzen: Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

■ Kosten: Erhöhung der Prämien<br />

Aus einer wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>en Perspektive stellt si<strong>ch</strong> die Frage, ob die VN bereit sind, eine entspre-<br />

<strong>ch</strong>ende Prämienerhöhung zu akzeptieren, um in den Genuss reduzierter S<strong>ch</strong>adenskosten zu kommen. Die<br />

Antwort auf dieses Frage lautet eindeutig «Ja»: Andernfalls hätten die VN die betroffenen Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

verträge gar ni<strong>ch</strong>t gezei<strong>ch</strong>net.<br />

Während die Verlängerung der Verjährungsfrist aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t zu begrüssen ist, gilt dies ni<strong>ch</strong>t<br />

für den veränderten Beginn des Fristenlaufes. In erste Linie, weil der Zeitpunkt des Eintritts der Fällig-<br />

keit ni<strong>ch</strong>t immer klar ist. Die Anbindung des Fristenlaufes an den Eintritt der Fälligkeit wird deshalb zu<br />

Auseinandersetzungen bezügli<strong>ch</strong> der Frage führen, wann die Fälligkeit eingetreten ist.<br />

Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (ME, Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

Die wesentli<strong>ch</strong>en geplanten Veränderungen sind die folgenden:<br />

■ Einführung einer Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> der Maklerents<strong>ch</strong>ädigung: Art. 45 Abs. 1 ter<br />

VAG sieht vor, dass die ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler die VN über die Ents<strong>ch</strong>ädigungen infor-<br />

mieren müssen, die sie von den VU erhalten.<br />

■ Verpfli<strong>ch</strong>tung zu Weitergabe eines allfälligen Übers<strong>ch</strong>usses: Art. 68 E-<strong>VVG</strong> verpfli<strong>ch</strong>tet die unge-<br />

bundenen VI darüber hinaus, dem VN einen allfälligen Übers<strong>ch</strong>uss weiterzurei<strong>ch</strong>en, der entsteht, wenn<br />

die Brokerents<strong>ch</strong>ädigung den Aufwand des Brokers übertrifft.<br />

Für die ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse sind folgende empiris<strong>ch</strong>e Tatbestände zu berücksi<strong>ch</strong>tigen:<br />

E-<br />

40


1 Kurzfassung<br />

■ Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: Im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft gibt es keine empiris<strong>ch</strong>e Evidenz, dass der Interes-<br />

senskonflikt, dem die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker ausgesetzt sind, negative Auswirkungen auf die VN entfaltet.<br />

Die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker üben im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft na<strong>ch</strong>gewiesenermassen einen Preisdruck auf die<br />

VU aus, der den Wettbewerb belebt. Die empiris<strong>ch</strong>en Evidenzen indizieren, dass Reputationsme<strong>ch</strong>anismus<br />

und Wettbewerb im Brokerges<strong>ch</strong>äft mit Firmenkunden funktionieren.<br />

■ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft gibt es empiris<strong>ch</strong>e Evidenz für ex post Opportunis-<br />

mus von Versi<strong>ch</strong>erungsmaklern in dem Sinne, dass deren Kaufempfehlungen von den ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

Anreizen, wel<strong>ch</strong>en sie im Rahmen ihrer Ents<strong>ch</strong>ädigung dur<strong>ch</strong> die VU ausgesetzt sind, zu Ungunsten der<br />

Konsumenten verzerrt sind. Darüber hinaus muss aufgrund der Eins<strong>ch</strong>ätzungen der befragten Experten<br />

davon ausgegangen werden, dass die Maklerents<strong>ch</strong>ädigungen dur<strong>ch</strong> die VU im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

ni<strong>ch</strong>t ausrei<strong>ch</strong>end sind, um eine qualitativ ho<strong>ch</strong>wertige Beratung auf der Basis des verfügbaren Marktan-<br />

gebots zu erbringen. 27<br />

Aufgrund der Eins<strong>ch</strong>ätzungen der befragten Experten und aufgrund ökonomis<strong>ch</strong>er Überlegungen muss<br />

davon ausgegangen werden, dass Art. 68 E-<strong>VVG</strong> zur Herausbildung eines sogenannten Netquote-<br />

Marktes führen würde. In einem Netquote-Markt bezahlen die VN, die ihre Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung über<br />

einen Versi<strong>ch</strong>erungsbroker oder -makler einkaufen, eine sogenannte Nettoprämie 28 und ents<strong>ch</strong>ädigen die<br />

Broker auf Honorarbasis.<br />

Im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft erwarten wir die folgenden Auswirkungen von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-<br />

VAG:<br />

■ Intensivierung des Preiswettbewerbs: Der Preiswettbewerb unter den Maklern wird zunehmen, da sie in<br />

einem Netquote-Markt mit den VN ihr Honorar verhandeln müssen. Au<strong>ch</strong> der Preiswettbewerb zwis<strong>ch</strong>en<br />

dem Maklerkanal und dem Agentenkanal würde intensiviert, was si<strong>ch</strong> positiv auf den Preis der Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsdeckung auswirken dürfte.<br />

■ Reduktion nutzensuboptimaler Kaufents<strong>ch</strong>eide: In einem Netquote-Markt sind die Makler keinem Inter-<br />

essenskonflikt mehr ausgesetzt, weil deren Ents<strong>ch</strong>ädigung ni<strong>ch</strong>t von den Eigens<strong>ch</strong>aften des Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvertrags abhängt, für wel<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> der VN ents<strong>ch</strong>eidet. Die Beratungsqualität der Makler wird des-<br />

halb zunehmen, was si<strong>ch</strong> positiv auf die Nutzenoptimalität der Kaufents<strong>ch</strong>eide der Konsumenten auswir-<br />

ken wird.<br />

27 Der Einkauf der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung über einen ungebundenen VI ist für einen VN dann vorteilhaft, wenn si<strong>ch</strong> die Prämien der<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Konkurrenzprodukte, die für ihn angesi<strong>ch</strong>ts seiner Präferenzen und seiner Risikoexposition in Frage kommen, stark<br />

unters<strong>ch</strong>eiden. Die (absoluten) Prämienunters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en den vers<strong>ch</strong>iedenen VU sind mit dem Prämienvolumen eines VN stark<br />

positiv korreliert: Je höher die Prämie, desto höher die Prämienunters<strong>ch</strong>iede. Dies ist der Grund, weshalb si<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungsbro-<br />

ker im Firmenkundengs<strong>ch</strong>äft, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft dur<strong>ch</strong>setzen konnten: Das Prämienvolumen eines VN ist im<br />

Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft typis<strong>ch</strong>erweise höher als dasjenige eines Privatkundens. Das Prämienvolumen steigt dabei mit der Grösse des<br />

Unternehmens. Vor diesem Hintergrund sind die Ausführung der befragten Experten zu interpretieren, die geltend gema<strong>ch</strong>t haben,<br />

dass die Maklerents<strong>ch</strong>ädigung im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft und au<strong>ch</strong> im Ges<strong>ch</strong>äft mit Kleinstunternehmen zu gering ist, um eine seriöse<br />

Beratung auf der Basis des gesamten Marktangebots anbieten zu können. Aus diesem Grund vereinbaren Versi<strong>ch</strong>erungsbroker mit<br />

Kleinstunternehmen oft Ents<strong>ch</strong>ädigungsmodelle, die eine Na<strong>ch</strong>zahlung der Kleinstunternehmen vorsehen, wenn die Brokerents<strong>ch</strong>ä-<br />

digung den Aufwand eines Brokers ni<strong>ch</strong>t deckt.<br />

28 In einem Netquote-Markt sieht si<strong>ch</strong> ein VN im Wesentli<strong>ch</strong>en drei Prämien gegenüber: (1) «Bruttoprämie»: Prämie, die der VN zu<br />

bezahlen hat, wenn er seinen Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz über einen Versi<strong>ch</strong>erungsagenten einkauft, (2) «Nettoprämie»: Prämie, die der<br />

VN zu bezahlen hat, wenn er seinen Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz über einen ungebundenen VI einkauft und (3) «Direktvertriebsprämie»:<br />

Prämie, die der VN zu bezahlen hat, wenn er seinen Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz direkt über das Internet einkauft. Der ordinale Zusammen-<br />

hang zwis<strong>ch</strong>en diesen Prämien ist gegeben dur<strong>ch</strong>: Bruttoprämie > Direktvertriebsprämie > Nettoprämie. Kauft ein VN seinen<br />

Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz über einen Broker ein, bezahlt er die Nettoprämie und das Honorar des Brokers. Der Einkauf über einen Broker<br />

ist für den VN ökonomis<strong>ch</strong> dann vorteilhaft, wenn gilt: Nettoprämie + Brokerhonorar < Bruttoprämie. Diese Glei<strong>ch</strong>ung ist dann<br />

erfüllt, wenn si<strong>ch</strong> die Prämien der vers<strong>ch</strong>iedenen Konkurrenzprodukte, die für den VN in Frage kommen, stark unters<strong>ch</strong>eiden, was<br />

typis<strong>ch</strong>erweise dann der Fall ist, wenn das Prämienvolumen des VN ho<strong>ch</strong> ist (vgl. vorangehende Fussnote).<br />

41


1 Kurzfassung<br />

■ Reduktion des Marktvolumens und der Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen: Aufgrund der<br />

Transparenzvors<strong>ch</strong>rift bezügli<strong>ch</strong> der Maklerents<strong>ch</strong>ädigung werden die Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Einzellebens-<br />

versi<strong>ch</strong>erungen unter Druck kommen und substantiell fallen. Das Prämienvolumen von Sparversi<strong>ch</strong>erun-<br />

gen, die von Maklern vermittelt werden, wird in der Folge sinken, da si<strong>ch</strong> mit der Reduktion der Ab-<br />

s<strong>ch</strong>lusskosten aus Si<strong>ch</strong>t des Maklers die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize zur Vermittlung von Sparversi<strong>ch</strong>erungen<br />

vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern.<br />

■ Reduktion von Informationsdefiziten der VN bezügli<strong>ch</strong> der Qualität der VI: In einem Netquote-Markt<br />

können die VN die Qualität eines Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers besser beurteilen: Ungebunden ist derjenige VI,<br />

der von den VN selbst ents<strong>ch</strong>ädigt werden muss.<br />

■ Erhöhung der Abwicklungskosten der Makler: Die Abwicklungskosten der Makler werden steigen, da<br />

sie in einem Netquote-Markt ihre Aufwände aufzei<strong>ch</strong>nen und mit den VN abre<strong>ch</strong>nen müssen.<br />

■ Reduktion des Marktanteils des Maklerkanals: Aufgrund der erhöhten Abwicklungskosten und dem<br />

verstärkten Preiswettbewerb, dem die Makler in einem Netquote-Markt ausgesetzt sind, wird es unter den<br />

Maklern zu einer Marktbereinigung kommen. Der Marktanteil des Maklerkanals wird fallen.<br />

Insgesamt erwarten wir für den Privatkundenmarkt eine Erhöhung der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt: Die<br />

Konsumentenrenten werden steigen, die Renten der Makler und die Renten der VU hingegen sinken.<br />

Im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft erwarten wir hingegen die folgenden Auswirkungen:<br />

■ Intensivierung des Preiswettbewerbs: Der Preiswettbewerb unter den Brokern wird zunehmen, da sie in<br />

einem Netquote-Markt mit den VN ihr Honorar verhandeln müssen. Dadur<strong>ch</strong> wird au<strong>ch</strong> der Agentenkanal<br />

unter Druck kommen, was si<strong>ch</strong> positiv auf den Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung auswirken dürfte.<br />

■ Keine substantielle Veränderung der Marktanteile der vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanäle: Bezügli<strong>ch</strong> der<br />

Bedeutung der vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanäle im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft erwarten wir keine substantiellen<br />

Veränderungen: Die Broker würden si<strong>ch</strong> im Ges<strong>ch</strong>äft mit grösseren Firmenkunden au<strong>ch</strong> in einem Netquo-<br />

te-Markt dur<strong>ch</strong>setzen – ni<strong>ch</strong>t zuletzt deshalb, weil ein Teil der VN – insbesondere die grösseren Firmen-<br />

kunden – die Ents<strong>ch</strong>ädigung der Broker bereits unter dem geltenden <strong>VVG</strong> verhandelt. 29 Ein substantieller<br />

Rückgang der Anzahl Broker ist also ni<strong>ch</strong>t zu erwarten – darauf deuten au<strong>ch</strong> die jüngsten Entwicklungen<br />

in den skandinavis<strong>ch</strong>en Ländern hin, in wel<strong>ch</strong>en verglei<strong>ch</strong>bare Regulierungen umgesetzt wurden.<br />

Diese Erwartungen zum Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft basieren auf der Annahme, dass der Wettbewerb unter<br />

den VU funktioniert, so dass si<strong>ch</strong> die Nettoprämie von der Bruttoprämie im Umfang der heutigen Broker-<br />

ents<strong>ch</strong>ädigung unters<strong>ch</strong>eiden würde. Sollten si<strong>ch</strong> die VU strategis<strong>ch</strong> bzw. kooperativ verhalten und die<br />

Nettoprämie zu ho<strong>ch</strong> ansetzen, würde dies Auswirkungen auf den Brokerkanal entfalten, die aus wohl-<br />

fahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert sind, da der Brokerkanal für den Preiswettbewerb unter<br />

den VU im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft sehr wertvoll ist.<br />

Eine ordnungs- und wirts<strong>ch</strong>aftspolitis<strong>ch</strong>e Analyse hat zum Ergebnis geführt, dass die Verhältnismäs-<br />

sigkeit eines Eingriffs in die Vertragsfreiheit im Sinne von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft ni<strong>ch</strong>t<br />

gegeben ist – insbesondere deshalb, weil es keine empiris<strong>ch</strong>e Evidenz dafür gibt, dass der Interessenskon-<br />

flikt der Broker im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft ein substantielles Problem darstellt. Vielmehr indizieren die em-<br />

piris<strong>ch</strong>en Evidenzen, dass der Reputationsme<strong>ch</strong>anismus und der Wettbewerb unter den Brokern im Fir-<br />

menkundenges<strong>ch</strong>äft spielen.<br />

29 Dabei werden oft Rückzahlungen der Broker an die VN vorgesehen, wenn die Brokerents<strong>ch</strong>ädigung den Betreuungs- und Bera-<br />

tungsaufwand des Brokers übertrifft.<br />

42


1 Kurzfassung<br />

Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (GKV, Art. 73 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Art. 73 E-<strong>VVG</strong> sieht vor, dass die Arbeitnehmenden den VU untersagen können, den Arbeitgeber über<br />

einen allfällig angebra<strong>ch</strong>ten Gesundheitsvorbehalt zu informieren.<br />

Art. 73 E-<strong>VVG</strong> betrifft v.a. die kollektive Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung. Dabei sind in erster Linie Taggeld-<br />

versi<strong>ch</strong>erungsverträge von Kleinstunternehmen betroffen, da bei Unternehmen mit mehr als zehn Be-<br />

s<strong>ch</strong>äftigten in der Regel keine Gesundheitsprüfungen dur<strong>ch</strong>geführt werden.<br />

Der ökonomis<strong>ch</strong>e Nutzen von Art. 73 E-<strong>VVG</strong> ist in einer Reduktion der Arbeitslosigkeit und damit in der<br />

Verhinderung von Produktionsausfällen bzw. einer Erhöhung des Outputs der S<strong>ch</strong>weizer Wirts<strong>ch</strong>aft zu<br />

sehen: Unter dem geltenden <strong>VVG</strong> kommt es vor, dass Arbeitgeber während der Probezeit Kündigungen<br />

ausspre<strong>ch</strong>en, weil sie von ihrem KTG-Versi<strong>ch</strong>erer über das medizinis<strong>ch</strong>e Risiko des neu eingestellten Mit-<br />

arbeiters in Kenntnis gesetzt werden. Eine sol<strong>ch</strong>e Kündigung kann dazu führen, dass die betroffene Ar-<br />

beitskraft arbeitslos wird. Mit Art. 73 E-<strong>VVG</strong> können derartige Fälle verhindert werden.<br />

Dieser Nutzen steht einer Erhöhung der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten gegenüber: Art. 73 E-<strong>VVG</strong> er-<br />

höht aus Si<strong>ch</strong>t des Arbeitgebers die Risiken, die dem KTG-Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag anhaften. Es ist deshalb zu<br />

erwarten, dass die Na<strong>ch</strong>frage der Kleinstunternehmen na<strong>ch</strong> KTG-Versi<strong>ch</strong>erungen abnehmen wird. Auf-<br />

grund der Reduktion des Volumens der versi<strong>ch</strong>erten Risiken werden die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten zu-<br />

nehmen. Die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten nehmen au<strong>ch</strong> deshalb zu, weil ein Arbeitnehmer, der dem KTG-<br />

Versi<strong>ch</strong>erer untersagt, seinen Arbeitgeber über einen Gesundheitsvorbehalt zu informieren, eine allfällige<br />

überobligatoris<strong>ch</strong>e Lohnfortzahlung (z.B. aufgrund eines Gesamtarbeitsvertrags) dur<strong>ch</strong> den Arbeitgeber<br />

verliert.<br />

Insgesamt erwarten wir, dass Art. 73 E-<strong>VVG</strong> zu einer Reduktion der gesamtwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Wohlfahrt<br />

führen wird, wobei sowohl die Konsumentenrenten als au<strong>ch</strong> die Produzentenrenten abnehmen werden.<br />

Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t (DFR, Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Art. 91 E-<strong>VVG</strong> sieht ein direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t im Rahmen der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung und unter Vorbe-<br />

halt der Einwendungen und Einreden vor, die das VU dem Ges<strong>ch</strong>ädigten aufgrund des Gesetzes und des<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags entgegenhalten kann.<br />

Art. 91 E-<strong>VVG</strong> dürfte folgende Nutzen entfalten:<br />

■ Reduktion der Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten: Die Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten werden<br />

sinken. Dies vor allem aus zwei Gründen:<br />

- Die Häufigkeit von Zweitprozessen wird sinken, da allfällige Deckungseinreden des Haftpfli<strong>ch</strong>tver-<br />

si<strong>ch</strong>erers bereits im Erstprozess thematisiert werden, so dass im Rahmen des Erstprozesses ein<br />

re<strong>ch</strong>tskräftiges Urteil bezügli<strong>ch</strong> der Frage der Deckungseinreden resultiert.<br />

- Die Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten, die bei den KMU entstehen, werden sinken, da ein Teil<br />

der Auseinandersetzungen direkt zwis<strong>ch</strong>en den Versi<strong>ch</strong>erern und den Ges<strong>ch</strong>ädigten ausgetragen<br />

wird, so dass die Strukturen und Prozesse der KMU, die über keine Re<strong>ch</strong>tsabteilungen verfügen,<br />

ni<strong>ch</strong>t unnötig belastet werden.<br />

■ Stärkung der Position der Ges<strong>ch</strong>ädigten in Verglei<strong>ch</strong>sverhandlungen: Die Einführung eines direkten<br />

Forderungsre<strong>ch</strong>ts verbessert die Position der Ges<strong>ch</strong>ädigten – ni<strong>ch</strong>t zuletzt stärkt das direkte Forderungs-<br />

re<strong>ch</strong>t den Ges<strong>ch</strong>ädigten in Verglei<strong>ch</strong>sverhandlungen.<br />

■ Reduktion sekundärer S<strong>ch</strong>adenskosten: Die Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts wird zu einer<br />

Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten führen, da Ges<strong>ch</strong>ädigte häufiger, s<strong>ch</strong>neller und umfassender<br />

ents<strong>ch</strong>ädigt werden.<br />

43


1 Kurzfassung<br />

■ Reduktion der primären S<strong>ch</strong>adenskosten: Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten im Sinne von Folgekosten, die ent-<br />

stehen, wenn der Ges<strong>ch</strong>ädigte den S<strong>ch</strong>aden alleine tragen muss (Kosten der Armut, Folgekosten im Ge-<br />

sundheitswesen, Kosten in den Sozialversi<strong>ch</strong>erungen etc.), werden sinken, da die Ges<strong>ch</strong>ädigten s<strong>ch</strong>neller,<br />

umfassender und häufiger ents<strong>ch</strong>ädigt werden.<br />

Diese Nutzen des direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts stehen folgenden Kosten gegenüber:<br />

■ Erhöhung der Abwicklungskosten bei den VU: Die Abwicklungskosten bei den VU werden steigen, da<br />

zusätzli<strong>ch</strong>e (bere<strong>ch</strong>tigte) Ansprü<strong>ch</strong>e von Ges<strong>ch</strong>ädigten reguliert werden müssen. Darüber hinaus ist zu<br />

erwarten, dass die VU häufiger überhöhte S<strong>ch</strong>adensersatzforderungen werden abwehren müssen.<br />

■ Erhöhung der S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU: Da die Ges<strong>ch</strong>ädigten häufiger und umfassender ents<strong>ch</strong>ädigt<br />

werden, werden die S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU zunehmen.<br />

■ Erhöhung der Prämien: Die Erhöhung der S<strong>ch</strong>adenszahlungen wird dazu führen, dass die Prämien von<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen steigen werden.<br />

■ Zunahme der Vertragsrisiken der VN: Wenn ein VN mit dem Urteil bezügli<strong>ch</strong> der Deckungseinreden<br />

seines Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erers ni<strong>ch</strong>t einverstanden ist, das im Prozess zwis<strong>ch</strong>en dem Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer<br />

und dem Ges<strong>ch</strong>ädigten erstritten wurde, muss der VN einen Prozess gegen seinen Versi<strong>ch</strong>erer führen. Es<br />

muss allerdings davon ausgegangen werden, dass die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit eines sol<strong>ch</strong>en Prozesses äusserst<br />

tief ist.<br />

Insgesamt wird die Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts zu einer Erhöhung der ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

Wohlfahrt führen, da die primären, sekundären und tertiären S<strong>ch</strong>adenskosten sinken werden.<br />

S<strong>ch</strong>adenregulierung (SR, Art. 94 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Mit Art. 94 E-<strong>VVG</strong> werden die Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer verpfli<strong>ch</strong>tet, innert drei Monaten na<strong>ch</strong> Anmeldung<br />

einer Ents<strong>ch</strong>ädigungsforderung s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> Stellung zu beziehen. Kommt ein VU dieser Verpfli<strong>ch</strong>tung ni<strong>ch</strong>t<br />

na<strong>ch</strong>, kann ihm die Person, wel<strong>ch</strong>e die Ents<strong>ch</strong>ädigungsforderung angemeldet hat, eine Na<strong>ch</strong>frist von vier<br />

Wo<strong>ch</strong>en ansetzen. Na<strong>ch</strong> deren unbenützten Ablauf wird angenommen, dass die Leistungspfli<strong>ch</strong>t im Um-<br />

fang der angemeldeten Ents<strong>ch</strong>ädigungsforderung besteht.<br />

Bei der ökonomis<strong>ch</strong>en Bewertung von Art. 94 E-<strong>VVG</strong> sind folgende empiris<strong>ch</strong>e Tatbestände zu berück-<br />

si<strong>ch</strong>tigen:<br />

■ Es gibt keine empiris<strong>ch</strong>e Evidenz, dass die vorsätzli<strong>ch</strong>e Verzögerung der S<strong>ch</strong>adenregulierung, die auf<br />

eine Zermürbung und «Aushungerung» 30 der Ges<strong>ch</strong>ädigten abzielt, eine verbreitete Praktik der S<strong>ch</strong>weizer<br />

VU darstellt. Wenn es bei Haftpfli<strong>ch</strong>tfällen zu Verzögerungen kommt, dann sind diese in der Regel auf die<br />

Komplexität des S<strong>ch</strong>adensereignisses zurückzuführen.<br />

■ Die S<strong>ch</strong>adenregulierung von Haftpfli<strong>ch</strong>t-S<strong>ch</strong>adensfällen kann nur etwa bei einem Fünftel der Fälle in-<br />

nerhalb von drei Monaten abges<strong>ch</strong>lossen werden.<br />

Der Nutzen von Art. 94 E-<strong>VVG</strong> ist in der Reduktion von einem allfälligen ex post Opportunismus der VU<br />

zu sehen: Es gibt vereinzelt Fälle, in wel<strong>ch</strong>en die VU die S<strong>ch</strong>adenregulierung vers<strong>ch</strong>leppen. Ein sol<strong>ch</strong>es<br />

Verhalten kann zwei Ziele verfolgen:<br />

■ Zermürbung des Ges<strong>ch</strong>ädigten, so dass dieser auf eine Dur<strong>ch</strong>setzung seiner Ents<strong>ch</strong>ädigungsforderung<br />

s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> verzi<strong>ch</strong>tet.<br />

■ «Aushungern» des Ges<strong>ch</strong>ädigten, um diesen zur Einwilligung in ein für ihn unvorteilhaftes Verglei<strong>ch</strong>s-<br />

angebot zu bewegen.<br />

30 Der Begriff «Aushungerung» wurde von den befragten Experten – u.a. au<strong>ch</strong> von Experten der befragten VU selbst – verwendet.<br />

44


1 Kurzfassung<br />

Der Nutzen von Art. 94 E-<strong>VVG</strong> ist grundsätzli<strong>ch</strong> als gering einzus<strong>ch</strong>ätzen, da opportunistis<strong>ch</strong>e VU die in<br />

Absatz 4 formulierten Sanktionen auf einfa<strong>ch</strong>ste Art und Weise abwehren können.<br />

Der Nutzen von Art. 94 E-<strong>VVG</strong> steht folgenden Kosten gegenüber:<br />

■ Erhöhung der Transaktionskosten: Art. 94 E-<strong>VVG</strong> führt zu einer Erhöhung der Abwicklungskosten, da<br />

die VU eine s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>e Stellungnahme abgeben müssen, ehe die S<strong>ch</strong>adenregulierung abges<strong>ch</strong>lossen ist.<br />

■ Erhöhung der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten: Eine Erhöhung der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten kann ni<strong>ch</strong>t<br />

ausges<strong>ch</strong>lossen werden, da die VU dazu übergehen könnten, Forderungen der VN ohne vertiefte Prüfung<br />

abzulehnen.<br />

Insgesamt erwarten wir, dass Art. 94 E-<strong>VVG</strong> zu einer geringfügigen Reduktion der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohl-<br />

fahrt führt.<br />

1.4.2 Auswirkungen in den einzelnen Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en<br />

Die geplanten Veränderungen betreffen – mit Ausnahme von Art. 91 E-<strong>VVG</strong> (Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t),<br />

Art. 94 E-<strong>VVG</strong> (S<strong>ch</strong>adenregulierung) und Art. 73 (Gesundheitsbefragung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung) –<br />

grundsätzli<strong>ch</strong> alle Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en. Allerdings gibt es Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en, für wel<strong>ch</strong>e die ge-<br />

planten Veränderungen der Re<strong>ch</strong>tsordnung eine besondere Bedeutung haben. Tabelle 4 zeigt, wel<strong>ch</strong>e<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en von wel<strong>ch</strong>en Veränderungen in besonderer Art und Weise betroffen sind. Dabei<br />

werden die Bewertungen wiederum aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Perspektiv vorgenommen, und ni<strong>ch</strong>t aus<br />

der Perspektive einzelner Bran<strong>ch</strong>en oder Unternehmen.<br />

Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Die Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen sind von der Revision in folgenden Punkten besonders betroffen:<br />

■ Widerrufsre<strong>ch</strong>t: Pensionskassen (insbesondere Sammel- und Gemeins<strong>ch</strong>aftsstiftungen) decken die<br />

biometris<strong>ch</strong>en Risiken 31 zum Teil ni<strong>ch</strong>t selbst. Vielmehr zedieren sie diese an ein VU. Diese Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

verträge gelten ni<strong>ch</strong>t als Rückversi<strong>ch</strong>erungen, sondern als Direktversi<strong>ch</strong>erungen, weshalb sie dem <strong>VVG</strong><br />

unterliegen. Die Vertragsverhandlungen zwis<strong>ch</strong>en den VU und den Pensionskassen sind zum Teil sehr<br />

kostenintensiv und dauern man<strong>ch</strong>mal über mehrere Monate an. Ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t ist ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>ens-<br />

wert, wenn die Vereinbarungskosten derart ho<strong>ch</strong> sind. Allerdings muss eins<strong>ch</strong>ränkend darauf hingewiesen<br />

werden, dass die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit eines Widerrufs bei sol<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen äusserst tief ist,<br />

da der Abs<strong>ch</strong>luss eines neuen Vertrags au<strong>ch</strong> für die Pensionskassen mit hohen Transaktionskosten ver-<br />

bunden ist.<br />

■ Ordentli<strong>ch</strong>e Kündigung: Die Laufzeiten von Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungsverträgen zwis<strong>ch</strong>en VU und<br />

Pensionskassen sind zum Teil länger als drei Jahre. Dies zum einen deshalb, weil die Vereinbarungskosten<br />

sehr ho<strong>ch</strong> sein können, zum anderen aber au<strong>ch</strong> deshalb, weil die Prämien in Bezug auf eine bestimmte<br />

Laufzeit kalkuliert werden. Der zwingende Art. 53 E-<strong>VVG</strong> würde nun dazu führen, dass diese Verträge<br />

spätestens na<strong>ch</strong> drei Jahren gekündigt werden können. Aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ist es wüns<strong>ch</strong>enswert,<br />

dass derartige Verträge au<strong>ch</strong> für eine längere Periode abges<strong>ch</strong>lossen werden können.<br />

31 Unter biometris<strong>ch</strong>en Risiken versteht man alle Risiken, die unmittelbar mit dem Leben einer zu versi<strong>ch</strong>ernden Person verknüpft<br />

sind. Hierzu zählen im Wesentli<strong>ch</strong>en folgende Risiken: (vorzeitiger) Tod, Langlebigkeit, Berufsunfähigkeit, Invalidität, Unfalltod,<br />

Unfallinvalidität, s<strong>ch</strong>were Erkrankungen, Pflegefall.<br />

45


1 Kurzfassung<br />

Tabelle 4: Die wi<strong>ch</strong>tigsten Auswirkungen in den einzelnen Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en<br />

Fussnote: 1 insbesondere Re<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erungen und Hausratsversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Legende: + Erhöhung der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt, − Reduktion der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

■ Verjährung von Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag: Bei Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

ist der Anteil der S<strong>ch</strong>adensfälle, bei wel<strong>ch</strong>en es aufgrund der kurzen Verjährungsfrist von 2 Jahren zu<br />

einer Verjährung der bere<strong>ch</strong>tigten Forderungen der VN kommt, überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> ho<strong>ch</strong>. Die Erhöhung<br />

der Verjährungsfrist auf 5 Jahre wird deshalb im Berei<strong>ch</strong> der Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen in besonderem<br />

Ausmass zu einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten führen.<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Art. Nr. im E-<strong>VVG</strong> Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

WRR Widerrufsre<strong>ch</strong>t 7, 8 - +<br />

IPV Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU 12-14 +<br />

APV Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN 15-23 - - -<br />

SAM S<strong>ch</strong>adenabwendung und -minderung 34/41 +<br />

PAK Prämienanpassungsklausel 49<br />

KdV Ordentli<strong>ch</strong>e Kündigung 55 - + +<br />

NhV Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle 57-58 +<br />

VFV Verjährung von Forderungen aus dem VV 66 + + +<br />

ME Maklerents<strong>ch</strong>ädigung 68, 45 E-VAG + +<br />

GKV Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung 73 -<br />

DFR Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t 91 +<br />

SR S<strong>ch</strong>adenregulierung 94<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen sind von der Revision in folgenden Punkten besonders stark betroffen:<br />

■ Abs<strong>ch</strong>lusskosten: Wie wir in Abs<strong>ch</strong>nitt 1.3.2 ausgeführt haben, sind die Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Einzelle-<br />

bensversi<strong>ch</strong>erungen sehr ho<strong>ch</strong>. Gemäss Art. 12 Abs. 2 lit. b E-<strong>VVG</strong> sind die VU in Zukunft verpfli<strong>ch</strong>tet,<br />

über die Abs<strong>ch</strong>luss- und Verwaltungskosten im Rahmen der Erfüllung ihrer vorvertragli<strong>ch</strong>en Informations-<br />

pfli<strong>ch</strong>ten zu informieren. Darüber hinaus sieht Art. 45 Abs. 1 ter<br />

vor, dass die ungebundenen Versi<strong>ch</strong>e-<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Unfallversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Kollektive Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Gebäudeversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Andere Konsumentenversi<strong>ch</strong>erungen 1<br />

46


1 Kurzfassung<br />

rungsvermittler die VN über Art, Höhe und Bere<strong>ch</strong>nung der Ents<strong>ch</strong>ädigungen informieren müssen, wel<strong>ch</strong>e<br />

sie von den VU erhalten. Diese Transparenzvors<strong>ch</strong>riften werden zusammen mit Art. 68 E-<strong>VVG</strong> dazu füh-<br />

ren, dass die Abs<strong>ch</strong>lusskosten sinken werden. Denn es ist davon auszugehen, dass ein Teil der VN ni<strong>ch</strong>t<br />

bereit sein wird, ein Produkt zu kaufen, in dessen Preis derartig hohe Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen enthalten sind:<br />

«Ein Preiswettbewerb im Hinblick auf die Abs<strong>ch</strong>lusskosten kann so lange ni<strong>ch</strong>t stattfinden, wie diese den Verbrau-<br />

<strong>ch</strong>ern ni<strong>ch</strong>t offen gelegt werden. In Norwegen hat die Einführung einer gesetzli<strong>ch</strong>en Verpfli<strong>ch</strong>tung, die Abs<strong>ch</strong>lusskos-<br />

ten bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungen bereits bei Abs<strong>ch</strong>luss des Vertrages in Re<strong>ch</strong>ung zu stellen, zu einer Absenkung dieser<br />

Kosten um mehr als 90 Prozent geführt. Offenbar wurden si<strong>ch</strong> die norwegis<strong>ch</strong>en Verbrau<strong>ch</strong>er erst dur<strong>ch</strong> diese Rege-<br />

lung der tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Höhe der für die Beratungsleistung in Re<strong>ch</strong>nung gestellten Kosten bewusst. Der dadur<strong>ch</strong> ein-<br />

setzende Wettbewerb zwang die Unternehmen zu kundenfreundli<strong>ch</strong>eren Preisen. Man darf davon ausgehen, dass<br />

dur<strong>ch</strong> die Einführung einer vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>t über die Höhe der Abs<strong>ch</strong>lusskosten ähnli<strong>ch</strong>e Wirkun-<br />

gen erzielt werden könnten.» (Langer und Rosenow 2006, 211-212). Vor diesem Hintergrund erwarten wir<br />

überdies eine Reduktion des Marktvolumens, wobei die Sparprodukte der Banken von dieser Reduktion<br />

profitieren dürften.<br />

■ Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung: Rund zwei Drittel der Anzeige-<br />

pfli<strong>ch</strong>tverletzungen bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen erkennt der Versi<strong>ch</strong>erer erst bei S<strong>ch</strong>adenseintritt, der<br />

oft später als 5 Jahre na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss stattfindet. Die absolute Verwirkungsfrist führt deshalb dazu,<br />

dass ein grosser Teil der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen ni<strong>ch</strong>t mehr sanktio-<br />

niert werden kann. Dies wird Verhaltensänderungen bei den VU und bei den VN hervorrufen, die wohl-<br />

fahrtsökonomis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert sind.<br />

Unfallversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Die S<strong>ch</strong>adenregulierung von Unfällen kann über eine längere Zeit andauern. Die Verlängerung der Verjäh-<br />

rungsfrist von 2 auf 5 Jahre dürfte deshalb bei Unfall-S<strong>ch</strong>adenereignissen zu einer – im Verglei<strong>ch</strong> zu ande-<br />

ren Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en – überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>en Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten führen.<br />

Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten von Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern ist bei Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen im Ver-<br />

hältnis häufig anzutreffen. Die folgenden Veränderungen werden zu einer Reduktion des opportunisti-<br />

s<strong>ch</strong>en Verhaltens führen:<br />

■ Widerrufsre<strong>ch</strong>t: Mit dem Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>) können die s<strong>ch</strong>limmsten Fälle von Täu-<br />

s<strong>ch</strong>ung und Irreführung sanktioniert werden. Darüber hinaus wird das Widerrufsre<strong>ch</strong>t auf Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vermittler, die aggressive Verkaufste<strong>ch</strong>niken einsetzen, eine Präventivwirkung entfalten, da sie fortan mit<br />

einem Widerruf des voreilig gezei<strong>ch</strong>neten Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags re<strong>ch</strong>nen müssen.<br />

■ Ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t: Die VN können S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung und opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten<br />

von Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern ni<strong>ch</strong>t immer innerhalb der ersten 14 Tage na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss erkennen. In<br />

diesen Fällen führt das ordentli<strong>ch</strong>e Kündigungsre<strong>ch</strong>t (Art. 53 E-<strong>VVG</strong>) dazu, dass si<strong>ch</strong> die VN spätestens<br />

na<strong>ch</strong> drei Jahren vom nutzensuboptimalen Vertrag trennen können. Au<strong>ch</strong> dies wird eine Präventivwirkung<br />

entfalten, da der Ertrag von S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung und opportunistis<strong>ch</strong>em Verhalten reduziert wird.<br />

■ Maklerents<strong>ch</strong>ädigung: Falls si<strong>ch</strong> infolge von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> ein Netquote-Markt einstellen sollte, wer-<br />

den die VN besser in der Lage sein, die Qualität eines Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers einzus<strong>ch</strong>ätzen. Denn in<br />

einem Netquote-Markt sind die unabhängig beratenden Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler diejenigen, die vom VN<br />

selbst bezahlt werden müssen.<br />

Kollektive Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung<br />

Die kollektive Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung wird von der Revision in zwei Punkten besonders tangiert:<br />

47


1 Kurzfassung<br />

■ Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle: Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> werden dazu führen, dass bei<br />

S<strong>ch</strong>adensfällen, die no<strong>ch</strong> während der Vertragslaufzeit eingetreten sind, keine Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse und<br />

Leistungsreduktionen mehr mögli<strong>ch</strong> sind, wenn es unterdessen zur Vertragsbeendigung gekommen ist.<br />

Das glei<strong>ch</strong>e gilt für den Fall, dass ein Arbeitnehmer den Arbeitgeber we<strong>ch</strong>selt. Die sekundären S<strong>ch</strong>adens-<br />

kosten werden deshalb bei krankheitsbedingtem Erwerbsausfall in besonderem Ausmass sinken – dies gilt<br />

allerdings nur unter der Annahme, dass mit Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> das Freizügigkeitsabkommen unter den<br />

Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erern und das Übertrittsre<strong>ch</strong>t zu vorteilhaften Konditionen (keine erneute Gesund-<br />

heitsprüfung), das viele KTG-Versi<strong>ch</strong>erer den versi<strong>ch</strong>erten Personen (Arbeitnehmenden) gewähren, wenn<br />

es zu einer Beendigung des KTG-Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags kommt, ni<strong>ch</strong>t eliminiert werden.<br />

■ Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung: Die Mögli<strong>ch</strong>keit des Arbeitnehmers, dem VU zu<br />

untersagen, den Arbeitgeber über einen Gesundheitsvorbehalt zu informieren, erhöht die Vertragsrisiken,<br />

wel<strong>ch</strong>en der VN, d.h. der Arbeitgeber, ausgesetzt ist. Dies wird zu einer Reduktion der Menge der versi-<br />

<strong>ch</strong>erten Risiken und damit zu einer Zunahme der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten führen.<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen sind von der Revision in folgenden zwei Punkten in besonderer Art und Weise<br />

betroffen:<br />

■ Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t: Die Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts wird zu einer Reduktion<br />

der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten und der Transaktionskosten bei Haftpfli<strong>ch</strong>t-S<strong>ch</strong>adensfällen führen.<br />

■ Verjährung von Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag: Da die S<strong>ch</strong>adenregulierung bei<br />

komplexen Personens<strong>ch</strong>äden längere Zeit beanspru<strong>ch</strong>en kann, dürfte die Erhöhung der Verjährungsfrist<br />

von 2 auf 5 Jahre au<strong>ch</strong> im Berei<strong>ch</strong> der Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen in besonderem Ausmass die sekundären<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten reduzieren.<br />

Gebäudeversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Gebäudeversi<strong>ch</strong>erungsverträge weisen oft eine lange Vertragslaufzeit auf. Die Einführung einer absoluten<br />

Verwirkungsfrist bezügli<strong>ch</strong> der Re<strong>ch</strong>tfolgen einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen wird zu ökonomis<strong>ch</strong> uner-<br />

wüns<strong>ch</strong>ten Verhaltensanpassungen der VN und der VU führen.<br />

Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Bei Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen sind Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen der VN besonders häufig. Die Einfüh-<br />

rung einer absoluten Verwirkungsfrist sowie die Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernisses<br />

bezügli<strong>ch</strong> der Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung wird sowohl bei den VN als au<strong>ch</strong> bei den VN zu<br />

Verhaltensänderungen führen, die wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong> unerwüns<strong>ch</strong>te Auswirkungen entfalten werden.<br />

Andere Konsumentenversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Bei Konsumentenversi<strong>ch</strong>erungen, u.a. bei Re<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erungen und Hausratsversi<strong>ch</strong>erungen, sind<br />

lange Vertragslaufzeiten verbreitet. Das ordentli<strong>ch</strong>e Kündigungsre<strong>ch</strong>t, das mit Art. 53 E-<strong>VVG</strong> vorgesehen<br />

ist, wird bei diesen Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen besonders positive Auswirkungen entfalten können:<br />

■ Reduktion von Wohlfahrtsverlusten infolge nutzensuboptimaler Verträge<br />

■ Intensivierung des Wettbewerbs unter den VU<br />

1.4.3 Auswirkungen auf die einzelnen gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Gruppen<br />

Insbesondere die VN, die VU und die vers<strong>ch</strong>iedenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler werden von der Revision<br />

umfassend und im Rahmen von komplexen ökonomis<strong>ch</strong>en Zusammenhängen tangiert. In Tabelle 5 wird<br />

48


1 Kurzfassung<br />

gezeigt, von wel<strong>ch</strong>en der geplanten Veränderungen im Rahmen der Revision die Wohlfahrt der vers<strong>ch</strong>ie-<br />

denen Anspru<strong>ch</strong>sgruppen in besonderer Art und Weise tangiert wird.<br />

Die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN)<br />

Die Privatkunden profitieren von der Revision aus folgenden Gründen:<br />

■ Verbesserter S<strong>ch</strong>utz vor aggressiven Verkaufste<strong>ch</strong>niken: Das Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>) s<strong>ch</strong>ützt die<br />

VN besser vor S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung und aggressiven Verkaufste<strong>ch</strong>niken opportunistis<strong>ch</strong>er Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

mittler. Dies wird si<strong>ch</strong> insbesondere im Berei<strong>ch</strong> der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen positiv auf die Wohlfahrt<br />

der Konsumenten auswirken.<br />

■ Erhöhung der Beratungsqualität: Das Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>) und das ordentli<strong>ch</strong>e Kündigungs-<br />

re<strong>ch</strong>t (Art. 53 E-<strong>VVG</strong>) senken den Ertrag opportunistis<strong>ch</strong>en Verhaltens der VI, was si<strong>ch</strong> positiv auf die Bera-<br />

tungsqualität auswirken wird.<br />

■ Intensivierung des Preiswettbewerbs: Die Transparenzvors<strong>ch</strong>rift bezügli<strong>ch</strong> der Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Ein-<br />

zellebensversi<strong>ch</strong>erungen (Art. 12 Abs. 2 lit. b E-<strong>VVG</strong>), die Mögli<strong>ch</strong>keit, si<strong>ch</strong> spätestens na<strong>ch</strong> drei Jahren<br />

von einem kostensuboptimalen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu trennen (Art. 53 E-<strong>VVG</strong>), die Transparenzvor-<br />

s<strong>ch</strong>rift bezügli<strong>ch</strong> der Ents<strong>ch</strong>ädigung der ungebundenen VI (Art. 45 Abs. 1 ter<br />

E-<strong>VVG</strong>) und die Herausbildung<br />

eines Netquote-Marktes im Zuge von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> werden den Preiswettbewerb unter den VU und zwi-<br />

s<strong>ch</strong>en den VI verstärken. Der Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung wird insbesondere bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>e-<br />

rungen fallen.<br />

■ Intensivierung des Qualitätswettbewerbs: Das Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>) und das ordentli<strong>ch</strong>e<br />

Kündigungsre<strong>ch</strong>t (Art. 53 E-<strong>VVG</strong>) werden die Rentabilität von Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen, die Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

aufweisen, die für die VN unvorteilhaft sind, senken.<br />

■ Nutzenoptimalere Kaufents<strong>ch</strong>eide: Die vers<strong>ch</strong>iedenen Transparenzvors<strong>ch</strong>riften, insbesondere Art. 12<br />

Abs. 2 lit. b (Abs<strong>ch</strong>luss- und Verwaltungskosten bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen) und Art. 45 Abs. 1 ter (In-<br />

formation über die Maklerents<strong>ch</strong>ädigung) werden die Informationsdefizite der VN reduzieren und damit<br />

nutzenoptimalere Kaufents<strong>ch</strong>eide ermögli<strong>ch</strong>en. Die Herausbildung eines Netquote-Marktes im Zug von<br />

Art. 68 E-<strong>VVG</strong> wird den VN darüber hinaus eine nutzenoptimalere Wahl des Vertriebskanals ermögli<strong>ch</strong>en,<br />

über wel<strong>ch</strong>en sie ihre Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung einkaufen.<br />

■ Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU bei bere<strong>ch</strong>tigten Forderungen der VN aus<br />

dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag: Die Verlängerung der Verjährungsfrist bezügli<strong>ch</strong> Forderungen der VN gegen-<br />

über den VU (Art. 66 E-<strong>VVG</strong>) wird zu einer Reduktion der Häufigkeit der Verjährung von bere<strong>ch</strong>tigten<br />

Forderungen der VN gegenüber den VU führen.<br />

49


1 Kurzfassung<br />

Tabelle 5: Wi<strong>ch</strong>tigste Auswirkungen auf die vers<strong>ch</strong>iedenen gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Gruppen<br />

WRR Widerrufsre<strong>ch</strong>t<br />

7, 8 + + - -<br />

Legende: − Reduktion der Wohlfahrt der entspre<strong>ch</strong>enden Gruppe, + Erhöhung der Wohlfahrt aus Si<strong>ch</strong>t der entspre<strong>ch</strong>enden Gruppen,<br />

= Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung der Wohlfahrt der entspre<strong>ch</strong>enden Gruppe<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

Die Firmenkunden werden insbesondere von der Regulierung der zulässigen Eigens<strong>ch</strong>aften von Krank-<br />

enttaggeldversi<strong>ch</strong>erungsverträgen im Sinne von Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> profitieren: Die VU werden bei<br />

Vertragsbeendigungen und bei Arbeitgeber-We<strong>ch</strong>seln von Arbeitnehmenden keine Leistungsreduktionen<br />

und Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse mehr vornehmen können, wenn das befür<strong>ch</strong>tete Ereignis no<strong>ch</strong> während der<br />

Vertragslaufzeit eingetreten ist.<br />

VN VU VI Andere<br />

IPV Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU 12-14 + - - - - +<br />

APV Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN 15-23 - - - -<br />

SAM S<strong>ch</strong>adenabwendung und -minderung 34/41<br />

PAK Prämienanpassungsklausel<br />

49<br />

KdV Ordentli<strong>ch</strong>e Kündigung<br />

55 + + - - -<br />

NhV Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle 57, 58 + + + +<br />

VFV Verjährung von Forderungen aus dem VV 66 + + +<br />

ME Maklerents<strong>ch</strong>ädigung 68 E-<strong>VVG</strong> & 45 E-VAG + - - - - - +<br />

GKV 73 - -<br />

DFR Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t<br />

91 + + + +<br />

SR S<strong>ch</strong>adenregulierung<br />

94<br />

T O T A L<br />

Gesundheitsprüfung in der<br />

Kollektivversi<strong>ch</strong>erung<br />

Art. Nr. im E-<strong>VVG</strong><br />

Die Wohlfahrt der VN wird von der Revision in folgenden zwei Punkten negativ tangiert:<br />

Konsumenten<br />

Kleinstunternehmen (< 10 Bes<strong>ch</strong>äftigte)<br />

Unternehmen ( ≥ 10 Bes<strong>ch</strong>äftigte)<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsagenten<br />

Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und Strukturbetriebe<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsmakler<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsbroker<br />

Banken<br />

Ges<strong>ch</strong>ädigte und ihre Angehörigen<br />

Arbeitnehmer<br />

Staat als subsidiärer Kostenträger<br />

+ + = - - - - - + + + +<br />

50


1 Kurzfassung<br />

■ Die Mögli<strong>ch</strong>keit des Arbeitnehmers, dem VU zu untersagen, den Arbeitgeber über einen Gesundheits-<br />

vorbehalt zu informieren (Art. 73 E-<strong>VVG</strong>), erhöht die Vertrags- und S<strong>ch</strong>adensrisiken der Firmenkunden.<br />

■ Die Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist (Art. 19 Abs. 4 E-<strong>VVG</strong>) und die Einführung eines quali-<br />

fizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernisses (Art. 18 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong>) bezügli<strong>ch</strong> der Re<strong>ch</strong>tsfolgen von Anzeige-<br />

pfli<strong>ch</strong>tverletzungen verbessert die Position der VN nur bei oberflä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Betra<strong>ch</strong>tung. Letztli<strong>ch</strong> werden<br />

diese Lockerungen im Umgang mit Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen zu Verhaltensänderungen sowohl der VU<br />

als au<strong>ch</strong> der VN führen, wel<strong>ch</strong>e die ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt der VN über vers<strong>ch</strong>iedene Wirkungszusam-<br />

menhänge negativ tangieren.<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU)<br />

Die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen haben je na<strong>ch</strong> Situation (insbesondere bei «unelastis<strong>ch</strong>er» Na<strong>ch</strong>frage)<br />

grundsätzli<strong>ch</strong> die Mögli<strong>ch</strong>keit, die Kostenfolgen der Revision über die Prämien auf die VN zu überwälzen.<br />

Eine Reduktion der Gewinne der VU dürfte vor allem in den zwei folgenden Fällen resultieren:<br />

■ Intensivierung des Preiswettbewerbs unter den VU<br />

■ Reduktion des Marktvolumens<br />

Das Marktvolumen im Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben dürfte von der Revision ni<strong>ch</strong>t wesentli<strong>ch</strong> verändert werden.<br />

Hingegen ist bei den Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen eine Reduktion des Marktvolumens zu erwarten, da die<br />

Transparenzvors<strong>ch</strong>riften bezügli<strong>ch</strong> der Abs<strong>ch</strong>lusskosten von Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen (Art. 12 Abs. 2 lit.<br />

b E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 Abs. 1 ter E-VAG) zu einer Vers<strong>ch</strong>iebung von Sparkapitalien von den VU zu den Ban-<br />

ken führen dürften.<br />

Der Preiswettbewerb wird aus vers<strong>ch</strong>iedenen Gründen zunehmen:<br />

■ Die Transparenzvors<strong>ch</strong>riften zur Ents<strong>ch</strong>ädigung der VI (Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

gemäss Art. 12 Abs. 2 lit. b E-<strong>VVG</strong> und Ents<strong>ch</strong>ädigung der ungebundenen VI gemäss Art. 45 Abs. 1 ter E-<br />

VAG) werden den Preiswettbewerb insbesondere im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen markant<br />

verstärken.<br />

■ Die Mögli<strong>ch</strong>keit der VN, ihren Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag spätestens na<strong>ch</strong> Ablauf von drei Jahren zu we<strong>ch</strong>seln<br />

(Art. 53 E-<strong>VVG</strong>), wird den Preiswettbewerb unter den VU im Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben intensivieren.<br />

■ Die Herausbildung eines Netquote-Marktes im Zuge von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> wird zum einen den Preiswett-<br />

bewerb unter den ungebundenen VI verstärken, wovon in erster Linie die grösseren Firmenkunden profi-<br />

tieren werden, die derzeit die kleineren Firmenkunden quersubventionieren. Zum anderen wird der Net-<br />

quote-Markt den Preiswettbewerb unter den drei wesentli<strong>ch</strong>en Kanälen: dem Direktvertrieb, dem Agen-<br />

tenkanal und dem Makler- bzw. Brokerkanal, verstärken.<br />

Ingesamt ist also zu erwarten, dass die Gewinne der VU sinken werden.<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

Die Renten der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler werden aus folgenden Gründen sinken:<br />

■ Reduktion des Ertrags opportunistis<strong>ch</strong>en Verhaltens: Das Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>) und die<br />

Mögli<strong>ch</strong>keit der VN, einen nutzensuboptimalen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag spätestens drei Jahre na<strong>ch</strong> Vertrags-<br />

s<strong>ch</strong>luss zu künden (Art. 53 E-<strong>VVG</strong>), werden den Ertrag von opportunistis<strong>ch</strong>en VI senken. Art. 45 Abs. 1 ter<br />

E-VAG und Art. 68 E-<strong>VVG</strong> werden darüber hinaus die Mögli<strong>ch</strong>keiten der ungebundenen VI zu opportunis-<br />

tis<strong>ch</strong>em Verhalten senken oder fast vollständig eliminieren.<br />

■ Intensivierung des Wettbewerbs unter ungebundenen VI: Die Herausbildung eines Netquote-<br />

Marktes im Zuge von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> wird den Preiswettbewerb unter den ungebundenen VI stärken, was<br />

deren Renten senken wird.<br />

51


1 Kurzfassung<br />

■ Intensivierung des Preiswettbewerbs zwis<strong>ch</strong>en den drei wesentli<strong>ch</strong>en Vertriebskanälen: Die<br />

Transparenzvors<strong>ch</strong>riften bezügli<strong>ch</strong> der Ents<strong>ch</strong>ädigung der ungebundenen VI (Art. 45 Abs. 1 ter<br />

E-VAG) und<br />

die Herausbildung eines Netquote-Marktes im Zuge von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> werden die VN bezügli<strong>ch</strong> des Prei-<br />

ses der vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanäle sensibilisieren. Diese Sensibilisierung wird im Privatkundenmarkt<br />

zum einen dazu führen, dass der Direktvertrieb den Agenten- und Maklerkanal preisli<strong>ch</strong> unter Druck setzt.<br />

Zum anderen dürfte die erhöhte Transparenz bezügli<strong>ch</strong> der Kosten der Versi<strong>ch</strong>erungsberatung das Wa<strong>ch</strong>s-<br />

tum des Direktvertriebs bes<strong>ch</strong>leunigen. Der verstärkte Preiswettbewerb und die Marktanteilsgewinne des<br />

Direktvertriebs im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft werden die Renten der VI senken.<br />

■ Reduktion der Erträge im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen: Die Transparenzvors<strong>ch</strong>riften<br />

bezügli<strong>ch</strong> der Abs<strong>ch</strong>lusskosten von Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen (Art. 12 Abs. 2 lit. b E-<strong>VVG</strong> und Art. 45<br />

Abs. 1 ter<br />

E-VAG) werden zu einer Reduktion der Abs<strong>ch</strong>lusskosten und des Marktvolumens in der Bran<strong>ch</strong>e<br />

«Einzelleben» führen. Diese Auswirkungen werden die Renten der VI senken.<br />

Banken<br />

Die Transparenzvors<strong>ch</strong>riften bezügli<strong>ch</strong> der Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen (Art. 12 Abs. 2<br />

lit. b E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 Abs. 1 ter E-VAG) werden zu Marktanteilsgewinnen der Banken im Markt für Spar-<br />

kapitalien führen und so die Gewinne der Banken erhöhen.<br />

Ges<strong>ch</strong>ädigte und ihre Angehörigen<br />

Das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>) wird dazu führen, dass die Ges<strong>ch</strong>ädigten häufiger, umfas-<br />

sender und s<strong>ch</strong>neller ents<strong>ch</strong>ädigt werden. Dies kann si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> positiv auf ihre Angehörigen auswirken, da<br />

ein finanzieller Ruin oft negative Auswirkungen auf das Umfeld der Ges<strong>ch</strong>ädigten entfaltet.<br />

Arbeitnehmer<br />

Die Revision tangiert die Wohlfahrt der Arbeitnehmer in zwei Punkten:<br />

■ Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse bei der (kollektiven) Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung: Die Arbeitnehmer wer-<br />

den in Zusammenhang mit der kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung und der Einzeltaggeldversi<strong>ch</strong>erung<br />

in Form höherer S<strong>ch</strong>adenszahlungen von der Regulierung gemäss Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> profitieren: Die<br />

VU werden bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Leistungsreduktionen und Deckungsaus-<br />

s<strong>ch</strong>lüsse mehr geltend ma<strong>ch</strong>en können, wenn das befür<strong>ch</strong>tete Ereignis no<strong>ch</strong> während der Vertragslaufzeit<br />

eingetreten ist. Wie bereits ausgeführt gilt dies nur unter der Annahme, dass Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

zu einer Elimination des Freizügigkeitsabkommens und ni<strong>ch</strong>t zu einer Elimination des für die Arbeitneh-<br />

menden vorteilhaften Übertrittsre<strong>ch</strong>ts führen, das viele KTG-Versi<strong>ch</strong>erer gewähren.<br />

■ Verjährung von Forderungen bei Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen: Die Arbeitnehmer werden im<br />

Berei<strong>ch</strong> der überobligatoris<strong>ch</strong>en Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen der berufli<strong>ch</strong>en Vorsorge von der Verlänge-<br />

rung der Verjährungsfrist von Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag von 2 auf 5 Jahre profitieren<br />

können: Die Häufigkeit von Fällen, in wel<strong>ch</strong>en die VU die Verjährung geltend ma<strong>ch</strong>en können, wird ab-<br />

nehmen.<br />

Der Staat als subsidiärer Kostenträger<br />

Wenn S<strong>ch</strong>äden ni<strong>ch</strong>t versi<strong>ch</strong>ert sind und die S<strong>ch</strong>äden derart ho<strong>ch</strong> sind, dass sie die Ges<strong>ch</strong>ädigten<br />

und/oder die S<strong>ch</strong>ädiger finanziell ruinieren, ist es oft der Staat, wel<strong>ch</strong>er für die ni<strong>ch</strong>t gedeckten S<strong>ch</strong>äden<br />

und deren Folges<strong>ch</strong>äden (Arbeitslosigkeit, Kosten der Armut, Folgekosten im Gesundheitswesen, Kosten<br />

in den Sozialversi<strong>ch</strong>erungen) aufkommen muss.<br />

52


1 Kurzfassung<br />

Die Revision führt dazu, dass das S<strong>ch</strong>adenvolumen, für wel<strong>ch</strong>es der Staat oder eine Sozialversi<strong>ch</strong>erung<br />

aufkommen muss, reduziert wird – aufgrund folgender Veränderungen:<br />

■ Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>): Das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t führt dazu, dass die Ge-<br />

s<strong>ch</strong>ädigten häufiger, umfassender und s<strong>ch</strong>neller ents<strong>ch</strong>ädigt werden.<br />

■ Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57/58 E-<strong>VVG</strong>): Das Verbot von Leistungsbe-<br />

freiungen und –reduktionen im Fall von Vertragsbeendigungen wird zu einer Erhöhung der S<strong>ch</strong>adenszah-<br />

lungen der VU führen. Deckungslücken bei Vertragsbeendigungen und bei Beendigungen von Arbeitsver-<br />

hältnissen können reduziert werden.<br />

1.4.4 Auswirkungen auf die Gesamtwirts<strong>ch</strong>aft<br />

Direkte Kosten der Revision<br />

Bei den direkten Kosten, die kausal auf die Revision zurückgeführt werden können, handelt es si<strong>ch</strong> im<br />

Wesentli<strong>ch</strong>en um einmalige Anpassungskosten:<br />

■ Die AVB müssen angepasst und neu gedruckt werden.<br />

■ Die s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Unterlagen, mit wel<strong>ch</strong>en die VU ihre vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten erfüllen,<br />

müssen angepasst und neu gedruckt werden.<br />

■ Die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler müssen bezügli<strong>ch</strong> der Veränderungen ges<strong>ch</strong>ult werden.<br />

■ Es ist ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen, dass Anpassungen an IT-Systemen vorgenommen werden müssen.<br />

Diese einmaligen Anpassungskosten s<strong>ch</strong>ätzen wir auf rund 10 Millionen Franken. Au<strong>ch</strong> Art. 68 E-<strong>VVG</strong><br />

wird zu zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten direkter Natur führen, die wir im Rahmen der <strong>RFA</strong> allerdings ni<strong>ch</strong>t quantifizie-<br />

ren konnten:<br />

■ Art. 68 E-<strong>VVG</strong> wird dazu führen, dass Versi<strong>ch</strong>erungsmakler, die ihre Aufwände derzeit no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf-<br />

zei<strong>ch</strong>nen und mit den VN abre<strong>ch</strong>nen, dies in Zukunft tun müssen. Die Abwicklungskosten der Makler<br />

werden deshalb steigen.<br />

■ Sollte Art. 68 E-<strong>VVG</strong> zu einem Netquote-Markt führen, dürften bei den ungebundenen VI und den VU<br />

ni<strong>ch</strong>t unbedeutende Kosten für die Umstellung von IT-Systemen und für die Implementierung neuer Ar-<br />

beitsprozesse resultieren.<br />

Indirekte Kosten der Revision<br />

Die indirekten Kosten der Revision dürften bedeutender sein als die direkten Kosten. Die Revision führt auf<br />

indirekte Art und Weise zu folgenden zusätzli<strong>ch</strong>en Transaktionskosten:<br />

■ Re<strong>ch</strong>tsfolgen von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen: Die Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist<br />

und die Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernisses bezügli<strong>ch</strong> der Re<strong>ch</strong>tsfolgen von Anzei-<br />

gepfli<strong>ch</strong>tverletzungen wird zu Verhaltensänderungen der VU führen, die in einer Erhöhung der Kontroll-<br />

und Überprüfungskosten, der Vereinbarungskosten und der Änderungskosten resultieren werden.<br />

■ Ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t: Die Mögli<strong>ch</strong>keit der VN, den Vertrag spätestens na<strong>ch</strong> drei Jahren<br />

na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss künden zu können (Art. 53 E-<strong>VVG</strong>), wird zu mehr Marktbewegungen führen, so<br />

dass die Vereinbarungskosten steigen werden.<br />

■ Ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte: Die in Art. 12 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong> vor-<br />

gesehene ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende Formulierung der Liste der Inhalte, über wel<strong>ch</strong>e die VU vorvertragli<strong>ch</strong> in-<br />

formieren müssen, wird zu einer Erhöhung der Anpassungskosten und der Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>ts-<br />

kosten führen.<br />

53


1 Kurzfassung<br />

■ Prämienanpassungsklausel: Muss ein VU eine Prämienanpassung auf dem gesamten Bestand vor-<br />

nehmen, wobei es die Prämienanpassung selbst vers<strong>ch</strong>uldet hat, kann sie die Prämienanpassung aufgrund<br />

von Art. 49 E-<strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t mittels einer Prämienanpassungsklausel dur<strong>ch</strong>führen. Vielmehr wird sie alle Ver-<br />

träge kündigen müssen. Dies führt zu einer Erhöhung der Vereinbarungskosten und der sekundären<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten.<br />

Nutzen der Revision<br />

Der Nutzen der geplanten Änderungen der Re<strong>ch</strong>tsordnung, wel<strong>ch</strong>er das Versi<strong>ch</strong>erungsges<strong>ch</strong>äft unterliegt,<br />

ist in erster Linie in der Erhöhung der Nutzenoptimalität der Versi<strong>ch</strong>erungsverträge zu sehen, wel-<br />

<strong>ch</strong>e die VN halten:<br />

■ Intensivierung des Preiswettbewerbs: Die Transparenzvors<strong>ch</strong>rift bezügli<strong>ch</strong> der Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen (Art. 12 Abs. 2 lit. b E-<strong>VVG</strong>), die Transparenzvors<strong>ch</strong>rift bezügli<strong>ch</strong> der Ents<strong>ch</strong>ä-<br />

digung der ungebundenen VI (Art. 45 Abs. 1 ter E-VAG) und die Mögli<strong>ch</strong>keit der VN, si<strong>ch</strong> spätestens na<strong>ch</strong><br />

drei Jahren von einen nutzensuboptimalen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu lösen, werden den Preiswettbewerb<br />

unter den VU verstärken. Die Herausbildung eines Netquote-Marktes im Zuge von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> wird die<br />

Konsumenten bezügli<strong>ch</strong> des Preises der Beratung dur<strong>ch</strong> VI sensibilisieren. Die Sensibilisierung der VN wird<br />

den Preiswettbewerb unter den drei wesentli<strong>ch</strong>en Kanälen: dem Direktvertrieb, dem Agentenkanal und<br />

dem Brokerkanal, verstärken – wobei zu erwarten ist, dass der Direktvertrieb die beiden Beraterkanäle<br />

preisli<strong>ch</strong> unter Druck setzen wird.<br />

■ Präferenz-adäquatere Eigens<strong>ch</strong>aften der Versi<strong>ch</strong>erungsverträge: Mit Art. 57-58 werden De-<br />

ckungsauss<strong>ch</strong>lüsse und Leistungsbefreiungen der VU verhindert, die ni<strong>ch</strong>t den Präferenzen der VN ent-<br />

spre<strong>ch</strong>en. Das Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>) und das ordentli<strong>ch</strong>e Kündigungsre<strong>ch</strong>t (Art. 53 E-<strong>VVG</strong>)<br />

werden darüber hinaus dazu führen, dass die Rentabilität von Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen sinkt, die Eigen-<br />

s<strong>ch</strong>aften aufweisen, die ni<strong>ch</strong>t den Präferenzen der VN entspre<strong>ch</strong>en.<br />

■ Reduktion von ex ante Opportunismus / Erhöhung der Beratungsqualität: Das Widerrufsre<strong>ch</strong>t<br />

(Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>) stellt si<strong>ch</strong>er, dass opportunistis<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, wel<strong>ch</strong>e die VN täus<strong>ch</strong>en,<br />

irreführen oder anderweitig s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t beraten, unmittelbar sanktioniert werden können. Die vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Transparenzvors<strong>ch</strong>riften (Art. 12 Abs. 2 lit. b, Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 Abs. 1 ter E-VAG), das Widerrufs-<br />

re<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>) und das ordentli<strong>ch</strong>e Kündigungsre<strong>ch</strong>t (Art. 53 E-<strong>VVG</strong>) werden dazu führen, dass<br />

die Erträge von opportunistis<strong>ch</strong>en und inkompetenten Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern sinken. Die Qualität des<br />

«dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers» und die Beratungsqualität werden deshalb steigen.<br />

■ Nutzenoptimalere Kaufents<strong>ch</strong>eide: Die vers<strong>ch</strong>iedenen Transparenzvors<strong>ch</strong>riften (insbesondere Art. 12<br />

Abs. 2 lit. b und Art. 45 Abs. 1 ter ) werden den VN ermögli<strong>ch</strong>en, nutzenoptimalere Kaufents<strong>ch</strong>eide zu fällen<br />

– in Bezug auf die Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte, Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler und in Bezug auf den Vertriebskanal.<br />

■ Reduktion von Wohlfahrtsverlusten infolge nutzensuboptimaler Versi<strong>ch</strong>erungsverträge: Das<br />

Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>) und das ordentli<strong>ch</strong>e Kündigungsre<strong>ch</strong>t (Art. 53 E-<strong>VVG</strong>) ermögli<strong>ch</strong>en den<br />

VN, si<strong>ch</strong> zeitnaher von einem nutzensuboptimalen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu lösen.<br />

Auswirkungen auf die S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Insgesamt werden die untersu<strong>ch</strong>ten Massnahmen zu einer Reduktion der S<strong>ch</strong>adenskosten führen:<br />

■ Lei<strong>ch</strong>te Reduktion der primären S<strong>ch</strong>adenskosten: Die primären S<strong>ch</strong>adenkosten werden si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

wesentli<strong>ch</strong> verändern. Tendenziell ist eine Reduktion der primären S<strong>ch</strong>adenskosten zu erwarten, da zu-<br />

friedene VN weniger zu Moral Hazard und ex post Opportunismus neigen.<br />

■ Substantielle Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten: Die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten wer-<br />

den sinken, da die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken bzw. die S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU zunehmen wer-<br />

54


1 Kurzfassung<br />

den. Die Ausweitung der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken ist v.a. auf Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong> (Na<strong>ch</strong>haftung und<br />

hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle) und Art. 91 E-<strong>VVG</strong> (Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t) zurückzuführen.<br />

■ Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung der tertiären S<strong>ch</strong>adenskosten (Transaktionskosten): Insgesamt<br />

erwarten wir keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung der Transaktionskosten. Auf der einen Seite geht die Reduk-<br />

tion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten mit zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten der S<strong>ch</strong>adenregulierung einher. Au<strong>ch</strong> die<br />

erwarteten Verhaltensänderungen der VU infolge der Reduktion der Sanktionen bei Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverlet-<br />

zungen werden si<strong>ch</strong> kostensteigernd auswirken. Auf der anderen Seite dürfte si<strong>ch</strong> der verstärkte Wettbe-<br />

werb unter den VU und unter den VI kostensenkend auswirken – dies gilt in besonderem Ausmass für die<br />

Bran<strong>ch</strong>e «Einzelleben».<br />

Auswirkungen auf das Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t<br />

Wir prognostizieren die folgenden Auswirkungen auf das Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t:<br />

■ Reduktion des Preises der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung: Der verstärkte Wettbewerb unter den VU, unter<br />

den VI und zwis<strong>ch</strong>en den vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanälen wird den Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung sen-<br />

ken – dies gilt in besonderem Ausmass für Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen.<br />

■ Erhöhung der Prämien: Die Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen und Leistungsreduk-<br />

tionen, wel<strong>ch</strong>e die VU geltend ma<strong>ch</strong>en können, wird zu einer Zunahme der S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU<br />

und damit zu Prämienerhöhungen führen. Bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen erwarten wir eine Reduktion<br />

der Prämienhöhe, da die Abs<strong>ch</strong>lusskosten fallen werden.<br />

■ Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge: Die Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge wird si<strong>ch</strong> im Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben<br />

ni<strong>ch</strong>t wesentli<strong>ch</strong> verändern. In der Bran<strong>ch</strong>e «Einzelleben» erwarten wir eine Reduktion der Anzahl Spar-<br />

versi<strong>ch</strong>erungsverträge.<br />

■ Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV: Die Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen<br />

und –reduktionen der VU wird zu einer Erhöhung der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vertrag führen.<br />

■ Marktvolumen: Im Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben erwarten wir keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung des Marktvolu-<br />

mens, im Berei<strong>ch</strong> Leben hingegen eine Reduktion.<br />

Auswirkungen auf die ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt<br />

Die Revision wird die Renten der VU und der VI senken, da der Wettbewerb gestärkt wird und Sparkapita-<br />

lien an die Banken abfliessen werden. Die Konsumentenrenten werden demgegenüber steigen. Bei die-<br />

sem Trade-Off handelt es si<strong>ch</strong> allerdings ni<strong>ch</strong>t um ein Nullsummenspiel: Insgesamt ist eine Erhöhung der<br />

gesamtwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Wohlfahrt zu erwarten – ganz im Sinne von Adam Smith, dem Begründer des<br />

ökonomis<strong>ch</strong>en Liberalismus, der in seinem Hauptwerk «Der Wohlstand der Nationen» (1776, 558)<br />

s<strong>ch</strong>rieb:<br />

«Der Verbrau<strong>ch</strong> allein ist Ziel und Zweck einer jeden Produktion, daher sollte man die Interessen des Pro-<br />

duzenten eigentli<strong>ch</strong> nur soweit bea<strong>ch</strong>ten, wie es erforderli<strong>ch</strong> sein mag, um das Wohl des Konsumenten zu<br />

fördern. Diese Maxime leu<strong>ch</strong>tet ohne weiteres ein, so dass es töri<strong>ch</strong>t wäre, sie no<strong>ch</strong> beweisen zu wollen.»<br />

1.4.5 Zielerrei<strong>ch</strong>ungsgrad: Die Auswirkungen vor dem Hintergrund des<br />

Regulierungsbedarfs<br />

In Abs<strong>ch</strong>nitt 1.3.2 haben wir ausgeführt, wel<strong>ch</strong>e Problemstellungen es im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt<br />

unter dem geltenden <strong>VVG</strong> gibt, die einen Regulierungseingriff begründen können und an wel<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong><br />

die Revision u.a. messen lassen muss. In Tabelle 6 ist dargestellt, in wel<strong>ch</strong>em Ausmass die Revision die<br />

55


1 Kurzfassung<br />

identifizierten Problemstellungen beheben kann. Sie zeigt zum einen, dass die geplanten Veränderungen,<br />

die wir im Rahmen der <strong>RFA</strong> untersu<strong>ch</strong>t haben, gut auf den Regulierungsbedarf abgestimmt sind, den wir<br />

mittels empiris<strong>ch</strong>er Analysen identifizieren konnten. Zum anderen zeigt sie, dass die Revision die beste-<br />

henden Problemstellungen in drei Punkten ni<strong>ch</strong>t vollständig beheben kann:<br />

■ S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung und Vertragsrisiken bei gezillmerten Sparversi<strong>ch</strong>erungen: Die Einführung der<br />

Informationspfli<strong>ch</strong>t zu den Rückkaufswerten von Sparversi<strong>ch</strong>erungen im Rahmen der Teilrevision 2006, die<br />

per 1. Januar 2007 in Kraft getreten ist, konnte das Problem des Vertriebs von gezillmerten Sparversi<strong>ch</strong>e-<br />

rungen an völlig ungeeignete Zielgruppen (VN zwis<strong>ch</strong>en 20 und 30 Jahren) ni<strong>ch</strong>t lösen. Offenbar sind die<br />

VN trotz der Informationspfli<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t in der Lage, das Risiko eines frühzeitigen Rückkaufs der Police<br />

korrekt einzus<strong>ch</strong>ätzen und zu interpretieren (bes<strong>ch</strong>ränkte Rationalität). Einige der befragten Experten ha-<br />

ben zu Protokoll gegeben, dass fast in jedem Fall 32 , in wel<strong>ch</strong>em ein VN eine gezillmerte Sparversi<strong>ch</strong>e-<br />

rungspolice in den ersten Jahren na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss zurückkaufen muss und dabei massive Vermögens-<br />

verluste bis hin zum Totalverlust der angesparten Kapitalien realisiert, eine S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung eines oppor-<br />

tunistis<strong>ch</strong>en VI vorliegt. Die Revision wird dieses Problem reduzieren, da die neuen Informationspfli<strong>ch</strong>ten<br />

bezügli<strong>ch</strong> der Abs<strong>ch</strong>lusskosten von Lebensversi<strong>ch</strong>erungen (Art. 12 Abs. 2 lit. b E-<strong>VVG</strong>) die Abs<strong>ch</strong>lusskos-<br />

ten senken dürften: Die Reduktion der Abs<strong>ch</strong>lusskosten wird dazu führen, dass der Vermögensverlust<br />

geringer ausfällt, wenn ein VN si<strong>ch</strong> frühzeitig von einem Lebensversi<strong>ch</strong>erungsvertrag lösen muss. Das<br />

Problem des Vertriebs von gezillmerten Sparversi<strong>ch</strong>erungen an ungeeignete Zielgruppen wird allerdings<br />

ni<strong>ch</strong>t vollständig behoben, weil das Risiko eines frühzeitigen Rückkaufs au<strong>ch</strong> im E-<strong>VVG</strong> dem VN zugewie-<br />

sen ist. Aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t wäre die Vers<strong>ch</strong>iebung dieses Risiko vom VN zum VU gere<strong>ch</strong>tfertigt, weil<br />

das VU bzw. deren VI bezügli<strong>ch</strong> des Risikos eines frühzeitigen Rückkaufs einer gezillmerten Sparversi<strong>ch</strong>e-<br />

rungspolice die Cheapest Cost Avoider sind.<br />

■ Kündigungen von Krankenzusatz- und (kollektiven) Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungsverträgen<br />

dur<strong>ch</strong> die VU: Das Problem von Kündigungen von Krankenzusatz- und Taggeldversi<strong>ch</strong>erungsverträgen<br />

wird von der Revision ni<strong>ch</strong>t gelöst, da sie kein Verbot von ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>ten der VU in die-<br />

sen beiden Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en vorsieht.<br />

■ Verletzung der Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> der Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

(APV) dur<strong>ch</strong> opportunistis<strong>ch</strong>e VI: Es ist davon auszugehen, dass die s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t (Art.<br />

23 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong>) das Problem, dass opportunistis<strong>ch</strong>e VI ni<strong>ch</strong>t adäquat über die dramatis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsfol-<br />

gen einer APV informieren, ni<strong>ch</strong>t vollständig beheben wird – ni<strong>ch</strong>t zuletzt deshalb, weil die s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en<br />

Unterlagen ni<strong>ch</strong>t von allen VN gelesen werden. Wir empfehlen deshalb zwei Massnahmen, um diesem<br />

Problem zu begegnen:<br />

- Sanktionierung mit pönalem Charakter: Ein VI, der einen VN indadäquat über die Re<strong>ch</strong>tsfolgen<br />

einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung informiert, muss mit einer monetären Strafe belegt werden, die<br />

pönalen Charakter hat. Dies deshalb, weil davon ausgegangen werden muss, dass ni<strong>ch</strong>t alle Ver-<br />

letzungen der Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> der Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer APV bewiesen werden kön-<br />

nen. Bezei<strong>ch</strong>nen wir mit p die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, dass eine Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzung bewie-<br />

sen werden kann, mit O den erwarteten Ertrag einer Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzung (Opportuni-<br />

tätsprämie) für den VI und für das VU und mit S die monetäre Busse, mit wel<strong>ch</strong>er die Verletzung<br />

der Informationspfli<strong>ch</strong>t belegt wird, dann muss die monetäre Busse derart ho<strong>ch</strong> sein, dass gilt:<br />

S > p × O. Andernfalls ist es für die VI und die VU rational, ihre Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> der<br />

Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer APV zu verletzen.<br />

32 Eine S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung liegt nur dann ni<strong>ch</strong>t vor, wenn der VN trotz gegenteiliger Empfehlungen des Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers<br />

darauf bestanden hat, einen gezillmerten Sparversi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu zei<strong>ch</strong>nen.<br />

56


1 Kurzfassung<br />

- Verpfli<strong>ch</strong>tung der VI zur mündli<strong>ch</strong>en Information über die Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer APV: Die Erfüllung<br />

der Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> der dramatis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer APV (Art. 23 Abs. 1 E-<br />

<strong>VVG</strong>) sollte ni<strong>ch</strong>t nur in s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>er Form, sondern au<strong>ch</strong> in mündli<strong>ch</strong>er Form verlangt werden.<br />

Denn es gibt viele VN, wel<strong>ch</strong>e die s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Unterlagen ni<strong>ch</strong>t lesen. Wir empfehlen, einen kur-<br />

zen Text (2 Sätze) vorzugeben, der den VN von den VI von Gesetzes wegen laut und deutli<strong>ch</strong> vor-<br />

gelesen werden muss.<br />

Tabelle 6: Die Revision vor dem Hintergrund des identifizierten Regulierungsbedarfs<br />

Regulierungsbedarf Total WRR IPV APV PAK KdV NhV VFV ME<br />

Marktsegment<br />

B2C<br />

B2C<br />

Täus<strong>ch</strong>ung und Irreführung der VN dur<strong>ch</strong><br />

opportunistis<strong>ch</strong>e VI (v.a.<br />

Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung)<br />

VI informieren inadäquat über die<br />

dramatis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer<br />

Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

Art. Nr. im E-<strong>VVG</strong> / E-VAG 7,8 12-14 15-23 49 53,55 57-58 66 68,45<br />

+ +<br />

B2C Interessenskonflikt der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler + + +<br />

B2C<br />

B2C<br />

B2C<br />

B2C<br />

B2C<br />

B2C<br />

B2C/<br />

B2B<br />

B2C/<br />

B2B<br />

B2B<br />

S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung opportunistis<strong>ch</strong>er VI im<br />

Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben + +<br />

S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung opportunistis<strong>ch</strong>er VI bei<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen + +<br />

Informationsdefizite der VN:<br />

Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse und<br />

Leistungsreduktionen<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsverträge mit langen<br />

Vertragslaufzeiten<br />

Hohes Vertragsrisiko bei Sparversi<strong>ch</strong>erungen<br />

(Zillmerung) + +<br />

Hohe Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei<br />

Sparversi<strong>ch</strong>erungen + +<br />

Kündigung von Krankenzusatz- und<br />

Taggeldversi<strong>ch</strong>erungsverträgen dur<strong>ch</strong> die VU<br />

Verjährung von Forderungen aus dem<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag<br />

Leistungsauss<strong>ch</strong>lüsse und -reduktionen bei<br />

der kollektiven Krankenttaggeldversi<strong>ch</strong>erung<br />

Legende: + Reduktion der Problemstellung, grüner Kreis in der Spalte «Total»: Die Problemstellung wird dur<strong>ch</strong> die Revision (fast)<br />

vollständig aufgelöst; oranger Kreis in der Spalte «Total»: Die Problemstellung wird dur<strong>ch</strong> die Revision nur partiell gelöst; roter<br />

Kreis in der Spalte «Total»: Problemstellung wird von der Revision kaum oder überhaupt ni<strong>ch</strong>t tangiert.<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

+<br />

+<br />

+<br />

+<br />

+<br />

57


1 Kurzfassung<br />

1.5 Alternative Regelungen und Handlungsoptionen<br />

Widerrufsre<strong>ch</strong>t (WRR, Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

In Zusammenhang mit dem Widerrufsre<strong>ch</strong>t haben wir drei Szenarien untersu<strong>ch</strong>t:<br />

■ Regulierungsszenario: Widerrufsre<strong>ch</strong>t gemäss Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong><br />

■ Alternativszenario 1: Verzi<strong>ch</strong>t auf Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong> und Strei<strong>ch</strong>ung von Art. 40a Abs. 2 OR<br />

■ Alternativszenario 2: Gültigkeit von Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong> nur für Privatkunden<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse hat ergeben, dass das Regulierungsszenario dem Alternativszenario 1 vorzu-<br />

ziehen ist, weil mit einer Lösung im Rahmen von Art. 40a OR vers<strong>ch</strong>iedenste Versi<strong>ch</strong>erungsspezifika ni<strong>ch</strong>t<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigt werden können. Dabei sind v.a. das Problem eines kostenlosen Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utzes bei<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen mit kurzer Vertragslaufzeit und das Problem der Existenz externer Forderungsre<strong>ch</strong>-<br />

te insbesondere in Zusammenhang mit der obligatoris<strong>ch</strong>en Motorfahrzeughaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung zu nen-<br />

nen.<br />

Eine normative Analyse des Alternativszenario 2 in der Tradition der ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse des Re<strong>ch</strong>ts<br />

hat ergeben, dass Unternehmen, die ihren Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz über einen ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

broker, einen Inhousebroker oder über einen Riskmanager einkaufen, kein Widerrufsre<strong>ch</strong>t gewährt wer-<br />

den sollte. Vor diesem Hintergrund empfehlen wir, Unternehmen mit zehn oder mehr Bes<strong>ch</strong>äftigten kein<br />

Widerrufsre<strong>ch</strong>t zu gewähren.<br />

Im Rahmen der juristis<strong>ch</strong>en Analyse hat si<strong>ch</strong> gezeigt, dass Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong> eine Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheit inhä-<br />

rent ist, da der Zeitpunkt des Vertragss<strong>ch</strong>lusses und der Zeitpunkt der Vertragsänderung ni<strong>ch</strong>t definiert<br />

sind. Wir empfehlen, den Fristenlauf mit der Zustellung der Police einsetzen zu lassen.<br />

Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>ten der VU (IPV, Art. 12 E-<strong>VVG</strong>)<br />

In Zusammenhang mit den vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten haben wir die folgenden drei Szena-<br />

rien untersu<strong>ch</strong>t:<br />

■ Regulierungsszenario: Ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende Formulierung der Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte<br />

gemäss Art. 7 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong>.<br />

■ Alternativszenario 1: Abs<strong>ch</strong>liessende Formulierung der Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte<br />

■ Alternativszenario 2: Ergänzung der Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte mittels Verordnungs-<br />

re<strong>ch</strong>t auf Vors<strong>ch</strong>lag der Ombudsstelle der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA<br />

Eine Analyse in der Tradition der ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse des Re<strong>ch</strong>ts hat ergeben, dass eine ni<strong>ch</strong>t-<br />

abs<strong>ch</strong>liessende Formulierung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten (Regulierungsszenario) aus<br />

Gründen der Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit und der Kosteneffizienz ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert ist. Das Alternativszenario<br />

1 ist ebenfalls suboptimal: Zum einen, weil die Kosten einer Veränderung der informationspfli<strong>ch</strong>tigen<br />

Inhalte sehr ho<strong>ch</strong> sind, wenn diese im Rahmen einer Gesetzesänderung umgesetzt werden muss, zum<br />

anderen, weil eine Gesetzesänderung keine zeitnahe Anpassung der Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen<br />

Inhalte ermögli<strong>ch</strong>t.<br />

Wir empfehlen, neue Informationspfli<strong>ch</strong>ten bei Bedarf per Verordnungsre<strong>ch</strong>t auf Antrag der Ombudsstelle<br />

der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA einzuführen (Alternativszenario 2). Dabei ist den VU eine Vorlauf-<br />

zeit von 12 Monaten zu gewähren, so dass eine kosteneffiziente Umsetzung dur<strong>ch</strong> die VU mögli<strong>ch</strong> wird.<br />

Die empiris<strong>ch</strong>e Analyse des Regulierungsbedarfs hat darüber hinaus gezeigt, dass Art. 12 Abs. 1 lit. b<br />

dahingehend konkretisiert werden sollte, dass eine kompakte Darstellung der Fälle verlangt werden sollte,<br />

58


1 Kurzfassung<br />

in wel<strong>ch</strong>en die VU Leistungsreduktionen und Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse geltend ma<strong>ch</strong>en können. Dies<br />

deshalb, weil Informationsdefizite der VN bezügli<strong>ch</strong> des Deckungsumfangs ihres Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags<br />

eines der grössten Probleme darstellen, die es im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt derzeit gibt (Beispiel:<br />

Deckungsauss<strong>ch</strong>luss der Reiseversi<strong>ch</strong>erer bei vorbestehenden Krankheiten).<br />

Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten der VN (APV, Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Die juristis<strong>ch</strong>e Analyse hat ergeben, dass Art. 18-20 eine Vielzahl von Interpretationsspielräumen und<br />

Unklarheiten inhärent ist. Wir empfehlen, Art. 18-20 in Bezug auf diese Unklarheiten zu überarbeiten<br />

bzw. neu zu formulieren.<br />

Die positive und normative Analyse hat zum Ergebnis geführt, dass die geplanten Veränderungen bezüg-<br />

li<strong>ch</strong> der Re<strong>ch</strong>tsfolgen von Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t suboptimal sind:<br />

■ Reduktion der Sanktionen bei Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen: Die Einführung einer absoluten Ver-<br />

wirkungsfrist und die Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernisses werden aufgrund von<br />

Verhaltensänderungen der VU und der VN zu einer substantiellen Erhöhung der Transaktionskosten und<br />

zu risikoinadäquateren Prämien führen. Eine normative Analyse in der Tradition der ökonomis<strong>ch</strong>en Analy-<br />

se des Re<strong>ch</strong>ts hat zum Ergebnis geführt, dass der Sorgfaltsmassstab, wel<strong>ch</strong>er bezügli<strong>ch</strong> der Erfüllung der<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen von Gesetzes wegen vorgegeben wird, streng definiert wer-<br />

den muss, wenn er ökonomis<strong>ch</strong> effizient sein soll.<br />

■ Rückwirkender Anspru<strong>ch</strong> der VU auf die erhöhte Prämie: Ein rückwirkender Anspru<strong>ch</strong> der VU auf<br />

die erhöhte Prämie ma<strong>ch</strong>t ökonomis<strong>ch</strong> keinen Sinn, wenn die VU aufgrund der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

bereits von der Leistungspfli<strong>ch</strong>t befreit werden. Eine pönale Sanktionierung von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzun-<br />

gen, die zu keiner Leistungsbefreiung der VU führen, ist ökonomis<strong>ch</strong> grundsätzli<strong>ch</strong> wüns<strong>ch</strong>enswert. Der<br />

Lösung im Sinne eines rückwirkenden Anspru<strong>ch</strong>s auf die erhöhte Prämie sind aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t<br />

jedo<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>iedene Probleme inhärent. Insbesondere stellt si<strong>ch</strong> das Problem, dass Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverlet-<br />

zungen, die kurz na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss erkannt werden, na<strong>ch</strong> wie vor mit keinen Sanktionen belegt wer-<br />

den können 33 . Allenfalls sollte eine minimale Busse für Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen festgelegt werden –<br />

z.B. im Umfang einer Jahresprämie des gezei<strong>ch</strong>neten Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags, der von der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t-<br />

verletzung betroffen ist. Die Sanktion sollte in jedem Fall pönalen Charakter haben, da davon ausgegan-<br />

gen werden muss, dass ni<strong>ch</strong>t alle Fälle von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen erkannt (und bewiesen) werden<br />

können.<br />

■ Einführung einer Kausalität mit Teilung der S<strong>ch</strong>adenssumme: Personens<strong>ch</strong>äden können in dem<br />

Sinne multikausal sein, als dass sie vers<strong>ch</strong>iedene medizinis<strong>ch</strong>e Ursa<strong>ch</strong>en haben können, wobei es zumeist<br />

ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong> ist, den Anteil der vers<strong>ch</strong>iedenen Ursa<strong>ch</strong>en am S<strong>ch</strong>aden zu quantifizieren. Die Einführung<br />

einer Kausalität mit Teilung der S<strong>ch</strong>adenssumme kann deshalb bei multikausalen Personens<strong>ch</strong>äden zu<br />

unnötigen (geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en) Auseinandersetzungen bezügli<strong>ch</strong> der Frage führen, wel<strong>ch</strong>er Teil des S<strong>ch</strong>adens<br />

auf die unri<strong>ch</strong>tig angezeigte Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e zurückzuführen ist.<br />

S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung (SAM, Art. 34 und 41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Im Rahmen der ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse der geplanten Veränderungen in Zusammenhang mit Art. 34 und<br />

41 E-<strong>VVG</strong> konnte folgendes Optimierungspotential identifiziert werden:<br />

33 Ebenso können Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen ni<strong>ch</strong>t sanktioniert werden, die zu keiner Leistungsbefreiung der VU führen und bei<br />

wel<strong>ch</strong>en es keine «erhöhte Prämie» gibt, da die VU das Risiko bei korrekter Anzeige der entspre<strong>ch</strong>enden Gefahrtstatsa<strong>ch</strong>e gar ni<strong>ch</strong>t<br />

versi<strong>ch</strong>ert hätten.<br />

59


1 Kurzfassung<br />

■ Erweiterung des Deckungsumfangs dur<strong>ch</strong> die Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t: Die Vor-<br />

erstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t auf unmittelbar drohende Ereignisse ist grundsätzli<strong>ch</strong> zu begrüssen, da<br />

dadur<strong>ch</strong> die primären S<strong>ch</strong>adenskosten reduziert werden können. Damit die Vorerstreckung der Rettungs-<br />

pfli<strong>ch</strong>t zu keiner unerwüns<strong>ch</strong>ten Erweiterung des Deckungsumfangs führt, sollten die VU konkrete, d.h.<br />

spezifizierte Massnahmen zur S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung vertragli<strong>ch</strong> auss<strong>ch</strong>liessen können<br />

(Beispiel: Produktrückrufaktionen).<br />

■ Übernahme der Kosten von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren: Die vollständige Zuweisung der S<strong>ch</strong>a-<br />

denermittlungskosten, die im Rahmen von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren anfallen, an die Adresse der VU,<br />

führt dazu, dass die VN keine ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize mehr haben, Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren dur<strong>ch</strong> gütli-<br />

<strong>ch</strong>e Einigung zu verhindern. Aus diesem Grund dürfte die Häufigkeit von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren stei-<br />

gen, was zu zusätzli<strong>ch</strong>en Transaktionskosten führen wird, wel<strong>ch</strong>e die VN in Form höherer Prämien zu<br />

tragen haben. Eine Beteiligung der VN an den Kosten von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren ist deshalb wün-<br />

s<strong>ch</strong>enswert.<br />

Prämienanpassungsklausel (PAK, Art. 49 E-<strong>VVG</strong>)<br />

In Zusammenhang mit Art. 49 E-<strong>VVG</strong> haben wir die folgenden drei Szenarien untersu<strong>ch</strong>t:<br />

■ Regulierungsszenario: Gesetzli<strong>ch</strong>e Regelung gemäss Art. 49 E-<strong>VVG</strong><br />

■ Alternativszenario 1: Verzi<strong>ch</strong>t auf gesetzli<strong>ch</strong>e Regelung und generelle Zulässigkeit von Prämienanpas-<br />

sungsklauseln<br />

■ Alternativszenario 2: Generelles Verbot von Prämienanpassungsklauseln<br />

Eine normative Analyse in der Tradition der ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse des Re<strong>ch</strong>ts hat gezeigt, dass das Regu-<br />

lierungsszenario den beiden Alternativszenarien aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t vorzuziehen ist – aus folgenden<br />

Gründen:<br />

■ Alternativszenario 1: Eine generelle Zulässigkeit von Prämienanpassungsklauseln ist ökonomis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

wüns<strong>ch</strong>enswert, weil dadur<strong>ch</strong> Prämienerhöhungen auf einzelnen Versi<strong>ch</strong>erungspolicen mögli<strong>ch</strong> wären.<br />

Sol<strong>ch</strong>e widerspre<strong>ch</strong>en dem Grundsatz «pacta sunt servanda»<br />

■ Alternativszenario 2: Ein generelles Verbot von Prämienanpassungsklauseln ist au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wün-<br />

s<strong>ch</strong>enswert, weil die Transaktionskosten tiefer sind, wenn eine unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e, ni<strong>ch</strong>t vom VU vers<strong>ch</strong>ulde-<br />

te Prämienerhöhung auf einem Policenbestand zu höheren Transaktionskosten und zu höheren sekundä-<br />

ren S<strong>ch</strong>adenskosten führt, wenn die Prämienerhöhung ni<strong>ch</strong>t auf der Basis einer PAK dur<strong>ch</strong>geführt werden<br />

kann.<br />

Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en der Prämienanpassungsklausel (Art. 49 E-<strong>VVG</strong>) und dem Kündigungs-<br />

re<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall (Art. 55 E-<strong>VVG</strong>): Falls den VU weiterhin ein Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall<br />

(Art. 55 E-<strong>VVG</strong>) zur Verfügung steht, ist es aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert, dass die VU au<strong>ch</strong> die<br />

Mögli<strong>ch</strong>keit haben, eine Prämienerhöhung auf einem einzelnen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag auf der Basis einer<br />

PAK vorzunehmen. Andernfalls ist zu befür<strong>ch</strong>ten, dass Prämienerhöhungen mit Vertragskündigungen<br />

substituiert werden, was dazu führen kann, dass die VN ihren Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz verlieren (Erhöhung<br />

der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten).<br />

Die dur<strong>ch</strong>geführten Analysen haben darüber hinaus gezeigt, dass Art. 49 E-<strong>VVG</strong> ein konzeptionelles<br />

Problem inhärent ist: Die VN können ni<strong>ch</strong>t erkennen, ob die Notwendigkeit einer Prämienerhöhung auf<br />

einem gesamten Bestand mittels PAK vom VU selbst vers<strong>ch</strong>uldet ist oder von exogenen Faktoren verur-<br />

sa<strong>ch</strong>t wurde. Dieser Tatbestand spri<strong>ch</strong>t dafür, dass die FINMA darüber ents<strong>ch</strong>eidet, ob eine Prämienanpas-<br />

sung auf einem gesamten Bestand mittels PAK gere<strong>ch</strong>tfertigt ist oder ni<strong>ch</strong>t. Aus ökonomis<strong>ch</strong>en Überle-<br />

60


1 Kurzfassung<br />

gungen sollten Prämienanpassungen auf dem gesamten Bestand mittels PAK nur dann unterbunden wer-<br />

den, wenn die Notwendigkeit der Prämienerhöhung vom VU vorsätzli<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>uldet ist.<br />

Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag (KdV, Art. 53 und 55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

In Zusammenhang mit den Kündigungsre<strong>ch</strong>ten haben wir folgende vier Szenarien untersu<strong>ch</strong>t:<br />

■ Regulierungsszenario 1.1: Ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t spätestens 3 Jahre na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss<br />

■ Regulierungsszenario 1.2: Ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t spätestens 2 Jahre na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss<br />

■ Regulierungsszenario 1.3: Ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t spätestens 1 Jahr na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss<br />

■ Alternativszenario: Verbot der Kündigung im S<strong>ch</strong>adensfall<br />

Die positive Analyse der Auswirkungen und eine normative Analyse in der Tradition der ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

Analyse des Re<strong>ch</strong>ts haben zu folgenden Ergebnissen geführt:<br />

■ Ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ist es wün-<br />

s<strong>ch</strong>enswert, dass die VN im Privatkundenmarkt ein jährli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t haben. Die wesentli<strong>ch</strong>en<br />

Nutzen eines jährli<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>ts sind:<br />

- Reduktion des Ertrags opportunistis<strong>ch</strong>er VI → Präventivwirkung: Erhöhung der Beratungsqualität<br />

und Reduktion von ex ante Opportunismus von VI<br />

- Reduktion von Wohlfahrtsverlusten, wenn VN nutzensuboptimale Versi<strong>ch</strong>erungsverträge halten<br />

- Intensivierung des Qualitäts- und Preiswettbewerbs unter den VU<br />

Diesen Nutzen stehen erhöhte Transaktionskosten infolge einer Zunahme der Marktbewegungen gegen-<br />

über. Der Nettonutzen dürfte positiv ausfallen, da es ein empiris<strong>ch</strong>er Tatbestand ist, dass VN nur Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsverträge kündigen, die nutzensuboptimal (geworden) sind. Das ordentli<strong>ch</strong>e Kündigungsre<strong>ch</strong>t der VU<br />

muss unseres Era<strong>ch</strong>tens ni<strong>ch</strong>t reguliert werden; es kann dem Wettbewerb überantwortet werden.<br />

■ Ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: Wir sehen im Ges<strong>ch</strong>äft mit Firmenkun-<br />

den mit einer Ausnahme keinen Bedarf, das ordentli<strong>ch</strong>e Kündigungsre<strong>ch</strong>t zu regulieren. Bei den kollekti-<br />

ven Krankenttaggeldversi<strong>ch</strong>erung sollten den VU aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t kein ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungs-<br />

re<strong>ch</strong>t gewährt werden (vgl. Ausführungen weiter unten).<br />

■ Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall: Wenn die Privatkunden ihre Versi<strong>ch</strong>erungsverträge jedes Jahr<br />

kündigen können, wird das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall hinfällig. Eine normative Analyse hat erge-<br />

ben, dass das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall mit dem Grundsatz «pacta sunt servanda» ni<strong>ch</strong>t zu ver-<br />

einbaren ist. Das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall für die VN birgt überdies die Gefahr, dass VN absi<strong>ch</strong>t-<br />

li<strong>ch</strong> einen S<strong>ch</strong>adensfall herbeiführen, um si<strong>ch</strong> mittels des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts im S<strong>ch</strong>adensfall des ungelieb-<br />

ten Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags zu entledigen (Erhöhung der primären S<strong>ch</strong>adenskosten).<br />

■ Kündigungsre<strong>ch</strong>te bei der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung und bei der (kollektiven) Krankentag-<br />

geldversi<strong>ch</strong>erung: Diese beiden Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en zei<strong>ch</strong>nen si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> zwei besondere Eigens<strong>ch</strong>af-<br />

ten aus:<br />

- Die VN versi<strong>ch</strong>ern si<strong>ch</strong> gegen das Risiko, ein s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes Risiko zu sein.<br />

- S<strong>ch</strong>äden zu vers<strong>ch</strong>iedenen Zeitpunkten sind ni<strong>ch</strong>t unabhängig voneinander: Die S<strong>ch</strong>adenswahr-<br />

s<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keiten sind über die Zeit korreliert.<br />

Wenn die VU bei Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen und Taggeldversi<strong>ch</strong>erungen die Mögli<strong>ch</strong>keit haben, den<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu künden, können sie si<strong>ch</strong> aus gestaffelten S<strong>ch</strong>adensereignissen (Beispiele: «Burn-<br />

out – Rückfall na<strong>ch</strong> 8 Monaten», «Diagnose Krebs – hohe Gesundheitskosten in den nä<strong>ch</strong>sten Jahren»)<br />

herauskünden. Damit wird das Versi<strong>ch</strong>erungsprinzip ad adsurdum geführt. Bei Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erun-<br />

gen und bei (kollektiven) Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungen sind den VU also überhaupt keine ordentli<strong>ch</strong>en<br />

Kündigungsre<strong>ch</strong>te zu gewähren.<br />

61


1 Kurzfassung<br />

Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (NhV, Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Vor dem Hintergrund der dur<strong>ch</strong>geführten juristis<strong>ch</strong>en Analyse können wir folgende Empfehlungen<br />

formulieren: Auf den Begriff «befür<strong>ch</strong>tetes Ereignis» sollte generell verzi<strong>ch</strong>tet werden. Stattdessen sollte<br />

die Begriffli<strong>ch</strong>keit gewählt werden, die im VE-<strong>VVG</strong> eingeführt wurde. Diese Begriffli<strong>ch</strong>keit zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong><br />

dur<strong>ch</strong> zwei Merkmale aus:<br />

■ Der Begriff der «versi<strong>ch</strong>erten Gefahr» wird vom zeitli<strong>ch</strong>en Zuordnungskriterium losgelöst. Dadur<strong>ch</strong> wird<br />

der Begriff der versi<strong>ch</strong>erten Gefahr konsistenter, weil si<strong>ch</strong> eine Folgegefahr ni<strong>ch</strong>t verwirkli<strong>ch</strong>en kann,<br />

wenn si<strong>ch</strong> die Primärgefahr ni<strong>ch</strong>t bereits verwirkli<strong>ch</strong>t hat.<br />

■ Der Begriff «Versi<strong>ch</strong>erungsfall» unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> vom Begriff «Verwirkli<strong>ch</strong>ung der versi<strong>ch</strong>erten Ge-<br />

fahr» dadur<strong>ch</strong>, dass zusätzli<strong>ch</strong> das zeitli<strong>ch</strong>e Zuordnungskriterium berücksi<strong>ch</strong>tigt wird. In dieser Logik kann<br />

si<strong>ch</strong> eine versi<strong>ch</strong>erten Gefahr verwirkli<strong>ch</strong>en, ohne dass dadur<strong>ch</strong> ein Versi<strong>ch</strong>erungsfall eintritt.<br />

Vor dem Hintergrund der dur<strong>ch</strong>geführten ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse können wir folgende Empfehlungen<br />

ausspre<strong>ch</strong>en:<br />

■ Art. 57 E-<strong>VVG</strong>: Die Verhinderung von Vertragsklauseln, die bei der Versi<strong>ch</strong>erung von Stufengefahren,<br />

bei wel<strong>ch</strong>en das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip gilt, Leistungsbefreiungen der VU vorsehen, wenn der<br />

S<strong>ch</strong>aden erst na<strong>ch</strong> Beendigung des VV eintritt, die Primärgefahr si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> während der Vertrags-<br />

laufzeit verwirkli<strong>ch</strong>t hat, ist aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t zu begrüssen.<br />

■ Art. 58E-<strong>VVG</strong>: Die Verhinderung von Vertragsklauseln, die Leistungsbefreiungen und Leistungsredukti-<br />

on der VU im Fall von Vertragsbeendigungen vorsehen, obwohl der Versi<strong>ch</strong>erungsfall no<strong>ch</strong> während der<br />

Vertragslaufzeit eingetreten ist, ist aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t zu begrüssen.<br />

■ Regulierung des zeitli<strong>ch</strong>en Zuordnungskriteriums: Eine generelle Eins<strong>ch</strong>ränkung der Freiheit der VU, das<br />

zeitli<strong>ch</strong>e Zuordnungskriterium frei zu definieren, ist aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert, weil<br />

dadur<strong>ch</strong> Win-Win-Verträge verhindert werden können. Bei Standard-Konsumentenversi<strong>ch</strong>erungen (Mas-<br />

senges<strong>ch</strong>äft) s<strong>ch</strong>eint das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip (Zeitpunkt der Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Primärgefahr ist<br />

für die zeitli<strong>ch</strong>e Zuordnung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags bestimmend) aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t<br />

wüns<strong>ch</strong>enswert. Eine Lösung könnte darin liegen, für diese Versi<strong>ch</strong>erungen eine halbzwingende Formulie-<br />

rung zu wählen, von wel<strong>ch</strong>er die Versi<strong>ch</strong>erer nur abwei<strong>ch</strong>en können, wenn sie na<strong>ch</strong>weisen können, dass<br />

die Abwei<strong>ch</strong>ung vom S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip im Interesse des VN war.<br />

■ Kollektive Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung: Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> können mit dem Freizügigkeitsabkom-<br />

men und Übertrittsklauseln, die für die versi<strong>ch</strong>erten Personen einen vorteilhaften Übertritt in die Einzel-<br />

taggeldversi<strong>ch</strong>erung vorsehen, kollidieren. In Zusammenhang mit dieser «Kollision» empfehlen wir fol-<br />

gende Anpassungen des E-<strong>VVG</strong>:<br />

- Das Freizügigkeitsabkommen wird für alle KTG-Versi<strong>ch</strong>erer für verbindli<strong>ch</strong> erklärt (Verhinderung<br />

von «Trittbrettfahren»)<br />

- Das Re<strong>ch</strong>t, bei Vertragsbeendigung oder beim Erlös<strong>ch</strong>en des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu den glei-<br />

<strong>ch</strong>en Bedingungen (insbesondere: keine neuen Gesundheitsvorbehalte) in die Einzeltaggeldversi-<br />

<strong>ch</strong>erung des KTG-Versi<strong>ch</strong>erer einzutreten, wird gesetzli<strong>ch</strong> verankert.<br />

- Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> kommen in der kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung nur subsidiär zur<br />

Anwendung. «Subsidiär» bedeutet dabei: Wenn das Freizügigkeitsabkommen oder eine Über-<br />

trittsklausel zur Anwendung kommt, kommen Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t zur Anwendung.<br />

Verjährung von Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag (VFV, Art. 66 E-<strong>VVG</strong>)<br />

In Zusammenhang mit Art. 66 E-<strong>VVG</strong> haben wir folgende zwei Szenarien untersu<strong>ch</strong>t:<br />

■ Regulierungsszenario: Verlängerung der Verjährungsfrist von 2 auf 5 Jahre<br />

■ Alternativszenario: Verlängerung der Verjährungsfrist von 2 auf 10 Jahre<br />

62


1 Kurzfassung<br />

Dem Nutzen der Verlängerung der Verjährungsfrist (Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten) stehen<br />

keine Kosten gegenüber. Da die meisten Vertragsforderungen erst na<strong>ch</strong> 10 Jahren verjähren, ist eine Ver-<br />

längerung der Frist auf 10 Jahre aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert.<br />

Die Analyse hat darüber hinaus ergeben, dass aus Gründen der ökonomis<strong>ch</strong>en Effizient der Fristenlauf mit<br />

dem Eintritt des Versi<strong>ch</strong>erungsfalls und ni<strong>ch</strong>t mit dem Eintritt der Fälligkeit einsetzen sollte.<br />

Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (ME, Art. 68 E-<strong>VVG</strong>)<br />

In Zusammenhang mit der Maklerents<strong>ch</strong>ädigung haben wir die folgenden drei Szenarien untersu<strong>ch</strong>t:<br />

■ Regulierungsszenario: Einführung von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG<br />

■ Alternativszenario 1: Blosse Transparenzvors<strong>ch</strong>riften ohne eigentli<strong>ch</strong>e Festlegung der Ents<strong>ch</strong>ädi-<br />

gungsmodalitäten<br />

■ Alternativszenario 2: Verbot der Leistung und Entgegennahme von volumen-, wa<strong>ch</strong>stums- und s<strong>ch</strong>a-<br />

denabhängigen Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen<br />

Die Analyse der vers<strong>ch</strong>iedenen Szenarien hat zu folgenden Ergebnissen geführt:<br />

■ Regulierungsszenario: Sollte eine politis<strong>ch</strong>e Mehrheit für das Regulierungsszenario gefunden werden,<br />

so sollte anstelle von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> die s<strong>ch</strong>ärfere Formulierung von Art. 40 Abs. 3 VE-VAG gewählt wer-<br />

den, gemäss der Ents<strong>ch</strong>ädigungen der ungebundenen VI dur<strong>ch</strong> die VU gänzli<strong>ch</strong> verboten sind. Denn die<br />

Dur<strong>ch</strong>leitung der Maklerents<strong>ch</strong>ädigung über die ungebundenen VI zu den VN (Art. 68 E-<strong>VVG</strong>) führt im<br />

Verglei<strong>ch</strong> zu Art. 40 Abs. 3 VE-VAG nur zu zusätzli<strong>ch</strong>en Transaktionskosten, wel<strong>ch</strong>en kein Nutzen gege-<br />

nübersteht.<br />

■ Alternativszenario 1: Die Transparenzvors<strong>ch</strong>rift im Sinne von Art. 45 E-VAG ist zu unspezifis<strong>ch</strong> formu-<br />

liert. In dieser Form wird sie ni<strong>ch</strong>t in der Lage sein, die gewüns<strong>ch</strong>te Transparenz der Ents<strong>ch</strong>ädigung der<br />

ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler dur<strong>ch</strong> die VU herzustellen. Die Transparenzvors<strong>ch</strong>rift gemäss Art.<br />

45 Abs. 1 ter bietet zu viele «S<strong>ch</strong>lupflö<strong>ch</strong>er». Die Information über die Broker-Ents<strong>ch</strong>ädigung ist ni<strong>ch</strong>t nur<br />

im Rahmen des 1. Kontakts wüns<strong>ch</strong>enswert. Vielmehr ist au<strong>ch</strong> ein Ausweis der Ents<strong>ch</strong>ädigungen derjeni-<br />

gen Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte wüns<strong>ch</strong>enswert, wel<strong>ch</strong>e die Broker dem VN zur Evaluation vors<strong>ch</strong>lagen, so<br />

dass der VN einen allfälligen Interessenskonflikt des Brokers konkret erkennen kann. Vor der Zei<strong>ch</strong>nung<br />

des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags dur<strong>ch</strong> den VN muss dieser zwingend von seinem Broker erfahren, wel<strong>ch</strong>e Ent-<br />

s<strong>ch</strong>ädigungen mit diesem Vertrag verbunden sind.<br />

■ Alternativszenario 2: Das Verbot der Entgegennahme von volumen- und wa<strong>ch</strong>stumsabhängigen Zu-<br />

satzents<strong>ch</strong>ädigungen (Contingent Commissions) der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker ist aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t wün-<br />

s<strong>ch</strong>enswert, weil dadur<strong>ch</strong> die Gefahr einer Verzerrung der Beratung und der Kaufempfehlungen dur<strong>ch</strong> die<br />

ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize reduziert werden kann, wel<strong>ch</strong>en die ungebundenen VI ausgesetzt sind. Das Verbot<br />

von Contingent Commission kann den Interessenskonflikt allerdings ni<strong>ch</strong>t vollständig vermeiden. Denn<br />

au<strong>ch</strong> die Bestandes-Courtage ist letztli<strong>ch</strong> ein volumenabhängiges Ents<strong>ch</strong>ädigungsinstrument. Ein Verbot<br />

der Entgegennahme von Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen, die vom S<strong>ch</strong>adensverlauf abhängen (Profit Commissi-<br />

ons), ist demgegenüber ökonomis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert, da Profit Commissions die ungebundenen VI<br />

dem ökonomis<strong>ch</strong>en Anreiz aussetzen, ihre Kunden zu Massnahmen der Risikoprävention, Risikomeidung<br />

und Risikominderung zu motivieren. Derartige Massnahmen sind aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert,<br />

weil sie die primären S<strong>ch</strong>adenskosten reduzieren.<br />

Vor dem Hintergrund der dur<strong>ch</strong>geführten ökonomis<strong>ch</strong>en, ordnungs- und wirts<strong>ch</strong>aftspolitis<strong>ch</strong>en Analyse<br />

können wir insgesamt folgende Empfehlungen formulieren:<br />

■ Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft Für den Firmenkundenmarkt empfehlen wir eine umfassende, spezifis<strong>ch</strong>er<br />

formulierte Transparenzvors<strong>ch</strong>rift bezügli<strong>ch</strong> der Ents<strong>ch</strong>ädigungen, wel<strong>ch</strong>e die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker von<br />

63


1 Kurzfassung<br />

den VU erhalten. Die Verhältnismässigkeit eines Eingriffs in die Vertragsfreiheit ist im Firmenkundenge-<br />

s<strong>ch</strong>äft im Sinne von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> (oder Art. 40 VE-VAG) unseres Era<strong>ch</strong>tens aus folgenden Gründen ni<strong>ch</strong>t<br />

gegeben:<br />

- Die empiris<strong>ch</strong>e Evidenz indiziert, dass der Reputationsme<strong>ch</strong>anismus und der Wettbewerb unter<br />

den Versi<strong>ch</strong>erungsbrokern im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft – insbesondere im Ges<strong>ch</strong>äft mit Unterneh-<br />

men mit mehr als rund 10 Bes<strong>ch</strong>äftigten – spielen.<br />

- Es gibt keine empiris<strong>ch</strong>e Evidenz, dass der Interessenskonflikt, dem die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker aus-<br />

gesetzt sind, deren Beratung und die Kaufempfehlungen verzerren und so die Wohlfahrt der Un-<br />

ternehmenskunden negativ tangieren.<br />

- Die Firmenkunden haben bereits unter dem geltenden <strong>VVG</strong> die Mögli<strong>ch</strong>keit, ihren Broker auf Ho-<br />

norarbasis zu ents<strong>ch</strong>ädigen – was sie zum Teil au<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en.<br />

- Die Firmenkunden (exkl. das Segment der Kleinstunternehmen) sind ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>utzbedürftig.<br />

■ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Die Auswirkungen von Art. 45 Abs. 1 ter und Art. 68 E-<strong>VVG</strong> im Privatkundenge-<br />

s<strong>ch</strong>äft werden bes<strong>ch</strong>eiden ausfallen, da der Maklerkanal im B2C-Markt verglei<strong>ch</strong>sweise s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> ist. Aus<br />

diesem Grund empfehlen wir, die Transparenzvors<strong>ch</strong>rift (Alternativszenario 1) auf die gebundenen VI<br />

auszudehnen. Au<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungsagenten, Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und VI der Strukturbetriebe sollten ver-<br />

pfli<strong>ch</strong>tet werden, ihre ökonomis<strong>ch</strong>e Interessensbindung offen zu legen – aus folgenden Gründen:<br />

- Ni<strong>ch</strong>t nur die ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsmakler, sondern au<strong>ch</strong> die gebundenen VI sind im<br />

Rahmen ihres Ents<strong>ch</strong>ädigungsmodells einem Interessenskonflikt ausgesetzt.<br />

- Beim grössten Teil der opportunistis<strong>ch</strong>en VI handelt es si<strong>ch</strong> erwiesenermassen ni<strong>ch</strong>t um ungebun-<br />

dene, sondern um gebundene VI.<br />

- Die Ausdehnung der Transparenzvors<strong>ch</strong>rift auf gebunden VI ist aus einer normativ-ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

Perspektive gere<strong>ch</strong>tfertigt, weil ni<strong>ch</strong>t nur die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en dem VN und dem ungebunde-<br />

nen VI, sondern au<strong>ch</strong> die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en dem VN und dem gebundenen VI eine Vertrauens-<br />

beziehung ist – dabei handelt es si<strong>ch</strong> um einen Anspru<strong>ch</strong> der gebundenen VI selbst, weshalb sie<br />

si<strong>ch</strong> als Versi<strong>ch</strong>erungsberater und ni<strong>ch</strong>t als Versi<strong>ch</strong>erungsverkäufer bezei<strong>ch</strong>nen.<br />

Für das Privatkundenges<strong>ch</strong>äft empfehlen wir darüber hinaus ein Verbot der Entgegennahme von Ents<strong>ch</strong>ä-<br />

digungen der VU dur<strong>ch</strong> die ungebundenen VI im Sinne von Art. 40 Abs. 3 VE-VAG, da wir von einem<br />

Netquote-Markt im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft positive Auswirkungen auf die ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt erwar-<br />

ten. Wenn man si<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en einer Transparenzvors<strong>ch</strong>rift, die au<strong>ch</strong> die gebundenen VI erfasst, und einem<br />

Verbot der Maklerents<strong>ch</strong>ädigung ents<strong>ch</strong>eiden muss, ist aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t eine auf die gebundenen<br />

VI ausgedehnte Transparenzvors<strong>ch</strong>rift vorzuziehen – diese ökonomis<strong>ch</strong>e Präferenz ergibt si<strong>ch</strong> aus der rela-<br />

tiv geringen Bedeutung des Maklerkanals im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft.<br />

Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (Art. 73 E-<strong>VVG</strong>)<br />

In Zusammenhang mit Art. 73 E-<strong>VVG</strong> haben wir die folgenden zwei Szenarien untersu<strong>ch</strong>t:<br />

■ Regulierungsszenario: Einführung von Art. 73 E-<strong>VVG</strong><br />

■ Alternativszenario: Verbot von Gesundheitsprüfungen in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung<br />

Die Analyse des Alternativszenario, das ein Verbot von Gesundheitsprüfungen vorsieht, ist negativ aus-<br />

gefallen: Es muss davon ausgegangen werden, dass das Verbot von Gesundheitsprüfungen in der kollekti-<br />

ven Krankenttaggeldversi<strong>ch</strong>erung mit einer substantiellen Reduktion der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken<br />

verbunden wäre. Aufgrund der adversen Selektion, die bei einem sol<strong>ch</strong>en Verbot wirksam werden würde,<br />

kann sogar ein vollständiger Marktzusammenbru<strong>ch</strong> im Kundensegment der Kleinstunternehmen ni<strong>ch</strong>t<br />

ausges<strong>ch</strong>lossen werden.<br />

64


1 Kurzfassung<br />

Vor dem Hintergrund der dur<strong>ch</strong>geführten Analysen können wir weder das Regulierungsszenario no<strong>ch</strong> das<br />

Alternativszenario zur Umsetzung empfehlen.<br />

Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

In Zusammenhang mit Art. 91 E-<strong>VVG</strong> haben wir die folgenden drei Szenarien untersu<strong>ch</strong>t<br />

■ Regulierungsszenario: Einführung eines direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t unter Vorbehalt der Einreden und<br />

Einwendungen, wel<strong>ch</strong>e die VU den Ges<strong>ch</strong>ädigten aus dem Gesetz oder aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag<br />

entgegen halten können (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>).<br />

■ Alternativszenario 1: Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t mit einer Mindestdeckung und einem allgemeinen<br />

Einredeauss<strong>ch</strong>luss<br />

■ Alternativszenario 2: Einführung eines Versi<strong>ch</strong>erungsobligatoriums und eines Pfli<strong>ch</strong>tgesetzes im Be-<br />

rei<strong>ch</strong> der Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Die Analyse des Alternativszenario 1 hat gezeigt, dass ein direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t mit einer Mindest-<br />

deckung und mit einem allgemeinen Einredeauss<strong>ch</strong>luss mit den Zielen einer freiwilligen Haftpfli<strong>ch</strong>tversi-<br />

<strong>ch</strong>erung ni<strong>ch</strong>t konsistent und damit ni<strong>ch</strong>t zweckmässig ist.<br />

Der Einführung eines Versi<strong>ch</strong>erungsobligatoriums bei Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen (Alternativszenario 2)<br />

muss eine empiris<strong>ch</strong>e Quantifizierung des S<strong>ch</strong>adenvolumens vorausgehen. Nur eine sol<strong>ch</strong>e Analyse kann<br />

Auss<strong>ch</strong>luss darüber geben, ob Marktunvollkommenheiten (externe negative Effekte, zu hohe Gegen-<br />

wartspräferenz der Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte und/oder bes<strong>ch</strong>ränkte Rationalität im Umgang mit Risiken) vor-<br />

handen sind und ob ein Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium in der Lage ist, im Verglei<strong>ch</strong> zum Markt der freiwilli-<br />

gen Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen eine superiore Allokation der Risiken zu bewerkstelligen. Dabei sollten au<strong>ch</strong><br />

die vers<strong>ch</strong>iedenen Kosten untersu<strong>ch</strong>t werden, die resultieren, wenn ein Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium einge-<br />

führt wird. Im Rahmen der vorliegenden <strong>RFA</strong> konnte eine sol<strong>ch</strong>e Untersu<strong>ch</strong>ung ni<strong>ch</strong>t vorgenommen wer-<br />

den.<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse des Regulierungsszenario hat ergeben, dass die VN im Rahmen der vorver-<br />

tragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten der VU darüber informiert werden sollten, dass sie mit Art. 91 Abs. 2 E-<br />

<strong>VVG</strong> gesetzli<strong>ch</strong> verpfli<strong>ch</strong>tet sind, im Haftpfli<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>adensfall der ges<strong>ch</strong>ädigten Person Auskunft über ihren<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz zu gewähren.<br />

1.6 Zweckmässigkeit im Vollzug<br />

Unter dem Begriff «Vollzug» wird übli<strong>ch</strong>erweise die Umsetzung gesetzli<strong>ch</strong>er Vors<strong>ch</strong>riften dur<strong>ch</strong> die Voll-<br />

zugsorgane des Staates (Bundesverwaltung, Geri<strong>ch</strong>te etc.) verstanden. Da der Staat in Zusammenhang mit<br />

dem <strong>VVG</strong> fast keine Aufgaben hat, die über die Si<strong>ch</strong>erstellung der Dur<strong>ch</strong>setzbarkeit von Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

trägen hinausrei<strong>ch</strong>en, sind von der Totalrevision des <strong>VVG</strong> in erster Linie die Geri<strong>ch</strong>te betroffen.<br />

Im Folgenden gehen wir von einem «Vollzugs-Begriff» aus, der si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur auf den Vollzug des <strong>VVG</strong><br />

dur<strong>ch</strong> staatli<strong>ch</strong>e Organe, sondern au<strong>ch</strong> auf die konkrete Umsetzung dur<strong>ch</strong> privatwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Akteure,<br />

insbesondere dur<strong>ch</strong> die VU, bezieht.<br />

Die Revision ist hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Zweckmässigkeit im Vollzug bezügli<strong>ch</strong> folgender Problemstellungen kri-<br />

tis<strong>ch</strong> zu bewerten:<br />

■ Ungenaue Formulierungen und Begriffe führen zu Interpretationsspielräumen: An vielen Stel-<br />

len sind den Formulierungen des Entwurfs substantielle Interpretationsspielräume und Unklarheiten inhä-<br />

rent, die zu Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheiten und damit zu Transaktionskosten führen dürften. Besonders hervorzu-<br />

heben sind:<br />

65


1 Kurzfassung<br />

- Folgende Begriffe sollten in einem Abs<strong>ch</strong>nitt «Definitionen» definiert werden: Ungebundener<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, gebundener Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, Versi<strong>ch</strong>erungsmakler, Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsbroker, Versi<strong>ch</strong>erungsagent, Versi<strong>ch</strong>erungsfall, Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Gefahr, S<strong>ch</strong>adensereig-<br />

nis, S<strong>ch</strong>adenseintritt. Darüber hinaus sollte definiert werden, was unter dem Zeitpunkt des Ver-<br />

tragss<strong>ch</strong>lusses, der Vertragsänderung, der Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Gefahr, des Eintritts des Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsfalls und des befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses verstanden wird.<br />

- Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> sollten neu ausformuliert werden. Die Vernehmlassung hat gezeigt, dass<br />

die beiden Artikel ni<strong>ch</strong>t adäquat interpretiert werden. Wir s<strong>ch</strong>lagen eine Begriffli<strong>ch</strong>keit vor, die<br />

si<strong>ch</strong> an derjenigen von Art. 46 und 47 VE-<strong>VVG</strong> orientiert.<br />

- Art. 18-20 E-<strong>VVG</strong> müssen neu formuliert werden. Die Interpretationsspielräume und Ungenauig-<br />

keiten haben wir im Rahmen der juristis<strong>ch</strong>en Analyse im Detail herausgearbeitet.<br />

Wir empfehlen, ni<strong>ch</strong>t nur die Artikelgruppen, die wir im Rahmen der <strong>RFA</strong> untersu<strong>ch</strong>t haben, sondern den<br />

gesamten Entwurf no<strong>ch</strong>mals spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> und begriffli<strong>ch</strong> zu dur<strong>ch</strong>leu<strong>ch</strong>ten und zu optimieren.<br />

■ Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> der Kosten für Risikos<strong>ch</strong>utz, Vertragabs<strong>ch</strong>luss und –verwaltung<br />

bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen: Es stellt si<strong>ch</strong> die Frage, wie gewährleistet werden kann, dass die In-<br />

formationspfli<strong>ch</strong>t im Sinne von Art. 12 Abs. 2 lit. b ni<strong>ch</strong>t zu einem Marketinginstrument der VU wird.<br />

Denn es gibt unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Mögli<strong>ch</strong>keiten, die verlangten Kosten zu bere<strong>ch</strong>nen – insbesondere in Zu-<br />

sammenhang mit der Umlegung von Overhead-Kosten. Wir empfehlen, eine Bere<strong>ch</strong>nungsmethodik im<br />

Rahmen einer Verordnung vorzugeben, so dass die Verglei<strong>ch</strong>barkeit der Angaben der VU si<strong>ch</strong>ergestellt ist.<br />

■ Prämienanpassungsklausel PAK (Art. 49 E-<strong>VVG</strong>): Ein VN kann bei einer Prämienerhöhung auf der<br />

Basis einer PAK ni<strong>ch</strong>t erkennen, ob das VU die Notwendigkeit der Prämienerhöhung selbst vers<strong>ch</strong>uldet hat<br />

oder ob diese auf eine Veränderung exogener Faktoren zurückzuführen ist. Dies kann nur die FINMA,<br />

weshalb die Prämienanpassungsklausel besser im VAG aufgehoben wäre.<br />

■ Ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende Formulierung der Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte (Art. 12 Abs.<br />

1 E-<strong>VVG</strong>): Eine ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende Formulierung der Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte kann zu<br />

Umsetzungsproblemen führen, wenn vers<strong>ch</strong>iedene Geri<strong>ch</strong>te die Verpfli<strong>ch</strong>tung der VU, über einen be-<br />

stimmten Vertragsinhalt zu informieren, unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> bewerten (Problem widersprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Geri<strong>ch</strong>tsur-<br />

teile).<br />

66


2 Einleitung<br />

Teil I: Grundlagen<br />

2 Einleitung<br />

Am 11. Februar 2003 beauftragte das damals no<strong>ch</strong> zuständige Eidgenössis<strong>ch</strong>e Justiz- und Polizeideparte-<br />

ment (EJPD) eine wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> ausgeri<strong>ch</strong>tete Expertenkommission unter der Leitung von Prof. Dr. An-<br />

ton K. S<strong>ch</strong>nyder der Universität Züri<strong>ch</strong> mit der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs (VE-<strong>VVG</strong>) samt erläu-<br />

terndem Beri<strong>ch</strong>t für eine Totalrevision des Bundesgesetzes über den Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag (<strong>VVG</strong>). Das<br />

geltende <strong>VVG</strong> datiert aus dem Jahr 1908. Im Juli 2006 s<strong>ch</strong>loss die Expertenkommission ihre Arbeit ab und<br />

übergab den Gesetzesentwurf dem mittlerweile zuständigen Eidgenössis<strong>ch</strong>en Finanzdepartment (EFD).<br />

Der Bundesrat beauftragte das Bundesamt für Privatversi<strong>ch</strong>erung (BPV) in der Folge mit der Ausarbeitung<br />

einer auf dem Expertenentwurf basierenden Vernehmlassungsvorlage (E-<strong>VVG</strong>). Die Vernehmlassung fand<br />

daraufhin zwis<strong>ch</strong>en Januar und Juli 2009 statt. In der Vernehmlassung wurde u.a. kritisiert, dass die wirt-<br />

s<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Folgen der Regulierung des Versi<strong>ch</strong>erungsmarktes im Rahmen der <strong>VVG</strong>-Totalrevision ni<strong>ch</strong>t in<br />

genügender Art und Weise analysiert wurden.<br />

Vor diesem Hintergrund haben si<strong>ch</strong> das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen SIF und das<br />

Staatssekretariat für Wirts<strong>ch</strong>aft SECO ents<strong>ch</strong>ieden, eine vertiefte Regulierungsfolgenabs<strong>ch</strong>ätzung (<strong>RFA</strong>)<br />

bezügli<strong>ch</strong> der Totalrevision des <strong>VVG</strong> im Rahmen eines verwaltungsexternen Auftrages dur<strong>ch</strong>zuführen.<br />

2.1 Gegenstand der <strong>RFA</strong><br />

Das Studienmandat, wel<strong>ch</strong>es das SIF und das SECO dem Büro für arbeits- und sozialpolitis<strong>ch</strong>e Studien<br />

(BASS) erteilt haben, umfasst die 12 Massnahmengruppen und damit die wesentli<strong>ch</strong>en geplanten<br />

Veränderungen, die in Tabelle 7 dargestellt sind.<br />

2.2 Ziele der <strong>RFA</strong><br />

Die <strong>RFA</strong> zur Totalrevision des <strong>VVG</strong> verfolgt zwei Ziele:<br />

■ Transparente Darstellung der Auswirkungen der Revision in der Gesells<strong>ch</strong>aft und in der Wirts<strong>ch</strong>aft.<br />

■ Analyse von Regulierungsalternativen und Identifikation eines allfälligen Optimierungspotentials.<br />

2.3 Fragestellungen der <strong>RFA</strong><br />

Im Zentrum der <strong>RFA</strong> steht die Analyse der Auswirkungen der Revision auf die betroffenen gesells<strong>ch</strong>aft-<br />

li<strong>ch</strong>en und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Gruppen und auf die Gesamtwirts<strong>ch</strong>aft.<br />

Die Totalrevision ist bezügli<strong>ch</strong> der folgenden fünf Prüfpunkten zu analysieren und zu bewerten:<br />

■ Notwendigkeit und Mögli<strong>ch</strong>keit staatli<strong>ch</strong>en Handelns<br />

■ Auswirkungen auf die einzelnen gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Gruppen<br />

■ Auswirkungen auf die Gesamtwirts<strong>ch</strong>aft<br />

■ Alternative Regelungen<br />

■ Zweckmässigkeit im Vollzug.<br />

67


2 Einleitung<br />

Tabelle 7: Gegenstand der <strong>RFA</strong>: Die 12 Massnahmengruppen und die wi<strong>ch</strong>tigsten geplanten Änderungen<br />

Widerrufsre<strong>ch</strong>t (WRR, Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Einführung eines Widerrufsre<strong>ch</strong>ts, das die VN während 14 Tagen na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss geltend<br />

ma<strong>ch</strong>en können<br />

Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (IPV, Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Erweiterung der Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte<br />

■ Ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende Formulierung der Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte<br />

Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (APV, Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist bezügli<strong>ch</strong> der Re<strong>ch</strong>tsfolgen von APV<br />

■ Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis bezügli<strong>ch</strong> der Leistungsbefreiung der VU<br />

infolge APV<br />

■ Einführung einer Kausalität mit Teilung der S<strong>ch</strong>adenssumme bei APV<br />

■ Einführung eines rückwirkenden Anspru<strong>ch</strong>s des VU auf die erhöhte Prämie bei APV<br />

S<strong>ch</strong>adenabwendung und -minderung (SAM, Art. 34/41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t auf unmittelbar drohende S<strong>ch</strong>adenereignisse<br />

■ Begrenzung der Übernahme von S<strong>ch</strong>adenminderungskosten dur<strong>ch</strong> das VU<br />

■ Übernahme der Kosten von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren dur<strong>ch</strong> die VU<br />

Prämienanpassungsklausel (PAK, Art. 49 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Verbot von Prämienerhöhungen mittels PAK, wenn ein VU die Prämienerhöhung selbst<br />

vers<strong>ch</strong>uldet hat<br />

Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (KdV, Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Einführung eines ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>ts, das die VN spätestens 3 Jahre na<strong>ch</strong><br />

Vertragss<strong>ch</strong>luss zum ersten Mal geltend ma<strong>ch</strong>en können<br />

Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (NhV, Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Verbot von Deckungsauss<strong>ch</strong>lüssen und Leistungsreduktionen der VU im Fall von<br />

Vertragsbeendigungen, wenn das befür<strong>ch</strong>tete Ereignis no<strong>ch</strong> während der Vertragslaufzeit<br />

eingetreten ist<br />

Verjährung von Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag (VFV, Art. 66 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Verlängerung der Verjährungsfrist bei Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag von 2 auf 5<br />

Jahre<br />

■ Veränderter Beginn des Fristenlaufes: Eintritt des Versi<strong>ch</strong>erungsfalls ? Eintritt der Fälligkeit<br />

Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (ME, Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG):<br />

■ Einführung einer Pfli<strong>ch</strong>t der ungebundenen VI, die VN über die Art, Höhe und Bere<strong>ch</strong>nung der<br />

Maklerents<strong>ch</strong>ädigung dur<strong>ch</strong> die VU zu informieren<br />

■ Einführung einer Pfli<strong>ch</strong>t der ungebundenen VI, den VN die von den VU erhaltenen<br />

Maklerents<strong>ch</strong>ädigungen - allenfalls na<strong>ch</strong> Abzug der eigenen Aufwendungen - weiterzugeben<br />

Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (GKV, Art. 73 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Einführung der Mögli<strong>ch</strong>keit des Arbeitnehmers, dem VU zu untersagen, den Arbeitgeber über<br />

einen Gesundheitsvorbehalt zu informieren, der im Rahmen einer Gesundheitsprüfung<br />

angebra<strong>ch</strong>t wurde<br />

Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (DFR, Art. 91 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Einführung eines Re<strong>ch</strong>ts der ges<strong>ch</strong>ädigten Person, von der haftpfli<strong>ch</strong>tigen Person Auskunft über<br />

deren Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz zu verlangen<br />

■ Einführung eines direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t der ges<strong>ch</strong>ädigten Person gegenüber dem<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer des S<strong>ch</strong>ädigers<br />

S<strong>ch</strong>adenregulierung (SR, Art. 91 E-<strong>VVG</strong>):<br />

■ Verpfli<strong>ch</strong>tung der Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer, innerhalb von 3 Monaten na<strong>ch</strong> Anmeldung einer<br />

Ents<strong>ch</strong>ädigungsforderung s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> Stellung zu beziehen.<br />

Quelle: <strong>VVG</strong>, E-<strong>VVG</strong>, juristis<strong>ch</strong>e Analyse, eigene Darstellung<br />

68


2 Einleitung<br />

2.4 Textaufbau<br />

Teil I: Grundlagen<br />

In diesem Teil werden die ökonomis<strong>ch</strong>en Grundlagen aufgearbeitet, die es in Zusammenhang mit dem<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt zu berücksi<strong>ch</strong>tigen gilt und ohne die ein Verständnis der ökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkun-<br />

gen der Revision ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong> ist:<br />

■ In Kapitel 3 (Wirkungsmodell, Vorgehen, Methodik) werden das Wirkungsmodell und die metho-<br />

dis<strong>ch</strong>e Problemstellung, die der vorliegenden <strong>RFA</strong> zugrunde liegen, vorgestellt. Darüber hinaus wird auf-<br />

gezeigt, wie wir im Rahmen der <strong>RFA</strong> vorgegangen sind und wel<strong>ch</strong>e sozialwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Methoden im<br />

Rahmen dieses Vorgehens eingesetzt wurden.<br />

■ Kapitel 4 (Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik) gibt einen Überblick über die wi<strong>ch</strong>tigsten ökonomis<strong>ch</strong>en Kon-<br />

zepte, die im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt besonders relevant sind. Dabei werden insbesondere Wesen und Aus-<br />

wirkungen von Marktunvollkommenheiten untersu<strong>ch</strong>t, die im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt auftreten können (Ab-<br />

s<strong>ch</strong>nitt 4.6).<br />

■ In Kapitel 4.7 (Die ökonomis<strong>ch</strong>e Funktion des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes) legen wir dar,<br />

wel<strong>ch</strong>e ökonomis<strong>ch</strong>e Funktion das Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetz hat und wel<strong>ch</strong>e Aufgaben dieses wahr-<br />

nehmen kann und muss.<br />

■ In Kapitel 5 (Marktanalyse) wird der S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt, seine Funktionsweise und Orga-<br />

nisation à fonds analysiert und mittels empiris<strong>ch</strong>er Informationen und Daten qualifiziert und quantifiziert.<br />

Ein besonderes Augenmerk wird dabei den vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanälen (Abs<strong>ch</strong>nitt 5.6) und der Frage<br />

gewidmet, inwiefern im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt ein Konsumentens<strong>ch</strong>utzbedarf besteht (Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

5.7).<br />

Teil II: Analyse der einzelnen Veränderungen<br />

In Teil II werden die ökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkungen der 12 Artikelgruppen, die wir im Rahmen der vorlie-<br />

genden <strong>RFA</strong> untersu<strong>ch</strong>t haben, dargestellt (Kapitel 6 bis und mit Kapitel 17). Dabei werden au<strong>ch</strong> alter-<br />

native Regulierungsmögli<strong>ch</strong>keiten (Alternativszenarien) analysiert und ökonomis<strong>ch</strong> bewertet.<br />

2.5 Begriffe, Abkürzungen, Spra<strong>ch</strong>regelung<br />

Bei der Analyse der ökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkungen werden wir eine Vielzahl von Fa<strong>ch</strong>begriffen aus der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik (Risikoaversion, Si<strong>ch</strong>erheitsprämie, faire Prämie, Zillmerung etc.), der Informati-<br />

onsökonomik (ex ante Opportunismus, Moral Hazard, asymmetris<strong>ch</strong>e Informationen etc.) und der Wohl-<br />

fahrtsökonomik (Konsumentenrente, Produzentenrente, Pareto-Effizienz etc.) verwenden. Diese Begriffe<br />

und die ökonomis<strong>ch</strong>en Konzepte, die sie bezei<strong>ch</strong>nen, werden im Kapitel 4 (Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik) defi-<br />

niert, erläutert und anhand von Beispiel konkretisiert. Im alphabetis<strong>ch</strong> sortierten Glossar, das dem vorlie-<br />

genden Beri<strong>ch</strong>t vorangestellt ist, sind die wi<strong>ch</strong>tigsten Begriffe und Konzepte kurz definiert.<br />

Im Zentrum der Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft stehen die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen, die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer<br />

und die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, weshalb diese Begriffe im na<strong>ch</strong>folgenden Text sehr häufig verwendet<br />

werden. Die folgenden zwei Massnahmen zielen darauf ab, den Lesefluss zu verbessern:<br />

■ Wir verwenden die Abkürzungen VU (Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen), VN (Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer) und VI<br />

(Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler) und VV (Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag). Für die restli<strong>ch</strong>en Abkürzungen verweisen wir<br />

auf das Abkürzungsverzei<strong>ch</strong>nis, das dem vorliegenden Beri<strong>ch</strong>t vorangestellt ist.<br />

■ Wir verzi<strong>ch</strong>ten auf eine ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terneutrale Formulierung, da eine sol<strong>ch</strong>e das Verständnis des Tex-<br />

tes, der bereits inhaltli<strong>ch</strong> anspru<strong>ch</strong>svoll ist, negativ beeinträ<strong>ch</strong>tigen würde. Wir werden deshalb nur die<br />

männli<strong>ch</strong>e Form verwenden.<br />

69


3 Wirkungsmodell, Vorgehen, Methodik<br />

3 Wirkungsmodell, Vorgehen, Methodik<br />

3.1 Das Wirkungsmodell, das der <strong>RFA</strong> zugrunde liegt<br />

3.1.1 Das Wirkungsmodell im Überblick<br />

Die <strong>RFA</strong> zur Totalrevision des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes versu<strong>ch</strong>t zu prognostizieren, wel<strong>ch</strong>e Verände-<br />

rungen bestimmter Zielgrössen (Konsumentenrenten, Produzentenrenten, Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsde-<br />

ckung, Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken etc.) eintreten werden, wenn die Re<strong>ch</strong>tsordnung dahingehend<br />

ändert, dass das geltende <strong>VVG</strong> vom E-<strong>VVG</strong> abgelöst wird.<br />

Da der <strong>RFA</strong> zugrunde liegende Wirkungsmodell kann anhand von Abbildung 2 expliziert werden:<br />

■ Veränderung der Re<strong>ch</strong>tsordnung: Die Re<strong>ch</strong>tsordnung unter dem geltenden <strong>VVG</strong> nennen wir Refe-<br />

renzszenario. Die (hypothetis<strong>ch</strong>e) Re<strong>ch</strong>tsordnung unter dem E-<strong>VVG</strong> hingegen Regulierungsszenario. Die<br />

Re<strong>ch</strong>tsordnung unter dem E-<strong>VVG</strong> ist ni<strong>ch</strong>t mit der Re<strong>ch</strong>tsordnung unter dem geltenden <strong>VVG</strong> identis<strong>ch</strong>.<br />

Die Unters<strong>ch</strong>iede der beiden Re<strong>ch</strong>tsordnungen nennen wir «juristis<strong>ch</strong>es Delta», das wir mit dem Zei<strong>ch</strong>en<br />

«∆» symbolisieren: Das juristis<strong>ch</strong>e Delta besteht aus der Menge der Veränderungen in der Re<strong>ch</strong>tsordnung,<br />

die si<strong>ch</strong> ergeben würden, wenn der E-<strong>VVG</strong> das geltende <strong>VVG</strong> ablösen würde. Bei der Identifikation des<br />

juristis<strong>ch</strong>en Deltas wurden wir von Dr. Carron von Wenger Plattner Re<strong>ch</strong>tsanwälte unterstützt. Darüber<br />

hinaus haben wir Experteninterviews mit einer Vielzahl von Juristen geführt, die mit dem geltenden <strong>VVG</strong><br />

und mit dem E-<strong>VVG</strong> vertraut sind (vgl. Tabelle 9). Es können drei Arten von Veränderungen in der Re<strong>ch</strong>ts-<br />

ordnung differenziert werden:<br />

1. Veränderte Transparenzvors<strong>ch</strong>riften<br />

2. Veränderte Verhaltensvors<strong>ch</strong>riften<br />

3. Veränderte Vors<strong>ch</strong>riften zu den Eigens<strong>ch</strong>aften, die ein Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag aufweisen darf.<br />

■ Veränderung des Verhaltens der Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte: Die Veränderung der Re<strong>ch</strong>tsordnung führt<br />

in einem ersten S<strong>ch</strong>ritt zu folgenden drei Auswirkungen:<br />

1. Veränderung der Allokation der Vertragsrisiken<br />

2. Veränderung der Allokation der S<strong>ch</strong>adensrisiken<br />

3. Veränderung der ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize, wel<strong>ch</strong>en die Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte, insbesondere die<br />

VN, VI und VU, ausgesetzt sind.<br />

Die veränderte Allokation der Vertrags- und S<strong>ch</strong>adensrisiken sowie die veränderten ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize<br />

der Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte führen in einem zweiten S<strong>ch</strong>ritt dazu, dass die betroffenen Marktakteure ihr Ver-<br />

halten ändern.<br />

■ Veränderung des Marktergebnisses: Die Verhaltensänderungen der Marktakteure führen dazu, dass<br />

si<strong>ch</strong> das Marktergebnis verändert.<br />

70


3 Wirkungsmodell, Vorgehen, Methodik<br />

Abbildung 2: Das Wirkungsmodell, das der <strong>RFA</strong> zugrunde liegt.<br />

Revidiertes <strong>VVG</strong><br />

Regulierungsszenario<br />

Entwurf vom 21. Januar 2009<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

Juristis<strong>ch</strong>e Analyse:<br />

Identifikation der Veränderungen<br />

in der Re<strong>ch</strong>tsordnung<br />

Geltendes <strong>VVG</strong><br />

Referenzszenario<br />

SR 221.229.1<br />

Veränderungen auf der<br />

makroökonomis<strong>ch</strong>en Ebene<br />

Zielgrössen: Primäre, sekundäre und tertiäre<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten, Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken,<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung etc.<br />

Veränderungen in der<br />

Re<strong>ch</strong>tsordnung<br />

unter Berücksi<strong>ch</strong>tigung der<br />

Vollzugspraxis<br />

Juristis<strong>ch</strong>es Delta (∆)<br />

Veränderung der<br />

ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize<br />

der Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

Verändertes Verhalten<br />

der Wirts<strong>ch</strong>aftsubjekte<br />

Veränderungen der<br />

gesamtwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Wohlfahrt<br />

Zielgrössen: Konsumenten- und Produzentenrenten<br />

Veränderte Transparenzvors<strong>ch</strong>riften<br />

Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>ten (IPV, Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten (APV, Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (ME, Art. 45 E-VAG)<br />

Veränderte Verhaltensvors<strong>ch</strong>riften<br />

S<strong>ch</strong>adenabwendung und -minderung (SAM, Art. 34/41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (ME, Art. 68 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (GKV, Art. 73 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t (DFR, Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

S<strong>ch</strong>adenregulierung (SR, Art. 94 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Veränderte Vors<strong>ch</strong>riften zum Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag<br />

Widerrufsre<strong>ch</strong>t (WRR, Art.7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Prämienanpassungsklausel (PAK, Art. 49 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Kündigungsre<strong>ch</strong>te (KdV, Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (NhV, Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Verjährung von Forderungen aus dem VV (VFV, Art. 66 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Veränderungen auf der<br />

mikroökonomis<strong>ch</strong>en Ebene<br />

Zielgrössen: Nutzenoptimalität der Kaufents<strong>ch</strong>eide,<br />

Moral Hazard, ex ante Opportunismus, ex post<br />

Opportunismus, Beratungsqualität etc.<br />

Veränderung der:<br />

Allokation der Vertragsrisiken<br />

Allokation der S<strong>ch</strong>adensrisiken<br />

Die Veränderung des Marktergebnisses determiniert letztli<strong>ch</strong> die Veränderung der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohl-<br />

fahrt. Aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t müsste eigentli<strong>ch</strong> nur untersu<strong>ch</strong>t werden, wie si<strong>ch</strong> die geplante<br />

Totalrevision auf die Summe der Konsumenten- und Produzentenrenten auswirkt: Falls diese Summe un-<br />

ter dem E-<strong>VVG</strong> grösser ist als unter dem geltenden <strong>VVG</strong>, ist die Revision aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t zu be-<br />

grüssen. Leider ist eine direkte Abs<strong>ch</strong>ätzung der Auswirkungen auf die gesamtwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Wohlfahrt<br />

ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, eine Quantifizierung fast ausges<strong>ch</strong>lossen. Aus diesem Grund werden wir au<strong>ch</strong> untersu<strong>ch</strong>en,<br />

wie si<strong>ch</strong> die Revision auf andere mikroökonomis<strong>ch</strong>e und makroökonomis<strong>ch</strong>e Zielgrössen auswirkt.<br />

Die Kenntnis der Auswirkungen auf Zielgrössen, die der Konsumenten- und Produzentenrente vorgelagert<br />

sind, ist damit ni<strong>ch</strong>t wertlos: Denn von allen relevanten Zielgrössen ist bekannt, wie sie si<strong>ch</strong> auf die Kon-<br />

sumenten- und Produzentenrenten auswirken. Beispiel: Informationsdefizite eines VN bezügli<strong>ch</strong> bestimm-<br />

ter Vertragseigens<strong>ch</strong>aften können dazu führen, dass dieser einen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zei<strong>ch</strong>net, der für<br />

ihn unvorteilhaft ist. Insofern ist bekannt, dass der Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en den Informationsdefiziten<br />

eines VN und seiner Konsumentenrente negativ ist: Je grösser und umfassender seine Informationsdefizite<br />

sind, desto tiefer ist ceteris paribus die Konsumentenrente, die er mit einer Vertragszei<strong>ch</strong>nung realisieren<br />

kann. Im na<strong>ch</strong>folgenden Abs<strong>ch</strong>nitt erläutern wir die vers<strong>ch</strong>iedenen Zielgrössen, anhand wel<strong>ch</strong>er wir die<br />

Auswirkungen der geplanten <strong>VVG</strong>-Totalrevision analysieren und bewerten werden. Dabei wird au<strong>ch</strong> the-<br />

71


3 Wirkungsmodell, Vorgehen, Methodik<br />

matisiert, wie diese Zielgrössen zusammenhängen und in wel<strong>ch</strong>em Zusammenhang sie zur ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

Wohlfahrt stehen.<br />

3.1.2 Die untersu<strong>ch</strong>ten ökonomis<strong>ch</strong>en Zielgrössen<br />

In Tabelle 8 sind die Zielgrössen, anhand wel<strong>ch</strong>er wir die 12 geplanten Massnahmen untersu<strong>ch</strong>en und<br />

ökonomis<strong>ch</strong> bewerten werden, im Überblick dargestellt.<br />

Die vers<strong>ch</strong>iedenen Zielgrössen sind ni<strong>ch</strong>t unabhängig voneinander. Vielmehr bestehen zwis<strong>ch</strong>en ihnen<br />

vers<strong>ch</strong>iedenste Wirkungszusammenhänge, die wir an dieser Stelle ni<strong>ch</strong>t umfassend explizieren können.<br />

Na<strong>ch</strong> der Lektüre von Kapitel 4 wird der Leser allerdings profunde Kenntnisse der Zusammenhänge ha-<br />

ben, die es aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t zu berücksi<strong>ch</strong>tigen gilt. Einige der wi<strong>ch</strong>tigsten Kausalzusammenhänge<br />

der Zielgrössen, die in Tabelle 8 summaris<strong>ch</strong> aufgeführt und knapp erläutert sind, mö<strong>ch</strong>ten wir kurz vor-<br />

stellen:<br />

Die Ursa<strong>ch</strong>en und Auswirkungen einer Veränderung der S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Eine Erhöhung der S<strong>ch</strong>adenskosten 34 führt zu folgenden Auswirkungen auf die ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt:<br />

■ Erhöhung der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten → Reduktion der Wohlfahrt derjenigen, die den S<strong>ch</strong>aden<br />

letztli<strong>ch</strong> tragen müssen (Ges<strong>ch</strong>ädigte und ihre Angehörigen, Staat).<br />

■ Erhöhung der primären S<strong>ch</strong>adenskosten → Erhöhung der S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU → Erhöhung der<br />

Prämien → Reduktion der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt.<br />

■ Erhöhung der Transaktionskosten → Erhöhung des Preises der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung → Erhöhung der<br />

Prämien → Reduktion der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt.<br />

Eine Erhöhung der S<strong>ch</strong>adenskosten kann folgende Ursa<strong>ch</strong>en haben:<br />

■ Erhöhung der primären S<strong>ch</strong>adenskosten: Die primären S<strong>ch</strong>adenskosten steigen, wenn weniger Mass-<br />

nahmen der Risikomeidung, -prävention und -minderung ergriffen werden. Eine Reduktion der Massnah-<br />

men der Risikomeidung, -prävention und -minderung kann u.a. die folgenden zwei Ursa<strong>ch</strong>en haben:<br />

- Zunahme von Moral Hazard: Moral Hazard nimmt vor allem dann zu, wenn die Menge der versi-<br />

<strong>ch</strong>erten Risiken zunimmt.<br />

- Zunahme von ex post Opportunismus der VN: Verletzung von Obliegenheiten.<br />

■ Erhöhung der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten: Die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten steigen, wenn die Menge<br />

der versi<strong>ch</strong>erten Risiken sinkt. Eine Reduktion der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken kann vers<strong>ch</strong>iedene Ursa-<br />

<strong>ch</strong>en haben:<br />

- Erhöhung des Preises der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung → Prämienerhöhungen → Reduktion der Menge<br />

der versi<strong>ch</strong>erten Risiken.<br />

- Reduktion der Risikoadäquanz der Prämien → adverse Selektion → Reduktion der Menge der ver-<br />

si<strong>ch</strong>erten Risiken.<br />

- Zunahme der Häufigkeit von bere<strong>ch</strong>tigten Deckungsauss<strong>ch</strong>lüssen, Leistungsbefreiungen und Leis-<br />

tungsreduktionen (z.B. aufgrund einer Zunahme der Häufigkeit von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen).<br />

- Zunahme von ex post Opportunismus der VU: Geltendma<strong>ch</strong>ung von unbere<strong>ch</strong>tigten Deckungs-<br />

einreden etc.<br />

34 Wir überlassen es dem Leser, die wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkungen einer Reduktion der S<strong>ch</strong>adenskosten zu deduzieren.<br />

72


3 Wirkungsmodell, Vorgehen, Methodik<br />

Tabelle 8: Zielgrössen, deren Veränderung infolge der <strong>VVG</strong>-Revision untersu<strong>ch</strong>t werden<br />

Zielgrösse Bes<strong>ch</strong>reibung der Zielgrösse Abs<strong>ch</strong>nitt 1<br />

Auswirkungen auf die S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten Der Wert aller S<strong>ch</strong>äden bei den Opfern einer S<strong>ch</strong>ädigung - gemessen in verni<strong>ch</strong>teten Nutzeneinheiten.<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Kosten der Ni<strong>ch</strong>texistenz von Risikostreuung. Die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten sind höher, wenn die<br />

primären S<strong>ch</strong>adenskosten von einem einzigen Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt getragen werden müssen.<br />

4.2, 4.3, 4.4<br />

Transaktionskosten<br />

Transaktionskosten, die bei der Verteilung der S<strong>ch</strong>adenskosten im Rahmen des Versi<strong>ch</strong>erungsmarktes<br />

entstehen, werden au<strong>ch</strong> tertiäre S<strong>ch</strong>adenskosten genannt.<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Kosten, die anfallen, wenn si<strong>ch</strong> ein Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt über die am Markt verfügbaren<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte informiert. Beispiele: Kosten der Beratung dur<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsbroker.<br />

Vereinbarungskosten Kosten des Abs<strong>ch</strong>lusses eines Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags, die bei den VU, VI und VN anfallen. 5.6<br />

Abwicklungskosten<br />

Kosten der S<strong>ch</strong>adenregulierung, Kosten des Prämieninkassos, Kosten der Administration und<br />

Verwaltung.<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

VU: Überprüfung der Angaben der VN in Zusammenhang mit den vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten, Überprüfung der<br />

Bere<strong>ch</strong>tigung von Forderungen der VN, Überprüfung des Verhaltens der VN während der Vertragslaufzeit. VN:<br />

Überprüfung der Bere<strong>ch</strong>tigung von Deckungseinreden der VU.<br />

Änderungs- & Anpassungskosten<br />

Kosten der Anpassung von Prozessen, Dokumenten, IT-Systemen etc. der VU; Kosten von<br />

Vertragsänderungen.<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten<br />

Kosten von Auseinandersetzungen zwis<strong>ch</strong>en VU und VN , Kosten von Verglei<strong>ch</strong>sverhandlungen, Anwalts- und<br />

Geri<strong>ch</strong>tskosten.<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten Kosten von Anpassungen der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen.<br />

Auswirkungen auf die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN)<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Unvollständige und/oder fals<strong>ch</strong>e Informationen der VN bezügli<strong>ch</strong> Eigens<strong>ch</strong>aften (Qualitäten) von VV,<br />

VU und VI.<br />

4.6.3, 5.7<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen führen zu Leistungsbefreiungen der VU (Erhöhung der sekundären<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten) und zu risikoinadäquateren Prämien.<br />

4.5, 4.6.1, 8<br />

Moral Hazard der VN<br />

Der Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz reduziert die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize der VN, Massnahmen der<br />

Risikoprävention, -meidung und -minderung zu ergreifen.<br />

4.6.2<br />

Ex post Opportunismus der VN Versi<strong>ch</strong>erungsbetrug, Verletzen von Obliegenheiten.<br />

Misstrauen gegenüber VI & VU<br />

Misstrauen gegenüber den VU & VI tangiert die Na<strong>ch</strong>frage der VN na<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung<br />

negativ.<br />

4.6.3.4<br />

Auswirkungen auf die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

Ex ante Opportunismus der VI<br />

VI empfehlen Verträge, die ni<strong>ch</strong>t den Nutzen der VN, sondern den Nutzen (Erträge) der VI selbst<br />

maximieren.<br />

4.6.3.4, 5.6,<br />

Beratungsqualität Qualität der Beratung der VN dur<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung.<br />

5.7.2, 14<br />

Qualität der VI Die Qualität des VI hat vers<strong>ch</strong>iedene Dimensionen: Redli<strong>ch</strong>keit, Fa<strong>ch</strong>wissen, Beratungskompetenz etc.<br />

Auswirkungen auf die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU)<br />

Ex post Opportunismus der VU<br />

Ablehnung von bere<strong>ch</strong>tigten Forderungen der VN; Vers<strong>ch</strong>leppen der S<strong>ch</strong>adenregulierung<br />

("Aushungern"); Geltendma<strong>ch</strong>ung von unbere<strong>ch</strong>tigten Deckungseinreden; Prämienerhöhungen auf<br />

der Basis einer PAK; Kündigung im S<strong>ch</strong>adensfall.<br />

4.6.3.4,<br />

5.7, 16-17<br />

Andere Verhaltensanpassungen Verhaltensanpassungen vers<strong>ch</strong>iedenster Art.<br />

Auswirkungen auf die Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten Versi<strong>ch</strong>erungsverträge<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids Hängt insbesondere von den Informationsdefiziten der VN und der Qualität der Beratung der VI ab. 4.6.3.4<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

Die Risikoadäquanz der Prämien hängt insbesondere von den vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten der VN<br />

ab.<br />

Produktqualität<br />

Folgende Faktoren wirken si<strong>ch</strong> negativ auf die Produktqualität aus: Informationsdefizite der VN, Markt<br />

für Zitronen, s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e Wettbewerbsintensität.<br />

Vertragsrisiken des VN Beispiel: Risiko eines vorzeitigen Rückkaufs einer gezillmerten Sparversi<strong>ch</strong>erung.<br />

Vertragsrisiken des VU Beispiel: Risiko zu tiefer Prämien (negatives Rendement).<br />

Auswirkungen auf Marktme<strong>ch</strong>anismen<br />

Adverse Selektion<br />

Ansammlung s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter Risiken, wenn die VU die Risiken ex ante ni<strong>ch</strong>t diskriminieren können und<br />

deshalb eine Mis<strong>ch</strong>prämie anbieten müssen, die für ein dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>es Risiko bere<strong>ch</strong>net ist.<br />

4.5, 4.6.1<br />

Markt für Zitronen<br />

Wenn die VN die Qualität von Produkten ni<strong>ch</strong>t erkennen können, kann dies zu einem Marktversagen<br />

in dem Sinne führen, dass nur die Produkte minderer Qualität überleben.<br />

4.6.3.4<br />

Wettbewerb Preis- und Qualitätswettbewerb.<br />

Auswirkungen auf das Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t<br />

Prämienvolumen (Marktvolumen)<br />

Das Prämienvolumen ist abhängig von der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV, der Höhe der<br />

Prämien und der Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge.<br />

5.2, 5.3<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV<br />

Die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV hängt v.a. davon ab, wel<strong>ch</strong>e Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse und Leistungsreduktionen<br />

in den AVB vorgesehen sind, in wel<strong>ch</strong>em Ausmass die VN ihre Obliegenheiten verletzen und wie einfa<strong>ch</strong> die<br />

Dur<strong>ch</strong>setzung von Forderungen aus dem VV ist.<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung<br />

Der Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ist ni<strong>ch</strong>t zu verwe<strong>ch</strong>seln mit der Prämienhöhe. Wir definieren den Preis der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung als "Preis der Versi<strong>ch</strong>erung eines spezifis<strong>ch</strong>en Risikos". Er ist damit - im Gegensatz zur<br />

Prämienhöhe - eine Grösse, die ni<strong>ch</strong>t von der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken abhängt. Der Preis der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung nimmt ab, wenn die Transaktionskosten (z.B. die Abs<strong>ch</strong>lusskosten) sinken.<br />

Prämienhöhe<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge<br />

Die Prämienhöhe hängt vom Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung und von der Menge der versi<strong>ch</strong>erten<br />

Risiken pro VV ab.<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total Ergibt si<strong>ch</strong> aus der Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge und der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV<br />

Instabilität des Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

Die Stabilität des Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts hängt insbesondere von den Kündigungsre<strong>ch</strong>ten und der<br />

Risikoadäquanz der Prämien (Adverse Selektion) ab.<br />

Auswirkungen auf die gesamtwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Wohlfahrt<br />

Renten der VN Summe der Konsumentenrenten der VN (vgl. Glossar für eine Definition der Konsumentenrente)<br />

Renten der VI Summe der Produzentenrenten der VI (vgl. Glossar für eine Definition der Produzentenrente)<br />

Renten der VU Summe der Produzentenrenten der VU (vgl. Glossar für eine Definition der Produzentenrente)<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

Andere Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte: Arbeitnehmer, Ges<strong>ch</strong>ädigte und ihre Angehörigen; Staat,<br />

Sozialversi<strong>ch</strong>erungen und Geri<strong>ch</strong>te; Banken; Unternehmen, die S<strong>ch</strong>äden beheben; Anwälte<br />

Fussnote: 1<br />

Verweis auf Kapitel und Abs<strong>ch</strong>nitte der vorliegenden <strong>RFA</strong>, in wel<strong>ch</strong>en zusätzli<strong>ch</strong>e Informationen über die entspre<strong>ch</strong>ende<br />

Zielgrösse zu finden sind; Quelle: eigene Darstellung<br />

5.7, 12<br />

4.6.1<br />

4.6.1<br />

1.4.3<br />

73


3 Wirkungsmodell, Vorgehen, Methodik<br />

■ Erhöhung der Transaktionskosten: Eine Erhöhung der Transaktionskosten kann u.a. folgende Ursa<strong>ch</strong>en<br />

haben:<br />

- Reduktion der Wettbewerbsintensität<br />

- Zunahme der Regulierungsdi<strong>ch</strong>te<br />

- Reduktion der Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit<br />

- Zunahme jegli<strong>ch</strong>er Art von Opportunismus der VU, VI und VN.<br />

Die Auswirkungen einer Veränderung der Informationsdefizite der VN<br />

Eine Reduktion der Informationsdefizite der VN wirkt si<strong>ch</strong> über folgende Kausalketten positiv auf die<br />

ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt aus:<br />

■ Erhöhung der Nutzenoptimalität der Kaufents<strong>ch</strong>eide der VN → Erhöhung der Renten der VN.<br />

■ Reduktion von ex ante Opportunismus der VI → Reduktion des Ertrags opportunistis<strong>ch</strong>er VI → Redukti-<br />

on der Häufigkeit opportunistis<strong>ch</strong>er VI → Erhöhung der Beratungsqualität → Erhöhung der Nutzenopti-<br />

malität der Kaufents<strong>ch</strong>eide der VN → Erhöhung der Renten der VN.<br />

■ Reduktion des Ertrags von Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen, deren Eigens<strong>ch</strong>aften ni<strong>ch</strong>t den Präferenzen der VN<br />

entspre<strong>ch</strong>en → Verbesserung der Produktqualität (Präferenz-adäquatere Eigens<strong>ch</strong>aften) → Erhöhung der<br />

Renten der VN.<br />

■ Reduktion der Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit eines Marktes für Zitronen → Erhöhung der Renten der VN.<br />

■ Reduktion der Häufigkeit der Verletzung von Obliegenheiten des VN → Reduktion der Häufigkeit von<br />

Leistungsbefreiungen und Leistungsreduktionen der VU → Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten .<br />

■ Intensivierung des Preis- und Qualitätswettbewerbs → Erhöhung der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt.<br />

Die Auswirkungen eines intensivierten Wettbewerbs<br />

Eine Intensivierung des Wettbewerbs unter den VU und unter den VI wirkt si<strong>ch</strong> über folgende Kau-<br />

salketten positiv auf die ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt aus:<br />

■ Intensivierung des Qualitätswettbewerbs → Verbesserung der Produktqualität (Präferenz-adäquatere<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften) → Erhöhung der Renten der VN.<br />

■ Intensivierung des Preiswettbewerbs:<br />

→ Reduktion von Transaktionskosten → Reduktion des Preises der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung → Erhö-<br />

hung der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt (Reduktion der Renten der VU und VI; Erhöhung der Renten<br />

der VN).<br />

→ Reduktion der Gewinne der VU → Reduktion des Preises der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung → Erhöhung<br />

der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt (Reduktion der Renten der VU < Erhöhung der Renten der VN).<br />

→ Reduktion der Erträge der VI → Reduktion des Preises der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung → Erhöhung<br />

der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt (Reduktion der Renten der VI < Erhöhung der Renten der VN).<br />

Veränderung der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken<br />

Folgende Kausalketten führen zu einer Zunahme der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken:<br />

■ Reduktion der Vertragsrisiken der VN → Erhöhung der Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft der VN → Zunahme der<br />

Na<strong>ch</strong>frage → Zunahme der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken.<br />

■ Verbesserung der Produktqualität (Präferenz-adäquatere Eigens<strong>ch</strong>aften) → Erhöhung der Zahlungsbe-<br />

reits<strong>ch</strong>aft der VN → Zunahme der Na<strong>ch</strong>frage → Zunahme der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken.<br />

■ Reduktion von ex post und ex ante Opportunismus der VI und VU → Reduktion des Misstrauens der VN<br />

→ Zunahme der Na<strong>ch</strong>frage → Zunahme der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken.<br />

■ Reduktion der Transaktionskosten → Reduktion des Preises der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung → Reduktion der<br />

Prämien → Zunahme der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken.<br />

74


3 Wirkungsmodell, Vorgehen, Methodik<br />

■ Reduktion der Gewinne der VU → Reduktion des Preises der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung → Reduktion der<br />

Prämien → Zunahme der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken.<br />

■ Reduktion der Häufigkeit von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen → Zunahme der Risikoadäquanz der Prämien<br />

→ Reduktion der adversen Selektion → Zunahme der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken.<br />

Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en dem Marktvolumen und der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt<br />

Der Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en dem Marktvolumen und der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt ist ni<strong>ch</strong>t eindeutig.<br />

Eine Veränderung des Marktvolumens ist in folgenden drei Fällen mit einer Zunahme der ökonomi-<br />

s<strong>ch</strong>en Wohlfahrt verbunden:<br />

■ Zunahme der Menge der nutzenoptimal-versi<strong>ch</strong>erten Risiken: Wenn die Anzahl der Win-Win-<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsverträge und/oder die Menge der nutzenoptimal-versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

trag steigt, während der Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung konstant bleibt, nimmt das Marktvolumen zu. In<br />

diesem Fall führt die Ausdehnung des Marktvolumens zu einer Erhöhung der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt<br />

(Zunahme der Konsumenten- und Produzentenrenten).<br />

■ Abnahme der Menge der nutzensuboptimal-versi<strong>ch</strong>erten Risiken: Wenn die Anzahl der Win-Loose-<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsverträge und/oder die Menge der nutzensuboptimal-versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vertrag abnimmt, während der Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung konstant bleibt, nimmt das Marktvolumen<br />

ab. In diesem Fall führt die Abnahme des Marktvolumens zu einer Erhöhung der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt<br />

(Zunahme der Konsumentenrenten > Reduktion der Produzentenrenten).<br />

■ Preisinduzierte Reduktion des Marktvolumens: Bleibt die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken konstant, wäh-<br />

rend der Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung sinkt (z.B. aufgrund eines verstärkten Wettbewerbs, der zu einer<br />

Reduktion der Transaktionskosten führt), nimmt das Marktvolumen ab. Die ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt<br />

nimmt zu, da die eingesparten monetären Ressourcen einer anderen nutzenstiftenden Verwendung zuge-<br />

führt werden können (Zunahme der Konsumentenrenten > Abnahme der Produzentenrenten).<br />

Ein Veränderung des Marktvolumens ist demgegenüber in folgenden Fällen mit einer Abnahme der ge-<br />

samtwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Wohlfahrt verbunden:<br />

■ Abnahme der Menge der nutzenoptimal-versi<strong>ch</strong>erten Risiken<br />

■ Zunahme der Menge der nutzensuboptimal-versi<strong>ch</strong>erten Risiken<br />

■ Preisinduzierte Zunahme des Marktvolumens<br />

Die Eins<strong>ch</strong>ätzung der Auswirkungen auf die vers<strong>ch</strong>iedenen Zielgrössen und ihre wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>e<br />

Bewertung sind qualitativer Natur. Die Gründe dafür, dass die Auswirkungen ni<strong>ch</strong>t quantitativ einge-<br />

s<strong>ch</strong>ätzt werden (konnten), sind die Folgenden:<br />

■ Natur des Gegenstands: Die Auswirkungen der geplanten Veränderungen sind zum grössten Teil indi-<br />

rekter Natur. Sie entstehen im Rahmen von ökonomis<strong>ch</strong>en Wirkungszusammenhängen und mehrstufigen<br />

Kausalketten, die von Verhaltensänderungen der vers<strong>ch</strong>iedenen Marktakteure (VU, VI, VN) ausgelöst wer-<br />

den. Das verfügbare ökonomis<strong>ch</strong>e Wissen ermögli<strong>ch</strong>t es, Qualität und Ri<strong>ch</strong>tung dieser Verhaltensände-<br />

rungen zu prognostizieren, wobei s<strong>ch</strong>on eine sol<strong>ch</strong>e Prognose mit Unsi<strong>ch</strong>erheit behaftet ist, da das Wissen<br />

über das Verhalten von Mens<strong>ch</strong>en in den relevanten Wissens<strong>ch</strong>aften begrenzt ist. Für eine quantitative<br />

Eins<strong>ch</strong>ätzung der Auswirkungen dieser Verhaltensänderungen wäre eine äusserst umfassende Daten-<br />

grundlage notwendig, die uns im Rahmen der <strong>RFA</strong> ni<strong>ch</strong>t zur Verfügung gestanden hat. Dies hängt damit<br />

zusammen, dass das Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetz einen freien Markt betrifft, in wel<strong>ch</strong>em das Wissen ni<strong>ch</strong>t<br />

zentral, sondern dezentral bei den einzelnen Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekten vorliegt (Beispiel: kostenpfli<strong>ch</strong>tige<br />

Marktfors<strong>ch</strong>ungsdaten der VU, auf wel<strong>ch</strong>e wir im Rahmen der <strong>RFA</strong> keinen Zugriff hatten). Die ungenü-<br />

gende Datengrundlage kann anhand der Auswirkungen der Revision auf die Geri<strong>ch</strong>tskosten illustriert<br />

75


3 Wirkungsmodell, Vorgehen, Methodik<br />

werden: In der S<strong>ch</strong>weiz gibt es keine Datenbank, die eine Analyse der Häufigkeit und der Kosten von<br />

geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Auseinandersetzungen in Zusammenhang mit dem geltenden <strong>VVG</strong> zulassen würde.<br />

■ Umfang des Gegenstands: Im Rahmen der vorliegenden <strong>RFA</strong> haben wir im Grunde ni<strong>ch</strong>t eine einzige<br />

Regulierungsfolgenabs<strong>ch</strong>ätzung, sondern zwölf «kleine» Regulierungsfolgenabs<strong>ch</strong>ätzungen dur<strong>ch</strong>geführt.<br />

Denn die zwölf geplanten Massnahmen, die im Rahmen der <strong>RFA</strong> untersu<strong>ch</strong>t werden mussten, sind in<br />

ihrem Wesen und bezügli<strong>ch</strong> ihrer Auswirkungen äusserst heterogen. Für eine Quantifizierung der Auswir-<br />

kungen hätte für jede einzelne Massnahme umfangrei<strong>ch</strong>e Datenerhebungen dur<strong>ch</strong>geführt werden müs-<br />

sen. Ein Beispiel zur Massnahme «Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts» (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>): Die Be-<br />

fürworter des direkten Forderungsre<strong>ch</strong>t argumentieren, dass Ges<strong>ch</strong>ädigte ihre bere<strong>ch</strong>tigten Forderungen<br />

gegenüber dem S<strong>ch</strong>ädiger unter dem geltenden <strong>VVG</strong> oft ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>setzen, wenn sie zu den S<strong>ch</strong>ädigern<br />

in einer zwis<strong>ch</strong>enmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Beziehung stehen. Wohl allein die Quantifizierung des monetären Werts<br />

dieser ni<strong>ch</strong>t-bedienten S<strong>ch</strong>adensersatzansprü<strong>ch</strong>en hätte eine Datenerhebung bedingt, wel<strong>ch</strong>e die Res-<br />

sourcen, die für die vorliegenden <strong>RFA</strong> zur Verfügung gestanden sind, zu einem grossen Teil wenn ni<strong>ch</strong>t<br />

sogar vollständig ausges<strong>ch</strong>öpft hätte.<br />

Allerdings haben wir im Rahmen einer s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Befragung ausgewählter VU (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 3.3) ge-<br />

wisse quantitative Informationen erhoben, die uns in die Lage versetzen, das Ausmass unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er<br />

Auswirkungen – insbesondere sol<strong>ch</strong>er, die si<strong>ch</strong> auf die ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt gegensätzli<strong>ch</strong> auswirken –<br />

gegeneinander abzuwägen, so dass eine Identifikation des wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>en Nettoeffekts<br />

der vers<strong>ch</strong>iedenen geplanten Massnahmen (zumeist) mögli<strong>ch</strong> wurde. Bei der Abwägung der vers<strong>ch</strong>iede-<br />

nen Auswirkungen wurden dabei au<strong>ch</strong> die Ausführungen der Experten berücksi<strong>ch</strong>tigt, die wir im Rahmen<br />

der <strong>RFA</strong> befragt haben (vgl. Tabelle 9).<br />

Die prognostizierten Auswirkungen der vers<strong>ch</strong>iedenen Massnahmen werden wir u.a. anhand von Tabellen<br />

ausweisen, die in ihrem Aufbau Tabelle 8 entspre<strong>ch</strong>en. Dabei werden wir folgende Zei<strong>ch</strong>en und Gestal-<br />

tungsmittel einsetzen werden:<br />

■ Ein grünes Plus-Zei<strong>ch</strong>en + bedeutet, dass bezügli<strong>ch</strong> der betroffenen Zielgrösse eine Veränderung zu<br />

erwarten ist, die aus gesamtwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t positiv zu bewerten ist. Bei den einzelnen aufgeführten<br />

Marktakteursgruppen (VN, VI, VU) bedeutet ein grünes Plus-Zei<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t zwingend, dass die erwarteten<br />

Auswirkungen au<strong>ch</strong> von den betroffenen Akteursgruppen selbst positiv bewertet werden. So ist z.B. eine<br />

Reduktion des ex ante Opportunismus von VI aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t positiv zu bewerten, da<br />

die Reduktion von ex ante Opportunismus zu einer Erhöhung der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt (Summe der<br />

Konsumenten- und Produzentenrenten) führt. Die opportunistis<strong>ch</strong>en VI selbst hingegen bewerten ein<br />

Eins<strong>ch</strong>ränkung der Mögli<strong>ch</strong>keiten zum ex ante Opportunismus negativ, da diese Eins<strong>ch</strong>ränkung ihren<br />

Provisionsertrag reduziert (Reduktion von Opportunitätsprämien). Diese Problemstellung ist letztli<strong>ch</strong> darauf<br />

zurückzuführen, dass individuelle Rationalität (Nutzenmaximierung des einzelnen Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekts) und<br />

kollektive Rationalität (gesamtwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Wohlfahrt) auseinanderfallen können, wenn Marktunvoll-<br />

kommenheiten existieren.<br />

■ Ein rotes Minus-Zei<strong>ch</strong>en − bedeutet, dass bezügli<strong>ch</strong> der betroffenen Zielgrösse eine Veränderung zu<br />

erwarten ist, die wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong> negativ zu bewerten ist. Au<strong>ch</strong> hier gilt, dass die entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Auswirkungen aus Si<strong>ch</strong>t der betroffenen Akteursgruppe ni<strong>ch</strong>t zwingend negativ bewertet werden müs-<br />

sen.<br />

■ Kein Eintrag bedeutet, dass die betreffende Zielgrösse von der Revision überhaupt ni<strong>ch</strong>t betroffen ist.<br />

■ Ein s<strong>ch</strong>warzes Glei<strong>ch</strong>-Zei<strong>ch</strong>en = bedeutet, dass die Zielgrösse zwar betroffen ist, die Veränderung<br />

jedo<strong>ch</strong> verna<strong>ch</strong>lässigbar ausfallen dürfte – allenfalls aufgrund von Auswirkungen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Ri<strong>ch</strong>-<br />

tung, die si<strong>ch</strong> gegenseitig aufheben.<br />

76


3 Wirkungsmodell, Vorgehen, Methodik<br />

■ Eine Zelle, die das kombinierte Zei<strong>ch</strong>en +/- enthält, bedeutet, dass Auswirkungen zu erwarten sind,<br />

die aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t gegensätzli<strong>ch</strong> sind, wobei wir ni<strong>ch</strong>t in der Lage sind, den Nettoef-<br />

fekt einzus<strong>ch</strong>ätzen.<br />

■ Notation zu den Zielgrössen «Marktvolumen»: In den Zeilen zu der Zielgrösse «Marktvolumen»<br />

verwenden wir anstelle der Plus- und Minus-Zei<strong>ch</strong>en rote und grüne Pfeile (� � � � ���� ���� ����), um sowohl<br />

die Ri<strong>ch</strong>tung der Veränderung dieser Zielgrösse (Pfeilri<strong>ch</strong>tung) als au<strong>ch</strong> ihre wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>e Be-<br />

deutung (Farbe) indizieren zu können. Diese Erweiterung ist notwendig, da – wie wir weiter oben ausge-<br />

führt haben - die wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>e Bewertung einer Veränderung des Marktvolumens von der<br />

Qualität bzw. den Ursa<strong>ch</strong>en der Veränderung abhängt.<br />

3.2 Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Formulierung der methodis<strong>ch</strong>en Problemstellung<br />

der <strong>RFA</strong><br />

Die methodis<strong>ch</strong>en Problemstellung, die der vorliegenden <strong>RFA</strong> zugrunde liegt, kann formal folgendermas-<br />

sen formuliert werden (vgl. S<strong>ch</strong>äfer und Ott (2005, 17ff):<br />

Die Totalrevision des <strong>VVG</strong> stellt eine Veränderung einer Antecedensbedingung dar. Es muss nun<br />

abges<strong>ch</strong>ätzt werden, wel<strong>ch</strong>e Auswirkungen (das Explanandum) die Veränderung dieser Antecedensbe-<br />

dingung entfalten wird. Um dies leisten zu können, benötigt man ein Explanans: Dieses besteht aus<br />

weiteren Antecedensbedingungen und aus Gesetzeshypothesen.<br />

Im Rahmen der Folgenabs<strong>ch</strong>ätzung der Totalrevision des <strong>VVG</strong> werden wir insbesondere Gesetzeshypo-<br />

thesen aus den Wirts<strong>ch</strong>aftswissens<strong>ch</strong>aften verwenden. Eine Gesetzeshypothese aus den Wirts<strong>ch</strong>aftswis-<br />

sens<strong>ch</strong>aften ist z.B., dass die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft eines VN sinkt, wenn dessen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag mit<br />

zusätzli<strong>ch</strong>en Vertragsrisiken angerei<strong>ch</strong>ert wird. Ebenfalls eine Gesetzeshypothese ist, dass risikoinadäquate<br />

Prämien zur adversen Selektion führen. Im vorangehenden Abs<strong>ch</strong>nitt haben wir vers<strong>ch</strong>iedenste Gesetzes-<br />

hypothesen formuliert, als wir ausgewählte Zusammenhänge zwis<strong>ch</strong>en den vers<strong>ch</strong>iedenen Zielgrössen<br />

expliziert haben, anhand wel<strong>ch</strong>en wir die ökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkungen der Revision untersu<strong>ch</strong>en. In Kapi-<br />

tel 4 (Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik) werden wir uns den relevanten Gesetzeshypothesen im Detail zuwenden.<br />

Wie soeben erwähnt, umfasst das Explanans neben den Gesetzeshypothesen au<strong>ch</strong> weitere Antecedens-<br />

bedingungen. Ein sol<strong>ch</strong>e Antecedensbedingung ist zum Beispiel, dass der Maklerkanal im Privatkunden-<br />

ges<strong>ch</strong>äft derzeit viel unbedeutender ist als der Brokerkanal im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft. Eine andere Ante-<br />

cedensbedingung ist, dass si<strong>ch</strong> der Lohn der Versi<strong>ch</strong>erungsagenten zu rund 50 Prozent aus Abs<strong>ch</strong>luss-<br />

und Erneuerungsprovisionen speist. Oder dass ein Teil der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und –broker ni<strong>ch</strong>t nur<br />

mittels Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen und Bestandes-Courtagen ents<strong>ch</strong>ädigt wird, sondern von den VU au<strong>ch</strong> Con-<br />

tingent Commissions (volumen- und wa<strong>ch</strong>stumsabhängige Superprovisionen) entgegennehmen. In Kapitel<br />

5 (Marktanalyse) werden wir eine Vielzahl von Antecedensbedingungen bes<strong>ch</strong>reiben, die es bei der Fol-<br />

genabs<strong>ch</strong>ätzung zu berücksi<strong>ch</strong>tigen gilt.<br />

3.3 Das Vorgehen im Rahmen der <strong>RFA</strong><br />

Das Vorgehen im Rahmen der <strong>RFA</strong> wurde am Wirkungsmodell ausgeri<strong>ch</strong>tet, das der Regulierungsfolgen-<br />

abs<strong>ch</strong>ätzung zugrunde liegt. Es kann folgendermassen zusammengefasst werden:<br />

■ S<strong>ch</strong>ritt 1 – Juristis<strong>ch</strong>e Analyse: In einem ersten S<strong>ch</strong>ritt wurde analysiert, wel<strong>ch</strong>e Veränderung der<br />

Re<strong>ch</strong>tsordnung der Gesetzesentwurf (E-<strong>VVG</strong>) in Bezug auf die zwölf zu untersu<strong>ch</strong>enden Massnahmen<br />

impliziert (Identifikation des juristis<strong>ch</strong>en Delta). Zur Identifikation dieser Veränderungen war ein inhalts-<br />

analytis<strong>ch</strong>er Verglei<strong>ch</strong> des E-<strong>VVG</strong> mit dem geltenden <strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t ausrei<strong>ch</strong>end, da au<strong>ch</strong> die gängige Voll-<br />

zugspraxis (u.a. Ri<strong>ch</strong>terre<strong>ch</strong>t) berücksi<strong>ch</strong>tigt werden musste. Aus diesem Grund haben wir eingehende<br />

77


3 Wirkungsmodell, Vorgehen, Methodik<br />

Interviews mit Prof. Dr. Stephan Fuhrer und Dr. Stephan Weber geführt, die mit der Re<strong>ch</strong>tspraxis vertraut<br />

sind und der Expertenkommission angehörten, die den VE-<strong>VVG</strong> entworfen hat. Bei der juristis<strong>ch</strong>en Analy-<br />

se wurden wir von Dr. Blaise Carron von Wenger Plattner Re<strong>ch</strong>tsanwälte unterstützt.<br />

■ S<strong>ch</strong>ritt 2 - Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse: In einem zweiten S<strong>ch</strong>ritt wurde analysiert, zu wel<strong>ch</strong>en ökonomi-<br />

s<strong>ch</strong>en Auswirkungen die identifizierten Veränderungen der Re<strong>ch</strong>tsordnung führen werden. Hierfür wurde<br />

zum einen die eins<strong>ch</strong>lägige ökonomis<strong>ch</strong>e Literatur 35 gesi<strong>ch</strong>tet und analysiert. Zum anderen haben wir<br />

Workshops mit Prof. Dr. Winand Emons der Universität Bern dur<strong>ch</strong>geführt. Prof. Dr. Winand Emons ist ein<br />

international anerkannter Experte auf den Gebieten der «Informationsökonomik» und der «Ökonomi-<br />

s<strong>ch</strong>en Analyse des Re<strong>ch</strong>ts». Die Informationsökonomik liefert die Konzepte, ohne die si<strong>ch</strong> die relevanten<br />

ökonomis<strong>ch</strong>en Wirkungszusammenhänge im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt ni<strong>ch</strong>t ernsthaft analysieren lassen. Die<br />

ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse des Re<strong>ch</strong>ts befasst si<strong>ch</strong> im Wesentli<strong>ch</strong>en mit dem Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en re<strong>ch</strong>tli-<br />

<strong>ch</strong>en Normen und der ökonomis<strong>ch</strong>en Effizienz. Die Methoden und Konzepte, die von diesem gemeinsa-<br />

men Teilgebiet der Wirts<strong>ch</strong>afts- und Re<strong>ch</strong>tswissens<strong>ch</strong>aften zur Verfügung gestellt werden, sind deshalb<br />

geradezu prädestiniert, im Rahmen einer <strong>RFA</strong> angewendet zu werden.<br />

■ S<strong>ch</strong>ritt 3 – Empiris<strong>ch</strong>e Analyse: In einem dritten S<strong>ch</strong>ritt haben wir eine empiris<strong>ch</strong>e Analyse dur<strong>ch</strong>ge-<br />

führt, um die ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse zu validieren, zu konkretisieren, zu korrigieren und zu ergänzen. Im<br />

Rahmen von Interviews mit insgesamt 42 Experten und einer s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Befragung ausgewählter VU<br />

wurden empiris<strong>ch</strong>e Informationen und Daten erhoben, zusammengetragen und ausgewertet.<br />

3.4 Im Rahmen der <strong>RFA</strong> verwendete Methoden<br />

Bei der Erarbeitung der vorliegenden <strong>RFA</strong> wurden also die folgenden sozialwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Methoden<br />

verwendet:<br />

■ Experteninterviews: Face-To-Face-Interviews (und einige wenige Telefoninterviews) mit insgesamt 42<br />

Experten der Wissens<strong>ch</strong>aft, der Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft, des Konsumentens<strong>ch</strong>utzes, der Konsumenten-<br />

presse und der Bundesverwaltung. In Tabelle 9 sind die befragten Experten, die wir in den Monaten März<br />

bis und mit Juli 2010 konsultiert haben, summaris<strong>ch</strong> aufgeführt. An dieser Stelle bedanken wir uns bei<br />

allen befragten Experten und Expertinnen für die Zeit, die sie uns zur Verfügung gestellt haben. Ein be-<br />

sonderer Dank gilt den Herren Prof. Dr. Stephan Fuhrer (Basler Versi<strong>ch</strong>erung) und Andreas S<strong>ch</strong>eurer (Mo-<br />

biliar Versi<strong>ch</strong>erung), die uns immer wieder telefonis<strong>ch</strong> zur Verfügung gestanden sind, um Fragen fa<strong>ch</strong>li-<br />

<strong>ch</strong>er Natur zu beantworten.<br />

■ S<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>e Befragung ausgewählter VU im Rahmen eines Excel-Fragebogens: Zur Erhebung<br />

von ausgewählten quantitativen Informationen wurden 14 VU eingeladen, einen Excel-Fragebogen auszu-<br />

füllen. 5 VU sind dieser Einladung gefolgt. Aus Gründen des Datens<strong>ch</strong>utzes können die Namen dieser 5<br />

VU ni<strong>ch</strong>t publiziert werden.<br />

■ Analyse von Literatur und anderen Dokumenten Es wurden folgende Arten von Dokumenten ana-<br />

lysiert und ausgewertet.<br />

- Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Literatur: vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 19.1<br />

- Internationale Beri<strong>ch</strong>te: vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 19.2<br />

- Publizierte Dokumente von Versi<strong>ch</strong>erern, Brokern, Agenten und Behörden: vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 19.3<br />

- Präsentationen und Unterlagen, die uns von den befragten Experten ausgehändigt wurden<br />

- Vernehmlassungsantworten: vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 19.4<br />

35 Zu nennen sind hier insbesondere S<strong>ch</strong>äfer und Ott (2005), Zweifel und Eisen (2003) sowie Eckhardt (2007).<br />

78


3 Wirkungsmodell, Vorgehen, Methodik<br />

Tabelle 9: Liste der 42 Experten, die im Rahmen der <strong>RFA</strong> konsultiert wurden<br />

Unternehmen / Institution Name Funktion<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

Abegg Markus Leiter Vertriebssteuerung<br />

Hengy Philippe Leiter Allg. Re<strong>ch</strong>tsdienst / Compliance Office<br />

Pergolis Massimo Leiter S<strong>ch</strong>aden Haftpfli<strong>ch</strong>t- und<br />

Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen, Mitglied der Direktion<br />

Peter Urs Leiter Broker Services S<strong>ch</strong>weiz<br />

Basler Versi<strong>ch</strong>erungen Re<strong>ch</strong>tskonsulent, Mitglied der Direktion<br />

Universität Freiburg Fuhrer Stephan, Prof. Dr. Titularprofessor an der Universität Freiburg<br />

Universitäten Basel und Luzern Lehrbeauftragter an den Universitäten Basel und Luzern<br />

DAS Re<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>utz-Versi<strong>ch</strong>erungs-AG Freiburghaus, Alain CEO<br />

Bürgy Odilo Leiter Re<strong>ch</strong>tsdienst Gruppe<br />

S<strong>ch</strong>eurer Andreas Verantwortli<strong>ch</strong>er Re<strong>ch</strong>t und Compliance Versi<strong>ch</strong>erungen<br />

Lavan<strong>ch</strong>y Antoine Leiter Leistungen Vorsorge<br />

Zür<strong>ch</strong>er Danièle Juristin Re<strong>ch</strong>tsdienst Vorsorge<br />

Blan<strong>ch</strong>ard André Leiter Markt Mitte<br />

Allianz Suisse Elts<strong>ch</strong>inger, Daniel Generalagent<br />

Swica Morgenegg Daniel Leiter Versi<strong>ch</strong>erungste<strong>ch</strong>nik Unternehmen<br />

Zuri<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>weiz Frei, Reto Senior Legal Council<br />

1<br />

AXA Winterthur<br />

Die Mobiliar<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsbroker und -makler<br />

Fairsi<strong>ch</strong>erungsberatung AG<br />

Morgenegg Bernhard<br />

Ursenba<strong>ch</strong>er Ruedi<br />

Berater<br />

Inhaber und Mitglied der Ges<strong>ch</strong>äftsleitung<br />

Einpersonenunternehmen Anonym Mehrfa<strong>ch</strong>agent<br />

Kessler & CO AG Kessler Martin, Dr. Managing Partner<br />

M&S Consultants AG<br />

Meister Peter<br />

Trepp Philipp<br />

Delegierter des Verwaltungsrates<br />

Mitglied der Ges<strong>ch</strong>äftsleitung<br />

Travex Versi<strong>ch</strong>erungsTreuhand AG Würgler Ruedi Ges<strong>ch</strong>äftsleitung<br />

Unabhängige Vorsorgeberatung Geissbühler Stefan Ges<strong>ch</strong>äftsführer<br />

Versi<strong>ch</strong>erungspartner AG With Jean-Mi<strong>ch</strong>el Ge<strong>ch</strong>äftsführender Partner<br />

Makler im Berei<strong>ch</strong> Einzelleben Anonym Partner und Mitglied der Ges<strong>ch</strong>äftsleitung<br />

VZ Insurances Services AG<br />

Gut Beat<br />

Thurnherr Stefan<br />

Leiter Controlling, Mitglied der Ges<strong>ch</strong>äftsleitung<br />

Direktor<br />

Verbände<br />

FRC - La Fédération Romande de Betts<strong>ch</strong>art Florence avocate juriste<br />

Consommateurs<br />

Muster Valérie responsable Permanence<br />

SIBA Präsident<br />

Kassationsgeri<strong>ch</strong>t Züri<strong>ch</strong><br />

MME Partners<br />

Kuhn Moritz Prof. Dr.<br />

Ri<strong>ch</strong>ter<br />

Attorney at law, Partner<br />

Universität Züri<strong>ch</strong> Titulaprofessor<br />

SVV Franziska Strei<strong>ch</strong> Ressort Wirts<strong>ch</strong>aft und Re<strong>ch</strong>t<br />

S<strong>VVG</strong> Marolf Urs Ges<strong>ch</strong>äftsführer, Re<strong>ch</strong>tsanwalt und Notar<br />

S<strong>VVG</strong><br />

Allianz Suisse<br />

Daniel Elts<strong>ch</strong>inger<br />

Mitglied des Vorstands<br />

Agent général<br />

S<strong>VVG</strong><br />

AXA Winterthur<br />

Chresta Mi<strong>ch</strong>el<br />

Mitglied des Vorstands<br />

Generalagent<br />

Konsumentenpresse und Konsumentenberatung<br />

Huber Doris Stellvertretende Leiterin Beoba<strong>ch</strong>ter Beratungszentrum<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter<br />

Jäggi Regina Beraterin und Redaktorin im Berei<strong>ch</strong> Sozialversi<strong>ch</strong>erung &<br />

Arbeitsre<strong>ch</strong>t<br />

Weigele Marcel Berater und Redaktor im Fa<strong>ch</strong>berei<strong>ch</strong> Geld<br />

K-Tipp<br />

Walder Beatrice<br />

Meierhofer Ernst<br />

Redaktorin<br />

Co-Redadaktionsleiter<br />

Andere<br />

Handelsgeri<strong>ch</strong>t Züri<strong>ch</strong> Handelsri<strong>ch</strong>ter<br />

Zeits<strong>ch</strong>rift Haftung und Versi<strong>ch</strong>erung HAVE S<strong>ch</strong>riftleiter<br />

Leonardo Productions Managing Partner<br />

Nationales Versi<strong>ch</strong>erungsbüro und<br />

Garantiefonds der S<strong>ch</strong>weiz<br />

Wernli Daniel Office Manager<br />

Andrassy University Budapest Eckardt Martina, Prof. Dr. 2 Weber Stephan, Dr.<br />

Chair of Public Economics and Finance<br />

1<br />

FINMA Jürg Huber Leiter Vermittleraufsi<strong>ch</strong>t<br />

Fussnoten: 1<br />

Mitglieder der Expertenkommission, die den VE-<strong>VVG</strong> entworfen hat; 2<br />

Autorin des Standardwerks «Insurance Intermediation.<br />

An Economic Analysis of the Information Services Market» (Eckardt 2002)<br />

79


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

Die Ausführungen in diesem Kapitel beruhen zu einem grossen Teil auf Zweifel und Eisen (2003).<br />

4.1 Gefahren, Risiken und Risikopolitik<br />

Aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t verfügt der Mens<strong>ch</strong> über drei Aktiva («assets»):<br />

■ Gesundheit («health»),<br />

■ Fähigkeiten bzw. Humankapital («wisdom») und<br />

■ Vermögen bzw. Finanzkapital («wealth»).<br />

Diese drei Kapitalien ermögli<strong>ch</strong>en dem Individuum, während seines Lebens die zwei Funktionen wahrzu-<br />

nehmen, die aus einer ökonomis<strong>ch</strong>en Perspektive wesentli<strong>ch</strong> sind: Konsumption und Produktion. Für<br />

den Konsum verwendet es sein in der Vergangenheit akkumuliertes Finanzkapital. Für die Produktion setzt<br />

das Individuum sein Humankapital und/oder sein Finanzkapital ein. Eine entspre<strong>ch</strong>ende Gesundheit sind<br />

sowohl für den Konsum als au<strong>ch</strong> für die Produktion unabdingbar.<br />

Die drei Kapitalien des ökonomis<strong>ch</strong>en Subjekts sind jedo<strong>ch</strong> zufälligen Störungen ausgesetzt, die Wert-<br />

s<strong>ch</strong>wankungen im Bestand der Aktiva auslösen. Störungen, die den Bestand negativ tangieren, nennt man<br />

in der Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft «Gefahren». Unfälle, Altersgebre<strong>ch</strong>en, Krankheit und Tod sind Beispiele<br />

sol<strong>ch</strong>er Gefahren. Gefahren führen also zu Verlusten in den drei Aktivabeständen. Diese «Verlustgefah-<br />

ren» werden umgangsspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> «Risiken» genannt. Im Gegensatz zur umfangsspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Verwendung<br />

des Wortes «Risiko» verweist der Begriff «Risiko» in der ökonomis<strong>ch</strong>en Theorie ni<strong>ch</strong>t nur auf die «S<strong>ch</strong>we-<br />

re der Konsequenzen» (Zweifel und Eisen 2003, 34) eines Ereignisses, sondern au<strong>ch</strong> auf dessen Eintritts-<br />

wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit. Das Risiko einer Handlung oder eines ungesteuerten Vorgangs kann deshalb dur<strong>ch</strong> die<br />

Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keitsverteilung der mögli<strong>ch</strong>en Konsequenzen dieser Handlung bzw. dieses Vorgangs be-<br />

s<strong>ch</strong>rieben werden.<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>e Theorie geht davon aus, dass die meisten Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte, insbesondere aber der<br />

Mens<strong>ch</strong>, Risiken abgeneigt, d.h. «risikoavers» ist. Weiter unten werden wir «Risikoaversion» exakt defi-<br />

nieren. An dieser Stelle halten wir ledigli<strong>ch</strong> fest, dass «Risikoaversion» eine Eigens<strong>ch</strong>aft der Präferenzen<br />

der Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte darstellt, die im normalen Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> «Si<strong>ch</strong>erheitsbedürfnis» genannt wird.<br />

Risikoaversion führt dazu, dass der Risikoübernahme, d.h. dem bewussten Tragen von Risiken, Grenzen<br />

gesetzt sind. Risikoaverse Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte setzen deshalb vers<strong>ch</strong>iedene Instrumente der Risikopolitik<br />

bzw. des Risikomanagements ein, um Risiken zu kontrollieren. Zweifel und Eisen (2003, 47ff) unters<strong>ch</strong>ei-<br />

den grundsätzli<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en ätiologis<strong>ch</strong>en (ursa<strong>ch</strong>enbezogenen) und palliativen (s<strong>ch</strong>adenbezogene) Mass-<br />

nahmen. Bezügli<strong>ch</strong> der ursa<strong>ch</strong>enbezogenen Risikopolitik unters<strong>ch</strong>eiden sie die folgenden Massnah-<br />

men:<br />

■ Risikomeidung: Verzi<strong>ch</strong>t auf risikobehaftete Aktivitäten. Beispiel: Verzi<strong>ch</strong>t auf Tabakkonsum.<br />

■ Risikoprävention: S<strong>ch</strong>adenverhütungsmassnahmen, die auf eine Minderung der S<strong>ch</strong>adeneintritts-<br />

wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit abzielen. Beispiel: Diebstahlsi<strong>ch</strong>erungen.<br />

Bezügli<strong>ch</strong> der s<strong>ch</strong>adensbezogenen Risikopolitik lassen si<strong>ch</strong> folgende Instrumente differenzieren:<br />

■ Risikominderung: Massnahmen, die der S<strong>ch</strong>adenherabsetzung dienen. Beispiel: Sprinkleranlage.<br />

■ Risikoteilung: Massnahmen, die auf eine Begrenzung oder sogar auf eine vollständige Verni<strong>ch</strong>tung<br />

von Risiken abzielen, denen ein Individuum ausgesetzt ist. Zweifel und Eisen (2003, 47ff) differenzieren<br />

eher individuelle Massnahmen wie Lagerhaltung, Diversifikation, Hedging etc. und eher kollektive Mass-<br />

nahmen wie staatli<strong>ch</strong>e Markt- und Konjunkturpolitik.<br />

80


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

■ Risikoüberwälzung: Eher individuelle, vertragli<strong>ch</strong>e Massnahmen, die darauf abzielen, Risiken auf an-<br />

dere Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte zu überwälzen. Beispiele: Garantieleistungen, Preiszusagen etc.<br />

■ Marktmässiger Risikotransfer: Eher marktmässige Massnahmen, die auf eine Vers<strong>ch</strong>iebung von Risi-<br />

ken abzielen. Beispiele: Aktien- und Versi<strong>ch</strong>erungsmärkte.<br />

■ Altruistis<strong>ch</strong>er Risikotransfer: Im Rahmen von Familien, Freunds<strong>ch</strong>aften und karitativen Einri<strong>ch</strong>tungen<br />

werden Risiken vers<strong>ch</strong>oben.<br />

■ Gesetzli<strong>ch</strong>er Risikotransfer: Gesetzli<strong>ch</strong>e Haftungsregeln, die auf eine Internalisierung externer Effekte<br />

abzielen (Beispiel: Haftpfli<strong>ch</strong>t-Re<strong>ch</strong>t) und Massnahmen, die auf eine Bes<strong>ch</strong>ränkung des Risikos von Eigen-<br />

tümern abzielen, so dass ein Risikotransfer von Eigentümern auf Dritte stattfindet (Beispiel: Gesells<strong>ch</strong>aften<br />

mit bes<strong>ch</strong>ränkter Haftung GmbH).<br />

Diese Auflistung, die Zweifel und Eisen (2003, 47ff) folgt, ma<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>, dass der marktmässige Risiko-<br />

transfer im Rahmen von Versi<strong>ch</strong>erungen nur ein Instrument von Konsumenten und Unternehmen dar-<br />

stellt, Risiken zu kontrollieren. Im na<strong>ch</strong>folgenden Abs<strong>ch</strong>nitt wird das Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt eingehend<br />

analysiert.<br />

4.2 Risikoaversion und Funktion der Versi<strong>ch</strong>erung<br />

Was «Risikoaversion» bedeutet, kann anhand eines Beispiels gezeigt werden, das in Abbildung 3 gra-<br />

fis<strong>ch</strong> illustriert ist: Ein risikoaverses Individuum habe im Ausgangszustand ein Vermögen von W 0 . Mit einer<br />

Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit π trete ein Vermögenss<strong>ch</strong>aden X auf, der nur zwei Werte annehmen kann: D im S<strong>ch</strong>a-<br />

densfall und 0 im Ni<strong>ch</strong>t-S<strong>ch</strong>adensfall. Das Vermögen im Endzustand beträgt deshalb im S<strong>ch</strong>adensfall W 0 -<br />

D, im Ni<strong>ch</strong>t-S<strong>ch</strong>adensfall hingegen W 0 . Der Erwartungswert des S<strong>ch</strong>adens beträgt deshalb E[X] = πD+(1-<br />

π)0 = πD und der Erwartungswert des Vermögens im Endzustand E[W] = W 0 -E[X] = W 0 -πD. Risikoaversi-<br />

on bedeutet nun, dass der Nutzen eines si<strong>ch</strong>eren Vermögens, das gerade dem Erwartungswert<br />

eines unsi<strong>ch</strong>eren, mit Risiko behafteten Vermögens entspri<strong>ch</strong>t, grösser ist als der Erwartungs-<br />

wert des Nutzens 36 dieses unsi<strong>ch</strong>eren Vermögens. Bezei<strong>ch</strong>net man mit v(.) die Risikonutzenfunktion, mit<br />

E[.] den Erwartungswert, kann Risikoaversion folgendermassen definiert werden:<br />

v(E[W]) > E[v(W)] bzw. v(π[W 0 -D] +[1-π]W 0 ) > πv(W 0 -D )+(1-π)W 0<br />

Man kann mit Blick auf oben ausgeführtes und in Abbildung 3 illustriertes Beispiel nun fragen, wel<strong>ch</strong>es<br />

si<strong>ch</strong>ere Vermögen man einem Subjekt anbieten müsste, damit es zwis<strong>ch</strong>en dem unsi<strong>ch</strong>eren, mit Risiko<br />

behafteten Vermögen und diesem si<strong>ch</strong>eren Vermögen indifferent wäre. Dieses si<strong>ch</strong>ere Vermögen nennt<br />

man Si<strong>ch</strong>erheitsäquivalent (S). Abbildung 3 zeigt, dass dieses Si<strong>ch</strong>erheitsäquivalent bei einem risiko-<br />

aversen Subjekt geringer ist als der Erwartungswert des mit Risiko behafteten Vermögens (S < W 0 -E[X]).<br />

Analog kann man si<strong>ch</strong> die Frage stellen, wel<strong>ch</strong>en Betrag ein Subjekt, das einem risikobehafteten Vermö-<br />

gen ausgesetzt ist, maximal zu zahlen bereit wäre, wenn es das unsi<strong>ch</strong>ere Vermögen mit einem si<strong>ch</strong>eren<br />

Vermögen taus<strong>ch</strong>en könnte. Diese maximale Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft nennt man Risikoprämie: Abbildung 3<br />

ma<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>, dass si<strong>ch</strong> die Risikoprämie aus zwei Bestandteilen zusammensetzt: Aus dem Erwartungs-<br />

wert des S<strong>ch</strong>adens (E[X] = πD), den man au<strong>ch</strong> «faire Prämie» nennt, und der sogenannten Si<strong>ch</strong>erheits-<br />

prämie, die der – über die den Erwartungss<strong>ch</strong>aden hinausgehende – Nettozahlungsbereits<strong>ch</strong>aft für die<br />

Vermeidung einer risikobehafteten Situation entspri<strong>ch</strong>t. Bei einem risikoneutralen Subjekt beträgt die<br />

Si<strong>ch</strong>erheitsprämie 0 und die Risikoprämie entspri<strong>ch</strong>t der fairen Prämie: Das risikoneutrale Wirts<strong>ch</strong>aftssub-<br />

jekt ist also ni<strong>ch</strong>t bereit, für eine Versi<strong>ch</strong>erung mehr zu zahlen als den Erwartungswert des S<strong>ch</strong>adens. Zu<br />

diesem Preis ist allerdings kein Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen bereit, den S<strong>ch</strong>aden zu versi<strong>ch</strong>ern, da jedes<br />

36 Den Erwartungswert des Nutzens nennt man au<strong>ch</strong> Erwartungsnutzen.<br />

81


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen aufgrund von Transaktionskosten, die beim Versi<strong>ch</strong>erungsges<strong>ch</strong>äft entstehen<br />

(insbesondere die Kosten des Vertriebs, der Administration und der S<strong>ch</strong>adenregulierung) Kosten hat, die<br />

über die erwartete S<strong>ch</strong>adenssumme hinausrei<strong>ch</strong>en. Bei einem risikoaversen Subjekt hingegen rei<strong>ch</strong>t die<br />

Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft über den Erwartungswert des S<strong>ch</strong>adens hinaus: Der Business Case der Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsunternehmen entsteht, wenn die Nettozahlungsbereits<strong>ch</strong>aft des Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt für die Risiko-<br />

vermeidung (Si<strong>ch</strong>erheitsprämie) die Transaktionskosten der Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen übersteigt: «Wi<strong>ch</strong>-<br />

tig ist nun, dass Versi<strong>ch</strong>erungen dur<strong>ch</strong> privatautonome Gestaltung von Re<strong>ch</strong>tsverhältnissen nur dann zustande kom-<br />

men, wenn die potentiell Ges<strong>ch</strong>ädigten si<strong>ch</strong> risikoavers verhalten. Die S<strong>ch</strong>adenserstattungskosten einer Versi<strong>ch</strong>erun-<br />

gen müssen bei genügend hoher Anzahl der Versi<strong>ch</strong>erten glei<strong>ch</strong> dem Erwartungswert des S<strong>ch</strong>adens pro Versi<strong>ch</strong>ertem<br />

multipliziert mit der Anzahl der Versi<strong>ch</strong>erten sein. Da die Versi<strong>ch</strong>erung darüber hinaus Kosten verursa<strong>ch</strong>t, wird sie<br />

vertragli<strong>ch</strong> nur dann zustande kommen, wenn die Bereits<strong>ch</strong>aft besteht, Prämien zu zahlen, die so weit über dem<br />

Erwartungswert des S<strong>ch</strong>adens liegen, dass diese Kosten abgedeckt sind.» (S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005, 409)<br />

Abbildung 3: Risikonutzenfunktion, Risikoaversion, Risikoprämie, faire Prämie, Si<strong>ch</strong>erheitsprämie und<br />

Si<strong>ch</strong>erheitsäquivalent<br />

Nutzen<br />

v(W 0 )<br />

v(E[W])<br />

E[v(W)]<br />

v(W 0 -D)<br />

Quelle: Zweifel und Eisen (2003, 68)<br />

Nutzen des Erwartungswertes:<br />

v(E[W]]=v(π[ π[ π[W π[ -D]+[1-π]<br />

0 π] π]W π] ) 0<br />

Si<strong>ch</strong>erheitsprämie<br />

W0-D S<br />

Si<strong>ch</strong>erheitsäquivalent<br />

W0-E[X] W0 Folgende Aussagen, die zutreffend sind, wenn Risikoaversion vorliegt, ermögli<strong>ch</strong>en einen intuitiveren<br />

Zugang zum Phänomen der Risikoaversion:<br />

v(W)<br />

Risikonutzenfunktion<br />

eines risikoaversen<br />

Subjekts<br />

Erwartungswert des Nutzens:<br />

E[v(W)]=πv(W 0 -D)+(1-π)v(W 0 )<br />

Risikoprämie<br />

faire<br />

Prämie<br />

E[X]<br />

Risikonutzenfunktion eines<br />

risikoneutralen Subjekts<br />

Vermögen W<br />

82


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

■ Wenn ein risikoaverses Individuum die Wahl zwis<strong>ch</strong>en zwei Lotterien hat, die den glei<strong>ch</strong>en Erwartungs-<br />

wert haben, si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Streuung der Ausgänge unters<strong>ch</strong>eiden, dann wählt das risikoaver-<br />

se Individuum die Lotterie mit der geringeren Streuung.<br />

■ Der Nutzen eines si<strong>ch</strong>eren Vermögens im Umfang von W ist bei einem risikoaversen Subjekt höher als<br />

der Nutzen eines mit Risiko behafteten Vermögens mit Erwartungswert W. .<br />

■ Ausgehend von einer Lotterie mit einem bestimmten Mittelwert und mit einer bestimmten Streuung:<br />

Ein risikoaverses Individuum wählt eine alternative Lotterie mit einer höheren Streuung nur dann, wenn<br />

der Mittelwert dieser alternativen Lotterie entspre<strong>ch</strong>end höher ist.<br />

■ Ein risikoaverses Individuum bewertet Abwei<strong>ch</strong>ungen vom Mittelwert gegen unten subjektiv stärker als<br />

Abwei<strong>ch</strong>ungen gegen oben, die dem Betrage na<strong>ch</strong> den Abwei<strong>ch</strong>ungen gegen unten entspre<strong>ch</strong>en.<br />

■ Ein risikoaverses Individuum ist bereit, einen Preis dafür zu bezahlen, eine riskante Lotterie zu vermeiden<br />

und mit einer si<strong>ch</strong>ereren Alternative zu ersetzen.<br />

Das Versi<strong>ch</strong>erungsges<strong>ch</strong>äft ist also in der Risikoaversion der VN begründet: Dur<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erung kön-<br />

nen risikoaverse Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte Risiken auf Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen transferieren. Dabei stellt si<strong>ch</strong><br />

unmittelbar die Frage, warum Versi<strong>ch</strong>erungen bereit sind, Risiken zu übernehmen. Für diese Bereits<strong>ch</strong>aft<br />

gibt es im Wesentli<strong>ch</strong>en zwei Gründen:<br />

■ Die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen sind risikoneutral oder aber weniger risikoavers als die VN.<br />

■ Aufgrund des Gesetzes der grossen Zahl reduziert si<strong>ch</strong> beim Poolen von Risiken das relative versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungste<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Risiko und das absolute versi<strong>ch</strong>erungste<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Risiko steigt mit zunehmender Anzahl<br />

Policen nur unterproportional.<br />

4.3 Nutzen der Versi<strong>ch</strong>erung<br />

Der vorangehende Abs<strong>ch</strong>nitt hat gezeigt, dass die Eigens<strong>ch</strong>aft der Risikoaversion eine positive Si<strong>ch</strong>erheits-<br />

prämie entstehen lässt, die ihrerseits den Business Case «Versi<strong>ch</strong>erung» begründet: Ist die Si<strong>ch</strong>erheitsprä-<br />

mie höher als die Transaktionskosten des Versi<strong>ch</strong>erungsges<strong>ch</strong>äfts, führt der Abs<strong>ch</strong>luss eines Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvertrags zu einer Pareto-Verbesserung: Dur<strong>ch</strong> den Vertragss<strong>ch</strong>luss entsteht eine Werts<strong>ch</strong>öpfung<br />

im Umfang der um die Transaktionskosten des Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmens reduzierten Si<strong>ch</strong>erheitsprä-<br />

mie. Die Verteilung der Werts<strong>ch</strong>öpfung zwis<strong>ch</strong>en dem VN und dem VU wird dabei von der Höhe der Prä-<br />

mie determiniert, die Werte im Intervall [faire Prämie + Transaktionskosten, Risikoprämie] annehmen<br />

kann. Nimmt die Prämie den minimalen Wert (faire Prämie + Transaktionskosten) an, beträgt die Produ-<br />

zentenrente des Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmens 0 und die gesamte Werts<strong>ch</strong>öpfung (Si<strong>ch</strong>erheitsprämie minus<br />

Transaktionskosten) fällt beim VN in Form einer Konsumentenrente an. Nimmt die Prämie hingegen den<br />

maximalen Wert (Risikoprämie) an, wel<strong>ch</strong>er der maximalen Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft des VN entspri<strong>ch</strong>t, be-<br />

trägt die Konsumentenrente 0 und die gesamte Werts<strong>ch</strong>öpfung kommt dem Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

in Form einer Produzentenrente im Umfang der um die Transaktionskosten reduzierten Si<strong>ch</strong>erheitsprämie<br />

zu.<br />

Die Produzentenrente und die Konsumentenrente, die mit dem Abs<strong>ch</strong>luss eines Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags<br />

entstehen, könnte man als direkte Nutzen der Versi<strong>ch</strong>erung bezei<strong>ch</strong>nen. Wie soeben ausgeführt, beträgt<br />

der Nutzen der Versi<strong>ch</strong>erung die um die Transaktionskosten reduzierte Si<strong>ch</strong>erheitsprämie. Dabei ist fest-<br />

zuhalten, dass weder die Risikoprämie no<strong>ch</strong> die effektive Prämie, wel<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong> die faire Prämie enthalten,<br />

den Nutzen der Versi<strong>ch</strong>erung messen. Dies kann anhand der drei Beispiele expliziert werden, die in Tabel-<br />

le 10 dargestellt sind: Den Beispielen ist gemeinsam, dass es zwei mögli<strong>ch</strong>e Zustände gibt, die mit einer<br />

Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit von je 50 Prozent eintreten. Die Beispiele unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>adens-<br />

summen. Der Verglei<strong>ch</strong> der Beispiele zeigt, dass aus einer ökonomis<strong>ch</strong>en Nutzen-Perspektive ni<strong>ch</strong>t die<br />

83


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

Höhe der S<strong>ch</strong>adenssumme, sondern die Streuung der S<strong>ch</strong>adenssummen wesentli<strong>ch</strong> ist. Diese Streuung<br />

nennen wir Risiko. Sie ist in Tabelle 10 mit der statistis<strong>ch</strong>en Kennzahl «dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e absolute Abwei-<br />

<strong>ch</strong>ung (vom Mittelwert)» operationalisiert. Beispiele A und B unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> einzig bezügli<strong>ch</strong> der er-<br />

warteten S<strong>ch</strong>adenssumme (= faire Prämie): Das Risiko, das an das VU übertragen wird, ist dasselbe: es<br />

beträgt – operationalisiert mit der dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>en absoluten Abwei<strong>ch</strong>ung vom Erwartungswert – 500<br />

Franken. Die Versi<strong>ch</strong>erungsprämie ist in Beispiel A aber wesentli<strong>ch</strong> höher als in Beispiel B, da die Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsprämie au<strong>ch</strong> den Erwartungswert (=faire Prämie) enthält. Die Summe der Versi<strong>ch</strong>erungsprämien ist<br />

deshalb nur bes<strong>ch</strong>ränkt ein Indikator für den Nutzen, der dur<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erung von Risiken entsteht.<br />

Dies ma<strong>ch</strong>t insbesondere der Verglei<strong>ch</strong> der Beispiele A und C deutli<strong>ch</strong>: Die Versi<strong>ch</strong>erungsprämie ist in<br />

Beispiel A mit 10'550 Franken wesentli<strong>ch</strong>e höher als in Beispiel C mit 5'500 Franken. Denno<strong>ch</strong> ist der<br />

Nutzen der Versi<strong>ch</strong>erung in Beispiel C höher, da mit dieser Versi<strong>ch</strong>erung «mehr Risiko» an das VU über-<br />

tragen wird, als dies in Beispiel A der Fall ist.<br />

Tabelle 10: Der ökonomis<strong>ch</strong>e Risikobegriff<br />

Beispiel A Beispiel B Beispiel C<br />

S<strong>ch</strong>adenssumme im Zustand 1 (p 1 = 50%) 10'000 0 0<br />

S<strong>ch</strong>adenssumme im Zustand 2 (p 2 = 50%) 11'000 1'000 10'000<br />

Erwartungswert = faire Prämie 10'500 500 5'000<br />

Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e absolute Abwei<strong>ch</strong>ung 500 500 5'000<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsprämie 1 10'550 550 5'500<br />

Bemerkungen: 1 Wir haben angenommen, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsprämie der Summe aus der fairen Prämie und 10% der dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>en<br />

absoluten Abwei<strong>ch</strong>ung entspri<strong>ch</strong>t.<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

Zweifel und Eisen (2003, 16ff) ma<strong>ch</strong>en – jenseits des direkten Nutzens der Versi<strong>ch</strong>erung von Risiken –<br />

indirekte Nutzen der Assekuranz geltend:<br />

■ Reduktion der Risiken: Versi<strong>ch</strong>erungsprämien werden übli<strong>ch</strong>erweise risikogere<strong>ch</strong>t bere<strong>ch</strong>net: Je höher<br />

das Risiko (Eintrittswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit und S<strong>ch</strong>adenhöhe), desto höher die Prämie. Dadur<strong>ch</strong> entstehen für<br />

die VN ökonomis<strong>ch</strong>e Anreize, dur<strong>ch</strong> geeignete S<strong>ch</strong>adenverhütungs- und S<strong>ch</strong>adenminderungsmassnahmen<br />

die Risiken zu reduzieren.<br />

■ Effiziente Allokation der Risiken: Der Risikotransfer von VN zu Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen kann<br />

s<strong>ch</strong>adensmindernde und/oder s<strong>ch</strong>adenseindämmende Wirkungen entfalten. Ein Beispiel hierfür ist die<br />

sofortige Bereitstellung von monetären Ressourcen, die eine zeitnahe S<strong>ch</strong>adensbehebung ermögli<strong>ch</strong>t, so<br />

dass Folges<strong>ch</strong>äden verhindert werden können. Ein weiteres Beispiel sind die S<strong>ch</strong>adenfors<strong>ch</strong>ungszentren<br />

der Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen, deren Erkenntnisse zur S<strong>ch</strong>adensverhinderung und/oder –eindämmung<br />

genutzt werden können.<br />

■ Erhöhung der Wagnisbereits<strong>ch</strong>aft: Der mit Versi<strong>ch</strong>erungen realisierte S<strong>ch</strong>utz bestehender Vermögen<br />

ermögli<strong>ch</strong>t den Unternehmen, gewinnträ<strong>ch</strong>tige Ges<strong>ch</strong>äfte aufzubauen, die mit hohen Risiken behaftet<br />

sind. Dur<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>äfte steigt die Werts<strong>ch</strong>öpfung der Volkswirts<strong>ch</strong>aft. S<strong>ch</strong>äfer und Ott (2005, 139)<br />

formulieren diesen Gedanken folgendermassen: «Dieses ‚Poolen’ unternehmeris<strong>ch</strong>er Risiken ermögli<strong>ch</strong>t unter-<br />

nehmeris<strong>ch</strong>e Wagnisse, die ein risikoaverser Einzelunternehmer ni<strong>ch</strong>t eingehen würde. Versi<strong>ch</strong>erungslösungen sind<br />

damit au<strong>ch</strong> Produktivkräfte. Sie ermögli<strong>ch</strong>en Wirts<strong>ch</strong>aftsaktivitäten, die ohne Risikostreuung unterblieben wären.»<br />

■ Kapitalbildungs- und -mobilisierungsfunktion: Dur<strong>ch</strong> den Kauf von Versi<strong>ch</strong>erungsprodukten, ins-<br />

besondere von Lebensversi<strong>ch</strong>erungen, wird die Spartätigkeit angeregt. Eine erhöhte Sparquote führt ge-<br />

mäss makroökonomis<strong>ch</strong>er Theorie zu einem erhöhten Output in der Zukunft. Die Spartätigkeit führt dar-<br />

über hinaus zu einer Verstetigung des gesamtwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Kreislaufprozesses, da dur<strong>ch</strong> diesen die<br />

Konsum- und Ausgabenmuster stabilisiert werden.<br />

84


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

4.4 Kosten der Versi<strong>ch</strong>erung<br />

Versi<strong>ch</strong>erungen lösen au<strong>ch</strong> Kosten aus. Dies kann anhand einer Differenzierung gezeigt werden, die Ca-<br />

labresi (1979) eingeführt hat (vgl. S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2003, 128ff):<br />

■ Primäre Kosten: Der Wert aller S<strong>ch</strong>äden bei den Opfern einer S<strong>ch</strong>ädigung – gemessen in verni<strong>ch</strong>teten<br />

Nutzwerten. Die primären Kosten umfassen ni<strong>ch</strong>t nur den Wert der dur<strong>ch</strong> ein S<strong>ch</strong>adensereignis verni<strong>ch</strong>te-<br />

ten und quantifizierbaren Aktiva, sondern au<strong>ch</strong> intangible Nutzenkomponenten (Beispiel: S<strong>ch</strong>merzen in-<br />

folge eines Unfalls).<br />

■ Sekundäre Kosten: Kosten der Ni<strong>ch</strong>texistenz von Risikostreuung. Die Kosten eines S<strong>ch</strong>adens sind ni<strong>ch</strong>t<br />

nur abhängig, in wel<strong>ch</strong>er Höhe primäre Kosten anfallen, sondern au<strong>ch</strong> davon, wie si<strong>ch</strong> diese verteilen: Ein<br />

S<strong>ch</strong>aden, der si<strong>ch</strong> auf eine grössere Anzahl von Personen und/oder einen längeren Zeitraum verteilt, ist<br />

wegen der Risikoaversion der Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte lei<strong>ch</strong>ter zu ertragen als ein S<strong>ch</strong>aden, der si<strong>ch</strong> auf einen<br />

Zeitpunkt und auf ein einzelnes Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt konzentriert. Sekundäre Kosten können in diesem<br />

Sinne als die Differenz zwis<strong>ch</strong>en dem Nutzen bei versi<strong>ch</strong>ertem Einkommen und dem Erwartungsnutzen<br />

bei unversi<strong>ch</strong>ertem Einkommen definiert werden (vgl. Ausführungen in Abs<strong>ch</strong>nitt 4.2).<br />

■ Tertiäre Kosten: Transaktionskosten, die zur Abwicklung und Verteilung des S<strong>ch</strong>adens entstehen. Sie<br />

umfassen insbesondere die Kosten von Vertragss<strong>ch</strong>luss, -änderung und –verlängerung, die Kosten des<br />

Prämieninkassos und die Kosten der S<strong>ch</strong>adenregulierung, die bei den VU anfallen.<br />

Der Nutzen von Versi<strong>ch</strong>erungen liegt – wie wir weiter oben ausgeführt haben – in der Reduktion von<br />

sekundären Kosten. Bezügli<strong>ch</strong> der primären und tertiären Kosten führen Versi<strong>ch</strong>erungen zu erhöhten<br />

Kosten:<br />

■ Erhöhung der primären Kosten: Eine Risikoversi<strong>ch</strong>erung reduziert beim VN die Anreize zur S<strong>ch</strong>adens-<br />

minderung. Dieses Phänomen nennt man «Moral Hazard» und wird in Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.2 im Detail analy-<br />

siert.<br />

■ Erhöhung der tertiären Kosten: Der Riskotransfer vom VN zum VU ist ni<strong>ch</strong>t kostenlos, vielmehr entste-<br />

hen bei diesem Transaktionskosten (Kosten des Vertragss<strong>ch</strong>lusses, Kosten der S<strong>ch</strong>adenregulierung etc.).<br />

4.5 Risikodiskriminierung und Solidarität<br />

Im Gegensatz zu den Sozialversi<strong>ch</strong>erungen spielt der Solidaritäts-Gedanke bei den Privatversi<strong>ch</strong>erungen<br />

nur eine untergeordnete Rolle. In Zusammenhang mit der Versi<strong>ch</strong>erung von Risiken kann man Solidarität<br />

dahingehend definieren, dass es eine Quersubventionierung der «s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten Risiken» dur<strong>ch</strong> die «guten<br />

Risiken» gibt. Bei den meisten Privatversi<strong>ch</strong>erungen gibt es derartige Quersubventionierung ni<strong>ch</strong>t, da die<br />

VN bezügli<strong>ch</strong> ihres Risikos diskriminiert werden. Die Risikodiskriminierung äussert si<strong>ch</strong> in risikoadäquaten<br />

Prämien. Risikoadäquat ist dabei dahingehend zu interpretieren, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsprämie vom Erwar-<br />

tungswert der S<strong>ch</strong>adenssumme eines VN abhängt: VN mit einer hohen erwarteten S<strong>ch</strong>adenssumme zah-<br />

len eine höhere Prämie als VN mit einer tiefen erwarteten S<strong>ch</strong>adenssumme, so dass keine Quersubventio-<br />

nierung der s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten Risiken dur<strong>ch</strong> die guten Risiken resultiert.<br />

Dies ist bei Sozialversi<strong>ch</strong>erungen ni<strong>ch</strong>t der Fall. Ein Beispiel hierfür ist die Arbeitslosenversi<strong>ch</strong>erung: Gut<br />

ausgebildete Arbeitnehmer mit einem tiefen Arbeitslosigkeitsrisiko entri<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t tiefere Beiträge als<br />

Arbeitnehmer mit einem hohen Risiko, arbeitslos zu werden. Damit ist der Tatbestand der Solidarität er-<br />

füllt: Die Arbeitnehmer mit einem tiefen Arbeitslosigkeitsrisiko bezahlen Versi<strong>ch</strong>erungsprämien (monatli-<br />

<strong>ch</strong>e Beiträge an die Arbeitslosenkasse) die «zu ho<strong>ch</strong>», d.h. ihrer erwarteten S<strong>ch</strong>adenssumme ni<strong>ch</strong>t adä-<br />

quat, sind.<br />

85


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

Allerdings ist zu bea<strong>ch</strong>ten, dass der Tatbestand der Quersubventionierung von s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten Risiken dur<strong>ch</strong><br />

gute Risiken zwar eine notwendige, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> hinrei<strong>ch</strong>ende Bedingung dafür ist, dass von Solidarität<br />

gespro<strong>ch</strong>en werden kann. Denn bei den überobligatoris<strong>ch</strong>en freiwilligen Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen<br />

gibt es ebenfalls eine Quersubventionierung der s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten Risiken dur<strong>ch</strong> die guten Risiken. Dies hängt<br />

damit zusammen, dass si<strong>ch</strong> die VN bei den Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen dagegen versi<strong>ch</strong>ern, ein s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>-<br />

tes Risiko (Beispiel: <strong>ch</strong>ronis<strong>ch</strong>e Erkrankung) zu sein. Diese Versi<strong>ch</strong>erung s<strong>ch</strong>liessen sie zu einem Zeitpunkt<br />

ab, zu dem sie no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wissen, ob sie ein s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes oder aber ein gutes Risiko sind. Diese Information<br />

erhalten die VN also erst na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss. Darin liegt der Unters<strong>ch</strong>ied zu den Sozialversi<strong>ch</strong>erungen:<br />

Bei den Sozialversi<strong>ch</strong>erungen wissen die guten Risiken in vielen Fällen ex ante, dass sie ein gutes Risiko<br />

sind und deswegen die s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten Risiken quersubventionieren. Bei den Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen ist<br />

dies ni<strong>ch</strong>t der Fall: Die VN wissen ex ante ni<strong>ch</strong>t, ob sie Nettozahler oder Nettoempfänger sein werden.<br />

Insofern sollte au<strong>ch</strong> bei den Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen ni<strong>ch</strong>t von Solidarität gespro<strong>ch</strong>en werden. Denn<br />

der Begriff der Solidarität impliziert, dass derjenige, der si<strong>ch</strong> solidaris<strong>ch</strong> erklärt und «zu hohe» Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsprämien bezahlt, die seinem Risiko ni<strong>ch</strong>t adäquat sind, ex ante weiss, dass er dies tut und au<strong>ch</strong> in<br />

Zukunft tun wird.<br />

Grundsätzli<strong>ch</strong> gibt es ni<strong>ch</strong>t nur bei den Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen, sondern au<strong>ch</strong> bei den restli<strong>ch</strong>en<br />

Privatversi<strong>ch</strong>erungen eine Quersubventionierung zwis<strong>ch</strong>en unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en VN. Der Unters<strong>ch</strong>ied zu den<br />

Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen ist allerdings darin zu sehen, dass es bei den «normalen» Privatversi<strong>ch</strong>erun-<br />

gen nur eine Quersubventionierung zwis<strong>ch</strong>en VN gibt, bei wel<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> die versi<strong>ch</strong>erte Gefahr zufälliger-<br />

weise realisierte und VN, bei wel<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> die Gefahr zufälligerweise ni<strong>ch</strong>t realisierte. Diese Quersubventi-<br />

onierung hat jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts mit Solidarität, sondern mit Risikoverteilung zu tun: Die Quersubventionierung,<br />

die ex post au<strong>ch</strong> bei Privatversi<strong>ch</strong>erungen beoba<strong>ch</strong>tet werden kann, ist das Resultat der Risikoverteilung.<br />

Risikoverteilung bzw. Risikoallokation jedo<strong>ch</strong> ist das Wesen der Privatversi<strong>ch</strong>erung.<br />

Privatversi<strong>ch</strong>erungen unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> von Sozialversi<strong>ch</strong>erungen also im wesentli<strong>ch</strong>en dahingehend, dass<br />

die Versi<strong>ch</strong>erungsprämien risikoadäquat bere<strong>ch</strong>net sind, was bei Sozialversi<strong>ch</strong>erungen ni<strong>ch</strong>t (Arbeitslosen-<br />

versi<strong>ch</strong>erung) oder in geringerem Ausmass (obligatoris<strong>ch</strong>e Krankenversi<strong>ch</strong>erung) der Fall ist. Risikoadäqua-<br />

te Prämien bedingen, dass die VN ex ante bezügli<strong>ch</strong> ihres Risikos diskriminiert werden können. Das Ver-<br />

fahren, das die VN in der vorvertragli<strong>ch</strong>en Phase einsetzen, um das Risiko eines VN eins<strong>ch</strong>ätzen zu kön-<br />

nen, könnte man «Risikodiskriminierungste<strong>ch</strong>nologie» nennen. Ein wi<strong>ch</strong>tiges Element der Risikodiskrimi-<br />

nierungste<strong>ch</strong>nologie eines VU sind die vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten der VN. Dur<strong>ch</strong> die Wahrneh-<br />

mung dieser Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten offenbaren die VN Eigens<strong>ch</strong>aften und Verhalten, die einen Rücks<strong>ch</strong>luss auf<br />

die zu erwartende S<strong>ch</strong>adenssumme erlauben. Weiter oben haben wir dargelegt, dass bei Privatversi<strong>ch</strong>e-<br />

rungen die erwartete S<strong>ch</strong>adenssumme ni<strong>ch</strong>t versi<strong>ch</strong>ert werden kann, da die Prämien in Abhängigkeit<br />

dieser erwarteten S<strong>ch</strong>adenssumme bere<strong>ch</strong>net wird. Dadur<strong>ch</strong> wird deutli<strong>ch</strong>, dass der fortwährenden Ver-<br />

besserung der Risikodiskriminierungste<strong>ch</strong>nologie (Sti<strong>ch</strong>wort: Gente<strong>ch</strong>nologie) die Tendenz inhärent ist,<br />

den Anteil der S<strong>ch</strong>äden, die versi<strong>ch</strong>ert werden können, zu senken. Diese Überlegung ma<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>, dass<br />

es au<strong>ch</strong> bei Privatversi<strong>ch</strong>erungen etwas gibt, das der Solidarität sehr ähnli<strong>ch</strong> ist: Die Unvollkommenheit der<br />

Risikodiskriminierungste<strong>ch</strong>nologie der VU führt dazu, dass die Risiken ni<strong>ch</strong>t perfekt diskriminiert werden<br />

können. Dies bedeutet, dass die erwartete S<strong>ch</strong>adenssumme, wel<strong>ch</strong>e ein VU für einen VN bere<strong>ch</strong>nen, in<br />

einem gewissen Ausmass fehlerhaft ist, was zu risikoinadäquaten Prämien führt. Dur<strong>ch</strong> diese Fehlerhaftig-<br />

keit entstehen zwis<strong>ch</strong>en den VN Subventionsströme. Allerdings erfüllen au<strong>ch</strong> diese Subventionsströme<br />

ni<strong>ch</strong>t das Kriterium der Solidarität, da die VN wiederum ex ante ni<strong>ch</strong>t wissen, ob die erwartete S<strong>ch</strong>adens-<br />

summe, wel<strong>ch</strong>e die VU für sie bere<strong>ch</strong>net haben (um die Prämie festzulegen), zu ho<strong>ch</strong> (der VN wird in<br />

diesem Fall zum Subventionszahler) oder zu tief (der VN wird in diesem Fall zum Subventionsempfänger)<br />

ist.<br />

86


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

4.6 Marktunvollkommenheiten und Marktversagen<br />

Ausgangspunkt und Ursa<strong>ch</strong>e von Marktunvollkommenheiten im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt sind asymmetris<strong>ch</strong>e<br />

Informationen. In diesem Zusammenhang können grundsätzli<strong>ch</strong> folgende Phänomene unters<strong>ch</strong>ieden wer-<br />

den:<br />

■ Adverse Selektion: Das Phänomen der adversen Selektion kann auftreten, wenn die VU ni<strong>ch</strong>t in der<br />

Lage sind, ex ante das S<strong>ch</strong>adensrisiko der einzelnen VN (Hidden Characteristics) zu erkennen. Im Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

4.6.1 führen wir das Wesen und die ökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkungen des Phänomens der adverse selection<br />

im Detail aus.<br />

■ Moral Hazard: Deckt ein VN ein Risiko mittels Versi<strong>ch</strong>erung, sinken für diesen die Anreize, si<strong>ch</strong> risiko-<br />

minimierend zu verhalten, so dass die Risikodeckung eine Verhaltensänderung induziert. In diesem Fall<br />

spri<strong>ch</strong>t man von Moral Hazard des VN. Im Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.2 erläutern wir die (wohlfahrts)ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

Auswirkungen von Moral Hazard.<br />

■ Imperfect Information: Der VN ist bezügli<strong>ch</strong> der am Markt verfügbaren Versi<strong>ch</strong>erungsprodukten, VU<br />

und Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler ni<strong>ch</strong>t vollständig informiert. In Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.3 analysieren wir die Informati-<br />

onsdefizite, denen der VN ausgesetzt ist und legen dar, wie derartige Informationsdefizite zu Wohlfahrts-<br />

verlusten führen können.<br />

■ Bes<strong>ch</strong>ränkte Rationalität (Bounded Rationality): Individuen verhalten si<strong>ch</strong> in komplexen Ents<strong>ch</strong>ei-<br />

dungssituationen häufig ni<strong>ch</strong>t rational im Sinne der Nutzenmaximierung. Dies ist u.a. auf Verhaltensano-<br />

malien zurückzuführen, die zum Teil aus der experimentellen Wirts<strong>ch</strong>aftsfors<strong>ch</strong>ung bekannt sind (Ab-<br />

s<strong>ch</strong>nitt 4.6.4).<br />

4.6.1 Adverse Selektion<br />

Die na<strong>ch</strong>folgenden Ausführungen beruhen auf Zweifel und Eisen (2003, 320ff).<br />

Bei Vertragsabs<strong>ch</strong>luss unterliegen die VU einem Informationsna<strong>ch</strong>teil, da sie das wahre Risiko eines VN<br />

ni<strong>ch</strong>t kennen (Hidden Characteristics). Sind sie ni<strong>ch</strong>t in der Lage, die Risiken zu diskriminieren, müssen<br />

sie einen sog. Mis<strong>ch</strong>vertrag (pooling contract) anbieten, dessen Prämie für ein dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>es Risiko<br />

bere<strong>ch</strong>net ist (generelle Prämie). Diese Prämie übersteigt die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft der guten Risiken.<br />

Diese reagieren auf zwei mögli<strong>ch</strong>e Weisen:<br />

■ Sie verzi<strong>ch</strong>ten auf eine Fremdversi<strong>ch</strong>erung ihres Risikos.<br />

■ Sie wandern zu einem anderen VU ab, das einen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag anbietet, der nur für die guten<br />

Risiken interessant ist. Dieser Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> aus, dass er im Verglei<strong>ch</strong> zum<br />

Mis<strong>ch</strong>vertrag weniger Deckung zu tieferen Prämien anbietet.<br />

In beiden Fällen Fälle verliert das VU, das den Mis<strong>ch</strong>vertrag anbietet, die guten Risiken. Dies führt dazu,<br />

dass das VU die Prämien na<strong>ch</strong> oben anpassen muss, wenn es keinen Verlust ma<strong>ch</strong>en will. Eine Prämiener-<br />

höhung führt jedo<strong>ch</strong> zu einer weiteren Abwanderung der guten Risiken. Diesen Prozess der Ansammlung<br />

s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter Risiken bei einem VU nennt man adverse Selektion (Adverse Selection). Adverse Selektion<br />

impliziert u.a., dass das vereinende Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t (pooled equilibrium) ni<strong>ch</strong>t stabil ist. Weil das ver-<br />

einende Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t jederzeit von Konkurrenzunternehmen mit Verträgen angegriffen werden kann,<br />

wel<strong>ch</strong>e die guten Risiken anziehen, werden die VU letztli<strong>ch</strong> keine Mis<strong>ch</strong>verträge anbieten. Vielmehr wer-<br />

den sie sog. trennende Verträge (separating contracts) anbieten, die derart konzipiert sind, dass die<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Risikotypen selbsttätig den ihnen angemessenen Vertrag wählen (self selection): gute<br />

Risiken wählen Verträge mit tiefer Deckung und tiefer Prämie, während s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te Risiken Verträge mit<br />

hoher Deckung und hoher Prämie wählen, so dass ein sogenanntes trennendes Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t (separa-<br />

ting equilibrium) entsteht. Allerdings kann ein trennendes Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t unter bestimmten Vorausset-<br />

87


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

zung wiederum mit Mis<strong>ch</strong>verträgen angegriffen werden (vgl. Zweifel und Eisen 2003, 328), so dass si<strong>ch</strong><br />

die Frage stellt, ob es auf einem Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt überhaupt ein stabiles Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t geben kann,<br />

wenn die VU die Risiken ni<strong>ch</strong>t ex ante erkennen und diskriminieren können. Wie dem au<strong>ch</strong> sei: Es steht<br />

fest, dass die Unfähigkeit der VU, Risiken vor Vertragss<strong>ch</strong>luss zu erkennen und entspre<strong>ch</strong>end zu diskrimi-<br />

nieren, zu Wohlfahrtsverlusten führt:<br />

■ Falls nur Mis<strong>ch</strong>verträge verfügbar sind, verzi<strong>ch</strong>ten gute Risiken auf eine Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung, so dass<br />

Konsumenten- und Produzentenrenten verloren gehen, die bei Verfügbarkeit risikoadäquater Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsverträge realisierbar wären.<br />

■ Falls trennende Verträge verfügbar sind, erhalten die guten Risiken kein volle Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung.<br />

Dadur<strong>ch</strong> gehen Konsumenten- und Produzentenrenten verloren, die realisiert werden könnten, wenn die<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationsasymmetrie aufgehoben werden könnte.<br />

■ Die Informationsdefizite der VU bezügli<strong>ch</strong> der Risikoexposition der einzelnen VN können zu einer stän-<br />

digen Wanderung der guten Risiken führen, so dass si<strong>ch</strong> kein stabiles Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t einstellen kann. Mit<br />

diesen Wanderungsbewegungen sind wohlfahrtsmindernde Transaktionskosten verbunden.<br />

Es gibt vers<strong>ch</strong>iedene Mögli<strong>ch</strong>keiten, diese Wohlfahrtseinbussen infolge asymmetris<strong>ch</strong>er Informationen zu<br />

verhindern bzw. zu reduzieren:<br />

■ Obligatoris<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erung: Die Versi<strong>ch</strong>erung kann für obligatoris<strong>ch</strong> erklärt werden: Da dadur<strong>ch</strong> die<br />

Informationsasymmetrie ni<strong>ch</strong>t aufgehoben wird, resultiert eine Quersubventionierung der s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten Risi-<br />

ken dur<strong>ch</strong> die guten.<br />

■ Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten: Reduktion des Informationsdefizits der VU dur<strong>ch</strong> die gesetzli<strong>ch</strong>e<br />

Etablierung vorvertragli<strong>ch</strong>er Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten der VN.<br />

■ Erfahrungstarifierung: Bei der Erfahrungstarifierung werden die Prämien auf der Basis der S<strong>ch</strong>adens-<br />

history der einzelnen VN bere<strong>ch</strong>net (vgl. Zweifel und Eisen 2003, 332ff).<br />

4.6.2 Moral Hazard<br />

Die VU unterliegen au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss Informationsdefiziten bezügli<strong>ch</strong> der VN: Sie können deren<br />

Verhalten während der Vertragslaufzeit ni<strong>ch</strong>t beoba<strong>ch</strong>ten (Hidden Action). Dies stellt für die VU deshalb<br />

ein Problem dar, weil dieses Verhalten Eintrittswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, Dauer und Umfang der S<strong>ch</strong>äden beein-<br />

flusst. Das Problem tritt in Zusammenhang mit Versi<strong>ch</strong>erungen akzentuiert auf, weil die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass die<br />

VN ihre Risiken versi<strong>ch</strong>ert haben, zu einer Anpassung in ihrem Verhalten führt. Dieses Phänomen nennt<br />

man «Moral Hazard». Moral Hazard entsteht bei Versi<strong>ch</strong>erungen deshalb, weil die Erträge von risikobe-<br />

haftetem Verhalten na<strong>ch</strong> wie vor beim VN anfallen, die Kosten dieses Verhaltens in Form von S<strong>ch</strong>äden<br />

jedo<strong>ch</strong> beim VU: «Aus der Si<strong>ch</strong>t der ökonomis<strong>ch</strong>en Theorie haftet somit dem Begriff des moralis<strong>ch</strong>en Risikos weit<br />

weniger Verwerfli<strong>ch</strong>es an als aus der Si<strong>ch</strong>t der Versi<strong>ch</strong>erungspraktiker. Letztli<strong>ch</strong> entlastet der Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz den<br />

VK von den finanziellen Konsequenzen gewisser Handlungsalternativen im S<strong>ch</strong>adenfall, und es entspri<strong>ch</strong>t ledigli<strong>ch</strong><br />

dem Gesetz der Na<strong>ch</strong>frage, wenn Alternativen, die mit niedrigeren Kosten einhergehen, vermehrt gewählt werden.<br />

Anstrengungen zur S<strong>ch</strong>adenverhütung und –eindämmung werden gegen Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen substituiert».<br />

Gemäss Zweifel und Eisen (2003, 295) können folgende Formen des moralis<strong>ch</strong>en Risikos differenziert<br />

werden:<br />

■ Die Versi<strong>ch</strong>erung führt dazu, dass der VN riskantere Handlungsalternativen in Betra<strong>ch</strong>t zieht und auf<br />

kostspielige Anstrengungen zur S<strong>ch</strong>adensverhütung (self-protection) verzi<strong>ch</strong>tet. Dadur<strong>ch</strong> steigt die S<strong>ch</strong>a-<br />

denseintrittswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit. Beispiel: S<strong>ch</strong>nelleres Autofahren.<br />

■ Die Versi<strong>ch</strong>erung führt dazu, dass der VN auf palliative Anstrengungen verzi<strong>ch</strong>tet, wel<strong>ch</strong>e die Höhe des<br />

S<strong>ch</strong>adens im Eintrittsfall reduzieren. Beispiel: Installation von Feuerlös<strong>ch</strong>ern.<br />

88


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

■ Die Versi<strong>ch</strong>erung führt dazu, dass der VN na<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>adenseintritt auf Anstrengungen verzi<strong>ch</strong>tet, wel<strong>ch</strong>e<br />

die Höhe des S<strong>ch</strong>adens beeinflussen. Beispiel: Reparatur eines Wagens bei einem besonders teuren Gara-<br />

gisten.<br />

Moral Hazard führt sowohl in direkter als au<strong>ch</strong> in indirekter Weise zu Wohlfahrtsverlusten:<br />

■ Direkte Wohlfahrtsverluste: Moral Hazard führt in direkter Art und Weise dazu, dass mehr knappe<br />

Ressourcen verni<strong>ch</strong>tet werden (Erhöhung der primären S<strong>ch</strong>adenskosten).<br />

■ Indirekte Wohlfahrtsverluste: Moral Hazard führt dazu, dass die VU einen Zus<strong>ch</strong>lag auf die Prämie<br />

erheben müssen. Gemäss Zweifel und Eisen (2003, 303) steigt dieser Zus<strong>ch</strong>lag in vielen Fällen mit der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung an, so dass eine Eins<strong>ch</strong>ränkung der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung resultiert. Eine derartige<br />

Eins<strong>ch</strong>ränkung der Versi<strong>ch</strong>erungsleistung impliziert, dass Konsumenten- und Produzentenrenten ni<strong>ch</strong>t<br />

anfallen, die in einer Situation ohne Moral Hazard mit entspre<strong>ch</strong>ender Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung realisiert<br />

werden könnten.<br />

Es gibt im Wesentli<strong>ch</strong>en zwei Instrumente, mit wel<strong>ch</strong>en Moral Hazard eingedämmt werden kann:<br />

■ Definition von Obliegenheiten, zu wel<strong>ch</strong>en der VN vor und na<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>adenseintritt verpfli<strong>ch</strong>tet ist.<br />

■ Erfahrungstarifierung und Bonus-Malus-Systeme<br />

4.6.3 Imperfect Information<br />

Die VN sind Informationsdefiziten unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>ster Natur ausgesetzt. In Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.3.2 werden wir<br />

darlegen, wel<strong>ch</strong>e Informationsdefizite differenziert werden können. Dabei wird aufgezeigt, inwiefern<br />

diese Informationsdefizite im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt eine Rolle spielen. In Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.3.3 gehen<br />

wir kurz auf die Ursa<strong>ch</strong>en dieser Informationsdefizite ein. Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.3.4 befasst si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> mit<br />

den wohlfahrtsmindernden Auswirkungen, die von Informationsdefiziten der VN ausgelöst werden kön-<br />

nen.<br />

4.6.3.1 Überblick<br />

Abbildung 4 gibt einen Überblick über die Phänomene und Zusammenhänge, die in den Abs<strong>ch</strong>nitten<br />

4.6.3.2 bis 4.6.3.4 im Detail erörtert werden. Sie können folgendermassen zusammengefasst werden:<br />

Ursa<strong>ch</strong>e der unvollständigen Information der VN über die am Markt verfügbaren Produkten, tätigen VU<br />

und Vermittler sind die Komplexität und die Glaubensgut-Eigens<strong>ch</strong>aft des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags. Diese<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften führen zu fünf vers<strong>ch</strong>iedenen Arten von Informationsdefiziten:<br />

■ Unkenntnis bestimmter Produkteigens<strong>ch</strong>aften (Hidden Characteristics)<br />

■ Fals<strong>ch</strong>e Vorstellungen bezügli<strong>ch</strong> bestimmter Produkteigens<strong>ch</strong>aften<br />

■ Unvollständige Information bezügli<strong>ch</strong> des Marktangebots<br />

■ Unkenntnis bestimmter Eigens<strong>ch</strong>aften (Qualität) der VU (Hidden Characteristics)<br />

■ Unkenntnis der Qualität der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (Hidden Characteristics)<br />

Diese Informationsdefizite können im Wesentli<strong>ch</strong>en im Rahmen von fünf Kausalketten zu Wohlfahrtsver-<br />

lusten führen:<br />

■ Suboptimale Kaufents<strong>ch</strong>eide der VN: VN, die nur unvollständig oder sogar fals<strong>ch</strong> über die am Markt<br />

verfügbaren Produkten informiert sind, können si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t für dasjenige Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt ents<strong>ch</strong>ei-<br />

den, das ihren Nutzen maximiert. Im Verglei<strong>ch</strong> zu einer hypothetis<strong>ch</strong>en Situation, in der die VN perfekt<br />

informiert sind, resultiert ein Wohlfahrtsverlust im Form einer reduzierten Konsumentenrente.<br />

89


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

■ Ex ante Opportunismus der Vermittler: Informationsdefizite der VN ermögli<strong>ch</strong>en den Vermittlern<br />

sogenanntes «ex ante opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten»: Die Vermittler empfehlen dem VN einen Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvertrag, der ni<strong>ch</strong>t den Nutzen des VN, sondern den Nutzen des Vermittlers maximiert. Es resultiert<br />

ein Wohlfahrtsverlust in Form einer reduzierten Konsumentenrente, da der VN einen suboptimalen Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvertrag zei<strong>ch</strong>net.<br />

■ S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ung des Wettbewerb: Informationsdefizite der VN bezügli<strong>ch</strong> der am Markt verfügbaren<br />

Produkte ers<strong>ch</strong>weren den Preis- und Produkteverglei<strong>ch</strong>. Dadur<strong>ch</strong> wird der Preiswettbewerb unter den VU<br />

ges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>t. Eine S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ung des Wettbewerbs führt dazu, dass mögli<strong>ch</strong>e Produktivitätsforts<strong>ch</strong>ritte ni<strong>ch</strong>t<br />

realisiert werden können, so dass letztli<strong>ch</strong> höhere Prämien resultieren, was sowohl die Konsumenten- als<br />

au<strong>ch</strong> die Produzentenrenten negativ tangiert.<br />

■ Markt für Zitronen (Market for Lemons): Informationsdefizite bezügli<strong>ch</strong> der Qualität der Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsprodukte, der VU und der Vermittler können zu einem sogenannten «Markt für Zitronen» führen. In<br />

einem Markt für Zitronen werden die Produkte und Anbieter hoher Qualität verdrängt, da die VN die<br />

Qualität ni<strong>ch</strong>t erkennen können. Da sie die Qualität ni<strong>ch</strong>t erkennen können, fällen Sie ihre Kaufents<strong>ch</strong>eide<br />

allein auf Basis der Preisinformation: Sie wählen die Produkte mit dem tiefsten Preis und damit die Produk-<br />

te mit der tiefsten Qualität.<br />

■ Ex post Opportunismus der VU: VU können Informationsdefizite der VN bezügli<strong>ch</strong> des gezei<strong>ch</strong>neten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags opportunistis<strong>ch</strong> ausnutzen. Dies kann si<strong>ch</strong> z.B. darin äussern, dass sie bere<strong>ch</strong>tigte<br />

Forderungen der VN ni<strong>ch</strong>t bedienen. Ein sol<strong>ch</strong>es Verhalten ist nur dann mögli<strong>ch</strong>, wenn die VN aufgrund<br />

von Informationsdefiziten ni<strong>ch</strong>t wissen, dass ihre Forderung bere<strong>ch</strong>tigt ist.<br />

90


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

Abbildung 4: Wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>e Auswirkungen von Informationsdefiziten der VN<br />

Abkürzungen: VU = Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen, VI = Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, VV = Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag/-produkt<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

91


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

4.6.3.2 Klassifikation der Informationsdefizite des VN<br />

Grundsätzli<strong>ch</strong> können die folgenden Informationsdefizite des VN bezügli<strong>ch</strong> der am Markt verfüg-<br />

baren Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte differenziert werden:<br />

■ Unkenntnis bestimmter Produkteigens<strong>ch</strong>aften (Hidden Characteristics)<br />

■ Fals<strong>ch</strong>e Vorstellungen bezügli<strong>ch</strong> bestimmter Produkteigens<strong>ch</strong>aften<br />

■ Unvollständige Information bezügli<strong>ch</strong> des Marktangebots<br />

Die Informationsdefizite der VN beziehen si<strong>ch</strong> allerdings ni<strong>ch</strong>t nur auf Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte, sondern<br />

au<strong>ch</strong> auf die im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt aktiven VU und Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler:<br />

■ Unkenntnis bestimmter Eigens<strong>ch</strong>aften der VU (Hidden Characteristics)<br />

■ Informationsdefizite bezügli<strong>ch</strong> der Qualität der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler<br />

Unkenntnis bestimmter Produkteigens<strong>ch</strong>aften (Hidden Characteristics)<br />

Es muss davon ausgegangen werden, dass der VN ni<strong>ch</strong>t alle wesentli<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aften der ihm bekann-<br />

ten Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte kennt. Leider sind keine detaillierten quantitativen Daten zu Informationsdefi-<br />

ziten der VN bezügli<strong>ch</strong> der von ihnen gezei<strong>ch</strong>neten Verträgen verfügbar. Die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass die Om-<br />

budsfrau der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA im Jahr 2009 2'921 Anfragen im Berei<strong>ch</strong> der Privatversi-<br />

<strong>ch</strong>erung zu bearbeiten hatte, lässt allerdings den S<strong>ch</strong>luss zu, dass Informationsdefizite der VN bezügli<strong>ch</strong><br />

der von ihnen gezei<strong>ch</strong>neten Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen ni<strong>ch</strong>t unwesentli<strong>ch</strong> sind.<br />

Die na<strong>ch</strong>folgenden empiris<strong>ch</strong>en Ausführungen zu den Informationsdefiziten der VN bezügli<strong>ch</strong> Eigens<strong>ch</strong>af-<br />

ten des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags, den sie gezei<strong>ch</strong>net haben, beruhen auf den folgenden Quellen:<br />

■ Experteninterviews mit Vertretern der Konsumentenpresse und des Konsumentens<strong>ch</strong>utzes (vgl. Tabelle<br />

9 auf Seite 79).<br />

■ Jahresberi<strong>ch</strong>te der Ombudsstelle der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA (Ombudsfrau 2006, 2007, 2008,<br />

2009b) und der Ombudsstelle Krankenversi<strong>ch</strong>erung (Ombudsman Krankenversi<strong>ch</strong>erung 2009)<br />

Das Wissen der VN bezügli<strong>ch</strong> der von ihnen gezei<strong>ch</strong>neten Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen wird ni<strong>ch</strong>t nur von den<br />

befragten Vertretern der Konsumentenpresse und des Konsumentens<strong>ch</strong>utzes als s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t beurteilt, son-<br />

dern au<strong>ch</strong> von der unabhängigen Ombudsstelle der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA: «Es war immer wie-<br />

der erstaunli<strong>ch</strong>, wel<strong>ch</strong>e diffuse Vorstellungen Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer beim Abs<strong>ch</strong>luss einer Police hatten. Viele waren<br />

si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t im Klaren, wel<strong>ch</strong>e Risiken sie sinnvollerweise abdecken wollten, resp. wel<strong>ch</strong>e Lösungen auf ihre Bedürfnisse<br />

zuges<strong>ch</strong>nitten waren.» (Ombudsfrau 2009b, 9).<br />

Die Informationsdefizite der VN betreffen insbesondere die folgenden Vertragsinhalte:<br />

■ Deckungsumfang und insbesondere Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse<br />

■ Vertragslaufzeit<br />

■ Kündigungsre<strong>ch</strong>te und Kündigungsfristen<br />

■ Verjährungsfristen<br />

■ Die zur Verfügung stehenden Re<strong>ch</strong>tsmittel und Re<strong>ch</strong>tswege sind den VN oft unbekannt<br />

■ Die VN sind si<strong>ch</strong> oft der Bedeutung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t und der Re<strong>ch</strong>tsfolgen bei Anzeigepfli<strong>ch</strong>t-<br />

verletzungen ni<strong>ch</strong>t bewusst.<br />

■ Anteil der Verwaltungs- und Abs<strong>ch</strong>lusskosten an der Prämie<br />

Besonders ausgeprägt s<strong>ch</strong>einen die Informationsdefizite der VN bei den Lebensversi<strong>ch</strong>erungen zu sein.<br />

Insbesondere kennen oder verstehen sie das Prinzip der Zillmerung, d.h. der Umlage der Abs<strong>ch</strong>lusskosten<br />

einer Lebensversi<strong>ch</strong>erung auf die ersten Jahre der Beitragszahlung, ni<strong>ch</strong>t. Dies führt dazu, dass sie vom<br />

92


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

tiefen Rückkaufswert überras<strong>ch</strong>t sind, wenn sie die Police aus wel<strong>ch</strong>en Gründen au<strong>ch</strong> immer vorzeitig<br />

zurückkaufen müssen, was folgende Ausführungen in den Jahresberi<strong>ch</strong>ten der Ombudsfrau der Privatver-<br />

si<strong>ch</strong>erung und der SUVA entnommen werden kann:<br />

■ Ombudsfrau (2008, 1): «Mit wenigen Ausnahmen waren die meisten unter ihnen der irrigen Auffassung, bei einem<br />

vorzeitigen Policenrückkauf würden ihnen die einbezahlten Prämien rückerstattet. Sie mussten in der Regel darauf<br />

hingewiesen werden, dass gem. den AVB bei einer unter dreijährigen Laufzeit der Police sogar alle einbezahlten Prä-<br />

mien verloren gehen. An diesem Beispiel wird deutli<strong>ch</strong>, wie wenig die Versi<strong>ch</strong>erten die zur Police gehörenden Ver-<br />

tragsbedingungen zur Kenntnis nehmen.»<br />

■ Ombudsfrau (2008, 10): «Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer, die ihre Lebensversi<strong>ch</strong>erung vorzeitig zurückgekauft hatten, er-<br />

s<strong>ch</strong>raken, als sie sahen, dass sie ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>adlos aus dem Lebensversi<strong>ch</strong>erungsvertrag aussteigen konnten. Sie hatten<br />

ni<strong>ch</strong>t zur Kenntnis genommen, dass der Rückkauf umso verlustrei<strong>ch</strong>er ist, je früher er na<strong>ch</strong> Vertragsabs<strong>ch</strong>luss erfolgt».<br />

■ Ombudsfrau (2007, 12): «Viele Versi<strong>ch</strong>erte mit Lebensversi<strong>ch</strong>erungen wähnten si<strong>ch</strong> in der fals<strong>ch</strong>en Auffassung, sie<br />

könnten jederzeit und s<strong>ch</strong>adlos aus jedem Vertrag aussteigen. Vielfa<strong>ch</strong> wurden sie in dieser Meinung gemäss ihren<br />

Aussagen au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> vom am Abs<strong>ch</strong>luss der Police interessierten Agenten bestärkt. Da die wenigsten vorgängig die<br />

AVB lasen, wussten sie ni<strong>ch</strong>t, dass der Rücktritt umso verlustrei<strong>ch</strong>er ist, je früher er na<strong>ch</strong> Vertragsabs<strong>ch</strong>luss erfolgt.<br />

Ni<strong>ch</strong>twissen s<strong>ch</strong>ützt indes au<strong>ch</strong> hier ni<strong>ch</strong>t.»<br />

Au<strong>ch</strong> über die Risiken, die bei gemis<strong>ch</strong>ten, fondsgebundenen Lebensversi<strong>ch</strong>erungen bei s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter Akti-<br />

enmarktentwicklung existieren, sind die VN gemäss den Jahresberi<strong>ch</strong>ten der Ombudsfrau s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t infor-<br />

miert:<br />

■ Ombudsfrau (2007, 7): «Unklarheiten bezügli<strong>ch</strong> des Versi<strong>ch</strong>erungsprodukts ma<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> vor allem bei Bes<strong>ch</strong>wer-<br />

den zu fondsgebundenen Lebensversi<strong>ch</strong>erungen bemerkbar. Die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer waren si<strong>ch</strong> offenbar beim<br />

Abs<strong>ch</strong>luss der Police ni<strong>ch</strong>t bewusst und wurden mögli<strong>ch</strong>erweise au<strong>ch</strong> nie darüber aufgeklärt, dass bei Produkten ohne<br />

Garantie sie allein das Kursrisiko der im Fonds befindli<strong>ch</strong>en Titel tragen. Ebenso wenig gaben sie si<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aft<br />

darüber ab, dass von ihren Prämienzahlungen die Abs<strong>ch</strong>luss- und Verwaltungskosten in Abzug gebra<strong>ch</strong>t werden.»<br />

■ Ombudsfrau (2007, 11): «Bei vielen führte es au<strong>ch</strong> zu einem bösen Erwa<strong>ch</strong>en, feststellen zu müssen, dass bei ge-<br />

wissen Produkten bei s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter Börsenentwicklung zur Risikodeckung Fondsanteile verkauft wurden und die damit<br />

verbundenen Verluste in der restli<strong>ch</strong>en Laufzeit ni<strong>ch</strong>t mehr wettgema<strong>ch</strong>t werden konnten. Zu wenig bewusst war den<br />

Versi<strong>ch</strong>erungskunden aber au<strong>ch</strong>, dass es si<strong>ch</strong> bei derartigen Policen ni<strong>ch</strong>t nur um ein Anlageinstrument handelt, son-<br />

dern dass im Gegensatz zu einem blossen Börsenges<strong>ch</strong>äft mit der Police au<strong>ch</strong> ein Risikos<strong>ch</strong>utz verbunden ist, der<br />

kostet.»<br />

Informationsdefizite haben die VN insbesondere au<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong> der Verwaltungs- und Abs<strong>ch</strong>lusskos-<br />

ten, die von den Lebensversi<strong>ch</strong>erer im Normalfall nirgends ausgewiesen werden:<br />

■ Ombudsfrau (2009b, 12): «In Art. 3 <strong>VVG</strong> sind die Mindestinformationen, die einem Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer vor<br />

Vertragsabs<strong>ch</strong>luss zu geben sind, abs<strong>ch</strong>liessend aufgezählt. Das heisst u.E. aber ni<strong>ch</strong>t, dass die Versi<strong>ch</strong>erer ni<strong>ch</strong>t wei-<br />

ter gehen sollten. Viele Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer empfinden es als störend, dass sie keine Auskünfte über die Abs<strong>ch</strong>luss-<br />

und Verwaltungskosten erhalten. Deren Existenz wurde ihnen sehr oft erst im Zeitpunkt des Rückkaufs der Police<br />

bewusst. Die Bes<strong>ch</strong>werdeführenden konnten diese mangelnde Transparenz ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>vollziehen. Dies umso weniger,<br />

wenn der Versi<strong>ch</strong>erer si<strong>ch</strong> trotz Rückfragen dazu in S<strong>ch</strong>weigen hüllte.»<br />

■ Ombudsfrau (2008, 19): «Kritisiert wurden au<strong>ch</strong> etwa die angefallenen Verwaltungs- und die Abs<strong>ch</strong>lusskosten. Da<br />

bei den vers<strong>ch</strong>iedenen Gesells<strong>ch</strong>aften eine unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Praxis bezügli<strong>ch</strong> detaillierter Offenlegung der einzelnen<br />

Positionen besteht, wurde dem Ersu<strong>ch</strong>en um Transparenz ni<strong>ch</strong>t immer entspro<strong>ch</strong>en. Die Ablehnung erfolgte teils mit<br />

dem Argument, es bestehe keine Verpfli<strong>ch</strong>tung zur Bekanntgabe der Höhe der Kostenarten und Risikoprämien. Diese<br />

Elemente würden zudem als Bestandteil des Ges<strong>ch</strong>äftsgeheimnisses betra<strong>ch</strong>tet.»<br />

93


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

Au<strong>ch</strong> die Me<strong>ch</strong>anismen, die beim Prämienverzug einsetzen, sind den VN gemäss der Ombudsfrau<br />

(2009b, 11) gänzli<strong>ch</strong> unbekannt.<br />

Fals<strong>ch</strong>e Vorstellungen bezügli<strong>ch</strong> bestimmter Produkteigens<strong>ch</strong>aften<br />

Die VN haben bezügli<strong>ch</strong> der wesentli<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aften des Versi<strong>ch</strong>erungsprodukts, das sie eingekauft<br />

haben, oft Vorstellungen, die ni<strong>ch</strong>t mit der Realität übereinstimmen, d.h. fals<strong>ch</strong> sind. Fehlerhafte Vorstel-<br />

lungen resultieren einerseits, wenn Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler ni<strong>ch</strong>t über die entspre<strong>ch</strong>ende Produkteigen-<br />

s<strong>ch</strong>aft informieren, so dass si<strong>ch</strong> die VN implizit eigene Vorstellungen bilden. Das typis<strong>ch</strong>e Beispiel hierfür<br />

sind Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse, über wel<strong>ch</strong>e die VN in der vorvertragli<strong>ch</strong>en Phase ni<strong>ch</strong>t informiert werden. Zum<br />

anderen kommt es gemäss den befragten Experten des K-Tip immer wieder vor, dass die Ausführungen<br />

der VU zum Deckungsumfang ni<strong>ch</strong>t mit der tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung übereinstimmen.<br />

Unvollständige Information bezügli<strong>ch</strong> des Marktangebots<br />

Informationsdefizite können in dem Sinne auftreten, dass die Informationen des VN zwar korrekt sind,<br />

diese Informationen ihm aber nur bezügli<strong>ch</strong> ausgewählten am Markt verfügbaren Versi<strong>ch</strong>erungsproduk-<br />

ten zur Verfügung stehen.<br />

Unkenntnis bestimmter Eigens<strong>ch</strong>aften der VU (Hidden Characteristics)<br />

Bei Vertragss<strong>ch</strong>luss sind den VN bestimmte Eigens<strong>ch</strong>aften der VU oft ni<strong>ch</strong>t bekannt. Dies gilt insbesondere<br />

bezügli<strong>ch</strong> des Verhaltens der VU im Rahmen der S<strong>ch</strong>adenregulierung.<br />

Informationsdefizite bezügli<strong>ch</strong> der Qualität der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler<br />

Für die VN ist es ausgespro<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>wierig, die Qualität eines Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers einzus<strong>ch</strong>ätzen. Ge-<br />

mäss der Vermittleraufsi<strong>ch</strong>t der FINMA wissen die VN man<strong>ch</strong>mal ni<strong>ch</strong>t einmal, ob es si<strong>ch</strong> bei ihrem Ge-<br />

genüber um einen gebundenen oder ungebundenen Vermittler handelt. Der Grund hierfür ist gemäss<br />

unseren Analysen, dass es gebundene Vermittler gibt, die den Ans<strong>ch</strong>ein erwecken, ungebunden zu sein,<br />

obwohl dies ni<strong>ch</strong>t der Fall ist. Diese Problemstellung hängt damit zusammen, dass die Begriffe «gebun-<br />

den» und «ungebunden» ni<strong>ch</strong>t gebräu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> sind. Gebräu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> sind bei den Konsumenten vielmehr die<br />

Begriffe «Versi<strong>ch</strong>erungsmakler» und «unabhängige Beratung». Mit beiden Begriffen verbinden die Kon-<br />

sumenten eine objektive Beratung, die si<strong>ch</strong> an den Interessen des Konsumenten und ni<strong>ch</strong>t an den Eigenin-<br />

teressen der VI und VU ausri<strong>ch</strong>tet. Beide Begriffe werden von gebundenen Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und Struk-<br />

turbetrieben missbrau<strong>ch</strong>t, um die Konsumenten bezügli<strong>ch</strong> ihrer Identität zu täus<strong>ch</strong>en und bezügli<strong>ch</strong> der<br />

Qualität ihrer Beratung irrezuführen.<br />

4.6.3.3 Ursa<strong>ch</strong>en der Informationsdefizite der VN<br />

Komplexität des Versi<strong>ch</strong>erungsprodukts<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte, insbesondere Lebensversi<strong>ch</strong>erungsprodukte, sind sehr komplex. Um die wesentli-<br />

<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aften eines Versi<strong>ch</strong>erungsvertrages zu erkennen, ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit<br />

demselben notwendig. Die mit einer sol<strong>ch</strong>en Auseinandersetzung verbundenen Su<strong>ch</strong>kosten werden auf-<br />

grund der Komplexität des Produkts und der Unverständli<strong>ch</strong>keit der Vertragsunterlagen bald einmal pro-<br />

hibitiv ho<strong>ch</strong>, so dass der VN «seine Su<strong>ch</strong>e» relativ ras<strong>ch</strong> abbri<strong>ch</strong>t.<br />

Gemäss der Ombudsfrau (2009b, 5) hat die Liberalisierung des Versi<strong>ch</strong>erungsmarktes die Komplexität des<br />

Marktes stark erhöht: «Angesi<strong>ch</strong>ts sol<strong>ch</strong>er Zahlen hat der Wettbewerb unter den Anbietern erhebli<strong>ch</strong> zugenom-<br />

men. Die Liberalisierung des Versi<strong>ch</strong>erungsmarktes hat zudem zu einer kaum mehr übers<strong>ch</strong>aubaren Produktevielfalt<br />

geführt. Ist es für den Konsumenten no<strong>ch</strong> relativ einfa<strong>ch</strong>, die Angebote anhand von Prämien zu prüfen, ist dies be-<br />

94


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

zügli<strong>ch</strong> der Produkteinhalte kaum mehr mögli<strong>ch</strong>. Die Verantwortung der Anbieter und Vermittler von Policen im Inte-<br />

resse der Kunden klärend zu wirken, hat darum erhebli<strong>ch</strong> zugenommen.»<br />

Die Informationsdefizite der VN bezügli<strong>ch</strong> der am Markt verfügbaren Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte sind u.a. auf<br />

die Komplexität der Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte zurückzuführen, wel<strong>ch</strong>e die Verglei<strong>ch</strong>barkeit derselben er-<br />

s<strong>ch</strong>weren. Die am Markt verfügbaren Produkte unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des Preises, son-<br />

dern bezügli<strong>ch</strong> einer Vielzahl weiterer Eigens<strong>ch</strong>aften. Einige dieser Eigens<strong>ch</strong>aften, u.a. der Umfang der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung, sind vor dem Zeitpunkt des Vertragss<strong>ch</strong>lusses in dem Sinne öffentli<strong>ch</strong> bekannt,<br />

dass sie dur<strong>ch</strong> Aufwendung entspre<strong>ch</strong>ender Su<strong>ch</strong>kosten, z.B. im Rahmen einer Lektüre der zahlrei<strong>ch</strong>en<br />

AVB, in Erfahrung gebra<strong>ch</strong>t werden könnten. Die Su<strong>ch</strong>kosten werden dabei relativ ras<strong>ch</strong> prohibitiv ho<strong>ch</strong>,<br />

weil die Vertragsunterlagen für einen Laien oft ni<strong>ch</strong>t verständli<strong>ch</strong> formuliert sind:<br />

■ Ombudsfrau (2007, 7): «Vielfa<strong>ch</strong> ging es um Fragen der Transparenz, des Verständnisses der AVB oder des Inhalts<br />

von Korrespondenzen des Versi<strong>ch</strong>erers an ihre Kunden. Die Ombudsstelle wunderte si<strong>ch</strong> mehr als einmal darüber,<br />

wel<strong>ch</strong>e Fa<strong>ch</strong>- und Sa<strong>ch</strong>kenntnisse man offenbar bei den Versi<strong>ch</strong>erungskunden voraussetzt. Anders war es ni<strong>ch</strong>t er-<br />

klärbar, warum man si<strong>ch</strong> seitens der Versi<strong>ch</strong>erer ni<strong>ch</strong>t stärker darum bemühte, s<strong>ch</strong>wierige Zusammenhänge und Beg-<br />

riffe in einer verständli<strong>ch</strong>eren Spra<strong>ch</strong>e statt im Fa<strong>ch</strong>jargon darzulegen. Es war in sol<strong>ch</strong>en Fällen Aufgabe der Om-<br />

budsstelle, die Übersetzungsarbeit zu leisten.»<br />

■ Ombudsfrau (2007, 21): «Dass die AVB kaum je vor Vertragsabs<strong>ch</strong>luss gelesen werden, ist notoris<strong>ch</strong>. Die juristis<strong>ch</strong><br />

korrekte Feststellung, der Kunde habe Gelegenheit gehabt, vor Vertragsabs<strong>ch</strong>luss von deren Inhalt Kenntnis zu neh-<br />

men, stimmt zwar in der Theorie, hat aber mit dem tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Leben nur wenig zu tun.»<br />

■ Ombudsfrau (2007, 22): «Ein Dauerbrenner waren die wiederkehrenden Anfragen zu den AVB. Diese s<strong>ch</strong>einen den<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmern beim Vertragsabs<strong>ch</strong>luss na<strong>ch</strong> wie vor zu wenig erläutert zu werden. Andererseits werden sie<br />

aber au<strong>ch</strong> von den Versi<strong>ch</strong>erten selbst zu wenig – wenn überhaupt – gelesen, weshalb sie au<strong>ch</strong> keine Fragen stel-<br />

len.»<br />

Die Versi<strong>ch</strong>erung als Glaubensgut (Vertrauensgut)<br />

Andere Eigens<strong>ch</strong>aften von Versi<strong>ch</strong>erungsprodukten, die für einen optimalen Kaufents<strong>ch</strong>eid des VN rele-<br />

vant sind, können au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Aktivitäten der Informationssu<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t in Erfahrung gebra<strong>ch</strong>t werden. Ein<br />

Beispiel für derartige Eigens<strong>ch</strong>aften von Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen ist etwa das Verhalten der VU im S<strong>ch</strong>a-<br />

densfall. In diesem Zusammenhang ist eine Differenzierung von Gütern hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Mögli<strong>ch</strong>keit, Unsi-<br />

<strong>ch</strong>erheit bezügli<strong>ch</strong> der Produktqualität zu reduzieren, hilfrei<strong>ch</strong>:<br />

■ Su<strong>ch</strong>güter: Bei Su<strong>ch</strong>gütern kann der Käufer die Unsi<strong>ch</strong>erheit bezügli<strong>ch</strong> der Produktqualität dur<strong>ch</strong> Akti-<br />

vitäten der Informationssu<strong>ch</strong>e reduzieren.<br />

■ Erfahrungsgüter: Bei Erfahrungsgütern ist dies ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, so dass der Käufer beim Kauf dem An-<br />

bieter vertrauen muss. Der Verkäufer ersetzt also die prohibitiv hohen Produktinformationskosten dur<strong>ch</strong><br />

Vertrauen in den Produktanbieter. Bei Erfahrungsgütern offenbart si<strong>ch</strong> die Produktqualität dem Käufer<br />

na<strong>ch</strong> dem Kauf des entspre<strong>ch</strong>enden Produktes.<br />

■ Glaubensgüter (Vertrauensgüter): Glaubensgüter unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> von Erfahrungsgütern dahin-<br />

gehend, dass der Käufer die Qualität des Produkts au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> dem Kauf ni<strong>ch</strong>t feststellen kann.<br />

Bei Versi<strong>ch</strong>erungsprodukten handelt es si<strong>ch</strong> gemäss übereinstimmender Meinung um Erfahrungs- oder<br />

sogar Glaubensgüter:<br />

■ Ist die S<strong>ch</strong>adenshäufigkeit ho<strong>ch</strong>, handelt es si<strong>ch</strong> um Erfahrungsgüter. Beispiel: freiwillige Krankenzu-<br />

satzversi<strong>ch</strong>erung.<br />

95


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

■ Ist die S<strong>ch</strong>adenshäufigkeit tief, handelt es si<strong>ch</strong> um Glaubensgüter. Dies ist insbesondere bei Lebensver-<br />

si<strong>ch</strong>erungen der Fall, da bei diesen das Ereignis, das eine Leistungspfli<strong>ch</strong>t der VU begründet, definitions-<br />

gemäss nur einmal auftreten kann.<br />

4.6.3.4 Auswirkungen der Informationsdefizite der VN<br />

Die Informationsdefizite der VN können im Rahmen folgender Kausalzusammenhänge zu Wohlfahrtsver-<br />

lusten führen:<br />

■ Wohlfahrtsverluste infolge suboptimaler Kaufents<strong>ch</strong>eide der VN<br />

■ Wohlfahrtsverluste infolge von ex ante Opportunismus und S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung<br />

■ Wohlfahrtsverluste infolge von Misstrauen<br />

■ Wohlfahrtsverluste infolge des «Market for Lemons»<br />

■ Wohlfahrtsverluste infolge S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ung des Wettbewerbs<br />

■ Wohlfahrtsverluste infolge ex post Opportunismus der VU<br />

Wohlfahrtsverluste infolge suboptimaler Kaufents<strong>ch</strong>eide der VN<br />

Informationsdefizite der VN können dazu führen, dass die VN einen suboptimalen Kaufents<strong>ch</strong>eid fällen. In<br />

diesem Fall fragen sie ni<strong>ch</strong>t dasjenige Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt na<strong>ch</strong>, das vor dem Hintergrund ihrer Risiko-<br />

exposition und ihrer Risikoaversion optimal wäre: Die knappen Ressourcen der VN werden ni<strong>ch</strong>t derjeni-<br />

gen Verwendung zugeführt, die den Nutzen derselben maximiert. Folgende Fälle können differenziert<br />

werden:<br />

■ Unvollständige Information bezügli<strong>ch</strong> des Marktangebots: Informationsdefizite können in dem<br />

Sinne auftreten, dass die Informationen des VN zwar korrekt sind, diese Informationen ihm aber nur be-<br />

zügli<strong>ch</strong> ausgewählten am Markt verfügbaren Versi<strong>ch</strong>erungsprodukten zur Verfügung stehen. Der Nutzen-<br />

verlust, der si<strong>ch</strong> daraus ergibt, hängt davon ab, in wel<strong>ch</strong>em Ausmass si<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte, die<br />

der VN kennt, von denjenigen Versi<strong>ch</strong>erungsprodukten unters<strong>ch</strong>eiden, die er ni<strong>ch</strong>t kennt. Im s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes-<br />

ten Fall kennt der potentielle VN nur ein einziges Angebot und ents<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> allein auf der Basis der<br />

Kenntnis dieses Angebots, ob er das zur Disposition stehende Risiko versi<strong>ch</strong>ern will oder ni<strong>ch</strong>t. In diesem<br />

Fall ist zum einen die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, dass der VN das optimale Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt, d.h. dasjenige<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt, das seinen Nutzen maximiert, erhält, äusserst gering. Zum anderen ist in diesem<br />

Fall die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit relativ ho<strong>ch</strong>, dass der VN das Risiko überhaupt ni<strong>ch</strong>t versi<strong>ch</strong>ert, obwohl am<br />

Markt Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte verfügbar sind, die ihm das Errei<strong>ch</strong>en eines höheren Nutzenniveaus als bei<br />

Selbstversi<strong>ch</strong>erung ermögli<strong>ch</strong>en würden. Verfügt der VN hingegen über Informationen zur Hälfte der am<br />

Markt verfügbaren Angebote, ist die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, ein stark suboptimales Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt<br />

einzukaufen, sehr gering. Denn die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, dass er in diesem Fall ni<strong>ch</strong>t das optimale Produkt<br />

einkauft, beträgt 50%, die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, dass er weder das beste no<strong>ch</strong> das zweitbeste Produkt<br />

einkauft, das am Markt für ihn verfügbar ist, nur no<strong>ch</strong> 25% etc. Wenn er die Hälfte der am Markt verfüg-<br />

baren Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte kennt, dürfte au<strong>ch</strong> die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit sehr tief sein, dass si<strong>ch</strong> der VN für<br />

eine Selbstversi<strong>ch</strong>erung ents<strong>ch</strong>eidet, obwohl am Markt Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte verfügbar sind, deren Kon-<br />

sum dem VN das Errei<strong>ch</strong>en eines Nutzenniveau ermögli<strong>ch</strong>en würden, das höher ist als das Nutzenniveau<br />

bei Selbstversi<strong>ch</strong>erung. Insgesamt ist der VN im Fall unvollständiger Information mit dem klassis<strong>ch</strong>en Prob-<br />

lem der Su<strong>ch</strong>kosten konfrontiert: Die Kenntnis eines jeden weiteren Versi<strong>ch</strong>erungsprodukts erhöht zum<br />

einen mit einer gewissen Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit die Konsumentenrente, die der VN realisieren kann, zum<br />

anderen jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Su<strong>ch</strong>kosten in Form investierter Zeit. Der rationale VN betreibt solange Informa-<br />

tionssu<strong>ch</strong>e, bis der Grenzertrag einer zusätzli<strong>ch</strong>en Informationssu<strong>ch</strong>e den Grenzkosten dieser zusätzli<strong>ch</strong>en<br />

Informationssu<strong>ch</strong>e entspre<strong>ch</strong>en.<br />

96


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

■ Fals<strong>ch</strong>e Vorstellungen und Hidden Characteristics: Informationsdefizite können in dem Sinne auf-<br />

treten, dass der VN über fals<strong>ch</strong>e Informationen zu den auf dem Markt verfügbaren Produkten verfügt.<br />

Dies kann si<strong>ch</strong> insbesondere au<strong>ch</strong> darin äussern, dass der VN bestimmte Eigens<strong>ch</strong>aften der Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

produkte ni<strong>ch</strong>t kennt (Hidden Characteristics). Im besseren Fall ist der VN über das Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt,<br />

das er letztli<strong>ch</strong> eingekauft hat, korrekt informiert und die Fehlinformationen und Informationsdefizite<br />

beziehen si<strong>ch</strong> auf Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte, auf die er im Rahmen der Evaluation verzi<strong>ch</strong>tet hat. In diesem<br />

Fall resultiert dann ein Wohlfahrtsverlust in Form einer reduzierten Konsumentenrente, wenn si<strong>ch</strong> der VN<br />

ni<strong>ch</strong>t für das Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt ents<strong>ch</strong>ieden hat, das seinen Nutzen maximiert. Im s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>teren Fall<br />

hat der VN hingegen einen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag gezei<strong>ch</strong>net, der von demjenigen abwei<strong>ch</strong>t, den er unter-<br />

s<strong>ch</strong>rieben zu haben glaubt. In diesem Fall kann es si<strong>ch</strong> beim unters<strong>ch</strong>riebenen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag um<br />

einen Win-Loose-Vertrag mit einer negativen Konsumentenrente handeln. Besonders negative Auswir-<br />

kungen haben derartige Verträge im S<strong>ch</strong>adensfall, wenn der VN einen Leistungsanspru<strong>ch</strong> aufgrund der<br />

Verwirkli<strong>ch</strong>ung einer Gefahr geltend ma<strong>ch</strong>t, die vom gezei<strong>ch</strong>neten Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag ni<strong>ch</strong>t gedeckt ist.<br />

Wohlfahrtsverluste infolge von ex ante Opportunismus und S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung<br />

Es gibt empiris<strong>ch</strong>e Evidenz, dass die VU und die Vermittler die VN teilweise ni<strong>ch</strong>t adäquat über die wesent-<br />

li<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aften der angebotenen Versi<strong>ch</strong>erungsverträge informieren.<br />

Eine ungenügende vorvertragli<strong>ch</strong>e Information der VN dur<strong>ch</strong> die VU und deren Vermittler kann si<strong>ch</strong> zum<br />

einen darin äussern, dass bestimmte Eigens<strong>ch</strong>aften des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags, die für den Kaufents<strong>ch</strong>eid<br />

wesentli<strong>ch</strong> sind, in der vorvertragli<strong>ch</strong>en Phase ni<strong>ch</strong>t thematisiert werden. So hält die Ombudsfrau der Pri-<br />

vatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA im Jahresberi<strong>ch</strong>t 2009 fest:<br />

«Selbstverständli<strong>ch</strong>keiten [Übermitteln der wesentli<strong>ch</strong>en Informationen bezügli<strong>ch</strong> eines Versi<strong>ch</strong>erungsprodukts, BASS]<br />

werden aufgrund unserer Erfahrung ni<strong>ch</strong>t immer so praktiziert. Vers<strong>ch</strong>iedene Fälle zeigten, dass die Fakten bezügli<strong>ch</strong><br />

Deckungsumfang oder -auss<strong>ch</strong>lüssen ni<strong>ch</strong>t benannt wurden, wenn deren Aufzeigen die Interessenlage des Vermittlers<br />

am Abs<strong>ch</strong>luss negativ beeinflusst hätte.» Ombudsfrau (2009, 9)<br />

Dieses Zitat ma<strong>ch</strong>t insbesondere au<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong>, dass es Vermittler gibt, die strategis<strong>ch</strong> auf die Informati-<br />

onsübermittlung bezügli<strong>ch</strong> bestimmter Eigens<strong>ch</strong>aften des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags verzi<strong>ch</strong>ten, um die Ver-<br />

tragszei<strong>ch</strong>nung ni<strong>ch</strong>t zu gefährden: Sie nutzen die Informationsdefizite und das Vertrauen der VN gezielt<br />

und bewusst aus. Man spri<strong>ch</strong>t in diesem Zusammenhang von «ex ante Opportunismus».<br />

Beispiele von Informationen, die für den Kaufents<strong>ch</strong>eid relevant sind, von den VU und Vermittlern jedo<strong>ch</strong><br />

vers<strong>ch</strong>wiegen werden, betreffen gemäss den Jahresberi<strong>ch</strong>ten der Ombudsstelle insbesondere die Lebens-<br />

versi<strong>ch</strong>erungen:<br />

■ Ombudsfrau (2008, 11): «Gehäuft hatten si<strong>ch</strong> die Fälle von Versi<strong>ch</strong>erungsnehmern, wel<strong>ch</strong>e si<strong>ch</strong> im Zusammenhang<br />

mit der Übers<strong>ch</strong>ussbeteiligung oder der Intransparenz bezügli<strong>ch</strong> der Abs<strong>ch</strong>luss- und Verwaltungskosten beklagten.<br />

Der Ombudsstelle fiel auf, dass die einzelnen Versi<strong>ch</strong>erungsgesells<strong>ch</strong>aften es mit dem Detaillierungsgrad der Auskunft<br />

an ihre Kunden über diese Kosten sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> halten. Erst auf dem Weg von Interventionen konnte s<strong>ch</strong>liess-<br />

li<strong>ch</strong> in den meisten dieser Fälle die gewüns<strong>ch</strong>te Klarheit hergestellt werden.»<br />

■ Ombudsfrau (2009b, 11): «In keinem uns unterbreiteten Fall wurden die Bes<strong>ch</strong>werdeführenden vor Abs<strong>ch</strong>luss der<br />

Police über sol<strong>ch</strong>e Me<strong>ch</strong>anismen [Folgen des Prämienverzugs bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungen, BASS] aufgeklärt. Dass si<strong>ch</strong><br />

vieles aus den für einen Laien s<strong>ch</strong>wer lesbaren und kaum verständli<strong>ch</strong>en AVB ergeben hätte, entbindet u.E. die Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsberater ni<strong>ch</strong>t von der Aufklärung über die Konsequenzen, die si<strong>ch</strong> bei veränderten Lebensumständen im<br />

Laufe der langen vertragli<strong>ch</strong>en Bindung einstellen können.»<br />

■ Ombudsfrau (2009b, 9-10): «Ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>vollziehbar waren Verträge, bei wel<strong>ch</strong>en bereits beim Abs<strong>ch</strong>luss erkennbar<br />

sein musste, dass der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer bald einmal S<strong>ch</strong>wierigkeiten mit der Prämienzahlung haben wird.»<br />

97


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

Folgendes Beispiel illustriert allerdings, dass es ex ante opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten der Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

mittler ni<strong>ch</strong>t nur im Berei<strong>ch</strong> der Lebensversi<strong>ch</strong>erungen gibt:<br />

■ Ombudsfrau (2006, 11): Ein Gesangsverein mietet Räumli<strong>ch</strong>keiten für zwei öffentli<strong>ch</strong>e Auftritte, weshalb er für die<br />

Dauer von drei Tagen eine Betriebshaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung abs<strong>ch</strong>liesst. Es kommt zu einer Bes<strong>ch</strong>ädigung eines Bildes in<br />

den gemieteten Räumli<strong>ch</strong>keiten. Der Versi<strong>ch</strong>erer lehnt die Übernahme des S<strong>ch</strong>adens mit Hinweis auf die AVB, die<br />

besagen, dass gemietete Sa<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t gedeckt sind. Der über Sinn und Zweck der Versi<strong>ch</strong>erung informierte Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsagent hat dem Verein also eine vollständig sinnlose Versi<strong>ch</strong>erung verkauft.<br />

Eine ungenügende vorvertragli<strong>ch</strong>e Information der VN dur<strong>ch</strong> die VU und deren Vermittler kann si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong><br />

darin äussern, dass fals<strong>ch</strong>e Informationen übermittelt werden oder die Informationen derart dargestellt<br />

werden, dass sie beim VN zu fals<strong>ch</strong>en Vorstellungen bezügli<strong>ch</strong> des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags führen. Empiri-<br />

s<strong>ch</strong>e Evidenz findet si<strong>ch</strong> wiederum akzentuiert bei den Lebensversi<strong>ch</strong>erungen:<br />

■ Ombudsfrau (2007, 11): «Wenn die vorliegenden Unterlagen belegten, dass die vorvertragli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>ten Gewinn-<br />

aussi<strong>ch</strong>ten in s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Erklärungen derart dargestellt worden waren, dass die Grenze zwis<strong>ch</strong>en unverbindli<strong>ch</strong>er<br />

Prognose und Zusi<strong>ch</strong>erung derart verwis<strong>ch</strong>t worden war, dass die Kunden na<strong>ch</strong> Treu und Glauben von einer garan-<br />

tierten Leistung ausgehen durften, intervenierte die Ombudsstelle bei den betroffenen Gesells<strong>ch</strong>aften. In einigen<br />

Fällen kam es s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> zu einer für die Kunden befriedigenden Lösung.»<br />

■ Ombudsfrau (2008, 9): «Wegen der Finanzkrise gaben die Rückkaufswerte bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungen, der te<strong>ch</strong>ni-<br />

s<strong>ch</strong>e Zinssatz und die Übers<strong>ch</strong>ussbeteiligungen vermehrt Anlass zu Rückfragen bei der Ombudsstelle. In einigen Fällen<br />

hatten das abgegebene Material und die (s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en) Angaben in der vorvertragli<strong>ch</strong>en Beratungsphase bezügli<strong>ch</strong><br />

Entwicklung der Übers<strong>ch</strong>ussanteile eine Form angenommen, dass der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer diese in guten Treuen als<br />

Zusi<strong>ch</strong>erung und ni<strong>ch</strong>t bloss als Prognose auffassen durfte.[...] Aufgrund der Finanzkrise war die Ombudsstelle inten-<br />

siv mit zur Auszahlung gelangenden Fondspolicen bes<strong>ch</strong>äftigt, wel<strong>ch</strong>e vor 10 Jahren im Rahmen von Einmalprämien-<br />

ges<strong>ch</strong>äften erri<strong>ch</strong>tet worden waren. Den Kunden wurden damals sehr optimistis<strong>ch</strong>e Gewinnprognosen gema<strong>ch</strong>t, die<br />

si<strong>ch</strong> nun ni<strong>ch</strong>t erfüllten. Die Realität präsentierte si<strong>ch</strong> für viele mehr als ernü<strong>ch</strong>ternd. Die Ombudsstelle hatte Einblick<br />

in Dossiers, in denen Versi<strong>ch</strong>erte ni<strong>ch</strong>t einmal mehr den Betrag der Einmaleinlage zurück erhielten. Das führte u.a. zur<br />

Frage, ob und wie weit bei der Versi<strong>ch</strong>erungsberatung vor Abs<strong>ch</strong>luss einer sol<strong>ch</strong>en Police das Thema Risikofähigkeit<br />

und Risikowilligkeit des Versi<strong>ch</strong>erungsnehmers angespro<strong>ch</strong>en wurde. Rückfragen bei den Bes<strong>ch</strong>werdeführern erga-<br />

ben, dass dies offenbar ni<strong>ch</strong>t der Fall war. Wiederkehrendes Muster bildete vielmehr die Klage darüber, man sei vor<br />

dem Abs<strong>ch</strong>luss überhaupt ni<strong>ch</strong>t auf die Risiken hingewiesen worden. Bemängelt wurde zudem, dass der Versi<strong>ch</strong>erer<br />

während der Laufzeit der Police und v.a. na<strong>ch</strong> Ausbru<strong>ch</strong> der Finanzkrise nie Kontakt aufgenommen hatte, um über<br />

einen mögli<strong>ch</strong>en Swit<strong>ch</strong> in eine weniger risikorei<strong>ch</strong>e Anlage zu informieren.»<br />

Eine ungenügende Information der VN über die wesentli<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aften eines Versi<strong>ch</strong>erungsprodukts<br />

resultiert letztli<strong>ch</strong> in einer S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung. Es muss davon ausgegangen werden, dass es si<strong>ch</strong> bei<br />

S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatungen ni<strong>ch</strong>t um Einzelfälle handelt:<br />

■ Ombudsfrau (2006, 1): «Wie erinnerli<strong>ch</strong> hat die Ombudsstelle in ihren Jahresberi<strong>ch</strong>ten regelmässig auf Probleme<br />

wegen s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter Beratung dur<strong>ch</strong> Vermittler hingewiesen.»<br />

■ Ombudsfrau (2008, 9): «S<strong>ch</strong>wierig zu beurteilen waren Fälle, wo der Vorwurf einer Fals<strong>ch</strong>beratung beim Abs<strong>ch</strong>luss<br />

der Police vorgebra<strong>ch</strong>t wurde. Dieses Argument hörten wir häufig im Zusammenhang mit Lebensversi<strong>ch</strong>erungen. Nur<br />

in Einzelfällen erlaubte die Aktenlage den Na<strong>ch</strong>weis, dass die Police ni<strong>ch</strong>t den Bedürfnissen des Versi<strong>ch</strong>erungsnehmers<br />

entspra<strong>ch</strong>, obs<strong>ch</strong>on diese (z.B. Vorsorges<strong>ch</strong>utz) für den Versi<strong>ch</strong>erungsberater erkennbar waren.»<br />

S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung und ex ante Opportunismus der Vermittler hat folgende, wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong> rele-<br />

vanten Auswirkungen:<br />

98


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

■ Ex ante Opportunismus fördert das Misstrauen der VN gegenüber den VU und den Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

mittlern, was die Na<strong>ch</strong>frage negativ tangiert (vgl. na<strong>ch</strong>folgenden Abs<strong>ch</strong>nitt).<br />

■ S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung und ex ante Opportunismus führen dazu, dass die VN suboptimale Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

träge zei<strong>ch</strong>nen. Es resultiert ein Wohlfahrtsverlust in Form einer reduzierten Konsumentenrente.<br />

Wohlfahrtsverluste infolge von Misstrauen<br />

Ni<strong>ch</strong>t nur ex ante Opportunismus, sondern au<strong>ch</strong> Informationsdefizite per se können bei VN, die si<strong>ch</strong> dieser<br />

Informationsdefizite bewusst sind, Misstrauen hervorrufen. Derartiges Misstrauen kann dazu führen, dass<br />

potentielle VN darauf verzi<strong>ch</strong>ten, ihren Risiken fremd zu versi<strong>ch</strong>ern. Dies führt ni<strong>ch</strong>t nur bei den VN (Weg-<br />

fall der gesamten Konsumentenrente), sondern au<strong>ch</strong> bei den VU (Wegfall der Produzentenrente) zu einem<br />

Wohlfahrtsverlust. Misstrauen aufgrund von Informationsdefiziten kann jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> zu Wohlfahrtsverlus-<br />

ten führen, wenn der VN das Risiko versi<strong>ch</strong>ert. Dies ist dann der Fall, wenn si<strong>ch</strong> der VN bezügli<strong>ch</strong> der ein-<br />

gekauften Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung unsi<strong>ch</strong>er und während der Vertragslaufzeit entspre<strong>ch</strong>en «von Zweifel<br />

geplagt» ist.<br />

Wohlfahrtsverluste infolge des «Marktes für Zitronen» («Markets for Lemons»)<br />

Bei Erfahrungs- und Glaubensgüter können die Informationsdefizite des VN bezügli<strong>ch</strong> der im Markt ver-<br />

fügbaren Produkten dazu führen, dass si<strong>ch</strong> ein «Markt für Zitronen» («Market for Lemons») entfaltet.<br />

Dieser zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> aus, dass bezügli<strong>ch</strong> der Produktqualität ein «race down to the bottom» statt-<br />

findet: Vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tert ein Anbieter die Qualität seines Produktes (z.B. dur<strong>ch</strong> eine Vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terung der<br />

AGB zu Lasten der Käufer), sinken zum einen seine Produktionskosten. Zum anderen bleibt die Na<strong>ch</strong>frage<br />

na<strong>ch</strong> seinen Produkten unberührt: Die Käufer wandern ni<strong>ch</strong>t ab, weil diese gar ni<strong>ch</strong>t wissen, dass die<br />

Qualität der Produkte bei den Konkurrenten besser ist. Der Qualitätsvers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terer wird dadur<strong>ch</strong> in die<br />

Lage versetzt, den Preis seines Produktes senken zu können, so dass die Na<strong>ch</strong>frage na<strong>ch</strong> seinem Produkt<br />

trotz der Qualitätsvers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terung steigt. Dies führt dazu, dass andere Anbieter dem Qualitätsvers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>-<br />

terer folgen werden, so dass ein «race down to the bottom» ausgelöst wird: Es resultiert letztli<strong>ch</strong> ein<br />

Markt, in dem nur Produkte s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter Qualität überleben, wobei das Qualitätsniveau ni<strong>ch</strong>t den Präferen-<br />

zen der Käufer entspri<strong>ch</strong>t.<br />

Ein Markt für Zitronen kann si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong> der am Markt aktiven Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler entfalten,<br />

wenn die VN ni<strong>ch</strong>t in der Lage sind, die Qualität der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler zu erkennen.<br />

Inwiefern im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt die Me<strong>ch</strong>anismen des Marktes für Zitronen eine Realität dar-<br />

stellen, konnte im Rahmen der vorliegenden Studie ni<strong>ch</strong>t im Detail untersu<strong>ch</strong>t werden. Anzei<strong>ch</strong>en für<br />

einen Markt für Zitronen gibt es in folgenden Berei<strong>ch</strong>en:<br />

■ Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse bei Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungen: In den AVB der Krankentaggeldversi-<br />

<strong>ch</strong>erungen sind zum Teil Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse enthalten, die ni<strong>ch</strong>t den Präferenzen der VN entspre<strong>ch</strong>en.<br />

Dabei sind insbesondere Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse im Falle einer Auflösung des Arbeitsvertrags zwis<strong>ch</strong>en Ar-<br />

beitgeber (VN) und Arbeitnehmer zu nennen. Das diesbezügli<strong>ch</strong>e Freizügigkeitsabkommen unter den VU<br />

ist vor diesem Hintergrund zu interpretieren (vgl. Ausführungen im Kapitel 12).<br />

■ Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall und Prämienanpassungsklauseln: Au<strong>ch</strong> diesen beiden Instru-<br />

mente, die dem VU zur Verfügung stehen, um ex post die Vertragsbedingungen zu verändern, sind ni<strong>ch</strong>t<br />

im Interesse der VN und entspre<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t deren Präferenzen (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 6.6, Kapitel 10 und 11).<br />

■ Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und Strukturbetriebe im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Wie wir im Kapitel 5.6 ausfüh-<br />

ren werden, konnten si<strong>ch</strong> die ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler im Privatkundenmarkt ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>-<br />

setzen. Bei den Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern, die ni<strong>ch</strong>t nur die Produkte eines einzigen VU vertreiben, handelt<br />

es si<strong>ch</strong> im B2C-Markt zum grössten Teil um gebundene Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und Strukturbetriebe. Die Kon-<br />

99


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

sumenten sind offenbar ni<strong>ch</strong>t in der Lage, zwis<strong>ch</strong>en den «guten» und «s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten» Versi<strong>ch</strong>erungsvermitt-<br />

lern zu unters<strong>ch</strong>eiden. Dies dürfte auf die Glaubensgut-Eigens<strong>ch</strong>aft des Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt zurückzu-<br />

führen sein.<br />

■ Abs<strong>ch</strong>lusskosten und Zillmerung bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen: Die auf dem S<strong>ch</strong>weizer Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsmarkt verfügbaren Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen zei<strong>ch</strong>nen si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> zwei Eigens<strong>ch</strong>aften aus: Ho-<br />

he Abs<strong>ch</strong>lusskosten und Zillmerung. Beide Eigens<strong>ch</strong>aften entspre<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t den Präferenzen der VN. Es ist<br />

ni<strong>ch</strong>t auszus<strong>ch</strong>liessen, dass si<strong>ch</strong> ungezillmerte Lebensversi<strong>ch</strong>erungsprodukte mit tieferen Abs<strong>ch</strong>lusskosten<br />

aufgrund des Me<strong>ch</strong>anismus des Marktes für Zitronen ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>setzen konnten.<br />

Wohlfahrtsverluste infolge eines ges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ten Preiswettbewerbs<br />

Ein funktionstü<strong>ch</strong>tiger Preiswettbewerb setzt voraus, dass die Käufer von Produkten in einem Umfang<br />

informiert sind, der ihnen einen Preisverglei<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong> der am Markt verfügbaren Angeboten ermög-<br />

li<strong>ch</strong>t. Informationsdefizite der VN können deshalb den Preiswettbewerb unter den vers<strong>ch</strong>iedenen VU<br />

s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en. Eine S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ung des Preiswettbewerbs kann letztli<strong>ch</strong> zur einer Stagnation der Produktivität<br />

im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt führen, da der Druck auf die VU abnimmt, dur<strong>ch</strong> Innovationen und Rationalisie-<br />

rungsmassnahmen mögli<strong>ch</strong>e Effizienzsteigerungen zu realisieren.<br />

Wohlfahrtsverluste infolge ex post Opportunismus der VU<br />

Die VU können die Informationsdefizite der VN au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss ausbeuten 37 , wenn diese über<br />

die wesentli<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aften des gezei<strong>ch</strong>neten Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags ni<strong>ch</strong>t informiert sind. Ein Beispiel<br />

hierfür sind unbere<strong>ch</strong>tigte Leistungsverweigerungen im S<strong>ch</strong>adensfall – ein Verhalten, das nur dann zum<br />

Ziel führt, wenn die VN den Deckungsumfang ihres Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags ni<strong>ch</strong>t im Detail kennen. Empiri-<br />

s<strong>ch</strong>e Evidenz für ex post Opportunismus der VU findet si<strong>ch</strong> in den Jahresberi<strong>ch</strong>ten der Ombudsfrau:<br />

■ Ombudsfrau (2006, 16): «Andere Anfragen bezogen si<strong>ch</strong> auf Fälle, in denen den Bes<strong>ch</strong>werdeführenden vom UVG<br />

Versi<strong>ch</strong>erer zwar vorgängig mitgeteilt worden war, die Frage der Zusatzdeckung sei no<strong>ch</strong> ungeklärt, dass jedo<strong>ch</strong> vor<br />

dem zeitli<strong>ch</strong> relativ dringenden Eingriff keinesfalls eine abs<strong>ch</strong>liessende Beurteilung mögli<strong>ch</strong> sei. Die Ombudsstelle<br />

konnte auf Anfrage in sol<strong>ch</strong>en Fällen nur empfehlen, den Aufenthalt in der allgemeinen Abteilung zu wählen, um<br />

mögli<strong>ch</strong>e hohe selbst zu beglei<strong>ch</strong>ende Re<strong>ch</strong>nungen zu vermeiden. Die Betroffenen ärgerten si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur darüber,<br />

dass sie zwar privat versi<strong>ch</strong>ert waren, trotzdem aber die allgemeine Abteilung in Anspru<strong>ch</strong> nehmen sollten, sondern<br />

darüber, dass die involvierte Versi<strong>ch</strong>erungsgesells<strong>ch</strong>aft keinen ras<strong>ch</strong>en Ents<strong>ch</strong>eid treffen konnte.»<br />

■ Ombudsfrau (2009b, 14): «Ein exemplaris<strong>ch</strong>es Beispiel war der Fall eines notwendigen Reiseabbru<strong>ch</strong>s na<strong>ch</strong> einer<br />

wegen des Gesundheitszustandes der Versi<strong>ch</strong>erten notfallmässigen Zwis<strong>ch</strong>enlandung des Flugzeugs. Die Patientin<br />

musste umgehend hospitalisiert werden. Obs<strong>ch</strong>on es si<strong>ch</strong> um einen medizinis<strong>ch</strong>en Notfall handelte, ma<strong>ch</strong>te der Versi-<br />

<strong>ch</strong>erer eine Obliegenheitsverletzung geltend und verweigerte die versi<strong>ch</strong>erten Leistungen, weil die Frau vorgängig (!)<br />

ni<strong>ch</strong>t die in der Police genannte Notfallnummer angerufen hatte. Der Versi<strong>ch</strong>erer konnte überzeugt werden, dass in<br />

einer Situation, in der es um Leben oder Tod ging, wohl kaum von einer unents<strong>ch</strong>uldbaren Verletzung von Obliegen-<br />

heiten gespro<strong>ch</strong>en werden konnte.»<br />

■ Ombudsfrau (2006, 13): Der Hausarzt vers<strong>ch</strong>rieb einem VN wegen Überarbeitung zwei Mal eine Packung homöo-<br />

pathis<strong>ch</strong>er Entspannungsdragées, die in jeder Drogerie rezeptfrei erhältli<strong>ch</strong> sind. Es kommt zum S<strong>ch</strong>adensfall und das<br />

VU ma<strong>ch</strong>t eine Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung geltend, weil der VN die Entspannungsdragées bei der Erfüllung der vorver-<br />

tragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t erwähnt hat. Das VU nimmt erst Abstand von seiner Position als die Ombudsstelle<br />

interveniert.<br />

37 Wir verwenden den Begriff der «Ausbeutung», weil dieser in der ökonomis<strong>ch</strong>en Literatur in Zusammenhang mit opportunisti-<br />

s<strong>ch</strong>em Verhalten gebräu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist.<br />

100


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

Vor dem Hintergrund der dur<strong>ch</strong>geführten Experteninterviews mit Vertretern des Konsumentens<strong>ch</strong>utzes,<br />

der Konsumentenpresse und den Jahresberi<strong>ch</strong>ten der Ombudsstelle der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA<br />

kann allerdings davon ausgegangen werden, dass es si<strong>ch</strong> beim ex post Opportunismus der VU ni<strong>ch</strong>t um<br />

ein Massenphänomen handelt. Vielmehr s<strong>ch</strong>eint si<strong>ch</strong> dieser auf ausgewählte VU zu konzentrieren, auf<br />

deren namentli<strong>ch</strong>e Nennung wir an dieser Stelle verzi<strong>ch</strong>ten.<br />

4.6.4 Bes<strong>ch</strong>ränkte Rationalität (Bounded Rationality)<br />

Individuen verhalten si<strong>ch</strong> in komplexen Ents<strong>ch</strong>eidungssituationen häufig ni<strong>ch</strong>t rational im Sinne der Nut-<br />

zenmaximierung. Beim Kauf eines Versi<strong>ch</strong>erungsprodukts muss si<strong>ch</strong> ein Individuum ents<strong>ch</strong>eiden, wel<strong>ch</strong>e<br />

Risiken es bei wel<strong>ch</strong>em VU mit wel<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsprodukten decken will. Dabei handelt es si<strong>ch</strong> um<br />

eine sehr komplexe Ents<strong>ch</strong>eidungssituation. Verhalten si<strong>ch</strong> Individuen dabei irrational in dem Sinne, dass<br />

sie Ents<strong>ch</strong>eide treffen, die ni<strong>ch</strong>t zu ihrem Vorteil sind, kann – muss aber ni<strong>ch</strong>t – einen Regulierungseingriff<br />

gere<strong>ch</strong>tfertig sein. Im Zusammenhang mit dem Einkauf von Versi<strong>ch</strong>erungsprodukten sind aus der experi-<br />

mentellen Wirts<strong>ch</strong>aftsfors<strong>ch</strong>ung folgende Verhaltensanomalien bekannt, die von einer rationalen Wirt-<br />

s<strong>ch</strong>aftspolitik berücksi<strong>ch</strong>tigt werden müssen (vgl. S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005, 66ff):<br />

■ Die Framinganomalie: Man weiss aus der experimentellen Wirts<strong>ch</strong>aftsfors<strong>ch</strong>ung, dass ni<strong>ch</strong>t nur der<br />

Inhalt, sondern au<strong>ch</strong> die Art und Weise der Darstellung von Informationen die Ents<strong>ch</strong>eide von Wirts<strong>ch</strong>afts-<br />

subjekten beeinflussen können. Dieses Phänomen wird in der ökonomis<strong>ch</strong>en Literatur «Framinganomalie»<br />

genannt. S<strong>ch</strong>äfer und Ott (2005, 66) verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en die Framinganomalie mit folgenden Beispielen: «Bei<br />

Befragung von Patienten, die vor der Ents<strong>ch</strong>eidung standen, entweder eine s<strong>ch</strong>were Operation dur<strong>ch</strong>führen zu lassen mit dem<br />

Risiko, den Eingriff ni<strong>ch</strong>t zu überleben oder auf die Operation zu verzi<strong>ch</strong>ten, ents<strong>ch</strong>ieden si<strong>ch</strong> signifikant mehr Patienten für die<br />

Operation, wenn man ihnen z.B. sag: ‚Die Überlebenswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit ist 70%’, als wenn man ihnen z.B. sagte: ‚Die Sterbewahr-<br />

s<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit ist 30%’. Eine Preisangabe für Automobile, die lautet: ‚Normalpreis 20'000 Euro, Rabatt bei Barzahlung 2'000 Euro’,<br />

wird von vielen Kunden der folgenden Angabe vorgezogen ‚Normalpreis 18'000 Euro, Aufs<strong>ch</strong>lag für Ratenzahlung 2'000 Euro».<br />

Die Framinganomalie dürfte bezügli<strong>ch</strong> der Art und Weise, wie ein Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler den VN über<br />

Vertragsrisiken, z.B. über das Risiko eine frühzeitigen Rückkaufs einer Sparversi<strong>ch</strong>erung, aufklären, bedeu-<br />

tend sein.<br />

■ Die Selbstübers<strong>ch</strong>ätzungsanomalie: Individuen übers<strong>ch</strong>ätzen ihre Fähigkeiten oft. Selbstübers<strong>ch</strong>ät-<br />

zung kann dazu führen, dass die VN Risiken unters<strong>ch</strong>ätzen: «So wird das Risiko, selbst einen Unfall zu erleiden,<br />

von potentiellen Unfallopfern oft systematis<strong>ch</strong> als zu gering einges<strong>ch</strong>ätzt, au<strong>ch</strong> wenn ihnen die abstrakte Gefahr wohl<br />

bekannt ist. [...]. Sie [die Selbstübers<strong>ch</strong>ätzungsanomalie, BASS] kann sowohl der Erklärung als au<strong>ch</strong> der Begründung<br />

staatli<strong>ch</strong>en Zwangs bei der Si<strong>ch</strong>erheitsregulierung (z.B. Gurtzwang) und in den Sozialversi<strong>ch</strong>erungen dienen.» (S<strong>ch</strong>äfer<br />

und Ott 2005, 67).<br />

■ Die Opportunitätskostenanomalie: Für ein rationales Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt ist es irrelevant, ob Kosten<br />

in Form von Geldausgaben oder in anderer Form auftreten. Dies ist in der Realität jedo<strong>ch</strong> oft ni<strong>ch</strong>t so:<br />

«Wer in einem bereits abbezahlten Haus wohnt, tendiert oft dazu, die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en anfallenden Wohnungskosten<br />

niedriger zu bewerten, als wenn er monatli<strong>ch</strong> eine Miete zahlen muss.» (S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005, 67). Die Opportuni-<br />

tätskostenanomalie dürfte insbesondere in Zusammenhang mit Art. 68 E-<strong>VVG</strong> relevant sein: Spielt es für<br />

den VN eine Rolle, ob er seinen Versi<strong>ch</strong>erungsmakler direkt mittels Honorar oder aber indirekt mittels<br />

Courtage ents<strong>ch</strong>ädigt?<br />

■ Die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keitsanomalie: Mens<strong>ch</strong>en haben Mühe, mit kleinen Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keiten umzu-<br />

gehen: «Kleine Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keiten werden man<strong>ch</strong>mal mit null glei<strong>ch</strong>gesetzt, was erhebli<strong>ch</strong>en Auswirkungen auf<br />

die Fähigkeit hat, ri<strong>ch</strong>tige Ents<strong>ch</strong>eidungen, etwa zur S<strong>ch</strong>adensvermeidung oder –versi<strong>ch</strong>erung zu treffen. Typis<strong>ch</strong>er ist<br />

allerdings bei Unfallgefahren die systematis<strong>ch</strong> Übers<strong>ch</strong>ätzung von Risiken mit geringer Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit und die<br />

Unters<strong>ch</strong>ätzung von Risiken mit relativ hoher Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit.» (S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005, 69).<br />

101


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

■ Reziprokes Verhalten: Mens<strong>ch</strong>en haben die Tendenz, unkooperatives und unfaires Verhalten zu be-<br />

strafen – au<strong>ch</strong> wenn dies für sie selbst Na<strong>ch</strong>teile mit si<strong>ch</strong> bringt. Diese Verhaltensanomalie kann si<strong>ch</strong> z.B.<br />

darin äussern, dass si<strong>ch</strong> ein VN während der Vertragslaufzeit gegenüber dem VU unkooperativ verhält,<br />

wenn es si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t von einem ungeliebten Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag lösen kann, zu dessen Zei<strong>ch</strong>nung der VN<br />

von einem Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler mittels aggressiver Verkaufste<strong>ch</strong>niken «verführt» wurde.<br />

■ Zu hohe Gegenwartspräferenz: Die Zeitpräferenzrate misst, wie ein Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt Konsum in<br />

der Zukunft im Verglei<strong>ch</strong> zum Konsum in der Gegenwart bewertet. Ist einem Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt der Kon-<br />

sum eines Gutes X in der Gegenwart t zum Beispiel 10 Franken wert, der Konsum des glei<strong>ch</strong>en Gutes ein<br />

Jahr später (im Zeitpunkt t+1) jedo<strong>ch</strong> nur 8 Franken, beträgt die Zeitpräferenzrate 20 Prozent. Ist der Wert<br />

des Konsums des Gutes zum Zeitpunkt t+1 hingegen nur 4 Franken, beträgt die Zeitpräferenzrate 60<br />

Prozent etc.: Je höher die Zeitpräferenzrate, desto tiefer ist der Wert, den der Konsum eines Gutes in der<br />

Zukunft für ein Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt hat. Teilweise wird in der ökonomis<strong>ch</strong>en Literatur argumentiert, dass<br />

Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte eine zu hohe Zeitpräferenzrate haben und deshalb zu wenig für die Zukunft vorsor-<br />

gen. Diese Zusammenhänge sind für den Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt besonders bedeutsam: S<strong>ch</strong>liesst ein Wirt-<br />

s<strong>ch</strong>aftssubjekt einen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag ab, verzi<strong>ch</strong>tet es in der Gegenwart, d.h. zum Zeitpunkt des<br />

Vertragss<strong>ch</strong>lusses, auf Konsum, da es einen Teil seines Vermögens für Prämienzahlungen verwendet. Tritt<br />

in der Zukunft ein S<strong>ch</strong>adensereignis ein und erhält das Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt im Rahmen seiner Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsdeckung Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen des VU, kann es hingegen mehr konsumieren, als dies der Fall<br />

gewesen wäre, wenn es keine Versi<strong>ch</strong>erung abges<strong>ch</strong>lossen hätte. Sozialversi<strong>ch</strong>erungen können u.a. mit<br />

dem Argument einer zu hohen Zeitpräferenzrate der Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte begründet werden.<br />

4.7 Die ökonomis<strong>ch</strong>e Funktion des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes<br />

Das Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetz und damit au<strong>ch</strong> die Totalrevision des <strong>VVG</strong> tangiert die Vertragsfreiheit.<br />

Diese umfasst typis<strong>ch</strong>erweise Abs<strong>ch</strong>lussfreiheit (inkl. Vertragspartnerwahlfreiheit), Inhaltsfreiheit, Form-<br />

freiheit und Aufhebungsfreiheit. Der Wert der Vertragsfreiheit ist aus einer ökonomis<strong>ch</strong>en Perspektive,<br />

dass die Vertragsfreiheit in einem funktionsfähigen Wettbewerbssystem der freien Marktwirts<strong>ch</strong>aft die<br />

knappen Ressourcen an den Ort ihrer wertvollsten Verwendung steuert: Die Vertragsfreiheit führt in ei-<br />

nem Markt, der die Eigens<strong>ch</strong>aft des vollständigen Wettbewerbs aufweist, zu einer pareto-effizienten<br />

Allokation der knappen Ressourcen – zu einem Zustand also, in dem kein Individuum besser gestellt<br />

werden kann, ohne ein anderes Individuum s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter zu stellen. Im Idealfall eines atomistis<strong>ch</strong>en Marktes<br />

mit vielen Na<strong>ch</strong>fragern und Anbietern, in dem die Vertragsparteien vollständig und symmetris<strong>ch</strong> informiert<br />

sind und in dem es keine externen Effekte gibt, gibt es folgli<strong>ch</strong> keinen Anlass für Eingriffe in die Vertrags-<br />

freiheit, die über die Si<strong>ch</strong>erstellung der Dur<strong>ch</strong>setzbarkeit von Verträgen hinausgehen.<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>e Interpretation der Vertragsfreiheit beruht auf einer Idealvorstellung eines Vertrags, der in<br />

der Literatur vollständiger Vertrag (fully specified contract) genannt wird: «Dessen Prämissen sind, dass<br />

die Vertragsparteien si<strong>ch</strong> rational verhalten, über alle vertragsrelevanten Informationen verfügen und alle vertragsrele-<br />

vanten Punkte regeln und dass der Vertrag unter fairen Bedingungen ges<strong>ch</strong>lossen wird, Täus<strong>ch</strong>ung, Drohung und der<br />

Einfluss von Monopolma<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen sind.» (S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005, 422). Ein vollständiger Vertrag ist im-<br />

mer ein Win-Win-Vertrag: «Na<strong>ch</strong> dem ökonomis<strong>ch</strong>en Vertragsparadigma liegt ein gültiger Vertrag nur vor, wenn<br />

eine Vereinbarung die ökonomis<strong>ch</strong>e Funktion des Vertrags erfüllt, d.h. den Nutzen beider Partien fördert [...].» (S<strong>ch</strong>ä-<br />

fer und Ott 2005, 421). Dies impliziert, dass Verträge keine unproduktiven Nullsummenspiele, sondern pro-<br />

duktive Spiele mit einem aufaddierten Nutzen von grösser als null, sind.<br />

Wenn ein Vertrag ni<strong>ch</strong>t den Nutzen beider Vertragsparteien fördert, ist dieser aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t<br />

ni<strong>ch</strong>t gültig: «Entspri<strong>ch</strong>t ein Vertrag [...] dem ökonomis<strong>ch</strong>en Modell ni<strong>ch</strong>t, fördert er also ni<strong>ch</strong>t den Nutzen beider<br />

102


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

Parteien, dann kann er aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t keine Geltung beanspru<strong>ch</strong>en und sollte dur<strong>ch</strong> einen Eingriff in die<br />

Vertragsinhalte korrigiert werden.» (S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005, 422).<br />

Da unter den Bedingungen einer freien Marktwirts<strong>ch</strong>aft, in der vollständiger Wettbewerb herrs<strong>ch</strong>t, nur<br />

Win-Win-Verträge zustande kommen können, sind die Ursa<strong>ch</strong>en von Win-Loose-Verträgen in Marktun-<br />

vollkommenheiten zu su<strong>ch</strong>en. Allerdings müssen Marktunvollkommenheiten ni<strong>ch</strong>t zwingend zu einer<br />

suboptimalen Allokation im Sinne einer Vers<strong>ch</strong>wendung von Ressourcen führen. So besagt das Coase<br />

Theorem (Coase 1960), dass unabhängig von der originären Verteilung der Handlungsre<strong>ch</strong>te eine pareto-<br />

effiziente Allokation der Ressourcen resultiert, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:<br />

■ (1) Die Handlungsre<strong>ch</strong>te sind eindeutig spezifiziert und frei übertragbar.<br />

■ (2) Es gibt keine Transaktionskosten: die Kosten der Information und Koordination bei der Übertragung<br />

und Dur<strong>ch</strong>setzung der Handlungsre<strong>ch</strong>te sind glei<strong>ch</strong> Null 38 .<br />

Diese Voraussetzungen sind im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt allerdings ni<strong>ch</strong>t erfüllt. Insbesondere existieren in den<br />

realen Märkten substantielle Transaktionskosten. Mit Blick auf den Finanz- und Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt unter-<br />

s<strong>ch</strong>eidet Llewellyn (1999, 35) die folgenden Arten von Transaktionskosten:<br />

■ Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten (sear<strong>ch</strong> costs): Kosten, die in Zusammenhang mit der Informationssu<strong>ch</strong>e<br />

anfallen können.<br />

■ Überwa<strong>ch</strong>ungskosten (monitoring costs): Kosten, die na<strong>ch</strong> Vertragsabs<strong>ch</strong>luss entstehen, wenn das Ver-<br />

halten eines Vertragspartners beoba<strong>ch</strong>tet werden muss.<br />

■ Vereinbarungskosten (bargaining and decision costs): Kosten, die in Zusammenhang mit dem Verhan-<br />

deln und Ausarbeiten der konkreten Vertragsbedingungen entstehen.<br />

■ Dur<strong>ch</strong>setzungskosten (enforcement costs): Kosten, die in Zusammenhang mit der Dur<strong>ch</strong>setzung der<br />

vertragli<strong>ch</strong> vereinbarten Leistungen entstehen können.<br />

■ Kontrollkosten (verifications costs): Kosten, die in Zusammenhang mit der Kontrolle der vertragli<strong>ch</strong> ver-<br />

einbarten Eigens<strong>ch</strong>aften der Leistungslieferung entstehen können.<br />

■ Geri<strong>ch</strong>tskosten (redress costs): Kosten, die bei der Dur<strong>ch</strong>setzung von S<strong>ch</strong>adensersatzansprü<strong>ch</strong>en und<br />

anderen Ents<strong>ch</strong>ädigungen anfallen, wenn es zu Leistungsstörungen oder anderen Vertragsbrü<strong>ch</strong>en<br />

kommt.<br />

Anhand dieser Transaktionskosten lässt si<strong>ch</strong> nun die ökonomis<strong>ch</strong>e Funktion des Vertragsre<strong>ch</strong>ts im Allge-<br />

meinen und des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes im Besonderen ableiten:<br />

Die Existenz von Transaktionskosten, insbesondere von sear<strong>ch</strong> costs und monitoring costs, führt dazu,<br />

dass verborgenes Wissen (Hidden Information) und verborgene Handlungen (Hidden Action) in ineffizien-<br />

ten Win-Loose-Verträgen resultieren können. Daraus ergeben si<strong>ch</strong> die beiden ersten Funktionen des<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes (adaptiert na<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005, 398):<br />

■ 1. Funktion des <strong>VVG</strong>: Reduktion des ex ante Opportunismus: Das Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetz<br />

reduziert den ex ante Opportunismus vor Vertragsabs<strong>ch</strong>luss, indem es für die vorvertragli<strong>ch</strong>e Situation<br />

Informations- und Verhaltensvors<strong>ch</strong>riften statuiert.<br />

■ 2. Funktion des <strong>VVG</strong>: Reduktion des ex post Opportunismus: Das Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetz<br />

reduziert den ex post Opportunismus na<strong>ch</strong> Vertragsabs<strong>ch</strong>luss und vor Vertragsbeendigung dur<strong>ch</strong> Informa-<br />

tions- und Verhaltensvors<strong>ch</strong>riften.<br />

Die Existenz von bargaining and decision costs äussert si<strong>ch</strong> darin, dass im Rahmen des Abs<strong>ch</strong>lusses von<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen ni<strong>ch</strong>t alle Eventualitäten antizipiert werden können: Jeder Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag ist<br />

38 Diese Definition des Coase-Theorems stützt si<strong>ch</strong> auf S<strong>ch</strong>äfer und Ott (2005, 102)<br />

103


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

in dem Sinne unvollständig, als dass im Rahmen des Vertragss<strong>ch</strong>lusses ni<strong>ch</strong>t alle Risiken, die mit dem Ver-<br />

trag verbunden sind (Vertragsrisiken), ex ante auf die Vertragsparteien alloziert werden können. Dadur<strong>ch</strong><br />

entstehen Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheiten, die in erhöhten enforcement und redress costs resultieren können, die<br />

prinzipiell wohlfahrtsmindernd wirken. Vor diesem Hintergrund hat das Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetz eine<br />

Entlastungsfunktion: Es reduziert Transaktionskosten, die im Rahmen des Abs<strong>ch</strong>lusses des Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vertrags und der Dur<strong>ch</strong>setzung der im Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag vereinbarten Leistungen anfallen.<br />

Diese ökonomis<strong>ch</strong>e Funktion nehmen allerdings au<strong>ch</strong> die Allgemeinen Versi<strong>ch</strong>erungsbedingungen (AVB)<br />

der Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen wahr: «Au<strong>ch</strong> Allgemeine Ges<strong>ch</strong>äftsbedingungen dienen u.a. der Entlastung der<br />

einzelnen Verträge von dem mit individuellen Regelungen verbundenen Aufwand und bewirken insoweit au<strong>ch</strong> eine<br />

Senkung der Transaktionskosten des re<strong>ch</strong>tsges<strong>ch</strong>äftli<strong>ch</strong>en Verkehrs.» (S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005, 426).<br />

Gemäss S<strong>ch</strong>äfer und Ott (2005) werden in Allgemeinen Ges<strong>ch</strong>äftsbedingungen die Vertragsrisiken zwi-<br />

s<strong>ch</strong>en den Vertragsparteien oft ni<strong>ch</strong>t effizient alloziiert: «Glei<strong>ch</strong>wohl erfüllen Allgemein Ges<strong>ch</strong>äftsbedingungen<br />

wegen der Art ihres Zustandekommens ni<strong>ch</strong>t notwendig die ökonomis<strong>ch</strong>e Funktion des vollständigen Vertrags, näm-<br />

li<strong>ch</strong> eine Förderung des Nutzens beider Parteien (Pareto-Kriterium). Die Problematik Allgemeiner Ges<strong>ch</strong>äftsbedingun-<br />

gen liegt vielmehr gerade darin, dass sie vielfa<strong>ch</strong> dazu verwende werden, die Vertragsrisiken im Widerspru<strong>ch</strong> zu<br />

wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>en Kriterien und damit in ineffizienter Weise zu verteilen.» (S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005, 426ff).<br />

Diese Ausführungen implizieren, dass die Allokation von Vertragsrisiken (und au<strong>ch</strong> von S<strong>ch</strong>adensrisiken)<br />

ni<strong>ch</strong>t effizienz-neutral ist. Die Zuordnung von Vertragsrisiken und S<strong>ch</strong>adensrisiken auf die beiden Ver-<br />

tragsparteien tangiert die Effizienz, weil die Kosten der Risikovermeidung der Vertragsparteien unter-<br />

s<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> ho<strong>ch</strong> sind:<br />

«Je na<strong>ch</strong> Zuordnung der Risiken auf den Anbieter oder Na<strong>ch</strong>frager einer Leistung wird der Preis der Leistung unter-<br />

s<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> ho<strong>ch</strong> sein. Wenn alle Risiken auf den Anbieter entfallen, wird er einen hohen Preis für seine Leistung ver-<br />

langen, der mindestens den Erwartungswert dieser Risiken enthält. Wenn dagegen der Na<strong>ch</strong>frager alle Risiken über-<br />

nimmt, wird der Preis entspre<strong>ch</strong>end niedrig sein. Wi<strong>ch</strong>tig ist nun, dass bei der Aushandlung des vollständigen Vertra-<br />

ges die Verhandlungspartner die Risiken ni<strong>ch</strong>t beliebig verteilen. Bei rationalem Verhalten werden sie vielmehr ihren<br />

gemeinsamen Nutzen aus dem Vertrag dadur<strong>ch</strong> vergrössern, dass jeweils derjenige ein spezifis<strong>ch</strong>es Risiko übernimmt,<br />

der dieses Risiko mit dem geringsten Aufwand vermeiden, versi<strong>ch</strong>ern oder auf sonstige Weise bewältigen kann. Es ist<br />

lei<strong>ch</strong>t einzusehen, dass diese Reglung zum beiderseitigen Vorteil der Parteien ist. Wenn derjenige, der das Risiko mit<br />

dem geringsten Aufwand bewältigen kann, es vertragli<strong>ch</strong> übernimmt, wird sein Preisaufs<strong>ch</strong>lag, den er für die Über-<br />

nahme des Risikos verlangt, relativ gering sein.» (S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005, 402).<br />

Entspre<strong>ch</strong>end verlangt die ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse des Re<strong>ch</strong>ts, dass die Allokation der Vertragsrisiken ge-<br />

mäss folgenden wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>en Postulaten zu erfolgen hat (vg. S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005, Kapi-<br />

tel 11):<br />

■ Cheapest Cost Avoider: Wenn das Risiko von den Vertragsparteien zu vertretbaren Kosten reduziert<br />

werden kann, sollte derjenigen Vertragspartei das Risiko zugeordnet werden, die es mit dem geringsten<br />

Aufwand beherrs<strong>ch</strong>en kann. «Zu vertretbaren Kosten» ist dahingehend zu verstehen, dass die Learned<br />

Hand-Formel erfüllt ist: Die Risikovermeidungskosten sind tiefer als der Erwartungswert des Risikos.<br />

■ Cheapest Insurer: Wenn das Risiko von den Vertragsparteien ni<strong>ch</strong>t zu vertretbaren Kosten vermieden<br />

werden kann und wenn das Risiko versi<strong>ch</strong>erbar ist, dann sollte es derjenigen Vertragspartei zugeordnet<br />

werden, die das Risiko mit der geringsten Versi<strong>ch</strong>erungsprämie versi<strong>ch</strong>ern kann.<br />

■ Superior Risk Bearer: Wenn das Risiko von den Vertragspartien ni<strong>ch</strong>t zu vertretbaren Kosten vermie-<br />

den werden kann und wenn das Risiko ni<strong>ch</strong>t fremdversi<strong>ch</strong>ert werden kann (da si<strong>ch</strong> keine Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

märkte gebildet haben), dann sollte das Risiko derjenigen Partei zugeordnet werden, die es besser selbst<br />

tragen bzw. besser selbst versi<strong>ch</strong>ern kann: «Ob jemand bei Ni<strong>ch</strong>t-Existenz von Versi<strong>ch</strong>erungen ein Risiko besser<br />

104


4 Versi<strong>ch</strong>erungsökonomik<br />

tragen kann, hängt somit vor allem von zwei Umständen ab: erstens von den Informationskosten, die aufgewendet<br />

werden müssen, um das Risiko überhaupt zu erkennen, und zweitens von den internen Mögli<strong>ch</strong>keiten eines Unter-<br />

nehmens, das Gesetz der grossen Zahl für si<strong>ch</strong> arbeiten zu lassen.» (S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005).<br />

Vor diesem Hintergrund kann die dritte Funktion des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes folgendermassen<br />

formuliert werden:<br />

■ 3. Funktion des <strong>VVG</strong>: Effiziente Allokation der Vertragsrisiken: Zuordnung von Risiken wie in<br />

einem vollständigen Vertrag, wie in einem Vertrag also, den redli<strong>ch</strong>e Parteien bei Transaktionskosten in<br />

der Höhe von Null ges<strong>ch</strong>lossen hätten.<br />

Dass diese Überlegungen zur ökonomis<strong>ch</strong>en Funktion des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes ni<strong>ch</strong>t nur theore-<br />

tis<strong>ch</strong>er Natur sind, zeigt Tabelle 11. Sie zeigt, wel<strong>ch</strong>e Funktionen die vers<strong>ch</strong>iedenen Artikelgruppen, die<br />

im Rahmen der vorliegenden <strong>RFA</strong> untersu<strong>ch</strong>t werden sollen, wahrnehmen sollen.<br />

Tabelle 11: Funktionen des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes na<strong>ch</strong> den zu untersu<strong>ch</strong>enden Artikelgruppen<br />

des E-<strong>VVG</strong><br />

Reduktion<br />

des ex ante<br />

Opportunismus<br />

der...<br />

Reduktion<br />

des ex post<br />

Opportunismus<br />

der...<br />

Effiziente Allokation<br />

von Vertrags- und<br />

S<strong>ch</strong>adensrisiken<br />

Kürzel<br />

WRR Widerrufsre<strong>ch</strong>t Art. 7 VI x<br />

IPV<br />

Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t<br />

des VU<br />

Art. 12-14 VI VU<br />

APV<br />

Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t<br />

des VN<br />

Art. 15-23 VN<br />

SAM<br />

S<strong>ch</strong>adenabwendung und<br />

-minderung<br />

Art. 34/41 VN x<br />

PAK Prämienanpassungsklausel Art. 49 VU x<br />

KdV Kündigung des VV Art. 53/55 VI VN/VU<br />

NhV<br />

Na<strong>ch</strong>haftung und hängige<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsfälle<br />

Art. 57/58 x<br />

VFV Verjährung Art. 66, 45 x<br />

ME Maklerents<strong>ch</strong>ädigung Art. 68 ung. VI 1<br />

Art. Nr. im E-<strong>VVG</strong> / E-VAG<br />

GKV<br />

Gesundheitsprüfung in der<br />

Kollektivversi<strong>ch</strong>erung<br />

Art. 73<br />

DFR Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t Art. 91 VU x<br />

SR S<strong>ch</strong>adenregulierung Art. 94 VU<br />

Fussnote: 1 ung. VI = ungebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

105


5 Marktanalyse<br />

5 Marktanalyse<br />

5.1 Marktdefinition<br />

Eine für die vorliegende <strong>RFA</strong> zweckmässige Definition des Versi<strong>ch</strong>erungsmarktes muss drei Dimensionen<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigen, die in den na<strong>ch</strong>folgenden Abs<strong>ch</strong>nitten diskutiert werden:<br />

■ Produktspezifis<strong>ch</strong>e Dimension<br />

■ Juristis<strong>ch</strong>e Dimension<br />

■ Geografis<strong>ch</strong>e Dimension<br />

5.1.1 Produktspezifis<strong>ch</strong>e Dimension<br />

Der Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt umfasst Transaktionen und Tätigkeiten, die in Zusammenhang mit der Produkti-<br />

on, Distribution und Konsumption des Gutes «Versi<strong>ch</strong>erung» geleistet werden. Wel<strong>ch</strong>e Transaktionen und<br />

produktiven Tätigkeiten der Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt umfasst, ist deshalb abhängig von der Definition des<br />

Gutes «Versi<strong>ch</strong>erung». Zweifel und Eisen (2003, 3) definieren Versi<strong>ch</strong>erungen allgemein als «Mittel oder<br />

Verfahren, mit dem die Unsi<strong>ch</strong>erheit bezügli<strong>ch</strong> zukünftiger Erfahrungen gemindert werden kann». In der<br />

Vergangenheit gab es zahlrei<strong>ch</strong>e Versu<strong>ch</strong>e, das Gut «Versi<strong>ch</strong>erung» präzise zu definieren, wobei si<strong>ch</strong><br />

keine dieser Definitionen als allgemeingültig und allgemein anerkannt dur<strong>ch</strong>setzen konnte. Zweifel und<br />

Eisen (2003, 3) präsentieren im Sinne einer Auswahl drei Definitionen:<br />

■ Definition von Hax (1964): «Versi<strong>ch</strong>erung ist der Austaus<strong>ch</strong> eines unsi<strong>ch</strong>eren und (unbestimmten) gros-<br />

sen Verlusts gegen einen kleinen, bestimmten und si<strong>ch</strong>eren Verlust (die Prämie, der Beitrag).» (Zweifel<br />

und Eisen 2003, 3).<br />

■ Definition von Arrow (1965): «Insurance is the ex<strong>ch</strong>ange of money now for money payable contingent<br />

on the occurrence of certain events» (Zweifel und Eisen 2003, 3)<br />

■ Definition von Müller (1995): «Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte sind Garantieinformationen für bestimmte Ver-<br />

mögenszustände des Versi<strong>ch</strong>erungskäufers, wobei diese Garantieinformationen den Informationsstand<br />

des Versi<strong>ch</strong>erungskäufers bei seinen Ents<strong>ch</strong>eidungsergebnissen, ni<strong>ch</strong>t dagegen bei den Eintrittswahr-<br />

s<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keiten der Umweltzustände verbessern.» (Zweifel und Eisen 2003, 4).<br />

Diese Definitionen ma<strong>ch</strong>en deutli<strong>ch</strong>, dass der S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt ni<strong>ch</strong>t nur die werts<strong>ch</strong>öpfen-<br />

den Tätigkeiten der Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen umfasst. Es gibt zahlrei<strong>ch</strong>e andere Unternehmen, die am<br />

Prozess der Produktion von Versi<strong>ch</strong>erungen beteiligt sind. Beispiele hierfür sind z.B. Beratungsunterneh-<br />

men, die si<strong>ch</strong> im Berei<strong>ch</strong> der Bere<strong>ch</strong>nung von S<strong>ch</strong>adenshöhen oder im Berei<strong>ch</strong> der Risikoanalyse speziali-<br />

siert haben.<br />

5.1.2 Juristis<strong>ch</strong>e Dimension<br />

Gemäss Art. 1 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong> fallen alle «Verträge, die von einem der Aufsi<strong>ch</strong>t des Bundes unterstellten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen abges<strong>ch</strong>lossen worden sind» unter den Geltungsberei<strong>ch</strong> des Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vertragsgesetzes, wobei Rückversi<strong>ch</strong>erungen in Abs. 2 explizit ausgenommen sind. Daraus folgt u.a., dass<br />

die Sozialversi<strong>ch</strong>erungen ni<strong>ch</strong>t Gegenstand des <strong>VVG</strong> sind. Mit Art. 2 Abs. 3 E-<strong>VVG</strong> ist der E-<strong>VVG</strong> auf<br />

Grossrisiken 39 überdies nur dispositiv anwendbar.<br />

39 Grossrisiken sind in Art. 124 Abs. 6 E-<strong>VVG</strong> definiert.<br />

106


5 Marktanalyse<br />

5.1.3 Geografis<strong>ch</strong>e Dimension<br />

Die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen positionieren si<strong>ch</strong> zunehmend ni<strong>ch</strong>t mehr national, sondern transnational.<br />

Zum einen aufgrund von Skaleneffekten (economies of scale) im Versi<strong>ch</strong>erungsges<strong>ch</strong>äft. Zum anderen,<br />

weil aufgrund des Gesetzes der grossen Zahl die Varianz von S<strong>ch</strong>adenereignissen mit der Grösse des Risi-<br />

kopools sinkt. Letztgenannter Faktor, der die Globalisierung des Versi<strong>ch</strong>erungsmarktes begünstigt, dürfte<br />

der Grund dafür sein, dass der Markt für Grossrisiken und das Rückversi<strong>ch</strong>erungsges<strong>ch</strong>äft stark transnati-<br />

onal strukturiert ist. Der Rückversi<strong>ch</strong>erungsmarkt unterliegt grundsätzli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dem Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

tragsgesetz, so dass dieser ni<strong>ch</strong>t Gegenstand der vorliegenden Untersu<strong>ch</strong>ung ist.<br />

Aus einer geografis<strong>ch</strong>en Perspektive kann der Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt in vier geografis<strong>ch</strong>e Teilmärkte auf-<br />

geteilt werden:<br />

■ Geografis<strong>ch</strong>er Teilmarkt 1: Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen, die von S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen in<br />

der S<strong>ch</strong>weiz unter dem Regime des <strong>VVG</strong> erbra<strong>ch</strong>t werden.<br />

■ Geografis<strong>ch</strong>er Teilmarkt 2: Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen, die von ausländis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

mit einer Niederlassung in der S<strong>ch</strong>weiz unter dem Regime des <strong>VVG</strong> erbra<strong>ch</strong>t werden.<br />

■ Geografis<strong>ch</strong>er Teilmarkt 3: Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen, die von Niederlassungen S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

unternehmen im Ausland, unter dem Regime des ausländis<strong>ch</strong>en <strong>VVG</strong> erbra<strong>ch</strong>t werden.<br />

■ Geografis<strong>ch</strong>er Teilmarkt 4: Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen, die von juristis<strong>ch</strong>en Einheiten eines S<strong>ch</strong>weizer Ver-<br />

si<strong>ch</strong>erungskonzerns im Ausland unter dem Regime eines ausländis<strong>ch</strong>en <strong>VVG</strong> erbra<strong>ch</strong>t werden.<br />

Aus diesen vier Teilmärkten können folgende «geografis<strong>ch</strong>e Marktaggregate» gebildet werden, die aus<br />

einer aufsi<strong>ch</strong>tsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Perspektive von Interesse sind:<br />

■ Direktes S<strong>ch</strong>weizerges<strong>ch</strong>äft = S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt: Das direkte S<strong>ch</strong>weizerges<strong>ch</strong>äft<br />

umfasst die Versi<strong>ch</strong>erungsverträge, die dem S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetz unterliegen – also<br />

au<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungsverträge mit ausländis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen, deren Hauptsitz zwar im<br />

Ausland liegt, die jedo<strong>ch</strong> in der S<strong>ch</strong>weiz eine Vertretung im Sinne einer einklagbaren juristis<strong>ch</strong>en Person<br />

haben, die der Aufsi<strong>ch</strong>t der FINMA untersteht. Das direkte S<strong>ch</strong>weizerges<strong>ch</strong>äft umfasst also die geografi-<br />

s<strong>ch</strong>en Teilmärkte 1 und 2.<br />

■ Direktes Auslandsges<strong>ch</strong>äft: Das direkte Auslandsges<strong>ch</strong>äft umfasst die Versi<strong>ch</strong>erungsverträge, die<br />

S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen über ihre institutionellen Einheiten im Ausland tätigen. Das direkte<br />

Auslandsges<strong>ch</strong>äft entspri<strong>ch</strong>t dem oben definierten geografis<strong>ch</strong>en Teilmarkt 3.<br />

Aus der Perspektive des globalen Wettbewerbs ist ein weiterer geografis<strong>ch</strong>er Markt von Interesse:<br />

■ Indirektes Auslandsges<strong>ch</strong>äft: S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungskonzerne haben im Ausland Versi<strong>ch</strong>erungsun-<br />

ternehmen, die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t der Aufsi<strong>ch</strong>t der FINMA unterstellt sind. Das direkte Auslandsges<strong>ch</strong>äft fällt<br />

grundsätzli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in den Geltungsberei<strong>ch</strong> des S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes. Dieser Markt<br />

wird aber vom Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetz indirekt tangiert, da die Re<strong>ch</strong>tsordnung auf dem Heimmarkt<br />

S<strong>ch</strong>weiz die Wettbewerbsfähigkeit der S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen im internationalen Wettbe-<br />

werb beeinflusst. Das indirekte Auslandsges<strong>ch</strong>äft entspri<strong>ch</strong>t dem oben definierten geografis<strong>ch</strong>en Teilmarkt<br />

4.<br />

5.2 Wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Bedeutung der Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft<br />

5.2.1 Kennzahlen und Datenquellen<br />

Die Bedeutung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes und damit die Relevanz der Totalrevision desselben<br />

hängt von der Bedeutung der Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft für die S<strong>ch</strong>weizer Volkswirts<strong>ch</strong>aft ab. Will man die<br />

107


5 Marktanalyse<br />

Bedeutung der Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft für die S<strong>ch</strong>weizer Volkswirts<strong>ch</strong>aft mittels adäquater empiris<strong>ch</strong>er<br />

Daten darstellen, stellt si<strong>ch</strong> die Frage, mittels wel<strong>ch</strong>er Kennzahlen die Bedeutung bes<strong>ch</strong>rieben werden soll.<br />

Zweifel und Eisen (2003, 8ff) halten die folgenden Kennzahlen für geeignet, um die gesamtwirts<strong>ch</strong>aftli-<br />

<strong>ch</strong>e Bedeutung der Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft zu bes<strong>ch</strong>reiben:<br />

■ Anzahl institutioneller Einheiten (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 5.2.2)<br />

■ Anzahl Bes<strong>ch</strong>äftigter (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 5.2.2)<br />

■ Prämienvolumen (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 5.2.3)<br />

■ Bruttowerts<strong>ch</strong>öpfung (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 5.2.4)<br />

■ Summe der Konsumenten- und Produzentenrenten<br />

In den na<strong>ch</strong>folgenden Abs<strong>ch</strong>nitten werden wir die verfügbaren empiris<strong>ch</strong>en Daten zu den vier ersten<br />

Kennzahlen präsentieren. Ein Ausweis der Konsumenten- und Produzentenrente ist ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, da ein<br />

sol<strong>ch</strong>er Ausweis die Kenntnis der maximalen Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aften eines jeden VN für die von ihm ein-<br />

gekauften Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte (→Na<strong>ch</strong>fragekurve) und die Kenntnis der Kostenstruktur eines jeden<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmens (→Angebotskurve) voraussetzen würde.<br />

Grundsätzli<strong>ch</strong> stehen drei Quellen zur Verfügung, denen empiris<strong>ch</strong>e Daten zu den vier oben genannten<br />

Kennzahlen entnommen werden können:<br />

■ Amtli<strong>ch</strong>e Statistiken: Volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Gesamtre<strong>ch</strong>nung (VGR) und Betriebszählung (BZ)<br />

■ Eidgenössis<strong>ch</strong>e Finanzmarktaufsi<strong>ch</strong>t FINMA<br />

■ S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>er Versi<strong>ch</strong>erungsverband (SVV)<br />

Amtli<strong>ch</strong>e Statistiken<br />

Von Interesse sind die folgenden zwei Statistiken:<br />

■ Volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Gesamtre<strong>ch</strong>nung (VGR, BFS): Dieser Statistik kann die Bruttowerts<strong>ch</strong>öpfung<br />

entnommen werden.<br />

■ Betriebszählung 2008 (BZ, BFS): Dieser Statistik kann die Anzahl institutioneller Einheiten und die<br />

Anzahl Bes<strong>ch</strong>äftigter entnommen werden.<br />

Die Daten, die diesen beiden amtli<strong>ch</strong>en Statistiken entnommen werden können, beziehen si<strong>ch</strong> auf das<br />

direkte S<strong>ch</strong>weizerges<strong>ch</strong>äft (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 5.1.3 für eine Definition des direkten S<strong>ch</strong>weizerges<strong>ch</strong>äfts)<br />

Das direkte S<strong>ch</strong>weizerges<strong>ch</strong>äft, das wir au<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt nennen, kann in den beiden<br />

amtli<strong>ch</strong>en Statistiken mittels der Nomenklaturen (Systematik der Wirts<strong>ch</strong>aftszweige) NOGA 2002 und<br />

NOGA 2008 operationalisiert werden:<br />

■ In der VGR ist nur die NOGA 2002 verfügbar – auf der Ebene der NOGA 2-Steller. Die Abteilung 66<br />

(Versi<strong>ch</strong>erungen) ergänzt um die Art 67.20A (Mit den Versi<strong>ch</strong>erungen verbundene Tätigkeiten) ist die<br />

bestmögli<strong>ch</strong>e Operationalisierung für das Konstrukt «S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt».<br />

■ In der Betriebszählung 2008 ist die NOGA 2008 auf der detailliertesten Ebene der NOGA-6-Steller ver-<br />

fügbar, so dass das Konstrukt «S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt» exakter rekonstruiert werden kann. Ta-<br />

belle 13 kann entnommen werden, wel<strong>ch</strong>e NOGA-6-Steller die S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft konsti-<br />

tuieren.<br />

108


5 Marktanalyse<br />

Eidgenössis<strong>ch</strong>e Finanzmarktaufsi<strong>ch</strong>t FINMA<br />

Das Prämienvolumen kann für das Jahr 2008 dem Reportportal der FINMA 40 entnommen werden. Die<br />

Daten sind sowohl für das direkte S<strong>ch</strong>weizerges<strong>ch</strong>äft (S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt) als au<strong>ch</strong> für das<br />

direkte Auslandsges<strong>ch</strong>äft (für eine Definition vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 5.1.3) verfügbar.<br />

Dem Reportportal der FINMA können grundsätzli<strong>ch</strong> eine Vielzahl weiterer Kennzahlen entnommen wer-<br />

den (S<strong>ch</strong>adenzahlungen etc.).<br />

S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>er Versi<strong>ch</strong>erungsverband SVV<br />

Der SVV-Homepage können Daten zu der Anzahl Bes<strong>ch</strong>äftigter und zum Prämienvolumen entnommen<br />

werden. Diese Daten ergänzen die Daten der BZ und der FINMA insofern, als au<strong>ch</strong> Daten zum indirekten<br />

Auslandsges<strong>ch</strong>äft (für eine Definition vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 5.1.3) verfügbar sind.<br />

5.2.2 Institutionelle Einheiten und Bes<strong>ch</strong>äftigte<br />

In Tabelle 13 sind Anzahl institutioneller Einheiten und Anzahl Bes<strong>ch</strong>äftigter im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsmarkt dargestellt – aufgegliedert na<strong>ch</strong> den relevanten NOGA-Wirts<strong>ch</strong>aftszweigen. Folgende Bemer-<br />

kungen ers<strong>ch</strong>einen uns erwähnenswert:<br />

■ Im Jahr 2008 gab es in der S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft 2'419 institutionelle Einheiten, was 0.8%<br />

der institutionellen Einheiten der gesamten S<strong>ch</strong>weizer Volkswirts<strong>ch</strong>aft entspri<strong>ch</strong>t. Bei zwei Drittel dieser<br />

Einheiten handelt es si<strong>ch</strong> um kleine Unternehmen von Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern. Der Anteil grosser Unter-<br />

nehmen ist im Verglei<strong>ch</strong> zur gesamten Volkswirts<strong>ch</strong>aft überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> ho<strong>ch</strong>, was auf die Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsunternehmen zurückführen ist.<br />

■ Die 2'419 institutionellen Einheiten bes<strong>ch</strong>äftigten im Jahr 2008 insgesamt 67'132 Angestellte, was<br />

1.9% aller Bes<strong>ch</strong>äftigten in der S<strong>ch</strong>weizer Volkswirts<strong>ch</strong>aft entspri<strong>ch</strong>t. Über 50% dieser Bes<strong>ch</strong>äftigten sind<br />

für Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen tätig. Mit 18% ma<strong>ch</strong>en die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler au<strong>ch</strong> einen grossen<br />

Anteil an den im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt bes<strong>ch</strong>äftigten Personen aus. Knapp 65% der Bes<strong>ch</strong>äftig-<br />

ten arbeiten im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt in grossen Unternehmen mit mehr als 249 Bes<strong>ch</strong>äftigten. Im Ver-<br />

glei<strong>ch</strong> zur gesamten Volkswirts<strong>ch</strong>aft (33.4%) ist dieser Wert überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> ho<strong>ch</strong>.<br />

Tabelle 13 gibt nur Auskunft über die Bes<strong>ch</strong>äftigten, die für institutionelle Einheiten der Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

wirts<strong>ch</strong>aft tätig sind, die in der S<strong>ch</strong>weiz lokalisiert sind (S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt). Auskunft über die<br />

Bedeutung des Auslandsges<strong>ch</strong>äfts S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungskonzerne gibt Tabelle 12, die auf Daten des<br />

SVV beruht. Sie zeigt, dass es neben den 50'000 Bes<strong>ch</strong>äftigten, die in der S<strong>ch</strong>weiz für die S<strong>ch</strong>weizer Pri-<br />

vatassekuranz tätig sind, 73'000 weitere Bes<strong>ch</strong>äftigte gibt, die für S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungskonzerne im<br />

Ausland tätig sind.<br />

40 http://www.finma.<strong>ch</strong>/d/beaufsi<strong>ch</strong>tigte/versi<strong>ch</strong>erungen/Seiten/daten-versi<strong>ch</strong>erungsmarkt.aspx<br />

109


5 Marktanalyse<br />

Tabelle 12: Anzahl Bes<strong>ch</strong>äftigter der S<strong>ch</strong>weizer Privatassekuranz gemäss SVV<br />

Anzahl Bes<strong>ch</strong>äftigte<br />

Mitarbeitende in der S<strong>ch</strong>weiz 49'386<br />

Vollzeitbes<strong>ch</strong>äftigte 39'518<br />

Teilzeitbes<strong>ch</strong>äftigte 9'858<br />

Auszubildende 1'798<br />

Kadermitarbeitende inkl. Direktion 11'870<br />

Direktionsmitglieder einzeln 2'903<br />

Aussendienst 8'970<br />

Mitarbeitende im Ausland 73'124<br />

Quelle: SVV<br />

Tabelle 13: Anzahl institutioneller Einheiten und Anzahl Bes<strong>ch</strong>äftigter der S<strong>ch</strong>weizer<br />

Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft im Jahr 2008<br />

NOGA '08 Wirts<strong>ch</strong>aftszweig<br />

SCHWEIZER VOLKSWIRTSCHAFT<br />

Quelle: Betriebszählung 2008 (BFS)<br />

bis 9 10 - 49 50 - 249 bis 249 > 249<br />

(Mikro) (Kleine) (Mittlere) (KMU) (Grosse)<br />

272'346 33'183 6'178 311'707 1'154 312'861 100.0%<br />

87.1% 10.6% 2.0% 99.6% 0.4% 100.0%<br />

SCHWEIZER VERSICHERUNGSWIRTSCHAFT<br />

1'873<br />

77.4%<br />

460<br />

19.0%<br />

57<br />

2.4%<br />

2'390<br />

98.8%<br />

29<br />

1.2%<br />

2'419<br />

100.0%<br />

0.8%<br />

100.0%<br />

651100 Lebensversi<strong>ch</strong>erungen 6 3 2 11 4 15 0.6%<br />

651202 Unfall- und S<strong>ch</strong>adenversi<strong>ch</strong>erung 49 36 15 100 12 112 4.6%<br />

651203 Krankenkassen 29 16 8 53 8 61 2.5%<br />

651204 Sonst. Versi<strong>ch</strong>erungen (ohne<br />

Sozialversi<strong>ch</strong>erung) a.n.g.<br />

35 23 5 63 2 65 2.7%<br />

652000 Rückversi<strong>ch</strong>erungen 21 12 4 37 2 39 1.6%<br />

653000 Pensionskassen und Pensionsfonds 100 39 5 144 1 145 6.0%<br />

662100 Risiko- und S<strong>ch</strong>adensbewertung 90 6 3 99 - 99 4.1%<br />

662200 Tätigkeit von<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsmakler/innen<br />

1'287 305 11 1'603 - 1'603 66.3%<br />

662902 Sonstige mit Versi<strong>ch</strong>erungsdienstleistungen<br />

und Pensionskassen<br />

verbundene Tätigkeiten a.n.g.<br />

256 20 4 280 - 280 11.6%<br />

NOGA '08 Wirts<strong>ch</strong>aftszweig<br />

SCHWEIZER VOLKSWIRTSCHAFT<br />

ANZAHL INSTITUTIONELLER EINHEITEN<br />

ANZAHL BESCHÄFTIGTER<br />

869'206 760'780 697'816 2'327'802 1'166'269 3'494'071 100.0%<br />

24.9% 21.8% 20.0% 66.6% 33.4% 100.0%<br />

SCHWEIZER VERSICHERUNGSWIRTSCHAFT<br />

6'052<br />

9.0%<br />

10'816<br />

16.1%<br />

6'677<br />

9.9%<br />

23'545<br />

35.1%<br />

43'587<br />

64.9%<br />

67'132<br />

100.0%<br />

1.9%<br />

100.0%<br />

651100 Lebensversi<strong>ch</strong>erungen 32 63 336 3'436 3'867 5.8%<br />

651202 Unfall- und S<strong>ch</strong>adenversi<strong>ch</strong>erung 209 936 1'686 24'961 27'792 41.4%<br />

651203 Krankenkassen 137 411 998 10'543 12'089 18.0%<br />

651204 Sonstige Versi<strong>ch</strong>erungen (ohne<br />

Sozialversi<strong>ch</strong>erung) a. n. g.<br />

117 729 696 971 2'513 3.7%<br />

652000 Rückversi<strong>ch</strong>erungen 91 328 504 3'355 4'278 6.4%<br />

653000 Pensionskassen und Pensionsfonds 438 1'049 470 321 2'278 3.4%<br />

662100 Risiko- und S<strong>ch</strong>adensbewertung 293 120 432 - 845 1.3%<br />

662200 Tätigkeit von<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsmakler/innen<br />

4'083 6'798 1'289 - 12'170 18.1%<br />

662902 Sonstige mit Versi<strong>ch</strong>erungsdienstleistungen<br />

und Pensionskassen<br />

verbundene Tätigkeiten a. n. g.<br />

652 382 266 - 1'300 1.9%<br />

Alle<br />

110


5 Marktanalyse<br />

5.2.3 Prämienvolumen<br />

In Tabelle 14 sind die von der Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft im Jahr 2008 gebu<strong>ch</strong>ten Bruttoprämien (in Milliar-<br />

den) dargestellt. Die Tabelle zeigt folgendes:<br />

■ Im Jahr 2008 erwirts<strong>ch</strong>afteten die der FINMA-Aufsi<strong>ch</strong>t unterstellten Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen im<br />

Direktversi<strong>ch</strong>erungsges<strong>ch</strong>äft ein Prämienvolumen in der Höhe von 53.4 Mia. Franken, wobei 29.6 Milliar-<br />

den auf Lebensversi<strong>ch</strong>erungen, 23.8 Milliarden auf S<strong>ch</strong>adensversi<strong>ch</strong>erungen entfielen.<br />

■ Die S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen haben den S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt fest im Griff: Der<br />

Anteil ausländis<strong>ch</strong>er Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen am Prämienvolumen 2008 betrug nur gerade 1.9%.<br />

■ Die S<strong>ch</strong>weizer Privatassekuranz ist im Direktges<strong>ch</strong>äft über Kapitalbeteiligungen und To<strong>ch</strong>terfirmen in<br />

den ausländis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsmärkten verglei<strong>ch</strong>sweise stark aufgestellt: Sie erwirts<strong>ch</strong>aftete im auslän-<br />

dis<strong>ch</strong>en Ni<strong>ch</strong>t-Lebensges<strong>ch</strong>äft ein Prämienvolumen, das fast doppelt so ho<strong>ch</strong> ist wie das im S<strong>ch</strong>weizer<br />

Markt umgesetzte Volumen. Im ausländis<strong>ch</strong>en Lebensges<strong>ch</strong>äft erwirts<strong>ch</strong>aftete die S<strong>ch</strong>weizer Privatasseku-<br />

ranz ein Prämienvolumen, das ungefähr demjenigen glei<strong>ch</strong>kommt, das im S<strong>ch</strong>weizer Markt realisiert wer-<br />

den konnte.<br />

■ Für die S<strong>ch</strong>weizer Rückversi<strong>ch</strong>erungsunternehmen sind die ausländis<strong>ch</strong>en Märkte besonders bedeut-<br />

sam: Während Sie im Jahr 2008 im S<strong>ch</strong>weizer Markt «nur» gerade ein Prämienvolumen im Umfang von<br />

2.9 Milliarden Franken erwirts<strong>ch</strong>aften konnten, realisierten Sie im Jahr 2008 im Ausland 47 Milliarden<br />

Franken an Prämienvolumen.<br />

Tabelle 14: Prämienvolumen des Versi<strong>ch</strong>erungsmarktes im Jahr 2008<br />

Basis: Gebu<strong>ch</strong>te Prämien Brutto<br />

Quelle: SVV (Auslandsges<strong>ch</strong>äft), FINMA (restli<strong>ch</strong>e Daten), eigene Bere<strong>ch</strong>nungen<br />

5.2.4 Bruttowerts<strong>ch</strong>öpfung<br />

In Tabelle 15 ist die Entwicklung der Bruttowerts<strong>ch</strong>öpfung der S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft zwi-<br />

s<strong>ch</strong>en 1990 und 2007 dargestellt. Im Sinne eines Ben<strong>ch</strong>marks sind in der Tabelle au<strong>ch</strong> die entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Zeitreihen für die gesamte S<strong>ch</strong>weizer Volkswirts<strong>ch</strong>aft (nominales BIP) sowie für das Kreditgewerbe aufge-<br />

führt.<br />

Total<br />

Direktversi<strong>ch</strong>erungsges<strong>ch</strong>äft (DVG)<br />

Die Tabelle zeigt, dass die S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft zurzeit zur Werts<strong>ch</strong>öpfung der S<strong>ch</strong>weizer<br />

Volkswirts<strong>ch</strong>aft einen Anteil von rund 4 Prozent beiträgt. Dieser Anteil s<strong>ch</strong>eint seit 1990 ni<strong>ch</strong>t oder nur<br />

sehr s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> gestiegen zu sein – dies im Gegensatz zum Kredit- und Bankenwesen, dessen Bedeutung<br />

für das Bruttoinlandprodukt si<strong>ch</strong> seit 1990 mehr als verdoppelt hat.<br />

Total DVG Leben Ni<strong>ch</strong>t-Leben<br />

Rückversi<strong>ch</strong>erungsges<strong>ch</strong>äft<br />

Total in Mia. Fr. 176.8 126.9 61.4 65.5 49.9<br />

Direktes S<strong>ch</strong>weizerges<strong>ch</strong>äft in Mia. Fr. 56.3 53.4 29.6 23.8 2.9<br />

in % des BIP 10.3% 9.8% 5.4% 4.4% 0.5%<br />

Anteil S<strong>ch</strong>weizer VU in % n.a. 98.1% 98.6% 97.4% n.a.<br />

Anteil ausländis<strong>ch</strong>er VU in % n.a. 1.9% 1.4% 2.6% n.a.<br />

Quelle<br />

FINMA<br />

BFS<br />

Auslandsges<strong>ch</strong>äft in Mia. Fr. 120.5 73.5 31.8 41.7 47.0 SVV<br />

Direktes Auslandsges<strong>ch</strong>äft<br />

Indirektes Auslandsges<strong>ch</strong>äft<br />

in %<br />

in %<br />

n.a.<br />

n.a.<br />

17.5%<br />

82.5%<br />

7.6%<br />

92.4%<br />

25.1%<br />

74.9%<br />

n.a.<br />

n.a.<br />

FINMA<br />

111


5 Marktanalyse<br />

Tabelle 15: Entwicklung der Bruttowerts<strong>ch</strong>öpfung zu laufenden Preisen<br />

BIP<br />

Fussnoten: 1 NOGA 2002: 66 inkl. 67.2, 2 NOGA 2002: 67 inkl. 67.1<br />

Quelle: BFS: Volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Gesamtre<strong>ch</strong>nung VGR<br />

5.3 Teilmärkte<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte, VN und Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen weisen eine Vielzahl unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Di-<br />

mensionen auf. Eine Marktsegmentierung könnte grundsätzli<strong>ch</strong> hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> all dieser Dimensionen vorge-<br />

nommen werden. So wäre z.B. eine Differenzierung in freiwillige und obligatoris<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erungen, in<br />

Individual- und Kollektivversi<strong>ch</strong>erungen oder au<strong>ch</strong> in Summen- und S<strong>ch</strong>adensversi<strong>ch</strong>erungen mögli<strong>ch</strong>. In<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt 5.1.3 haben wir bereits eine geografis<strong>ch</strong>e Marktsegmentierung vorgenommen, wobei wir fol-<br />

gende geografis<strong>ch</strong>e Teilmärkte differenziert haben:<br />

■ Direktes S<strong>ch</strong>weizerges<strong>ch</strong>äft (S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt)<br />

■ Direktes Auslandsges<strong>ch</strong>äft<br />

■ Indirektes Auslandsges<strong>ch</strong>äft<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsgewerbe<br />

1<br />

Mia. Index Mia. Index in% BIP Mia. Index in% BIP<br />

1990 330.9 100 11.0 100 3.3% 12.1 100 3.7%<br />

1991 345.6 104 11.3 103 3.3% 13.7 113 4.0%<br />

1992 352.9 107 11.6 106 3.3% 15.0 123 4.2%<br />

1993 360.7 109 11.8 107 3.3% 21.3 176 5.9%<br />

1994 369.6 112 10.3 94 2.8% 21.1 173 5.7%<br />

1995 373.6 113 10.9 100 2.9% 19.5 161 5.2%<br />

1996 376.7 114 11.5 105 3.1% 24.1 198 6.4%<br />

1997 384.0 116 12.4 113 3.2% 29.4 242 7.7%<br />

1998 395.3 119 13.2 120 3.3% 32.3 266 8.2%<br />

1999 402.9 122 12.5 114 3.1% 33.4 275 8.3%<br />

2000 422.1 128 14.2 130 3.4% 37.9 312 9.0%<br />

2001 430.3 130 12.7 116 2.9% 33.1 273 7.7%<br />

2002 434.3 131 14.7 134 3.4% 32.2 265 7.4%<br />

2003 437.7 132 16.6 152 3.8% 33.8 278 7.7%<br />

2004 451.4 136 17.2 157 3.8% 34.5 284 7.7%<br />

2005 463.8 140 14.8 135 3.2% 37.5 308 8.1%<br />

2006 490.5 148 18.0 164 3.7% 41.0 337 8.4%<br />

2007 521.1 157 21.9 200 4.2% 45.2 372 8.7%<br />

Für die vorliegende Fragestellung ist im Wesentli<strong>ch</strong>en das direkte S<strong>ch</strong>weizerges<strong>ch</strong>äft relevant und das<br />

Auslandsges<strong>ch</strong>äft wird nur indirekt tangiert. Aus diesem Grund werden wir uns in der Folge auf das direk-<br />

te S<strong>ch</strong>weizerges<strong>ch</strong>äft konzentrieren.<br />

Beim S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt handelt es si<strong>ch</strong> um ein grobes, heterogenes Aggregat. In Zusammen-<br />

hang mit der Fragestellung der vorliegenden <strong>RFA</strong> era<strong>ch</strong>ten wir eine Segmentierung des direkten S<strong>ch</strong>wei-<br />

zerges<strong>ch</strong>äfts na<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsprodukten (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 5.3.1) und na<strong>ch</strong> Zielgruppen bzw. Kunden-<br />

gruppen (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 5.3.2) für sinnvoll.<br />

Kreditgewerbe 2<br />

112


5 Marktanalyse<br />

5.3.1 Produktteilmärkte<br />

Traditionell wurde der Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt gemäss dem Gegenstand bzw. dem S<strong>ch</strong>adensereignis segmen-<br />

tiert. Dies führte zu einer Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Personenversi<strong>ch</strong>erungen, Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen und<br />

Vermögensversi<strong>ch</strong>erungen. Im Folgenden übernehmen wir die Marktsystematik der FINMA 41 , da die quan-<br />

titativen Daten zum S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt nur in dieser Systematik verfügbar sind.<br />

Die Marktsystematik der FINMA unters<strong>ch</strong>eidet auf der obersten Ebene zwis<strong>ch</strong>en Lebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

und S<strong>ch</strong>adensversi<strong>ch</strong>erungen. Struktur und Anordnung der unteren Hierar<strong>ch</strong>ieebenen (Produktgruppen,<br />

Produktsegmente und Produktsubsegmente) können den Tabellen im Anhang 1 (Abs<strong>ch</strong>nitt 18.1) ent-<br />

nommen werden. In diesen Tabellen werden die relevanten quantitativen Kennzahlen zu den einzelnen<br />

Teilmärkten ausgewiesen:<br />

■ Quers<strong>ch</strong>nitt Lebensversi<strong>ch</strong>erungen 2008: Tabelle 85 zeigt für den Berei<strong>ch</strong> der Lebensversi<strong>ch</strong>erun-<br />

gen und für das Jahr 2008 die folgenden Kennzahlen: Anzahl versi<strong>ch</strong>erter Personen, versi<strong>ch</strong>erte Summen<br />

und Renten, ausbezahlte Renten und S<strong>ch</strong>adenszahlungen sowie die verdienten Prämien.<br />

■ Quers<strong>ch</strong>nitt S<strong>ch</strong>adenversi<strong>ch</strong>erungen 2008: Tabelle 86 zeigt die im Jahr 2008 verdienten Prämien<br />

und ausges<strong>ch</strong>ütteten S<strong>ch</strong>adenszahlungen im Berei<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>adenversi<strong>ch</strong>erungen.<br />

■ Längss<strong>ch</strong>nitt gebu<strong>ch</strong>te Prämien 1996-2008: Tabelle 87 zeigt die Entwicklung der gebu<strong>ch</strong>ten Prä-<br />

mien zwis<strong>ch</strong>en 1996 und 2008.<br />

■ Längss<strong>ch</strong>nitt Zahlungen 1996-2008: Tabelle 88 zeigt die Entwicklung der ausges<strong>ch</strong>ütteten S<strong>ch</strong>a-<br />

denszahlungen, Kapitalien und Renten zwis<strong>ch</strong>en 1996 und 2008.<br />

Der Detaillierungsgrad der FINMA-Marktsystematik ers<strong>ch</strong>wert eine kompakte Darstellung des S<strong>ch</strong>weizeri-<br />

s<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsmarktes. Aus diesem Grund haben wir in Abhängigkeit des Volumens der vers<strong>ch</strong>iede-<br />

nen Teilmärkte und der inhaltli<strong>ch</strong>en Kohärenz der Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte eine vereinfa<strong>ch</strong>te Marktsystema-<br />

tik entwickelt. Die Definition dieser «BASS-Marktsystematik» kann der Tabelle 89 im Anhang 1 entnom-<br />

men werden. Abbildung 5 zeigt anhand des Prämienvolumens im Jahr 2008, wie bedeutend die ver-<br />

s<strong>ch</strong>iedenen <strong>VVG</strong>-relevanten Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt sind.<br />

5.3.2 Kundensegmente<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte werden einerseits von Konsumenten (Privatkundenges<strong>ch</strong>äft = B2C-Markt), ande-<br />

rerseits von Unternehmen und Institutionen (Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft = B2B-Markt) na<strong>ch</strong>gefragt. Eine Un-<br />

ters<strong>ch</strong>eidung dieser beiden Zielgruppen ma<strong>ch</strong>t aus vers<strong>ch</strong>iedenen Gründen Sinn:<br />

■ Unternehmen und Konsumenten fragen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte na<strong>ch</strong>.<br />

■ Der Marktprozess ist unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>, insbesondere spielen ungebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler im<br />

B2B-Markt eine grössere Rolle als dies im B2C-Markt der Fall ist.<br />

■ Der Prozess des Einkaufs der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ist bei Firmenkunden rationaler strukturiert, als dies<br />

bei Konsumenten der Fall ist. Firmenkunden verstehen den Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz als Kostenfaktor, wel<strong>ch</strong>en<br />

es zu regelmässig zu optimieren gilt. Das Privatkundenges<strong>ch</strong>äft und das Ges<strong>ch</strong>äft mit den Kleinstunter-<br />

nehmen (


5 Marktanalyse<br />

Abbildung 5: Anteile der Produktteilmärkte am Prämienvolumen 2008<br />

Quelle: FINMA, eigene Bere<strong>ch</strong>nungen<br />

5.4 Marktkonzentration<br />

Tabelle 16 zeigt vier vers<strong>ch</strong>iedene Kennzahlen, wel<strong>ch</strong>e die Konzentration auf den vers<strong>ch</strong>iedenen Pro-<br />

duktmärkten des S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarktes indizieren. Die Kennzahlen wurden auf der Basis der im<br />

Jahr 2008 verdienten Prämien bere<strong>ch</strong>net:<br />

■ Top 5 VU: Die Kennzahl zeigt, wel<strong>ch</strong>en Marktanteil die 5 grössten VU im entspre<strong>ch</strong>enden Produkt-<br />

markt halten.<br />

■ Top 3 VU: Diese Kennzahl zeigt, wel<strong>ch</strong>en Marktanteil die 3 grössten VU im entspre<strong>ch</strong>enden Produkt-<br />

markt halten.<br />

■ Top 1 VU: Diese Kennzahl zeigt, wel<strong>ch</strong>en Markanteil das grösste VU im entspre<strong>ch</strong>enden Produktmarkt<br />

hält.<br />

Tabelle 17 zeigt darüber hinaus, wel<strong>ch</strong>e fünf Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen in den vers<strong>ch</strong>iedenen Produkt-<br />

märkten bezügli<strong>ch</strong> der verdienten Prämien die Marktleader sind.<br />

Die letzte Spalte in Tabelle 16 zeigt die Kennzahl, die zur Konzentrationsmessung am häufigsten verwen-<br />

det wird: den Herfindahl-Hirs<strong>ch</strong>man-Index. Der Herfindahl-Hirs<strong>ch</strong>man-Index (HHI) ist die Summe der<br />

quadrierten Markanteile aller Anbieter und kann deshalb Werte im Intervall (0, 1] bzw. (0%, 100%] an-<br />

nehmen. Gibt es in einem Markt zum Beispiel fünf Anbieter mit einem Marktanteil von je 20 Prozent,<br />

beträgt der HHI 20 Prozent. Der Herfindahl-Hirs<strong>ch</strong>man-Index wird übli<strong>ch</strong>erweise folgendermassen inter-<br />

pretiert:<br />

10%<br />

5%<br />

11%<br />

4%<br />

Inkl. Berufli<strong>ch</strong>e Vorsorge<br />

3% 4% 2%<br />

5%<br />

5%<br />

12%<br />

Berufli<strong>ch</strong>e Vorsorge Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Klassis<strong>ch</strong>e Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Anteilsgebundene Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen Gebäudeversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Unfallversi<strong>ch</strong>erungen Übrige Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen<br />

Krankenversi<strong>ch</strong>erungen Behandlung Übrige Versi<strong>ch</strong>erungen<br />

Krankenversi<strong>ch</strong>erungen Erwerbsausfall<br />

■ HHI < 1%: Vollständiger Wettbewerb<br />

39%<br />

■ 1% ≤ HHI < 10%: Ni<strong>ch</strong>t-konzentrierter Markt<br />

7%<br />

16%<br />

4%<br />

Exkl. Berufli<strong>ch</strong>e Vorsorge<br />

7% 3%<br />

8%<br />

18%<br />

20%<br />

8%<br />

9%<br />

114


5 Marktanalyse<br />

■ 10% ≤ HHI < 18%: Moderat konzentrierter Markt<br />

■ 18% HHI: Stark konzentrierter Markt<br />

Tabelle 16 und Tabelle 17 können folgendermassen kommentiert werden:<br />

■ Der Lebensversi<strong>ch</strong>erungsmarkt und der Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungsmarkt weisen eine moderate Konzentration<br />

auf. Die Gesundheitsversi<strong>ch</strong>erungsmärkte weisen demgegenüber eine tiefe Konzentration auf.<br />

■ Der Lebensversi<strong>ch</strong>erungsmarkt wird von Swiss Life, AXA Leben, Generali, Züri<strong>ch</strong> Leben und Basler Le-<br />

ben dominiert. Auf diese 5 Unternehmen entfallen rund zwei Drittel der Prämieneinnahmen.<br />

■ Der Markt für Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen (S<strong>ch</strong>adenversi<strong>ch</strong>erungen ohne Gesundheitsversi<strong>ch</strong>erungen) wird von<br />

AXA Winterthur, Züri<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben, Mobiliar, Allianz und Basler Ni<strong>ch</strong>t-Leben dominiert. Diese 5 VU ver-<br />

einigen rund 80% der jährli<strong>ch</strong>en Prämieneinnahmen auf si<strong>ch</strong>.<br />

Tabelle 16: Konzentration des S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarktes im 2008<br />

Quelle: FINMA, eigene Bere<strong>ch</strong>nungen<br />

Top 5 VU Top 3 VU Top 1 VU HHI<br />

Mio. CHF Vert. in % in % in % in % in %<br />

Lebenversi<strong>ch</strong>erung 8'971 29.8 66.2 45.7 19.7 10.9<br />

Klassis<strong>ch</strong>e<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Anteilsgebundene<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

6'306 21.0 72.3 53.3 24.5 13.1<br />

2'665 8.9 68.9 55.0 36.9 17.6<br />

Gesundheitversi<strong>ch</strong>erung 11'505 38.3 43.7 28.8 12.2 5.6<br />

Krankenversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Behandlung<br />

Krankenversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Erwerbsausfall<br />

Verdiente Prämien<br />

5'922 19.7 56.8 39.3 17.8 8.5<br />

2'764 9.2 61.3 42.7 18.0 9.6<br />

Unfallversi<strong>ch</strong>erungen 2'818 9.4 58.4 44.4 19.4 9.7<br />

Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen 12'330 31.9 70.8 51.1 19.6 11.7<br />

Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen 5'397 16.4 79.0 59.0 22.6 15.0<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen 2'322 7.7 70.5 50.8 22.0 12.2<br />

Gebäudeversi<strong>ch</strong>erungen 1'343 4.5 67.2 47.2 21.7 11.9<br />

Übrige Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen 2'209 7.4 71.4 53.3 24.7 13.3<br />

Übrige Versi<strong>ch</strong>erungen 1'059 3.5 40.9 27.2 10.4 5.5<br />

115


5 Marktanalyse<br />

Tabelle 17: Marktanteile der VU im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt im Jahr 2008, in %<br />

Total<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

1 Swiss Life 19.7 1 Swiss Life 24.5 1 General 36.9<br />

2 AXA Leben 13.2 2 AXA Leben 15.2 2 Helvetia Leben 10.3<br />

3 Generali 12.8 3 Züri<strong>ch</strong> Leben 13.5 3 Skandia Leben 7.7<br />

4 Züri<strong>ch</strong> Leben 11.7 4 Basler Leben 11.1 4 AXA Leben 7.4<br />

5 Basler Leben 8.8 5 Helvetia Leben 7.8 5 Züri<strong>ch</strong> Leben 6.5<br />

Andere 33.8 Andere 27.7 Andere 31.1<br />

Prämien in Mio. CHF 8'561 Prämien in Mio. CHF 6'303 Prämien in Mio. CHF 2'258<br />

Total Gesundheitsversi<strong>ch</strong>erungen<br />

1 Helsana 12.2 1 Helsana 17.8 1 Swica 18.0 1 AXA Winterthur 19.4<br />

2 CSS 8.6 2 CSS 12.3 2 AXA Winterthur 12.5 2 Züri<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben 16.5<br />

3 Swica 8.0 3 Visana 9.1 3 Helsana 12.2 3 Allianz 8.6<br />

4 AXA Winterthur 7.7 4 Sanitas 8.8 4 Züri<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben 11.7 4 Basler Ni<strong>ch</strong>t-Leben 7.1<br />

5 Visana 7.2 5 Concordia 8.7 5 Visana 6.9 5 Mobiliar 6.9<br />

6 Andere 56.3 6 Andere 43.2 6 Andere 38.7 6 Andere 41.6<br />

Prämien in Mio. CHF 11'376 Prämien in Mio. CHF 5'889 Prämien in Mio. CHF 2'764 Prämien in Mio. CHF 2'723<br />

Total<br />

Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen<br />

Quelle: FINMA, eigene Bere<strong>ch</strong>nungen<br />

Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Gebäudeversi<strong>ch</strong>erungen<br />

1 AXA Winterthur 19.6 1 AXA Winterthur 22.6 1 AXA Winterthur 22.0 1 Mobiliar 21.7<br />

2 Züri<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben 16.9 2 Züri<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben 21.1 2 Züri<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben 18.7 2 AXA Winterthur 14.7<br />

3 Mobiliar 14.6 3 Allianz 15.3 3 Mobiliar 10.2 3 Basler Ni<strong>ch</strong>t-Leben 10.8<br />

4 Allianz 11.3 4 Mobiliar 12.0 4 Allianz 10.0 4 Züri<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben 10.0<br />

5 Basler Ni<strong>ch</strong>t-Leben 8.3 5 Basler Ni<strong>ch</strong>t-Leben 8.0 5 Basler Ni<strong>ch</strong>t-Leben 9.7 5 Solen Versi<strong>ch</strong>erungen 9.9<br />

6 Andere 29.2 6 Andere 21.0 6 Andere 29.5 6 Andere 32.8<br />

Prämien in Mio. CHF 11'806 Prämien in Mio. CHF 5'381 Prämien in Mio. CHF 2'068 Prämien in Mio. CHF 1'283<br />

Übrige<br />

Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen<br />

1 Mobiliar 24.7<br />

2 AXA Winterthur 17.0<br />

3 Züri<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben 11.6<br />

4 Helvetia Ni<strong>ch</strong>t-Leben 9.2<br />

5 Allianz 9.0<br />

6 Andere 28.6<br />

Prämien in Mio. CHF 2'167<br />

Re<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Klassis<strong>ch</strong>e Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Krankenversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Behandlung<br />

Verkehrsserviceversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Anteilsgebundene Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Krankenversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Erwerbsausfall<br />

Kreditversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Unfallversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Kautionsversi<strong>ch</strong>erungen<br />

1 Assista TCS 19.2 1 TCS Assurances 29.7 1 Atradius 26.9 1 Züri<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben 27.7<br />

2 AXA-ARAG 18.6 2 AXA Winterthur 23.9 2 AXA Winterthur 14.7 2 Solen Versi<strong>ch</strong>erungen 20.3<br />

3 CAP 15.1 3 Züri<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben 12.5 3 OMX 8.0 3 SC Swisscaution 15.3<br />

4 Protekta 14.2 4 Mondial Assistance 7.9 4 Züri<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben 0.5 4 AXA Winterthur 15.1<br />

5 DAS 9.0 5 Mobiliar 7.2 5 Ausländis<strong>ch</strong>e VU 49.9 5 Allianz 6.5<br />

6 Andere 23.8 6 Andere 18.8 6 Andere 0.0 6 Andere 15.1<br />

Prämien in Mio. CHF 361 Prämien in Mio. CHF 172 Prämien in Mio. CHF 142 Prämien in Mio. CHF 135<br />

116


5 Marktanalyse<br />

5.5 Marktakteure, Marktinteraktion und Marktorganisation<br />

5.5.1 Marktskizze: Überblick<br />

Abbildung 6 zeigt die relevanten Akteure des S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkts. Grundsätzli<strong>ch</strong> können<br />

folgende Akteursgruppen differenziert werden, die in den na<strong>ch</strong>folgenden Abs<strong>ch</strong>nitten detaillierter vor-<br />

gestellt werden:<br />

■ Marktangebot: Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

■ Marktna<strong>ch</strong>frage: Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer<br />

■ Marktplatz: Versi<strong>ch</strong>erungsintermediäre<br />

Abbildung 6: Marktskizze<br />

Direktvertrieb<br />

Partnerunternehmen<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

Konsumentenvereinigungen<br />

und<br />

Berufsvereine<br />

Natürli<strong>ch</strong>e<br />

Personen<br />

(Konsumenten)<br />

Rückversi<strong>ch</strong>erer<br />

Mehrfa<strong>ch</strong>agenten<br />

&<br />

Strukturbetriebe<br />

Direktversi<strong>ch</strong>erer<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsagenten<br />

Angestellte<br />

Agenten<br />

(direct writers)<br />

Selbständige,<br />

abhängige<br />

Agenten<br />

(exclusive agents)<br />

Agentenkanal<br />

Finanzintermediäre<br />

Finder<br />

Bran<strong>ch</strong>enverbände<br />

Makleranlaufstelle<br />

(Broker Services)<br />

Brokerkanal<br />

Marktangebot<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU)<br />

Juristis<strong>ch</strong>e Personen<br />

Versi<strong>ch</strong>erungspools<br />

Marktplatz<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler<br />

Maklerpools<br />

Ungebundene<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler<br />

(independent agents)<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsmakler<br />

Versi<strong>ch</strong>erungs<br />

-broker<br />

Inhouse-<br />

Broker<br />

Grosse<br />

KMU Grossrisiken<br />

Unternehmen<br />

Marktna<strong>ch</strong>frage<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN)<br />

117


5 Marktanalyse<br />

5.5.2 Das Marktangebot: Die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte, genauer: Versi<strong>ch</strong>erungsverträge werden von den Direktversi<strong>ch</strong>erern angeboten<br />

und vertrieben. Aus Si<strong>ch</strong>t der Direktversi<strong>ch</strong>erer können folgende Teilprozesse der Werts<strong>ch</strong>öpfungsket-<br />

te differenziert werden (vgl. Zweifel und Eisen 2003, 187ff):<br />

■ Produktgestaltung und –differenzierung: Die Produktgestaltung dient insbesondere der Steuerung des<br />

Objekt-, Verhaltens- und Finanzrisikos. Die Definition von Informations- und Verhaltenspfli<strong>ch</strong>ten (Oblie-<br />

genheiten) der VN sind deshalb zentrale Aspekte der Produktgestaltung.<br />

■ Preissetzung: Darunter fällt u.a. die Wahl eines Tarifierungsprinzips und die Definition von Prämienan-<br />

passungsklauseln und Selbstbehalten. Die Preissetzung beeinflusst u.a. die Risikoauslese.<br />

■ Akquisition: Darunter fällt insbesondere die Wahl der Vertriebskanäle (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 5.6).<br />

■ Risikozei<strong>ch</strong>nungspolitik: Risikoauslese<br />

■ S<strong>ch</strong>adenabwicklung<br />

■ Bes<strong>ch</strong>affung von Rückversi<strong>ch</strong>erung<br />

■ Anlage der frei verfügbaren Mittel<br />

Die Direktversi<strong>ch</strong>erer übernehmen von den VN Risiken. Falls die zur Übernahme angebotenen Risiken für<br />

ein Direktversi<strong>ch</strong>erungsunternehmen zu ho<strong>ch</strong> sind, kann dieses die Risiken an ein Rückversi<strong>ch</strong>erungsun-<br />

ternehmen zedieren. Ein alternative Mögli<strong>ch</strong>keit besteht darin, zusammen mit anderen Direktversi<strong>ch</strong>erern<br />

einen Versi<strong>ch</strong>erungspool zu bilden: Der Versi<strong>ch</strong>erungspool ist in der Lage, Risiken, die für ein einzelnes<br />

Direktversi<strong>ch</strong>erungsunternehmen zu ho<strong>ch</strong> sind, zu tragen, so dass diese versi<strong>ch</strong>ert werden können. Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungspools werden v.a. zur Versi<strong>ch</strong>erung von sogenannten Grossrisiken 42 gebildet.<br />

5.5.3 Die Marktna<strong>ch</strong>frage: Die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer<br />

Vor dem Hintergrund unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er juristis<strong>ch</strong>er Rahmenbedingungen, unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>em Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsbedarf und unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Marktprozesse ma<strong>ch</strong>t es Sinn, die folgenden Kundensegmente bzw.<br />

Gruppen von VN zu differenzieren:<br />

■ Konsumenten:<br />

- Konsumenten<br />

- Konsumentenvereinigungen und Berufsvereine: Es gibt Konsumentenvereinigungen und Berufs-<br />

vereine, wel<strong>ch</strong>e die Na<strong>ch</strong>frage ihrer Mitglieder bündeln und mit dieser Marktma<strong>ch</strong>t gegenüber<br />

den VU Versi<strong>ch</strong>erungslösungen für die Mitglieder verhandeln. Die Konsumentenvereinigungen<br />

werden dadur<strong>ch</strong> in einem gewissen Sinne zu Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern, da die Konsumenten ihre<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen ni<strong>ch</strong>t mehr direkt beim VU, sondern indirekt über die Konsumentenver-<br />

einigung einkaufen. Beispiel: Touring Club S<strong>ch</strong>weiz TCS 43 , S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>er Ingenieur- und Ar<strong>ch</strong>i-<br />

tektenverein SIA 44 .<br />

■ Unternehmen und Institutionen:<br />

- Kleinstunternehmen und Gewerbe (


5 Marktanalyse<br />

zu Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern, da die Unternehmen ihre Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen ni<strong>ch</strong>t mehr direkt<br />

beim VU, sondern indirekt über den Bran<strong>ch</strong>enverband einkaufen. Beispiel: S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>er Inge-<br />

nieur- und Ar<strong>ch</strong>itektenverein SIA 45 .<br />

- Grosse Unternehmen (250 oder mehr Bes<strong>ch</strong>äftigte)<br />

- Grossrisiken (vgl. Art. 124 Abs. 6 E-<strong>VVG</strong>)<br />

5.5.4 Marktplatz: Versi<strong>ch</strong>erungsintermediäre<br />

Die Versi<strong>ch</strong>erungsintermediäre nehmen im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt die Aufgabe wahr, Angebot und Na<strong>ch</strong>fra-<br />

ge zusammenzuführen. Die FINMA unters<strong>ch</strong>eidet zwei Arten von Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern, die in Art. 183<br />

der Aufsi<strong>ch</strong>tsverordnung (AVO, SR 961.011) definiert sind. Art. 183 nennt sieben Eigens<strong>ch</strong>aften von Ver-<br />

si<strong>ch</strong>erungsvermittlern. Wenn ein Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler eine dieser Eigens<strong>ch</strong>aften erfüllt, handelt es si<strong>ch</strong><br />

um einen gebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, wenn ein Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler hingegen alle diese<br />

sieben Bedingungen ni<strong>ch</strong>t erfüllt, handelt es si<strong>ch</strong> um einen ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler.<br />

Die beiden wi<strong>ch</strong>tigsten dieser Eigens<strong>ch</strong>aften sind:<br />

■ Art. 183 Abs. 1 lit. a: Die Provisionseinnahmen eines Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers während eines Kalender-<br />

jahres stammen zu mehr als 50 Prozent von einem oder zwei VU 46 .<br />

■ Art. 183 Abs. 2 lit. a: Ein VU ist direkt oder indirekt am Gesells<strong>ch</strong>aftskapital des Versi<strong>ch</strong>erungsvermitt-<br />

lers mit mehr als 10 Prozent beteiligt ist.<br />

Im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt spri<strong>ch</strong>t man zumeist ni<strong>ch</strong>t von gebundenen und ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vermittlern. Vielmehr werden folgende Bezei<strong>ch</strong>nungen verwendet:<br />

■ Versi<strong>ch</strong>erungsagenten: Hierbei handelt es si<strong>ch</strong> um gebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, die nur für ein<br />

einziges VU tätig sind.<br />

■ Mehrfa<strong>ch</strong>agenten: Hierbei handelt es si<strong>ch</strong> um zumeist gebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, die ni<strong>ch</strong>t<br />

nur für eines, aber au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t für alle bzw. die meisten VU tätig sind. Bei Mehrfa<strong>ch</strong>agenten handelt es si<strong>ch</strong><br />

zumeist um Einpersonen-Unternehmen und Kleinstunternehmen. Sie nennen si<strong>ch</strong> normalerweise Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsmakler.<br />

■ Strukturbetriebe: Strukturbetriebe unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> von Mehrfa<strong>ch</strong>agenten nur darin, dass es si<strong>ch</strong><br />

um grössere Unternehmen handelt. Es handelt si<strong>ch</strong> in der überwiegenden Mehrheit um gebundene Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvermittler. Die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler der Strukturbetriebe nennen si<strong>ch</strong> normalerweise Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsmakler und geben vor, unabhängig zu sein.<br />

■ Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und Versi<strong>ch</strong>erungsbroker: Hierbei handelt es si<strong>ch</strong> um ungebundene Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvermittler, die im Rahmen eines Maklermandats bzw. Brokermandats im Auftrag des VN tätig sind.<br />

Sie arbeiten mit einer Vielzahl von VU zusammen.<br />

■ Klassis<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erungsmakler/Klassis<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erungsbroker und Honorarmak-<br />

ler/Honorarbroker: Mit den Begriffen «klassis<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erungsmakler» bzw. «klassis<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

broker» sind ungebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler gemeint, die ni<strong>ch</strong>t direkt vom VN, sondern vom VU<br />

mittels Provisionen und Superprovisionen ents<strong>ch</strong>ädigt werden. Demgegenüber werden mit «Honorarmak-<br />

lern» bzw. «Honorarbrokern» ungebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler bezei<strong>ch</strong>net, die auf Honorarbasis<br />

45 Vgl. http://www.sia.<strong>ch</strong>/d/verein/dienstleistungen/versi<strong>ch</strong>erungen.cfm<br />

46 Dieser Regel haftet das folgende Problem an: Es ist denkbar, dass ein Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler in den vers<strong>ch</strong>iedenen Produktteil-<br />

märkte jeweils nur Produkte eines einzigen, jedo<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>iedener VU vertreibt. Ein sol<strong>ch</strong>er Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler ist ein Mehrfa<strong>ch</strong>-<br />

agent bzw. ein Strukturbetrieb. Da dieser Mehrfa<strong>ch</strong>agent die Bedingung gemäss Art. 183 Abs. 2 lit. a AVO ni<strong>ch</strong>t erfüllt, gilt er als<br />

ungebundener Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler.<br />

119


5 Marktanalyse<br />

arbeiten und die Provisionen, die sie von den VU erhalten, na<strong>ch</strong> Verre<strong>ch</strong>nung ihrer Aufwände den VN<br />

weitergeben. Die Unters<strong>ch</strong>eidung ist ni<strong>ch</strong>t trenns<strong>ch</strong>arf.<br />

■ Inhouse-Broker: Grosse Unternehmen verfügen zum Teil über eigene, d.h. angestellte Inhouse-Broker.<br />

Diese kaufen für ihr Unternehmen die notwendigen Versi<strong>ch</strong>erungsdeckungen bei den vers<strong>ch</strong>iedenen VU<br />

ein. In diesem Sinne handelt es si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei den Inhouse-Brokern um ungebundene Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

mittler.<br />

■ Maklerpools: Maklerpools bündeln die Na<strong>ch</strong>frage einer Vielzahl von Versi<strong>ch</strong>erungsmaklern und Mehr-<br />

fa<strong>ch</strong>agenten. Die dem Maklerpool anges<strong>ch</strong>lossenen Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und Mehrfa<strong>ch</strong>agenten kaufen<br />

die Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte für Ihre VN ni<strong>ch</strong>t direkt bei den VU, sondern indirekt über den Maklerpool ein.<br />

■ Konsumentenvereinigungen und Berufsvereine: vgl. Ausführungen im Abs<strong>ch</strong>nitt 5.5.3.<br />

■ Bran<strong>ch</strong>enverbände: vgl. Ausführungen im Abs<strong>ch</strong>nitt 5.5.3.<br />

■ Finanzintermediäre: Versi<strong>ch</strong>erungen werden au<strong>ch</strong> von Finanzintermediären vermittelt.<br />

■ Finders: Finders sind Personen, die ni<strong>ch</strong>t systematis<strong>ch</strong>, sondern eher zufällig als Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler<br />

auftreten. Finders stellen zumeist nur den Kontakt zwis<strong>ch</strong>en einem «e<strong>ch</strong>ten Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler» und<br />

einem potentiellen VN her. Kommt es in der Folge zu einem Vertragss<strong>ch</strong>luss mit diesem VN, erhält der<br />

Finder eine einmalige monetäre Abgeltung, eine sog. «finder’s fee».<br />

■ Partnerunternehmen: Zunehmend werden Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte von Unternehmen und Institutio-<br />

nen vertrieben, die ihr Kernges<strong>ch</strong>äft ni<strong>ch</strong>t im Versi<strong>ch</strong>erungsberei<strong>ch</strong> haben, jedo<strong>ch</strong> ein Kundenportfolio<br />

oder einen Mitarbeiterbestand haben, die für die Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft interessant sind. Das klassis<strong>ch</strong>e<br />

Beispiel sol<strong>ch</strong>er Partnerunternehmen sind Garagisten, die ihren Kunden Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen<br />

ihres Partner-VU vermitteln. In einem gewissen Sinne können Partnerunternehmen deshalb als gebundene<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler bezei<strong>ch</strong>net werden.<br />

5.6 Analyse der Vertriebskanäle<br />

5.6.1 Die Vertriebskanäle im Überblick<br />

Abbildung 6 und die bisherigen Ausführungen haben deutli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t, dass im Wesentli<strong>ch</strong>en die folgen-<br />

den se<strong>ch</strong>s Vertriebskanäle differenziert werden können, über wel<strong>ch</strong>e die VU ihre Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte<br />

vertreiben können:<br />

■ Direktvertrieb<br />

■ Vertrieb über Versi<strong>ch</strong>erungsagenten<br />

■ Vertrieb über Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und Versi<strong>ch</strong>erungsbroker<br />

■ Vertrieb über Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und Strukturbetriebe<br />

■ Vertrieb über Finanzintermediäre<br />

■ Vertrieb über Vereine, Verbände und Partnerunternehmen<br />

In den na<strong>ch</strong>folgenden beiden Abs<strong>ch</strong>nitten gehen wir auf die Bedeutung dieser Vertriebskanäle im Privat-<br />

kunden- und Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft ein. Dana<strong>ch</strong> präsentieren wir detailliertere Informationen zu den<br />

wi<strong>ch</strong>tigsten Vertriebskanälen.<br />

5.6.1.1 Bedeutung der Vertriebskanäle im Privatkundenmarkt<br />

Aufgrund der Angaben, die wir von den befragten VU erhalten haben, können wir die Bedeutung der<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanäle im Privatkundemarkt folgendermassen ums<strong>ch</strong>reiben:<br />

120


5 Marktanalyse<br />

■ Im Privatkundenmarkt ist der Agenten-Kanal eindeutig der stärkste Kanal. In den meisten Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsbran<strong>ch</strong>en werden über 80 Prozent der Verträge mit Privatkunden über Versi<strong>ch</strong>erungsagenten ge-<br />

zei<strong>ch</strong>net.<br />

■ Der Anteil der Verträge mit Privatkunden, die über Versi<strong>ch</strong>erungsmakler, Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und<br />

Strukturbetriebe gezei<strong>ch</strong>net werden, dürfte je na<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>e zwis<strong>ch</strong>en 5 und 20 Prozent<br />

betragen 47 . Der Anteil der ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler an diesen 5 bis 20 Prozent s<strong>ch</strong>ätzen wir<br />

als eher gering ein.<br />

■ Der Direktvertrieb spielt im S<strong>ch</strong>weizer Privatkundenmarkt no<strong>ch</strong> eine untergeordnete Rolle. Der Anteil<br />

des Direktvertriebs am Prämienvolumen im Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben dürfte zwis<strong>ch</strong>en zwei und fünf Prozent<br />

betragen. Im Gegensatz etwa zu Grossbritannien, wo der Direktvertrieb über das Internet der stärkste<br />

Vertriebskanal im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft ist, konnte si<strong>ch</strong> der Internet-Vertrieb in der S<strong>ch</strong>weiz no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

dur<strong>ch</strong>setzen. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass für die S<strong>ch</strong>weizer Privatkunden die persönli<strong>ch</strong>e<br />

Beziehung zu ihrem Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler wi<strong>ch</strong>tig ist. Der Anteil der Privatkunden, die den Einkauf von<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen als reines Kostenminimierungsproblem begreifen, das jährli<strong>ch</strong> – z.B. mittels des<br />

Internet-Verglei<strong>ch</strong>sdienstes Comparis - neu gelöst werden muss, ist na<strong>ch</strong> wie vor tief. Am bedeutendsten<br />

ist der Direktvertrieb in den Bran<strong>ch</strong>en Motorfahrzeughaftpfli<strong>ch</strong>t und Motorfahrzeug-Kasko. In diesen bei-<br />

den Bran<strong>ch</strong>en gibt es die umfangrei<strong>ch</strong>sten Kundenbewegungen.<br />

■ In ausgewählten Bran<strong>ch</strong>en spielen versi<strong>ch</strong>erungsfremde Partnerunternehmen und Konsumenten-<br />

vereine, die Kontakt zu Konsumenten mit einem Versi<strong>ch</strong>erungsbedarf haben, eine ni<strong>ch</strong>t unbedeutende<br />

Rolle. Gerade in den Bran<strong>ch</strong>en Motorfahrzeughaftpfli<strong>ch</strong>t und Motorfahrzeugkasko wird ein ni<strong>ch</strong>t unbe-<br />

deutender Teil der Versi<strong>ch</strong>erungsverträge von Garagisten und Vereinen wie z.B. dem TCS vermittelt. Bei<br />

einem der befragten VU tragen Kooperationen mit Partnerunternehmen, Verbänden und Vereinen knapp<br />

10 Prozent des Prämienvolumens im Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben bei.<br />

■ Finanzintermediäre spielen im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen eine ni<strong>ch</strong>t unbedeutende Rolle:<br />

Bei einem der VU, die wir befragt haben, tragen die Banken im Berei<strong>ch</strong> Leben immerhin 4 Prozent des<br />

Prämienvolumens bei. Die Bedeutung von Finanzintermediären für die Vermittlung von Lebensversi<strong>ch</strong>e-<br />

rungen nimmt gemäss dem Verband S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>er Vermögensverwalter zu: «Eine immer grösser werden-<br />

de Zahl unabhängiger Vermögensverwalter in der S<strong>ch</strong>weiz ist glei<strong>ch</strong>zeitig au<strong>ch</strong> in der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlung enga-<br />

giert und entspre<strong>ch</strong>end au<strong>ch</strong> als Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler registriert. [...]. Der Vertrieb von Lebensversi<strong>ch</strong>erungsproduk-<br />

ten findet in der S<strong>ch</strong>weiz ni<strong>ch</strong>t mehr nur über die traditionellen Kanäle der Versi<strong>ch</strong>erungsagenten und der auss<strong>ch</strong>liess-<br />

li<strong>ch</strong> auf die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlung bes<strong>ch</strong>ränkten unabhängigen Vermittlern statt. Gerade im Lebensversi<strong>ch</strong>erungs-<br />

berei<strong>ch</strong> findet der Vertrieb von entspre<strong>ch</strong>enden Produkten dur<strong>ch</strong> Vermögensberater, Vorsorgeplaner, Allfinanzbera-<br />

ter, aber au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> unabhängige Vermögensverwalter statt.» (VSV 2009, 2).<br />

5.6.1.2 Bedeutung der Vertriebskanäle im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

Aufgrund der Angaben, die wir von den befragten VU erhalten haben, können wir die Bedeutung der<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanäle im B2B-Markt folgendermassen ums<strong>ch</strong>reiben:<br />

■ Im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft sind die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker sehr bedeutend: Der Marktanteil der Broker<br />

steigt mit der Unternehmensgrösse. Im Kleinstkundenges<strong>ch</strong>äft dürfte der Agenten-Kanal allerdings na<strong>ch</strong><br />

wie vor der stärkste Kanal sein. Martin Kessler s<strong>ch</strong>ätzt den Marktanteil der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker im Markt<br />

der rund 4'500 Unternehmen und Institutionen mit mehr als 75 Bes<strong>ch</strong>äftigten auf rund 80%. Bei ganz<br />

47 Bezügli<strong>ch</strong> der Bedeutung von Mehrfa<strong>ch</strong>agenten, Strukturbetrieben und Versi<strong>ch</strong>erungsmaklern in der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung<br />

haben wir leider keine Angaben erhalten, so dass wir zu dieser Bran<strong>ch</strong>e keine Aussagen ma<strong>ch</strong>en können. Die genannten Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvermittler dürften im Berei<strong>ch</strong> der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen allerdings eine wi<strong>ch</strong>tigere Rolle spielen als dies in anderen<br />

Produktteilmärkten der Fall ist.<br />

121


5 Marktanalyse<br />

grossen Unternehmen ist der Marktanteil tiefer, da diese Unternehmen Inhouse-Broker bes<strong>ch</strong>äftigen,<br />

wel<strong>ch</strong>e das Ges<strong>ch</strong>äft mit dem Risiko selbst abwickeln.<br />

■ In Wirts<strong>ch</strong>aftszweigen, in wel<strong>ch</strong>en die Unternehmen relativ homogen sind, spielen au<strong>ch</strong> Verbände eine<br />

wi<strong>ch</strong>tige Rolle. Diese bündeln die Na<strong>ch</strong>frage von vielen kleinen Unternehmen und verhandeln mit den VU,<br />

allenfalls unterstützt dur<strong>ch</strong> einen Versi<strong>ch</strong>erungsbroker, Versi<strong>ch</strong>erungslösungen für ihre Mitgliederfirmen<br />

aus. Die Mitgliederfirmen kaufen ihre Versi<strong>ch</strong>erungslösung dann beim Verband ein, der standardisierte,<br />

jedo<strong>ch</strong> auf die (homogenen) Bedürfnisse der Mitgliederfirmen ausgeri<strong>ch</strong>tete Versi<strong>ch</strong>erungslösungen anbie-<br />

tet.<br />

5.6.1.3 Bestandteile der Vermittlerents<strong>ch</strong>ädigung<br />

Die vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanäle unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> u.a. bezügli<strong>ch</strong> der Ents<strong>ch</strong>ädigung der erbra<strong>ch</strong>ten<br />

Vertriebsleistung. Grundsätzli<strong>ch</strong> können folgende Elemente differenziert werden, die ein Ents<strong>ch</strong>ädi-<br />

gungsmodell konstituieren:<br />

■ Fixlohn: Einzig die angestellten Versi<strong>ch</strong>erungsagenten erhalten einen Teil ihrer Ents<strong>ch</strong>ädigung in Form<br />

eines Fixlohns.<br />

■ Bestandes-Courtage: Insbesondere die Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und Versi<strong>ch</strong>erungsbroker erhalten einen<br />

grossen Teil ihrer Ents<strong>ch</strong>ädigung in Form sogenannter Bestandes-Courtagen. Bei der Bestandes-Courtage<br />

handelt es si<strong>ch</strong> um eine Provision, die si<strong>ch</strong> als Prozentsatz des Prämienvolumens bere<strong>ch</strong>net. Die Höhe des<br />

Prozentsatzes hängt von folgenden Faktoren ab:<br />

- Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen: Ni<strong>ch</strong>t alle VU zahlen glei<strong>ch</strong> hohe Courtagen.<br />

- Rating des Versi<strong>ch</strong>erungsmakler bzw. des Versi<strong>ch</strong>erungsbrokers: Die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

diskriminieren zwis<strong>ch</strong>en vers<strong>ch</strong>iedenen Maklern und Brokern. Zumeist gibt es eine Differenzierung<br />

in A-, B-, und C-Makler/Broker, die in erster Linie vom Prämienvolumen abhängt, das ein Mak-<br />

ler/Broker beim Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen platziert hat. Dies ma<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>, dass die Courtage<br />

au<strong>ch</strong> eine volumenabhängige Provision ist: Im Gegensatz zu den klassis<strong>ch</strong>en Superprovisionen<br />

hängt sie jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vom Prämienvolumen im laufenden Jahr, sondern vom Volumen im Vorjahr<br />

ab.<br />

- Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte: Die Courtagen-Sätze werden vom Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen z.T. pro-<br />

duktspezifis<strong>ch</strong> festgelegt.<br />

■ Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen: Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen sind einmalige Ents<strong>ch</strong>ädigungen, die beim Vertrags-<br />

s<strong>ch</strong>luss gewährt werden. Sie sind insbesondere im Ges<strong>ch</strong>äft der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen und der<br />

Lebensversi<strong>ch</strong>erungen verbreitet. Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen können relativ oder absolut definiert sein. Relative<br />

Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen sind v.a. bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungen verbreitet: Beim Abs<strong>ch</strong>luss einer Lebensversi<strong>ch</strong>e-<br />

rung erhält der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler einen bestimmten Prozentsatz der Produktionssumme 48 (typis<strong>ch</strong>er-<br />

weise: 4 Prozent). Absolute Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen erhalten z.B. Versi<strong>ch</strong>erungsagenten und Mehrfa<strong>ch</strong>agen-<br />

ten im Berei<strong>ch</strong> der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen. Die Höhe der Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen kann von den glei-<br />

<strong>ch</strong>en Faktoren abhängen wie die Bestandes-Courtage.<br />

■ Superprovisionen: Bei Superprovisionen handelt es si<strong>ch</strong> um Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen. Es können Con-<br />

tingent Commissions und Profit Commissions differenziert werden. Superprovisionen unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong><br />

von Courtagen und Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen dahingehend, dass sie ni<strong>ch</strong>t einem einzigen Kunden zugeordnet<br />

werden können.<br />

■ Contingent Commissions: Contingent Commissions sind volumen- oder wa<strong>ch</strong>stumsabhängige Zu-<br />

satzents<strong>ch</strong>ädigungen. Es handelt si<strong>ch</strong> also um Ents<strong>ch</strong>ädigungen, deren Höhe vom Prämienvolumen oder<br />

48 Produktionssumme = Jahresprämie × Laufzeit in Jahren<br />

122


5 Marktanalyse<br />

Prämienwa<strong>ch</strong>stum abhängt, das ein Vermittler innerhalb des laufenden Jahres bei einem Versi<strong>ch</strong>erungsun-<br />

ternehmen realisiert.<br />

■ Profit Commissions: Profit Commissions sind Ents<strong>ch</strong>ädigungen, die vom S<strong>ch</strong>adensverlauf des Policen-<br />

Portfeuilles abhängt, das ein Vermittler bei einem Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen platziert hat.<br />

■ Finder’s Fee’s: Wie bereits oben ausgeführt handelt es si<strong>ch</strong> bei Finder’s Fee’s um einmalige Abgeltun-<br />

gen, die einem Vermittler (Finder) eines Kunden gewährt werden, wenn es zu einem Vertragss<strong>ch</strong>luss<br />

kommt. Finder’s Fee’s können sowohl von gebundenen als au<strong>ch</strong> von ungebundenen Vermittlern gewährt<br />

werden.<br />

■ Offertpaus<strong>ch</strong>ale: In Zusammenhang mit dem Internet-Verglei<strong>ch</strong>sdienst Comparis gibt es eine neuarti-<br />

ge Ents<strong>ch</strong>ädigungsform, die wir als «Offertpaus<strong>ch</strong>ale» bezei<strong>ch</strong>nen: Bestellt ein User über die Website von<br />

Comparis bei einem VU eine Offerte, dann erhält Comparis vom VU für diese Offertanfrage eine einmali-<br />

ge Ents<strong>ch</strong>ädigung. Gemäss den Aussagen eines befragten Experten beträgt diese Offertpaus<strong>ch</strong>ale bei<br />

Comparis rund 30 Franken.<br />

5.6.2 Der Direktvertrieb<br />

Der Direktvertrieb spielt nur im Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben des Privatkundenmarkts eine Rolle. Wie weiter oben<br />

ausgeführt, s<strong>ch</strong>ätzen wir den Anteil des Direktvertriebs im Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben auf 2-5 Prozent. Im Berei<strong>ch</strong><br />

der Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen dürfte der Anteil allerdings bedeutend höher sein, da der Vertrieb über<br />

Internet in diesem Produktmarkt eine wi<strong>ch</strong>tige Rolle spielt.<br />

Grundsätzli<strong>ch</strong> können folgenden Arten des Direktvertriebs differenziert werden:<br />

■ Vertrieb über Internet: Die mittleren und grossen VU vertreiben in ausgewählten Teilmärkten ihre<br />

Produkte au<strong>ch</strong> über das Internet (Beispiele: www.zuri<strong>ch</strong>connect.<strong>ch</strong>, www.smile-direct.<strong>ch</strong>,<br />

www.allianz24.<strong>ch</strong>, www.baloisedirect.<strong>ch</strong>). Die Angebote der grossen VU bes<strong>ch</strong>ränken si<strong>ch</strong> im Wesentli-<br />

<strong>ch</strong>en auf folgende Produktteilmärkte: Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen, Reiseversi<strong>ch</strong>erungen, Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz-<br />

versi<strong>ch</strong>erungen, Hausratsversi<strong>ch</strong>erungen und Privathaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen. Die Versi<strong>ch</strong>erungspolicen,<br />

die über das Internet abges<strong>ch</strong>lossen werden, zei<strong>ch</strong>nen si<strong>ch</strong> typis<strong>ch</strong>erweise dadur<strong>ch</strong> aus, dass sie eine Lauf-<br />

zeit von einem Jahr mit einer Roll-Over-Klausel enthalten. Der VN kann den Vertrag also jedes Jahr kündi-<br />

gen. Gemäss den befragten Experten der VU betragen die Rabatte, die bei einem Einkauf über Internet<br />

gewährt werden, rund 10 Prozent (im Verglei<strong>ch</strong> zum Vertrieb über einen Versi<strong>ch</strong>erungsagenten). Eine<br />

besondere Rolle beim Vertrieb über Internet spielt der Verglei<strong>ch</strong>sdienst Comparis. Bestellt ein VN über<br />

Comparis bei einem VU, das mit Comparis kooperiert, eine Offerte, erhält Comparis hierfür eine einmalige<br />

Provision in der Höhe von rund 30 Franken. Dies impliziert, dass ein VN, der auf Comparis ein Ranking<br />

erstellt und dann bei den drei günstigsten Versi<strong>ch</strong>erern eine Offerte bestellt, Gesamtkosten in der Höhe<br />

von rund 150 Franken verursa<strong>ch</strong>t (drei Offertpaus<strong>ch</strong>alen und Abwicklungskosten der VU). Die Offertpau-<br />

s<strong>ch</strong>ale in der Höhe von rund 30 Franken ist einigen VU zu ho<strong>ch</strong>, weshalb sie keinen Kooperationsvertrag<br />

mit Comparis haben. Ein Experte hat geltend gema<strong>ch</strong>t, dass Comparis faktis<strong>ch</strong> ein Monopolist sei.<br />

■ Telefonverkauf: Versi<strong>ch</strong>erungen werden au<strong>ch</strong> über das Telefon verkauft. Dabei ist zwis<strong>ch</strong>en passivem<br />

und aktivem Telefonverkauf zu unters<strong>ch</strong>eiden. Beim passiven Telefonverkauf melden si<strong>ch</strong> die VN unaufge-<br />

fordert bei einem Versi<strong>ch</strong>erer und s<strong>ch</strong>liessen einen Vertrag ab. Beim aktiven Telefonverkauf kontaktieren<br />

Telefonverkäufer der VU potentielle Kunden.<br />

5.6.3 Der Vertrieb über Versi<strong>ch</strong>erungsagenten<br />

Bei den Versi<strong>ch</strong>erungsagenten handelt es si<strong>ch</strong> um gebundene Vermittler. «Gebunden» ist dabei dahinge-<br />

hend zu interpretieren, dass sie für ein einziges Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen tätig sind. In Abhängigkeit der<br />

123


5 Marktanalyse<br />

juristis<strong>ch</strong>en Beziehung zwis<strong>ch</strong>en den Versi<strong>ch</strong>erungsagenten und den Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen werden<br />

zwei Arten von Versi<strong>ch</strong>erungsagenten differenziert:<br />

■ Angestellte Agenten (direct writers): Versi<strong>ch</strong>erungsagenten, die für ein Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

im Rahmen eines Angestelltenverhältnis akquirieren, werden direct writers genannt. Die direct writers<br />

werden zumeist im Rahmen eines Agenturnetzes eingesetzt.<br />

■ Selbständige, abhängige Agenten (exclusive agents): Diese sind für das Versi<strong>ch</strong>erungsunterneh-<br />

men im Rahmen eines Auftragsverhältnis tätig, wel<strong>ch</strong>es im Rahmen eines Agenturvertrags konkretisiert<br />

ist.<br />

Aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ist zum Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en angestellten und selbständigen Versi<strong>ch</strong>erungsagen-<br />

ten Folgendes zu sagen (vgl. Zweifel und Eisen 2003):<br />

■ Der Vertrieb über angestellte Agenten bedingt in der Aufbauphase sehr hohe Investitionskosten.<br />

■ Da der selbstständige Agent auf eigene Re<strong>ch</strong>nung arbeitet, sind bei diesem die Vertriebskosten voll-<br />

ständig internalisiert. Dies ist beim angestellten Agenten ni<strong>ch</strong>t der Fall, da gewisse Kosten, die beim Ver-<br />

trieb anfallen, vom Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen getragen werden.<br />

■ Wenn das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen den selbständigen Agenten Betriebsmittel zur Verfügung stellt,<br />

nähern si<strong>ch</strong> die ökonomis<strong>ch</strong>en Bedingungen des Vertriebs über angestellte und selbständige Agenten<br />

einander an.<br />

Die Ents<strong>ch</strong>ädigung der Versi<strong>ch</strong>erungsagenten ist äusserst komplex. Zum einen setzen die vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

VU unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>ädigungsmodelle eine, zum anderen hängt die Ents<strong>ch</strong>ädigung au<strong>ch</strong> von der<br />

Funktion des Versi<strong>ch</strong>erungsagenten ab, wobei gemäss Klingler (2010) folgende Funktionen differenziert<br />

werden können 49 :<br />

■ Generalagent<br />

■ Verkaufsleiter Generalagentur<br />

■ Teamleiter Aussendienst<br />

■ Aussendienstmitarbeiter / Versi<strong>ch</strong>erungsberater<br />

Typis<strong>ch</strong>erweise sind mit dem Begriff «Versi<strong>ch</strong>erungsagent» die Aussendienstmitarbeiter gemeint, die si<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsberater nennen. Je na<strong>ch</strong> Grösse der Generalagentur haben jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Teamleiter,<br />

Verkaufsleiter oder sogar die Generalagenten ein eigenes Kundenportfolio, so dass au<strong>ch</strong> diese als Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsagenten bezei<strong>ch</strong>net werden können.<br />

Gemäss Klingler (2010) und den befragten Experten der VU setzt si<strong>ch</strong> die Ents<strong>ch</strong>ädigung eines Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsagenten aus folgenden Bestandteilen zusammen:<br />

■ Fixum: Das Fixum ist zum einen von der Erfahrung und der Funktion des Versi<strong>ch</strong>erungsagenten abhän-<br />

gig, wobei gilt: Das Fixum steigt mit Zunahme der Führungsverantwortung und mit der Anzahl Dienstjah-<br />

re. Zum anderen hängt das Fixum der Versi<strong>ch</strong>erungsagenten von den errei<strong>ch</strong>ten Provisionen oder vom<br />

Prämienbestand im Vorjahr ab. Insofern wird das Fixum zumeist in Form einer Bestandesents<strong>ch</strong>ädigung<br />

ausbezahlt. Aus diesem Grund gewähren die VU ihre neuen Aussendienstmitarbeitern während einer<br />

Einführungszeit von etwa zwei Jahren ein gewisses Einkommen. Der Generalagent finanziert mit den<br />

Bestandesprovisionen in der Regel den Verkaufsinnendienst und die Infrastrukturkosten seiner General-<br />

agentur.<br />

49 Verkaufsinnendienstmitarbeiter fehlen in der na<strong>ch</strong>folgenden Aufstellung. Dies deshalb, weil Innendienstmitarbeiter zum grössten<br />

Teil leistungsunabhängig entlöhnt werden.<br />

124


5 Marktanalyse<br />

■ Spesen: Fixe und variable Ents<strong>ch</strong>ädigung für berufli<strong>ch</strong>e Aufwendungen. Die wi<strong>ch</strong>tigsten Spesenarten<br />

sind: Fahrspesen und Essenspaus<strong>ch</strong>alen. Die Spesen werden typis<strong>ch</strong>erweise in Abhängigkeit der monatli<strong>ch</strong><br />

errei<strong>ch</strong>ten Provisionen bere<strong>ch</strong>net. Au<strong>ch</strong> Ausbildungsbeiträge fallen in diese Kategorie.<br />

■ Ents<strong>ch</strong>ädigung von Führungsaufgaben: Es gibt VU, wel<strong>ch</strong>e die Führungsaufgaben, wel<strong>ch</strong>e die Ge-<br />

neralagenten, Verkaufsleiter und Teamleiter wahrnehmen, gesondert ents<strong>ch</strong>ädigen, z.B. im Rahmen einer<br />

Paus<strong>ch</strong>ale pro geführtem Mitarbeiter.<br />

■ Abs<strong>ch</strong>luss- und Erneuerungsprovisionen: Die Versi<strong>ch</strong>erungsagenten erhalten für Vertragsabs<strong>ch</strong>lüsse<br />

und Vertragserneuerungen Abs<strong>ch</strong>luss- und Erneuerungsprovisionen. Die Abs<strong>ch</strong>luss- und Erneuerungspro-<br />

visionen werden auf der Basis von unternehmensinternen Provisionstabellen («Provisionsgrundlage») be-<br />

re<strong>ch</strong>net. Die Abs<strong>ch</strong>lussprovision ist eine einmalige Vergütung, wel<strong>ch</strong>e auf der Produktionsprämie (Ver-<br />

tragslaufzeit × Jahresprämie) bere<strong>ch</strong>net wird. Au<strong>ch</strong> bei den Erneuerungsprovisionen handelt es si<strong>ch</strong> um<br />

einmalige Vergütungen, die für die aktive Verlängerung eines bestehenden Vertrags an den Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsagenten ausges<strong>ch</strong>üttet werden. «Aktiv» ist dabei dahingehend zu verstehen, dass der VN einen<br />

neuen bzw. veränderten Vertrag unters<strong>ch</strong>reiben muss. Für Vertragsverlängerungen im Rahmen einer Roll-<br />

over-Klausel werden keine Erneuerungsprovisionen gewährt 50 . Die Provisionssätze, die in den Provisions-<br />

tabellen festgehalten sind, sind produktspezifis<strong>ch</strong> definiert. Für den Verkauf von Versi<strong>ch</strong>erungsprodukten,<br />

die betriebswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> rentabler sind (Deckungsbeitragsbere<strong>ch</strong>nung) und/oder deren Vertrieb aus<br />

marktstrategis<strong>ch</strong>en Überlegungen forciert werden soll, werden höhere Provisionssätze gewährt. Die Provi-<br />

sionsgrundlage enthält typis<strong>ch</strong>erweise au<strong>ch</strong> Stornoregelungen: Abs<strong>ch</strong>luss- und Erneuerungsprovisionen<br />

werden dem Versi<strong>ch</strong>erungsagenten rückbelastet, wenn eine Police innerhalb der Vertragslaufzeit storniert<br />

oder (für das VU ungünstig) verändert (Beispiel: Auss<strong>ch</strong>luss von ausgewählten Risiken) wird.<br />

■ Superprovisionen: In Abhängigkeit des Zielerrei<strong>ch</strong>ungsgrads bezügli<strong>ch</strong> ihrer Budgetvorgaben<br />

und/oder anderen Zielvorgaben erhalten die Versi<strong>ch</strong>erungsagenten au<strong>ch</strong> Superprovisionen. Sie werden<br />

typis<strong>ch</strong>erweise in Abhängigkeit der errei<strong>ch</strong>ten Provisionen, der Vertriebsziele und/oder des Wa<strong>ch</strong>stums des<br />

Prämienbestandes bere<strong>ch</strong>net. Die Teamleiter, Verkaufsleiter und Generalagenten partizipieren typis<strong>ch</strong>er-<br />

weise an den Superprovisionen der ihnen unterstellten Versi<strong>ch</strong>erungsagenten.<br />

■ Provisionsausfallents<strong>ch</strong>ädigungen: Bei unvers<strong>ch</strong>uldeter Arbeitsunfähigkeit (insbesondere: Ferien,<br />

Krankheit, Unfall) erhalten die Versi<strong>ch</strong>erungsagenten sogenannte Provisionsausfallents<strong>ch</strong>ädigungen.<br />

In Tabelle 18 ist dargestellt, wel<strong>ch</strong>en Anteil die vers<strong>ch</strong>iedenen Lohnkomponenten eines Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

agenten, konkret: eines Aussendienstmitarbeiters, an seinem Jahressalär betragen. Die prozentualen An-<br />

gaben beruhen auf den Angaben von drei der fünf grössten VU:<br />

■ Die Ents<strong>ch</strong>ädigungsmodelle der vers<strong>ch</strong>iedenen VU s<strong>ch</strong>einen relativ ähnli<strong>ch</strong> zu sein.<br />

■ Die fixe Vergütung beträgt etwa ein Drittel während die variable, leistungsabhängige Vergütung zwei<br />

Drittel des Einkommens der Aussendienstmitarbeiter ausma<strong>ch</strong>t.<br />

■ Ein Aussendienstmitarbeiter einer Versi<strong>ch</strong>erung bezieht gut die Hälfte seines Einkommens aus Ab-<br />

s<strong>ch</strong>luss- und Erneuerungsprovisionen.<br />

50 Automatis<strong>ch</strong>e Vertragsverlängerungen auf der Basis von Roll-over-Klauseln führen für den Versi<strong>ch</strong>erungsagenten allerdings indi-<br />

rekt über die Bestandesprovisionen zu einem monetären Ertrag.<br />

125


5 Marktanalyse<br />

Tabelle 18: Lohnbestandteile eines Versi<strong>ch</strong>erungsagenten in % seines Jahressalärs<br />

Fixum 15-20%<br />

Spesen 12-14%<br />

Total fixe Vergütung 28%-34%<br />

Abs<strong>ch</strong>luss- und Erneuerungsprovisionen 1<br />

50%-55%<br />

Superprovisionen 14%-17%<br />

Total variable Vergütung 66%-72%<br />

Total 100%<br />

Fussnote: 1<br />

inkl. Provisionsausfallents<strong>ch</strong>ädigungen<br />

Quelle: Befragung von Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

Aus einer ökonomis<strong>ch</strong>en Perspektive und insbesondere hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Diskussion von Art. 68 E-<strong>VVG</strong><br />

ers<strong>ch</strong>einen uns die folgenden ökonomis<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aften der Ents<strong>ch</strong>ädigung der Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

agenten wesentli<strong>ch</strong>:<br />

■ Da die Abs<strong>ch</strong>luss- und Erneuerungsprovisionen produktspezifis<strong>ch</strong> definiert sind, sind die Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

agenten dem ökonomis<strong>ch</strong>en Anreiz ausgesetzt, Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte mit einem mögli<strong>ch</strong>st hohen<br />

Provisionssatz zu verkaufen, was ni<strong>ch</strong>t im Interesse der VN sein muss: «Ebenso ist es na<strong>ch</strong>vollziehbar, dass<br />

abs<strong>ch</strong>lussorientierte Provisionen eher den aktiven Verkauf fördern und die Kundenberatung sekundär ist. [...]. Provisi-<br />

onierungssysteme auf Produkte sind relativ einfa<strong>ch</strong> zu verstehen, vertreten jedo<strong>ch</strong> klar die Si<strong>ch</strong>t der Versi<strong>ch</strong>erung und<br />

stellen den Kunden ni<strong>ch</strong>t ins Zentrum. [...]. Damit wird der Versi<strong>ch</strong>erungsberater zum Produktverkäufer und die Be-<br />

ziehung zum Kunden fokussiert tendenziell auf lohnenswerte Abs<strong>ch</strong>lüsse.» (Klingler 2010, 23-24).<br />

■ Da die Abs<strong>ch</strong>luss- und Erneuerungsprovisionen an den Produktionswert einer Police gekoppelt sind,<br />

haben die Versi<strong>ch</strong>erungsagenten den Anreiz, Policen mit einer mögli<strong>ch</strong>st umfassenden Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsdeckung und Policen mit einer mögli<strong>ch</strong>st langen Vertragslaufzeit zu verkaufen. Allerdings<br />

gibt es VU, wel<strong>ch</strong>e in ihrem Ents<strong>ch</strong>ädigungsmodell Korrekturfaktoren eingebaut haben, um die Gefahr<br />

des Verkaufs von inadäquatem Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz zu unterbinden. Ein Beispiel hierfür liefert eine VU,<br />

das wir befragt haben: Dieses ents<strong>ch</strong>ädigt ihre Versi<strong>ch</strong>erungsagenten für den Verkauf von Krankentag-<br />

geldversi<strong>ch</strong>erungen unabhängig von der Wartefrist, obwohl die Prämienhöhe sehr stark davon abhängt,<br />

wel<strong>ch</strong>e Wartefrist der VN wählt. Dies um zu verhindern, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsagenten au<strong>ch</strong> Kunden, für<br />

wel<strong>ch</strong>e eine längere Wartefrist und damit einhergehend eine tiefere Prämie optimal ist, ni<strong>ch</strong>t Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungspolicen mit mögli<strong>ch</strong>st kurzer Wartefrist und entspre<strong>ch</strong>end hoher Prämien verkaufen.<br />

■ Da das Fixum im Wesentli<strong>ch</strong>en an den Prämienbestand im Vorjahr und die Superprovisionen u.a. ans<br />

Bestandeswa<strong>ch</strong>stum gekoppelt sind, sind Versi<strong>ch</strong>erungsagenten, wel<strong>ch</strong>e ihre Einkommen längerfristig als<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsagenten verdienen mö<strong>ch</strong>ten, darauf angewiesen, zufriedene Kunden zu haben. Die Bestan-<br />

desprovisionen dürften in dem Sinne eine «disziplinierende» Wirkung auf die Versi<strong>ch</strong>erungsagenten<br />

entfalten, dass den kurzfristigen Gewinnen eines opportunistis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsagenten (Opportuni-<br />

tätsprämie: vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.3) allfällige Verluste zu einem späteren Zeitpunkt gegenüberstehen, wenn<br />

der VN bemerkt, dass der Versi<strong>ch</strong>erungsagent sein Vertrauen missbrau<strong>ch</strong>t hat und si<strong>ch</strong> konsequenterweise<br />

von diesem trennt. Dass die Anreizwirkung der Ents<strong>ch</strong>ädigungsstruktur au<strong>ch</strong> vom Planungshorizont des<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsagenten abhängt, impliziert au<strong>ch</strong> das folgende Zitat von Klingler (2010, 26): «Der ‚Hardseller’<br />

su<strong>ch</strong>t seine Kunden unter dem Aspekt, mit ihnen mögli<strong>ch</strong>st ras<strong>ch</strong> viele Verträge abs<strong>ch</strong>liessen zu können, da er letzt-<br />

li<strong>ch</strong> damit seinen Verdienst erzielt. Der Versi<strong>ch</strong>erungsberater, der eine längerfristige Strategie fährt, versu<strong>ch</strong>t, die<br />

bestehenden Kunden dur<strong>ch</strong> Beratungsdienstleistungen zu behalten und sie mit den Produkten seiner Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

besser zu dur<strong>ch</strong>dringen. Er verfolgt somit ein langfristigeres, kontinuierli<strong>ch</strong>es Konzept, das die Kundenbindung zu ihm<br />

und zu der Gesells<strong>ch</strong>aft, die er vertritt, vergrössert. Dies erlaubt ihm, längerfristig seine Verdienstmögli<strong>ch</strong>keiten zu<br />

erhalten und zu entwickeln.»<br />

126


5 Marktanalyse<br />

■ Der hohe Anteil der Erneuerungs- und Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen am Einkommen des Versi<strong>ch</strong>erungsagenten<br />

dürfte zu einer aktiven Bewirts<strong>ch</strong>aftung des Kundenstamms dur<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungsagenten führen.<br />

Denn Erneuerungsprovisionen fallen nur an, wenn bestehende Verträge entspre<strong>ch</strong>end erneuert werden.<br />

Wie wir weiter unten stehen werden, ist dies bei den Versi<strong>ch</strong>erungsmaklern und Versi<strong>ch</strong>erungsbrokern<br />

ni<strong>ch</strong>t der Fall: Bei diesen dürften die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize, die von den Bestandes-Courtagen ausgelöst<br />

werden, tendenziell zu einer passiven Bewirts<strong>ch</strong>aftung bestehender Policen führen.<br />

5.6.4 Der Vertrieb über Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und Versi<strong>ch</strong>erungsbroker<br />

Bei den Maklern und Brokern handelt es si<strong>ch</strong> um unbebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler. Sie unters<strong>ch</strong>eiden<br />

si<strong>ch</strong> von den Versi<strong>ch</strong>erungsagenten in vers<strong>ch</strong>iedenen Punkten:<br />

■ Sie sind ni<strong>ch</strong>t nur für ein einziges VU tätig. Vielmehr haben sie Verträge mit einer Vielzahl oder sogar<br />

mit allen im Markt verfügbaren VU.<br />

■ Sie sind grundsätzli<strong>ch</strong> im Namen eines VN tätig: Im Zentrum des Maklermandats steht der Einkauf von<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsprodukten, die auf das Risikoprofil und die Präferenzen des VN zuges<strong>ch</strong>nitten sind.<br />

5.6.4.1 Versi<strong>ch</strong>erungsmakler vs. Versi<strong>ch</strong>erungsbroker<br />

Die Begriffe Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und Versi<strong>ch</strong>erungsbroker werden zumeist synonym verwendet. Die<br />

Verwendung der beiden Begriffe lässt darauf s<strong>ch</strong>liessen, dass ungebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler dann<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsbroker genannt werden, wenn sie im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft und innerhalb des Firmen-<br />

kundenges<strong>ch</strong>äfts in erster Linie für Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeiter tätig sind. Ein Teil dieser<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler ist im Verband Swiss Insurance Broker Association SIBA organisiert. Der SIBA<br />

spri<strong>ch</strong>t von seinen Mitgliedsunternehmen explizit von Versi<strong>ch</strong>erungsbrokern und ni<strong>ch</strong>t von Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsmaklern. Anstelle des Begriffs «Versi<strong>ch</strong>erungsbroker» wird teilweise no<strong>ch</strong> der synonym verwendete,<br />

veraltete Begriff «Industriebroker» verwendet. Ungebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, die im Privatkun-<br />

denges<strong>ch</strong>äft und/oder im Segment der sehr kleinen Unternehmen («Gewerbe», «Mini-KMU») tätig sind,<br />

nennt man hingegen eher Versi<strong>ch</strong>erungsmakler. Die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsbrokern<br />

und Versi<strong>ch</strong>erungsmaklern ist grundsätzli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t trenns<strong>ch</strong>arf.<br />

5.6.4.2 Die Dienstleistung der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker<br />

Gemäss den Experten der befragten Versi<strong>ch</strong>erungsbroker kann der Aufgabenberei<strong>ch</strong> eines Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

brokers folgendermassen umrissen werden:<br />

■ Risiko- und Bedarfsanalyse<br />

■ Einkauf: (1) Offertanfrage / Auss<strong>ch</strong>reibung bei den Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen; (2) Preis-Leistungs-<br />

Verglei<strong>ch</strong> der eingegangenen Offerten; (3) Beratung beim Kaufents<strong>ch</strong>eid; (4) Einholen der Deckungszusa-<br />

ge; (5) Kontrolle der Police; (6) Kontrolle der Prämienre<strong>ch</strong>nungen<br />

■ S<strong>ch</strong>adenregulierung: (1) Aufnehmen und Melden von S<strong>ch</strong>adensfällen; (2) Kontrolle der S<strong>ch</strong>adensab-<br />

re<strong>ch</strong>nung; (3)Teilnahme an S<strong>ch</strong>adensverhandlungen.<br />

5.6.4.3 Ents<strong>ch</strong>ädigung der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker und -makler<br />

Eine weitere Unters<strong>ch</strong>eidung, die hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der inhomogenen Gruppe der Makler und Broker im<br />

S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt übli<strong>ch</strong> ist, bezieht si<strong>ch</strong> auf die Frage, wie die ungebundenen Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvermittler ents<strong>ch</strong>ädigt werden:<br />

127


5 Marktanalyse<br />

■ Klassis<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erungsmakler/Versi<strong>ch</strong>erungsbroker: Die klassis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsmakler bzw.<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsbroker werden ni<strong>ch</strong>t vom VN direkt mittels Honorar, sondern von den VU mittels Provisio-<br />

nen und Superprovisionen ents<strong>ch</strong>ädigt.<br />

■ Honorarmakler/Honorarbroker: Die Honorarmakler bzw. Honorarbroker werden von den VN direkt<br />

mittels Honorar ents<strong>ch</strong>ädigt. Die Provisionen und Superprovisionen, wel<strong>ch</strong>e die Honorarmakler bzw. Ho-<br />

norarbroker von den VU erhalten, werden den VN na<strong>ch</strong> Verre<strong>ch</strong>nung ihrer Aufwände weitergeben.<br />

Die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en klassis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsmaklern bzw. klassis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsbrokern<br />

auf der einen Seite und Honorarmaklern bzw. Honorarbrokern auf der anderen Seite ist allerdings ni<strong>ch</strong>t<br />

trenns<strong>ch</strong>arf. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es bei Firmenkunden das Provisionsmodell zunehmend<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr in seiner Reinform gibt, wie die Befragung der vers<strong>ch</strong>iedenen Versi<strong>ch</strong>erungsbroker ergeben<br />

hat:<br />

■ Es gibt Versi<strong>ch</strong>erungsbroker, die von ihren Firmenkunden zusätzli<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ädigt werden, wenn die<br />

Provisionen der VU den Aufwand ni<strong>ch</strong>t decken, der beim Broker für die Betreuung des Kunden anfällt.<br />

Dieses Ents<strong>ch</strong>ädigungsmodell gibt es insbesondere im Segment der sehr kleinen Firmenkunden, da bei<br />

diesen die Provision oft ni<strong>ch</strong>t ausrei<strong>ch</strong>t, um den Aufwand des Brokers zu decken. Dies kann insbesondere<br />

und zum Beispiel dann der Fall sein, wenn es zu vielen S<strong>ch</strong>adensfällen kommt, die der Broker regulieren<br />

muss oder wenn der Beratungsaufwand ho<strong>ch</strong> ist, weil si<strong>ch</strong> der Versi<strong>ch</strong>erungsbedarf des Unternehmens<br />

ständig verändert (zum Beispiel aufgrund eines s<strong>ch</strong>nellen Wa<strong>ch</strong>stums oder aufgrund instabiler Marktver-<br />

hältnisse).<br />

■ Die Ents<strong>ch</strong>ädigungsmodalitäten sind au<strong>ch</strong> von den Wüns<strong>ch</strong>en der VN bzw. der Kunden der Broker ab-<br />

hängig. Aus diesem Grund sind die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker bereit, auf der Basis unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Ents<strong>ch</strong>ädi-<br />

gungsmodelle zu arbeiten. Der Anteil der Firmenkunden, die eine Ents<strong>ch</strong>ädigung auf Honorarbasis wün-<br />

s<strong>ch</strong>en, ist sehr klein: Gemäss Martin Kessler beträgt dieser Anteil bei Kessler, dem marktführenden Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsbroker der S<strong>ch</strong>weiz, weniger als 10 Prozent.<br />

■ Es gibt Versi<strong>ch</strong>erungsbroker, die si<strong>ch</strong> den initialen Beratungsaufwand (Risiko- und Bedarfsanalyse) von<br />

den VN auf Honorarbasis ents<strong>ch</strong>ädigen lassen und mit den Brokerents<strong>ch</strong>ädigungen der VU «nur» das<br />

Daily Business der Kundenbetreuung (S<strong>ch</strong>adenregulierung, Dur<strong>ch</strong>führung von Submissionsverfahren etc.)<br />

finanzieren.<br />

■ Der Brokermarkt ist zunehmend gesättigt. Während die Broker ihre Marktanteile während den 90er<br />

Jahren zu Lasten der Versi<strong>ch</strong>erungsagenten ausbauen konnten, wurde der Brokermarkt in den letzten<br />

Jahren zunehmend zu einem Verdrängungsmarkt unter den Brokern. Gemäss den Experten der befragten<br />

Broker werden die grösseren Firmenkunden eines Brokers mehrmals pro Jahr von konkurrierenden Bro-<br />

kern mit dem Ziel kontaktiert, diesen abzuwerben. Der Verdrängungswettbewerb hat au<strong>ch</strong> zu einer Inten-<br />

sivierung des Preiswettbewerbs geführt: Insbesondere bei grösseren Firmenkunden wird die Ents<strong>ch</strong>ädi-<br />

gung des Brokers bei der Vergabe des Brokermandats transparent verhandelt. Derartige Verhandlungen<br />

führen oft dazu, dass si<strong>ch</strong> VN und Broker einen allfällige Übers<strong>ch</strong>uss (Brokerents<strong>ch</strong>ädigung > Aufwand<br />

des Brokers) teilen.<br />

Die Ents<strong>ch</strong>ädigung, wel<strong>ch</strong>e die Broker und Makler von den VU erhalten («Brokerents<strong>ch</strong>ädigung» bzw.<br />

«Maklerents<strong>ch</strong>ädigung»), setzt si<strong>ch</strong> – in Abhängigkeit des Versi<strong>ch</strong>erungsprodukts, des Versi<strong>ch</strong>erungsun-<br />

ternehmens und der Qualität des Brokers bzw. Maklers – aus folgenden Bestandteilen zusammen, die wir<br />

bereits im Abs<strong>ch</strong>nitt 5.6.1.3 eingeführt haben:<br />

■ Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen<br />

■ Bestandes-Courtagen, kurz Courtagen<br />

■ Superprovisionen: Contingent und Profit Commissions<br />

128


5 Marktanalyse<br />

Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen gibt es fast nur im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft. Im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erun-<br />

gen und der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen sind die Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen ein zentraler Bestandteil der<br />

Maklerents<strong>ch</strong>ädigung. Bei den Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen beträgt die Abs<strong>ch</strong>lussprovision typis<strong>ch</strong>erweise 4<br />

Prozent der Produktionssumme 51 . S<strong>ch</strong>liesst zum Beispiel eine dreissig Jahre alte Person eine Sparversi<strong>ch</strong>e-<br />

rung mit einer Laufzeit von 35 Jahren und einer Jahresprämie von 5'000 Franken ab, erhält der Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsmakler eine Abs<strong>ch</strong>lussprovision von rund 7’000 Franken. Dieser Betrag muss als sehr ho<strong>ch</strong> bezei<strong>ch</strong>-<br />

net werden. Diejenige Experten, die wir im Rahmen der vorliegenden Studie befragt haben, die mit Einzel-<br />

lebensversi<strong>ch</strong>erungen kein Einkommen erzielen und die bereit waren, zu der Attraktivität der Einzelle-<br />

bensversi<strong>ch</strong>erungen Stellung zu beziehen, waren ausnahmslos der Ansi<strong>ch</strong>t, dass Sparversi<strong>ch</strong>erungen mit<br />

Banklösungen der 3. Säule ni<strong>ch</strong>t konkurrenzfähig sind, da die Abs<strong>ch</strong>luss- und Administrationskosten im<br />

Verglei<strong>ch</strong> zu den entspre<strong>ch</strong>enden Bankprodukten zu ho<strong>ch</strong> seien. Sie vertraten ausnahmslos das Prinzip<br />

«Risiko bei den VU, Sparen bei der Bank». Die hohen Abs<strong>ch</strong>lusskosten dürften ni<strong>ch</strong>t zuletzt darauf zu-<br />

rückzuführen sein, dass der Verkauf von Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen über Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler aktiv<br />

strukturiert ist, so dass misslungene Akquisitionen von den erfolgrei<strong>ch</strong>en Akquisitionen finanziert werden<br />

müssen. Einen sol<strong>ch</strong>en aktiven Haustürverkauf gibt es bei den Banken ni<strong>ch</strong>t. Einer der befragten Experten<br />

gab in diesem Zusammenhang zu Protokoll: «Es stellt si<strong>ch</strong> die Frage, ob der aktive Haustürverkauf ni<strong>ch</strong>t<br />

generell eine zu teure Vertriebsform darstellt». Die Ausführungen von A. S<strong>ch</strong>mid & Partner (2009, 1) be-<br />

legen, dass die Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen derart ho<strong>ch</strong> sind, dass mit Ihnen<br />

sogar andere Aktivitäten quersubventioniert werden können: «Da wir in jeder Versi<strong>ch</strong>erungssparte den Kunden<br />

aufzeigen, wel<strong>ch</strong>e Mögli<strong>ch</strong>keiten und Alternativen für sie im Markt bestehen [...], müssen wir Ges<strong>ch</strong>äfte, wel<strong>ch</strong>e finanziell für uns<br />

grundsätzli<strong>ch</strong> Verluste einfahren (z.B. der ganze Aufwand für Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen) dur<strong>ch</strong> andere Ges<strong>ch</strong>äfte (z.B. Abs<strong>ch</strong>lüs-<br />

se im Berei<strong>ch</strong> Einzelleben) "quersubventionieren". Im Gegensatz zum Ges<strong>ch</strong>äft mit Grosskunden, wel<strong>ch</strong>e teilweise bereits heute<br />

gewohnt sind, grössere Beträge für Beratungsdienstleistungen auszugeben, ist es im Ges<strong>ch</strong>äft mit Kleinstunternehmen illusoris<strong>ch</strong> zu<br />

glauben, dass der Aufwand für die Versi<strong>ch</strong>erungsberatung und -betreuung kostendeckend dem Kunden in Re<strong>ch</strong>nung gestellt wer-<br />

den kann. Bei gewissen Versi<strong>ch</strong>erungsabs<strong>ch</strong>lüssen im EinzeIlebensberei<strong>ch</strong> werden dur<strong>ch</strong>aus Provisionen in beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Grössen-<br />

ordnung ausgeri<strong>ch</strong>tet. Diese werden aber benötigt, um den allgemeinen Aufwand (Bürokosten, Verwaltung, Akquisition etc.) abzu-<br />

decken.» In den restli<strong>ch</strong>en Produktteilmärkten spielen Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen bei Maklern und Brokern eine<br />

untergeordnete Rolle. Sie werden dort fast auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern gewährt, die nur den<br />

Kundenkontakt herstellen und den VN ni<strong>ch</strong>t integral betreuen. Beispiel derartiger Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler<br />

sind Finders und Adresslieferanten.<br />

Das zentrale Element der Ents<strong>ch</strong>ädigung der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler sind Bestandes-Courtagen. In Ab-<br />

s<strong>ch</strong>nitt 5.6.1.3 haben wir bereits ausgeführt, dass die Bestandes-Courtage im Wesentli<strong>ch</strong>en von der Quali-<br />

tät des Maklers bzw. Brokers, vom Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt und vom Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen abhängig<br />

sind. Tabelle 19 zeigt anhand des Beispiels eines Versi<strong>ch</strong>erungsbrokers, wie die Ents<strong>ch</strong>ädigungsstruktur<br />

der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker in etwa aussieht. Sie lässt folgende S<strong>ch</strong>lussfolgerungen zu:<br />

■ Die Courtagen, wel<strong>ch</strong>e die VU den Broker gewähren, unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> in Ihrer Höhe markant.<br />

■ Der Interessenskonflikt dürfte real sein: Vermittelt ein Broker eine Motorfahrzeug-Kasko-Versi<strong>ch</strong>erung<br />

mit einer Prämie von 1'000 Franken zu einem Versi<strong>ch</strong>erer, der 18 Prozent bezahlt, verdient der Broker pro<br />

Jahr 180 Franken. Vermittelt er die glei<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erung jedo<strong>ch</strong> zu einem Versi<strong>ch</strong>erer, der nur 12 Prozent<br />

bezahlt, verdient der Broker pro Jahr 120 Franken, also 30 Prozent weniger.<br />

Gemäss der dem Bran<strong>ch</strong>enverband SIBA sind bei der Ents<strong>ch</strong>ädigung von Maklern und Brokern au<strong>ch</strong> Su-<br />

perprovisionen übli<strong>ch</strong>: «Au<strong>ch</strong> im Versi<strong>ch</strong>erungsgewerbe sind sol<strong>ch</strong>e wa<strong>ch</strong>stums-, volumen-, oder s<strong>ch</strong>adenabhän-<br />

gige Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen übli<strong>ch</strong>. [...] Der SIBA hat in seinem Code of Conduct vom 29. Oktober 2009 mit Bezug<br />

51 Produktionssumme = Jahresprämie × Laufzeit in Jahren<br />

129


5 Marktanalyse<br />

auf sein Mitglieder bereits ein Verbot der Entgegennahme von Contingent Commissions bes<strong>ch</strong>lossen.» SIBA (2009a,<br />

31).<br />

Tabelle 19: Makler-/Brokerents<strong>ch</strong>ädigung<br />

Modus Minimum Maximum Modus Minimum Maximum<br />

Unfallversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Einzelunfallversi<strong>ch</strong>erung 15% 12% 15%<br />

Obligatoris<strong>ch</strong>e Berufsunfallversi<strong>ch</strong>erung 3% 3% 5%<br />

Freiwillige UVG-Versi<strong>ch</strong>erung 3% 3% 5%<br />

UVG-Zusatzversi<strong>ch</strong>erung 15% 12% 15%<br />

Motorfahrzeuginsassen Unfallversi<strong>ch</strong>erung 15% 12% 15%<br />

Übrige Kollektivunfallversi<strong>ch</strong>erungen 15% 12% 15%<br />

Obligatoris<strong>ch</strong>e Ni<strong>ch</strong>tberufsunfallversi<strong>ch</strong>erung<br />

Krankenversi<strong>ch</strong>erungen<br />

3% 3% 5%<br />

Obligatoris<strong>ch</strong>e KVG-Versi<strong>ch</strong>erung 1% 1% 3%<br />

Ambulante Heilbehandlungen 3% 3% 5%<br />

Stationäre Heilbehandlungen 3% 3% 5%<br />

Pflege 3% 5%<br />

Erwerbsausfall Einzel 7.5% 6% 9%<br />

Erwerbsausfall Kollektiv<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>t-, Fahrzeug- und Transportversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen<br />

7.5% 6% 9%<br />

Motorfahrzeughaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung 4% 4% 4%<br />

Übrige Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen 15% 12% 18%<br />

See-, Luftfahrt- und Transportversi<strong>ch</strong>erung 15% 12% 18%<br />

Berufshaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung 15% 12% 18%<br />

Allgemeine Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung 15% 12% 18%<br />

Feuer-, Elementar- und übrige Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen 15% 12% 18%<br />

Feuerversi<strong>ch</strong>erung 15% 12% 18%<br />

Elementars<strong>ch</strong>adenversi<strong>ch</strong>erung 15% 12% 18%<br />

Übrige Sa<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>äden<br />

Übrige Versi<strong>ch</strong>erungen<br />

Kreditversi<strong>ch</strong>erung<br />

15% 12% 18%<br />

Kautionsversi<strong>ch</strong>erung<br />

Vers<strong>ch</strong>iedene finanzielle Verluste<br />

15% 10% 18%<br />

Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz 15% 12% 18%<br />

Verkehrsserviceversi<strong>ch</strong>erung 15% 12% 18%<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen 4% 3.5% 5%<br />

Bemerkungen: Die Bandbreite Minimum – Maximum bezieht si<strong>ch</strong> auf die VU. Lesebeispiel: Der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker bekommt bei<br />

Krankenttaggeldversi<strong>ch</strong>erungen normalerweise eine Bestandes-Courtage in der Höhe von 7.5 Prozent. Es gibt aber au<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erer,<br />

die eine Courtage in der Höhe von 6 Prozent und sol<strong>ch</strong>e, die eine Courtage in der Höhe von 9 Prozent gewähren.<br />

Quelle: Angaben eines Versi<strong>ch</strong>erungsbrokers<br />

5.6.4.4 Das Maklerges<strong>ch</strong>äft mit Privatkunden und Kleinstunternehmen<br />

Wie wir in Abs<strong>ch</strong>nitt 5.6.1 ausgeführt haben, sind die Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und Versi<strong>ch</strong>erungsbroker im<br />

Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft viel bedeutender als dies im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft der Fall ist. Im Firmenkundenge-<br />

s<strong>ch</strong>äft hängt die Bedeutung der Broker darüber hinaus von der Grösse der Firmenkunden ab: Je grösser<br />

die Unternehmen, desto höher ist die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, dass das Unternehmen von einem Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsbroker betreut wird.<br />

Es stellen si<strong>ch</strong> unmittelbar zwei Fragen:<br />

■ Warum konnten si<strong>ch</strong> die ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>-<br />

setzen?<br />

Courtagen Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen<br />

130


5 Marktanalyse<br />

■ Was sind die Gründe für die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Bedeutung der ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler im<br />

B2C- und B2B-Markt?<br />

Die Befragung von Versi<strong>ch</strong>erungsbroker und Versi<strong>ch</strong>erungsmakler hat gezeigt, dass die Antwort auf diese<br />

Fragen folgendermassen lautet: Die Makler- und Brokerents<strong>ch</strong>ädigungen sind im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft zu<br />

tief, um eine vertretbare Beratungsqualität anbieten zu können. Aus diesem Grund beraten die Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsbroker in der Regel nur die Inhaber und Ges<strong>ch</strong>äftsführer der Unternehmen, wel<strong>ch</strong>e die Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsbroker im Rahmen eines Brokermandats betreuen. Die Beratung der Inhaber und Ges<strong>ch</strong>äftsführer<br />

erfolgt dabei auf Wuns<strong>ch</strong> derselben, finanziell ist deren Betreuung für die Broker ni<strong>ch</strong>t interessant. Dass<br />

die Brokerents<strong>ch</strong>ädigung im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft ni<strong>ch</strong>t ausrei<strong>ch</strong>t, um eine entspre<strong>ch</strong>ende Beratungsqua-<br />

lität anbieten zu können, zeigt ein Projekt des marktführenden Versi<strong>ch</strong>erungsbrokers Kessler: Mitte der<br />

90er Jahre versu<strong>ch</strong>te Kessler im Segment wohlhabender Privatkunden Fuss zu fassen. Dabei mussten die<br />

Privatkunden Kessler zusätzli<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ädigen, da die Ents<strong>ch</strong>ädigungen der VU ni<strong>ch</strong>t ausrei<strong>ch</strong>ten, um den<br />

Beratungsaufwand zu decken. Das Projekt musste s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> aus betriebswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Gründen auf-<br />

gegeben werden, ist also ges<strong>ch</strong>eitert. Tabelle 20 zeigt exemplaris<strong>ch</strong> für einen mittelständis<strong>ch</strong>en verheira-<br />

teten Privatkunden mit zwei Kindern, mit wel<strong>ch</strong>en jährli<strong>ch</strong>en Courtagenerträgen ein Versi<strong>ch</strong>erungsmakler<br />

im Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben re<strong>ch</strong>nen kann.<br />

Tabelle 20: Maklerents<strong>ch</strong>ädigung im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

Beispiel: Privatkunde, Familie mit 2 Kinder, Mieter, keine Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung<br />

Versi<strong>ch</strong>erung Prämie<br />

(in CHF)<br />

Provision<br />

(in CHF)<br />

Provision<br />

(In %)<br />

Privathaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung 110 16.50 15.0%<br />

Hausratversi<strong>ch</strong>erung 400 60.00 15.0%<br />

Obligatoris<strong>ch</strong>e Motorfahrzeughaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung 600 24.00 4.0%<br />

Motorfahrzeug-Kaskoversi<strong>ch</strong>erung 900 135.00 15.0%<br />

Reiseversi<strong>ch</strong>erung 200 30.00 15.0%<br />

Re<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erung 200 30.00 15.0%<br />

Total 2’410 295.50 12.3%<br />

Quelle: Experteninterview mit einem Versi<strong>ch</strong>erungsmakler<br />

Gemäss den Experten der befragten Versi<strong>ch</strong>erungsbroker sind die Ents<strong>ch</strong>ädigungen au<strong>ch</strong> im Segment der<br />

Kleinstunternehmen des Firmenkundenges<strong>ch</strong>äfts oft zu tief, um die Aufwände des Brokers zu decken. Als<br />

Ri<strong>ch</strong>tlinie gilt gemäss den befragten Experten, dass Unternehmen mit weniger als 10 Bes<strong>ch</strong>äftigten oft<br />

ni<strong>ch</strong>t rentabel betreut werden können. Ein Versi<strong>ch</strong>erungsbroker hat uns einige Beispiele von Aufwands-<br />

und Ertragsre<strong>ch</strong>nungen vorgelegt, die diesen Sa<strong>ch</strong>verhalt bestätigen.<br />

Mit dem Problem, dass die Erträge die Aufwände bei Kleinstunternehmen oft ni<strong>ch</strong>t decken, gehen die<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsbroker folgendermassen um:<br />

■ Die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker akquirieren Kleinstunternehmen in der Regel ni<strong>ch</strong>t aktiv, sondern nur passiv.<br />

■ Die Verluste, die bei Kleinstunternehmen anfallen, werden mit Übers<strong>ch</strong>üssen der grösseren Unterneh-<br />

men quersubventioniert. Dass unter den Kunden von Maklern Quersubventionierungen stattfinden, hat<br />

au<strong>ch</strong> ein Makler im Rahmen der Vernehmlassung geltend gema<strong>ch</strong>t: «Da wir in jeder Versi<strong>ch</strong>erungssparte den<br />

Kunden [Privatkunden und KMU, BASS] aufzeigen, wel<strong>ch</strong>e Mögli<strong>ch</strong>keiten und Alternativen für sie im Markt bestehen [...], müssen<br />

wir Ges<strong>ch</strong>äfte, wel<strong>ch</strong>e finanziell für uns grundsätzli<strong>ch</strong> Verluste einfahren (z.B. der ganze Aufwand für Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen)<br />

dur<strong>ch</strong> andere Ges<strong>ch</strong>äfte (z.B. Abs<strong>ch</strong>lüsse im Berei<strong>ch</strong> Einzelleben) "quersubventionieren".» (A. S<strong>ch</strong>mid & Partner 2009, 1).<br />

131


5 Marktanalyse<br />

■ Es gibt Versi<strong>ch</strong>erungsbroker, die si<strong>ch</strong> die Aufwände, die über die Brokerents<strong>ch</strong>ädigung hinausrei<strong>ch</strong>en,<br />

von den Kleinstunternehmen zusätzli<strong>ch</strong> auf Honorarbasis ents<strong>ch</strong>ädigen lassen.<br />

Die Rentabilität eines Kleinstunternehmens für einen Versi<strong>ch</strong>erungsbroker hängt allerdings au<strong>ch</strong> davon ab,<br />

wie lange das Brokermandat besteht. Dieser Sa<strong>ch</strong>verhalt ist darauf zurückzuführen, dass im ersten Jahr<br />

der Kundenbetreuung oft überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> hohe Kosten anfallen (hoher initialer Beratungsaufwand).<br />

Aus diesem Grund sind die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker im Kleinstkundenges<strong>ch</strong>äft dem ökonomis<strong>ch</strong>en Anreiz<br />

ausgesetzt, mit den Kunden eine mögli<strong>ch</strong>st stabile und langfristige Ges<strong>ch</strong>äftsbeziehung aufzubauen.<br />

Die betriebswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Rahmenbedingungen im Kleinstkundenges<strong>ch</strong>äft dürften letztli<strong>ch</strong> der Grund<br />

dafür sein, dass der Agentenkanal in diesem Segment des Firmenkundenges<strong>ch</strong>äfts na<strong>ch</strong> wie vor der be-<br />

deutendste und stärkste Vertriebskanal ist.<br />

5.6.4.5 Die ökonomis<strong>ch</strong>e Funktion von Maklerpools<br />

Die VU diskriminieren zwis<strong>ch</strong>en den vers<strong>ch</strong>iedenen Arten von Versi<strong>ch</strong>erungsmaklern und Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

brokern. Zumeist gibt es eine Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en A-, B- und C-Makler bzw. -Broker. Die Unter-<br />

s<strong>ch</strong>eidung basiert im Wesentli<strong>ch</strong>en auf dem Prämienvolumen, das die Makler bzw. Broker in ihrem Kun-<br />

denportfolio halten. Das Rating der Makler und Broker wirkt si<strong>ch</strong> auf die Höhe der Ents<strong>ch</strong>ädigung aus,<br />

wel<strong>ch</strong>e die Makler bzw. Broker von den VU erhalten. Dabei gilt grundsätzli<strong>ch</strong>: Je höher das Prämienvolu-<br />

men, das ein Versi<strong>ch</strong>erungsbroker bei einem VU platziert hat, desto höher die Courtage. Ni<strong>ch</strong>t zuletzt vor<br />

diesem Hintergrund haben si<strong>ch</strong> Maklerpools gebildet, wel<strong>ch</strong>e das Prämienvolumen einer Vielzahl von<br />

kleinen Maklern bündeln und so in den Genuss höherer Ents<strong>ch</strong>ädigungen dur<strong>ch</strong> die VU kommen.<br />

Allerdings kann die Funktion von Maklerpools ni<strong>ch</strong>t auf die Bündelung der Na<strong>ch</strong>frage reduziert werden.<br />

Ruedi Würgler, Mitglied der Ges<strong>ch</strong>äftsleitung des Maklerpools TVT Travex Versi<strong>ch</strong>erungsTreuhand AG,<br />

ma<strong>ch</strong>t folgende Nutzen geltend, die den Makler und Brokern zukommen, die si<strong>ch</strong> einem Maklerpool<br />

ans<strong>ch</strong>liessen:<br />

■ Zugang zu allen im Markt verfügbaren Produkten: Kleine Makler und Broker haben zu gewissen Pro-<br />

dukten der VU keinen Zugang, da sie zu klein sind: Die Zusammenarbeit mit diesen kleinen Maklern und<br />

Brokern wäre für die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen zu aufwändig. Der Zugang zu allen Produkten erhöht die<br />

Wettbewerbsfähigkeit der dem Maklerpool anges<strong>ch</strong>lossenen Vermittler gegenüber den gebundenen Ver-<br />

mittlern, da si<strong>ch</strong> diese bei den Kunden der Makler und Broker ni<strong>ch</strong>t mehr mit exklusiven Produkten profi-<br />

lieren können.<br />

■ Bündelung der Na<strong>ch</strong>frage → höhere Einkaufsma<strong>ch</strong>t → bessere Konditionen: höhere Courtagen, Ab-<br />

s<strong>ch</strong>lussprovisionen und Superprovisionen.<br />

■ Tiefere Betriebskosten: Teilweise übernehmen die Maklerpools von den anges<strong>ch</strong>lossenen Vermittlern<br />

Aufgaben (Beispiel: Marktscreening, Erstellen von Preis-Leistungs-Verglei<strong>ch</strong>en, Fakturierung etc.). Auf-<br />

grund von economies of scale resultiert dieses Outsourcing von Aufgaben an den Maklerpool in tieferen<br />

Betriebskosten.<br />

■ Zugang zu vertieften Marktkenntnissen: Der Maklerpool verfügt aufgrund des hohen Prämienvolumens<br />

über Erfahrungen mit allen im Markt verfügbaren Produkten. Der Maklerpool ermögli<strong>ch</strong>t den kleinen<br />

Maklern und Brokern Zugang zu vertieften Marktkenntnissen.<br />

5.6.5 Der Vertrieb über Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und Strukturbetriebe<br />

Die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsagenten auf der einen Seite und Makler bzw. Broker auf der<br />

anderen Seite wird der Marktrealität ni<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>t: Im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt gibt es au<strong>ch</strong> soge-<br />

132


5 Marktanalyse<br />

nannte Mehrfa<strong>ch</strong>agenten. Mehrfa<strong>ch</strong>agenten stellen eine Mis<strong>ch</strong>form zwis<strong>ch</strong>en Maklern bzw. Brokern und<br />

Agenten dar: Sie vertreiben grundsätzli<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte von wenigen, ausgewählten Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsunternehmen. Vielfa<strong>ch</strong> vertreiben die Mehrfa<strong>ch</strong>agenten in einem Produktteilmarkt nur die Produkte<br />

eines einzigen Unternehmens. Das Problem bei den Mehrfa<strong>ch</strong>agenten besteht darin, dass sie si<strong>ch</strong> zumeist<br />

als «unabhängige Makler » bezei<strong>ch</strong>nen, obwohl sie – bezügli<strong>ch</strong> eines Teilmarkts – nur die Produkte eines<br />

einzigen Anbieters oder weniger Anbieter empfehlen und vertreiben und somit als gebundene Vermittler<br />

zu qualifizieren sind.<br />

Es können drei Arten von Mehrfa<strong>ch</strong>agenten differenziert werden:<br />

■ Ein-Personen-Mehrfa<strong>ch</strong>agenten, die auf Basis von Bestandes-Courtagen arbeiten: Vielfa<strong>ch</strong> han-<br />

delt es si<strong>ch</strong> bei Mehrfa<strong>ch</strong>agenten um Ein-Personen-Unternehmen. Teilweise sind diese Mehrfa<strong>ch</strong>agenten<br />

in Bürogemeins<strong>ch</strong>aften organisiert, um Skaleneffekte im <strong>admin</strong>istrativen Berei<strong>ch</strong> ausnutzen zu können.<br />

Die an einer sol<strong>ch</strong>en Bürogemeins<strong>ch</strong>aft anges<strong>ch</strong>lossenen Mehrfa<strong>ch</strong>agenten arbeiten faktis<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> auf<br />

eigene Re<strong>ch</strong>nung. Sofern die Ein-Personen-Mehrfa<strong>ch</strong>agenten auf der Basis von Bestandes-Courtagen<br />

arbeiten (z.B. indem sie si<strong>ch</strong> einem Maklerpool ans<strong>ch</strong>liessen), sind sie den glei<strong>ch</strong>en ökonomis<strong>ch</strong>en Rah-<br />

menbedingungen und Anreizen ausgesetzt wie die Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und Versi<strong>ch</strong>erungsbroker. Wie<br />

bereits oben ausgeführt, ist die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und Versi<strong>ch</strong>erungsmakler<br />

eine fliessende.<br />

■ Ein-Personen-Mehrfa<strong>ch</strong>agenten, die auf der Basis von Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen arbeiten: Es gibt<br />

au<strong>ch</strong> Mehrfa<strong>ch</strong>agenten, die ni<strong>ch</strong>t das gesamte Betreuungsspektrum eines Versi<strong>ch</strong>erungsmaklers anbieten<br />

und von den VU deshalb ni<strong>ch</strong>t im Rahmen von Bestandes-Courtagen, sondern im Rahmen von Abs<strong>ch</strong>luss-<br />

provisionen ents<strong>ch</strong>ädigt werden.<br />

■ Strukturbetriebe: Bei Strukturbetrieben handelt es si<strong>ch</strong> um grössere Unternehmen, für wel<strong>ch</strong>e eine<br />

Vielzahl von Mehrfa<strong>ch</strong>agenten arbeiten. Bei diesen handelt es si<strong>ch</strong> oft um s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t ausgebildete Querein-<br />

steiger. Typis<strong>ch</strong>erweise werden diese ‚Hardseller’ ni<strong>ch</strong>t auf Basis der Bestandes-Courtagen ents<strong>ch</strong>ädigt, die<br />

dem Strukturbetrieb von den VU zufliessen. Vielmehr werden sie von den Strukturbetrieben stark ab-<br />

s<strong>ch</strong>lussorientiert mittels Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen incentiviert.<br />

Wie bereits erwähnt, unterliegen Mehrfa<strong>ch</strong>agenten, die auf der Basis von Bestandes-Courtagen arbeiten,<br />

den glei<strong>ch</strong>en ökonomis<strong>ch</strong>en Rahmenbedingungen wie Versi<strong>ch</strong>erungsmakler- und Versi<strong>ch</strong>erungsbroker: Sie<br />

sind darauf angewiesen, langfristig ein hohes Prämienvolumen akkumulieren zu können, was zufriedene<br />

Kunden voraussetzt.<br />

Problematis<strong>ch</strong> sind hingegen die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize, denen die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler der Struktur-<br />

betriebe und Mehrfa<strong>ch</strong>agenten, die auf der Basis von Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen arbeiten, ausgesetzt sind: Da<br />

die Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen den grössten Teil ihres Einkommens ausma<strong>ch</strong>en, sind sie darauf angewiesen,<br />

mögli<strong>ch</strong>st viele Abs<strong>ch</strong>lüsse zu realisieren.<br />

Besonders aktiv sind die Mehrfa<strong>ch</strong>agenten im Berei<strong>ch</strong> der Krankenversi<strong>ch</strong>erungen (obligatoris<strong>ch</strong>e Kran-<br />

kenpflegeversi<strong>ch</strong>erung und freiwillige Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung) und im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi-<br />

<strong>ch</strong>erungen. Dieser Sa<strong>ch</strong>verhalt ist ökonomis<strong>ch</strong> logis<strong>ch</strong>, da das zentrale Element der Vermittlerents<strong>ch</strong>ädi-<br />

gung in diesen Bran<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t Bestandes-Courtagen, sondern Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen sind. So führt der<br />

Krankenversi<strong>ch</strong>erer KPT in seiner Vernehmlassungsantwort zur Totalrevision des <strong>VVG</strong> aus: «Im Allgemeinen<br />

ist die Bestimmung no<strong>ch</strong> zu präzisieren. So sollte es aus unserer Si<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t mehr zulässig sein, dass die erhaltenen<br />

Provisionen ein Mehrfa<strong>ch</strong>es der ersten Jahresprämie betragen, wie es heute mitunter gängige Praxis ist, au<strong>ch</strong> im Be-<br />

rei<strong>ch</strong> der Krankenpflege-Zusatzversi<strong>ch</strong>erungen.» (KPT 2009, 5).<br />

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen erstaunt es ni<strong>ch</strong>t, dass si<strong>ch</strong> ein grosser Teil der Bes<strong>ch</strong>werden,<br />

die bei der Vermittleraufsi<strong>ch</strong>t tagtägli<strong>ch</strong> eingehen, auf Mehrfa<strong>ch</strong>agenten sowie VI von Strukturbetrieben<br />

133


5 Marktanalyse<br />

und auf Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte beziehen, bei wel<strong>ch</strong>en der zentrale Bestandteil der Vermittlerents<strong>ch</strong>ädi-<br />

gung ni<strong>ch</strong>t Bestandesprovisionen, sondern Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen sind.<br />

5.7 Konsumentens<strong>ch</strong>utzbedarf im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt<br />

Da die Totalrevision des <strong>VVG</strong> den Anspru<strong>ch</strong> hat, die VN besser zu s<strong>ch</strong>ützen, stellt si<strong>ch</strong> die Frage, ob und in<br />

wel<strong>ch</strong>em Ausmass die VN überhaupt s<strong>ch</strong>utzbedürftig sind. Des Weiteren stellt si<strong>ch</strong> die Frage, wel<strong>ch</strong>e VN<br />

(besonders) s<strong>ch</strong>utzbedürftig sind. Diese Fragen sind letztli<strong>ch</strong> empiris<strong>ch</strong>er Natur. Die Totalrevision des <strong>VVG</strong><br />

wird si<strong>ch</strong> daran messen lassen müssen, inwiefern die Revision die empiris<strong>ch</strong> identifizierten Probleme und<br />

Marktunvollkommenheiten im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt, von wel<strong>ch</strong>en die Konsumenten betroffen<br />

sind, wird reduzieren können.<br />

Im Folgenden werden wir zusammenfassen, wel<strong>ch</strong>e Problemstellungen aus der Si<strong>ch</strong>t der VN es im S<strong>ch</strong>wei-<br />

zer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt gibt. Die Ausführungen beruhen auf folgenden Quellen:<br />

■ Jahresberi<strong>ch</strong>te der Ombudsstelle der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA 2006-2009<br />

■ Jahresberi<strong>ch</strong>t der Ombudsstelle Krankenversi<strong>ch</strong>erung 2009<br />

■ Experteninterview mit Vertretern der Konsumentens<strong>ch</strong>utzorganisation FRC<br />

■ Experteninterviews mit Vertretern der Konsumentenpresse: Doris Huber, Regina Jäggi und Marcel Wei-<br />

gele der Konsumentenzeits<strong>ch</strong>rift «Beoba<strong>ch</strong>ter»; Ernst Meierhofer und Beatrice Walter der Konsumenten-<br />

zeits<strong>ch</strong>rift «K-Tipp»: Zur Gesprä<strong>ch</strong>svorbereitung wurde von den Beratern des K-Tipp im Vorfeld des Exper-<br />

teninterviews mit Meierhofer und Walder eine Sitzung dur<strong>ch</strong>geführt.<br />

■ Interview mit einem Experten der FINMA<br />

Die Fragestellungen, mit wel<strong>ch</strong>en die Beratungszentren des K-Tipp und des Beoba<strong>ch</strong>ters, die Ombudsstelle<br />

der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA und die Ombudsstelle Krankenversi<strong>ch</strong>erung konfrontiert werden,<br />

sind grundsätzli<strong>ch</strong> sehr heterogen, so dass eine Zusammenfassung s<strong>ch</strong>wierig ist. Die Heterogenität der<br />

Anfragen und Bes<strong>ch</strong>werden, mit wel<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> die Ombudsstelle der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA zu<br />

befassen hat, ma<strong>ch</strong>t exemplaris<strong>ch</strong> das folgende Zitat deutli<strong>ch</strong>:<br />

«Bei den Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen stand meist die Leistungsseite im Vordergrund. Beklagt wurden aber au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>leppende<br />

S<strong>ch</strong>adensbearbeitung, Fals<strong>ch</strong>beratung betreffend Deckungsumfang, ni<strong>ch</strong>t akzeptierte Kündigungen, Probleme wegen<br />

Doppelversi<strong>ch</strong>erungen und als zu weitgehend befundene Ermä<strong>ch</strong>tigungsklauseln in Antragsformularen. Gehäuft<br />

hatten si<strong>ch</strong> zudem die Fälle, bei denen wegen unbezahlt gebliebener Prämien die Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ruhte und<br />

ein in dieser Zeit eingetretener S<strong>ch</strong>aden vom Versi<strong>ch</strong>erer ni<strong>ch</strong>t übernommen wurde.» (Ombudsfrau 2008, 8)<br />

Diese Heterogenität dürfte letztli<strong>ch</strong> darauf zurückzuführen sein, dass der Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag eine äus-<br />

serst komplexes Produkt mit einer Vielzahl von relevanten Eigens<strong>ch</strong>aften und Dimensionen ist. Denno<strong>ch</strong><br />

sind folgenden allgemeinen Aussagen mögli<strong>ch</strong>:<br />

■ Die Probleme bei den Lebensversi<strong>ch</strong>erungen betreffen eher den Vertragss<strong>ch</strong>luss, während bei den<br />

Gesundheits- und Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen eher die Leistungsseite Anlass zu Auseinandersetzungen zwi-<br />

s<strong>ch</strong>en VU und VN gibt (vgl. Ombudsfrau 2006, 8 und Abbildung 7).<br />

■ Vertragswidriges Verhalten der VU s<strong>ch</strong>eint eher selten zu sein: Bei der Ombudsstelle der Privatversi<strong>ch</strong>e-<br />

rung und der SUVA gab es im Jahr 2009 bei 2'921 <strong>VVG</strong>-relevanten Anliegen und Bes<strong>ch</strong>werden nur gera-<br />

de in 336 Fällen (11.6 Prozent der 2'921 Anliegen) Interventionen bei den VU (vgl. Abbildung 8). Die<br />

zwei hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Probleme sind Informationsdefizite der VN und – damit zusammenhängend – die<br />

Zei<strong>ch</strong>nung von Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen, die für die VN ni<strong>ch</strong>t optimal sind.<br />

■ Die Probleme betreffen fast auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> das Privatkundenges<strong>ch</strong>äft. Vor dem Hintergrund der<br />

uns zur Verfügung stehen Informationen ziehen wir den S<strong>ch</strong>luss, dass es im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft keine<br />

134


5 Marktanalyse<br />

grösseren Probleme und Marktunvollkommenheiten gibt. Von den 4'210 Anfrage, wel<strong>ch</strong>e die Om-<br />

budsstelle der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA im Jahr 2009 verzei<strong>ch</strong>neten, stammten nur gerade 364<br />

von Unternehmen. Die einzige Aussage, die si<strong>ch</strong> explizit auf die Anfragen und Bes<strong>ch</strong>werden von juristi-<br />

s<strong>ch</strong>en Personen beziehen, kann dem Jahresberi<strong>ch</strong>t 2008 der Ombudsstelle der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der<br />

SUVA entnommen werden: «Unternehmen, Behörden und Organisationen wiederum nahmen unsere Dienste<br />

hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> zu den Themen allgemeine Haftpfli<strong>ch</strong>t und Kollektivkrankenversi<strong>ch</strong>erungen in Anspru<strong>ch</strong>.» (Ombudsfrau<br />

2008, 6).<br />

Vor dem Hintergrund der dur<strong>ch</strong>geführten Experteninterviews und der Jahresberi<strong>ch</strong>te der Ombudsstelle der<br />

Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA, kann darüber hinaus der S<strong>ch</strong>luss gezogen werden, dass aus Si<strong>ch</strong>t des<br />

Konsumentens<strong>ch</strong>utzes die folgenden Problemstellungen wesentli<strong>ch</strong> sind, die zu Wohlfahrtsverlusten füh-<br />

ren können:<br />

■ Informationsdefizite der VN (Abs<strong>ch</strong>nitt 5.7.1)<br />

■ Ex ante Opportunismus und S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung der Vermittler (Abs<strong>ch</strong>nitt 5.7.2)<br />

■ Vertragslaufzeit und Kündigungsre<strong>ch</strong>te (Abs<strong>ch</strong>nitt 5.7.3)<br />

■ Risikoselektion der VU<br />

Abbildung 7: Qualität der <strong>VVG</strong>-relevanten Anliegen und Bes<strong>ch</strong>werden (ohne BVG und UVG) bei der<br />

Ombudsstelle der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA im Jahr 2009<br />

T O T A L V V G<br />

Leben<br />

Hausrat<br />

Autohaftpfli<strong>ch</strong>t<br />

Gebäude/Glas<br />

Krankheit<br />

Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz<br />

Fahrzeugkasko<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>t<br />

Feuer/Elementar<br />

Diebstahl<br />

Unfall privat<br />

Wasser<br />

Reise<br />

Kreditgarantie<br />

Vertrag Kündigung Leistung / S<strong>ch</strong>adenerledigung Diverses<br />

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%<br />

in % der Anliegen und Bes<strong>ch</strong>werden<br />

Vertrag: Deckungsumfang; Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung; Rückkauf (Lebensversi<strong>ch</strong>erung); Anpassung an neue AVB; Handänderung /<br />

Wegfall des Versi<strong>ch</strong>erungsrisikos<br />

Kündigung: Prämienanpassung; Unteilbarkeit der Prämie; Bonus/Malus; Selbstbehalt<br />

Leistung/S<strong>ch</strong>adenerledigung: Versi<strong>ch</strong>erungsleistung (ungenügend/Ablehnung); Unterversi<strong>ch</strong>erung; Kürzung der Leistungspfli<strong>ch</strong>t /<br />

Regressforderung; Verjährung<br />

Diverses: Allgemeine Versi<strong>ch</strong>erungsinformation; Verfahrensabläufe; Beratung<br />

Quelle: Ombudsfrau (2009b, 8)<br />

135


5 Marktanalyse<br />

Abbildung 8: Anzahl <strong>VVG</strong>-relevanter Interventionen (ohne UVG und BVG) der Ombudsstelle der<br />

Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA na<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en im Jahr 2009<br />

Quelle: Ombudsfrau (2009b, 4)<br />

5.7.1 Informationsdefizite der VN<br />

Im Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.3 sind wir bereits im Detail darauf eingegangen, wel<strong>ch</strong>e Informationsdefizite differenziert<br />

werden können, was die Ursa<strong>ch</strong>en für diese Informationsdefizite sind und inwiefern sie zu Wohlfahrtsver-<br />

lusten führen können. Vor dem Hintergrund der verfügbaren empiris<strong>ch</strong>en Informationen kann festgehal-<br />

ten werden, dass die Informationsdefizite der VN das s<strong>ch</strong>werwiegendste Problem des S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsmarktes darstellen. Dies äusserst si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zuletzt darin, dass die Aufgabe der Ombudsstelle der<br />

Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA im Wesentli<strong>ch</strong>en darin besteht, die VN über ausgewählte Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags zu informieren, den sie gezei<strong>ch</strong>net haben. Dies ist der Grund, weshalb die Om-<br />

budsstelle nur gerade bei jeder Zehnten der 3'508 Anfragen, für wel<strong>ch</strong>e sie im Jahr 2009 zuständig war,<br />

eine Intervention vornehmen musste.<br />

Die verfügbaren empiris<strong>ch</strong>en Informationen lassen den S<strong>ch</strong>luss zu, dass die Informationsdefizite, die im<br />

S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt zu Wohlfahrtseinbussen führen, insbesondere die folgenden Vertragsin-<br />

halte betreffen:<br />

■ Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse<br />

■ Vertragslaufzeit und Kündigungsre<strong>ch</strong>t (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 5.7.3)<br />

■ Verjährung von Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag na<strong>ch</strong> 2 Jahren<br />

■ Bedeutung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen und Re<strong>ch</strong>tsfolgen bei Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverlet-<br />

zungen<br />

Leben<br />

Krankheit<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>t<br />

Autohaftpfli<strong>ch</strong>t<br />

Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz<br />

Kasko<br />

Hausrat<br />

Unfall privat<br />

Reise<br />

Wasser<br />

Kreditgarantie<br />

Diebstahl<br />

Feuer<br />

Gebäude<br />

Elementar<br />

■ Lebensversi<strong>ch</strong>erungen: Zillmerung, Risiken von fondsgebundenen Produkten, Abs<strong>ch</strong>luss- und Verwal-<br />

tungskosten<br />

2<br />

1<br />

0<br />

8<br />

6<br />

5<br />

13<br />

12<br />

23<br />

23<br />

21<br />

36<br />

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90<br />

48<br />

55<br />

Anzahl <strong>VVG</strong>-relevante Fälle<br />

mit Intervention: 336<br />

Anzahl Interventionen<br />

82<br />

136


5 Marktanalyse<br />

Die Bedeutung von Informationsdefiziten der VN liegt ni<strong>ch</strong>t zuletzt au<strong>ch</strong> darin, dass sie ex ante Opportu-<br />

nismus der Vermittler und ex post Opportunismus der VU ermögli<strong>ch</strong>en.<br />

5.7.2 Ex ante Opportunismus und S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung der Vermittler<br />

Bereits im Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.3.4 haben wir einige empiris<strong>ch</strong>e Evidenz für ex ante Opportunismus und<br />

S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung dur<strong>ch</strong> die Vermittler dargestellt. Von ex ante Opportunismus der Vermittler kann dann<br />

gespro<strong>ch</strong>en werden, wenn die Vermittler einen VN dahingehend beraten, dass dieser einen Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvertrag zei<strong>ch</strong>net, der ni<strong>ch</strong>t seinen Nutzen, sondern vielmehr den Provisionsertrag des Vermittlers<br />

maximiert. Dabei ist grundsätzli<strong>ch</strong> anzumerken, dass S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung bei gebundenen Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

agenten anders zu definieren ist als bei ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern. So liegt bei einem ge-<br />

bundenen Versi<strong>ch</strong>erungsagenten keine S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung vor, wenn dieser einem VN einen Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvertrag verkauft, der mit den Bedürfnissen des VN korrespondiert, obwohl es den glei<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvertrag bei einem konkurrierenden VU günstiger gäbe. Den Aspekt des Wettbewerbs darf also bei<br />

der Beurteilung der Beratung dur<strong>ch</strong> einen gebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsagenten ni<strong>ch</strong>t berücksi<strong>ch</strong>tigt wer-<br />

den, was bei einem ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsmakler ni<strong>ch</strong>t zutrifft. Damit ist der Begriff der S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t-<br />

beratung bei gebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsagenten allerdings ni<strong>ch</strong>t inhaltsleer. Eine S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung liegt<br />

bei einem gebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsagenten in zwei Fälle vor:<br />

■ Der Versi<strong>ch</strong>erungsagent verkauft dem VN einen Vertrag, der für diesen eine negative Konsumentenren-<br />

te aufweist.<br />

■ Der Versi<strong>ch</strong>erungsagent verkauft dem VN einen Vertrag, obwohl er in seinem Produktportfolio einen<br />

anderen Vertrag hätte, der für den VN geeigneter in dem Sinne wäre, dass er ihm das Errei<strong>ch</strong>en eines<br />

höheren Nutzenniveaus ermögli<strong>ch</strong>en würde.<br />

Der kritis<strong>ch</strong>e Leser mag der Ansi<strong>ch</strong>t sein, dass dies überzogene Anforderungen an die Qualität der Bera-<br />

tung dur<strong>ch</strong> einen gebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsagenten sind: Es muss dem Versi<strong>ch</strong>erungsagenten analog zu<br />

einem Verkäufer von Fernsehgeräten do<strong>ch</strong> erlaubt sein, dasjenige Produkt zu empfehlen, das seinen Er-<br />

trag oder seinen Gewinn maximiert. Dies ist jedo<strong>ch</strong> deshalb ni<strong>ch</strong>t der Fall, weil die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en<br />

Agent und VN im Gegensatz zur Beziehung zwis<strong>ch</strong>en Käufer und Fernsehverkäufer eine Vertrauensbe-<br />

ziehung ist, was einer der befragten Experten der VU folgendermassen formuliert hat: «Das Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsges<strong>ch</strong>äft ist ein Vertrauensges<strong>ch</strong>äft». Die Vertrauensbeziehung zwis<strong>ch</strong>en VN und Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

mittler zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> aus, dass si<strong>ch</strong> der VN bewusst ist, dass er substantiellen Informationsdefizi-<br />

ten ausgesetzt ist. Er beanspru<strong>ch</strong>t die Dienste eines Vermittlers, weil er die Su<strong>ch</strong>kosten ni<strong>ch</strong>t aufwenden<br />

will, die notwendig wären, um seine Informationsdefizite zu beseitigen: Er ersetzt die Informations- und<br />

Su<strong>ch</strong>aktivitäten mit Vertrauen in den Vermittler – wenn dies ni<strong>ch</strong>t so wäre, käme er gar nie in Kontakt mit<br />

einem Vermittler; vielmehr würde er seinen Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz direkt online einkaufen. Dieses Vertrau-<br />

en, das der VN dem Vermittler entgegenbringt, ist volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> ho<strong>ch</strong> produktiv, weil dadur<strong>ch</strong> sub-<br />

stantielle Kosten der Informationssu<strong>ch</strong>e eingespart werden können. Vertrauen ist die Grundlage des Tau-<br />

s<strong>ch</strong>es, der zwis<strong>ch</strong>en VN und Vermittler stattfindet: Der Vermittler berät den VN optimal und der VN kauft<br />

beim Vermittler, der ihn beraten hat, ein Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt, sofern es im Produktportfolio des Vermitt-<br />

lers eines gibt, das für den VN eine positive Konsumentenrente aufweist. Missbrau<strong>ch</strong>t ein Vermittler dieses<br />

Vertrauen (was die Ökonomen Opportunismus nennen), verni<strong>ch</strong>tet er die Voraussetzung, auf der seine<br />

Ges<strong>ch</strong>äftsbeziehung mit dem VN beruht. Deshalb ist der Vermittler – nota bene: ni<strong>ch</strong>t nur moralis<strong>ch</strong>, son-<br />

dern au<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong> – verpfli<strong>ch</strong>tet, das Vertrauen, das der VN in ihn setzt, ni<strong>ch</strong>t zu missbrau<strong>ch</strong>en.<br />

137


5 Marktanalyse<br />

Wie si<strong>ch</strong> ex ante Opportunismus äussern kann<br />

Ex ante Opportunismus der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler kann si<strong>ch</strong> in vers<strong>ch</strong>iedenen Verhaltensweisen äus-<br />

sern:<br />

■ Täus<strong>ch</strong>ung und Irreführung: Täus<strong>ch</strong>ung und Irreführung treten in Form folgender Verhaltensweisen<br />

auf: (1) Offenbar kommt es immer wieder vor, dass VN im Irrtum Kündigungen bestehender Versi<strong>ch</strong>erun-<br />

gen und/oder verbindli<strong>ch</strong>e Anträge unters<strong>ch</strong>reiben, weil die Vermittler ihnen gesagt haben, dass es si<strong>ch</strong><br />

bei den zu unters<strong>ch</strong>reibenden Dokumenten nur um unverbindli<strong>ch</strong>e Offertanfragen bei vers<strong>ch</strong>iedenen VU<br />

handle. (2) Es gibt Vermittler, wel<strong>ch</strong>e die Bedeutung und die Re<strong>ch</strong>tsfolgen der vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeige-<br />

pfli<strong>ch</strong>ten herunterspielen oder die VN sogar zur unwahrheitsgemässen Erfüllung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t auf-<br />

fordern. (3) Vermittler üben auf die VN Druck aus, um die Vertragszei<strong>ch</strong>nung zu erzwingen – z.B. in dem<br />

sie den VN sagen, dass das Angebot nur gilt, wenn es soglei<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>rieben wird.<br />

■ Vers<strong>ch</strong>weigen von Informationen: Es kommt immer wieder vor, dass die Vermittler Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags, die für den VN ents<strong>ch</strong>eidungsrelevant sind, im mündli<strong>ch</strong>en Beratungsgesprä<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t erwähnen, um den Vertragss<strong>ch</strong>luss ni<strong>ch</strong>t zu gefährden (vgl. au<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.3.4). Die typis<strong>ch</strong>en<br />

Beispiele sind: Vers<strong>ch</strong>weigen von Deckungsauss<strong>ch</strong>lüssen, Vers<strong>ch</strong>weigen von Vertragsrisiken (Risiko eines<br />

frühzeitigen Rückkaufs einer Sparversi<strong>ch</strong>erungspolice, Risiko von fondsgebundene Lebensversi<strong>ch</strong>erungen),<br />

Vers<strong>ch</strong>weigen der langen Vertragslaufzeit.<br />

■ Einseitige Darstellung von Vertragseigens<strong>ch</strong>aften und Fals<strong>ch</strong>informationen: Teilweise stellen die<br />

Vermittler den Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag, den sie verkaufen wollen, in einer Art und Weise dar, die an Irrefüh-<br />

rung und Täus<strong>ch</strong>ung grenzt. Das Standardbeispiel hierzu ist der Ausweis zu hoher Übers<strong>ch</strong>ussanteile auf-<br />

grund zu optimistis<strong>ch</strong>er Fondsrenditen bei anteilsgebundenen Lebensversi<strong>ch</strong>erungen (vgl. einen Artikel in<br />

der Beoba<strong>ch</strong>ter-Ausgabe 9/2010 52 ).<br />

■ Mangelnde Qualität der Beratung: S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung ist au<strong>ch</strong> dann mögli<strong>ch</strong>, wenn die Vermittler<br />

korrekt über den zu unterzei<strong>ch</strong>nenden informiert haben. Eine sol<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung ist dann gegeben,<br />

wenn die Vermittler dem VN einen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag empfehlen und s<strong>ch</strong>mackhaft ma<strong>ch</strong>en, der ni<strong>ch</strong>t<br />

auf die Bedürfnisse des VN zuges<strong>ch</strong>nitten ist. Typis<strong>ch</strong>es Beispiel ist der Verkauf von gemis<strong>ch</strong>ten Lebensver-<br />

si<strong>ch</strong>erungen (Sparversi<strong>ch</strong>erungen) an junge VN.<br />

Qualifizierung der opportunistis<strong>ch</strong>en Vermittler<br />

Bei den opportunistis<strong>ch</strong>en Vermittlern handelt es si<strong>ch</strong> zumeist um gebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler,<br />

wobei es insbesondere mit Mehrfa<strong>ch</strong>agenten Probleme gibt, die von den befragten Experten au<strong>ch</strong> «Struk-<br />

turbetriebe» genannt werden, wenn es si<strong>ch</strong> um grössere Unternehmen handelt. Mehrfa<strong>ch</strong>agenten erwe-<br />

cken bei den VN oft den Ans<strong>ch</strong>ein, ungebundene Makler zu sein, die auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> den Interessen der VN<br />

verpfli<strong>ch</strong>tet sind. Bei der Vermittleraufsi<strong>ch</strong>t der FINMA gibt es tägli<strong>ch</strong> Bes<strong>ch</strong>werden von VN, die si<strong>ch</strong> über<br />

ihre Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler bes<strong>ch</strong>weren. Mindestens 80% dieser Bes<strong>ch</strong>werden betreffen gebundene<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler – die meisten davon ni<strong>ch</strong>t im Vermittlerregister der FINMA registriert.<br />

Betroffene Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en<br />

Ex ante Opportunismus von Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern kann grundsätzli<strong>ch</strong> in allen Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en<br />

beoba<strong>ch</strong>tet werden. Besonders stark betroffen sind allerdings die Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen und die<br />

Lebensversi<strong>ch</strong>erungen:<br />

■ Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen: 95% der Bes<strong>ch</strong>werden dur<strong>ch</strong> VN, die bei der Vermittleraufsi<strong>ch</strong>t der<br />

FINMA registriert werden, betreffen die Krankenversi<strong>ch</strong>erung und damit oft au<strong>ch</strong> die Krankenzusatzversi-<br />

<strong>ch</strong>erung. Dabei ist rund die Hälfte dieser Bes<strong>ch</strong>werden unter der Rubrik «Irreführung und Täus<strong>ch</strong>ung» zu<br />

52 http://www.beoba<strong>ch</strong>ter.<strong>ch</strong>/geld-si<strong>ch</strong>erheit/versi<strong>ch</strong>erungen/artikel/rente_das-blaue-vom-himmel/<br />

138


5 Marktanalyse<br />

klassifizieren. Die Erfahrungen der Vermittleraufsi<strong>ch</strong>t der FINMA decken si<strong>ch</strong> mit den Aussagen der be-<br />

fragten Experten der Konsumentenpresse und deren Beri<strong>ch</strong>terstattung. Exemplaris<strong>ch</strong> verweisen wir auf<br />

zwei Artikel in der Konsumentenpresse: K-Tipp-Ausgabe Nr. 12, 16. Juni 2010, Seiten 26-27 und Beob-<br />

a<strong>ch</strong>ter-Ausgabe 11/2010 53 .<br />

■ Lebensversi<strong>ch</strong>erungen: Das Problem der S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung stellt si<strong>ch</strong> insbesondere bei den Lebensver-<br />

si<strong>ch</strong>erungen: Im Ges<strong>ch</strong>äft der Lebensversi<strong>ch</strong>erungen gibt es eine Vielzahl von Vermittlern, die keine Be-<br />

darfsabklärung ma<strong>ch</strong>en und den VN Lebensversi<strong>ch</strong>erungspolicen verkaufen, die ni<strong>ch</strong>t im geringsten auf<br />

deren Bedürfnisse abgestimmt sind. Dabei geht es im Wesentli<strong>ch</strong>en um gemis<strong>ch</strong>te Lebensversi<strong>ch</strong>erungen,<br />

au<strong>ch</strong> Sparversi<strong>ch</strong>erungen genannt, die gemäss den befragten Experten, (insbesondere au<strong>ch</strong> der befragten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsbroker, die mit Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen kein Geld verdienen,) erstens zu teuer sind und<br />

zweitens nur für eine sehr spezifis<strong>ch</strong>e Zielgruppe geeignet sind. Die oben genannten Strukturbetriebe<br />

veräussern die gemis<strong>ch</strong>ten Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen mit periodis<strong>ch</strong>er Prämienzahlung oft an junge VN,<br />

bei wel<strong>ch</strong>en die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit besonders ho<strong>ch</strong> ist, dass si<strong>ch</strong> deren Lebenssituation und damit deren<br />

Einkommenssituation dramatis<strong>ch</strong> verändern kann (Mutters<strong>ch</strong>aft, Vaters<strong>ch</strong>aft, S<strong>ch</strong>eidung, Ausbildung,<br />

Auslandsaufenthalte, Berufswe<strong>ch</strong>sel etc.). Dies führt dazu, dass die gezei<strong>ch</strong>neten Policen oft bereits na<strong>ch</strong><br />

wenigen Jahren zurückgekauft werden müssen. Beim frühzeitigen Rückkauf aber realisieren die VN massi-<br />

ve Verluste (bis zum Totalverlust). In Zusammenhang mit dem Verkauf von Sparversi<strong>ch</strong>erungen an unge-<br />

eignete Kundensegmente dur<strong>ch</strong> aggressive Mehrfa<strong>ch</strong>agenten verweisen wir exemplaris<strong>ch</strong> auf zwei Artikel<br />

in den Beoba<strong>ch</strong>ter-Ausgaben 6/2010 54 und 09/2010 55 .<br />

5.7.3 Vertragslaufzeit und Kündigungsre<strong>ch</strong>te<br />

Ex ante Opportunismus und S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung von Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler führen dazu, dass die VN einen<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag haben, der bezügli<strong>ch</strong> ihrer Bedürfnisse nur suboptimal ist und deshalb ni<strong>ch</strong>t dem<br />

Kriterium der Nutzenmaximierung genügt. Dies führt insbesondere dann zu Wohlfahrtsverlusten, wenn<br />

der VN den Vertrag ni<strong>ch</strong>t kündigen kann. Lange Vertragslaufzeiten sind gemäss den befragten Experten<br />

des Konsumentens<strong>ch</strong>utzes und der Konsumentenpresse ni<strong>ch</strong>t mehr zeitgemäss, da si<strong>ch</strong> die Lebenssituati-<br />

on der VN innert kürzester Zeit derart entwickeln kann, dass eine Anpassung des Versi<strong>ch</strong>erungsportfolios<br />

kurzfristig mögli<strong>ch</strong> sein muss. Lange Vertragslaufzeiten sind insbesondere im Berei<strong>ch</strong> der Krankenzusatz-<br />

versi<strong>ch</strong>erungen übli<strong>ch</strong>, es gibt sie aber au<strong>ch</strong> bei den Haftpfli<strong>ch</strong>t-, Hausrat- und Re<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erungen.<br />

Wie wir im Abs<strong>ch</strong>nitt 5.6 dargelegt haben, führt die Ents<strong>ch</strong>ädigung im Rahmen von Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen<br />

und Courtagen dazu, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler einen Anreiz haben, Versi<strong>ch</strong>erungsverträge mit<br />

langer, z.B. 5-jähriger Laufzeit zu verkaufen.<br />

5.7.4 Risikoselektion der VU<br />

Die Risikoselektion der VU äussert si<strong>ch</strong> in folgenden zwei Phänomenen:<br />

■ Vertragskündigung dur<strong>ch</strong> das VU, insbesondere Kündigung im S<strong>ch</strong>adensfall<br />

■ Ablehnung des Versi<strong>ch</strong>erungsantrags eines VN aufgrund seiner Angaben bei der Erfüllung der vorver-<br />

tragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t<br />

Die Beratungszentren des Beoba<strong>ch</strong>ters und des K-Tipp werden regelmässig mit dem Fall konfrontiert, dass<br />

ein VU einem VN den Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag kündigt, da die S<strong>ch</strong>adenshäufigkeit zu ho<strong>ch</strong> war. Diese VN<br />

53 http://www.beoba<strong>ch</strong>ter.<strong>ch</strong>/geld-si<strong>ch</strong>erheit/krankenkasse/artikel/versi<strong>ch</strong>erungsmakler_bloss-ni<strong>ch</strong>ts-unters<strong>ch</strong>reiben/<br />

54 http://www.beoba<strong>ch</strong>ter.<strong>ch</strong>/geld-si<strong>ch</strong>erheit/versi<strong>ch</strong>erungen/artikel/versi<strong>ch</strong>erungsmakler-wnb_die-versi<strong>ch</strong>erungs-amateure/<br />

55 http://www.beoba<strong>ch</strong>ter.<strong>ch</strong>/geld-si<strong>ch</strong>erheit/versi<strong>ch</strong>erungen/artikel/rente_das-blaue-vom-himmel/<br />

139


5 Marktanalyse<br />

haben Probleme, wieder einen Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz zu finden. Ni<strong>ch</strong>t zuletzt deshalb, weil im Rahmen der<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten gefragt wird, ob der Vorversi<strong>ch</strong>erer dem VN gekündigt hat.<br />

Die Kündigung im S<strong>ch</strong>adensfall ist offenbar au<strong>ch</strong> eine Problemstellung, die von den Konsumenten an die<br />

Ombudsstelle der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA herangetragen wird: «Auffällig sind im Berei<strong>ch</strong> der Haus-<br />

rat-, Haftpfli<strong>ch</strong>t- und Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erungen die si<strong>ch</strong> häufenden Klagen über Kündigung im S<strong>ch</strong>adensfall. Auf-<br />

grund der zunehmenden Zahl deswegen unterbreiteter Fälle entsteht der Eindruck, einzelne Gesells<strong>ch</strong>aften würden so<br />

Policensanierung betreiben» (zitiert na<strong>ch</strong> einem Artikel in der Beoba<strong>ch</strong>ter-Ausgabe 23/2004 56 ).<br />

Exemplaris<strong>ch</strong> verweisen wir in Zusammenhang mit der Risikoselektion der VU auf folgende zwei Artikel im<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter:<br />

■ Kündigung im S<strong>ch</strong>adensfall: Beoba<strong>ch</strong>ter-Ausgabe 23/2004 57 .<br />

■ Ablehnung von Versi<strong>ch</strong>erungsanträge in der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung: Beoba<strong>ch</strong>ter-Ausgabe<br />

13/2007 58 .<br />

Aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t stellt die Risikoselektion der VU im Grundsatz kein Problem dar, das einen staatli-<br />

<strong>ch</strong>en Eingriff in die Vertragsfreiheit der VU re<strong>ch</strong>tfertigen kann. Denn da die VU Gewinnmaximierer sind,<br />

werden sie jedes Risiko versi<strong>ch</strong>ern, wenn der entspre<strong>ch</strong>ende Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag einen positiven erwarte-<br />

ten Gewinn für das VU aufweist. Es gibt allerdings einen Fall, bei wel<strong>ch</strong>em ein staatli<strong>ch</strong>er Eingriff in die<br />

Vertragsfreiheit aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>erweise begründet werden kann: Bei Krankenzusatzversi-<br />

<strong>ch</strong>erungen und bei (kollektiven) Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungen versi<strong>ch</strong>ern die VN das Risiko, ein s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>-<br />

tes Risiko zu sein. Dies hängt damit zusammen, dass die S<strong>ch</strong>adenswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keiten in diesen beiden<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en über die Zeit korreliert sein können. Beispiel: Ein Individuum erhält na<strong>ch</strong> drei Jah-<br />

ren Laufzeit eines Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungsvertrags die Diagnose «Krebs», so dass klar ist, dass in den<br />

nä<strong>ch</strong>sten Jahren sehr hohe Kosten im Gesundheitswesen anfallen werden, die der Krankenversi<strong>ch</strong>erer zu<br />

übernehmen hat. Wenn der Krankenversi<strong>ch</strong>erer diesem VN den Vertrag nun kündet, wird dieser ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr in der Lage sein, einen neuen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu zei<strong>ch</strong>nen. Analoge Beispiele können bezüg-<br />

li<strong>ch</strong> der kollektiven Krankenttaggeldversi<strong>ch</strong>erung konstruiert werden.<br />

5.7.5 Bran<strong>ch</strong>enspezifis<strong>ch</strong>e Problemstellungen<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

■ Aggressive, unqualifizierte Vermittler, oft Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und VI von Strukturbetrieben, vertreiben<br />

Sparversi<strong>ch</strong>erungen ohne Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Bedürfnisse an VN, für wel<strong>ch</strong>e die Produkte ni<strong>ch</strong>t im ge-<br />

ringsten geeignet sind.<br />

■ Die VN verstehen das Konzept der Zillmerung ni<strong>ch</strong>t: Ihnen sind die Konsequenzen eines frühen Rück-<br />

kaufs der Lebensversi<strong>ch</strong>erungspolice ni<strong>ch</strong>t bewusst. Sie sind von den massiven Verlusten überras<strong>ch</strong>t, die<br />

mit einem frühzeitigen Rückkauf der Police realisiert werden.<br />

■ Die VN kennen die hohen Abs<strong>ch</strong>luss- und Verwaltungskosten der Sparversi<strong>ch</strong>erungen ni<strong>ch</strong>t.<br />

■ Zu optimistis<strong>ch</strong>e Darstellung von Fondsrenditen und Übers<strong>ch</strong>ussanteilen. Die VN sind si<strong>ch</strong> der Risiken<br />

von fondsgebundenen Produkten ni<strong>ch</strong>t in genügender Art und Weise bewusst.<br />

■ VN wissen oft ni<strong>ch</strong>t, dass ihre Lebensversi<strong>ch</strong>erung eine Prämienbefreiung enthält und verpassen die Frist<br />

von 2 Jahren, um diese bei Erwerbsausfall einzufordern.<br />

56 http://www.beoba<strong>ch</strong>ter.<strong>ch</strong>/konsum/artikel/versi<strong>ch</strong>erung_solidaritaet-adieu/<br />

57 http://www.beoba<strong>ch</strong>ter.<strong>ch</strong>/konsum/artikel/versi<strong>ch</strong>erung_solidaritaet-adieu/<br />

58 http://www.beoba<strong>ch</strong>ter.<strong>ch</strong>/geld-si<strong>ch</strong>erheit/krankenkasse/artikel/krankenkasse_ni<strong>ch</strong>t-jeder-ist-willkommen/<br />

140


5 Marktanalyse<br />

Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen<br />

■ S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung, Täus<strong>ch</strong>ung und Irreführung dur<strong>ch</strong> unqualifizierten, aggressive, abs<strong>ch</strong>lussorientierte<br />

gebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (von Strukturbetrieben aber au<strong>ch</strong> von namhaften Krankenversi<strong>ch</strong>e-<br />

rern).<br />

■ Irreführung und Täus<strong>ch</strong>ung bezügli<strong>ch</strong> der Verbindli<strong>ch</strong>keit von Anträgen.<br />

■ Keine oder fals<strong>ch</strong>e Information bezügli<strong>ch</strong> langer Vertragslaufzeiten.<br />

■ Keine oder inadäquate Informationen zur Bedeutung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t und zu den<br />

dramatis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung (bis hin zur Anstiftung zur Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverlet-<br />

zung).<br />

■ Der K-Tipp wird immer wieder mit Fällen konfrontiert, bei wel<strong>ch</strong>en die Verjährungsfrist von 2 Jahren<br />

greift. Dies ist deshalb ein Problem, weil Arztforderungen erst na<strong>ch</strong> 5 Jahren verjähren.<br />

■ Kranke VN und VN, die krank waren, können wegen der Risikoselektion den Versi<strong>ch</strong>erer ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

we<strong>ch</strong>seln.<br />

Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungen<br />

■ Einstellung der Leistungen dur<strong>ch</strong> das VU aufgrund von medizinis<strong>ch</strong>en Guta<strong>ch</strong>ten von Vertrauensärzten.<br />

■ Einstellung oder Reduktion der Leistungen, wenn des Arbeitsverhältnis endet.<br />

■ Verjährung von Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag aufgrund der 2-jährigen Verjährungsfrist.<br />

■ Informationsdefizite der VN bezügli<strong>ch</strong> Deckungsauss<strong>ch</strong>lüssen<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen<br />

■ Zu lange Vertragslaufzeiten<br />

■ Informationsdefizite der VN bezügli<strong>ch</strong> Deckungsumfang (Verkehrswert vs. Neubes<strong>ch</strong>affungswert)<br />

■ Kündigungen dur<strong>ch</strong> das VU aufgrund zu hoher S<strong>ch</strong>adenshäufigkeit<br />

Re<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erungen<br />

■ Kündigungen dur<strong>ch</strong> das VU aufgrund zu hoher S<strong>ch</strong>adenshäufigkeit<br />

■ Informationsdefizite der VN bezügli<strong>ch</strong> der freien Wahl eines Re<strong>ch</strong>tsvertreters, insbesondere im Fall,<br />

wenn der VN gegen das VU juristis<strong>ch</strong> vorgeht, bei wel<strong>ch</strong>em der VN au<strong>ch</strong> die Re<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erung<br />

eingekauft hat.<br />

Reiseversi<strong>ch</strong>erungen<br />

■ Annullierungskostenversi<strong>ch</strong>erungen: Leistungen des VU sind wegen vorbestandener Krankheiten sehr<br />

einges<strong>ch</strong>ränkt; VN wissen ni<strong>ch</strong>t, dass sie zu einem Fa<strong>ch</strong>arzt gehen müssen oder dass sie si<strong>ch</strong> die Reisefä-<br />

higkeit bestätigen lassen müssen. In diesem Zusammenhang verweisen wir auf einen Artikel in der Beob-<br />

a<strong>ch</strong>ter-Ausgabe 10/2009 59 .<br />

■ Informationsdefizite der VN: Deckungsauss<strong>ch</strong>luss bei vorbestehenden Leiden<br />

■ Obliegenheitsverletzungen (Unmittelbare Information des Versi<strong>ch</strong>erers im S<strong>ch</strong>adensfall)<br />

5.7.6 S<strong>ch</strong>lussfolgerungen<br />

In den Abs<strong>ch</strong>nitten 4.6 und 5.7 haben wir dargelegt, wel<strong>ch</strong>e Phänomene es im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

markt gibt, die eine Revision des Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetzes, die dem Gedanken eines verbesserten<br />

Konsumentens<strong>ch</strong>utzes verpfli<strong>ch</strong>tet ist, zu berücksi<strong>ch</strong>tigten hat. Diese Problemstellungen und Marktunvoll-<br />

59 http://www.beoba<strong>ch</strong>ter.<strong>ch</strong>/dossiers/reisen/artikel/versi<strong>ch</strong>erung_reise-annullieren-wer-zahlt/<br />

141


5 Marktanalyse<br />

kommenheiten, an wel<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> die Revision messen lassen muss, können folgendermassen zusammen-<br />

gefasst werden:<br />

■ Keine grösseren Probleme im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: Es gibt – bis auf spezifis<strong>ch</strong>e Problemstellun-<br />

gen in Zusammenhang mit der kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung – keine empiris<strong>ch</strong>e Evidenz dafür,<br />

dass es im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft des S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarktes substantielle Marktunvollkom-<br />

menheiten gibt.<br />

■ S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung und ex ante Opportunismus von Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern: Es gibt im<br />

S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt Vermittler, die das Vertrauen, das die VN ihnen entgegenbringen, miss-<br />

brau<strong>ch</strong>en. Dies führt dazu, dass die VN Versi<strong>ch</strong>erungsverträge zei<strong>ch</strong>nen, die ni<strong>ch</strong>t optimal auf ihre Bedürf-<br />

nisse abgestimmt sind, so dass Wohlfahrtsverluste in Form reduzierter Konsumentenrenten resultieren. Bei<br />

diesen Vermittlern handelt es si<strong>ch</strong> in überwiegender Mehrheit ni<strong>ch</strong>t um ungebundene Vermittler, sondern<br />

um gebundene Vermittler, insbesondere um Mehrfa<strong>ch</strong>agenten. Diese Mehrfa<strong>ch</strong>agenten erwecken bei den<br />

VN bewusst den irreführenden Eindruck, unabhängige Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler zu sein, die einzig den<br />

Interessen der VN verpfli<strong>ch</strong>tet sind.<br />

■ Fehlallokationen von Ersparnissen in gemis<strong>ch</strong>ten Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen: Es muss davon<br />

ausgegangen werden, dass im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatungen ni<strong>ch</strong>t Einzelfäl-<br />

le sind. Gemis<strong>ch</strong>te Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen werden in systematis<strong>ch</strong>er Art und Weise an Kundenseg-<br />

mente verkauft, für wel<strong>ch</strong>e diese Produkte gänzli<strong>ch</strong> ungeeignet sind. Die VN sind zum Teil ni<strong>ch</strong>t in der<br />

Lage, die Risiken von gemis<strong>ch</strong>ten Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen korrekt einzus<strong>ch</strong>ätzen. Diese Risiken sind<br />

insbesondere das Risiko von massiven Verlusten, wenn die Police frühzeitig zurückgekauft werden muss<br />

und die Risiken, die mit fondsgebundenen Produkten verbunden sind.<br />

■ Fals<strong>ch</strong>e Vorstellungen der VN bezügli<strong>ch</strong> Deckungsumfang: Im S<strong>ch</strong>adensfall stellt si<strong>ch</strong> oft heraus,<br />

dass die VN fals<strong>ch</strong>e Vorstellungen bezügli<strong>ch</strong> des Deckungsumfangs der von Ihnen gezei<strong>ch</strong>neten Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsverträge haben. Insbesondere kennen sie die vers<strong>ch</strong>iedenen Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse ni<strong>ch</strong>t in genügen-<br />

der Art und Weise.<br />

■ Persistenz suboptimaler Verträge aufgrund langer Vertragslaufzeiten: Aufgrund langer Ver-<br />

tragslaufzeiten und fehlender Kündigungsre<strong>ch</strong>te können si<strong>ch</strong> VN oft ni<strong>ch</strong>t kurzfristig eines Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vertrags entledigen, der bereits bei Vertragss<strong>ch</strong>luss suboptimal war oder der aufgrund von Veränderungen<br />

im Lebensumfeld der VN suboptimal geworden ist.<br />

142


5 Marktanalyse<br />

Teil II: Analyse der einzelnen Veränderungen<br />

Die na<strong>ch</strong>folgenden Kapitel zu den einzelnen Massnahmen, die gemäss dem E-<strong>VVG</strong> geplant sind, sind<br />

folgendermassen aufgebaut:<br />

■ Juristis<strong>ch</strong>e Analyse: In diesem Abs<strong>ch</strong>nitt werden die Ergebnisse der dur<strong>ch</strong>geführten juristis<strong>ch</strong>en Analy-<br />

se dargestellt. Die Ergebnisse basieren im Wesentli<strong>ch</strong>en auf folgenden Quellen und Methoden:<br />

- Inhaltsanalytis<strong>ch</strong>er Verglei<strong>ch</strong> des E-<strong>VVG</strong> mit dem <strong>VVG</strong> unter Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Vollzugspraxis.<br />

Bei der juristis<strong>ch</strong>en Analyse wurde das Büro BASS von Dr. Blaise Carron von Wenger Plattner<br />

Re<strong>ch</strong>tsanwälte unterstützt.<br />

- Analyse der Vernehmlassungsantworten.<br />

- Befragung von Experten, insbesondere von Prof. Dr. Fuhrer und Dr. Weber, die der Experten-<br />

kommission angehörten.<br />

■ Problemstellung und Ziele der Regulierung: In diesem Abs<strong>ch</strong>nitt werden die Hintergründe und die<br />

Problemstellung, die der geplanten Regulierung zugrunde liegen, vorgestellt. Darüber hinaus wird aufge-<br />

zeigt, wel<strong>ch</strong>e Ziele die Expertenkommission mit der entspre<strong>ch</strong>enden gesetzli<strong>ch</strong>en Veränderung verfolgte.<br />

Quellen: Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t (2009) und Befragung von Prof. Dr. Stephan Fuhrer und Dr. Stephan Weber.<br />

■ Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung: In diesem Abs<strong>ch</strong>nitt wird die Kritik wiedergeben,<br />

die im Rahmen der Vernehmlassung gegen die geplanten Massnahmen vorgebra<strong>ch</strong>t wurde. Dabei werden<br />

nur diejenigen Kritikpunkte vorgestellt, die in irgendeiner Form ökonomis<strong>ch</strong>e Implikationen haben. Argu-<br />

mente, die keinen ökonomis<strong>ch</strong>en Gehalt haben, werden ni<strong>ch</strong>t berücksi<strong>ch</strong>tigt.<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse: In diesem Abs<strong>ch</strong>nitt werden die Ergebnisse der dur<strong>ch</strong>geführten ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

und empiris<strong>ch</strong>en Analysen vorgestellt. Die Darlegung erfolgt dabei entlang der einzelnen Veränderungen,<br />

die mit dem E-<strong>VVG</strong> geplant sind. Im Zentrum steht dabei jeweils die positive Analyse der Auswirkungen.<br />

Die positive Analyse wird – dort, wo dies Sinn ma<strong>ch</strong>t – dur<strong>ch</strong> normative Analysen in der Tradition der<br />

ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse des Re<strong>ch</strong>ts ergänzt.<br />

■ Zusammenfassung: In diesem Abs<strong>ch</strong>nitt werden die Ergebnisse der juristis<strong>ch</strong>en und ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

Analyse zusammengefasst.<br />

143


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

6.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

6.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

In Tabelle 21 und Tabelle 22 sind die relevanten gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen, wel<strong>ch</strong>e die Regulierungssze-<br />

narien und das Referenzszenario determinieren, einander gegenübergestellt.<br />

Tabelle 21: Widerrufsre<strong>ch</strong>t: Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen I (Regulierungsszenario und<br />

Alternativszenario 1)<br />

Regulierungsszenario (RS) und Alternativszenario 1 (AS1)<br />

RS: Gültigkeit von Art. 7 und 8 E-<strong>VVG</strong> für natürli<strong>ch</strong>e und juristis<strong>ch</strong>e Personen<br />

AS1: Art. 7 und 8 E-<strong>VVG</strong> gelten ni<strong>ch</strong>t für juristis<strong>ch</strong>e Personen<br />

Art. 7 (Widerrufsre<strong>ch</strong>t) E-<strong>VVG</strong><br />

7.1. Die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerinnen und Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer können ihren Antrag<br />

zum Abs<strong>ch</strong>luss, zur Änderung oder zur Verlängerung des Vertrags oder dessen<br />

Annahme dur<strong>ch</strong> eine Erklärung s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> widerrufen. Dies gilt ni<strong>ch</strong>t für<br />

Vereinbarungen mit einer Laufzeit von weniger als einem Monat.<br />

7.2. Das Widerrufsre<strong>ch</strong>t erlis<strong>ch</strong>t [zwei Wo<strong>ch</strong>en] ODER [eine Wo<strong>ch</strong>e] na<strong>ch</strong><br />

Abs<strong>ch</strong>luss, Verlängerung oder Änderung des Vertrags oder einer anderen<br />

Vereinbarung.<br />

7.3. Die Frist ist eingehalten, wenn die Erklärung dem Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen am<br />

letzten Tag zugegangen oder der s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Post übergeben worden ist.<br />

7.4. Ausges<strong>ch</strong>lossen ist das Widerrufsre<strong>ch</strong>t bei kollektiven Personenversi<strong>ch</strong>erungen<br />

sowie bei vorläufigen Deckungszusagen.<br />

Art. 8 (Wirkung des Widerrufs) E-<strong>VVG</strong><br />

8.1. Der Widerruf bewirkt, dass der Antrag oder die Annahmeerklärung von Anfang<br />

an unwirksam ist.<br />

8.2. Bereits erbra<strong>ch</strong>te Vertragsleistungen sind zurückzuerstatten. Sofern es die<br />

Umstände re<strong>ch</strong>tfertigen, kann die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer verpfli<strong>ch</strong>tet werden, dem Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen die<br />

Kosten aus besonderen Abklärungen, die es im Hinblick auf den Abs<strong>ch</strong>luss<br />

vorgenommen hat, zu erstatten.<br />

8.3. Solange ges<strong>ch</strong>ädigte Dritte trotz eines Widerrufs gutgläubig Ansprü<strong>ch</strong>e<br />

gegenüber dem Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen geltend ma<strong>ch</strong>en können, s<strong>ch</strong>uldet die<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer die Prämie und kann das<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen dem Versi<strong>ch</strong>erten die Unwirksamkeit des Vertrages ni<strong>ch</strong>t<br />

entgegenhalten.<br />

Referenzszenario (BS)<br />

Kein gesetzli<strong>ch</strong> garantiertes Widerrufsre<strong>ch</strong>t (vgl. Art. 40a Absatz 2 OR);<br />

Widerrufsre<strong>ch</strong>t in den AVB im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen; Teilweise gewähren VU<br />

Widerrufe aus Kulanzgründen<br />

Anmerkungen: RS = Regulierungsszenario; AS = Alternativszenario; BS = Referenzszenario; Blau: Existenz von Alternativszenarien;<br />

Orange = halbzwingendes Re<strong>ch</strong>t<br />

Quelle: E-<strong>VVG</strong>, <strong>VVG</strong>, OR<br />

144


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 22: Widerrufsre<strong>ch</strong>t: Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen II (Alternativszenario 2)<br />

Alternativszenario 2 (AS2)<br />

Art. 40a (I. Geltungsberei<strong>ch</strong>) OR<br />

1. Die na<strong>ch</strong>folgenden Bestimmungen sind auf Verträge über bewegli<strong>ch</strong>e Sa<strong>ch</strong>en und<br />

Dienstleistungen, die für den persönli<strong>ch</strong>en oder familiären Gebrau<strong>ch</strong> des Kunden bestimmt sind,<br />

anwendbar, wenn:<br />

a. der Anbieter der Güter oder Dienstleistungen im Rahmen einer berufli<strong>ch</strong>en oder<br />

gewerbli<strong>ch</strong>en Tätigkeit gehandelt hat und<br />

b. die Leistung des Kunden 100 Franken übersteigt.<br />

2. Die Bestimmungen gelten ni<strong>ch</strong>t für Versi<strong>ch</strong>erungsverträge.<br />

3. Bei wesentli<strong>ch</strong>er Veränderung der Kaufkraft des Geldes passt der Bundesrat den in Absatz 1<br />

Bu<strong>ch</strong>stabe b genannten Betrag entspre<strong>ch</strong>end an.<br />

Art. 40b (II. Grundsatz) OR<br />

40b Der Kunde kann seinen Antrag zum Vertragsabs<strong>ch</strong>luss oder seine Annahmeerklärung<br />

widerrufen, wenn ihm das Angebot gema<strong>ch</strong>t wurde:<br />

a. an seinem Arbeitsplatz, in Wohnräumen oder in deren unmittelbaren Umgebung;<br />

b. in öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmitteln oder auf öffentli<strong>ch</strong>en Strassen und Plätzen;<br />

c. an einer Werbeveranstaltung, die mit einer Ausflugsfahrt oder einem ähnli<strong>ch</strong>en Anlass<br />

verbunden war.<br />

Art. 40c (III. Ausnahmen) OR<br />

Der Kunde hat kein Widerrufsre<strong>ch</strong>t, wenn er:<br />

a. die Vertragsverhandlungen ausdrückli<strong>ch</strong> gewüns<strong>ch</strong>t hat;<br />

b. seine Erklärung an einem Markt- oder Messestand abgegeben hat.<br />

Art. 40d (IV. Orientierungspfli<strong>ch</strong>t des Anbieters) OR<br />

1. Der Anbieter muss den Kunden s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> über das Widerrufsre<strong>ch</strong>t sowie über Form und Frist<br />

des Widerrufs unterri<strong>ch</strong>ten und ihm seine Adresse bekannt geben.<br />

2. Diese Angaben müssen datiert sein und die Identifizierung des Vertrags ermögli<strong>ch</strong>en.<br />

3. Sie sind dem Kunden so zu übergeben, dass er sie kennt, wenn er den Vertrag beantragt<br />

oder annimmt.<br />

Art. 40e (V. Widerruf; 1. Form und Frist) OR<br />

1. Der Kunde muss dem Anbieter den Widerruf s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> erklären.<br />

2. Die Widerrufsfrist beträgt sieben Tage und beginnt, sobald der Kunde:<br />

a. den Vertrag beantragt oder angenommen hat; und<br />

b. von den Angaben na<strong>ch</strong> Artikel 40d Kenntnis erhalten hat.<br />

3. Der Beweis des Zeitpunkts, in dem der Kunde von den Angaben na<strong>ch</strong> Artikel 40d Kenntnis<br />

erhalten hat, obliegt dem Anbieter.<br />

4. Die Frist ist eingehalten, wenn die Widerrufserklärung am siebenten Tag der Post übergeben<br />

wird.<br />

Art. 40f (2. Folgen) OR<br />

1. Hat der Kunde widerrufen, so müssen die Parteien bereits empfangene Leistungen<br />

zurückerstatten.<br />

2. Hat der Kunde eine Sa<strong>ch</strong>e bereits gebrau<strong>ch</strong>t, so s<strong>ch</strong>uldet er dem Anbieter einen<br />

angemessenen Mietzins.<br />

3. Hat der Anbieter eine Dienstleistung erbra<strong>ch</strong>t, so muss ihm der Kunde Auslagen und<br />

Verwendungen na<strong>ch</strong> den Bestimmungen über den Auftrag (Art. 402) ersetzen.<br />

4. Der Kunde s<strong>ch</strong>uldet dem Anbieter keine weitere Ents<strong>ch</strong>ädigung.<br />

Referenzszenario (BS):<br />

Kein Widerrufsre<strong>ch</strong>t (vgl. Art. 40a Absatz 2 OR);<br />

Widerrufsre<strong>ch</strong>t in den AVB im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen;<br />

Teilweise gewähren VU Widerruf aus Kulanzgründen<br />

Anmerkungen: AS = Alternativszenario; BS = Referenzszenario; Rot = zwingendes Re<strong>ch</strong>t; fett: inhaltli<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en<br />

Regulierungs- und Referenzszenario<br />

Quelle: E-<strong>VVG</strong>, <strong>VVG</strong>, OR<br />

145


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

6.1.2 Identifikation der Veränderungen<br />

Gemäss dem geltenden <strong>VVG</strong> (Referenzszenario) gibt es kein re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>setzbares Widerrufsre<strong>ch</strong>t.<br />

Au<strong>ch</strong> die gesetzli<strong>ch</strong>en Regelungen zum Widerrufsre<strong>ch</strong>t gemäss Art. 40a bis Art. 40f OR sind auf Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsverträge ni<strong>ch</strong>t anwendbar, da Versi<strong>ch</strong>erungsverträge in Art. 40a Absatz 2 vom Geltungsberei<strong>ch</strong> die-<br />

ser Regelungen explizit ausgenommen sind. Concordia (2009) ma<strong>ch</strong>t allerdings geltend, dass im Berei<strong>ch</strong><br />

der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen Widerrufe aus Kulanzgründen akzeptiert werden: «In der Praxis wird in<br />

sol<strong>ch</strong>en Fällen häufig s<strong>ch</strong>on heute aus Kulanzgründen ein ’Widerrufsre<strong>ch</strong>t’ gewährt.» (Concordia 2009,<br />

2). Im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen haben viele Versi<strong>ch</strong>erer ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t in den AVB fest-<br />

ges<strong>ch</strong>rieben.<br />

Tabelle 21 und Tabelle 22 ma<strong>ch</strong>en deutli<strong>ch</strong>, dass insgesamt fünf Regulierungsszenarien differenziert wer-<br />

den müssen, wobei diese folgendermassen bes<strong>ch</strong>rieben werden können:<br />

■ Regulierungsszenario RS: Das Widerrufsre<strong>ch</strong>t gemäss Art. 7 und 8 E-<strong>VVG</strong> gilt sowohl für natürli<strong>ch</strong>e<br />

als au<strong>ch</strong> für juristis<strong>ch</strong>e Personen und es erlis<strong>ch</strong>t zwei Wo<strong>ch</strong>en bzw. eine Wo<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>luss, Verlänge-<br />

rung oder Änderung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrages.<br />

■ Alternativszenario AS1: Das Widerrufsre<strong>ch</strong>t gemäss Art. 7 und 8 E-<strong>VVG</strong> gilt nur für natürli<strong>ch</strong>e, ni<strong>ch</strong>t<br />

jedo<strong>ch</strong> für juristis<strong>ch</strong>e Personen und es erlis<strong>ch</strong>t zwei Wo<strong>ch</strong>en bzw. eine Wo<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>luss, Verlänge-<br />

rung oder Änderung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrages.<br />

■ Alternativszenario AS2: Der Geltungsberei<strong>ch</strong> des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts, wie es in Art. 40a-f OR definiert<br />

ist, wird auf Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ausgedehnt.<br />

An dieser Stelle weisen wir daraufhin, dass die Formulierung von Art. 7 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong> bezügli<strong>ch</strong> des Zeit-<br />

punkts des Einsetzens der Verwirkungsfrist von 14 Tagen unklar ist und zu Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheiten führen<br />

könnte. Damit Art. 7 Abs. 2 eindeutig ist, müssen die Zeitpunkte des Abs<strong>ch</strong>lusses, der Verlängerung und<br />

der Änderung des Vertrags exakt definiert werden. Bei den meisten Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen, bei wel-<br />

<strong>ch</strong>en bereits heute, unter dem geltenden <strong>VVG</strong>, ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t gewährt wird, setzt die Verwirkungs-<br />

frist von 14 Tagen mit dem Tag der Unters<strong>ch</strong>rift des Antrags ein. Bei einer sol<strong>ch</strong>en Lösung kann der VN<br />

ni<strong>ch</strong>t widerrufen, falls er die Versi<strong>ch</strong>erungspolice erst na<strong>ch</strong> 14 Tagen erhält und dann feststellt, dass die<br />

Police inhaltli<strong>ch</strong> von seinem Antrag abwei<strong>ch</strong>t. Falls dieser Fall einges<strong>ch</strong>lossen werden soll, darf die Verwir-<br />

kungsfrist erst auf den Zeitpunkt der Zustellung der Versi<strong>ch</strong>erungspolice hin einsetzen.<br />

Darüber hinaus weisen wir daraufhin, dass ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t bei passiven Vertragsverlängerungen auf<br />

der Basis von Roll-over-Klauseln keinen Sinn ma<strong>ch</strong>t: Bei einer Roll-over-Klausel (stills<strong>ch</strong>weigende Verlänge-<br />

rung des Vertrags um ein Jahr) hat der VN bis zu einem bestimmten Datum die Mögli<strong>ch</strong>keit, den Vertrag<br />

zu kündigen. Ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t mit einer Verwirkungsfrist von 14 Tagen würde dazu führen, dass dieser<br />

Termin einfa<strong>ch</strong> um 14 Tage na<strong>ch</strong> hinten vers<strong>ch</strong>oben würde, was unseres Era<strong>ch</strong>tens keinen Sinn ma<strong>ch</strong>t.<br />

6.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

Die Einführung eines Widerrufsre<strong>ch</strong>ts im Versi<strong>ch</strong>erungsberei<strong>ch</strong> und dessen Ausgestaltung im Sinne von<br />

Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong> wurde in der Expertenkommission (vgl. erläuternder Beri<strong>ch</strong>t) folgendermassen begründet:<br />

■ S<strong>ch</strong>utz der VN vor übereilten Vertragss<strong>ch</strong>lüssen (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>): Die Expertenkommission ma<strong>ch</strong>t<br />

geltend, dass der Auss<strong>ch</strong>luss der Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>e von dem im OR für Haustürges<strong>ch</strong>äfte geltenden<br />

Widerrufsre<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t einsi<strong>ch</strong>tig ist – ni<strong>ch</strong>t zuletzt vor dem Hintergrund, dass ein grosser Anteil des Umsat-<br />

zes der Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen über Haustürges<strong>ch</strong>äfte generiert wird. Die Notwendigkeit einer «Coo-<br />

ling-Off-Period» war gemäss Prof. Dr. Stephan Fuhrer und Dr. Stephan Weber in der Expertenkommission<br />

unbestritten. Um den Spezifika von Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen gere<strong>ch</strong>t zu werden, ents<strong>ch</strong>ied si<strong>ch</strong> die Exper-<br />

146


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

tenkommission für eine Lösung im Rahmen des <strong>VVG</strong> (Regulierungsszenario) und ni<strong>ch</strong>t für eine Lösung im<br />

Rahmen von Art. 40a OR (Alternativszenario 2). Mit dem Widerrufsre<strong>ch</strong>t sollen die VN vor übereilten Ver-<br />

tragss<strong>ch</strong>lüssen ges<strong>ch</strong>ützt werden. Der S<strong>ch</strong>utzbedarf ergibt si<strong>ch</strong> gemäss Dr. Stephan Weber aus der Kom-<br />

plexität des Versi<strong>ch</strong>erungsprodukts, die aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t zu einer Marktsituation führt, die si<strong>ch</strong><br />

dur<strong>ch</strong> asymmetris<strong>ch</strong> verteilte Informationen auszei<strong>ch</strong>net. Das Widerrufsre<strong>ch</strong>t zielt in erster Linie auf stan-<br />

dardisierte Produkte im B2C-Markt, insbesondere auf Lebensversi<strong>ch</strong>erungen und Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>e-<br />

rungen ab. Gemäss Dr. Stephan Weber hatte die Expertenkommission mit dem Widerrufsre<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t spe-<br />

zifis<strong>ch</strong>e Industrierisiken im Visier, die im Rahmen von Submissionsverfahren mit umfangrei<strong>ch</strong>en Risk As-<br />

sessments behandelt werden müssen. Vor diesem Hintergrund war in der Expertenkommission umstritten,<br />

wel<strong>ch</strong>en Gruppen von VN das Widerrufsre<strong>ch</strong>t gewährt werden soll.<br />

■ S<strong>ch</strong>utz der S<strong>ch</strong>ädiger und der Ges<strong>ch</strong>ädigten bei Verkehrsunfällen (Art. 8 Abs. 3 E-<strong>VVG</strong>): Bei der<br />

Konzeption des Widerrufsre<strong>ch</strong>t spielte gemäss Prof. Dr. Stephan Fuhrer die obligatoris<strong>ch</strong>e Motorfahrzeug-<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung eine grosse Rolle: Beim Einlösen eines Autos muss der Autobesitzer einen Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsna<strong>ch</strong>weis abgegeben. Wenn der Vertrag aufgrund eines Widerrufs ni<strong>ch</strong>t mehr besteht und es zu<br />

einem S<strong>ch</strong>adenfall kommen würde, hätte der Versi<strong>ch</strong>erer volles Regressre<strong>ch</strong>t auf den VN, der widerrufen<br />

hat. Dies kann den VN ruinieren, da Autounfälle sehr kostspielig sein können: Gemäss Prof. Dr. Stephan<br />

Fuhrer kostet eine s<strong>ch</strong>werverletzte Person im Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt 1 Million Franken. Vor diesem Hintergrund ist<br />

Art. 8 Abs. 3 E-<strong>VVG</strong> zu interpretieren: Art. 8 Abs. 3 bewirkt, dass der VN in diesem Fall die Prämie s<strong>ch</strong>ul-<br />

det und dass das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen leistungspfli<strong>ch</strong>tig ist und kein Regressre<strong>ch</strong>t hat. Der Widerruf<br />

wirkt erst dann, wenn si<strong>ch</strong> kein Dritter mehr auf diesen Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz berufen kann, wenn es also<br />

keine externen Forderungsre<strong>ch</strong>te mehr gibt. Diese Regelung soll letztli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>erstellen, dass Ver-<br />

kehrsopfer in jedem Fall ents<strong>ch</strong>ädigt werden (re<strong>ch</strong>tsdogmatis<strong>ch</strong>e Prämisse des Strassenverkehrsgesetzes).<br />

■ S<strong>ch</strong>utz des Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utzes von Arbeitnehmern bei Kollektiv-Versi<strong>ch</strong>erungen (Art. 7<br />

Abs. 4 E-<strong>VVG</strong>): Der Auss<strong>ch</strong>luss von kollektiven Personenversi<strong>ch</strong>erungen vom Geltungsberei<strong>ch</strong> des Wider-<br />

rufsre<strong>ch</strong>ts von Art. 7 Abs. 4 E-<strong>VVG</strong> verfolgt gemäss dem erläuternden Beri<strong>ch</strong>t zum E-<strong>VVG</strong> (Erläuternder<br />

Beri<strong>ch</strong>t 2009) das Ziel, die Arbeitnehmer davor zu s<strong>ch</strong>ützen, dass deren Interessen dur<strong>ch</strong> einen Widerruf<br />

bei Kollektiv-Versi<strong>ch</strong>erungen, insbesondere bei kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungen, gefährdet wer-<br />

den.<br />

■ Verhinderung von Missbräu<strong>ch</strong>en (Art. 7 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 2): Wie im na<strong>ch</strong>folgenden Ab-<br />

s<strong>ch</strong>nitt ausgeführt, ist dem Widerrufsre<strong>ch</strong>t im Sinne von Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong> ein Missbrau<strong>ch</strong>spotential inhä-<br />

rent. Um dieses Missbrau<strong>ch</strong>spotential einzudämmen, wird für «Vereinbarungen mit einer Laufzeit von<br />

weniger als einem Monat» (Art. 7 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong>) kein Widerrufsre<strong>ch</strong>t gewährt. Au<strong>ch</strong> Art. 8 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong><br />

verfolgt das Ziel, potentielle Missbräu<strong>ch</strong>e zu verhindern, was anhand des Beispiels von Prof. Dr. Stephan<br />

Fuhrer expliziert werden kann: Ein VN s<strong>ch</strong>liesst eine hohe Lebensversi<strong>ch</strong>erung ab, weshalb er vom Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsunternehmen für eine umfassende Gesundheitsprüfung zu einem Arzt ges<strong>ch</strong>ickt wird. Na<strong>ch</strong> der<br />

Gesundheitsprüfung widerruft der VN den Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag. Art. 8 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong> stellt nun si<strong>ch</strong>er,<br />

dass der VN in diesem Fall die Kosten der erfolgten medizinis<strong>ch</strong>en Untersu<strong>ch</strong>ung tragen muss.<br />

Das Missbrau<strong>ch</strong>spotential und das Problem externer Forderungen beim Widerruf einer obligatoris<strong>ch</strong>en<br />

Motorfahrzeug-Versi<strong>ch</strong>erung ma<strong>ch</strong>en laut Prof. Dr. Stephan Fuhrer zum einen deutli<strong>ch</strong>, dass es si<strong>ch</strong> beim<br />

Widerrufsre<strong>ch</strong>t im Sinne von Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong> um ein delikates Gebilde handelt, dessen Funktionsweise und<br />

Auswirkungen stark verändert werden, wenn in dieses Gebilde eingegriffen wird. Zum anderen ma<strong>ch</strong>en<br />

sie gemäss Prof. Dr. Stephan Fuhrer deutli<strong>ch</strong>, dass eine Lösung im Sinne des Alternativszenario 2 diesen<br />

versi<strong>ch</strong>erungsspezifis<strong>ch</strong>en Problemstellungen ni<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>t werden kann.<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Widerrufsre<strong>ch</strong>t im Sinne von Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong> die<br />

folgenden vier Ziele verfolgt:<br />

147


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ S<strong>ch</strong>utz der VN vor übereilten Vertragsabs<strong>ch</strong>lüssen.<br />

■ S<strong>ch</strong>utz von Personen, die eine na<strong>ch</strong> Einlösung eines Motorfahrzeugs soeben abges<strong>ch</strong>lossene obligatori-<br />

s<strong>ch</strong>e Motorfahrzeug-Versi<strong>ch</strong>erung widerrufen und sodann einen Unfall verursa<strong>ch</strong>en, vor dem finanziellen<br />

Ruin. Si<strong>ch</strong>erstellung, dass im Verkehr Ges<strong>ch</strong>ädigte in jedem Fall ents<strong>ch</strong>ädigt werden.<br />

■ S<strong>ch</strong>utz des Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utzes von Arbeitnehmern bei Kollektiv-Versi<strong>ch</strong>erungen.<br />

■ Verhinderung von Missbrau<strong>ch</strong> des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts.<br />

6.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung<br />

Im Rahmen der Vernehmlassung wurde folgende Kritik am Widerrufsre<strong>ch</strong>t gemäss Art. 7 und 8 E-<strong>VVG</strong><br />

geübt:<br />

■ Inkompatibilität mit europäis<strong>ch</strong>em Re<strong>ch</strong>t: Art. 7 E-<strong>VVG</strong> geht weiter als eins<strong>ch</strong>lägige Ri<strong>ch</strong>tlinien der<br />

EU. Diese sehen ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t nur für Lebensversi<strong>ch</strong>erungen sowie für im Fernabsatz ges<strong>ch</strong>lossenen<br />

S<strong>ch</strong>adensversi<strong>ch</strong>erungsverträge vor. Darüber hinaus sieht das EU-Re<strong>ch</strong>t kein Widerrufsre<strong>ch</strong>t bei Vertrags-<br />

änderungen und Vertragsverlängerungen vor. Dieses «kumulative Nebeneinander von zwei Auflösungs-<br />

re<strong>ch</strong>ten des Versi<strong>ch</strong>erungsnehmers bei Vertragsabs<strong>ch</strong>luss» (SVV 2009, 12) führe bei den VN zu einer Ver-<br />

wirrung und damit zu Intransparenz.<br />

■ Wettbewerbsverzerrung: Art. 7 und 8 E-<strong>VVG</strong> bena<strong>ch</strong>teiligen die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen gegen-<br />

über den Banken, mit denen die erstgenannten bezügli<strong>ch</strong> Kapitalisations-, Garantie- und Kautionsges<strong>ch</strong>äf-<br />

ten in direkter Konkurrenz stehen (SVV 2009a, 11). Prof. Dr. Stephan Fuhrer bestätigt diesen Sa<strong>ch</strong>verhalt<br />

zwar, meint aber eins<strong>ch</strong>ränkend, dass sol<strong>ch</strong>e Produkte ni<strong>ch</strong>t der klassis<strong>ch</strong>e Anwendungsfall des Widerrufs-<br />

re<strong>ch</strong>ts darstellen: Der klassis<strong>ch</strong>e Anwendungsfall sei der Konsument, der zu einem voreiligen Vertrags-<br />

s<strong>ch</strong>luss verführt wird. Insofern kann festgehalten werden, dass das Argument der «Wettbewerbsverzer-<br />

rung» gültig ist, in der Praxis jedo<strong>ch</strong> keine Auswirkungen haben dürfte, da es bei Kapitalisations-, Garan-<br />

tie- und Kautionsges<strong>ch</strong>äften keine (oder fast keine) Widerrufe geben wird.<br />

■ Anreize zum Missbrau<strong>ch</strong>: Das Widerrufsre<strong>ch</strong>t berge die Gefahr von Missbräu<strong>ch</strong>en, was der SVV<br />

(2009a) mit folgendem Beispiel illustriert:<br />

- Fall M1: Ein VN s<strong>ch</strong>liesst vor den Ferien eine Vollkaskoversi<strong>ch</strong>erung für sein Fahrzeug ab, fährt 10<br />

Tage na<strong>ch</strong> Italien und widerruft na<strong>ch</strong> seiner Rückkehr, wenn es zu keinem S<strong>ch</strong>adensfall gekom-<br />

men ist. (SVV 2009a, 12).<br />

Prof. Dr. Stephan Fuhrer ma<strong>ch</strong>t auf eine weitere Missbrau<strong>ch</strong>smögli<strong>ch</strong>keit aufmerksam:<br />

- Fall M2: Ein grosser Teil der Unternehmen wird von Versi<strong>ch</strong>erungsbrokern betreut. Dies führt da-<br />

zu, dass die Broker gegen Ende Dezember, wenn die neuen Verträge ges<strong>ch</strong>lossen oder bestehen-<br />

de Verträge verändert und optimiert werden müssen, zeitli<strong>ch</strong> stark beanspru<strong>ch</strong>t sind. Insofern wä-<br />

re es denkbar, dass ein Broker, der im Dezember keine Zeit hat, die optimale Police für einen<br />

Kunden zu identifizieren, «auf Vorrat» glei<strong>ch</strong> drei Verträge zei<strong>ch</strong>net. Im Januar des darauffolgen-<br />

den Jahres setzt er si<strong>ch</strong> dann mit den Policen im Detail auseinander und widerruft in der Folge<br />

zwei der gezei<strong>ch</strong>neten Abs<strong>ch</strong>lüsse.<br />

■ Leistungspfli<strong>ch</strong>t trotz Widerruf: Art. 8 Abs. 3 impliziere, «dass die Versi<strong>ch</strong>erer unter Umständen<br />

trotz Widerruf für grosse S<strong>ch</strong>äden aufkommen müssen.» (SVV 2009a, 13).<br />

■ Erhöhung der <strong>admin</strong>istrativen Kosten → höhere Prämien: Die Einführung eines Widerrufsre<strong>ch</strong>ts<br />

führe zu «unnötigen <strong>admin</strong>istrativen Umtriebe» mit entspre<strong>ch</strong>ender Kostenfolge bei der Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

gemeins<strong>ch</strong>aft (AGVS 2009, 2).<br />

148


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

6.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse des Regulierungsszenario<br />

Im geltenden <strong>VVG</strong> ist kein vertragli<strong>ch</strong> garantiertes Widerrufsre<strong>ch</strong>t vorgesehen. Ein sol<strong>ch</strong>es wird den VN<br />

partiell im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen gewährt. Die Analyse ausgewählter AVB der führenden<br />

VU im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen hat ergeben, dass die Basler Versi<strong>ch</strong>erung, die Mobiliar,<br />

AXA Leben, Zuri<strong>ch</strong> Leben und Swiss Life in den AVB ihrer Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungsprodukte ein Wider-<br />

rufsre<strong>ch</strong>t gewähren, das die VN innerhalb von 14 Tagen na<strong>ch</strong> Unterzei<strong>ch</strong>nung des Antrags s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> nut-<br />

zen können 60 . Au<strong>ch</strong> Generali gewährt bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t – dieses kann<br />

von den VN innerhalb von 14 Tagen na<strong>ch</strong> Inkrafttreten des Vertrages wahrgenommen werden. Allerdings<br />

wird das Widerrufsre<strong>ch</strong>t, wie es in Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong> vorgesehen ist, au<strong>ch</strong> im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensver-<br />

si<strong>ch</strong>erungen Auswirkungen entfalten, aus zwei Gründen:<br />

■ Die Verwirkungsfrist des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts, das unter dem geltenden <strong>VVG</strong> von den Lebensversi<strong>ch</strong>erern<br />

gewährt wird, beginnt bei den meisten VU mit der Unters<strong>ch</strong>rift des Versi<strong>ch</strong>erungsantrags. Art. 7 Abs. 2 E-<br />

<strong>VVG</strong> sieht hingegen einen Fristenlauf vor, der mit «Abs<strong>ch</strong>luss, Verlängerung oder Änderung des Vertrags<br />

oder einer anderen Vereinbarung» beginnt. Neu ist dabei ni<strong>ch</strong>t nur der Beginn des Fristenlaufes, sondern<br />

au<strong>ch</strong> die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass gemäss Art. 7 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong> der VN ni<strong>ch</strong>t nur bei Vertragabs<strong>ch</strong>luss, sondern au<strong>ch</strong><br />

bei Vertragsverlängerungen und Vertragsänderungen ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t hat.<br />

■ Die VU und deren Vermittler sind unter dem geltenden <strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t verpfli<strong>ch</strong>tet, die VN über die Existenz<br />

des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts zu informieren. Eine sol<strong>ch</strong>e Verpfli<strong>ch</strong>tung soll mit Art. 12 Abs. 1 lit. e E-<strong>VVG</strong> neu<br />

eingeführt werden.<br />

Gemäss den befragten Experten der VU ma<strong>ch</strong>en die VN vom Widerrufsre<strong>ch</strong>t bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erun-<br />

gen nur sehr selten Gebrau<strong>ch</strong>. Der Anteil der gezei<strong>ch</strong>neten Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen, die widerrufen<br />

werden, liegt im Promille-Berei<strong>ch</strong>. Ein VU, das in der Lage war, quantitative Angaben zu der Anzahl Wi-<br />

derrufe bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen zu ma<strong>ch</strong>en, bezifferte den Anteil widerrufener Einzellebensverträ-<br />

ge in einem dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>en Jahr auf 0.2%.<br />

In den restli<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en haben die VN – bis auf vereinzelte Ausnahmen – derzeit kein<br />

vertragli<strong>ch</strong> garantiertes Widerrufsre<strong>ch</strong>t. Es gibt jedo<strong>ch</strong> VU, die ein sol<strong>ch</strong>es aus Gründen der Kulanz gewäh-<br />

ren. Die Mobiliar z.B. beharrt gemäss den befragten Experten ni<strong>ch</strong>t auf dem Vertragss<strong>ch</strong>luss, wenn ein VN<br />

geltend ma<strong>ch</strong>t, von einem Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler zu einem voreiligen Vertragss<strong>ch</strong>luss «verführt» worden<br />

zu sein. In wel<strong>ch</strong>em Ausmass im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt Widerrufe aus Gründen der Kulanz akzep-<br />

tiert werden, konnte wir im Rahmen der vorliegenden <strong>RFA</strong> ni<strong>ch</strong>t in Erfahrung bringen.<br />

Um die Auswirkungen der Einführung eines Widerrufsre<strong>ch</strong>ts im Sinne von Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong> zu analysieren,<br />

ist es zielführend, zu unters<strong>ch</strong>eiden, aus wel<strong>ch</strong>en Gründen die VN Versi<strong>ch</strong>erungsverträge widerrufen.<br />

Grundsätzli<strong>ch</strong> könne folgende Fälle differenziert werden:<br />

■ Fall W.1 «Konkurrenz-induzierter Widerruf»: Es gibt den Fall, dass ein VN, der soeben einen Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvertrag gezei<strong>ch</strong>net hat, in Kontakt mit einem konkurrierenden Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler kommt,<br />

der ihm den Widerruf nahelegt. Diese Konstellation kann z.B. eintreten, wenn ein VN bei Vertragss<strong>ch</strong>luss<br />

vergessen hat, dass ein Kollege des Sportvereins, dem er angehört, als Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler tätig ist.<br />

Trifft er kurz na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss diesen Kollegen im Rahmen des wö<strong>ch</strong>entli<strong>ch</strong>en Trainings, wird er si<strong>ch</strong><br />

dieses Sa<strong>ch</strong>verhalts gewahr und der Kollege rät ihm, den gezei<strong>ch</strong>neten Vertrag zu widerrufen und statt-<br />

dessen einen Vertrag bei ihm zu zei<strong>ch</strong>nen. Grundsätzli<strong>ch</strong> muss in diesem Fall davon ausgegangen werden,<br />

dass der neue Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag weder s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter no<strong>ch</strong> besser auf die Bedürfnisse und Präferenzen des<br />

widerrufenden VN zuges<strong>ch</strong>nitten ist. Denn der Widerruf ist in diesem Fall ni<strong>ch</strong>t rational, sondern zwi-<br />

60 Teilweise wird ni<strong>ch</strong>t bei allen Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungsprodukten ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t gewährt.<br />

149


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

s<strong>ch</strong>enmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> begründet. Deshalb liegt der S<strong>ch</strong>luss nahe, dass der Widerruf im Fall W.1 ni<strong>ch</strong>t zu einer<br />

Erhöhung der Konsumentenrente führt. Gemäss den befragten Experten der VU kann dieser Fall im Be-<br />

rei<strong>ch</strong> der Lebensversi<strong>ch</strong>erungen bereits heute, unter dem geltenden <strong>VVG</strong>, beoba<strong>ch</strong>tet werden.<br />

■ Fall W.2 «Vertragss<strong>ch</strong>luss aufgrund aggressiver Verkaufste<strong>ch</strong>niken»: Wie wir im Abs<strong>ch</strong>nitt 5.7.2<br />

ausgeführt haben, kommt es immer wieder vor, dass VN von Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern mittels aggressiver<br />

Verkaufste<strong>ch</strong>niken (u.a. Täus<strong>ch</strong>ung) zu übereilten Vertragss<strong>ch</strong>lüssen verleitet werden. Der widerrufene<br />

Vertrag ist in diesem Fall aus Si<strong>ch</strong>t des VN ein Win(VU)-Loose(VN)-Vertrag, da die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft des<br />

VN für diesen Vertrag den Preis der Versi<strong>ch</strong>erung ni<strong>ch</strong>t deckt. Dieser Fall tritt verhältnismässig häufig in<br />

der Bran<strong>ch</strong>e «Krankenzusatz» und in Zusammenhang mit den in Abs<strong>ch</strong>nitt 5.7.2 erwähnten Mehrfa<strong>ch</strong>-<br />

agenten und Strukturbetrieben auf.<br />

■ Fall W.3 «Unüberlegter Vertragss<strong>ch</strong>luss»: Au<strong>ch</strong> wenn am Verkaufs- und Beratungsgesprä<strong>ch</strong> des<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers ni<strong>ch</strong>ts auszusetzen ist, kann es vorkommen, dass der VN ni<strong>ch</strong>t wohlüberlegt und<br />

etwas übereilt einen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zei<strong>ch</strong>net. Au<strong>ch</strong> in diesem Fall liegt ein Win(VU)-Loose(VN)-<br />

Vertrag vor: Die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft des VN ist tiefer als der Preis des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags.<br />

■ Fall W.4 «Informations-induzierter Widerruf»: Widerrufe sind au<strong>ch</strong> mögli<strong>ch</strong>, wenn der VN na<strong>ch</strong><br />

Vertragss<strong>ch</strong>luss in den Besitz neuer Informationen kommt, die seine Bewertung des gezei<strong>ch</strong>neten Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvertrags verändern. Dabei sind zwei Konstellationen zu differenzieren:<br />

- Fall W.4.1: Der widerrufende VN kommt innerhalb von 14 Tagen in den Besitz einer sogenann-<br />

ten wertsenkenden Information 61 , die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf Konkurrenzprodukte, sondern auf den ge-<br />

zei<strong>ch</strong>neten Vertrag selbst bezieht. Dieser Fall kann z.B. dann eintreten, wenn ein VN in der Kon-<br />

sumentenpresse etwas über den Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag, den er soeben gezei<strong>ch</strong>net hat, über das<br />

VU, bei wel<strong>ch</strong>em er den Vertrag gezei<strong>ch</strong>net hat oder über den Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, der ihn<br />

beraten hat, erfährt. Denkbar ist au<strong>ch</strong>, dass er na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss die Vertragsunterlagen no<strong>ch</strong><br />

genauer studiert. Da die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft des VN tiefer ist als der Preis der Versi<strong>ch</strong>erung,<br />

handelt es si<strong>ch</strong> um einen Win(VU)-Loose(VN)-Vertrag. Der Widerruf führt für den VN zu einer Er-<br />

höhung der Konsumentenrente.<br />

- Fall W.4.2: Der widerrufende VN kommt innerhalb von 14 Tagen in den Besitz einer wertsenken-<br />

den Information, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf den soeben gezei<strong>ch</strong>neten Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag, sondern auf<br />

ein Konkurrenzprodukt bezieht (bezügli<strong>ch</strong> dieses Konkurrenzprodukts handelt es si<strong>ch</strong> deshalb um<br />

eine werterhöhende Information). In diesem Fall ist die Konsumentenrente des widerrufenen Ver-<br />

trags positiv. Ansonsten hätte der VN den Vertrag ni<strong>ch</strong>t gezei<strong>ch</strong>net. Dur<strong>ch</strong> den Widerruf steigt die<br />

Konsumentenrente, da der VN in den Genuss eines Vertrags kommt, der besser auf seine Bedürf-<br />

nisse und Präferenzen zuges<strong>ch</strong>nitten ist.<br />

Für eine wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>e Bewertung ist au<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>eidend, was mit den monetären Ressourcen<br />

ges<strong>ch</strong>ieht, die der VN dur<strong>ch</strong> den Widerruf eingespart hat. Dabei sind grundsätzli<strong>ch</strong> drei Verwendungsar-<br />

ten zu differenzieren:<br />

■ Der VN behält seinen bestehenden Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag.<br />

■ Der VN zei<strong>ch</strong>net na<strong>ch</strong> dem Widerruf einen anderen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag.<br />

■ Der VN zei<strong>ch</strong>net na<strong>ch</strong> dem Widerruf keinen anderen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag, versi<strong>ch</strong>ert sein Risiko also<br />

ni<strong>ch</strong>t und führt die eingesparten monetären Ressourcen einer anderen Verwendung zu.<br />

61 Eine wertsenkende Information ist eine Information, wel<strong>ch</strong>e die Eins<strong>ch</strong>ätzung des Werts einer Ressource, eines Gutes oder einer<br />

Dienstleistung aus Si<strong>ch</strong>t eines (potentiellen) Käufers senkt. Analog sind werterhöhende Informationen definiert.<br />

150


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 23 zeigt, wel<strong>ch</strong>e Ausgänge in den fünf Fällen, die wir differenzieren, resultieren können. Die drei<br />

mögli<strong>ch</strong>en Ausgänge und fünf Fälle begründen – wie Tabelle 23 zeigt – zehn vers<strong>ch</strong>iedene Fallkonstellati-<br />

onen, die im Rahmen der ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts zu untersu<strong>ch</strong>en sind.<br />

Tabelle 23: Konsumentenrente des widerrufenen Vertrags, Veränderung der Konsumentenrente dur<strong>ch</strong><br />

den Widerruf und Kaufents<strong>ch</strong>eide der widerrufenden VN na<strong>ch</strong> dem Widerruf<br />

Fall W.1<br />

Fall W.2<br />

Fall W.3<br />

Fall W.4.1<br />

Fall W.4.2<br />

Abkürzungen: KR = Konsumentenrente, WR = Widerruf, WRR = Widerrufsre<strong>ch</strong>t<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

6.4.1 Analyse der Auswirkungen<br />

6.4.1.1 Auswirkungen auf die primären Kosten<br />

Unter primären (S<strong>ch</strong>adens-)Kosten versteht man den Wert der materiellen und immateriellen Aktiva der<br />

Opfer eines S<strong>ch</strong>adenereignisses, die dur<strong>ch</strong> das S<strong>ch</strong>adenereignis verni<strong>ch</strong>tet wurden.<br />

Höhe der primäre Kosten. Es ist davon auszugehen, dass die Einführung des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts die primä-<br />

ren Kosten kaum beeinflussen wird. Eine verna<strong>ch</strong>lässigbar geringe Reduktion der primären Kosten ist<br />

denkbar, weil das Widerrufsre<strong>ch</strong>t in gewissen Fällen dazu führen kann, dass die Risiken der widerrufenden<br />

VN temporär oder permanent ni<strong>ch</strong>t gedeckt sind:<br />

■ Der Widerruf kann dazu führen, dass für den widerrufenden VN transitoris<strong>ch</strong>e Deckungslücken entste-<br />

hen.<br />

Konkurrenz-induzierter<br />

Widerruf<br />

Vertragss<strong>ch</strong>luss aufgrund<br />

aggressiver<br />

Verkaufste<strong>ch</strong>niken<br />

Unüberlegter<br />

Vertragss<strong>ch</strong>luss<br />

Widerruf aufgrund neuer<br />

Informationen zum<br />

gezei<strong>ch</strong>neten Vertrag<br />

Widerruf aufgrund neuer<br />

Informationen zu<br />

Konkurrenzprodukten<br />

KR<br />

ohne<br />

WRR<br />

■ In den Fällen W.2 und W.3 kann die Einführung des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts dazu führen, dass die VN gänzli<strong>ch</strong><br />

auf eine Fremdversi<strong>ch</strong>erung des Risikos verzi<strong>ch</strong>ten. Die Ni<strong>ch</strong>t-Versi<strong>ch</strong>erung des Risikos ist in letzterem Fall<br />

aus Si<strong>ch</strong>t des VN allerdings nutzenmaximierend.<br />

Veränd.<br />

der KR<br />

dur<strong>ch</strong> WR<br />

Behalten des<br />

bestehenden<br />

Vertrags<br />

Kauf eines<br />

anderen<br />

Vertrags<br />

> 0 ���� x<br />

Keine Fremdversi<strong>ch</strong>erung<br />

des Risikos<br />

< 0 ���� x x x<br />

< 0 ���� x x x<br />

< 0 ���� x x (x)<br />

> 0 ���� x<br />

151


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Eine Reduktion der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung erhöht die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize der Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte,<br />

Massnahmen der Risikomeidung, -prävention und –minderung zu ergreifen. Mehr Anstrengungen im<br />

Berei<strong>ch</strong> der Risikovermeidung und Risikoprävention reduzieren die S<strong>ch</strong>adenseintrittswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit.<br />

Verstärkte Aktivitäten im Berei<strong>ch</strong> der Risikominderung und -eindämmung führen dagegen in Normalfall zu<br />

einem tieferen S<strong>ch</strong>adensumfang im Fall des Eintritts des befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses.<br />

Die Verfügbarkeit eines Widerrufsre<strong>ch</strong>t kann die primären S<strong>ch</strong>äden au<strong>ch</strong> auf indirekte Art und Weise re-<br />

duzieren: Denn der VN, der ni<strong>ch</strong>t widerrufen kann, kann absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> einen S<strong>ch</strong>adensfall herbeiführen, um<br />

si<strong>ch</strong> mittels des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts im S<strong>ch</strong>adensfall vom ungeliebten Vertrag zu lösen.<br />

Der Wegfall der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung kann allerdings au<strong>ch</strong> zu einer Erhöhung der primären Kosten füh-<br />

ren. Dies ist dann der Fall, wenn der widerrufende VN, der nun keine Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung hat, bei Ein-<br />

tritt eines S<strong>ch</strong>adens ni<strong>ch</strong>t über die monetären Mittel verfügt, um Massnahmen einzuleiten, die den S<strong>ch</strong>a-<br />

densumfang mindern (Beispiel: Massnahmen, die Folges<strong>ch</strong>äden verhindern).<br />

Verteilung der primären Kosten. Die Verfügbarkeit des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts wird die Verteilung der primä-<br />

ren Kosten geringfügig verändern. Diese Verteilungswirkung ist auf den Fall zurückzuführen, der von Art.<br />

8 Abs. 3 E-<strong>VVG</strong> behandelt wird: Na<strong>ch</strong> dem Widerruf kommt es zu einem S<strong>ch</strong>aden, der externe Forderun-<br />

gen begründet. Art. 8 Abs. 3 E-<strong>VVG</strong> reguliert, dass die VU in diesem Fall gegenüber dem ges<strong>ch</strong>ädigten<br />

Dritten trotz Widerruf leistungspfli<strong>ch</strong>tig bleibt und der widerrufende VN die Prämie s<strong>ch</strong>uldet. Dabei ist<br />

davon auszugehen, dass die ges<strong>ch</strong>uldete Prämiensumme die S<strong>ch</strong>adenssumme bei weitem ni<strong>ch</strong>t deckt: Die<br />

S<strong>ch</strong>adenssumme muss deshalb von der Versi<strong>ch</strong>erungsgemeins<strong>ch</strong>aft in Form höherer Prämien quersubven-<br />

tioniert werden. Die letzte Aussage setzt die Annahme voraus, dass die Einführung des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts<br />

die Gewinne der VU unverändert lässt. Die quantitative Wirkung auf die Prämienhöhe hängt von der Häu-<br />

figkeit und dem Umfang von S<strong>ch</strong>äden ab, die na<strong>ch</strong> dem Widerruf externe Forderungen begründen. Die<br />

Häufigkeit wiederum ist davon abhängig, bis zu wel<strong>ch</strong>em Zeitpunkt das VU trotz Widerruf leistungspfli<strong>ch</strong>-<br />

tig bleibt. Bezügli<strong>ch</strong> dieser Frage gibt Art. 8 Abs. 3 keine Auskunft. Deshalb stellt si<strong>ch</strong> die Frage, inwiefern<br />

der Konkretisierung im erläuternden Beri<strong>ch</strong>t (2009, 30) für den Fall der obligatoris<strong>ch</strong>en Motorfahrzeug-<br />

haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung juristis<strong>ch</strong>e Gültigkeit zukommt: «Dem Ges<strong>ch</strong>ädigten gegenüber wird der fehlende<br />

Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz aber erst wirksam, wenn der Fahrzeugausweis und die Kontrolls<strong>ch</strong>ilder abgegeben<br />

sind, spätestens jedo<strong>ch</strong> se<strong>ch</strong>zig Tag na<strong>ch</strong> Eingang der Meldung des Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmens.»<br />

Fazit: Die Einführung des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts wird die Höhe der primären Kosten ni<strong>ch</strong>t in erwähnenswertem<br />

Umfang verändern. Tendenziell werden die primären S<strong>ch</strong>adenskosten sinken. Aufgrund der Leistungs-<br />

pfli<strong>ch</strong>t des VU bei externen Forderungen au<strong>ch</strong> im Fall des Widerrufs (Art. 8 Abs. 3 E-<strong>VVG</strong>), ist eine gering-<br />

fügige Umverteilung der primären Kosten zu Lasten der VU bzw. der ni<strong>ch</strong>t-widerrufenden VN zu erwar-<br />

ten.<br />

6.4.1.2 Auswirkungen auf die sekundären Kosten<br />

Die Existenz sekundärer Kosten setzen Risikoaversion (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 4.2) voraus. Sie entstehen, wenn ein<br />

S<strong>ch</strong>aden von einem einzelnen Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt getragen werden muss. Aufgrund der Risikoaversion der<br />

Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte ist der mit diesem S<strong>ch</strong>aden verbundenen Nutzenausfall grösser, als dies der Fall wäre,<br />

wenn der S<strong>ch</strong>aden auf eine Vielzahl von Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekten verteilt werden könnte (Versi<strong>ch</strong>erungsprin-<br />

zip).<br />

Die Verfügbarkeit eines Widerrufsre<strong>ch</strong>ts erhöht die sekundären Kosten prinzipiell, weil – wie im vorange-<br />

henden Abs<strong>ch</strong>nitt gezeigt – die Einführung eines Widerrufsre<strong>ch</strong>ts die Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung der Wirt-<br />

s<strong>ch</strong>aftssubjekte geringfügig reduziert. Von Bedeutung könnten die zusätzli<strong>ch</strong>en sekundären Kosten des<br />

Widerrufsre<strong>ch</strong>ts sein, wenn der Verlust der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung infolge Widerruf dazu führen würde,<br />

152


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

dass externe Forderungen ni<strong>ch</strong>t gedeckt werden könnten, so dass der S<strong>ch</strong>aden vom Ges<strong>ch</strong>ädigten allein<br />

getragen werden müsste. Dieser Sa<strong>ch</strong>verhalt kann als Argument für Art. 8 Abs. 3 E<strong>VVG</strong> interpretiert wer-<br />

den: Dieser Absatz besagt, dass die VU gutgläubige Ansprü<strong>ch</strong>e ges<strong>ch</strong>ädigter Dritter au<strong>ch</strong> dann bedienen<br />

müssen, wenn der zugrundeliegende Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag widerrufen worden ist.<br />

Fazit: Die Einführung des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts wird die sekundären Kosten ni<strong>ch</strong>t in erwähnenswertem Um-<br />

fang verändern. Die sekundären S<strong>ch</strong>adenkosten werden in der Tendenz steigen, da das Widerrufsre<strong>ch</strong>t die<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken geringfügig senken wird.<br />

6.4.1.3 Auswirkungen auf die tertiären Kosten<br />

«Unter tertiären Kosten sind alle Aufwendungen zu verstehen, die bei eingetretenem S<strong>ch</strong>aden zur Ab-<br />

wicklung und Verteilung dieses S<strong>ch</strong>adens entstehen.» (S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005, 140). In Zusammenhang mit<br />

dem Widerrufsre<strong>ch</strong>t drängt si<strong>ch</strong> eine Differenzierung folgender Arten tertiärer Kosten auf<br />

■ Änderungs- und Anpassungskosten<br />

■ Vereinbarungskosten (Kosten des Vertragss<strong>ch</strong>lusses)<br />

■ Abwicklungskosten (Kosten der S<strong>ch</strong>adenregulierung und Kosten des Prämieninkassos)<br />

Direkte Auswirkung auf die Änderungs- und Anpassungskosten<br />

Gemäss den befragten Experten löst ein Widerruf bei dem vom Widerruf betroffenen VU in direkter Art<br />

und Weise Kosten <strong>admin</strong>istrativer Natur aus:<br />

■ Der Widerruf muss mit einem S<strong>ch</strong>reiben des VU an den VN bestätigt werden.<br />

■ Der Widerruf muss in den IT-Systemen des VU abgebildet werden.<br />

Diese Kosten dürften mit den Kosten verglei<strong>ch</strong>bar sein, die bei einer anderweitigen Vertragsauflösung<br />

resultieren. Weiter unten werden wir argumentieren, dass davon ausgegangen werden muss, dass es si<strong>ch</strong><br />

bei einem Teil dieser Kosten nur um zeitli<strong>ch</strong> vorgezogene Kosten handelt. Denn es ist davon auszugehen,<br />

dass si<strong>ch</strong> ein VN, der ni<strong>ch</strong>t widerrufen kann, mögli<strong>ch</strong>st ras<strong>ch</strong> auf andere Weise vom ungeliebten Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvertrag lösen wird.<br />

Darüber hinaus hat eines der befragten VU geltend gema<strong>ch</strong>t, dass die Einführung eines Widerrufsre<strong>ch</strong>ts<br />

au<strong>ch</strong> zu Investitionskosten führen wird, da die Mögli<strong>ch</strong>keit des Widerrufs in den IT-Systemen integriert<br />

werden muss. Leider konnten diesbezügli<strong>ch</strong> keine quantitativen Angaben gema<strong>ch</strong>t werden, da hierzu<br />

Offerten von externen Dienstleistungsunternehmen erforderli<strong>ch</strong> wären. Allfällige Investitionskosten in die<br />

IT-Systeme s<strong>ch</strong>ätzen wir aus zwei Gründen für gering ein:<br />

■ Bei den Lebensversi<strong>ch</strong>erungen wird bereits heute ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t gewährt. Widerrufe werden dar-<br />

über hinaus auf der Basis von Kulanz gewährt. Dies impliziert, dass Widerrufe bereits heute unter dem<br />

geltenden <strong>VVG</strong> in den IT-Systemen abgebildet werden können.<br />

■ Der Widerruf eines Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags ist nur eine Form einer Vertragskündigung. Die Funktionalität<br />

der Vertragskündigung ist in den IT-Systemen der Versi<strong>ch</strong>erer grundsätzli<strong>ch</strong> verfügbar, so dass allfällige<br />

Anpassungen keine grundlegenden Eingriffe in die Systeme bedingen sollten.<br />

Direkte Auswirkung auf die Vereinbarungskosten (Kosten des Vertragss<strong>ch</strong>lusses)<br />

Der Widerruf eines Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags führt nur dann zu zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten des Vertragss<strong>ch</strong>lusses,<br />

wenn der VN na<strong>ch</strong> dem Widerruf sein Risiko mit einem anderen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag deckt. Insbesondere<br />

resultieren in folgenden Fallkonstellationen keine zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten:<br />

153


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Der widerrufende VN hatte bereits vor Zei<strong>ch</strong>nung des später widerrufenen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags einen<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag, den er no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gekündigt hat.<br />

■ Der widerrufende VN kauft au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> dem Widerruf keine Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ein.<br />

Es ist korrekt, dass au<strong>ch</strong> in diesen beiden Konstellationen in Zusammenhang mit dem Vertrag, der später<br />

widerrufen wird, bei den VU Kosten, z.B. Akquisitionskosten, entstehen. Bei diesen Kosten handelt es si<strong>ch</strong><br />

jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t um zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten, da diese in glei<strong>ch</strong>em Umfang entstehen, wenn der Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

trag ni<strong>ch</strong>t widerrufen wird. Ökonomis<strong>ch</strong> ausgedrückt: es handelt si<strong>ch</strong> um Sunk Costs. Bezügli<strong>ch</strong> dieser<br />

Sunk Costs entfaltet das Widerrufsre<strong>ch</strong>t nur eine Verteilungswirkung:<br />

■ Verteilung der Kosten ohne Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Referenzszenario): Der VN, der ni<strong>ch</strong>t widerrufen kann, trägt<br />

mit seinen Prämienzahlungen die Kosten, die in Zusammenhang mit seinem Vertragss<strong>ch</strong>luss angefallen<br />

sind.<br />

■ Verteilung der Kosten mit Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Regulierungsszenario): Der VN trägt die Kosten, die in Zu-<br />

sammenhang mit dem Vertragss<strong>ch</strong>luss angefallen sind, ni<strong>ch</strong>t, da er keine Prämienzahlungen leistet. Die<br />

Kosten müssen also vom VU und damit – unter der Annahme, dass die Einführung des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts<br />

die Gewinne der VU ni<strong>ch</strong>t verändert – in Form höherer Prämien von der Versi<strong>ch</strong>erungsgemeins<strong>ch</strong>aft ge-<br />

tragen werden. Diese Überlegung gilt ni<strong>ch</strong>t für die «Kosten aus besonderen Abklärungen»: Art. 8 Abs. 2<br />

E-<strong>VVG</strong> reguliert, dass diese Kosten vom widerrufenden VN übernommen werden müssen.<br />

Zu zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten des Vertragss<strong>ch</strong>lusses führt das Widerrufsre<strong>ch</strong>t also nur dann, wenn der VN na<strong>ch</strong><br />

dem Widerruf einen neuen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zei<strong>ch</strong>net – zum Beispiel weil er seine bestehende Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsdeckung in Zusammenhang mit dem später widerrufenen Vertrag gekündigt hat.<br />

Weiter unten werden wir ausführen, dass es si<strong>ch</strong> bei einem Teil dieser Kosten ni<strong>ch</strong>t um zusätzli<strong>ch</strong>e, son-<br />

dern um zeitli<strong>ch</strong> vorgezogene Kosten handelt.<br />

Direkte Auswirkungen auf die Abwicklungskosten<br />

Die Einführung des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts wird zu einer geringfügigen Reduktion der Kosten der S<strong>ch</strong>adenre-<br />

gulierung führen:<br />

■ Tritt ein S<strong>ch</strong>aden zwis<strong>ch</strong>en dem Zeitpunkt ein, in dem der Widerruf wirksam wird und dem Zeitpunkt,<br />

zu dem die Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung eines allfälligen neuen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags einsetzt, ist keine S<strong>ch</strong>a-<br />

denregulierung notwendig, da der S<strong>ch</strong>aden ni<strong>ch</strong>t gedeckt ist.<br />

■ Tritt ein S<strong>ch</strong>aden na<strong>ch</strong> dem Zeitpunkt ein, in dem der Widerruf wirksam wird, und hat der widerrufen-<br />

de VN darauf verzi<strong>ch</strong>tet, sein Risiko na<strong>ch</strong> dem Widerruf mit einem neuen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu decken,<br />

gibt es keine S<strong>ch</strong>adenregulierung, da es keinen Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz mehr gibt.<br />

Das Widerrufsre<strong>ch</strong>t kann allerdings die Verteilung der Kosten der S<strong>ch</strong>adensregulierung zu Ungunsten<br />

der Versi<strong>ch</strong>erungsgemeins<strong>ch</strong>aft verändern, was auf folgende Fallkonstellationen zurückzuführen ist:<br />

■ Tritt ein S<strong>ch</strong>aden zwis<strong>ch</strong>en dem Zeitpunkt des Versands der Widerrufs-Erklärung und dem Zeitpunkt der<br />

Wirksamkeit des Widerrufs ein und wurde die S<strong>ch</strong>adensregulierung bereits eingesetzt, dann entstehen<br />

Kosten, die der widerrufende VN ni<strong>ch</strong>t mit Prämienzahlungen deckt. Diese zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten müssen<br />

letztli<strong>ch</strong> von der Versi<strong>ch</strong>erungsgemeins<strong>ch</strong>aft in Form höherer Prämien finanziert werden.<br />

■ Entsteht zwis<strong>ch</strong>en dem Zeitpunkt des Versands der Widerrufs-Erklärung und des Zeitpunkts der Wirk-<br />

samkeit des Widerrufs ein S<strong>ch</strong>aden ein, der externe Forderungsre<strong>ch</strong>te von ges<strong>ch</strong>ädigten Dritten begrün-<br />

det, muss dieser S<strong>ch</strong>aden aufgrund von Art. 8 Abs. 3 E-<strong>VVG</strong> reguliert werden. Decken die Prämienzahlun-<br />

gen, zu wel<strong>ch</strong>en der widerrufende VN gemäss Art. 8 Abs. 3 E-<strong>VVG</strong> in diesem Fall verpfli<strong>ch</strong>tet ist, die Kos-<br />

154


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

ten der S<strong>ch</strong>adenregulierung ni<strong>ch</strong>t, dann müssen diese Kosten von der Versi<strong>ch</strong>erungsgemeins<strong>ch</strong>aft in Form<br />

höherer Prämien getragen werden.<br />

Das Widerrufsre<strong>ch</strong>t könnte rein theoretis<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> zu zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten im Berei<strong>ch</strong> des Prämieninkassos<br />

führen. Dies ist allerdings nur dann mögli<strong>ch</strong>, wenn der VN vor dem Widerruf bereits Prämienzahlungen<br />

geleistet hat. In diesem Fall ist das VU verpfli<strong>ch</strong>tet, dem VN, der widerrufen hat, die Prämienzahlungen<br />

zurückzuerstatten, was mit <strong>admin</strong>istrativen Aufwendungen verbunden ist. Dieser Fall dürfte in der Praxis<br />

fast nie vorkommen.<br />

Indirekte Reduktion der Transaktionskosten<br />

Die Verfügbarkeit des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts kann im Rahmen von Substitutionseffekten au<strong>ch</strong> zu einer Redukti-<br />

on der tertiären Kosten führen. Substitutionsvorgänge können in drei Spielarten auftreten:<br />

■ Intertemporale Substitution einer ordentli<strong>ch</strong>en Vertragsauflösung: Kann ein VN einen Vertrag,<br />

über dessen Abs<strong>ch</strong>luss er ni<strong>ch</strong>t glückli<strong>ch</strong> ist, ni<strong>ch</strong>t widerrufen, wird der VN si<strong>ch</strong> mittels der vertragli<strong>ch</strong> ver-<br />

einbarten Kündigungsre<strong>ch</strong>te so s<strong>ch</strong>nell wie mögli<strong>ch</strong> vom ungeliebten Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag lösen und<br />

einen neuen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zei<strong>ch</strong>nen. Die damit verbundenen tertiären Kosten der Vertragsauflö-<br />

sung dürften mindestens so ho<strong>ch</strong> sein wie die Kosten einer Vertragsauflösung im Rahmen des Widerrufs-<br />

re<strong>ch</strong>ts, wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> sind sie höher. Insofern kann die Einführung des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts sogar zur einer<br />

Reduktion der tertiären Kosten führen: Die tiefen Transaktionskosten beim Widerruf substituieren höhere<br />

Transaktionskosten einer Vertragsauflösung zu einem späteren Zeitpunkt.<br />

■ Intertemporale Substitution einer herbeigeführten Vertragsauflösung: Kann si<strong>ch</strong> der VN, der<br />

einen ungeliebten Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag ni<strong>ch</strong>t widerrufen kann, ni<strong>ch</strong>t kurzfristig vom Vertrag lösen (z.B.<br />

weil er einen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag mit langer Laufzeit gezei<strong>ch</strong>net hat), kann er versu<strong>ch</strong>t sein, das VU<br />

dur<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>endes Verhalten zur Einwilligung in eine Vertragsauflösung zu bewegen. So kann er si<strong>ch</strong><br />

zum Beispiel unkooperativ verhalten, indem er die Prämien ni<strong>ch</strong>t re<strong>ch</strong>tzeitig bezahlt, S<strong>ch</strong>äden geltend<br />

ma<strong>ch</strong>t, die ni<strong>ch</strong>t in der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung enthalten sind etc. Im s<strong>ch</strong>limmsten Fall führt der VN sogar<br />

einen S<strong>ch</strong>adensfall willentli<strong>ch</strong> herbei, um si<strong>ch</strong> mittels des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts im S<strong>ch</strong>adensfall vom ungelieb-<br />

ten Vertrag zu trennen.<br />

■ Intertemporale Substitution Konkurrenz-induzierter Vertragsauflösungen: Eine Substitution von<br />

anderweitigen Vertragsauflösungen kann au<strong>ch</strong> aufgrund des Verhaltens von Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern der<br />

Konkurrenz resultieren. So tritt gemäss den befragten Experten eines VU bereits heute, unter dem gelten-<br />

den <strong>VVG</strong>, zwis<strong>ch</strong>endur<strong>ch</strong> der Fall ein, dass VN von Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern konkurrierender VU dazu<br />

veranlasst werden, eine Vertragsänderung zu beantragen und im Rahmen dieser Vertragsänderung das<br />

jährli<strong>ch</strong>e Kündigungsre<strong>ch</strong>t zu verlangen. Na<strong>ch</strong> erfolgter Vertragsänderung ma<strong>ch</strong>en sie vom Kündigungs-<br />

re<strong>ch</strong>t Gebrau<strong>ch</strong>. Der Klassiker hierfür sei der We<strong>ch</strong>sel von Voll- zu Teilkasko bei der Motorfahrzeug-<br />

Kaskoversi<strong>ch</strong>erung. Die Kosten, die mit einer sol<strong>ch</strong>en Vertragsauflösung verbunden sind, sind auf jeden<br />

Fall markant höher als die Kosten eines Widerrufs, so dass die Einführung eines Widerrufsre<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> in<br />

diesem Fall zu einer Reduktion der tertiären Kosten führen kann.<br />

Einige der befragten Experten haben argumentiert, dass die Transaktionskosten bei VN, die ni<strong>ch</strong>t widerru-<br />

fen können, au<strong>ch</strong> dann höher sind, wenn sie ni<strong>ch</strong>t bewusst und willentli<strong>ch</strong> eine Vertragsauflösung herbei-<br />

führen. Ein Beispiel hierfür sind VN, die einen Vertrag gezei<strong>ch</strong>net haben, den sie si<strong>ch</strong> angesi<strong>ch</strong>ts ihrer fi-<br />

nanziellen Verhältnisse eigentli<strong>ch</strong> gar ni<strong>ch</strong>t leisten können. Bei sol<strong>ch</strong>en VN resultieren zumeist Probleme<br />

beim Prämieninkasso, was gemäss der Ombudsfrau der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA negative Kosten-<br />

folgen entfaltet: «Abgesehen von den negativen Auswirkungen des Prämienverzugs des Zahlungspfli<strong>ch</strong>tigen bewir-<br />

ken Zahlungss<strong>ch</strong>wierigkeiten beim Versi<strong>ch</strong>erer einen <strong>admin</strong>istrativen Mehraufwand, der den Apparat belastet. Kom-<br />

155


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

men im Rahmen des Mahnverfahrens Querelen hinzu, dürfte si<strong>ch</strong> der Abs<strong>ch</strong>luss der Police kaum gelohnt haben.»<br />

(Ombudsfrau 2009b, 10)<br />

Fazit: Auswirkungen des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts auf die Transaktionskosten<br />

Die Einführung des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts auf die Transaktionskosten dürfte bes<strong>ch</strong>eiden ausfallen. Widerrufe<br />

lösen beim VU zwar unmittelbar Kosten aus, da der Widerruf vollzogen werden muss. Bei einem grossen<br />

Teil dieser Kosten dürfte es si<strong>ch</strong> allerdings ni<strong>ch</strong>t um zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten, sondern nur um Kosten handeln,<br />

die zeitli<strong>ch</strong> früher anfallen. Denn VN, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t per Widerruf eines ungeliebten Vertrages entledigen<br />

können, werden si<strong>ch</strong> so ras<strong>ch</strong> wie mögli<strong>ch</strong> auf andere Art und Weise vom gezei<strong>ch</strong>neten Vertrag lösen.<br />

Dabei können Kosten entstehen, die sogar höher sind als diejenigen im Fall eines Widerrufs. Insofern muss<br />

das Widerrufsre<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t zwingend zu einer Erhöhung der Transaktionskosten führen. Allenfalls werden<br />

aufgrund des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts bei einigen VU Investitionskosten anfallen, da IT-Systeme angepasst werden<br />

müssen. Diese Kosten s<strong>ch</strong>ätzen wir allerdings als gering ein.<br />

6.4.1.4 Verhaltensänderungen<br />

Wir haben bereits im vorangehenden Abs<strong>ch</strong>nitt na<strong>ch</strong>gewiesen, dass das Widerrufsre<strong>ch</strong>t zu Verhaltensän-<br />

derungen der VN, Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler und VU führen können, die kostensenkend wirken. Die Mög-<br />

li<strong>ch</strong>keit, einen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu widerrufen, kann jedo<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> zu anderen Verhaltensänderungen<br />

führen, die na<strong>ch</strong>folgend kurz ausgeführt werden:<br />

■ Missbrau<strong>ch</strong> des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts dur<strong>ch</strong> opportunistis<strong>ch</strong>e VN<br />

■ Präventivwirkung: Zusätzli<strong>ch</strong>e Bemühungen der VU, Widerrufe zu verhindern<br />

■ Missbrau<strong>ch</strong> des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts dur<strong>ch</strong> opportunistis<strong>ch</strong>e Vermittler<br />

■ Reduktion des Misstrauens von VN<br />

Missbrau<strong>ch</strong> des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts dur<strong>ch</strong> opportunistis<strong>ch</strong>en VN<br />

Bereits in der juristis<strong>ch</strong>en Analyse (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 6.3) haben wir dargelegt, dass dem Widerrufsre<strong>ch</strong>t ein<br />

Missbrau<strong>ch</strong>spotential inhärent ist. Die Kritiker des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts ma<strong>ch</strong>en zwei Mögli<strong>ch</strong>keiten zum Miss-<br />

brau<strong>ch</strong> geltend:<br />

■ Kostenloser Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz (vgl. Fall M1 in Abs<strong>ch</strong>nitt 6.3): Opportunistis<strong>ch</strong>e VN können das<br />

Widerrufsre<strong>ch</strong>t dazu benutzen, in den Genuss einer kostenlosen Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung zu kommen. Ein<br />

Beispiel hierfür ist der Fall M1 (Vollkasko-Versi<strong>ch</strong>erung für eine kurze Reise), der bereits in Abs<strong>ch</strong>nitt 6.3<br />

expliziert wurde. Die Regelung in Art. 7 Abs. 1, wona<strong>ch</strong> ein Widerruf bei Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen mit einer<br />

Laufzeit von weniger als einem Monat ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong> ist, reduziert zwar die Mögli<strong>ch</strong>keiten zu derartigen<br />

Missbräu<strong>ch</strong>en, kann aber, wie obiges Beispiel zeigt, das Missbrau<strong>ch</strong>spotential ni<strong>ch</strong>t vollständig verni<strong>ch</strong>ten.<br />

Ein Vertreter der befragten VU hat darüber hinaus darauf hingewiesen, dass das Problem einer Gratisde-<br />

ckung v.a. dann virulent ist, wenn das S<strong>ch</strong>adenrisiko zu Beginn der Vertragsdauer erhöht ist, was z.B. bei<br />

Versi<strong>ch</strong>erungen in Zusammenhang mit Bauprojekten der Fall sein kann.<br />

■ Provisoris<strong>ch</strong>e Abs<strong>ch</strong>lüsse von Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen (vgl. Fall M2 in Abs<strong>ch</strong>nitt 6.3): Ein weite-<br />

res Missbrau<strong>ch</strong>spotential ist der Abs<strong>ch</strong>luss einer Vielzahl «provisoris<strong>ch</strong>er» Versi<strong>ch</strong>erungsverträge. Ein Bei-<br />

spiel hierfür ist der Fall M2 (Zeitnot der Makler gegen Jahresende), den wir in Abs<strong>ch</strong>nitt 6.3 im Detail exp-<br />

liziert haben.<br />

Missbräu<strong>ch</strong>e, wie wir sie soeben bes<strong>ch</strong>rieben haben, führen in einem ersten S<strong>ch</strong>ritt zu einer Erhöhung der<br />

Prämien. Dies führt dazu, dass einige Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte ihre Risiken ni<strong>ch</strong>t mehr versi<strong>ch</strong>ern wollen, da die<br />

156


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Prämienhöhe nun ihre maximale Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft übersteigt. Dadur<strong>ch</strong> sinken die Konsumenten- und<br />

Produzentenrenten, was einem gesamtwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Wohlfahrtsverlust entspri<strong>ch</strong>t.<br />

Allerdings s<strong>ch</strong>ätzen wir das Missbrau<strong>ch</strong>spotential für gering ein, da die VU auf einfa<strong>ch</strong>e Art und Weise<br />

Missbräu<strong>ch</strong>e verhindern können: Denn es ist den VU freigestellt, die Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung erst na<strong>ch</strong><br />

Ablauf von 14 Tagen einsetzen zu lassen. Es ist davon auszugehen, dass die VN in den meisten Fällen<br />

ni<strong>ch</strong>t eine Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung benötigen, die sofort einsetzt – ni<strong>ch</strong>t zuletzt deshalb, weil sie in vielen<br />

Fällen bei Vertragss<strong>ch</strong>luss no<strong>ch</strong> einen laufenden, allenfalls bereits gekündigten Vertrag bei einem Vorversi-<br />

<strong>ch</strong>erer haben. In Fällen, in wel<strong>ch</strong>en die VN eine Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung wüns<strong>ch</strong>en, die sofort einsetzt,<br />

haben die VU die Mögli<strong>ch</strong>keit, dem VN einen Vertrag anzubieten, dessen Laufzeit weniger als ein Monat<br />

beträgt. Bei einem sol<strong>ch</strong>en Vertrag haben die VN gemäss Art. 7 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong> kein Widerrufsre<strong>ch</strong>t.<br />

Präventivwirkung: Zusätzli<strong>ch</strong>e Bemühungen der VU, Widerrufe zu verhindern<br />

Das Widerrufsre<strong>ch</strong>t kann als Reallokation eines Vertragsrisikos begriffen werden: Das Risiko, dass ein VN<br />

einen für ihn suboptimalen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag abs<strong>ch</strong>liesst, wird in einem gewissen Ausmass 62 vom VN<br />

zum VU transferiert. Realisiert si<strong>ch</strong> die Gefahr eines Widerrufs, führt dies beim betroffenen VU zu einer<br />

Umsatzeinbusse und – wie wir soeben ausgeführt haben – zu Aufwänden <strong>admin</strong>istrativer Natur. Dadur<strong>ch</strong><br />

entstehen dem VU monetäre Anreize, Widerrufe zu verhindern. Widerrufe können aus Si<strong>ch</strong>t des VU je-<br />

do<strong>ch</strong> nur verhindert werden, wenn die Ursa<strong>ch</strong>en von Widerrufen beseitigt werden. Wie wir weiter oben<br />

dargelegt haben, befinden si<strong>ch</strong> die drei wi<strong>ch</strong>tigsten Ursa<strong>ch</strong>en von Widerrufen in der Organisationssphäre<br />

des VU:<br />

■ Informationsdefizite des VN bezügli<strong>ch</strong> des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung)<br />

■ Aggressive, nur am Abs<strong>ch</strong>luss orientierte Verkaufste<strong>ch</strong>niken<br />

■ Widerruf auf Wuns<strong>ch</strong> von Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern (Konkurrenz-induzierter Widerruf)<br />

Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass die Verfügbarkeit des Widerrufsre<strong>ch</strong>t eine präventive Wir-<br />

kung entfalten wird: Die Qualität der Beratung und die Qualität der Verkaufsgesprä<strong>ch</strong>e wird steigen, so<br />

dass der Anteil von Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen, die für die VN ni<strong>ch</strong>t nutzenmaximierend sind, abnimmt.<br />

Reduktion des Misstrauens von VN<br />

In Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.3.4 haben wir bereits ausgeführt, dass die Informationsdefizite der VN zu Misstrauen<br />

führen können. Derartiges Misstrauen kann die Bereits<strong>ch</strong>aft von VN, Versi<strong>ch</strong>erungsverträge abzus<strong>ch</strong>lies-<br />

sen, reduzieren. Es ist denkbar, dass dur<strong>ch</strong> die Verfügbarkeit des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts dieses Misstrauen und<br />

die Angst, einen suboptimalen Vertrag zu zei<strong>ch</strong>nen, reduziert werden kann, so dass die Na<strong>ch</strong>frage stimu-<br />

liert wird.<br />

6.4.2 Normative Analyse<br />

Die Ausführungen in diesem Abs<strong>ch</strong>nitt beziehen si<strong>ch</strong> auf den Fall eines natürli<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsnehmers.<br />

Wenn wir von «VN» s<strong>ch</strong>reiben, ist deshalb immer ein Privatkunde gemeint. Den Fall, dass es si<strong>ch</strong> beim<br />

VN um eine juristis<strong>ch</strong>e Person, also um einen Firmenkunden handelt, werden wir in Zusammenhang mit<br />

dem Alternativszenario 1 (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 6.5.2) behandeln.<br />

Man kann die Situation, die einem Widerruf zugrunde liegt, als Vertragsrisiko interpretieren. Dabei han-<br />

delt es si<strong>ch</strong> um das Risiko, dass ein VN einen Vertrag zei<strong>ch</strong>net, der seinen Nutzen ni<strong>ch</strong>t maximiert, also aus<br />

Si<strong>ch</strong>t des VN suboptimal ist.<br />

62 Das Risiko wird ni<strong>ch</strong>t vollständig transferiert, da das Widerrufsre<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> zwei Wo<strong>ch</strong>en erlis<strong>ch</strong>t.<br />

157


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Aus der ökonomis<strong>ch</strong>en Si<strong>ch</strong>t stellt si<strong>ch</strong> die Frage, ob dieses Risiko dem VN oder aber dem VU zugewiesen<br />

werden soll. Sollte si<strong>ch</strong> herausstellen, dass das Risiko aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Perspektive dem VU<br />

zugewiesen werden sollte, würde dies bedeuten, dass ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t gewährt werden soll.<br />

Bereits in Kapitel 4.7 haben wir dargelegt, dass diese Frage gemäss folgendem wohlfahrtsökonomi-<br />

s<strong>ch</strong>en Ents<strong>ch</strong>eidungss<strong>ch</strong>ema beantwortet werden soll:<br />

■ Regel 1 – Cheapest Cost Avoider: Das Risiko kann mit vertretbarem Aufwand (Learned Hand Formel)<br />

reduziert oder sogar vollständig verni<strong>ch</strong>tet werden → Das Risiko soll dem Cheapest Cost Avoider zuge-<br />

ordnet werden.<br />

■ Regel 2 – Cheapest Insurer: Das Risiko kann ni<strong>ch</strong>t mit vertretbarem Aufwand vermieden werden und<br />

das Risiko ist versi<strong>ch</strong>erbar → Das Risiko soll derjenigen Partei zugeordnet werden, die das Risiko mit der<br />

geringsten Versi<strong>ch</strong>erungsprämie versi<strong>ch</strong>ern kann. Diese Vertragspartei wird «Cheapest Insurer» genannt.<br />

■ Regel 3 – Superior Risk Bearer: Das Risiko kann ni<strong>ch</strong>t vermieden und ni<strong>ch</strong>t versi<strong>ch</strong>ert werden → Das<br />

Risiko soll dem Superior Risk Bearer zugeordnet werden.<br />

Wendet man dieses einfa<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidungss<strong>ch</strong>ema auf die 5 Fälle an, die wir weiter oben differenziert<br />

haben, führt dies zu folgenden Ergebnissen:<br />

■ Fall W.1 Konkurrenz-induzierter Widerruf: Wie wir weiter oben ausgeführt haben, muss davon<br />

ausgegangen werden, dass bei einem Konkurrenz-induzierten Widerruf die Konsumentenrente des VN<br />

beim neuen Vertrag ni<strong>ch</strong>t höher ist als beim widerrufenen Vertrag. Deshalb lässt si<strong>ch</strong> der Fall eines kon-<br />

kurrenz-induzierten Widerrufs ni<strong>ch</strong>t sinnvoll mit dem oben explizierten wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>en Ent-<br />

s<strong>ch</strong>eidungss<strong>ch</strong>ema analysieren. Da den zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten der Zei<strong>ch</strong>nung des neuen Vertrags und den<br />

<strong>admin</strong>istrativen Kosten der Umsetzung des Widerrufs keinen entspre<strong>ch</strong>enden Nutzen gegenübersteht,<br />

sind Konkurrenz-induzierte Widerrufe wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert. Ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t<br />

sollte in sol<strong>ch</strong>en Fällen also ni<strong>ch</strong>t gewährt werden.<br />

■ Fall W.2 «Vertragss<strong>ch</strong>luss aufgrund aggressiver Verkaufste<strong>ch</strong>niken»: Das Risiko, dass ein VN mit<br />

aggressiven Verkaufste<strong>ch</strong>niken zu einem für ihn ni<strong>ch</strong>t vorteilhaften Vertragss<strong>ch</strong>luss «verführt» wird, kann<br />

vom beratenden Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler vermieden werden, indem er auf Verkaufste<strong>ch</strong>niken verzi<strong>ch</strong>tet,<br />

die auf einen s<strong>ch</strong>nellen Vertragss<strong>ch</strong>luss zielen. Das Risiko eines derartigen Vertragss<strong>ch</strong>lusses sollte deshalb<br />

dem VU übertragen werden, das in diesem Fall der Cheapest Cost Avoider ist. Ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t ist aus<br />

wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t also zu gewähren.<br />

■ Fall W.3 «Unüberlegter Vertragss<strong>ch</strong>luss»: In diesem Fall ist der VN der Cheapest Cost Avoider. Das<br />

Risiko eines sol<strong>ch</strong>en Vertragss<strong>ch</strong>luss ist also dem VN zuzuordnen und ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t sollte ni<strong>ch</strong>t ge-<br />

währt werden.<br />

■ Fall W.4.1 Widerruf aufgrund neuer Informationen zum gezei<strong>ch</strong>neten Vertrag: Der widerrufen-<br />

de VN kommt innerhalb von 14 Tagen in den Besitz einer sog. wertsenkenden Information 63 , die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

auf Konkurrenzprodukte, sondern auf das eingekaufte Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt bezieht. Da si<strong>ch</strong> diese wert-<br />

senkende Information im Organisationsberei<strong>ch</strong> des VU befindet, ist das Risiko dem VU zuzuweisen: Denn<br />

der Versi<strong>ch</strong>erungsagent des entspre<strong>ch</strong>enden VU kann diese wertsenkende Information unter Aufwendung<br />

von Grenzkosten, die gegen Null streben, dem VN in der vorvertragli<strong>ch</strong>en Phase mitteilen. Allerdings stellt<br />

si<strong>ch</strong> die Frage, ob dem VU aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t derartige Informationspfli<strong>ch</strong>ten überhaupt aufgetragen<br />

werden dürfen. Wir haben bereits an früherer Stelle ausgeführt, dass diese Frage bejaht werden muss, da<br />

zwis<strong>ch</strong>en dem Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler und dem VN eine Vertrauensbeziehung besteht. Fazit: In diesem<br />

Fall ist das Risiko dem VU zuzuordnen, das Widerrufsre<strong>ch</strong>t ist zu begrüssen.<br />

63 Eine wertsenkende Information ist eine Information, wel<strong>ch</strong>e die Eins<strong>ch</strong>ätzung des Werts einer Ressource, eines Gutes oder einer<br />

Dienstleistung aus Si<strong>ch</strong>t eine (potentiellen) Käufers sinkt. Analog sind werterhöhende Informationen definiert.<br />

158


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Fall W.4.2 Widerruf aufgrund neuer Informationen zu Konkurrenzprodukten: Der widerrufende<br />

VN kommt innerhalb von 14 Tagen in den Besitz einer wertsenkenden Information, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf das<br />

eingekaufte Produkt, sondern auf ein Konkurrenzprodukt bezieht (bezügli<strong>ch</strong> diesem Konkurrenzprodukt<br />

handelt es si<strong>ch</strong> deshalb um eine werterhöhende Information). In dieser Fallkonstellation läuft die Anwen-<br />

dung des wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>en Ents<strong>ch</strong>eidungss<strong>ch</strong>emas auf die Frage hinaus, ob einem Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vermittler eine Informationspfli<strong>ch</strong>t aufgetragen werden kann, die si<strong>ch</strong> auf Konkurrenzprodukte beziehen.<br />

Diese Frage muss im Fall eines gebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsagenten eindeutig verneint werden, da es ni<strong>ch</strong>t<br />

Aufgabe eines Versi<strong>ch</strong>erungsagenten ist, seine potentielle Kunden über Konkurrenzprodukte zu unterri<strong>ch</strong>-<br />

ten 64 . Der VN ist Cheapest Cost Avoider, das VU hingegen der Superior Risk Bearer. Also ist die Frage<br />

ents<strong>ch</strong>eidend, ob der VN in der Lage wäre, vor Vertragss<strong>ch</strong>luss mit vertretbarem Aufwand in den Besitz<br />

der zur Diskussion stehenden wertsenkenden Informationen zu kommen. Diese Frage muss angesi<strong>ch</strong>ts der<br />

Verfügbarkeit des Internets a priori bejaht werden: Das Risiko ist also dem VN zuzuordnen und ein Wider-<br />

rufsre<strong>ch</strong>t ist ni<strong>ch</strong>t angezeigt.<br />

In den Fällen, in wel<strong>ch</strong>en der Vertrag, den der VN widerrufen mö<strong>ch</strong>te, ein Win(VU)-Loose-(VN)-Vertrag<br />

darstellt und die Ursa<strong>ch</strong>e für den Widerruf im Organisationsberei<strong>ch</strong> der VU liegt, also in den Fällen W.2<br />

und W.4.1 sollte das Widerrufsre<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> aus ordnungspolitis<strong>ch</strong>en Gründen gewährt werden. Denn der<br />

Vertragss<strong>ch</strong>luss stellt in diesen Fälle eine wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Transaktion dar, die nur eine Umverteilungswir-<br />

kung vom VN zum VU bewirkt. Der Staat jedo<strong>ch</strong> sollte die Rahmenbedingungen derart setzen, dass si<strong>ch</strong><br />

die Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte ni<strong>ch</strong>t darauf konzentrieren, si<strong>ch</strong> Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte anzueignen.<br />

Vielmehr sollten die Rahmenbedingungen dergestalt sein, dass derartige Umverteilungsübungen ni<strong>ch</strong>t<br />

rentabel sind, so dass si<strong>ch</strong> die Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte auf produktive Tätigkeiten konzentrieren. Ein Wider-<br />

rufsre<strong>ch</strong>t ist ein Element derartiger Rahmenbedingungen: Es wirkt als Veto gegen diejenigen Vermittler,<br />

die ihre Leistung darin sehen, Vermögensumverteilungen in die Wege zu leiten.<br />

Bei den bisherigen Ausführungen sind wir jeweils davon ausgegangen, dass beim Abs<strong>ch</strong>luss des Vertra-<br />

ges, der widerrufen wird, nur gebundene Versi<strong>ch</strong>erungsagenten involviert waren. Die Bewertung verän-<br />

dert si<strong>ch</strong>, sobald andere Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler involviert sind:<br />

■ Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler von Strukturbetrieben: Bei diesen Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvermittler handelt es si<strong>ch</strong> faktis<strong>ch</strong> um gebundene Vermittler. Bezügli<strong>ch</strong> des Widerrufsre<strong>ch</strong>t sind sie<br />

glei<strong>ch</strong> zu behandeln wie die Versi<strong>ch</strong>erungsagenten. In den Fällen W.2, W.3 und W.4.1 sollte also au<strong>ch</strong> bei<br />

Mehrfa<strong>ch</strong>agenten ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t gewährt werden.<br />

■ Versi<strong>ch</strong>erungsmakler: Versi<strong>ch</strong>erungsmakler haben vom VN zwar ein Beratungsmandat, erbringen für<br />

die VU jedo<strong>ch</strong> Vertriebsleistungen, wofür sie von den VU im Rahmen von Courtagen, Abs<strong>ch</strong>lussprovisio-<br />

nen und Superprovisionen ents<strong>ch</strong>ädigt werden. Diese Ents<strong>ch</strong>ädigungen des Versi<strong>ch</strong>erungsmaklers dur<strong>ch</strong><br />

die VU sind in einer Zusammenarbeitsvereinbarung geregelt. Da das VU den Versi<strong>ch</strong>erungsmakler mit<br />

dieser Zusammenarbeitsvereinbarung ökonomis<strong>ch</strong>en Anreizen aussetzt, kann das VU in einem gewissen<br />

Ausmass für das Verhalten derselben verantwortli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t werden. In diesem Sinne ist es einem VU<br />

z.B. freigestellt, mit einem Versi<strong>ch</strong>erungsmakler, der aggressive Verkaufste<strong>ch</strong>niken einsetzt, zusammenzu-<br />

arbeiten. Trotzdem muss festgehalten werden, dass die VU grundsätzli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die volle Verantwortung<br />

für die Beratungsqualität und die Ents<strong>ch</strong>eide der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler, die im Auftrag des VN tätig sind,<br />

tragen kann. Wir sind der Ansi<strong>ch</strong>t, dass das Risiko eines suboptimalen Vertragss<strong>ch</strong>lusses im Privatkunden-<br />

markt denno<strong>ch</strong> dem VU zugeordnet werden sollte, aus drei Gründen:<br />

64 Weiter unten werden wir ausführen, wie es si<strong>ch</strong> diesbezügli<strong>ch</strong> verhält, wenn der involvierte Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler ni<strong>ch</strong>t ein<br />

gebundener Versi<strong>ch</strong>erungsagent, sondern ein Versi<strong>ch</strong>erungsmakler oder ein Mehfa<strong>ch</strong>agent ist.<br />

159


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

- Erstens, weil das VU die Qualität und das Marktverhalten eines Versi<strong>ch</strong>erungsmaklers besser beur-<br />

teilen kann als ein VN, der nur sehr selten Versi<strong>ch</strong>erungsverträge zei<strong>ch</strong>net und entspre<strong>ch</strong>end we-<br />

nig Erfahrung im Umgang mit Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern hat.<br />

- Zweitens, weil das VU der Superior Risk Bearer ist: Die Wohlfahrtsverluste fallen tiefer aus, wenn<br />

das Risiko eines suboptimalen Vertragss<strong>ch</strong>lusses dem VU zugeordnet wird und der VN die Mög-<br />

li<strong>ch</strong>keit des Widerrufs hat.<br />

- Drittens, weil die Zuordnung des Risikos eines suboptimalen Vertrages an die Adresse des VU eine<br />

positive Präventivwirkung entfalten kann: Da ein Widerruf für das VU zu einer Umsatzeinbusse<br />

und zu Aufwendungen <strong>admin</strong>istrativer Natur führt, wird das VU dem ökonomis<strong>ch</strong>en Anreiz aus-<br />

gesetzt, ni<strong>ch</strong>t mit Versi<strong>ch</strong>erungsmaklern zusammenzuarbeiten, die ein hohes Widerrufsrisiko ha-<br />

ben.<br />

In Tabelle 24 fassen wir zusammen, in wel<strong>ch</strong>en Fällen gemäss der vorgenommenen normativen Analyse<br />

ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t gewährt werden sollte. Sie ma<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>, dass es Fallkonstellationen gibt, in wel<strong>ch</strong>en<br />

ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t gewährt werden sollte und sol<strong>ch</strong>e, in wel<strong>ch</strong>en ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert<br />

ist. Leider können diese Fallkonstellationen in der Realität ni<strong>ch</strong>t differenziert werden. Denn die Gründe<br />

eines Widerrufs sind in der Praxis ni<strong>ch</strong>t bekannt bzw. ni<strong>ch</strong>t objektiv feststellbar. Eine Regulierung, wel<strong>ch</strong>e<br />

die Gründe eines Widerrufs berücksi<strong>ch</strong>tigt, ist deshalb ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong> bzw. ni<strong>ch</strong>t zweckmässig.<br />

Die Frage, ob ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t gewährt werden soll oder ni<strong>ch</strong>t hängt deshalb von der empiris<strong>ch</strong>en Häu-<br />

figkeit der Fallkonstellationen ab. Dabei sind folgende Tatbestände zu berücksi<strong>ch</strong>tigen:<br />

■ Die häufigste Ursa<strong>ch</strong>e für Widerrufe dürfte der Fall sein, dass opportunistis<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler<br />

VN mittels aggressiven Verkaufste<strong>ch</strong>niken zu übereilten Vertragss<strong>ch</strong>lüssen verleiten (Fall W.2).<br />

■ Der Privatkundenmarkt wird von gebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsagenten dominiert. Makler spielen nur eine<br />

untergeordnete Rolle.<br />

Vor diesem Hintergrund und unter Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Präventivwirkung era<strong>ch</strong>ten wir die Einführung<br />

eines Widerrufsre<strong>ch</strong>ts im Sinne von Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong> im Privatkundenmarkt für angezeigt.<br />

6.5 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse der Alternativszenarien<br />

Es gibt folgende Alternativen zu prüfen:<br />

■ Regulierungsszenario: Widerrufsre<strong>ch</strong>t gemäss Art. 7 und 8 E-<strong>VVG</strong>, Subalternativen bezügli<strong>ch</strong> der<br />

Verwirkungsfrist: 1 Wo<strong>ch</strong>e oder 2 Wo<strong>ch</strong>en<br />

■ Alternativszenario 1: Art. 7 und 8 E-<strong>VVG</strong> gilt nur für Konsumenten, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> für Unternehmen<br />

und Institutionen<br />

■ Alternativszenario 2: Strei<strong>ch</strong>en von Art. 40a Abs. 2 OR<br />

160


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 24: In wel<strong>ch</strong>en Fällen sollte ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t gewährt werden?<br />

Bedeutung des Vertriebkanals<br />

Fall W.2<br />

Fall W.4.1<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

Vertragss<strong>ch</strong>luss aufgrund<br />

aggressiver Verkaufste<strong>ch</strong>niken<br />

Widerruf aufgrund neuer<br />

Informationen zum gezei<strong>ch</strong>neten<br />

Vertrag (S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung)<br />

6.5.1 Varianten im Regulierungsszenario<br />

Die Frage, ob die Verwirkungsfrist des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts 1 oder 2 Wo<strong>ch</strong>en betragen soll, beeinflusst die<br />

Zahl der Widerrufe. Grundsätzli<strong>ch</strong> gilt: je länger die Verwirkungsfrist, desto höher dürfte die Zahl der Wi-<br />

derrufe ausfallen. Der Einfluss der Dauer der Verwirkungsfrist auf die Häufigkeit von Widerrufen wirkt si<strong>ch</strong><br />

in Abhängigkeit der Ursa<strong>ch</strong>en des Widerrufs in unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>em Masse aus:<br />

■ Fall W.1 «Konkurrenz-induzierter Widerruf»: In diesem Fall dürfte si<strong>ch</strong> die Zahl der Widerrufe na-<br />

hezu verdoppeln, wenn die Verwirkungsfrist von einer Wo<strong>ch</strong>e auf zwei Wo<strong>ch</strong>en erhöht wird. Denn die<br />

Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, dass ein VN einen ihm bekannten Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler trifft, den er beim Vertrags-<br />

s<strong>ch</strong>luss vergessen hat, zu berücksi<strong>ch</strong>tigten, dürfte si<strong>ch</strong> nahezu verdoppeln, wenn für eine sol<strong>ch</strong>e Begeg-<br />

nung zwei Wo<strong>ch</strong>en anstelle einer Wo<strong>ch</strong>e zur Verfügung stehen. Ebenso dürfte si<strong>ch</strong> die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit<br />

verdoppeln, dass er von einem ihm unbekannten Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler kontaktiert wird.<br />

■ Fall W.2 «Widerruf aufgrund aggressiver Verkaufste<strong>ch</strong>niken»: Wird ein VN von einem Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvermittler mittels aggressiver Verkaufste<strong>ch</strong>niken zu einem übereilten Vertragss<strong>ch</strong>luss verführt, dürfte<br />

er si<strong>ch</strong> dieses Tatbestands spätestens am nä<strong>ch</strong>sten Tag gewahr werden. In den meisten Fällen dürfte er<br />

das Widerrufsre<strong>ch</strong>t bereits innerhalb der ersten Wo<strong>ch</strong>e geltend ma<strong>ch</strong>en, so dass die Häufigkeit von Wider-<br />

rufen aufgrund aggressiver Verkaufste<strong>ch</strong>niken kaum davon abhängt, ob die Verwirkungsfrist eine Wo<strong>ch</strong>e<br />

oder zwei Wo<strong>ch</strong>en beträgt.<br />

■ Fall W.3 «Übereilter Vertragss<strong>ch</strong>luss»: Au<strong>ch</strong> in diesem Fall kann davon ausgegangen werden, dass<br />

der VN bereits in den ersten Tagen na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss zur Überzeugung gelangt, einen Vertrag, den er<br />

ni<strong>ch</strong>t will, voreilig abges<strong>ch</strong>lossen zu haben.<br />

Häufigkeit<br />

des Falls<br />

■ Fälle W. 4.1 und W. 4.2: Wird die Verwirkungsfrist von zwei Wo<strong>ch</strong>en auf eine Wo<strong>ch</strong>e gekürzt, dann<br />

reduziert si<strong>ch</strong> die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, dass der VN Kenntnis einer wertsenkenden Information erhält,<br />

wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> fast um die Hälfte. Eine Verkürzung der Verwirkungsfrist von zwei Wo<strong>ch</strong>en auf eine Wo-<br />

<strong>ch</strong>e dürfte also die Anzahl Widerrufe um nahezu die Hälfte senken.<br />

Agent Mehrfa<strong>ch</strong>agent /<br />

Strukturbetrieb<br />

Makler<br />

+++ ++ +<br />

+++++ ja ja ja<br />

++++ ja ja ja<br />

Fall W.1 Konkurrenz-induzierter Widerruf +++ nein nein nein<br />

Fall W.3 Unüberlegter Vertragss<strong>ch</strong>luss ++ nein nein nein<br />

Fall W.4.2<br />

Widerruf aufgrund neuer<br />

Informationen zu<br />

Konkurrenzprodukten<br />

+ nein ja ja<br />

161


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Da die Verwirkungsfrist bezügli<strong>ch</strong> des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts au<strong>ch</strong> in der EU auf zwei Wo<strong>ch</strong>en angesetzt wurde,<br />

geht unsere Empfehlung dahingehend, dem Beispiel der EU zu folgen – dies vor dem Hintergrund der<br />

zunehmenden internationalen Mobilität von Arbeitskräften und damit au<strong>ch</strong> von VN. Au<strong>ch</strong> die Tatsa<strong>ch</strong>e,<br />

dass die Verwirkungsfrist des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts, das die S<strong>ch</strong>weizer VU bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen ge-<br />

währen, 14 Tage beträgt, spri<strong>ch</strong>t für diese Lösung.<br />

6.5.2 Alternativszenario 1<br />

Die Antwort auf die Frage, ob VN in Form juristis<strong>ch</strong>er Personen vom Widerrufsre<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen wer-<br />

den sollten, hängt im wesentli<strong>ch</strong>en davon ab, ob der Aufwand der Unternehmen, Widerrufe zu verhin-<br />

dern, höher ist als der Aufwand, den die VU zur Vermeidung von Widerrufen haben. Oder anders formu-<br />

liert: Sind die VU oder die Unternehmen die Cheapest Cost Avoider?<br />

Die Antwort auf diese Frage hängt in erster Linie davon ab, wie professionell und rational der Prozess des<br />

Einkaufs von Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen in einem Unternehmen strukturiert ist. Je professioneller der Einkauf<br />

von Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen organisiert ist, desto tiefer sind die Kosten der VN, Situationen zu verhindern,<br />

die einen Widerruf nötig ma<strong>ch</strong>en. Es kann davon ausgegangen werden, dass in folgenden Fällen ni<strong>ch</strong>t die<br />

VU, sondern die VN die Cheapest Cost Avoider sind:<br />

■ Unternehmen mit einem ungebundenen registrierten Versi<strong>ch</strong>erungsbroker<br />

■ Unternehmen mit einem Inhousebroker<br />

■ Unternehmen mit einem Riskmanager<br />

Unternehmen, die eine dieser drei Voraussetzungen erfüllen, sollte als kein Widerrufsre<strong>ch</strong>ts gewährt wer-<br />

den. Da eine Umsetzung in die Re<strong>ch</strong>tspraxis in dieser Form ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong> ist, empfehlen wird, Unterneh-<br />

men mit 10 oder mehr Bes<strong>ch</strong>äftigten vom Widerrufsre<strong>ch</strong>t auszus<strong>ch</strong>liessen. Denn bei sol<strong>ch</strong>en ist eine der<br />

drei Voraussetzungen zumeist erfüllt. Eine derartige Lösung hätte überdies den Vorteil, dass denkbare<br />

Missbräu<strong>ch</strong>e des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts dur<strong>ch</strong> ungebundene Versi<strong>ch</strong>erungsbroker verhindert werden können<br />

(vgl. Fall M2 in Abs<strong>ch</strong>nitt 6.3). Sie wäre au<strong>ch</strong> konsistent mit der Tatsa<strong>ch</strong>e, dass in erster Linie die Konsu-<br />

menten und die Kleinstunternehmen s<strong>ch</strong>utzbedürftig sind (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 5.7).<br />

6.5.3 Alternativszenario 2<br />

Im Verglei<strong>ch</strong> zum Regulierungsszenario würde die Einführung des Alternativszenario 2 zu folgenden Ver-<br />

änderungen führen:<br />

■ Die S<strong>ch</strong>utzwirkung, die Art. 7 Abs. 4 auf Arbeitnehmer entfaltet, deren Risiken von einer kollektiven<br />

Personenversi<strong>ch</strong>erung gedeckt sind, die der Arbeitgeber mit einem VU abges<strong>ch</strong>lossen hat, würde mit dem<br />

Alternativszenario 2 wegfallen.<br />

■ Die VU hätten gegenüber externen Forderungen keine Leistungspfli<strong>ch</strong>t. Insbesondere Personens<strong>ch</strong>äden<br />

bei Unfällen würden in vielen Fällen sowohl den S<strong>ch</strong>ädiger als au<strong>ch</strong> den Ges<strong>ch</strong>ädigten finanziell ruinieren<br />

(extrem hohe sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten).<br />

■ Das Widerrufsre<strong>ch</strong>t könnten von Versi<strong>ch</strong>erungsmittlern mit aggressiven Verkaufste<strong>ch</strong>niken ausgehebelt<br />

werden – mit Art. 40 lit. c OR, der besagt: «Der Kunde hat kein Widerrufsre<strong>ch</strong>t, wenn er die Vertragsver-<br />

handlungen ausdrückli<strong>ch</strong> gewüns<strong>ch</strong>t hat».<br />

■ Das Widerrufsre<strong>ch</strong>t könnte auf einfa<strong>ch</strong>e Weise au<strong>ch</strong> mit Art. 40b OR ausgehebelt werden. Denn Art.<br />

40b OR umfasst ni<strong>ch</strong>t die Büroräumli<strong>ch</strong>keiten eines Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers. Versi<strong>ch</strong>erungsverträge, die in<br />

den Büroräumli<strong>ch</strong>keiten des Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler ges<strong>ch</strong>lossen wurden, könnten also ni<strong>ch</strong>t widerrufen<br />

werden.<br />

162


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Im vorangehenden Abs<strong>ch</strong>nitt haben wir ausgeführt, dass das Widerrufsre<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t in allen Fällen ge-<br />

währt werden sollte. Insbesondere haben wir ausgeführt, dass Unternehmen, die einen Versi<strong>ch</strong>erungsbro-<br />

ker mandatiert haben, einen Inhouse-Broker angestellt haben oder über eine Risk Manager verfügen, das<br />

Widerrufsre<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t gewährt werden sollte. Eine sol<strong>ch</strong>e Differenzierung ist im Alternativszenario 2 ni<strong>ch</strong>t<br />

mögli<strong>ch</strong>.<br />

Insgesamt ist das Alternativszenario als negativ zu beurteilen. Es stellt zum Regulierungsszenario keine<br />

valable Option dar.<br />

6.6 Exkurs: Das Argument «pacta sunt servanda»<br />

Kein anderes Argument wurde in der Vernehmlassung häufiger gegen die Einführung eines Widerrufs-<br />

re<strong>ch</strong>ts vorgebra<strong>ch</strong>t als das Argument «pacta sunt servanda»: Das Widerrufsre<strong>ch</strong>t sei abzulehnen, weil<br />

Verträge grundsätzli<strong>ch</strong> einzuhalten sind. Aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t kann dieses Argument keine Gültigkeit<br />

beanspru<strong>ch</strong>en: Denn wir haben bereits im Abs<strong>ch</strong>nitt 4.7 gezeigt, dass Verträge, die unter unfairen Bedin-<br />

gungen zustande gekommen sind und ni<strong>ch</strong>t zum Vorteil beider Vertragsparteien gerei<strong>ch</strong>en, aus ökonomi-<br />

s<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t keine Geltung beanspru<strong>ch</strong>en können. Dabei ist die Frage, ob ein Vertrag zum Vorteil beider<br />

Vertragsparteien ist, aus einer ex ante Perspektive zu beurteilen: Ein Win-Loose-Vertrag ist nur dann un-<br />

gültig, wenn er für den VN bereits ex ante, d.h. vor Vertragss<strong>ch</strong>luss, unvorteilhaft war. Denn es gibt viele<br />

Verträge, bei wel<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> aufgrund von ni<strong>ch</strong>t vorhersehbaren Entwicklungen und Ereignissen erst ex post<br />

herausstellt, dass der Vertragss<strong>ch</strong>luss für eine der Parteien ni<strong>ch</strong>t vorteilhaft war. In den Fällen W.2, W.3<br />

und W.4.1 handelt es si<strong>ch</strong> bei den später widerrufenen Verträgen um sol<strong>ch</strong>e, die bereits ex ante ni<strong>ch</strong>t im<br />

Interesse des VN waren: Bereits vor Vertragss<strong>ch</strong>luss stand fest, dass sie für den VN eine negative Konsu-<br />

mentenrente aufweisen. Die Anwendungsvoraussetzungen des Grundsatzes «pacta sunt servanda» sind<br />

deshalb ni<strong>ch</strong>t erfüllt.<br />

An dieser Stelle mö<strong>ch</strong>ten wir darauf aufmerksam ma<strong>ch</strong>en, dass die Argumentation derjenigen, die den<br />

«pacta sunt servanda»-Grundsatz geltend ma<strong>ch</strong>en, au<strong>ch</strong> insgesamt inkonsistent ist. Aus folgendem<br />

Grund: Ein VU hat im Wesentli<strong>ch</strong>en nur einen Grund, si<strong>ch</strong> von einem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu lösen: Näm-<br />

li<strong>ch</strong> dann, wenn ein Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag vorliegt, der betriebswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t rentabel ist. Dies ist –<br />

unter Verna<strong>ch</strong>lässigung der Transaktionskosten – dann der Fall, wenn das S<strong>ch</strong>adensaufkommen eines VN<br />

ni<strong>ch</strong>t von den Prämienzahlungen desselben gedeckt ist. In diesem Fall hat das VU zwei Mögli<strong>ch</strong>keiten: Es<br />

kann entweder die Prämie na<strong>ch</strong> oben anpassen oder aber den Vertrag auflösen. Mit der Prämienanpas-<br />

sungsklausel und dem Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall stehen dem VU unter dem geltenden <strong>VVG</strong> beide<br />

Mögli<strong>ch</strong>keiten offen: Das VU kann hat unter dem geltenden <strong>VVG</strong> also in jedem betriebswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />

relevanten Fall – und das heisst faktis<strong>ch</strong>: jederzeit – die Mögli<strong>ch</strong>keit, den gezei<strong>ch</strong>neten Vertrag aufzulösen<br />

oder aber derart zu verändern, dass faktis<strong>ch</strong> ein neuer Vertrag entsteht. Der VN hingegen kann unter dem<br />

geltenden <strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t in jedem für ihn relevanten Fall vom gezei<strong>ch</strong>neten Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zurücktre-<br />

ten 65 . Eine konsistente Argumentation mit dem Grundsatz «pacta sunt servanda» würde bedingen, dass<br />

dieser Grundsatz au<strong>ch</strong> gegen das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall (Art. 55 E-<strong>VVG</strong>) und gegen Prämien-<br />

anpassungsklauseln (Art. 49 E-<strong>VVG</strong>) ins Feld geführt wird. Dies ist jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t der Fall: Ein grosser Teil der<br />

Vernehmlassungsteilnehmer, die das Widerrufsre<strong>ch</strong>t mit dem Verweis auf den Grundsatz «pacta sunt<br />

servanda» ablehnen, lehnen eine Eins<strong>ch</strong>ränkung von Prämienanpassungsklauseln im Sinne von Art. 49 E-<br />

65 Unter anderem kann si<strong>ch</strong> der VN ni<strong>ch</strong>t von seinem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag lösen, wenn si<strong>ch</strong> im S<strong>ch</strong>adensfall herausstellt, dass er si<strong>ch</strong><br />

bezügli<strong>ch</strong> des Deckungsumfangs geirrt hat. Das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall entsteht nämli<strong>ch</strong> nur dann, wenn si<strong>ch</strong> ein Risiko<br />

realisiert, das gedeckt ist. Realisiert si<strong>ch</strong> ein Risiko, das entgegen den Vorstellungen des VN ni<strong>ch</strong>t im Deckungsumfang der Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rung enthalten ist, liegt versi<strong>ch</strong>erungste<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong> kein S<strong>ch</strong>adensfall vor, so dass kein Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall entsteht.<br />

163


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

<strong>VVG</strong> ab und stellen si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gegen das in Art. 55 E-<strong>VVG</strong> vorgesehene Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>a-<br />

densfall.<br />

6.7 Zusammenfassung<br />

6.7.1 Gegenstand der Regulierung<br />

■ Regulierungsszenario: Einführung eines Widerrufsre<strong>ch</strong>ts gemäss Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>.<br />

■ Alternativszenario 1: Geltungsberei<strong>ch</strong> des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts im Sinne von Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong> (Widerrufs-<br />

re<strong>ch</strong>t nur für Privatkunden oder au<strong>ch</strong> für Firmenkunden?)<br />

■ Alternativszenario 2: Verzi<strong>ch</strong>t auf Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong> und Strei<strong>ch</strong>ung von Art. 40a Abs. 2 OR<br />

6.7.2 Motivation und Hintergründe der Regulierung<br />

■ Voreilige, ni<strong>ch</strong>t wohlüberlegte Vertragss<strong>ch</strong>lüsse von Konsumenten, die si<strong>ch</strong> auf die Komplexität von<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsprodukten zurückführen lassen.<br />

■ Aggressive Verkaufste<strong>ch</strong>niken von opportunistis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern, insbesondere im Berei<strong>ch</strong><br />

der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen.<br />

■ S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung dur<strong>ch</strong> opportunistis<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, insbesondere im Berei<strong>ch</strong> der Einzel-<br />

lebensversi<strong>ch</strong>erungen.<br />

6.7.3 Ziele der Regulierung<br />

■ Reduktion von Wohlfahrtsverlusten infolge nutzensuboptimaler Kaufents<strong>ch</strong>eide von Konsumenten<br />

■ Präventivwirkung: Sanktionierung von S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung und aggressiven Verkaufste<strong>ch</strong>niken<br />

6.7.4 Auswirkungen der Regulierung<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse der Einführung eines Widerrufsre<strong>ch</strong>ts hat zu folgenden Ergebnissen geführt:<br />

■ Warum VN widerrufen mö<strong>ch</strong>ten: Es gibt vers<strong>ch</strong>iedene Gründen, weshalb VN ihre Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

träge widerrufen mö<strong>ch</strong>ten. In den meisten Fällen sind S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung und aggressive Verkaufste<strong>ch</strong>niken<br />

von Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern die Ursa<strong>ch</strong>e dafür, dass VN einen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag voreilig und ni<strong>ch</strong>t<br />

wohlüberlegt zei<strong>ch</strong>nen.<br />

■ Häufigkeit von Widerrufen: Der Widerruf von Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen wird kein Massenphänomen<br />

sein, da Widerrufe au<strong>ch</strong> für VN mit Umtrieben (Opportunitätskosten) verbunden sind. Im Berei<strong>ch</strong> der Ein-<br />

zellebensversi<strong>ch</strong>erung gewähren die meisten VU bereits heute, unter dem geltenden <strong>VVG</strong>, ein Widerrufs-<br />

re<strong>ch</strong>t, das in den AVB verankert ist. Der Anteil der Verträge, die widerrufen werden, bewegt si<strong>ch</strong> im Pro-<br />

mille-Berei<strong>ch</strong> (0.2 Prozent bei einem VU, das die Häufigkeit von Widerrufen quantifizieren konnte).<br />

■ Kosten des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts: Die Einführung des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts wird die sekundären und primären<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten ni<strong>ch</strong>t in erwähnenswertem Umfang verändern. Entgegen den Verlautbarungen im Rah-<br />

men der Vernehmlassung ist ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er, dass das Widerrufsre<strong>ch</strong>t zu einer Erhöhung der tertiären Kosten<br />

(Transaktionskosten) führen wird. Es ist zwar korrekt, dass bei einem Widerruf beim VU <strong>admin</strong>istrative<br />

Aufwendungen entstehen und zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten des Vertragss<strong>ch</strong>lusses resultieren können. Diesen tertiä-<br />

ren Kosten stehen allerdings Einsparungen in der Zukunft entgegen, da VN, die mit ihrem Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vertrag zufrieden sind, ihre Versi<strong>ch</strong>erungsverträge weniger oft künden und weniger zu unkooperativem<br />

und opportunistis<strong>ch</strong>en Verhalten neigen.<br />

■ Nutzen des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts: Der Nutzen des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts besteht zum einen darin, dass Wohl-<br />

fahrtsverluste verhindert werden können, wenn VN Versi<strong>ch</strong>erungsverträge zei<strong>ch</strong>nen, die ihren Nutzen<br />

164


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

ni<strong>ch</strong>t maximieren. Zum anderen wird die Verfügbarkeit des Widerrufsre<strong>ch</strong>ts eine präventive Wirkung auf<br />

das Verhalten der VU und Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler entfalten: Der Ertrag von S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung und aggres-<br />

siven Verkaufste<strong>ch</strong>niken wird sinken, da derartiges opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten der Versi<strong>ch</strong>erungsvermitt-<br />

ler mit dem Widerruf sanktioniert werden kann.<br />

■ Unbeabsi<strong>ch</strong>tigte Nebeneffekte und Missbrau<strong>ch</strong>spotential: Dem Widerrufsre<strong>ch</strong>t ist ein Miss-<br />

brau<strong>ch</strong>spotential inhärent. Insbesondere können VN das Widerrufsre<strong>ch</strong>t dahingehend missbrau<strong>ch</strong>en, dass<br />

sie in den Genuss einer temporären kostenlosen Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung kommen. Das Missbrau<strong>ch</strong>spoten-<br />

tial s<strong>ch</strong>ätzen wir allerdings als sehr gering ein, da die VN die Mögli<strong>ch</strong>keit haben, Missbräu<strong>ch</strong>e auszu-<br />

s<strong>ch</strong>liessen – insbesondere dadur<strong>ch</strong>, dass sie die Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung erst 14 Tage na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss<br />

einsetzen lassen.<br />

Die Auswirkungen eines Widerrufsre<strong>ch</strong>ts im Sinne von Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong> sind in Tabelle 25 im Überblick<br />

und im Rahmen einer qualitativen Bewertung dargestellt.<br />

6.7.5 Empfehlungen<br />

Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der dur<strong>ch</strong>geführten Analysen können wir folgende Empfehlungen<br />

formulieren:<br />

■ Keine Lösung im Rahmen von Art. 40a Abs. 2 OR: Ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t im Sinne von Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong><br />

(Regulierungsszenario) ist einem Widerrufsre<strong>ch</strong>t im Sinne einer Strei<strong>ch</strong>ung von Art. 40a Abs. 2 OR (Alter-<br />

nativszenario 2) vorzuziehen.<br />

■ Konkretisierungen: Art. 7 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong> ist aus Gründen der Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit zu präzisieren, da unklar<br />

ist, was unter dem Zeitpunkt des Vertragss<strong>ch</strong>lusses und einer Vertragsänderung zu verstehen ist. Wir emp-<br />

fehlen, dass die Verwirkungsfrist ni<strong>ch</strong>t mit der Unters<strong>ch</strong>rift des Antrags, sondern mit dem Zugang der<br />

neuen bzw. veränderten Police beim VN einsetzt.<br />

■ Kein Widerrufsre<strong>ch</strong>t bei passiven Vertragsverlängerung: Bei einer passiven Vertragsverlängerung<br />

im Rahmen einer Roll-Over-Klausel sollte kein Widerrufsre<strong>ch</strong>t gewährt werden, da ein sol<strong>ch</strong>es keinen Sinn<br />

ergibt.<br />

■ Bedingungsloses Widerrufsre<strong>ch</strong>t im Privatkundenmarkt: Im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft ist ein bedin-<br />

gungsloses Widerrufsre<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert.<br />

■ Kein Widerrufsre<strong>ch</strong>t für Unternehmen mit mehr als 10 Bes<strong>ch</strong>äftigten: Im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

sollten Unternehmen, die den Prozess des Einkaufs von Versi<strong>ch</strong>erungsprodukten professionell und rational<br />

strukturiert haben (z.B. indem sie einen ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsbroker engagiert haben), kein Wi-<br />

derrufsre<strong>ch</strong>t gewährt werden. Eine pragmatis<strong>ch</strong>e Lösung könnte darin bestehen, bei Unternehmen mit<br />

mehr als 10 Bes<strong>ch</strong>äftigten kein Widerrufsre<strong>ch</strong>t zu gewähren.<br />

165


6 Widerrufsre<strong>ch</strong>t (Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 25: Die Auswirkungen von Art. 7-8 E-<strong>VVG</strong> im Überblick<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten + Reduktion von Moral Hazard unzufriedener VN<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten -<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

(1) Widerrufende VN verzi<strong>ch</strong>ten auf Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung<br />

(2) Widerrufe können zu transitoris<strong>ch</strong>en Deckungslücken führen<br />

Transaktionskosten = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung der Transaktionskosten<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten - Su<strong>ch</strong>kosten von VN, die widerrufen haben und einen neuen VV abs<strong>ch</strong>liessen wollen<br />

Vereinbarungskosten - Ein Teil der VN, die widerrufen haben, s<strong>ch</strong>liessen einen neuen VV ab<br />

Abwicklungskosten +/-<br />

+ Reduktion der Abwicklungskosten bei unzufriedenen VN (Querelen beim Prämieninkasso etc.)<br />

- VU müssen Widerrufe abwickeln (Bestätigungss<strong>ch</strong>reiben etc.)<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten + Reduktion von ex post Opportunismus und Moral Hazard unzufriedener VN<br />

Änderungs- & Anpassungskosten +<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten +<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN)<br />

Informationsdefizite der VN<br />

+<br />

VN, die ni<strong>ch</strong>t widerrufen können, künden oder ändern den ungeliebten VV später<br />

Reduktion der Häufigkeit von (geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en) Auseinandersetzungen zwis<strong>ch</strong>en<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen und unzufriedenen VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN - Missbrau<strong>ch</strong>spotential des WRR: Kostenlose Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung<br />

Moral hazard der VN +<br />

Ex post Opportunismus der VN +<br />

Misstrauen gegenüber VI & VU + Mögli<strong>ch</strong>keit zum Widerruf senkt das Misstrauen der VN bei der Vertragszei<strong>ch</strong>nung<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

+<br />

Ex ante Opportunismus der VI +<br />

Beratungsqualität +<br />

Qualität der VI +<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU) -<br />

Ex post Opportunismus der VU<br />

Andere Verhaltensanpassungen - Angebot von VV mit Laufzeit < 4 Wo<strong>ch</strong>en bei unmittelbar einsetzendem Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

+<br />

Produktqualität +<br />

+<br />

Reduktion der Häufigkeit von nutzensuboptimalen Verträgen / Win(VU)-Loose(VN)-Verträgen<br />

Rentabilität von Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen mit hoher Widerrufsquote sinkt<br />

Vertragsrisiken des VN + Risiko der Zei<strong>ch</strong>nung eines Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags sinkt aus Si<strong>ch</strong>t des VN<br />

Vertragsrisiken des VU - Der Widerruf eines gezei<strong>ch</strong>neten VV stellt aus Si<strong>ch</strong>t der VU ein zusätzli<strong>ch</strong>es Vertragsrisiko dar<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen<br />

Adverse Selektion<br />

Markt für Zitronen +<br />

Wettbewerb + Zunahme des Qualitätswettbewerbs<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t<br />

Prämienvolumen (Marktvolumen) ����<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung<br />

+<br />

+<br />

Rentabilität von VV mit Vertragseigens<strong>ch</strong>aften, die ni<strong>ch</strong>t den Präferenzen der VN entspre<strong>ch</strong>en,<br />

sinkt aufgrund einer verglei<strong>ch</strong>sweise hohen Widerrufsquote<br />

Prämienhöhe<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ���� � � � �<br />

� � � �<br />

Reduktion von Misstrauen und Vertragsrisiken stimuliert Na<strong>ch</strong>frage der VN<br />

Reduktion der Anzahl Win(VU)-Loose(VN)-Verträge<br />

���� Transitoris<strong>ch</strong>e Deckungslücken der widerrufenden VN<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ���� Reduktion der Häufigkeit von Win(VU)-Loose(VN)-Verträgen<br />

Instabilität des Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt<br />

+<br />

Renten der VN + Reduktion der Häufigkeit nutzensuboptimaler Versi<strong>ch</strong>erungsverträge<br />

Renten der VI - Reduktion der Opportunitätsprämien opportunistis<strong>ch</strong>er VI<br />

Renten der VU - (1) Reduktion des Marktvolumens; (2) Reduktion von Opportunitätsprämien<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

Reduktion von ex post Opportunismus und Moral Hazard unzufriedener VN<br />

(1) Präventivwirkung: Opportunistis<strong>ch</strong>e VI müssen mit Widerruf re<strong>ch</strong>nen<br />

(2) Ertrag opportunistis<strong>ch</strong>er VI sinkt (Reduktion von Opportunitätsprämien)<br />

166


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

7.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

7.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

In Tabelle 26 sind die relevanten gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen, wel<strong>ch</strong>e die Regulierungsszenarien und das<br />

Referenzszenario festlegen, einander gegenübergestellt.<br />

7.1.2 Identifikation der Veränderungen<br />

Tabelle 26 ma<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>, dass si<strong>ch</strong> sowohl das Regulierungsszenario als au<strong>ch</strong> das Alternativszenario vom<br />

Referenzszenario in folgenden Punkten unters<strong>ch</strong>eiden:<br />

■ Erweiterung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten: Der Katalog der Vertragsinhalte, über die<br />

das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen die VN vorvertragli<strong>ch</strong> informieren müssen, wird erweitert (vgl. die fett<br />

gedruckten Textteile in Art. E-<strong>VVG</strong> von Tabelle 26). Das Regulierungsszenario unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> vom Al-<br />

ternativszenario dahingehend, dass die Liste der wesentli<strong>ch</strong>en Vertragsinhalte, über die vorvertragli<strong>ch</strong><br />

informiert werden muss, ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>liessend ist.<br />

■ Konkretisierung von Zeitpunkt und Art und Weise der Wahrnehmung der vorvertragli<strong>ch</strong>en<br />

Informationspfli<strong>ch</strong>ten dur<strong>ch</strong> das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen: Die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen müs-<br />

sen die VN über die Vertragsinhalte, für die gemäss Art. 12 E-<strong>VVG</strong> eine Informationspfli<strong>ch</strong>t besteht, neu<br />

s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> (d.h. in Textform) und verständli<strong>ch</strong> informieren. Darüber hinaus wird neu reguliert, wann die<br />

Informationspfli<strong>ch</strong>ten wahrgenommen werden müssen: «Der Entwurf beseitigt den Mangel von Artikel 3<br />

Absatz 2 <strong>VVG</strong>, wona<strong>ch</strong> die vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationen dem Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer ni<strong>ch</strong>t zwingend vor<br />

der ihn bindenden Willenserklärung abgegeben werden müssen.» (Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t 2009, 28).<br />

■ Verlängerung der Verjährung des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts aufgrund vorvertragli<strong>ch</strong>er Informations-<br />

pfli<strong>ch</strong>tverletzung dur<strong>ch</strong> das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen und veränderter Beginn des Fristenlau-<br />

fes: Das Kündigungsre<strong>ch</strong>t der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer erlis<strong>ch</strong>t im Falle einer Verletzung der Informations-<br />

pfli<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen ni<strong>ch</strong>t mehr spätestens ein Jahr, sondern zwei Jahre, na<strong>ch</strong>dem<br />

die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer von der Verletzung der Informationspfli<strong>ch</strong>t Kenntnis erhalten hat. Im Gegensatz<br />

zu Art. 3a Abs. 2 <strong>VVG</strong> beginnt der Fristenlauf neu ni<strong>ch</strong>t mehr mit dem Zeitpunkt der Pfli<strong>ch</strong>tverletzung,<br />

sondern mit dem Zeitpunkt des Vertragsabs<strong>ch</strong>lusses. Bei der Verwirkung des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts im Fall<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>er Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzung ist zu berücksi<strong>ch</strong>tigten, dass mit Art. 53 E-<strong>VVG</strong> ein ordentli-<br />

<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> spätestens 3 Jahren eingeführt werden soll. Dies ma<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>, dass eine<br />

Verjährungsfrist von mehr als 3 Jahren keinen Sinn ma<strong>ch</strong>en kann, wenn si<strong>ch</strong> die Re<strong>ch</strong>tsfolgen von Infor-<br />

mationspfli<strong>ch</strong>tverletzungen dur<strong>ch</strong> die VI/VU auf das Kündigungsre<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>ränkt, das dem VN infolge<br />

einer Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzung entsteht.<br />

■ Veränderter Geltungsberei<strong>ch</strong> von Art. 12 Abs. 2 lit. b: Art. 12 Abs. 2 lit. b gilt nur für Lebensversi-<br />

<strong>ch</strong>erung, was gegenüber dem geltenden <strong>VVG</strong> eine Eins<strong>ch</strong>ränkung darstellt. Denn der Wortlaut im gelten-<br />

den Art. 3 Abs. 1 lit. e <strong>VVG</strong> s<strong>ch</strong>ränkt die Anwendbarkeit dieser Bestimmung ni<strong>ch</strong>t ein. Sie ist also grund-<br />

sätzli<strong>ch</strong> auf alle Versi<strong>ch</strong>erungsverträge anwendbar, bei denen ein Übers<strong>ch</strong>uss anfällt. In der Literatur wird<br />

dafür nebst den Lebensversi<strong>ch</strong>erungen au<strong>ch</strong> der Unternehmensversi<strong>ch</strong>erungsvertrag genannt (Süsskind,<br />

Die vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten des Versi<strong>ch</strong>erers gemäss Art. 3 des revidierten Vertragsversi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsgesetzes, HAVE 2006 S.15ff., 19).<br />

167


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 26: Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t: Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

Regulierungsszenario (RZ) und Alternativszenario (AZ) Referenzszenario (BS)<br />

Art. 12 (Inhalt) E-<strong>VVG</strong> Art. 3 (Informationspfli<strong>ch</strong>t des Versi<strong>ch</strong>erers) <strong>VVG</strong><br />

12.1. Das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen muss die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin<br />

oder den Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer über seine Identität und den<br />

wesentli<strong>ch</strong>en Inhalt des Vertrags informieren. [RZ: Insbesondere muss<br />

es informieren:] ODER [AZ: Es muss informieren über:]<br />

3.1. Der Versi<strong>ch</strong>erer muss den Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer vor Abs<strong>ch</strong>luss<br />

des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrages verständli<strong>ch</strong> über die Identität des<br />

Versi<strong>ch</strong>erers und den wesentli<strong>ch</strong>en Inhalt des<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertrages informieren. Er muss informieren über:<br />

12.1a. über die versi<strong>ch</strong>erten Risiken; 3.1a. die versi<strong>ch</strong>erten Risiken;<br />

12.1b. über den Umfang des Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utzes; 3.1b. den Umfang des Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utzes;<br />

12.1c. über die ges<strong>ch</strong>uldeten Prämien, die Frage der<br />

3.1c. die ges<strong>ch</strong>uldeten Prämien und weitere Pfli<strong>ch</strong>ten des<br />

Prämiendifferenzierung na<strong>ch</strong> dem Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t, die Art und Weise Versi<strong>ch</strong>erungsnehmers;<br />

der Prämienerhebung sowie weitere Pfli<strong>ch</strong>ten der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder des Versi<strong>ch</strong>erungsnehmers;<br />

12.1d. über Laufzeit und Beendigung des Vertrags; 3.1d. Laufzeit und Beendigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrages;<br />

12.1e. über das Widerrufsre<strong>ch</strong>t gemäss Artikel 7;<br />

12.1f. über die Bearbeitung der Personendaten eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> Zweck 3.1g. die Bearbeitung der Personendaten eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> Zweck<br />

und Art der Datensammlung sowie Empfänger und Aufbewahrung der und Art der Datensammlung sowie Empfänger und<br />

Daten;<br />

Aufbewahrung der Daten.<br />

12.1g. über den Inhalt einer allfälligen Einlösungsklausel;<br />

12.1h. über das Re<strong>ch</strong>t, eine Kopie der in Artikel 11 Absatz 3<br />

genannten Dokumente zu verlangen;<br />

12.1i. über eine allfällige Frist zur Einrei<strong>ch</strong>ung der<br />

S<strong>ch</strong>adenanzeige na<strong>ch</strong> Artikel 35 Absatz 2.<br />

12.2. Darüber hinaus muss es für folgende Versi<strong>ch</strong>erungszweige<br />

insbesondere informieren:<br />

12.2a. Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erung: über die Übertragung der<br />

S<strong>ch</strong>adenerledigung an ein re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> selbstständiges<br />

Unternehmen und die Mögli<strong>ch</strong>keit, eine Re<strong>ch</strong>tsvertreterin oder<br />

einen Re<strong>ch</strong>tsvertreter zu wählen;<br />

12.2b. Lebensversi<strong>ch</strong>erung: über die Grundsätze der<br />

3.1e. die für die Übers<strong>ch</strong>ussermittlung und die<br />

Übers<strong>ch</strong>ussermittlung und -zuteilung, von Rückkauf und Umwandlung Übers<strong>ch</strong>ussbeteiligung geltenden Bere<strong>ch</strong>nungsgrundlagen und<br />

und die in die Prämie eingere<strong>ch</strong>neten Kosten für Risikos<strong>ch</strong>utz, Verteilungsgrundsätze und -methoden;<br />

Vertragsabs<strong>ch</strong>luss und -verwaltung;<br />

3.1f. die Rückkaufs- und Umwandlungswerte;<br />

12c. Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung: über die<br />

Finanzierungsmethode eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> der Bildung und<br />

Verwendung von Alterungsrückstellungen.<br />

12.3. Es sorgt dafür, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder der<br />

3.2. [...] In jedem Fall muss er zu diesem Zeitpunkt im Besitz der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer im Besitz der Allgemeinen<br />

Allgemeinen Versi<strong>ch</strong>erungsbedingungen [...] sein.<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsbedingungen ist.<br />

Art. 13 (Form und Zeitpunkt) E-<strong>VVG</strong><br />

13. Die Angaben und Unterlagen na<strong>ch</strong> Artikel 12 sind der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder dem Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>,<br />

verständli<strong>ch</strong> und so re<strong>ch</strong>tzeitig mitzuteilen, dass sie oder er sie<br />

bei Beantragung oder Annahme des Vertrags kennen kann.<br />

3.2. Diese Angaben sind dem Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer so zu<br />

übergeben, dass er sie kennen kann, wenn er den<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag beantragt oder annimmt. In jedem Fall muss<br />

er zu diesem Zeitpunkt im Besitz [...] der Information na<strong>ch</strong> Absatz<br />

1 Bu<strong>ch</strong>stabe g sein.<br />

Art. 14 (Verletzung der Informationspfli<strong>ch</strong>t) E-<strong>VVG</strong> Art. 3a (Verletzung der Informationspfli<strong>ch</strong>t) <strong>VVG</strong><br />

14.1. Verletzt das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen die Informationspfli<strong>ch</strong>t,<br />

so ist die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer<br />

bere<strong>ch</strong>tigt, den Vertrag mit einer s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Erklärung zu kündigen.<br />

Die Kündigung wird mit Zugang der Erklärung beim<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen wirksam.<br />

14.2. Das Kündigungsre<strong>ch</strong>t erlis<strong>ch</strong>t vier Wo<strong>ch</strong>en, na<strong>ch</strong>dem die<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer von der<br />

Verletzung der Informationspfli<strong>ch</strong>t Kenntnis erhalten hat, spätestens<br />

aber zwei Jahre na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss.<br />

3a.1. Hat der Versi<strong>ch</strong>erer die Informationspfli<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> Artikel 3<br />

verletzt, so ist der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer bere<strong>ch</strong>tigt, den<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag dur<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>e Erklärung zu kündigen. Die<br />

Kündigung wird mit Zugang beim Versi<strong>ch</strong>erer wirksam.<br />

3a.2. Das Kündigungsre<strong>ch</strong>t erlis<strong>ch</strong>t vier Wo<strong>ch</strong>en, na<strong>ch</strong>dem der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer von der Pfli<strong>ch</strong>tverletzung und den<br />

Informationen na<strong>ch</strong> Artikel 3 Kenntnis erhalten hat, jedenfalls<br />

spätestens ein Jahr na<strong>ch</strong> der Pfli<strong>ch</strong>tverletzung.<br />

Anmerkungen: RS = Regulierungsszenario; AS = Alternativszenario; BS = Referenzszenario; Orange = halbzwingendes Re<strong>ch</strong>t; fett:<br />

inhaltli<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>iede<br />

Quelle: E-<strong>VVG</strong>, <strong>VVG</strong><br />

Bezügli<strong>ch</strong> des Referenzszenario ma<strong>ch</strong>t Visana (2009, 2) folgendes geltend: «Neu soll in der Krankenzusatzver-<br />

si<strong>ch</strong>erung über die Finanzierungsmethode eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> der Bildung und Verwendung von Altersrückstellungen in-<br />

formiert werden . Diese Informationspfli<strong>ch</strong>t wurde vom VE-ExpK übernommen. Bereits gemäss geltendem Art. 155<br />

AVO muss ein angemessener Anteil allfällig gebildeter Altersrückstellungen na<strong>ch</strong> der Kündigung eines sol<strong>ch</strong>en Kran-<br />

kenzusatzversi<strong>ch</strong>erungsvertrages rückerstattet werden und gemäss Abs . 2 müssen die Angaben über den Plan zur<br />

Rückerstattung des Anteils der Altersrückstellungen in den Vertragsgrundlagen festgehalten werden.» Diese Aus-<br />

führungen suggerieren, dass si<strong>ch</strong> Regulierungsszenario und Alternativszenario bezügli<strong>ch</strong> der Informati-<br />

onspfli<strong>ch</strong>t über die Bildung und Verwendung von Altersrückstellungen ni<strong>ch</strong>t vom Referenzszenario unter-<br />

s<strong>ch</strong>eidet. Gemäss Prof. Dr. Stephan Fuhrer unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> Art. 155 AVO Abs. 2 und Art. 12 Abs. 2c E-<br />

<strong>VVG</strong> in Zeitpunkt und Ort der Wahrnehmung der Informationspfli<strong>ch</strong>t über die Altersrückstellungen. In<br />

168


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

diesem Sinne kann festgehalten werden, dass Art. 12 Abs. 2c in der Re<strong>ch</strong>tspraxis und im Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

markt zu realen Veränderungen führen wird.<br />

7.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

Mit den vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten wird gemäss Dr. Stephan Weber das Ziel einer besseren<br />

Beratung und eines besser informierten Konsumenten verfolgt. Dieser Bedarf ergebe si<strong>ch</strong> aus der Komple-<br />

xität des Versi<strong>ch</strong>erungsprodukts und der aus dieser Komplexität resultierenden asymmetris<strong>ch</strong>en Informati-<br />

onsverteilung.<br />

Die einzelnen Veränderungen bezügli<strong>ch</strong> der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>t der Versi<strong>ch</strong>erungsunter-<br />

nehmen sind folgendermassen motiviert:<br />

■ Ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende Aufzählung der Informationspfli<strong>ch</strong>ten (Art. 12 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong> – Regulie-<br />

rungsszenario) → informierter Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer au<strong>ch</strong> bei neuen Versi<strong>ch</strong>erungsprodukten:<br />

Mit der ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessenden Aufzählung der Informationspfli<strong>ch</strong>ten (Regulierungsszenario) soll gemäss<br />

erläuterndem Beri<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>ergestellt werden, dass «au<strong>ch</strong> momentan ni<strong>ch</strong>t absehbare, aber denno<strong>ch</strong> erfor-<br />

derli<strong>ch</strong>e Informationen von der vorvertragli<strong>ch</strong>en Aufklärungspfli<strong>ch</strong>t erfasst werden können» (Erläuternder<br />

Beri<strong>ch</strong>t 2009, 25).<br />

■ Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> einer allfälligen Einlösungsklausel (Art. 12 Abs. 1g E-<strong>VVG</strong>) →<br />

informierter Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer : Die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer sollen bei Vereinbarung einer Einlöse-<br />

klausel ni<strong>ch</strong>t fäls<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>erweise davon ausgehen, dass sie bereits mit Vertragss<strong>ch</strong>luss Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz<br />

geniessen.<br />

■ Erhöhung der Transparenz bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungen (Art. 12 Abs. 2b E-<strong>VVG</strong>): → informierter<br />

Konsument und Intensivierung des Wettbewerbs: Die verbesserte Transparenz gemäss Art. 12 Abs.<br />

2b E-<strong>VVG</strong> soll den Wettbewerb unter den Lebensversi<strong>ch</strong>erern stärken.<br />

■ Spezifikation von Form und Art der Informationserteilung (Art. 13 E-<strong>VVG</strong>) → Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit:<br />

Gemäss Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t (2009, 28) soll mit der in Art. 13 E-<strong>VVG</strong> gesetzli<strong>ch</strong>en Festlegung von Form<br />

und Zeitpunkt der Informationserteilung die Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit erhöht werden.<br />

■ Feststellbarer Beginn des Fristenlaufes bei Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzungen (Art. 14 Abs. 2 E-<br />

<strong>VVG</strong>) → Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit: Im Gegensatz zum Zeitpunkt der Pfli<strong>ch</strong>tverletzung ist der Zeitpunkt des Ver-<br />

tragsabs<strong>ch</strong>lusses exakt festgelegt und eruierbar. Art. 14 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong>, wel<strong>ch</strong>er für den Fristbeginn neu an<br />

den Zeitpunkt des Vertragss<strong>ch</strong>lusses anknüpft, erhöht deshalb die Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit (vgl. Erläuternder Be-<br />

ri<strong>ch</strong>t 2009, 28).<br />

7.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung<br />

Im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens wurde folgende ökonomis<strong>ch</strong> relevante Kritik an den soeben<br />

dargestellten Veränderungen in Zusammenhang mit den vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten formu-<br />

liert:<br />

■ Veränderung (und insb. Erweiterung) der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten → Belastung<br />

der Versi<strong>ch</strong>erungsgemeins<strong>ch</strong>aft dur<strong>ch</strong> Umsetzungskosten: Die wiederholte Veränderung bzw. Erwei-<br />

terung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten der Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen führt gemäss vers<strong>ch</strong>ie-<br />

denen Institutionen, die im Rahmen der Vernehmlassung geantwortet haben, zu einem «hohen Umset-<br />

zungsaufwand» (SVV 2009a, 16). SVV (2009a, 16) konkretisiert diese Umsetzungsaufwände: Überarbei-<br />

tung und Neudruck entspre<strong>ch</strong>ender Kundendokumente, S<strong>ch</strong>ulung des Aussendienstes, Bereitstellung von<br />

Informationsunterlagen bei Kollektivverträgen. Diese zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten haben letztli<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsnehmer in Form höherer Prämien zu tragen.<br />

169


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Art. 12 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong>: Ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessenden Aufzählung der Informationspfli<strong>ch</strong>ten → Reduk-<br />

tion der Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit: Die neu ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende Aufzählung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informations-<br />

pfli<strong>ch</strong>ten s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e die Re<strong>ch</strong>tsi<strong>ch</strong>erheit und löse so Transaktionskosten aus (vgl. u.a. CVP 2009, 2; FDP<br />

2009,2).<br />

Der SVV ma<strong>ch</strong>t überdies geltend, dass eine vorvertragli<strong>ch</strong>e Information über Risikoprämie und Ab-<br />

s<strong>ch</strong>lusskosten (Art. 12 Abs. 2b) erstens für den Konsumentenents<strong>ch</strong>eid ni<strong>ch</strong>t relevant und zweitens<br />

ni<strong>ch</strong>t umsetzbar sei: «Ein Einblick in die vom Ges<strong>ch</strong>äftsgeheimnis ges<strong>ch</strong>ützten Interna des Versi<strong>ch</strong>erers (wie z.B.<br />

Risikoprämie oder Abs<strong>ch</strong>lusskosten inkl. Provisionen) ist jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erforderli<strong>ch</strong>, um den potentiellen Kunden in die<br />

Lage zu versetzen, in Kenntnis der wesentli<strong>ch</strong>en Umstände das für ihn geeignete Angebot zu wählen. Sol<strong>ch</strong>e Anga-<br />

ben sollten zudem au<strong>ch</strong> aus wettbewerbsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Überlegungen dem Markt ni<strong>ch</strong>t zugängli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t werden. Im<br />

Übrigen wäre es für die Versi<strong>ch</strong>erer oft gar ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, diese Angaben zu ermitteln, da z.B. die Vergütung der<br />

Vermittler na<strong>ch</strong> einem komplexen Regelwerk bere<strong>ch</strong>net wird, das ni<strong>ch</strong>t ohne weiteres (au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t anteilsmässig) auf<br />

einen einzelnen Vertrag bezogen werden kann. Bei gewissen Produkten sind die Kosten bei Vertragsabs<strong>ch</strong>luss ni<strong>ch</strong>t<br />

definiert (z.B. Risikoprämie bei unit-Iinked Produkten). Mit den Rückkaufswert- und Umwandlungswert-Tabellen, die<br />

den Kunden vor Vertragsabs<strong>ch</strong>luss mitgeteilt werden, gewinnt der Kunde im übrigen genügend Transparenz darüber,<br />

wel<strong>ch</strong>er Teil seiner Prämie angelegt wird und es sind darin die jährli<strong>ch</strong>en Rückkaufs- und Umwandlungswerte ersi<strong>ch</strong>t-<br />

li<strong>ch</strong>.» (SVV 2009a, 18).<br />

7.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

7.4.1 Der Nutzen vorvertragli<strong>ch</strong>er Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten<br />

Der Nutzen der Veränderungen, wel<strong>ch</strong>e im E-<strong>VVG</strong> bezügli<strong>ch</strong> der Informationspfli<strong>ch</strong>ten vorgesehen sind,<br />

hängen in erster Linie davon ab, inwiefern Informationspfli<strong>ch</strong>ten Wohlfahrtsverluste der VN verhindern<br />

können. Grundsätzli<strong>ch</strong> zielen vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>ten darauf ab, Informationsdefizite der VN<br />

bezügli<strong>ch</strong> relevanter Vertragseigens<strong>ch</strong>aften zu verhindern. Die Reduktion von Informationsdefiziten mittels<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>er Informationspfli<strong>ch</strong>ten kann si<strong>ch</strong> zum einen ex ante, d.h. vor Vertragss<strong>ch</strong>luss, positiv auf<br />

die Wohlfahrt der VN auswirken. Bezügli<strong>ch</strong> der Nutzen, die vor Vertragss<strong>ch</strong>luss entstehen, können<br />

folgende zwei Wirkungsketten differenziert werden:<br />

■ Ermögli<strong>ch</strong>ung nutzenoptimaler Kaufents<strong>ch</strong>eide: Hat der VN bezügli<strong>ch</strong> relevanter Vertragseigen-<br />

s<strong>ch</strong>aften Informationsdefizite, kann dies dazu führen, dass er einen suboptimalen Kaufents<strong>ch</strong>eid fällt: Er<br />

führt seine knappen Ressourcen ni<strong>ch</strong>t derjenigen Verwendung zu, die seinen Nutzen maximiert. Insofern<br />

kann die Wahrnehmung von Informationspfli<strong>ch</strong>ten dur<strong>ch</strong> die VU und Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler dazu füh-<br />

ren, dass die VN eine bessere Produktwahl treffen können, so dass sie eine höhere Konsumentenrente<br />

realisieren können. Dabei können zwei Arten von Informationen differenziert werden: Es gibt Informatio-<br />

nen, die für den Kaufents<strong>ch</strong>eid per se bedeutend sind. Ein Beispiel hierfür ist die Information über die Art<br />

und Weise der Prämienerhebung (Art. 12 Abs. 1 lit. c E-<strong>VVG</strong>). Andere Informationen können ihre Wirkung<br />

auf den Kaufents<strong>ch</strong>eid nur entfalten, wenn sie für vers<strong>ch</strong>iedene Konkurrenzprodukte verfügbar sind, so<br />

dass ein Verglei<strong>ch</strong> mögli<strong>ch</strong> wird. Ein Beispiel hierfür ist die Information über die Prämiendifferenzierung<br />

na<strong>ch</strong> Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t (Art. 12 Abs. 1 lit. c E-<strong>VVG</strong>).<br />

■ Intensivierung des Wettbewerbs: Es gibt Informationen, wel<strong>ch</strong>e die Transparenz erhöhen, so dass<br />

der Preis- und Qualitätswettbewerb unter den VU verstärkt wird. Dadur<strong>ch</strong> können im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt<br />

allenfalls Effizienzgewinne realisiert werden. Insbesondere die in Art. 12 Abs. 2 lit. b E-<strong>VVG</strong> vorgesehene<br />

Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> der die Kosten des Vertragsabs<strong>ch</strong>lusses und –verwaltung bei Einzellebens-<br />

versi<strong>ch</strong>erungen dürfte den Preiswettbewerb unter den VU und unter den VI substantiell verstärken.<br />

170


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Bezügli<strong>ch</strong> der Nutzen, die na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss entstehen, sind hingegen die folgenden Zusammen-<br />

hänge relevant:<br />

■ Optimales Verhalten des VN während der Vertragslaufzeit: Es gibt Informationen, die es den VN<br />

ermögli<strong>ch</strong>en, si<strong>ch</strong> während der Vertragslaufzeit optimal zu verhalten, so dass keine Vertragsstörungen<br />

entstehen, die si<strong>ch</strong> zu seinem Na<strong>ch</strong>teil auswirken. Typis<strong>ch</strong>erweise handelt es si<strong>ch</strong> dabei um Informationen<br />

zu Obliegenheiten des VN: Wenn ein VN seine Obliegenheiten während der Vertragslaufzeit ni<strong>ch</strong>t kennt<br />

und deshalb ni<strong>ch</strong>t erfüllt, kann dies dazu führen, dass das VU im S<strong>ch</strong>adensfall ganz oder teilweise von<br />

seiner Leistungspfli<strong>ch</strong>t befreit wird. Ein Beispiel hierfür ist die Information über eine allfällige Frist zur Ein-<br />

rei<strong>ch</strong>ung einer S<strong>ch</strong>adensanzeige (Art. 12 Abs. 1 lit. i E-<strong>VVG</strong>).<br />

■ Reduktion von Transaktionskosten na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss: Bei VN, die über die relevanten Eigen-<br />

s<strong>ch</strong>aften ihres Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag Bes<strong>ch</strong>eid wissen, kommt es na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss weniger zu Ereignis-<br />

sen, die Transaktionskosten auslösen. Informationspfli<strong>ch</strong>ten können zu einer Reduktion von Vereinba-<br />

rungskosten, Abwicklungskosten, Änderungs- und Anpassungskosten sowie Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Ge-<br />

ri<strong>ch</strong>tskosten führen.<br />

■ Erkennen von opportunistis<strong>ch</strong>em Verhalten der VU: Es gibt Informationen, die es den VN ermögli-<br />

<strong>ch</strong>en, ein allfälliges opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten der VU zu erkennen und erfolgrei<strong>ch</strong> abzuwehren. Da<br />

opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten v.a. dann eine Rolle spielt, wenn es darum geht, ob ein VU einen S<strong>ch</strong>aden<br />

decken muss, geht es au<strong>ch</strong> bei diesen Informationen um eine Einsparung an sekundären Kosten.<br />

Der Nutzen, den die s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>e Wahrnehmung des VU na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss auslöst, dürfte unbestritten<br />

sein: Sofern der VN die Vertragsunterlagen ni<strong>ch</strong>t wegwirft, kann er si<strong>ch</strong> jederzeit über die relevanten Ver-<br />

tragsbestimmungen informieren.<br />

Für das Erkennen von opportunistis<strong>ch</strong>em Verhalten dürfte es ausrei<strong>ch</strong>end sein, dass der VN die s<strong>ch</strong>riftli-<br />

<strong>ch</strong>en Informationsunterlagen verfügbar hat, so dass er diese bei Bedarf konsultieren kann. Bei den restli-<br />

<strong>ch</strong>en Nutzen der Informationspfli<strong>ch</strong>ten hingegen muss der VN die Informationen kennen, damit diese ein<br />

positive Wirkung auf seine Wohlfahrt entfalten können.<br />

Dieser Sa<strong>ch</strong>verhalt führt allerdings zu einem konzeptionellen Problem: Informationsdefizite führen vor<br />

allem dann zu suboptimalen Kaufents<strong>ch</strong>eiden, wenn der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler dem VN einen subopti-<br />

malen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag empfiehlt. Solange der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler dem VN dasjenige Produkt<br />

empfiehlt, das – gegeben die Präferenzen (insb. Grad der Risikoaversion) und die Risikoexposition des VN<br />

– für diesen nutzenoptimal ist, wirken si<strong>ch</strong> Informationsdefizite des VN ni<strong>ch</strong>t negativ auf seinen Kaufent-<br />

s<strong>ch</strong>eid aus. Informationspfli<strong>ch</strong>ten können ex ante also nur dann eine positive Wirkung auf den Kaufent-<br />

s<strong>ch</strong>eid des VN entfalten, wenn der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler diesem ein suboptimales Produkt empfiehlt.<br />

Wann aber empfiehlt der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler dem VN ein suboptimales Produkt? Aus wel<strong>ch</strong>en Grün-<br />

den kommt es zur S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung? Drei Fälle sind zu unters<strong>ch</strong>eiden:<br />

■ S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung, die der VN vers<strong>ch</strong>uldet: Es ist denkbar, dass der VN ni<strong>ch</strong>t wahrheitsgetreu auf<br />

die Fragen des Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers antwortet, so dass dieser seinen Bedarf an Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz<br />

ni<strong>ch</strong>t korrekt identifizieren kann.<br />

■ Ni<strong>ch</strong>t vorsätzli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung dur<strong>ch</strong> den Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler: Es ist denkbar, dass der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler unfähig ist: Zum Beispiel, weil er s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t ausgebildet ist oder zuwenig Beratungs-<br />

erfahrung hat.<br />

■ Vorsätzli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung dur<strong>ch</strong> den Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (ex ante Opportunismus):<br />

Jede Art von Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler wird mit seinem Ents<strong>ch</strong>ädigungsmodell bestimmten ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

Anreizen ausgesetzt. So ist es z.B. mögli<strong>ch</strong>, dass ein Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler mehr verdient, wenn er eine<br />

Hausratversi<strong>ch</strong>erung mit einer 10-jährigen Laufzeit verkauft als wenn er eine sol<strong>ch</strong>e mit 1-jähriger Laufzeit<br />

171


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

verkauft. Dadur<strong>ch</strong> entsteht dem Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler ein Interessenskonflikt: Soll er seinen Nutzen oder<br />

aber den Nutzen des VN maximieren? Gibt er dem Interessenskonflikt na<strong>ch</strong>, ma<strong>ch</strong>t er dem VN den Ver-<br />

trag s<strong>ch</strong>mackhaft, der seinen eigenen Nutzen, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> denjenigen des VN maximiert. Dieses Verhal-<br />

ten nennen wir ex ante Opportunismus: Der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler beutet das Vertrauen, das der VN<br />

ihm entgegenbringt, opportunistis<strong>ch</strong> aus.<br />

Unmittelbar stellt si<strong>ch</strong> die Frage na<strong>ch</strong> der empiris<strong>ch</strong>en Häufigkeit dieser drei Ursa<strong>ch</strong>en für S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tbera-<br />

tung. S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung, die vom VN selbst vers<strong>ch</strong>uldet ist, dürfte eher selten vorkommen, da es ein irrati-<br />

onales, selbsts<strong>ch</strong>ädigendes Verhalten des VN voraussetzt. Ni<strong>ch</strong>t-vorsätzli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung infolge<br />

Unfähigkeit des Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers dürfte bei ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern und bei den<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsagenten der VU au<strong>ch</strong> selten vorkommen, da diese Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler in der Regel aus-<br />

gebildet sind und etwas von ihrem Fa<strong>ch</strong> verstehen. Es ist mögli<strong>ch</strong>, dass ni<strong>ch</strong>t vorsätzli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tbera-<br />

tung bei den Strukturbetrieben eine Rolle spielt. Diese gelten gemäss einiger der befragten Experten als<br />

unqualifiziert und verfügen oft über kein versi<strong>ch</strong>erungste<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>es Know-how. Ni<strong>ch</strong>t zuletzt au<strong>ch</strong> vor dem<br />

Hintergrund der verfügbaren empiris<strong>ch</strong>en Daten und Informationen, die wir in den Abs<strong>ch</strong>nitten 4.6.3 und<br />

5.7 ausgeführt haben, muss davon ausgegangen werden, dass die meisten Fälle von S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung<br />

vorsätzli<strong>ch</strong> begründet sind.<br />

Im Falle vorsätzli<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung dürfte die Wirkung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten<br />

jedo<strong>ch</strong> sehr bes<strong>ch</strong>ränkt sein. Aus vers<strong>ch</strong>iedenen Gründen:<br />

Erstens ist die Rezeption von s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Informationen dur<strong>ch</strong> den VN während der vorvertragli<strong>ch</strong>en<br />

Phase sehr bes<strong>ch</strong>ränkt: Der opportunistis<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler informiert den VN im mündli<strong>ch</strong>en<br />

Gesprä<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t über Vertragseigens<strong>ch</strong>aften, die den Abs<strong>ch</strong>luss gefährden. Dies ist deshalb ein Problem,<br />

weil die Wahrnehmung von s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Informationen gemäss übereinstimmender Meinung der befrag-<br />

ten Experten sehr bes<strong>ch</strong>ränkt ist – wobei dies für VN, die ein erhöhtes Risiko haben, das Opfer von ex ante<br />

Opportunismus zu werden, in besonderem Ausmass gelten dürfte. Die meisten VN lesen die s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en<br />

Unterlagen der VU ni<strong>ch</strong>t. Die befragten Experten s<strong>ch</strong>ätzen den Anteil der VN, wel<strong>ch</strong>e die AVB vor Ver-<br />

tragss<strong>ch</strong>luss lesen, auf einen tiefen einstelligen Prozentsatz. Die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, dass ein VN die vor-<br />

vertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten liest, dürfte etwas höher sein, da die Darstellung lesefreundli<strong>ch</strong>er ist<br />

und da diese prominenter präsentiert werden. Man muss berücksi<strong>ch</strong>tigen, dass der VN ni<strong>ch</strong>t nur die AVB,<br />

die s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten (bei einigen VU, z.B. bei der Mobiliar und bei der Züri<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rung, im Dokument mit den AVB integriert), sondern au<strong>ch</strong> weitere Unterlagen erhalten: u.a. den Vertrag<br />

sowie weitere Produktinformationen (Bros<strong>ch</strong>üren etc.). Das Problem ist, dass der dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e Kon-<br />

sument keine Informationen über Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte lesen will. Aus genau diesem Grund lässt er si<strong>ch</strong><br />

vom Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler mündli<strong>ch</strong> beraten. Die mündli<strong>ch</strong>en Informationen, die im Rahmen eines Bera-<br />

tungsgesprä<strong>ch</strong>s vom Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler übermittelt werden, sind für den Vertragss<strong>ch</strong>luss viel wi<strong>ch</strong>ti-<br />

ger als die s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Informationen. Die s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Informationen konsultiert der VN gemäss den<br />

befragten Experten eines VU zumeist nur, wenn unerwartete Probleme auftreten, z.B. in einem S<strong>ch</strong>adens-<br />

fall, wenn das VU einen Deckungsauss<strong>ch</strong>luss geltend ma<strong>ch</strong>t. In diesem Fall liest der VN sogar die AVB.<br />

Deshalb ist es wi<strong>ch</strong>tig, dass der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler den VN au<strong>ch</strong> im mündli<strong>ch</strong>en Gesprä<strong>ch</strong> über die<br />

relevanten Vertragseigens<strong>ch</strong>aften informiert. Diesbezügli<strong>ch</strong> führt die Revision allerdings zu keiner Verän-<br />

derung: Es gibt keine Verpfli<strong>ch</strong>tung zur mündli<strong>ch</strong>en Kommunikation der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte.<br />

Zweitens ist die Fähigkeit des VN bes<strong>ch</strong>ränkt, Informationen aufzunehmen, zu verstehen und zu verarbei-<br />

ten – au<strong>ch</strong> wenn der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler die Informationen im mündli<strong>ch</strong>en Gesprä<strong>ch</strong> übermittelt:<br />

■ Bes<strong>ch</strong>ränkte Fähigkeit, Informationen aufzunehmen: Es muss davon ausgegangen werden, dass<br />

die VN ni<strong>ch</strong>t in der Lage sind, derart viele Informationen aufzunehmen: Viele Informationen sind keine<br />

172


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Informationen. So gaben die befragten Experten des FRC zu Protokoll: «Es brau<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t mehr Informatio-<br />

nen, sondern weniger, andere und anders dargestellte Informationen».<br />

■ Bes<strong>ch</strong>ränkte Fähigkeit, Informationen zu verstehen: Es muss davon ausgegangen werden, dass ein<br />

grosser Teil der VN ni<strong>ch</strong>t in der Lage ist, gewisse informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte zu verstehen. Ein Beispiel<br />

hierfür sind «die für die Übers<strong>ch</strong>ussermittlung und die Übers<strong>ch</strong>ussbeteiligung geltenden Bere<strong>ch</strong>nungs-<br />

grundlagen und Verteilungsgrundsätze und –methoden.» (Art. 3 Abs. 1 lit. e <strong>VVG</strong>).<br />

■ Bes<strong>ch</strong>ränkte Fähigkeit, die Informationen produktiv zu verarbeiten: Au<strong>ch</strong> wenn ein VN die in-<br />

formationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte korrekt wahrgenommen und verstanden hat, ist es ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er, dass er die<br />

Informationen produktiv für den Kaufents<strong>ch</strong>eid nutzen kann. So dürfte z.B. ni<strong>ch</strong>t jeder VN, der das Prinzip<br />

der Zillmerung verstanden hat, in der Lage sein, zu erkennen, dass dieses Prinzip für ihn allenfalls ein gros-<br />

ses Risiko darstellt.<br />

Drittens hat der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler die Mögli<strong>ch</strong>keit, die Informationen derart darzustellen, dass der<br />

VN ni<strong>ch</strong>t in der Lage ist, ihre Bedeutung für seinen Kaufents<strong>ch</strong>eid zu erkennen, so dass er aus den Infor-<br />

mationen die fals<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>lüsse zieht. In diesem Zusammenhang verweisen wir auf die Framinganomalie,<br />

die wir im Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.4 erläutert haben. Dazu ein Beispiel: Der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler hat vers<strong>ch</strong>iede-<br />

ne Mögli<strong>ch</strong>keiten, den VN im Zusammenhang mit Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen über das Prinzip der Zillme-<br />

rung zu informieren. Eine Mögli<strong>ch</strong>keit besteht zum Beispiel darin, dass er ihm mitteilt, dass er die Rück-<br />

kaufswerte im Fall eines vorzeitigen Rückkaufs der Police der Tabelle entnehmen kann, die si<strong>ch</strong> in der<br />

s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Dokumentation befindet. Er kann ihm aber au<strong>ch</strong> sagen, dass er einen Totalverlust realisiert,<br />

wenn er die Police in den ersten Jahren zurückkaufen muss. Die Wirkung dieser unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Art und<br />

Weise der Präsentation von Informationen dürfte äusserst unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> sein.<br />

Diese Ausführung ma<strong>ch</strong>en deutli<strong>ch</strong>: Mit den Informationspfli<strong>ch</strong>ten können VN – insbesondere sol<strong>ch</strong>e, die<br />

aufgrund ihres Wesens anfällig für opportunistis<strong>ch</strong>e Ausbeutung sind - ni<strong>ch</strong>t vor ex ante Opportunismus<br />

ges<strong>ch</strong>ützt werden. Aus diesem Grund hat die Einführung vorvertragli<strong>ch</strong>er Informationspfli<strong>ch</strong>ten im Rah-<br />

men der Teilrevision 2006 das Problem der aggressiven Mehrfa<strong>ch</strong>agenten der Strukturbetriebe ni<strong>ch</strong>t ge-<br />

löst: Die im Rahmen der Teilrevision 2006 eingeführten Informationspfli<strong>ch</strong>ten sind in einem ge-<br />

wissen Sinne an der bes<strong>ch</strong>ränkten Rationalität der VN ges<strong>ch</strong>eitert.<br />

Es liegt im Wesen der Beziehung zwis<strong>ch</strong>en VN und Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, die si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> asymmetris<strong>ch</strong>e<br />

Information und Vertrauen auszei<strong>ch</strong>net, dass der VN darauf angewiesen ist, dass der Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

mittler ihn in die ri<strong>ch</strong>tige Ri<strong>ch</strong>tung weist – ni<strong>ch</strong>t zuletzt au<strong>ch</strong> vor dem Hintergrund, dass die Rationalität<br />

des VN in komplexen Ents<strong>ch</strong>eidungssituationen bes<strong>ch</strong>ränkt ist (vgl. Ausführungen im Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.4). Der<br />

VN ist auf die gute Empfehlung des Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers angewiesen. Ni<strong>ch</strong>t zuletzt deshalb nennen<br />

si<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungsagenten der grossen VU ni<strong>ch</strong>t Versi<strong>ch</strong>erungsverkäufer, sondern Versi<strong>ch</strong>erungsbera-<br />

ter. Dieser Anspru<strong>ch</strong> bringt au<strong>ch</strong> Pfli<strong>ch</strong>ten mit si<strong>ch</strong>. Denn der Begriff der Beratung impliziert, dass es Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsprodukte gibt, die – gegeben die Präferenzen, die Einkommens- und Vermögenssituation, die<br />

Lebenspläne und die Risiken, denen der VN ausgesetzt ist – für einen spezifis<strong>ch</strong>en VN geeigneter sind als<br />

andere Produkte. Ansonsten wäre der Begriff der Beratung im Zusammenhang mit Versi<strong>ch</strong>erungen voll-<br />

ständig inhaltsleer. Das einges<strong>ch</strong>ränkte Wirkungspotential der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten er-<br />

gibt si<strong>ch</strong> daraus, dass sie ni<strong>ch</strong>t die Frage betreffen, was der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler verkauft, sondern<br />

wie er verkauft. Damit ist zum einen der Fall ni<strong>ch</strong>t erfasst, wenn der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler korrekt über<br />

ein Produkt informiert, das für den VN gänzli<strong>ch</strong> ungeeignet ist. Zum anderen haftet der Strategie, das<br />

«Wie» des Beratungsgesprä<strong>ch</strong>s zu regulieren, der Makel an, dass sie in dem Sinne unpräzise wirkt, dass<br />

au<strong>ch</strong> die «guten» Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (jene, wel<strong>ch</strong>e das ri<strong>ch</strong>tige Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt verkaufen) den<br />

«Vors<strong>ch</strong>riften zum ‚Wie’ der Beratung» unterliegen. Dies ist deshalb ein Problem, weil dadur<strong>ch</strong> zusätzli<strong>ch</strong>e<br />

Transaktionskosten (z.B. in Form eines längeren Beratungsgesprä<strong>ch</strong>s) au<strong>ch</strong> dort entstehen, wo kein Regu-<br />

173


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

lierungsbedarf besteht. Ni<strong>ch</strong>t zuletzt vor diesem Hintergrund ist die ablehnende Haltung aller Experten der<br />

VU zu interpretieren, die wir im Rahmen der vorliegenden <strong>RFA</strong> befragt haben: Sie sehen keinen Regulie-<br />

rungsbedarf und stellen die Verhältnismässigkeit zusätzli<strong>ch</strong>er Vors<strong>ch</strong>riften, die das «Wie» der Beratung<br />

betreffen, in Frage.<br />

Wir s<strong>ch</strong>liessen diesen Abs<strong>ch</strong>nitt mit dem Hinweis, dass den vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten der VU<br />

au<strong>ch</strong> eine Gefahr inhärent ist: Die VU könnten si<strong>ch</strong> auf den Standpunkt stellen, dass mit der Erfüllung der<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten die Verpfli<strong>ch</strong>tungen der VI gegenüber den VN ers<strong>ch</strong>öpft sind. Dies<br />

ist aufgrund des Vertrauens<strong>ch</strong>arakters zwis<strong>ch</strong>en den VI und den VN allerdings ni<strong>ch</strong>t der Fall: Die Verlet-<br />

zung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>t ist nur eine Form der S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung. Dieser Meinung<br />

s<strong>ch</strong>liesst si<strong>ch</strong> implizit au<strong>ch</strong> die Ombudsfrau der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA an, wenn sie in Zusam-<br />

menhang mit den Abs<strong>ch</strong>luss- und Verwaltungskosten bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen, bezügli<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>en<br />

es unter dem geltenden <strong>VVG</strong> keine vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t der VU gibt, ausführt: «In Art. 3 <strong>VVG</strong><br />

sind die Mindestinformationen, die einem Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer vor Vertragsabs<strong>ch</strong>luss zu geben sind, abs<strong>ch</strong>liessend<br />

aufgezählt. Das heisst u.E. aber ni<strong>ch</strong>t, dass die Versi<strong>ch</strong>erer ni<strong>ch</strong>t weiter gehen sollten.» (Ombudsfrau (2009b, 12).<br />

7.4.2 ∆ 1 : Zusätzli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>ten gemäss Art. 12 Abs. 1-2 E-<br />

<strong>VVG</strong><br />

Analyse der zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten<br />

Die zusätzli<strong>ch</strong>en in Art. 12 Abs. 1 statuierten Informationspfli<strong>ch</strong>ten werden bei den VU zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten<br />

auslösen, da die Vertrags- und Verkaufsunterlagen angepasst werden müssen. Diese Kosten konnten im<br />

Rahmen der vorliegenden <strong>RFA</strong> ni<strong>ch</strong>t exakt quantifiziert werden, da für deren Bestimmung eine Befragung<br />

aller VU notwendig wäre. Allerdings können wir anhand der Angaben eines VU die Grössenordnung der<br />

Kosten abs<strong>ch</strong>ätzen: Dieses VU hat insgesamt 47 AVB, die aufgrund der neuen Informationspfli<strong>ch</strong>ten an-<br />

gepasst werden müssen. Diese liegen in drei Spra<strong>ch</strong>en und zwei vers<strong>ch</strong>iedenen Versionen vor. Dies ergibt<br />

insgesamt 282 Dokumente, die angepasst werden müssen. Der Aufwand für die Anpassung eines Doku-<br />

ments beträgt beläuft si<strong>ch</strong> gemäss den befragten Experten auf vier Arbeitsstunden. Bewertet man eine<br />

Arbeitsstunde mit einem Vollkostensatz in der Höhe von 180 Franken, resultieren für dieses VU Anpas-<br />

sungskosten in der Höhe von rund 200’000 Franken, was 0.0074 Prozent des Prämienvolumens dieses VU<br />

im Jahr 2008 bzw. rund 7 Franken pro 100'000 Franken Prämieneinnahmen entspri<strong>ch</strong>t. Geht man<br />

davon aus, dass bei den anderen VU die zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten au<strong>ch</strong> 0.0074 Prozent des Prämienvolumens<br />

betragen, resultieren ges<strong>ch</strong>ätzte Gesamtkosten in der Höhe von knapp 4 Millionen Franken. Grundsätz-<br />

li<strong>ch</strong> handelt es si<strong>ch</strong> bei diesen Anpassungskosten ni<strong>ch</strong>t um laufende Kosten, sondern um Investitions-<br />

kosten, die über mehrere Jahre hinweg abges<strong>ch</strong>rieben werden können. Geht man von der ni<strong>ch</strong>t unplau-<br />

siblen Annahme aus, dass die Informationspfli<strong>ch</strong>ten während 10 Jahren ni<strong>ch</strong>t verändert werden müssen,<br />

betragen die zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten pro 100'000 Franken jährli<strong>ch</strong>em Prämienvolumen weniger als 1 Franken.<br />

Damit die zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten mögli<strong>ch</strong>st gering ausfallen, ist den VU eine genügend lange Vorlaufzeit zu<br />

gewähren. Denn nur so kann si<strong>ch</strong>ergestellt werden, dass ni<strong>ch</strong>t bereits produzierte Unterlagen und Doku-<br />

mentationen, wel<strong>ch</strong>e die neuen informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t enthalten, verni<strong>ch</strong>tet werden<br />

müssen. Dies kann anhand des Beispiels eines der befragten VU expliziert werden: Dieses VU kommt sei-<br />

nen Informationspfli<strong>ch</strong>ten gemäss Art. 3 <strong>VVG</strong> dadur<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>, dass die zahlrei<strong>ch</strong>en AVB um die informati-<br />

onspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte ergänzt wurden. Auf den ersten zwei Seiten werden die wi<strong>ch</strong>tigsten Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

des entspre<strong>ch</strong>enden Versi<strong>ch</strong>erungsprodukts übersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> und in einfa<strong>ch</strong>er und verständli<strong>ch</strong>er Spra<strong>ch</strong>e<br />

dargestellt. So gibt es bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen etwa eine Rubrik «5. Wel<strong>ch</strong>es sind die wi<strong>ch</strong>tigsten<br />

Auss<strong>ch</strong>lüsse bzw. Eins<strong>ch</strong>ränkungen?» (Teilerfüllung von Art. 3 Abs. 1 lit. b: Umfang der Versi<strong>ch</strong>erungsde-<br />

174


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

ckung) und eine Rubrik «6. Wel<strong>ch</strong>es sind Ihre wi<strong>ch</strong>tigsten Pfli<strong>ch</strong>ten?» (Erfüllung von Art. 3 Abs. 1 lit. c:<br />

Pfli<strong>ch</strong>ten des VN). Diese um die informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte erweiterten AVB werden in dreimonatli-<br />

<strong>ch</strong>en Abständen na<strong>ch</strong>gedruckt. Deshalb ist es für dieses VU wi<strong>ch</strong>tig, frühzeitig über eine zusätzli<strong>ch</strong>e In-<br />

formationspfli<strong>ch</strong>t informiert zu werden. Ist dies der Fall, dann entstehen einmalige Anpassungskosten in<br />

der Druckvorstufe, jedo<strong>ch</strong> (fast) keine zusätzli<strong>ch</strong>en Druckkosten.<br />

Analyse der zusätzli<strong>ch</strong>en Nutzen<br />

Damit die neuen, in Art. 12 Abs. 1-2 E-<strong>VVG</strong> vorgesehen Informationspfli<strong>ch</strong>ten bei einem VN positive Aus-<br />

wirkungen entfalten können, müssen bezügli<strong>ch</strong> dieses VN folgende zwei Bedingungen erfüllt sein:<br />

■ Der VN wird unter dem geltenden <strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t über die informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte informiert, über<br />

die mit Art. 12 Abs. 1-2 E-<strong>VVG</strong> neu informiert werden muss. Diese Bedingungen dürften in vielen Fällen<br />

ni<strong>ch</strong>t erfüllt sein. So ist z.B. davon auszugehen, dass ein seriöser Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler bereits unter dem<br />

geltenden <strong>VVG</strong> über eine allfällige Frist zur Einrei<strong>ch</strong>ung der S<strong>ch</strong>adenanzeige informiert.<br />

■ Der VN verarbeitet unter dem Regime des E-<strong>VVG</strong> die Inhalte der neuen informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte<br />

derart, dass sie si<strong>ch</strong> auf seinen Kaufents<strong>ch</strong>eid auswirken können. Im Abs<strong>ch</strong>nitt 7.4.1 haben wir dargelegt,<br />

dass bei VN, die von einem opportunistis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler «beraten» werden, davon ni<strong>ch</strong>t<br />

ausgegangen werden kann, was ein grundsätzli<strong>ch</strong>es Problem des Instruments der Informationspfli<strong>ch</strong>ten<br />

begründet.<br />

Im Folgenden führen wir aus, wie die vers<strong>ch</strong>iedenen zusätzli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten, die in Art. 12 Abs.<br />

1-2 E-<strong>VVG</strong> vorgesehen sind, demjenigen VN, bei wel<strong>ch</strong>em die zwei oben formulierten Bedingungen erfüllt<br />

sind, zum Vorteil gerei<strong>ch</strong>en können (vgl. Überblick in Tabelle 27):<br />

■ Prämiendifferenzierung na<strong>ch</strong> Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t: Es gibt VN, die einen Prämiendifferenzierung na<strong>ch</strong> Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t<br />

aus glei<strong>ch</strong>stellungspolitis<strong>ch</strong>en Überlegungen ablehnen. Die Verpfli<strong>ch</strong>tung der VU, Informationen zur Prä-<br />

miendifferenzierung na<strong>ch</strong> Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t bereitzustellen, kann diesen VN ermögli<strong>ch</strong>en, ein Versi<strong>ch</strong>erungspro-<br />

dukt zu wählen, das Ihnen einen grösseren Nutzen bringt. Dies setzt allerdings voraus, dass die VN die<br />

Informationen zur Prämiendifferenzierung na<strong>ch</strong> Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t für vers<strong>ch</strong>iedene Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte erhal-<br />

ten und so verglei<strong>ch</strong>en können – ausser man geht davon aus, dass die Prämiendifferenzierung na<strong>ch</strong> Ge-<br />

s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t für einen VN derart bedeutend ist, dass er lieber keinen Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz geniesst als einen<br />

Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz, der zwis<strong>ch</strong>en den Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern diskriminiert.<br />

■ Die Art und Weise der Prämienerhebung: Diese Information kann für den Kaufents<strong>ch</strong>eid eines VN, der<br />

über wenige liquide Mittel verfügt, sehr wi<strong>ch</strong>tig sein. Denn es ist theoretis<strong>ch</strong> denkbar, dass ein VN finan-<br />

ziell in der Lage ist, die Prämien quartalsweise zu bezahlen, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> auf jährli<strong>ch</strong>er Basis. Mit der zu-<br />

sätzli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>t kann verhindert werden, dass derartige Fälle eintreten. Dadur<strong>ch</strong> können<br />

zum einen Transaktionskosten eingespart werden, die entstehen, wenn ein VN ni<strong>ch</strong>t in der Lage ist, seine<br />

Prämien vertragsgemäss zu bezahlen. Zum anderen sind au<strong>ch</strong> Konstellationen denkbar, bei wel<strong>ch</strong>en se-<br />

kundäre S<strong>ch</strong>adenskosten eingespart werden können – dies ist dann der Fall, wenn ein VN aufgrund eines<br />

Verzugs seiner Prämienzahlungen den Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz verliert und dann ein S<strong>ch</strong>aden eintritt. Die Art<br />

und Weise der Prämienerhebung kann s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> bei sehr hohen Prämien au<strong>ch</strong> relevant sein, weil sie<br />

über den potentiellen Zinsertrag den Preis des Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utzes verändert: Nur wenn der VN weiss,<br />

wann er wel<strong>ch</strong>e Prämien zu überweisen hat, kennt er den Preis des Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utzes exakt.<br />

■ Widerrufsre<strong>ch</strong>t: Erst wenn ein VN weiss, dass er über ein Widerrufsre<strong>ch</strong>t verfügt, kann er seinen subop-<br />

timalen Kaufents<strong>ch</strong>eid rückgängig ma<strong>ch</strong>en. Dadur<strong>ch</strong> kann er seine Konsumentenrente erhöhen (vgl. Ab-<br />

s<strong>ch</strong>nitt 6.4).<br />

■ Re<strong>ch</strong>t auf eine Kopie der relevanten Dokumente: Die Verfügbarkeit der relevanten Dokumente kann es<br />

dem VN ermögli<strong>ch</strong>en, opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten der VU während der Vertragslaufzeit zu erkennen.<br />

175


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Lehnt ein VU z.B. die Übernahme eines eingetretenen S<strong>ch</strong>adens ab, kann der VN in den Dokumenten<br />

na<strong>ch</strong>lesen, ob diese Ablehnung re<strong>ch</strong>tens ist. Bei einer Auseinandersetzung mit dem VU kann die Verfüg-<br />

barkeit der relevanten Dokumente au<strong>ch</strong> zu tieferen Transaktionskosten führen – etwa indem die Doku-<br />

mente die Beweisbarkeit eines Tatbestands erlei<strong>ch</strong>tern.<br />

■ Frist zur Einrei<strong>ch</strong>ung einer S<strong>ch</strong>adensanzeige: Wenn der VN si<strong>ch</strong> einer sol<strong>ch</strong>en Frist ni<strong>ch</strong>t bewusst ist,<br />

kann dies dazuführen, dass er einen S<strong>ch</strong>aden ni<strong>ch</strong>t fristgere<strong>ch</strong>t zur Anzeige bringt, so dass das VU von der<br />

Leistungspfli<strong>ch</strong>t befreit wird. Dadur<strong>ch</strong> erhöhen si<strong>ch</strong> die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten, was mit einer ent-<br />

spre<strong>ch</strong>enden Informationspfli<strong>ch</strong>t allenfalls verhindert werden kann.<br />

■ Informationspfli<strong>ch</strong>ten bezügli<strong>ch</strong> der Re<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erung: Diese Informationspfli<strong>ch</strong>t zielt im Wesent-<br />

li<strong>ch</strong>en darauf ab, Auseinandersetzungen zwis<strong>ch</strong>en dem VN und dem VU zu reduzieren. Derartige Ausei-<br />

nandersetzungen, die mit Transaktionskosten verbunden sind, sind in der Vergangenheit offenbar immer<br />

wieder aufgetreten, da die VN bezügli<strong>ch</strong> dieser Vertragseigens<strong>ch</strong>aften ni<strong>ch</strong>t informiert waren.<br />

■ Kosten für Risikos<strong>ch</strong>utz, Vertragsabs<strong>ch</strong>luss und Vertragsverwaltung bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungen: Diese<br />

Information kann vor allem bei gemis<strong>ch</strong>ten Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen (Sparversi<strong>ch</strong>erungen) in direkter<br />

Art und Weise dazu führen, dass der VN eine höhere Konsumentenrente realisieren kann. Denn die<br />

Kenntnis dieser Informationen kann den VN z.B. dazu verleiten, eine Banklösung anstelle einer Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungslösung einzukaufen. Wir haben bereits in Abs<strong>ch</strong>nitt 5.6 ausgeführt, dass die Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen sehr ho<strong>ch</strong> sind und dass die befragten Experten die Konkurrenzfähigkeit von<br />

Sparversi<strong>ch</strong>erungen mit entspre<strong>ch</strong>enden Bankprodukten sehr kritis<strong>ch</strong> beurteilt haben. Einer der befragten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsbroker hat geltend gema<strong>ch</strong>t, dass bei Einmaleinlagen in der Höhe von 1 Million Franken<br />

Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen von 5 Prozent bzw. 50'000 Franken ni<strong>ch</strong>t unübli<strong>ch</strong> sind. Dieser Betrag stehe in kei-<br />

nem Verhältnis zum Aufwand – ni<strong>ch</strong>t zuletzt deshalb, weil der Aufwand mehr oder weniger unabhängig<br />

von der Höhe der Einmaleinlage ist. Aus diesem Grund handelt dieser Versi<strong>ch</strong>erungsbroker mit den VU<br />

jeweils aus, dass er auf 80 Prozent der Abs<strong>ch</strong>lussprovision verzi<strong>ch</strong>te und die dadur<strong>ch</strong> frei werdenden mo-<br />

netären Ressourcen (40'000 Franken im Fall einer Einmaleinlage in der Höhe von 1 Million) stattdessen zur<br />

Aufstockung der garantierten Leistung zugunsten des VN verwende. Vor diesem Hintergrund ist zu erwar-<br />

ten, dass die Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> den Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungen zum einen zu<br />

einer substantiellen Reduktion der Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen führen wird, da die Transparenz den Preiswett-<br />

bewerb unter den VU und unter den Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern stärken wird. Zum anderen dürfte die<br />

Transparenz zu einer Reduktion des Marktvolumens führen, da Vers<strong>ch</strong>iebungen von Spargeldern zu den<br />

Banken zu erwarten sind:<br />

- Langer und Rosenow (2006, 211-212): «Ein Preiswettbewerb im Hinblick auf die Abs<strong>ch</strong>lusskosten kann so<br />

lange ni<strong>ch</strong>t stattfinden, wie diese den Verbrau<strong>ch</strong>ern ni<strong>ch</strong>t offen gelegt werden. In Norwegen hat die Einfüh-<br />

rung einer gesetzli<strong>ch</strong>en Verpfli<strong>ch</strong>tung, die Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungen bereits bei Abs<strong>ch</strong>luss<br />

des Vertrages in Re<strong>ch</strong>ung zu stellen, zu einer Absenkung dieser Kosten um mehr als 90 Prozent geführt. Of-<br />

fenbar wurden si<strong>ch</strong> die norwegis<strong>ch</strong>en Verbrau<strong>ch</strong>er erst dur<strong>ch</strong> diese Regelung der tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Höhe der für<br />

die Beratungsleistung in Re<strong>ch</strong>nung gestellten Kosten bewusst. Der dadur<strong>ch</strong> einsetzende Wettbewerb zwang<br />

die Unternehmen zu kundenfreundli<strong>ch</strong>eren Preisen. Man darf davon ausgehen, dass dur<strong>ch</strong> die Einführung<br />

einer vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>t über die Höhe der Abs<strong>ch</strong>lusskosten ähnli<strong>ch</strong>e Wirkungen erzielt<br />

werden könnten.»<br />

- A. S<strong>ch</strong>mid & Partner (2009, 1): «Da wir in jeder Versi<strong>ch</strong>erungssparte den Kunden aufzeigen, wel<strong>ch</strong>e Mög-<br />

li<strong>ch</strong>keiten und Alternativen für sie im Markt bestehen [...], müssen wir Ges<strong>ch</strong>äfte, wel<strong>ch</strong>e finanziell für uns<br />

grundsätzli<strong>ch</strong> Verluste einfahren (z.B. der ganze Aufwand für Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen) dur<strong>ch</strong> andere<br />

Ges<strong>ch</strong>äfte (z.B. Abs<strong>ch</strong>lüsse im Berei<strong>ch</strong> Einzelleben) "quersubventionieren". Im Gegensatz zum Ges<strong>ch</strong>äft mit<br />

Grosskunden, wel<strong>ch</strong>e teilweise bereits heute gewohnt sind, grössere Beträge für Beratungsdienstleistungen<br />

auszugeben, ist es im Ges<strong>ch</strong>äft mit Kleinstunternehmen illusoris<strong>ch</strong> zu glauben, dass der Aufwand für die<br />

176


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsberatung und -betreuung kostendeckend dem Kunden in Re<strong>ch</strong>nung gestellt werden kann. Bei<br />

gewissen Versi<strong>ch</strong>erungsabs<strong>ch</strong>lüssen im EinzeIlebensberei<strong>ch</strong> werden dur<strong>ch</strong>aus Provisionen in beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er<br />

Grössenordnung ausgeri<strong>ch</strong>tet. Diese werden aber benötigt, um den allgemeinen Aufwand (Bürokosten,<br />

Verwaltung, Akquisition etc.) abzudecken.»<br />

■ Finanzierungsmethode und Altersrückstellungen bei Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen: Diese Information<br />

kann au<strong>ch</strong> zu einer erhöhten Konsumentenrente des VN führen, da sie ihm eine bessere Produktwahl<br />

ermögli<strong>ch</strong>t. Denn die Finanzierungsmethode und die Altersrückstellung geben Auskunft darüber, in wel-<br />

<strong>ch</strong>em Ausmass die Prämien in der Zukunft steigen könnten.<br />

Da die Nutzen der zusätzli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten davon abhängt, wie die VN die informationspfli<strong>ch</strong>ti-<br />

gen Inhalte wahrnehmen, interpretieren und für ihren Kaufents<strong>ch</strong>eid fru<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>en, hängt dieser v.a.<br />

au<strong>ch</strong> davon ab, wie die VU diese Informationen präsentieren. Dies gilt sowohl für die mündli<strong>ch</strong>e als au<strong>ch</strong><br />

für die s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>e Kommunikation der Informationen. Besonders relevant ers<strong>ch</strong>eint uns bei der s<strong>ch</strong>riftli-<br />

<strong>ch</strong>en Dokumentation eine gesonderte, kompakte Darstellung folgender Inhalte:<br />

■ Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse und Eins<strong>ch</strong>ränkungen der Leistungspfli<strong>ch</strong>t: Dadur<strong>ch</strong> kann verhindert wer-<br />

den, dass der VN von fals<strong>ch</strong>en Voraussetzungen in Bezug auf den Deckungsumfang ausgeht.<br />

■ Pfli<strong>ch</strong>ten bzw. Obliegenheiten der VN: Nur wenn der VN seine Obliegenheiten kennt, kann er sie<br />

au<strong>ch</strong> erfüllen. Dadur<strong>ch</strong> können sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten eingespart werden.<br />

Tabelle 27: Nutzen der zusätzli<strong>ch</strong>en vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

Normative Analyse<br />

Nutzen, die vor<br />

Vertragss<strong>ch</strong>luss entstehen<br />

NutzenoptimalerKaufents<strong>ch</strong>eid<br />

Intensivierung<br />

des<br />

Wettbewerbs<br />

Nutzen, die na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss entstehen<br />

Optimales<br />

Verhalten na<strong>ch</strong><br />

Vertragss<strong>ch</strong>luss<br />

Erkennen von<br />

opportunistis<strong>ch</strong>em<br />

Verhalten der VU<br />

Reduktion von<br />

Transaktionskosten<br />

na<strong>ch</strong><br />

Vertragss<strong>ch</strong>luss<br />

Art. 12... Informationspfli<strong>ch</strong>tiger Inhalt<br />

Abs. 1 lit. c Prämiendifferenzierung na<strong>ch</strong><br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t:<br />

x<br />

Abs. 1 lit. c Art und Weise der Prämienerhebung x x<br />

Abs. 1 lit. e Widerrufsre<strong>ch</strong>t x x<br />

Abs. 1 lit. h Re<strong>ch</strong>t auf eine Kopie der relevanten<br />

Dokumente<br />

(x) x x<br />

Abs. 1 lit. i Frist zur Einrei<strong>ch</strong>ung einer<br />

S<strong>ch</strong>adensanzeige<br />

x<br />

Abs. 2 lit. a Re<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erung: Übertragung<br />

der S<strong>ch</strong>adenerledigung; Wahl eines<br />

Re<strong>ch</strong>tvertreters<br />

Abs. 2 lit. b Lebensversi<strong>ch</strong>erungen: Kosten für<br />

x x<br />

Risikos<strong>ch</strong>utz, Vertragsabs<strong>ch</strong>luss und<br />

Vertragsverwaltung<br />

x x x<br />

Abs. 2 lit. c Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen:<br />

Finanzierungsmethode und<br />

Altersrückstellungen<br />

x<br />

In Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.3 haben wir dargelegt, dass die VN bezügli<strong>ch</strong> der am Markt verfügbaren Produkte Infor-<br />

mationsdefizite haben können. Diese Informationsdefizite geben den Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern, die über<br />

umfassendes Wissen zu den vers<strong>ch</strong>iedenen Produkten verfügen, die Mögli<strong>ch</strong>keit zu opportunistis<strong>ch</strong>em<br />

Verhalten: zur Ausbeutung des Vertrauens, das der VN dem Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler gegenüber erbringt.<br />

Der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler verhält si<strong>ch</strong> dann opportunistis<strong>ch</strong>, wenn er dem Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer ni<strong>ch</strong>t<br />

177


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

das Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt, das am besten auf das Risikoprofil des VN zuges<strong>ch</strong>nitten ist, sondern dasjenige<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt, an dem der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler am meisten verdient, empfiehlt und verkauft.<br />

Dadur<strong>ch</strong> kommt der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler in den Genuss einer sogenannten Opportunitätsprämie.<br />

Dur<strong>ch</strong> das opportunistis<strong>ch</strong>e Verhalten des Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers entsteht ein Wohlfahrtsverlust, weil die<br />

knappen Ressourcen des VN ni<strong>ch</strong>t an den Ort gesteuert werden, wo sie den grössten Nutzen auslösen.<br />

Eine Mögli<strong>ch</strong>keit, opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten zu minimieren und zu sanktionieren, ist die Etablierung von<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten des VU.<br />

Allerdings müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt sein, damit die Auferlegung von vorvertragli<strong>ch</strong>en In-<br />

formationspfli<strong>ch</strong>ten ökonomis<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>tfertigt werden kann. Gemäss S<strong>ch</strong>äfer und Ott (2005, 517ff) müs-<br />

sen summaris<strong>ch</strong> vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit das Vertrauen des VN mittels Informations-<br />

pfli<strong>ch</strong>ten ges<strong>ch</strong>ützt werden soll:<br />

■ Asymmetris<strong>ch</strong>e Informationskosten: Die Auferlegung von Informationspfli<strong>ch</strong>ten ist nur dann ge-<br />

re<strong>ch</strong>tfertigt, wenn die Informationskosten des VU geringer sind als diejenigen des VN. Denn nur in diesem<br />

Fall können Transaktionskosten in Form von Su<strong>ch</strong>kosten eingespart werden.<br />

■ Produktivität der Informationen: Die Auferlegung von Informationspfli<strong>ch</strong>ten ma<strong>ch</strong>t ökonomis<strong>ch</strong> nur<br />

dann Sinn, wenn es si<strong>ch</strong> um sogenannt produktive Informationen handelt: Informationen sind genau<br />

dann produktiv, wenn der Aufwand zu ihrer Bes<strong>ch</strong>affung geringer ist als der dur<strong>ch</strong> die Information be-<br />

wirkte Nutzen. Wäre der Aufwand der Informationsbes<strong>ch</strong>affung höher als der Nutzen der Informationen,<br />

käme es einer Vers<strong>ch</strong>wendung glei<strong>ch</strong>, die Informationen denno<strong>ch</strong> zu bes<strong>ch</strong>affen.<br />

■ Existenz einer Vertrauensprämie: Die Auferlegung von Informationspfli<strong>ch</strong>ten führt dazu, dass den<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen Kosten entstehen. Die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen müssen deshalb eine soge-<br />

nannte Vertrauensprämie erhalten, wel<strong>ch</strong>e die Kosten ersetzt, die dem VU in Zusammenhang mit der<br />

Wahrnehmung seiner Informationspfli<strong>ch</strong>ten entstanden sind.<br />

■ Die Opportunismusprämie muss grösser sein als die Vertrauensprämie: Ist diese Voraussetzung<br />

verletzt, ist die Gefahr opportunistis<strong>ch</strong>en Verhaltens ni<strong>ch</strong>t latent: Die VU würden in diesem Fall die Infor-<br />

mationspfli<strong>ch</strong>ten freiwillig wahrnehmen (und dafür eine entspre<strong>ch</strong>ende Vertrauensprämie erhalten).<br />

Wir untersu<strong>ch</strong>en nun, ob die zusätzli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten, die in Art. 12 E-<strong>VVG</strong> vorgesehen sind,<br />

einer Prüfung anhand dieser vier Kriterien standhalten:<br />

■ Die Bedingung der asymmetris<strong>ch</strong>en Informationskosten ist bei allen zusätzli<strong>ch</strong>en Informations-<br />

pfli<strong>ch</strong>ten ohne jeden Zweifel erfüllt. Dieses Ergebnis ist dermassen trivial, dass wir es ni<strong>ch</strong>t näher begrün-<br />

den.<br />

■ Die Bedingung der Existenz einer Vertrauensprämie ist ebenso bei allen zusätzli<strong>ch</strong>en Informations-<br />

pfli<strong>ch</strong>ten ohne jeden Zweifel erfüllt: Die VU können die Kosten, die in Zusammenhang mit der Wahrneh-<br />

mung der Informationspfli<strong>ch</strong>ten entstehen, über die Prämien auf die VN abwälzen.<br />

Die zwei verbleibenden Bedingungen lassen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t global abhandeln. Vielmehr müssen die zusätzli-<br />

<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten einzeln hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der beiden Bedingungen untersu<strong>ch</strong>t werden.<br />

■ 12.1c. Prämiendifferenzierung na<strong>ch</strong> dem Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t: Diese Information dürfte für den Kaufents<strong>ch</strong>eid<br />

der Mehrheit der VN ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>laggebend sein. Die Minderheit, für wel<strong>ch</strong>e die Frage der Prämiendiffe-<br />

renzierung na<strong>ch</strong> dem Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t kaufrelevant ist, müsste deshalb au<strong>ch</strong> bereit sein, die gesamten Informa-<br />

tionskosten zu tragen. Dafür wären sie jedo<strong>ch</strong> wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bereit. Ebenso ist unklar, wie ein VU<br />

die Unwissenheit eines VN bezügli<strong>ch</strong> der Prämiendifferenzierung na<strong>ch</strong> dem Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t opportunistis<strong>ch</strong><br />

«ausbeuten» kann. Insbesondere stellt si<strong>ch</strong> die Frage, warum ein VU einem VN die Antwort auf die Frage<br />

der Prämiendifferenzierung na<strong>ch</strong> dem Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t verweigern sollte.<br />

178


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ 12.1c. Prämienzahlungsmodalitäten: Hierbei handelt es si<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>erli<strong>ch</strong> um eine produktive Information.<br />

Denn es sind Fälle denkbar, in wel<strong>ch</strong>en der VN ni<strong>ch</strong>t liquide genug ist, um die Prämie im Rahmen einer<br />

einmaligen Zahlung pro Jahr zu bezahlen. Allerdings stellt si<strong>ch</strong> die Frage, wie das VU die Unwissenheit<br />

eines VN bezügli<strong>ch</strong> der Prämienzahlungsmodalitäten opportunistis<strong>ch</strong> «ausbeuten» kann. Denn das VU hat<br />

grundsätzli<strong>ch</strong> ein Interesse an der Zahlungsfähigkeit des VN. Aus diesem Grund gehen wir davon aus, dass<br />

die Bedingungen «Opportunismusprämie > Vertrauensprämie» eher ni<strong>ch</strong>t erfüllt ist.<br />

■ 12.1e. Widerrufsre<strong>ch</strong>t: Hierbei handelt es si<strong>ch</strong> mit Gewissheit um eine produktive Information. Wenn<br />

der VN ni<strong>ch</strong>t weiss, dass er den Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag widerrufen kann, kann er vom Widerrufsre<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong><br />

keinen Gebrau<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en. Die Opportunismusprämie ist sehr ho<strong>ch</strong>: Sie umfasst die Prämienzahlungen, die<br />

im Falle eines Widerrufs ausfallen.<br />

■ 12.1g. Einlösungsklausel: Hierbei handelt es si<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>erli<strong>ch</strong> um eine produktive Information. Zum einen<br />

deshalb, weil das Verhalten des VN davon abhängig ist, ob er Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz geniesst oder ni<strong>ch</strong>t<br />

(Moral Hazard: vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.2). Zum anderen au<strong>ch</strong> deshalb, weil der Kaufents<strong>ch</strong>eid kippen kann,<br />

wenn der VN von der Einlöseklausel Kenntnis hat. Dies ist dann mögli<strong>ch</strong>, wenn er einen unmittelbar ein-<br />

setzenden Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz benötigt. Da die Informationen dazu führen können, dass der VN eine<br />

Versi<strong>ch</strong>erung ni<strong>ch</strong>t einkauft, ist au<strong>ch</strong> die Opportunismusprämie als ho<strong>ch</strong> einzustufen.<br />

■ 12.1h. Re<strong>ch</strong>t auf eine Kopie aller relevanten Dokumente: Hierbei handelt es si<strong>ch</strong> um eine Information,<br />

die für den VN sehr wi<strong>ch</strong>tig sein kann. Denn bei S<strong>ch</strong>adensfällen muss der VN in den Vertragsunterlagen<br />

na<strong>ch</strong>lesen können, ob und falls ja, unter wel<strong>ch</strong>en Bedingungen ein Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz besteht. Darüber<br />

hinaus könnten die vertragsrelevanten Dokumente au<strong>ch</strong> bei geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Auseinandersetzungen mit dem<br />

VU als Beweismittel wi<strong>ch</strong>tig werden. Die Opportunismusprämie ist als sehr ho<strong>ch</strong> einzustufen: Denn oppor-<br />

tunistis<strong>ch</strong>es Verhalten des VU ist bei S<strong>ch</strong>adensfällen oder anderen Auseinandersetzungen einfa<strong>ch</strong>er und<br />

erfolgsverspre<strong>ch</strong>ender, wenn der VN bezügli<strong>ch</strong> des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags Informationsdefizite hat.<br />

■ 12.1i. Frist zur Einrei<strong>ch</strong>ung der S<strong>ch</strong>adensanzeige: Hierbei handelt es si<strong>ch</strong> aus Si<strong>ch</strong>t des VN um eine äus-<br />

serst produktive Information, da sie darüber ents<strong>ch</strong>eiden kann, ob ein S<strong>ch</strong>aden vom VU gedeckt wird oder<br />

ni<strong>ch</strong>t. Die Opportunismusprämie des VU ist sehr ho<strong>ch</strong>: Wenn der VN die Frist verstrei<strong>ch</strong>en lässt, muss das<br />

VU den S<strong>ch</strong>aden ni<strong>ch</strong>t decken.<br />

■ 12.2a. Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erung: Hierbei handelt es si<strong>ch</strong> um Informationen zu wesentli<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>af-<br />

ten des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrages. Die Kenntnis dieser Eigens<strong>ch</strong>aften können den Kaufents<strong>ch</strong>eid eines VN<br />

kippen. Die Opportunitätsprämie, die der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler realisieren kann, ist deshalb als ho<strong>ch</strong> zu<br />

bewerten – insbesondere au<strong>ch</strong> vor dem Hintergrund, dass es si<strong>ch</strong> bei Re<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erungen oft um<br />

Verträge mit langer, bis zu 10-jähriger Laufzeit handelt.<br />

■ 12.2b. Lebensversi<strong>ch</strong>erung: Die Information der Prämienaufteilung auf Kosten des Risikos<strong>ch</strong>utzes auf<br />

der einen Seite und auf die Kosten des Vertragsabs<strong>ch</strong>luss und Vertragsverwaltung auf der anderen Seite<br />

ist für den VN bei gemis<strong>ch</strong>ten Lebensversi<strong>ch</strong>erungen sehr produktiv, da sie für den Kaufents<strong>ch</strong>eid sehr<br />

relevant ist: Es spielt für den VN eine Rolle, ob nur 95% oder aber nur gerade 80% des von ihm einge-<br />

zahlten Prämienvolumens aufs Sparen entfallen. Die Verwaltungs- und Abs<strong>ch</strong>lusskosten sind dabei insbe-<br />

sondere au<strong>ch</strong> deshalb für den Kaufents<strong>ch</strong>eid relevant, weil diese Kosten au<strong>ch</strong> bei Banklösungen bekannt<br />

sind, die in Konkurrenz zu Sparversi<strong>ch</strong>erungen stehen. Der Kunde muss beurteilen können, ob die ge-<br />

mis<strong>ch</strong>te Lebensversi<strong>ch</strong>erung einer Lösung «Sparen bei der Bank, Risiko bei der Versi<strong>ch</strong>erung» vorzuziehen<br />

ist. Zur Bedeutung der Abs<strong>ch</strong>luss- und Verwaltungskosten für die VN s<strong>ch</strong>reibt die Ombudsfrau der Privat-<br />

versi<strong>ch</strong>erung und der Suva: «Aus Si<strong>ch</strong>t der Ombudsstelle s<strong>ch</strong>liesst Abs. 2 lit. b von Art. 12 VE-<strong>VVG</strong> eine von vielen<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmern unter dem Aspekt der Transparenz bemängelte Lücke. Die Ombudsstelle wird mehr und mehr<br />

angegangen, weil die Konsumenten wissen wollen, auf wel<strong>ch</strong>e vers<strong>ch</strong>iedenen Elemente ihres Vertrags die Prämien-<br />

leistungen entfallen. In diesem Sinne interessieren sie si<strong>ch</strong> insbesondere (namentli<strong>ch</strong> bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungspolicen)<br />

über die sog. Abs<strong>ch</strong>lusskosten und Verwaltungskosten. Die Ombudsstelle hat mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>em Erfolg jeweils bei<br />

179


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

den betroffenen Versi<strong>ch</strong>erern versu<strong>ch</strong>t, im Einzelfall Transparenz herzustellen. Sollte die vorges<strong>ch</strong>lagene Bestimmung<br />

unverändert in Kraft treten, dürften Bes<strong>ch</strong>werden an die Ombudsstelle bezügli<strong>ch</strong> dieser Thematik massiv zurückge-<br />

hen.» (Ombudsfrau 2009a, 1).<br />

■ 12c. Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung: Die Information über die Finanzierungsmethode ist unseres Era<strong>ch</strong>tens<br />

ni<strong>ch</strong>t produktiv, weil sie der VN ni<strong>ch</strong>t interpretieren kann, so dass die Information für den Kaufents<strong>ch</strong>eid<br />

irrelevant ist.<br />

Tabelle 28: Sind die zusätzli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten gemäss Art. 12 Abs. 1-2 E-<strong>VVG</strong> aus ökonomis<strong>ch</strong>er<br />

Si<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>tfertigt?<br />

Legende: - ist ni<strong>ch</strong>t erfüllt, + ist erfüllt (s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e Ausprägung), ++ ist erfüllt (mittelstarke Ausprägung), +++ ist erfüllt (starke Ausprägung),<br />

x Informationspfli<strong>ch</strong>t ist aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>tfertigt.<br />

Quelle: E-<strong>VVG</strong>, eigene Darstellung<br />

7.4.3 ∆ 2 : Ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte<br />

Auf dem Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt kommt es von Zeit zu Zeit zu Produktinnovationen, die eine Anpassung der<br />

Liste der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten wüns<strong>ch</strong>enswert ma<strong>ch</strong>en könnten. Aus diesem Grund wird<br />

mit Art. 12 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong> vorges<strong>ch</strong>lagen, die Liste der Informationspfli<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessend zu formu-<br />

lieren (Regulierungsszenario). Das Alternativszenario 1 sieht hingegen eine abs<strong>ch</strong>liessend formulierte<br />

Liste vor. Wir werden im folgenden no<strong>ch</strong> eine weitere Mögli<strong>ch</strong>keit in Betra<strong>ch</strong>t ziehen: Diese Mögli<strong>ch</strong>keit<br />

besteht darin, dass der Bundesrat – z.B. auf Antrag der Ombudsstelle für Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA<br />

– mittels Verordnungsre<strong>ch</strong>t die Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte anpassen kann (Alternativszena-<br />

rio 2).<br />

Aus einer ökonomis<strong>ch</strong>en Perspektive der Effizienz sollte derjenigen Lösung den Vorzug gegeben werden,<br />

die eine Integration zusätzli<strong>ch</strong>er informationspfli<strong>ch</strong>tiger Inhalte mit den tiefsten Kosten bewerkstelligen<br />

kann.<br />

Gemäss S<strong>ch</strong>äfer und Ott (2005, 117) sind mit jeder Re<strong>ch</strong>tsregel vier vers<strong>ch</strong>iedene Arten von Kosten ver-<br />

bunden:<br />

Information<br />

ist<br />

produktiv<br />

Opportunismusprämie<br />

><br />

Vertrauensprämie<br />

Informationspfli<strong>ch</strong>t<br />

bere<strong>ch</strong>tigt?<br />

12.1c. die Frage der Prämiendifferenzierung na<strong>ch</strong> dem Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t - -<br />

12.1c. die Art und Weise der Prämienerhebung + -<br />

12.1e. über das Widerrufsre<strong>ch</strong>t gemäss Artikel 7; ++ +++ x<br />

12.1g. über den Inhalt einer allfälligen Einlösungsklausel; +++ ++ x<br />

12.1h. über das Re<strong>ch</strong>t, eine Kopie der in Artikel 11 Absatz 3<br />

genannten Dokumente zu verlangen;<br />

+ ++ x<br />

12.1i. über eine allfällige Frist zur Einrei<strong>ch</strong>ung der S<strong>ch</strong>adenanzeige<br />

na<strong>ch</strong> Artikel 35 Absatz 2.<br />

12.2a. Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erung: über die Übertragung der<br />

+++ +++ x<br />

S<strong>ch</strong>adenerledigung an ein re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> selbstständiges Unternehmen<br />

und die Mögli<strong>ch</strong>keit, eine Re<strong>ch</strong>tsvertreterin oder einen<br />

Re<strong>ch</strong>tsvertreter zu wählen;<br />

+ + x<br />

12.2b. Lebensversi<strong>ch</strong>erung: über die in die Prämie eingere<strong>ch</strong>neten<br />

Kosten für Risikos<strong>ch</strong>utz, Vertragsabs<strong>ch</strong>luss und -verwaltung;<br />

12c. Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung: über die Finanzierungsmethode<br />

+++ +++ x<br />

eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> der Bildung und Verwendung von<br />

Alterungsrückstellungen.<br />

- -<br />

180


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Kosten der erstmaligen Regelaufstellung<br />

■ Kosten einer Regeländerung<br />

■ Kosten der Regelanwendung<br />

■ Kosten, wenn dur<strong>ch</strong> unklare Regeln Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheit entsteht<br />

Ein Verglei<strong>ch</strong> der drei Mögli<strong>ch</strong>keiten führt zu folgenden Ergebnissen:<br />

■ Kosten der erstmaligen Regelaufstellung: Die Kosten der erstmaligen Regelaufstellung sind im Re-<br />

gulierungsszenario und im Alternativszenario 1 glei<strong>ch</strong> ho<strong>ch</strong>. Im Alternativszenario 2 sind sie lei<strong>ch</strong>t höher,<br />

da eine Verordnung formuliert und in Kraft gesetzt werden muss.<br />

■ Kosten der Regeländerung: Die Kosten dürften im Alternativszenario 2 (Verordnungsre<strong>ch</strong>t) tiefer sein<br />

als im Alternativszenario 1 (abs<strong>ch</strong>liessende Liste): Eine Anpassung der Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen<br />

Inhalte kann mittels Verordnungsre<strong>ch</strong>t kostengünstiger umgesetzt werden als im Rahmen einer Gesetzes-<br />

änderung. Die Kosten der Regeländerung dürften im Alternativszenario 2 (Verordnungsre<strong>ch</strong>t) au<strong>ch</strong> tiefer<br />

sein als im Regulierungsszenario (ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende Liste), was folgende Überlegung zeigt: Angenom-<br />

men, es kommt auf dem Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt zu einer Produktinnovation, die dana<strong>ch</strong> verlangt, eine zu-<br />

sätzli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t der VU zu definieren. Im Regulierungsszenario kann eine sol<strong>ch</strong>e Situation<br />

zwei Auswirkungen haben: Entweder die VU informieren freiwillig über die entspre<strong>ch</strong>ende Vertragseigen-<br />

s<strong>ch</strong>aft, oder aber es kommt zu einer geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Auseinandersetzung zwis<strong>ch</strong>en einem VU und einem VN,<br />

so dass ein Ri<strong>ch</strong>ter feststellt, ob eine Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU besteht. Im ersten Fall entstehen keine<br />

Transaktionskosten, im zweiten Fall entstehen die Transaktionskosten im Umfang der Kosten der geri<strong>ch</strong>tli-<br />

<strong>ch</strong>en Auseinandersetzung. Die Kosten der geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Auseinandersetzung (Regulierungsszenario) dürf-<br />

ten höher sein als die Kosten, die mit einer Anpassung einer Verordnung (Alternativszenario 2) verbunden<br />

sind – insbesondere dann, wenn die geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Auseinandersetzung bis zum Bundesgeri<strong>ch</strong>t weitergezo-<br />

gen wird. Am hö<strong>ch</strong>sten dürften die Kosten der Regeländerung allerdings sein, wenn diese im Rahmen<br />

einer Gesetzesanpassung vollzogen werden muss, da in diesem Fall das Parlament involviert werden muss.<br />

S<strong>ch</strong>äfer und Ott (2005, 118) lassen si<strong>ch</strong> mit Bezug auf die Kosten von Regeländerungen folgendermassen<br />

vernehmen : «Die dezentral arbeitenden und an vielen Stellen Informationen aufnehmenden und verarbeitenden<br />

Zivilgeri<strong>ch</strong>te können diese Präzisierung [von unpräzisen Regeln, BASS] dur<strong>ch</strong> Interpretation und Re<strong>ch</strong>tsfortbildung oft<br />

besser vornehmen als der Gesetzgeber. Sie können in einem an vielen Stellen – in vielen Prozessen – stattfindenden<br />

Lernprozess häufig die Probleme sa<strong>ch</strong>näher – bzw. kostengünstiger – beurteilen und dann dur<strong>ch</strong> hö<strong>ch</strong>stri<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong>e<br />

Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung problemadäquate präzise Vors<strong>ch</strong>riften entwickeln. Dies gilt besonders für jene Verhaltensstandards,<br />

die si<strong>ch</strong> als Folge sozialer und te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>er Änderungen im Zeitablauf anpassen müssen. Das Verhältnis von unpräzisen<br />

Standards zu präzisen Regeln in einem Gesetzeswerk bestimmt somit zu einem hohen Grad die Arbeitsteilung zwi-<br />

s<strong>ch</strong>en dem parlamentaris<strong>ch</strong>en Gesetzgeber einerseits und den Geri<strong>ch</strong>ten andererseits bei der Generierung von<br />

Re<strong>ch</strong>tsnormen. Aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ist das Ausmass dieser Arbeitsteilung au<strong>ch</strong> eine Zwecksmässigkeitsfrage, die<br />

si<strong>ch</strong> dana<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>ten sollte, wel<strong>ch</strong>e Institutionen die niedrigsten Kosten bei der Generierung und Administration von<br />

Re<strong>ch</strong>tsnormen hat».Die Kosten der Regeländerung spre<strong>ch</strong>en aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t also für das Alternativ-<br />

szenario 2 (Verordnungsre<strong>ch</strong>t).<br />

■ Kosten der Regelanwendung und Kosten der Re<strong>ch</strong>tunsi<strong>ch</strong>erheit: Diese Kosten dürften im Regu-<br />

lierungsszenario (ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende Liste) am hö<strong>ch</strong>sten sein, im Alternativszenario 1 (abs<strong>ch</strong>liessende<br />

Liste) am tiefsten sein: «Die Kosten der erstmaligen Regelerzeugung und der Regeländerung sind ökonomis<strong>ch</strong><br />

betra<strong>ch</strong>tet fixe Kosten, die der Regelanwendung dagegen variable Kosten. Man wird daher in jenen Berei<strong>ch</strong>en der<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft, in denen regelgebundenes Verhalten massenhaft auftritt und daher eine Regel sehr häufig angewendet<br />

wird, eher präzise Direktiven erwarten, wenn das Re<strong>ch</strong>t effizient sein soll. Denn dies spart variable Kosten der<br />

Regelanwendung ein. [...]. Ausserdem ist es effizient, in jenen Berei<strong>ch</strong>en, in denen te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e und soziale Änderun-<br />

gen selten eintreten, eher präzise Normen einzuführen, da in diesem Fall eine unveränderte Norm lange angewendet<br />

181


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

werden kann und si<strong>ch</strong> die Kosten der Regelgenierung auf viele Fälle verteilen» (S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005, 117). Die<br />

Kosten der Regelanwendung sind im Regulierungsszenario vor allem deshalb am hö<strong>ch</strong>sten, weil der Zeit-<br />

punkt, zu dem neue Informationspfli<strong>ch</strong>ten berücksi<strong>ch</strong>tigt werden müssen, ni<strong>ch</strong>t bekannt ist. Im s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>-<br />

testen Fall gibt es kurz na<strong>ch</strong>dem eine neue Auflage der s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Dokumente, mit wel<strong>ch</strong>en die VU ihre<br />

Informationspfli<strong>ch</strong>ten wahrnehmen, gedruckt wurde, ein re<strong>ch</strong>tskräftiges Urteil bezügli<strong>ch</strong> einer neuen<br />

Informationspfli<strong>ch</strong>t. In diesem Fall muss das VU die gesamte gedruckte Auflage verni<strong>ch</strong>ten und eine neue<br />

Auflage mit veränderten Inhalten drucken lassen. Die Kosten der Regelanwendung und die Kosten der<br />

Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheit spre<strong>ch</strong>en aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t also für das Alternativszenario.<br />

Abgesehen von diesen Kosten muss zusätzli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ein weiterer Unters<strong>ch</strong>ied der vers<strong>ch</strong>iedenen Szenarien<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigt werden: Es muss nämli<strong>ch</strong> davon ausgegangen werden, dass neue informationspfli<strong>ch</strong>tige<br />

Inhalte im Alternativszenario 2 am s<strong>ch</strong>nellsten, im Alternativszenario 1 hingegen mit der grössten zeitli-<br />

<strong>ch</strong>en Verzögerung, dur<strong>ch</strong>gesetzt werden können. Die zeitli<strong>ch</strong>e Verzögerung ist wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong><br />

deshalb relevant, weil die Nutzen zusätzli<strong>ch</strong>er Informationspfli<strong>ch</strong>ten frühzeitig wirksam werden können,<br />

wenn zusätzli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>ten zu neuartigen Produkten ras<strong>ch</strong>er verbindli<strong>ch</strong> werden. Gesetzesän-<br />

derungen (Alternativszenario 1) nehmen eine längere Zeit in Anspru<strong>ch</strong> als geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Auseinanderset-<br />

zungen (Regulierungsszenario), die im s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>testen Fall vom Bundesgeri<strong>ch</strong>t ents<strong>ch</strong>ieden werden müssen.<br />

Am s<strong>ch</strong>nellsten können neue informationspfli<strong>ch</strong>tige Inhalte si<strong>ch</strong>er mittels Verordnungsre<strong>ch</strong>t (Alternativ-<br />

szenario 2) dur<strong>ch</strong>gesetzt werden. Das Alternativszenario 2 (Verordnungsre<strong>ch</strong>t) hat gegenüber dem Regu-<br />

lierungsszenario (Geri<strong>ch</strong>tsurteile) darüber hinaus den Vorteil, dass sie den VU im voraus angekündigt wer-<br />

den können, so dass die VU ihre Druckaufträge entspre<strong>ch</strong>end planen können. Au<strong>ch</strong> der zeitli<strong>ch</strong>e Aspekt<br />

spri<strong>ch</strong>t also für das Alternativszenario 2.<br />

In Tabelle 29 haben wir diese Ausführungen zusammengefasst. Gemäss dieser Bewertung s<strong>ch</strong>neidet das<br />

Alternativszenario 2 (Verordnungsre<strong>ch</strong>t) am besten ab. Der Verglei<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en Regulierungsszenario und<br />

Alternativszenario 1 führt zu einem ni<strong>ch</strong>t-eindeutigen Ergebnis: Das Regulierungsszenario (ni<strong>ch</strong>t-<br />

abs<strong>ch</strong>liessende Liste) dürfte einen grösseren Nutzen, jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> höhere Kosten als das Alternativszenario<br />

1 (abs<strong>ch</strong>liessende Liste im Gesetz) verursa<strong>ch</strong>en. Aus zwei Gründen sind wir der Ansi<strong>ch</strong>t, dass das Alterna-<br />

tivszenario 1 (abs<strong>ch</strong>liessende Liste) dem Regulierungsszenario (ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende Liste) aus ökonomi-<br />

s<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t vorzuziehen ist:<br />

■ Produktinnovationen, die na<strong>ch</strong> einer Anpassung der Liste der vorvertragli<strong>ch</strong>en informationspfli<strong>ch</strong>tigen<br />

Inhalte verlangen, sind im Privatkundenmarkt sehr selten, so dass der Nutzen der Mögli<strong>ch</strong>keit einer ra-<br />

s<strong>ch</strong>en Anpassung dur<strong>ch</strong> Ri<strong>ch</strong>terre<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>ränkt ist. Demgegenüber wird die ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende Liste<br />

fast mit Si<strong>ch</strong>erheit zu geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Auseinandersetzungen zwis<strong>ch</strong>en den VN und VU führen – au<strong>ch</strong> wenn<br />

es auf dem Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt keine entspre<strong>ch</strong>enden Produktinnovationen gegeben hat.<br />

■ Der Nutzen der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten, zu deren Erfüllung die VU nur s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> ver-<br />

pfli<strong>ch</strong>tet sind, ist generell bes<strong>ch</strong>ränkt (vgl. Ausführungen im Abs<strong>ch</strong>nitt 7.4.1). Insbesondere kann ex ante<br />

Opportunismus der VI aufgrund der bes<strong>ch</strong>ränkten Rationalität der Konsumenten (Framinganomalie) dur<strong>ch</strong><br />

die vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten nur in sehr bes<strong>ch</strong>ränktem Ausmass eingedämmt werden.<br />

182


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 29: Bewertung (Ränge) der drei Szenarien<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

7.4.4 ∆ 3: Konkretisierung von Form und Zeitpunkt der<br />

Informationserteilung<br />

Die Konkretisierung von Form und Zeitpunkt der Informationserteilung führt zu keinen zusätzli<strong>ch</strong>en Kos-<br />

ten. Denn die VU nehmen ihre Informationspfli<strong>ch</strong>ten bereits heute, unter dem geltenden <strong>VVG</strong>, s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong><br />

wahr. Da die Konkretisierung des Zeitpunkts der Informationserteilung die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit erhöht, dass<br />

si<strong>ch</strong> ein VN eines informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalts bewusst ist, können zusätzli<strong>ch</strong>e Nutzen entstehen. Diese<br />

Nutzen sind davon abhängig, um wel<strong>ch</strong>e informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte es si<strong>ch</strong> dabei handelt. Die Nutzen<br />

der zusätzli<strong>ch</strong>en informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte haben wir in den vorangehenden Abs<strong>ch</strong>nitten bes<strong>ch</strong>rie-<br />

ben. Auf eine detaillierte Analyse der Nutzen der bestehenden Informationspfli<strong>ch</strong>ten verzi<strong>ch</strong>ten wir an<br />

dieser Stelle, da diese Informationspfli<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t Gegenstand der vorliegenden Revision sind. Wir halten<br />

ledigli<strong>ch</strong> fest, dass eine ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse zum Ergebnis führen würde, dass die bestehenden Informa-<br />

tionspfli<strong>ch</strong>ten die erforderli<strong>ch</strong>en Kriterien (asymmetris<strong>ch</strong>e Informationskosten, Produktivität der Informati-<br />

onen, Existenz einer Vertrauensprämie, Opportunismusprämie > Vertrauensprämie) erfüllen.<br />

7.4.5 ∆ 4 : Verlängerung der Verwirkungsfrist des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts<br />

infolge IPV<br />

Die Verlängerung der Verwirkungsfrist des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts infolge Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzung (IPV)<br />

von einem auf zwei Jahren führt nur dann zu Veränderungen, wenn der VN im 2. Jahr na<strong>ch</strong> Vertrags-<br />

s<strong>ch</strong>luss erfährt, dass das VU seine Informationspfli<strong>ch</strong>ten verletzt hat.<br />

Der Verlängerung der Verwirkungsfrist des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts infolge Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzung ist also<br />

das Potential inhärent, die Anzahl Kündigungen infolge Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzung zu erhöhen. Eine<br />

sol<strong>ch</strong>e Kündigung entfaltet folgende Kosten und Nutzen:<br />

■ Kosten: Eine Kündigung infolge IPV löst beim Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen Transaktionskosten aus.<br />

Darüber hinaus entstehen zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten des Vertragss<strong>ch</strong>lusses, wenn der VN na<strong>ch</strong> der Kündigung ein<br />

neues Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt einkauft.<br />

■ Nutzen: Der VN kündigt bei einer IPV nur, wenn der betroffene Vertrag angesi<strong>ch</strong>ts seiner Bedürfnisse<br />

und Präferenz suboptimal ist. Die Kündigung des suboptimalen Vertrags führt deshalb zu einer Erhöhung<br />

der Konsumentenrente.<br />

Szenario<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der Liste der Informationspfli<strong>ch</strong>ten<br />

Regulierungsszenario<br />

Ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende<br />

Liste im Gesetz,<br />

Ri<strong>ch</strong>terre<strong>ch</strong>t<br />

Alternativszenario<br />

1<br />

Abs<strong>ch</strong>liessende Liste<br />

im Gesetz<br />

Instrument der Veränderung der Informationspfli<strong>ch</strong>ten Geri<strong>ch</strong>tsurteile Gesetzesänderung<br />

Alternativszenario<br />

2<br />

Abs<strong>ch</strong>liessende Liste in<br />

Verordnung<br />

Anpassung der<br />

Verordnung<br />

Kosten der erstmaligen Regelaufstellung 1 1 2<br />

Kosten einer Regeländerung 2 3 1<br />

Kosten der Regelanwendung und der Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheit 3 1 2<br />

Total Kosten 3 2 1<br />

Zeitli<strong>ch</strong>er Verzug 2 3 1<br />

Bewertung insgesamt 3 2 1<br />

183


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass die Verlängerung der Verwirkungsfrist bei IPV zu über-<br />

haupt keinen Auswirkungen führen wird. Von den zahlrei<strong>ch</strong>en Experten, die wir befragt haben, kannte<br />

kein einziger einen Fall einer Kündigung infolge IPV. Allenfalls könnte die Regelungen zur IPV dahinge-<br />

hend einen Nutzen auslösen, dass sie eine Präventivwirkung entfalten. Dies ist jedo<strong>ch</strong> sehr unwahrs<strong>ch</strong>ein-<br />

li<strong>ch</strong>, da die VU kaum ökonomis<strong>ch</strong>en Anreizen ausgesetzt sind, den Informationspfli<strong>ch</strong>ten na<strong>ch</strong>zukommen.<br />

Dies ist darauf zurückzuführen, dass eine Verletzung der Informationspfli<strong>ch</strong>ten au<strong>ch</strong> im E-<strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t sank-<br />

tioniert wird, was der folgende Fall illustriert: Angenommen, ein VU weiss, dass ein bestimmter VN das<br />

angebotene Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt nur dann einkauft, wenn das VU ihm einen informationspfli<strong>ch</strong>tigen<br />

Inhalt verheimli<strong>ch</strong>t. In diesem Fall ist es für das VU rational, den informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalt zu verheim-<br />

li<strong>ch</strong>en. Denn verheimli<strong>ch</strong>t das VU den Inhalt ni<strong>ch</strong>t, kommt es zu keinem Vertragss<strong>ch</strong>luss, so dass das VU<br />

keine Prämieneinnahmen realisieren kann. Verheimli<strong>ch</strong>t das VU den Inhalt jedo<strong>ch</strong>, kommt es in den Ge-<br />

nuss von Prämienzahlungen – im s<strong>ch</strong>limmsten Fall nur bis zum Zeitpunkt, zu dem der VN von der Informa-<br />

tionspfli<strong>ch</strong>tverletzung erfährt und von seinem Kündigungsre<strong>ch</strong>t infolge der Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

Gebrau<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t. Rein theoretis<strong>ch</strong> könnte der von der IPV betroffene VN den Re<strong>ch</strong>tsweg bes<strong>ch</strong>reiten. Dies<br />

wird er jedo<strong>ch</strong> nie tun, da das Prozessrisiko angesi<strong>ch</strong>ts der Streitsumme viel zu ho<strong>ch</strong> ist.<br />

Solange Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzungen ni<strong>ch</strong>t mit Re<strong>ch</strong>tsfolgen sanktioniert werden, die im Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvertragsgesetz definiert sind und die pönalen Charakter 66 haben, wird diese Institution keine Präven-<br />

tivwirkung entfalten können. Die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen im <strong>VVG</strong> und<br />

au<strong>ch</strong> im E-<strong>VVG</strong> mit eins<strong>ch</strong>neidenden Sanktionen gegen den VN belegt werden, während für vorvertragli-<br />

<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>ten sowohl im <strong>VVG</strong> als au<strong>ch</strong> im E-<strong>VVG</strong> keine Sanktionen gegen die Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vermittler und VU vorgesehen sind, ist aus ökonomis<strong>ch</strong>er Perspektive unverständli<strong>ch</strong>: Die VU haben keine<br />

ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize, säumige Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler zu sanktionieren.<br />

7.4.6 ∆ 5 : Veränderter Beginn des Fristenlaufes des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts<br />

infolge IPV<br />

Der Fristenlauf des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts beginnt neu ni<strong>ch</strong>t mehr mit dem Zeitpunkt der Informationspfli<strong>ch</strong>t-<br />

verletzung, sondern mit dem Zeitpunkt des Vertragss<strong>ch</strong>lusses. Damit ist der Beginn des Fristenlaufes präzi-<br />

se definiert. Dies könnte theoretis<strong>ch</strong> zu einer Einsparung von Transaktionskosten führen, da si<strong>ch</strong> Ausei-<br />

nandersetzungen zwis<strong>ch</strong>en dem VU und dem VN bezügli<strong>ch</strong> des Zeitpunkts der Informationspfli<strong>ch</strong>tverlet-<br />

zung erübrigen. Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass der veränderte Beginn des Fristenlau-<br />

fes in der Praxis überhaupt keine Auswirkungen entfalten wird: Keinem einzigen der zahlrei<strong>ch</strong>en befrag-<br />

ten Experten war ein Fall einer Kündigung infolge Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzung bekannt.<br />

66 Die Sanktion kann nur dann eine Präventivwirkung entfalten, wenn sie einen pönalen Charakter hat. Denn es muss davon ausge-<br />

gangen werden, dass nur ein kleiner Teil der Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzungen sanktioniert werden kann (ein Teil der Informations-<br />

pfli<strong>ch</strong>tverletzungen wird von den VN überhaupt ni<strong>ch</strong>t erkannt; darüberhinaus dürfte es s<strong>ch</strong>wierig sein, eine Informationspfli<strong>ch</strong>tverlet-<br />

zung zu beweisen). Damit die Sanktion eine Präventivwirkung entfalten kann, muss sie grösser sein als die erwartete Opportunitäts-<br />

prämie einer Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzung. Die erwartete Opportunitätsprämie ist dabei abhängig von der Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, dass<br />

eine Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzung sanktioniert werden kann. Ein pönaler Charakter ist au<strong>ch</strong> deshalb angezeigt, weil au<strong>ch</strong> die Leis-<br />

tungsbefreiung eines VU infolge einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung in den meisten Fällen einen pönalen Charakter hat.<br />

184


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

7.5 Zusammenfassung<br />

7.5.1 Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

Gegenstand, Motivation und Hintergründe sowie die Ziele der Regulierung der vorvertragli<strong>ch</strong>en<br />

Informationspfli<strong>ch</strong>ten der VU sind in Tabelle 30 im Überblick dargestellt.<br />

Tabelle 30: Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t: Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

∆: Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU und Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzung (IPV)<br />

<strong>VVG</strong>: Art. 3 und 3a<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 12-13<br />

Problemstellung: Informationsdefizite der VN, ungenügende Qualität der Beratung dur<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler<br />

Hauptziele: Reduktion der Informationsdefizite der VN<br />

→ Nutzenoptimierte Konsuments<strong>ch</strong>eide der VN<br />

→ Erhöhung der Beratungsqualität, Sanktionierung von S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung<br />

∆1: Erweiterung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten<br />

<strong>VVG</strong>: -<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 12 Abs. 1 lit. c/e/g/h/i und Art. 12 Abs. 2 lit. a-c<br />

Problemstellung: Informationsdefizite des VN bezügli<strong>ch</strong> spezifis<strong>ch</strong>er, für den Kaufents<strong>ch</strong>eid relevanter<br />

Produkteigens<strong>ch</strong>aften<br />

Ziel: Reduktion von Informationsdefiziten des VN<br />

∆ 2: Ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende Liste der Informationspfli<strong>ch</strong>ten<br />

<strong>VVG</strong>: -<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art.12 Abs.1<br />

Problemstellung: Neue Informationsbedürfnisse aufgrund von Produktinnovationen im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt<br />

Ziel: Reduktion von Informationsdefiziten des VN bezügli<strong>ch</strong> neuer Produkte<br />

∆ 3: Konkretisierung von Form und Zeitpunkt der Informationserteilung dur<strong>ch</strong> das VU<br />

<strong>VVG</strong>: Art. 3 Abs. 3<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art.13<br />

Problemstellung: Ungenügende Wahrnehmung der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte dur<strong>ch</strong> die VN<br />

Ziel: Verbesserte Rezeption der ents<strong>ch</strong>eidungsrelevanten Produktinformationen dur<strong>ch</strong> den VN<br />

∆ 4: Verlängerung der Verwirkungsfrist des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts infolge IPV<br />

<strong>VVG</strong>: Art. 3a Abs. 2<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 14 Abs. 2<br />

Problemstellung: Win(VU)-Loose(VN)-Verträge, deren Entstehung auf Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzungen dur<strong>ch</strong><br />

das VU zurückzuführen sind<br />

Ziel: Minimierung der Wohlfahrtsverluste aufgrund von Win(VU)-Loose(VN)-Verträgen, deren<br />

Entstehung auf Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzungen dur<strong>ch</strong> das VU zurückzuführen sind.<br />

∆5: Veränderter Beginn des Fristenlaufes des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts infolge IPV<br />

<strong>VVG</strong>: Art. 3a Abs. 2<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 14 Abs. 2<br />

Problemstellung: Auseinandersetzungen bezügli<strong>ch</strong> des Zeitpunkts der Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

Ziel: Erhöhung der Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit → Reduktion von Transaktionskosten<br />

Quelle: <strong>VVG</strong>, E-<strong>VVG</strong>, Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t (2009), eigene Analysen<br />

185


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

7.5.2 Auswirkungen der Regulierung<br />

Die erwarteten Auswirkungen der Veränderungen, die mit Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong> im Berei<strong>ch</strong> der vorvertragli-<br />

<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten der VU vorgesehen sind, sind in Tabelle 31 im Überblick dargestellt. Sie kön-<br />

nen folgendermassen zusammengefasst werden:<br />

■ Kosten der veränderten Informationspfli<strong>ch</strong>ten: Jede Veränderung, insbesondere jede Erweiterung<br />

der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten, führt bei den VU zu Anpassungskosten: Die s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Do-<br />

kumente, mit wel<strong>ch</strong>en die VU ihre Informationspfli<strong>ch</strong>t wahrnehmen, müssen verändert werden. Bei diesen<br />

Anpassungskosten handelt es si<strong>ch</strong> grundsätzli<strong>ch</strong> um einmalige Kosten, die nur anfallen, wenn die Infor-<br />

mationspfli<strong>ch</strong>ten verändert werden. Da das Instrument der Informationspfli<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t neu ges<strong>ch</strong>affen<br />

werden muss, sind die zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten als eher gering einzus<strong>ch</strong>ätzen. Wir s<strong>ch</strong>ätzen die Gesamtkosten<br />

auf 4 Millionen Franken. Damit die Kosten infolge veränderter Informationspfli<strong>ch</strong>ten mögli<strong>ch</strong>st gering<br />

ausfallen, muss den VU ein zeitli<strong>ch</strong>er Vorlauf gewährt werden, damit si<strong>ch</strong> diese auf die Umsetzung adä-<br />

quat vorbereiten können.<br />

■ Nutzen der veränderten Informationspfli<strong>ch</strong>ten: Sofern sie wahrgenommen werden, reduzieren<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>ten Informationsdefizite der VN, die si<strong>ch</strong> negativ auf ihre Wohlfahrt<br />

auswirken können. Dadur<strong>ch</strong> können die Informationspfli<strong>ch</strong>ten zu folgenden Nutzen führen: (1) Ermögli-<br />

<strong>ch</strong>ung eines nutzenoptimalen Konsuments<strong>ch</strong>eids des VN; (2) Intensivierung des Wettbewerbs; (3) Ver-<br />

tragskonformes Verhalten der VN während der Vertragslaufzeit (Reduktion von sekundären S<strong>ch</strong>adenskos-<br />

ten); (4) Reduktion von Transaktionskosten (Vereinbarungskosten, Abwicklungskosten, Änderungs- und<br />

Anpassungskosten, Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten); (5) Erkennen von opportunistis<strong>ch</strong>em Verhalten<br />

der VU na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss. Das Ausmass der Nutzen ist letztli<strong>ch</strong> v.a. davon abhängig, wie die Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvermittler die neuen Informationspfli<strong>ch</strong>ten wahrnehmen. Der Nutzen dürfte insbesondere bei Art. 12<br />

Abs. 2 lit. b (Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> der Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungen) gross sein: Er<br />

dürfte zu einer substantiellen Reduktion der Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen, insbesonde-<br />

re bei gezillmerten Sparversi<strong>ch</strong>erungen führen.<br />

■ Grenzen der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten: Das Instrument der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informa-<br />

tionspfli<strong>ch</strong>ten, wie es im <strong>VVG</strong> und au<strong>ch</strong> im E-<strong>VVG</strong> konzipiert ist, hat zwei S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en: (1) Es dürfte bei<br />

opportunistis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern ni<strong>ch</strong>t die gewüns<strong>ch</strong>te Wirkungen entfalten; (2) Es kann keine<br />

befriedigende Präventivwirkung entfalten, weil Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzungen au<strong>ch</strong> unter dem E-<strong>VVG</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t sanktioniert werden. Die VU sind kaum ökonomis<strong>ch</strong>en Anreizen ausgesetzt, opportunistis<strong>ch</strong>en Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvermittlern die Zusammenarbeit zu kündigen.<br />

186


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 31: Die Auswirkungen von Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong> im Überblick<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten +<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten =<br />

Transaktionskosten + + Transparenz intensiviert Wettbewerb<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten +<br />

Vereinbarungskosten +<br />

Abwicklungskosten +<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Änderungs- & Anpassungskosten -<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten -<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN)<br />

Informationsdefizite der VN +<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI und VU +<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

Ex ante Opportunismus der VI<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

+<br />

+<br />

+<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU) +<br />

Ex post Opportunismus der VU +<br />

Andere Verhaltensanpassungen<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids +<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

Produktqualität +<br />

Vertragsrisiken des VN<br />

Vertragsrisiken des VU<br />

+<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen +<br />

Adverse Selektion<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb +<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t +<br />

Prämienvolumen (Marktvolumen)<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV<br />

����<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ����<br />

Prämienhöhe ����<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ����<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total<br />

Instabilität des Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

����<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt +<br />

Renten der VN +<br />

Renten der VI -<br />

Renten der VU -<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte +<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

+<br />

+<br />

+<br />

+ Art. 12 Abs. 1 lit. g (Einlösungsklausel) und Art. 12 Abs. 1 lit. i (Frist zur Einrei<strong>ch</strong>ung einer<br />

S<strong>ch</strong>adenanzeige)<br />

Reduktion der Su<strong>ch</strong>kosten der VN bezügli<strong>ch</strong> der zusätzli<strong>ch</strong> vorgesehenen informationspfli<strong>ch</strong>tigen<br />

Inhalte<br />

+ Reduktion der Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungen (Art. 12 Abs. 2 lit. b)<br />

- Zusätzli<strong>ch</strong>e Druckkosten infolge von Art. 12 Abs. 1 lit. h<br />

Art. 12 Abs. 1 lit. c (Art und Weise der Prämienerhebung) reduziert die Häufigkeit von Querelen<br />

beim Prämieninkasso<br />

Anpassung der Dokumente, mit wel<strong>ch</strong>en die VU ihre vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten<br />

wahrnehmen<br />

Zunahme der Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheit aufgrund der ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessenden Liste der<br />

informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte<br />

Die zusätzli<strong>ch</strong>en informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte reduzieren die Informationsdefizite der VN,<br />

insbesondere bezügli<strong>ch</strong> der Abs<strong>ch</strong>luss- und Verwaltungskosten bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungen (Art. 12<br />

Abs. 2 lit. b)<br />

Wohlinformierte VN haben weniger Grund, misstrauis<strong>ch</strong> zu sein<br />

Die zusätzli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten, insb. Art. 12 Abs. 1 lit. e (Widerrufsre<strong>ch</strong>t) und Art. 12 Abs. 2<br />

lit. b (Abs<strong>ch</strong>luss- und Verwaltungkosten bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungen) reduzieren die Mögli<strong>ch</strong>keiten<br />

der VI zu opportunistis<strong>ch</strong>em Verhalten<br />

Wohlinformierte VN können ex post Opportunismus erkennen; insbesondere wenn sie über eine<br />

Kopie der relevanten Unterlagen verfügen (Art. 12 Abs. 1 lit. h)<br />

Reduktion von Informationsdefiziten ermögli<strong>ch</strong>t nutzenoptimalere Kaufents<strong>ch</strong>eide<br />

Art. 12 Abs. 2 lit. b wird zu einer Reduktion der Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungen führen<br />

Informationsdefizite stellen für die VN generell Vertragsrisiken dar<br />

Transparenz intensiviert den Wettbewerb. Art. 12 Abs. 2 lit. b wird den Preiswettbewerb unter<br />

den VU und zwis<strong>ch</strong>en den VI bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen stärken.<br />

Reduktion des Prämienvolumens in der Bran<strong>ch</strong>e "Einzelleben"<br />

(1) Intensivierung des Wettbewerbs; (2) Reduktion der Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Reduktion des Preises der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung<br />

Reduktion der Anzahl Sparversi<strong>ch</strong>erungsverträge<br />

(1) Nutzenoptimalere Kaufents<strong>ch</strong>eide; (2) Tiefere Prämien<br />

(1) Reduktion von Opportunitätsprämien; (2) Reduktion des Marktvolumens in der Bran<strong>ch</strong>e<br />

"Einzelleben"; (3) Intensivierung des Wettbewerbs<br />

Vers<strong>ch</strong>iebung von Sparkapitalien von den Versi<strong>ch</strong>erungen zu den Banken<br />

187


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

7.5.3 Empfehlungen<br />

Vor dem Hintergrund der dur<strong>ch</strong>geführten Analyse können wir folgende Empfehlungen abgeben:<br />

■ Veränderung der Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte mittels Verordnungsre<strong>ch</strong>t auf An-<br />

trag der Ombudsstelle der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA: Eine ni<strong>ch</strong>t-abs<strong>ch</strong>liessende Formulie-<br />

rung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten ist aus Gründen der Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit und der Kosteneffi-<br />

zienz ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert. Ni<strong>ch</strong>t zuletzt deshalb, weil Produktinnovationen, wel<strong>ch</strong>e die Statuierung neu-<br />

er Informationspfli<strong>ch</strong>ten notwendig ma<strong>ch</strong>en, selten sind. Wir empfehlen, neue Informationspfli<strong>ch</strong>ten bei<br />

Bedarf per Verordnungsre<strong>ch</strong>t auf Antrag des Ombudsman der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA einzufüh-<br />

ren. Dabei ist den VU eine Vorlaufzeit von 12 Monate zu gewähren, so dass sie ihre Unternehmensprozes-<br />

se auf die bevorstehende Veränderung abstimmen können.<br />

■ Zusätzli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>ten gemäss Art. 12 E-<strong>VVG</strong>: Bei fünf der a<strong>ch</strong>t zusätzli<strong>ch</strong>en informati-<br />

onspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalte, die mit Art. 12 Abs. 1-2 E-<strong>VVG</strong> vorgesehen sind, era<strong>ch</strong>ten wird die Aufnahme in<br />

die Liste der informationspfli<strong>ch</strong>tigen Inhalten für gere<strong>ch</strong>tfertigt. Aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ist dabei die In-<br />

formationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> der Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungen von herausragender Bedeu-<br />

tung. Damit das Instrument ni<strong>ch</strong>t zu einem Marketinginstrument der VU wird, empfehlen wir, mittels<br />

Verordnung eine Bere<strong>ch</strong>nungsmethodik vorzugeben, gemäss der die Abs<strong>ch</strong>luss- und Verwaltungskosten<br />

bere<strong>ch</strong>net werden müssen. Nur so kann eine Verglei<strong>ch</strong>barkeit der Angaben der VU im Sinne von Art. 12<br />

Abs. 2 lit. b E-<strong>VVG</strong> si<strong>ch</strong>ergestellt werden.<br />

■ Kompakte Darstellung ausgewählter Inhalte: Vor dem Hintergrund der Informationsdefizite der<br />

VN, die wir im Rahmen der empiris<strong>ch</strong>en Analysen identifizieren konnten, empfehlen wir, dass bezügli<strong>ch</strong><br />

folgender Vertragsinhalte eine kompakte Darstellung in Form einer summaris<strong>ch</strong>en Aufzählung verlangt<br />

wird:<br />

- (a) Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse; (b) Fälle, in wel<strong>ch</strong>en die VU von der Leistungspfli<strong>ch</strong>t befreit werden oder<br />

eine Leistungsreduktion geltend ma<strong>ch</strong>en können; (c) Häufigste Irrtümer der VN bezügli<strong>ch</strong> des De-<br />

ckungsumfangs.<br />

- Obliegenheiten der VN<br />

- Kündigungsre<strong>ch</strong>te der VU und der VN<br />

■ Ausweis der Abs<strong>ch</strong>lusskosten au<strong>ch</strong> im Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben: Die Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> der<br />

Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungen (Art. 12 Abs. 2 lit. b E-<strong>VVG</strong>) sollte auf alle Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

träge ausgedehnt werden. Bei der Beratungsleistung der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler handelt es si<strong>ch</strong> um eine<br />

zusätzli<strong>ch</strong>e Leistung (added value) des Versi<strong>ch</strong>erers, die seine Kernleistung: den Risikotransfer, ergänzt.<br />

Aus drei Gründen ist eine Transparenz bezügli<strong>ch</strong> der Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei allen Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen<br />

wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong> wüns<strong>ch</strong>enswert:<br />

- Erstens muss der VN wissen, was die Beratungsleistung des Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers kostet. An-<br />

dernfalls ist er ni<strong>ch</strong>t in der Lage, eine nutzenmaximierende Wahl des Vertriebskanals zu treffen,<br />

so dass eine pareto-ineffiziente Allokation der monetären Ressourcen resultiert, die dem VN zur<br />

Verfügung stehen.<br />

- Zweitens wird die Transparenz bezügli<strong>ch</strong> der Abs<strong>ch</strong>lusskosten zu einem verstärkten Preiswettbe-<br />

werb unter den VU und VI führen, was zu einer Reduktion der Transaktionskosten und damit zu<br />

einer Erhöhung der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt führen wird.<br />

- Drittens wird eine Ausdehnung der Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> der Abs<strong>ch</strong>lusskosten auf Ni<strong>ch</strong>t-<br />

Lebens-Versi<strong>ch</strong>erungen zu einer Reduktion von opportunistis<strong>ch</strong>em Verhalten der VI führen, da die<br />

VN in die Lage versetzt werden, einen allfälligen Interessenskonflikt des VI zu erkennen. Die Re-<br />

duktion opportunistis<strong>ch</strong>en Verhaltens der VI führt zu nutzenoptimaleren Kaufents<strong>ch</strong>eiden der VN<br />

und damit zu einer Erhöhung der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt.<br />

188


7 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t des VU (Art. 12-14 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Pönale Sanktionierung von Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzungen: Damit die Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer Infor-<br />

mationspfli<strong>ch</strong>tverletzung eine Präventivwirkung entfalten können, müssen im Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetz<br />

pönale Sanktionen für Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzungen vorgesehen werden – verglei<strong>ch</strong>bar mit den pöna-<br />

len Sanktionen, die im geltenden <strong>VVG</strong> für Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen vorgesehen sind.<br />

189


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

8.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

8.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

In Tabelle 32, Tabelle 33 und Tabelle 34 sind die relevanten gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen, wel<strong>ch</strong>e die Regu-<br />

lierungsszenarien und das Referenzszenario determinieren, einander gegenübergestellt.<br />

Tabelle 32: Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t: Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

Regulierungszenario (RZ) Referenzszenario (BS)<br />

Art. 15 (Inhalt) E-<strong>VVG</strong><br />

15.1. Das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen teilt der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin<br />

oder dem Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>, unmissverständli<strong>ch</strong> und<br />

spezifiziert mit, über wel<strong>ch</strong>e erhebli<strong>ch</strong>en Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en sie oder er<br />

Auskunft geben muss.<br />

15.2. Die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer hat<br />

dem Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen vor Vertragsabs<strong>ch</strong>luss alle erhebli<strong>ch</strong>en<br />

Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en vollständig und ri<strong>ch</strong>tig s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> anzuzeigen, soweit<br />

sie ihr oder ihm bekannt sind oder bekannt sein müssen.<br />

15.3. Erhebli<strong>ch</strong>e Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en sind gegenwärtige oder<br />

vergangene Sa<strong>ch</strong>verhalte, die ihrer Natur na<strong>ch</strong> geeignet sind, die<br />

Eins<strong>ch</strong>ätzung der zu versi<strong>ch</strong>ernden Gefahr zu beeinflussen.<br />

Art. 16 (Anzeigepfli<strong>ch</strong>t bei Vertretung und<br />

Fremdversi<strong>ch</strong>erung) E-<strong>VVG</strong><br />

16.1. Wird die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer<br />

bei der Erfüllung seiner Anzeigepfli<strong>ch</strong>t vertreten, so sind sowohl<br />

die erhebli<strong>ch</strong>en Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en anzuzeigen, die ihr oder ihm, als<br />

au<strong>ch</strong> diejenigen, die der Vertreterin oder dem Vertreter bekannt sind<br />

oder bekannt sein müssen.<br />

16.2. Die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer hat<br />

bei einer Fremdversi<strong>ch</strong>erung au<strong>ch</strong> diejenigen erhebli<strong>ch</strong>en<br />

Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en anzuzeigen, die der versi<strong>ch</strong>erten Drittperson selbst<br />

oder ihrer Vertreterin oder ihrem Vertreter bekannt sind oder bekannt<br />

sein müssen, es sei denn, der Vertrag wird ohne deren Wissen<br />

abges<strong>ch</strong>lossen.<br />

Art. 17 (Zeitpunkt für die Beurteilung) E-<strong>VVG</strong><br />

17.1. Für die Beurteilung der Vollständigkeit und Ri<strong>ch</strong>tigkeit der<br />

erteilten Auskünfte ist der Zeitpunkt von deren Übergabe oder<br />

Absendung an das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen massgebli<strong>ch</strong>.<br />

17.2. Auf diesen Zeitpunkt beurteilt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong>, wel<strong>ch</strong>e<br />

erhebli<strong>ch</strong>en Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin, dem<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer, der versi<strong>ch</strong>erten Drittperson oder deren<br />

Vertreterin oder Vertreter bekannt sind oder bekannt sein<br />

müssen.<br />

Art. 4 (Anzeigepfli<strong>ch</strong>t beim Vertragsabs<strong>ch</strong>lusse:<br />

a. Im allgemeinen) <strong>VVG</strong><br />

4.1. Der Antragsteller hat dem Versi<strong>ch</strong>erer an Hand eines<br />

Fragebogens oder auf sonstiges s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>es Befragen alle für<br />

die Beurteilung der Gefahr erhebli<strong>ch</strong>en Tatsa<strong>ch</strong>en, soweit und<br />

so wie sie ihm beim Vertragsabs<strong>ch</strong>lusse bekannt sind oder<br />

bekannt sein müssen, s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> mitzuteilen.<br />

4.2. Erhebli<strong>ch</strong> sind diejenigen Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en, die geeignet<br />

sind, auf den Ents<strong>ch</strong>luss des Versi<strong>ch</strong>erers, den Vertrag<br />

überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen<br />

abzus<strong>ch</strong>liessen, einen Einfluss auszuüben.<br />

4.3. Die Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en, auf wel<strong>ch</strong>e die s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en<br />

Fragen des Versi<strong>ch</strong>erers in bestimmter, unzweideutiger<br />

Fassung geri<strong>ch</strong>tet sind, werden als erhebli<strong>ch</strong> vermutet.<br />

Art. 5 (Anzeigepfli<strong>ch</strong>t: b. Beim Vertragsabs<strong>ch</strong>lusse dur<strong>ch</strong><br />

Stellvertreter; c. Bei der Versi<strong>ch</strong>erung für fremde<br />

Re<strong>ch</strong>nung) <strong>VVG</strong><br />

5.1 Wird der Vertrag dur<strong>ch</strong> einen Stellvertreter<br />

abges<strong>ch</strong>lossen, so sind sowohl die erhebli<strong>ch</strong>en<br />

Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en anzuzeigen, die dem Vertretenen, als au<strong>ch</strong><br />

diejenigen, die dem Vertreter bekannt sind oder bekannt sein<br />

müssen.<br />

5.2 Bei der Versi<strong>ch</strong>erung für fremde Re<strong>ch</strong>nung (Art. 16) sind<br />

au<strong>ch</strong> diejenigen erhebli<strong>ch</strong>en Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en anzuzeigen, die<br />

dem versi<strong>ch</strong>erten Dritten selbst oder seinem<br />

Zwis<strong>ch</strong>enbeauftragten bekannt sind oder bekannt sein müssen,<br />

es sei denn, dass der Vertrag ohne Wissen dieser Personen<br />

abges<strong>ch</strong>lossen wird, oder dass die re<strong>ch</strong>tzeitige<br />

Bena<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tigung des Antragstellers ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong> ist.<br />

Anmerkungen: RS = Regulierungsszenario; BS = Referenzszenario; Orange = halbzwingendes Re<strong>ch</strong>t; Grün: dispositives Re<strong>ch</strong>t; fett<br />

s<strong>ch</strong>warz: materielle Unters<strong>ch</strong>iede<br />

Quelle: E-<strong>VVG</strong>, <strong>VVG</strong><br />

190


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 33: Verletzung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t: Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en<br />

Grundlagen<br />

Regulierungsszenario (RS)<br />

Art. 18 (Verletzung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t. Grundsatz) E-<strong>VVG</strong><br />

18.1. Hat die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer eine erhebli<strong>ch</strong>e<br />

Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e, die sie oder er kannte oder kennen musste, unri<strong>ch</strong>tig mitgeteilt<br />

oder vers<strong>ch</strong>wiegen, so kann das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen den abges<strong>ch</strong>lossenen<br />

Vertrag s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> kündigen, falls es:<br />

18.1a. aufgrund der fehlerhaften Angaben das Risiko zu seinen<br />

Ungunsten fals<strong>ch</strong> einges<strong>ch</strong>ätzt hat; und<br />

18.1b. bei ri<strong>ch</strong>tiger Eins<strong>ch</strong>ätzung den Vertrag ni<strong>ch</strong>t oder mit anderem<br />

Inhalt abges<strong>ch</strong>lossen hätte.<br />

18.2. Hat die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer die<br />

Anzeigepfli<strong>ch</strong>t absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> oder grobfahrlässig verletzt, so erlis<strong>ch</strong>t mit<br />

Beendigung des Vertrags au<strong>ch</strong> die Leistungspfli<strong>ch</strong>t des<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmens für bereits eingetretene S<strong>ch</strong>äden, soweit:<br />

18.2a. deren Eintritt oder Umfang dur<strong>ch</strong> die ni<strong>ch</strong>t oder ni<strong>ch</strong>t ri<strong>ch</strong>tig angezeigte<br />

erhebli<strong>ch</strong>e Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e beeinflusst worden sind; oder<br />

18.2b. das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen bei ri<strong>ch</strong>tiger Anzeige das<br />

verwirkli<strong>ch</strong>te Risiko ni<strong>ch</strong>t gedeckt hätte.<br />

Art. 19 (Kündigung bei Verletzung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t) E-<strong>VVG</strong><br />

19.1. Kündigt das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen den Vertrag wegen<br />

Verletzung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t, so hat es für die Zeit der tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Vertragsdauer Anspru<strong>ch</strong> auf eine erhöhte Prämie, wenn und soweit ohne<br />

Verletzung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> dem anwendbaren Tarif eine<br />

höhere Prämie ergeben hätte.<br />

Referenzszenario (BS)<br />

Art. 6 (Folgen der verletzten Anzeigepfli<strong>ch</strong>t: a. Im<br />

Allgemeinen) <strong>VVG</strong><br />

19.2. Wurde die Leistungspfli<strong>ch</strong>t im Falle einer absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en oder<br />

grobfahrlässigen Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder des 6.3. [...] Soweit die Leistungspfli<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on erfüllt wurde, hat der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmers s<strong>ch</strong>on erfüllt, hat das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen Anspru<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erer Anspru<strong>ch</strong> auf Rückerstattung.<br />

auf Rückerstattung.<br />

19.3. Wird ein rückkaufsfähiger Lebensversi<strong>ch</strong>erungsvertrag gekündigt, so s<strong>ch</strong>uldet<br />

das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen den Rückkaufswert.<br />

19.4. Das Kündigungsre<strong>ch</strong>t erlis<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> Ablauf von vier Wo<strong>ch</strong>en, na<strong>ch</strong>dem das<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen von der Verletzung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t Kenntnis erhalten<br />

hat, spätestens aber fünf Jahre na<strong>ch</strong> Vertragsabs<strong>ch</strong>luss.<br />

19.5 Die Kündigung wird mit Zugang bei der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder beim<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer wirksam.<br />

Art. 20 (Aufre<strong>ch</strong>terhaltung des Vertrags<br />

trotz Verletzung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t) E-<strong>VVG</strong><br />

20. Wird der Vertrag trotz Verletzung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t aufre<strong>ch</strong>terhalten,<br />

hat das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen rückwirkend auf den Zeitpunkt des<br />

Vertragsabs<strong>ch</strong>lusses Anspru<strong>ch</strong> auf eine erhöhte Prämie, wenn und soweit<br />

si<strong>ch</strong> ohne Verletzung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> dem anwendbaren Tarif eine<br />

höhere Prämie ergeben hätte.<br />

Art. 21 (Verletzung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t bei Grossrisiken) E-<strong>VVG</strong><br />

21. Die Artikel 18-20 finden sinngemäss Anwendung auf die Versi<strong>ch</strong>erung<br />

von Grossrisiken, wenn die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en unri<strong>ch</strong>tig mitteilt, die<br />

ihrer Natur na<strong>ch</strong> und für ihn erkennbar geeignet sind, die Eins<strong>ch</strong>ätzung der<br />

zu versi<strong>ch</strong>ernden Gefahr zu beeinflussen, ohne dazu befragt worden zu<br />

sein.<br />

Art. 22 (Kündigung des Kollektivvertrags) E-<strong>VVG</strong><br />

22. Umfasst der Vertrag mehrere Gegenstände oder Personen und ist die<br />

Anzeigepfli<strong>ch</strong>t nur bezügli<strong>ch</strong> eines Teils dieser Gegenstände oder Personen verletzt,<br />

so bleibt die Versi<strong>ch</strong>erung für den übrigen Teil von den Folgen der<br />

Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung unberührt, wenn si<strong>ch</strong> aus den Umständen ergibt, dass das<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen diesen Teil allein zu den glei<strong>ch</strong>en Bedingungen<br />

versi<strong>ch</strong>ert hätte.<br />

6.1. Hat der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tige beim Abs<strong>ch</strong>luss der Versi<strong>ch</strong>erung<br />

eine erhebli<strong>ch</strong>e Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e, die er kannte oder kennen musste<br />

und über die er s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> befragt worden ist, unri<strong>ch</strong>tig<br />

mitgeteilt oder vers<strong>ch</strong>wiegen, so ist der Versi<strong>ch</strong>erer bere<strong>ch</strong>tigt, den<br />

Vertrag dur<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>e Erklärung zu kündigen. [...].<br />

6.3. Wird der Vertrag dur<strong>ch</strong> Kündigung na<strong>ch</strong> Absatz 1<br />

aufgelöst, so erlis<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> die Leistungspfli<strong>ch</strong>t des Versi<strong>ch</strong>erers für<br />

bereits eingetretene S<strong>ch</strong>äden, deren Eintritt oder Umfang dur<strong>ch</strong> die<br />

ni<strong>ch</strong>t oder unri<strong>ch</strong>tig angezeigte erhebli<strong>ch</strong>e Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e<br />

beeinflusst worden ist. [...].<br />

6.4. Wird ein Lebensversi<strong>ch</strong>erungsvertrag, der na<strong>ch</strong> Massgabe<br />

dieses Gesetzes rückkauffähig ist (Art. 90 Abs. 2) aufgelöst, so hat<br />

der Versi<strong>ch</strong>erer die für den Rückkauf festgestellte Leistung zu<br />

gewähren.<br />

6.2. Das Kündigungsre<strong>ch</strong>t erlis<strong>ch</strong>t vier Wo<strong>ch</strong>en, na<strong>ch</strong>dem der<br />

Versi<strong>ch</strong>erer von der Verletzung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t Kenntnis erhalten<br />

hat.<br />

6.1 [...]. Die Kündigung wird mit Zugang beim<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer wirksam.<br />

Art. 7 (Folgen der verletzten Anzeigepfli<strong>ch</strong>t: b. Beim<br />

Kollektivversi<strong>ch</strong>erungsvertrage) <strong>VVG</strong><br />

7. Umfasst der Vertrag mehrere Gegenstände oder Personen und ist<br />

die Anzeigepfli<strong>ch</strong>t nur bezügli<strong>ch</strong> eines Teiles dieser Gegenstände<br />

oder Personen verletzt, so bleibt die Versi<strong>ch</strong>erung für den übrigen<br />

Teil wirksam, wenn si<strong>ch</strong> aus den Umständen ergibt, dass der<br />

Versi<strong>ch</strong>erer diesen Teil allein zu den nämli<strong>ch</strong>en Bedingungen<br />

versi<strong>ch</strong>ert hätte.<br />

Anmerkungen: RS = Regulierungsszenario; BS = Referenzszenario; Orange = halbzwingendes Re<strong>ch</strong>t; Grün: dispositives Re<strong>ch</strong>t; fett<br />

s<strong>ch</strong>warz: materielle Unters<strong>ch</strong>iede, fett grau: formale Unters<strong>ch</strong>iede, die keine materiellen Auswirkungen haben<br />

Quelle: E-<strong>VVG</strong>, <strong>VVG</strong><br />

191


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 34: Ni<strong>ch</strong>teintritt der Folgen der verletzten Anzeigepfli<strong>ch</strong>t: Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en<br />

Grundlagen<br />

Regulierungszenario (RS)<br />

Art. 23 (Ni<strong>ch</strong>teintritt der Folgen der verletzten Anzeigepfli<strong>ch</strong>t) E-<strong>VVG</strong><br />

23.1. Die Folgen der verletzten Anzeigepfli<strong>ch</strong>t treten nur ein, soweit das<br />

s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>e Auskunftsbegehren des Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmens (Art. 15<br />

Abs. 1) klar und deutli<strong>ch</strong> auf die Anzeigepfli<strong>ch</strong>t und die Folgen ihrer<br />

Verletzung hingewiesen hat. Vorbehalten bleibt der Fall na<strong>ch</strong> Artikel 21.<br />

23.2. Ausserdem kann ein Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen trotz Verletzung der<br />

Anzeigepfli<strong>ch</strong>t die Re<strong>ch</strong>te gemäss den Artikeln 18-21 ni<strong>ch</strong>t geltend ma<strong>ch</strong>en,<br />

wenn:<br />

23.2a. die vers<strong>ch</strong>wiegene oder unri<strong>ch</strong>tig angezeigte Tatsa<strong>ch</strong>e vor Eintritt des<br />

befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses weggefallen ist;<br />

Anmerkungen: RS = Regulierungsszenario; BS = Referenzszenario; Orange = halbzwingendes Re<strong>ch</strong>t; Grün: dispositives Re<strong>ch</strong>t; fett:<br />

inhaltli<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>iede<br />

Quelle: E-<strong>VVG</strong>, <strong>VVG</strong><br />

8.1.2 Klärung von Unklarheiten und von Interpretationsspielräumen<br />

Im Rahmen der Vernehmlassung und im Rahmen der juristis<strong>ch</strong>en Analyse, die wir vorgenommen haben,<br />

hat si<strong>ch</strong> herausgestellt, dass es bezügli<strong>ch</strong> Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong> Unklarheiten gibt. Die Vernehmlassungsteil-<br />

nehmer haben den Wortlaut von Art. 15-23 teilweise unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e interpretiert. Bevor wir die Verän-<br />

derungen in der Re<strong>ch</strong>tsordnung identifizieren, klären wir in einem ersten S<strong>ch</strong>ritt diese Unklarheiten und<br />

Interpretationsspielräume.<br />

■ Eine Unklarheit resultiert aus der Tatsa<strong>ch</strong>e, dass in Art. 18 Abs. 1 der Passus fehlt, dass eine Anzeige-<br />

pfli<strong>ch</strong>tverletzung nur bei erhebli<strong>ch</strong>en Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en vorliegen kann, über die der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tige<br />

s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> befragt worden ist. Vor diesem Hintergrund führt Prof. Dr. Stöckli der Universität Freiburg in<br />

seiner Vernehmlassungsantwort aus: «Mit Bezug auf die vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten unters<strong>ch</strong>reitet der<br />

Entwurf das S<strong>ch</strong>utzniveau, das im geltenden Re<strong>ch</strong>t festgesetzt wird. Hinzunehmen ist zwar, dass der Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

nehmer dem Versi<strong>ch</strong>erer alle erhebli<strong>ch</strong>en Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en anzuzeigen hat (Art. 15 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong>). Die Experten-<br />

kommission wollte die Erhebli<strong>ch</strong>keit einer Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e unter anderem davon abhängig ma<strong>ch</strong>en, dass der Versi-<br />

<strong>ch</strong>erer darüber "in Textform unmissverständli<strong>ch</strong> und spezifiziert Auskunft verlangt hat". Davon will der nun vorlie-<br />

gende Entwurf ni<strong>ch</strong>ts wissen. Erhebli<strong>ch</strong>e Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en sind ihm zufolge s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t "Sa<strong>ch</strong>verhalte, die ihrer Natur<br />

na<strong>ch</strong> geeignet sind, die Eins<strong>ch</strong>ätzung der zu versi<strong>ch</strong>ernden Gefahr zu beeinflussen" (Art. 15 Abs. 3 E-<strong>VVG</strong>). Zeigt der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer einen sol<strong>ch</strong>en Sa<strong>ch</strong>verhalt ni<strong>ch</strong>t an, greifen die Folgen der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung (Art. 18 E-<br />

<strong>VVG</strong>), und dies ohne jegli<strong>ch</strong>e Rücksi<strong>ch</strong>t darauf, ob der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer darüber "s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> befragt worden ist",<br />

wie das geltende Re<strong>ch</strong>t dies für die Verletzungsfolgen voraussetzt (Art. 6 Abs. 1 <strong>VVG</strong>)!» (Stöckli 2009, 5). Dies Aus-<br />

legung ist korrekt, entspri<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t der Intention des E-<strong>VVG</strong>. Aus diesem Grund gehen wir im<br />

Rahmen dieser <strong>RFA</strong> davon aus, dass Art. 18 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong> ri<strong>ch</strong>tigerweise folgendermassen formuliert wer-<br />

den muss:<br />

Referenzszenario (BS)<br />

Art. 8 (Ni<strong>ch</strong>teintritt der Folgen der verletzten Anzeigepfli<strong>ch</strong>t) <strong>VVG</strong><br />

8. Trotz der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung (Art. 6) kann der Versi<strong>ch</strong>erer den<br />

Vertrag ni<strong>ch</strong>t kündigen:<br />

8.1. wenn die vers<strong>ch</strong>wiegene oder unri<strong>ch</strong>tig angezeigte Tatsa<strong>ch</strong>e vor<br />

Eintritt des befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses weggefallen ist;<br />

23.2b. es das Vers<strong>ch</strong>weigen oder die unri<strong>ch</strong>tige Angabe veranlasst hat; 8.2. wenn der Versi<strong>ch</strong>erer die Vers<strong>ch</strong>weigung oder unri<strong>ch</strong>tige Angabe<br />

veranlasst hat;<br />

23.2c. es die vers<strong>ch</strong>wiegene oder unri<strong>ch</strong>tig angezeigte Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e 8.3. wenn der Versi<strong>ch</strong>erer die vers<strong>ch</strong>wiegene Tatsa<strong>ch</strong>e gekannt hat oder<br />

gekannt hat oder gekannt haben muss;<br />

gekannt haben muss;<br />

8.4. wenn der Versi<strong>ch</strong>erer die unri<strong>ch</strong>tig angezeigte Tatsa<strong>ch</strong>e ri<strong>ch</strong>tig<br />

gekannt hat oder gekannt haben muss;<br />

23.2d. die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer auf eine ihr<br />

oder ihm vorgelegte Frage eine Antwort ni<strong>ch</strong>t erteilt und das<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen den Vertrag glei<strong>ch</strong>wohl abges<strong>ch</strong>lossen hat.<br />

23.3. Absatz 2 Bu<strong>ch</strong>stabe d findet keine Anwendung, wenn die Frage<br />

aufgrund der übrigen Mitteilungen der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder des<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmers in einer Weise als beantwortet angesehen werden<br />

muss, wel<strong>ch</strong>e die Anzeigepfli<strong>ch</strong>t verletzt.<br />

8.5. wenn der Versi<strong>ch</strong>erer auf das Kündigungsre<strong>ch</strong>t verzi<strong>ch</strong>tet hat;<br />

8.6. wenn der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tige auf eine ihm vorgelegte Frage eine<br />

Antwort ni<strong>ch</strong>t erteilt, und der Versi<strong>ch</strong>erer den Vertrag glei<strong>ch</strong>wohl<br />

abges<strong>ch</strong>lossen hat. Diese Bestimmung findet keine Anwendung, wenn die<br />

Frage, auf Grund der übrigen Mitteilungen des Anzeigepfli<strong>ch</strong>tigen, als in<br />

einem bestimmten Sinne beantwortet angesehen werden muss und wenn<br />

diese Antwort si<strong>ch</strong> als Vers<strong>ch</strong>weigen oder unri<strong>ch</strong>tige Mitteilung einer<br />

erhebli<strong>ch</strong>en Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e darstellt, die der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tige kannte<br />

oder kennen musste.<br />

192


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

«Hat die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer eine erhebli<strong>ch</strong>e Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e, die sie<br />

oder er kannte oder kennen musste und über die er bzw. sie s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> befragt worden ist, unri<strong>ch</strong>tig<br />

mitgeteilt oder vers<strong>ch</strong>wiegen, so kann das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen den abges<strong>ch</strong>lossenen Vertrag<br />

s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> kündigen [...]» (Veränderung in fetter S<strong>ch</strong>rift hervorgehoben).<br />

■ Re<strong>ch</strong>t auf erhöhte Prämie bei Vertragsbeendigung jenseits Kündigung infolge Anzeigepfli<strong>ch</strong>t-<br />

verletzung?: Gemäss E-<strong>VVG</strong> entsteht der Anspru<strong>ch</strong> auf erhöhte Prämien infolge Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

dann, wenn das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen vom Kündigungsre<strong>ch</strong>t Gebrau<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t (Art. 19 Abs. 1 E-<br />

<strong>VVG</strong>) oder den Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag trotz Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung aufre<strong>ch</strong>t erhält (Art. 20 E-<strong>VVG</strong>). Es<br />

stellt si<strong>ch</strong> die Frage, ob es wirkli<strong>ch</strong> im Sinne der S<strong>ch</strong>öpfer des E-<strong>VVG</strong> ist, dass dieser Anspru<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong><br />

in Fällen entsteht, bei wel<strong>ch</strong>en es ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> Kündigung infolge Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung, sondern an-<br />

derweitig zur Vertragsbeendigung kam (z.B. im Rahmen eines versi<strong>ch</strong>erten Totals<strong>ch</strong>adens). Diese Frage<br />

stellt si<strong>ch</strong>, weil mit Art. 18. Abs. 2 E-<strong>VVG</strong> im Falle von grobfahrlässigen und absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t-<br />

verletzungen die Leistungspfli<strong>ch</strong>t des Versi<strong>ch</strong>erers ni<strong>ch</strong>t nur bei Vertragsbeendigung dur<strong>ch</strong> Kündigung<br />

infolge Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung, sondern allgemein bei Vertragsbeendigung erlis<strong>ch</strong>t. Die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Behandlung von Kündigung infolge Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung und anderweitiger Vertragsbeendigung ist<br />

letztli<strong>ch</strong> darauf zurückzuführen, dass in Art. 18 Abs. 2 allgemein von «Beendigung des Vertrags», in Art.<br />

19 Abs. 1 hingegen spezifis<strong>ch</strong> von «Kündigung wegen Verletzung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t» die Rede ist. Laut<br />

Dr. Stephan Weber ist es im Sinne der Expertenkommission, wenn der Anspru<strong>ch</strong> auf erhöhte Prämie au<strong>ch</strong><br />

im Fall einer Vertragsbeendigung jenseits der Kündigung infolge Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung entsteht.<br />

■ Anspru<strong>ch</strong> auf erhöhte Prämie au<strong>ch</strong> bei Leistungsfreiheit?: Folgender Fall ist denkbar: a) Es liegt<br />

eine grobfahrlässigen oder absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung vor; b) das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

hätte das Risiko zu einer höheren Prämie gedeckt, falls die erhebli<strong>ch</strong>e Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e korrekt angezeigt<br />

worden wäre und (c) der S<strong>ch</strong>aden ist vollständig kausal auf die ni<strong>ch</strong>t korrekt angezeigte Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e<br />

zurückzuführen. In diesem Fall hat das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen au<strong>ch</strong> dann ein Anspru<strong>ch</strong> auf erhöhte<br />

Prämie, wenn es von der Leistungspfli<strong>ch</strong>t befreit wird. Der Anspru<strong>ch</strong> auf erhöhte Prämie hat in diesem Fall<br />

pönalen Charakter. Dies steht in einem gewissen Sinne in Widerspru<strong>ch</strong> zur Einführung der Kausalität mit<br />

Teilung des Versi<strong>ch</strong>erungsleistung im Sinne von Art. 18 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong>. Denn mit dieser Erstreckung des<br />

Kausalitätserfordernis auf den Umfang der Leistungsfreiheit wird der pönale Charakter von Art. 6. Abs. 3<br />

<strong>VVG</strong> (vollständige Leistungsfreiheit, obwohl ein Teil des S<strong>ch</strong>adens ni<strong>ch</strong>t kausal auf die ni<strong>ch</strong>t korrekt ange-<br />

zeigte Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e zurückgeführt werden kann) aufgehoben. Vor diesem Hintergrund ist au<strong>ch</strong> die<br />

Vernehmlassungsantwort des Kantons Basel Stadt zu interpretieren: «Art. 19 Abs. 1 E-WG verzi<strong>ch</strong>tet im Ge-<br />

gensatz zu Art. 10 Abs. 3 VE-WG auf eine Bestimmung, wona<strong>ch</strong> die Prämienerhöhung entfällt, wenn das Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsunternehmen von der Leistungsfreiheit Gebrau<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t. Es ers<strong>ch</strong>eint ni<strong>ch</strong>t als sa<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>t, dass ein Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsunternehmen au<strong>ch</strong> dann eine höhere Prämie erhalten soll, wenn es si<strong>ch</strong> auf die Leistungsfreiheit beruft. Wir sind<br />

daher der Auffassung, dass der zweite Satz von Art. 10 Abs. 3 VE-<strong>VVG</strong> wieder aufzunehmen ist.» (Kanton Basel-Stadt<br />

2009,2). Dieses Zitat zeigt, dass der glei<strong>ch</strong>zeitige Anspru<strong>ch</strong> des VU auf Leistungsbefreiung und Rückzah-<br />

lung der erhöhten Prämie von der Expertenkommission ursprüngli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vorgesehen wurde: «Ma<strong>ch</strong>t<br />

aber das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen von seiner Leistungsbefreiung na<strong>ch</strong> Absatz 2 Gebrau<strong>ch</strong>, so be-<br />

s<strong>ch</strong>ränkt si<strong>ch</strong> sein Anspru<strong>ch</strong> auf die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> vereinbarte Prämie.» (Art. 10 Abs. 3 VE-<strong>VVG</strong>).<br />

■ Verwirkung der Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer APV bei Vertragsbeendigung jenseits einer Kündigung<br />

infolge APV: Gemäss Art. 19 Abs. 4 erlis<strong>ch</strong>t das Kündigungsre<strong>ch</strong>t infolge einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

und damit au<strong>ch</strong> das Re<strong>ch</strong>t auf eine allfällige Leistungsbefreiung spätestens 5 Jahre na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss.<br />

Damit umfasst Art. 19 Abs. 4 ni<strong>ch</strong>t den Fall einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung mit anderweitiger Vertragsbe-<br />

endigung. Somit stellt si<strong>ch</strong> in diesem Fall die Frage, wann das Re<strong>ch</strong>t auf Leistungsbefreiung erlis<strong>ch</strong>t: 5<br />

Jahre na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss oder 5 Jahre na<strong>ch</strong> Vertragsbeendigung?<br />

193


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

8.1.3 Identifikation der Veränderungen<br />

Art. 15 E-<strong>VVG</strong>: Inhalt der vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t<br />

Art. 15 E-<strong>VVG</strong> berührt die Frage, wel<strong>ch</strong>e Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en erhebli<strong>ch</strong> sind und impliziert diesbezügli<strong>ch</strong><br />

zwei Neuerungen:<br />

■ Eins<strong>ch</strong>ränkung des Kreises erhebli<strong>ch</strong>er Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en (Art. 15 E-<strong>VVG</strong> Abs. 1 und 3): Gemäss<br />

Art. 15 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong> können nur no<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en erhebli<strong>ch</strong> sein, na<strong>ch</strong> denen das Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsunternehmen s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> und – neu «unmissverständli<strong>ch</strong> und spezifiziert» - gefragt hat: «In Absatz 1<br />

von Artikel 15 E-<strong>VVG</strong> wird klargestellt, dass formell wesentli<strong>ch</strong> nur sol<strong>ch</strong>e Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en sein können, na<strong>ch</strong> denen<br />

das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> unmissverständli<strong>ch</strong> und präzise gefragt hat. Dies stellt eine klare Abwen-<br />

dung vom bisherigen (heftig kritisierten) System des Artikels 4 Absatz 3 <strong>VVG</strong> dar, wona<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en,<br />

na<strong>ch</strong> denen unbestimmt oder zweideutig gefragt wurde, erhebli<strong>ch</strong> sein können, sofern nur das Versi<strong>ch</strong>erungsunter-<br />

nehmen na<strong>ch</strong>zuweisen vermag, dass sie den Ents<strong>ch</strong>eid zum Vertragss<strong>ch</strong>luss beeinflusst haben. Der Revisionsentwurf<br />

begrenzt nun gerade umgekehrt den Kreis der erhebli<strong>ch</strong>en Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en auf die unmissverständli<strong>ch</strong> und spezifi-<br />

ziert abgefragten Sa<strong>ch</strong>verhalte. Ein Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen kann si<strong>ch</strong> somit künftig ni<strong>ch</strong>t mehr auf Tatsa<strong>ch</strong>en<br />

berufen, na<strong>ch</strong> denen es unbestimmt und zweideutig gefragt hat, selbst wenn ihm der Na<strong>ch</strong>weis gelingen würde, dass<br />

diese materiell erhebli<strong>ch</strong> waren, was si<strong>ch</strong> mit Rücksi<strong>ch</strong>t auf die Folgen der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung re<strong>ch</strong>tfertigt.»<br />

(Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t 2009, 29). Mit Art. 15 Absatz 3 E-<strong>VVG</strong> wird das vorvertragli<strong>ch</strong>e Fragere<strong>ch</strong>t des Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rers darüber hinaus auf gegenwärtige und vergangene Sa<strong>ch</strong>verhalte bes<strong>ch</strong>ränkt. Zukünftige Sa<strong>ch</strong>verhalte,<br />

wel<strong>ch</strong>e die Eins<strong>ch</strong>ätzung der zu versi<strong>ch</strong>ernden Gefahr beeinflussen, gelten deshalb neu ni<strong>ch</strong>t mehr als<br />

erhebli<strong>ch</strong>e Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en. Im erläuternden Beri<strong>ch</strong>t wird diese Bes<strong>ch</strong>ränkung auf vergangene und ge-<br />

genwärtige Sa<strong>ch</strong>verhalte folgendermassen konkretisiert: «Über zukünftige Sa<strong>ch</strong>verhalte gibt es aber keine<br />

si<strong>ch</strong>ere Kenntnis, sondern nur Vermutungen, weshalb sie au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Gegenstand der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t sein können.<br />

Deshalb sind die Bestimmungen über die Anzeigepfli<strong>ch</strong>t beispielsweise ni<strong>ch</strong>t anwendbar, wenn bei einer Autoversi-<br />

<strong>ch</strong>erung paus<strong>ch</strong>al na<strong>ch</strong> der künftigen Jahreskilometerzahl gefragt wird. Der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer soll ni<strong>ch</strong>t zu Mut-<br />

massungen und Spekulationen gezwungen und bei Fehleins<strong>ch</strong>ätzungen den Re<strong>ch</strong>tsfolgen der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverlet-<br />

zung ausgesetzt werden. Berücksi<strong>ch</strong>tigt werden können indes die na<strong>ch</strong> den aktuellen Umständen erkennbaren oder<br />

geplanten Entwicklungen. So ist es zum Beispiel denkbar, dass der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer darüber befragt wird, ob<br />

na<strong>ch</strong> den gegenwärtig bekannten Verhältnissen eine bestimmte Jahreskilometerzahl übers<strong>ch</strong>ritten werden wird. [...].<br />

Als Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en im Sinn von Artikel 15 Absatz 3 E-<strong>VVG</strong> kommen somit nur bereits feststehende oder aufgrund<br />

der augenblickli<strong>ch</strong>en Gegebenheiten konkret erkennbare Sa<strong>ch</strong>verhalte in Frage.» (Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t 2009, 29).<br />

Diese erläuternden Worte entspre<strong>ch</strong>en der Auslegung von Prof. Dr. Stephan Fuhrer: Dieser vertritt die<br />

Ansi<strong>ch</strong>t, dass die Bes<strong>ch</strong>ränkung des vorvertragli<strong>ch</strong>en Fragere<strong>ch</strong>ts auf gegenwärtige und zukünftige Sa<strong>ch</strong>-<br />

verhalte im Sinne von Art. 15 Abs. 3 E-<strong>VVG</strong> in der Re<strong>ch</strong>tspraxis einzig dahingehend zu Veränderungen<br />

führt, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen gewisse Fragen umformulieren müssen.<br />

■ Beweislastumkehr (Art. 15 Abs. 3 E-<strong>VVG</strong> im Gegensatz zu Art. 4 Abs. 3 <strong>VVG</strong>): Im erläuternden<br />

Beri<strong>ch</strong>t wird die Art. 15 Abs. 3 E-<strong>VVG</strong> inhärente Beweislastumkehr folgendermassen erläutert: «In materiel-<br />

ler Hinsi<strong>ch</strong>t objektiv erhebli<strong>ch</strong> können nur Tatsa<strong>ch</strong>en sein, die ihrer Natur na<strong>ch</strong> geeignet sind, die Eins<strong>ch</strong>ätzung der zu<br />

versi<strong>ch</strong>ernden Gefahr zu beeinflussen. Die Vermutung von Artikel 4 Absatz 3 <strong>VVG</strong>, wona<strong>ch</strong> die Erhebli<strong>ch</strong>keit von<br />

Tatsa<strong>ch</strong>en, na<strong>ch</strong> denen das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen bestimmt und unzweideutig gefragt hat, unterstellt wird,<br />

entfällt damit. Ni<strong>ch</strong>t der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer muss in Zukunft den für ihn s<strong>ch</strong>wierig zu führenden Beweis der Uner-<br />

hebli<strong>ch</strong>keit einer sol<strong>ch</strong>en Tatsa<strong>ch</strong>e erbringen, sondern das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen hat im Streitfall die Erhebli<strong>ch</strong>-<br />

keit zu beweisen. Dieser Beweis ist – zumindest im Massenges<strong>ch</strong>äft – einfa<strong>ch</strong> zu führen, da die Erhebli<strong>ch</strong>keit erstellt<br />

ist, wenn in den Tarifen und Zei<strong>ch</strong>nungsri<strong>ch</strong>tlinien auf die fals<strong>ch</strong> angezeigte Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e Bezug genommen<br />

wird.» (Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t 2009, 30). Gemäss Prof. Dr. Stephan Fuhrer wird dies in der Re<strong>ch</strong>tspraxis zu kei-<br />

nen Veränderungen führen, da es offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> sei, wenn eine Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e unerhebli<strong>ch</strong> ist: Denn in<br />

194


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

diesem Fall sei die Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t in den Tarifen abgebildet, so dass es der Na<strong>ch</strong>weis der Unerheb-<br />

li<strong>ch</strong>keit für den Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer einfa<strong>ch</strong> ist. Da der Versi<strong>ch</strong>erer weiss, wel<strong>ch</strong>e Faktoren für die Prä-<br />

mienbere<strong>ch</strong>nung relevant sind, ist es gemäss Prof. Stephan Fuhrer sinnvoll, dass in Zukunft der Versi<strong>ch</strong>erer<br />

die Erhebli<strong>ch</strong>keit beweisen muss. Dieser Meinung s<strong>ch</strong>liesst si<strong>ch</strong> Dr. Stephan Weber an.<br />

Art. 16 E-<strong>VVG</strong>: Anzeigepfli<strong>ch</strong>t bei Vertretung und Fremdversi<strong>ch</strong>erung<br />

Au<strong>ch</strong> Art. 16 E-<strong>VVG</strong>, der auf den ersten Blick Art. 5 <strong>VVG</strong> entspri<strong>ch</strong>t, enthält eine materielle Veränderung.<br />

Im Gegensatz zu Art. 5 <strong>VVG</strong> reguliert er die Wahrnehmung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> einen Vertreter im<br />

Allgemeinen und ni<strong>ch</strong>t nur zum Zeitpunkt des Vertragss<strong>ch</strong>lusses: Denn Art. 5 E-<strong>VVG</strong> erfasst ni<strong>ch</strong>t den<br />

Fall, «wo zwar ni<strong>ch</strong>t der Vertragss<strong>ch</strong>luss, jedo<strong>ch</strong> die Erfüllung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> den Vertreter er-<br />

folgt; der Revisionsentwurf s<strong>ch</strong>liesst diese Lücke.» (Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t 2009, 30). Ein sol<strong>ch</strong>er Fall ist mög-<br />

li<strong>ch</strong>, wenn der Zeitpunkt des Vertragss<strong>ch</strong>lusses (dur<strong>ch</strong> den Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer) und der Zeitpunkt der<br />

Wahrnehmung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t (dur<strong>ch</strong> dessen Vertreter) auseinanderfallen.<br />

Art. 17 E-<strong>VVG</strong>: Zeitpunkt für die Beurteilung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>terfüllung<br />

Art. 17 E-<strong>VVG</strong> muss in Zusammenhang mit Art. 45 (Änderung der Gefahr) E-<strong>VVG</strong> betra<strong>ch</strong>tet werden. Vor<br />

dem Hintergrund von «Unstimmigkeiten, die si<strong>ch</strong> bisher mit Blick auf die Abgrenzung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t-<br />

verletzung zur Gefahrserhöhung ergeben haben.» (Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t 2009, 32), bestimmt Art. 17 E-<br />

<strong>VVG</strong>, dass hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung der Zeitpunkt der Übergabe bzw. der Absendung an<br />

das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen massgebli<strong>ch</strong> ist. Eine Änderung der Gefahr liegt mit Art. 45 Abs. 1 dann<br />

vor, wenn diese na<strong>ch</strong> «dem für die Erfüllung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t gemäss Artikel 17 massgebli<strong>ch</strong>en Zeit-<br />

punkt eingetreten ist.» Diese Abgrenzung ist dann wi<strong>ch</strong>tig, wenn es na<strong>ch</strong> dem Zeitpunkt der Erfüllung der<br />

Anzeigepfli<strong>ch</strong>t, jedo<strong>ch</strong> während der Prüfung des Antrags dur<strong>ch</strong> das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen zu einer<br />

Gefahrserhöhung kommt. Art. 17 und Art. 45 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong> zielen insbesondere auf folgende zwei Fälle<br />

ab, die gemäss Dr. Stephan Weber eher selten sind:<br />

■ Fall 4.3.1: Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer sind si<strong>ch</strong> oft ni<strong>ch</strong>t bewusst, dass die Anzeigepfli<strong>ch</strong>t gemäss Art. 4 <strong>VVG</strong><br />

bis zum Vertragss<strong>ch</strong>luss besteht: Vielmehr gehen sie davon aus, «dass die Anzeigepfli<strong>ch</strong>t mit der vorver-<br />

tragli<strong>ch</strong>en Beantwortung des Fragebogens erledigt ist und setzen si<strong>ch</strong> damit dem Risiko einer Anzeige-<br />

pfli<strong>ch</strong>tverletzung aus» (Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t 2009, 32).<br />

■ Fall 4.3.2: Das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen kann si<strong>ch</strong> unter dem geltenden <strong>VVG</strong> weder auf die Anzei-<br />

gepfli<strong>ch</strong>tverletzung no<strong>ch</strong> auf die Gefahrserhöhung berufen, wenn eine anzeigepfli<strong>ch</strong>tige Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e<br />

in dem Zeitraum entsteht, in wel<strong>ch</strong>em das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen den Antrag des Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

nehmers prüft, so dass die Anzeige der Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e beim Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen erst eintrifft,<br />

na<strong>ch</strong>dem dieses den Antrag angenommen hat. Im erläuternden Beri<strong>ch</strong>t wird bezügli<strong>ch</strong> Art. 17 E-<strong>VVG</strong><br />

resümiert: «Mit der vorges<strong>ch</strong>lagenen Neuregelung wird diese unbefriedigende Situation beseitigt, indem die Anzei-<br />

gepfli<strong>ch</strong>t bis zur Übergabe oder Absendung der Auskünfte an das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen gilt und dana<strong>ch</strong> eine<br />

meldepfli<strong>ch</strong>tige Gefahrserhöhung vorliegt (s. dazu Art. 46 E-<strong>VVG</strong>).» (Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t 2009, 32).<br />

Art. 18-23: Verletzung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t und ihre Folgen<br />

Bezügli<strong>ch</strong> der Folgen der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung (Art. 18-23 E-<strong>VVG</strong>) impliziert der E-<strong>VVG</strong> materielle<br />

Veränderungen, die im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt und in der Re<strong>ch</strong>tspraxis substantielle Wirkungen entfalten<br />

dürften.<br />

Aus Art. 18-23 E-<strong>VVG</strong> ergeben si<strong>ch</strong> im Verglei<strong>ch</strong> zur geltenden Re<strong>ch</strong>tsordnung (Art. 6 <strong>VVG</strong>) Veränderun-<br />

gen, wel<strong>ch</strong>e die Voraussetzungen betreffen, die erfüllt sein müssen, damit eine Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

Re<strong>ch</strong>tsfolgen auslöst.<br />

195


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Erstens verlangt Art. 23 Abs. 1 neu, dass die Re<strong>ch</strong>tsfolgen (Kündigungsre<strong>ch</strong>t, Leistungsfreiheit,<br />

Anspru<strong>ch</strong> auf erhöhte Prämie) der verletzten Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung nur dann eintreten, wenn «das<br />

s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>e Auskunftsbegehren des Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmens (Art. 15 Abs. 1) klar und deutli<strong>ch</strong> auf die<br />

Anzeigepfli<strong>ch</strong>t und die Folgen ihrer Verletzung hingewiesen hat.».<br />

Zweitens gibt es mit Art. 18 Abs. 1 lit. b und Art. 19 Abs. 4 eine Veränderung der Voraussetzungen<br />

bezügli<strong>ch</strong> des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts:<br />

■ Voraussetzung der Ni<strong>ch</strong>t-Deckung oder der veränderten Deckung bei korrekter Anzeige (Art.<br />

18 Abs. 1 lit. b): Gemäss Art. 18 Absatz 1 E-<strong>VVG</strong> erfordert die Berufung auf die Anzeigepfli<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t nur,<br />

dass das Versi<strong>ch</strong>erungsnehmen «das Risiko zu seinen Ungunsten fals<strong>ch</strong> einges<strong>ch</strong>ätzt hat» (Art. 18 Abs. 1<br />

lit. a), sondern neu zusätzli<strong>ch</strong>, dass das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen «bei ri<strong>ch</strong>tiger Eins<strong>ch</strong>ätzung den Ver-<br />

trag ni<strong>ch</strong>t oder mit anderem Inhalt abges<strong>ch</strong>lossen hätte» (Art. 18 Abs. 1 lit. b). Prof. Dr. Stephan Fuhrer<br />

vertritt allerdings die Ansi<strong>ch</strong>t, dass dies in der Re<strong>ch</strong>tpraxis zu keiner Veränderung führen werde: Bereits<br />

heute werde eine Kausalität zwis<strong>ch</strong>en der fals<strong>ch</strong> oder ni<strong>ch</strong>t-angezeigten Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e und dem Un-<br />

derwritingents<strong>ch</strong>eid verlangt. Dr. Stephan Weber s<strong>ch</strong>liesst si<strong>ch</strong> dieser Eins<strong>ch</strong>ätzung an.<br />

■ Absolute Verwirkungsfrist bezügli<strong>ch</strong> des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts infolge Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

(Art. 19 Abs. 4 E-<strong>VVG</strong>): Mit Art. 19 Absatz 4 gibt es neu eine absolute Verwirkungsfrist von fünf Jahren<br />

für die Geltendma<strong>ch</strong>ung einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung. Gemäss dem Erläuternden Beri<strong>ch</strong>t (2009, 34) gilt<br />

diese absolute Verwirkungsfrist ni<strong>ch</strong>t bei absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen, was dem Wortlaut von<br />

Art. 19 Abs. 4 E-<strong>VVG</strong> allerdings ni<strong>ch</strong>t entnommen werden kann.<br />

Drittens verändern Art. 18 Abs. 2, Art. 19 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 4 E-<strong>VVG</strong> die Voraussetzungen für<br />

eine Befreiung von der Leistungspfli<strong>ch</strong>t (Leistungsfreiheit) infolge einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung:<br />

■ Leistungsfreiheit ni<strong>ch</strong>t nur bei Kündigung, sondern allgemein bei Beendigung des Vertrags<br />

(Art. 18 Abs. 2): Unter dem geltenden <strong>VVG</strong> (Art. 6. Abs. 3 <strong>VVG</strong>) ist eine Leistungsbefreiung nur in Fällen<br />

mögli<strong>ch</strong>, in denen der Vertrag dur<strong>ch</strong> Kündigung infolge Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung beendet wurde. Mit Art.<br />

18 Abs. 2 ist eine Leistungsbefreiung neu au<strong>ch</strong> in Fällen mögli<strong>ch</strong>, «in denen der Vertrag ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> Kün-<br />

digung, sondern aufgrund eines versi<strong>ch</strong>erten Totals<strong>ch</strong>adens erlis<strong>ch</strong>t und das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

erst im Na<strong>ch</strong>hinein von der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung erfährt.» (Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t 2009, 33). Dr. Stephan<br />

Weber vertritt die Ansi<strong>ch</strong>t, dass es si<strong>ch</strong> hierbei um eine Änderung handelt, die in der Re<strong>ch</strong>tspraxis keine<br />

Auswirkungen haben wird, da sie einen Fall betrifft, der zwar ni<strong>ch</strong>t im geltenden <strong>VVG</strong>, jedo<strong>ch</strong> in den AVB<br />

der Versi<strong>ch</strong>erer geregelt ist.<br />

■ Leistungsfreiheit im Fall, dass bei korrekter Anzeige keine Deckung gewährt worden wäre<br />

(Art. 18 Abs. 2 lit. b): Unter dem geltenden <strong>VVG</strong> (Art. 6 Abs. 3 <strong>VVG</strong>) ist der Fall ni<strong>ch</strong>t berücksi<strong>ch</strong>tigt, dass<br />

das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen bei korrekter Anzeige der Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e das Risiko ni<strong>ch</strong>t gedeckt hätte,<br />

d.h. den Vertrag überhaupt ni<strong>ch</strong>t, also au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu einem höheren Preis, ges<strong>ch</strong>lossen hätte: «Ni<strong>ch</strong>t be-<br />

rücksi<strong>ch</strong>tigt ist gemäss heutigem Re<strong>ch</strong>t der Fall, dass bei korrekter Anzeige keine Deckung gewährt worden wäre (z.B.<br />

Vorbehalt). Hier greift der Entwurf korrigierend ein, indem die gänzli<strong>ch</strong>e Leistungsfreiheit für Fälle vorgesehen wird, in<br />

denen das Risiko überhaupt ni<strong>ch</strong>t, also au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu einem höheren Preis, versi<strong>ch</strong>ert worden wäre. Leistungen, die<br />

das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen bereits erbra<strong>ch</strong>t hat, sind zurückzuerstatten (Art. 19 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong>).» (Erläuternder<br />

Beri<strong>ch</strong>t 2009, 33). Die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass lit. a und lit. b von Art. 18 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong> über den logis<strong>ch</strong>en Operator<br />

«ODER» verbunden sind, impliziert strenggenommen, dass im Fall einer absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en oder grobfahrlässi-<br />

gen Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung, bei wel<strong>ch</strong>er das VU das Risiko bei ri<strong>ch</strong>tiger Anzeige überhaupt ni<strong>ch</strong>t ge-<br />

deckt hätte, das VU au<strong>ch</strong> dann von der Leistungspfli<strong>ch</strong>t befreit wird, wenn keine Kausalität vorliegt. Prof.<br />

Dr. Fuhrer vertritt allerdings die Ansi<strong>ch</strong>t, dass au<strong>ch</strong> in diesem Fall eine Kausalität vorliegen muss, damit das<br />

VU von der Leistungspfli<strong>ch</strong>t befreit wird. Wir gehen deshalb im Folgenden davon aus, dass es si<strong>ch</strong> hierbei<br />

ni<strong>ch</strong>t um eine materielle Veränderung handelt, halten aber fest, dass unbedingt präzisiert werden muss,<br />

196


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

dass au<strong>ch</strong> im Anwendungsfall von Art. 18 Abs. 2 lit. b E-<strong>VVG</strong> die in Art. 18 Abs. 2 lit. a E-<strong>VVG</strong> verlangte<br />

Kausalität vorliegen muss.<br />

■ Einführung der Erfordernis eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldens (Art. 18 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong>): Art. 18<br />

Absatz 2 E-<strong>VVG</strong> impliziert, dass bei lei<strong>ch</strong>tfahrlässiger oder s<strong>ch</strong>uldloser Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung die Leis-<br />

tungspfli<strong>ch</strong>t des Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmens für bereits eingetretenen S<strong>ch</strong>äden neu au<strong>ch</strong> dann aufre<strong>ch</strong>t<br />

erhalten bleibt, wenn eine Kausalität zwis<strong>ch</strong>en der vers<strong>ch</strong>wiegenen Tatsa<strong>ch</strong>e und dem verwirkli<strong>ch</strong>ten Risi-<br />

ko besteht. Ein Leistungsauss<strong>ch</strong>luss des Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen ist also nur no<strong>ch</strong> bei Absi<strong>ch</strong>t oder<br />

Grobfahrlässigkeit mögli<strong>ch</strong>.<br />

Der E-<strong>VVG</strong> verändert ni<strong>ch</strong>t nur die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit die Re<strong>ch</strong>tsfolgen der<br />

Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung eintreten, sondern au<strong>ch</strong> die Re<strong>ch</strong>tsfolgen selbst:<br />

■ Erstreckung des Kausalitätserfordernis auf den Umfang der Leistungsfreiheit (Art. 18 Abs. 2 E-<br />

<strong>VVG</strong>): Art. 18 Absatz 2 impliziert, dass die Leistungspfli<strong>ch</strong>t bei einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung für bereits<br />

eingetretene S<strong>ch</strong>äden neu nur insoweit erlis<strong>ch</strong>t, als dass Eintritt oder Umfang des S<strong>ch</strong>adens dur<strong>ch</strong> die<br />

ni<strong>ch</strong>t oder ni<strong>ch</strong>t ri<strong>ch</strong>tig angezeigte erhebli<strong>ch</strong>e Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e beeinflusst worden sind (Kausalität mit<br />

Teilung der Versi<strong>ch</strong>erungsleistung): «Allerdings differenziert das geltende Re<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> dem Anteil der Ge-<br />

fahrstatsa<strong>ch</strong>e am Eintritt oder Umfang des S<strong>ch</strong>adens. Vielmehr sieht Artikel 6 Absatz 3 <strong>VVG</strong> au<strong>ch</strong> für Teilursa<strong>ch</strong>en ein<br />

generelles Leistungsverweigerungsre<strong>ch</strong>t vor und hat insofern pönalen Charakter. Der Revisionsvors<strong>ch</strong>lag beseitigt<br />

diesen Mangel, indem neu die Leistungsverweigerung nur für die kausalen Teile der Leistung mögli<strong>ch</strong> sein soll, was<br />

mit der Formulierung „soweit deren Eintritt oder Umfang dur<strong>ch</strong> die ni<strong>ch</strong>t oder ni<strong>ch</strong>t ri<strong>ch</strong>tig angezeigte Tatsa<strong>ch</strong>e be-<br />

einflusst worden sind" zum Ausdruck gebra<strong>ch</strong>t wird.» (Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t 2009, 33).<br />

■ Anspru<strong>ch</strong> auf eine erhöhte Prämie (Art. 19 Abs. 1 und Art. 20 E-<strong>VVG</strong>): Das Versi<strong>ch</strong>erungsunter-<br />

nehmen hat bei einer Verletzung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t für die Zeit der tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Vertragsdauer Anspru<strong>ch</strong><br />

auf eine erhöhte Prämie: sowohl dann, wenn das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen den Vertrag wegen Verlet-<br />

zung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung kündigt (Art. 19 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong>) als au<strong>ch</strong> dann, wenn das Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsunternehmen den Vertrag trotz Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung aufre<strong>ch</strong>t erhält (Art. 20 E-<strong>VVG</strong>). Der An-<br />

spru<strong>ch</strong> auf eine erhöhte Prämie entsteht nur dann, «wenn und soweit si<strong>ch</strong> ohne Verletzung der Anzeige-<br />

pfli<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> dem anwendbaren Tarif eine höhere Prämie ergeben hätte».<br />

8.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

■ Eins<strong>ch</strong>ränkung des Kreises erhebli<strong>ch</strong>er Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en (Art. 15 Abs. 1 und 3 E-<strong>VVG</strong>) → Kon-<br />

sumentens<strong>ch</strong>utz<br />

■ Beweislastumkehr (Art. 15 Abs. 3 E-<strong>VVG</strong> anstelle von Art. 4 Abs. 3 <strong>VVG</strong>) → Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit<br />

■ Art. 16 E-<strong>VVG</strong> → Verhinderung von opportunistis<strong>ch</strong>em Verhalten: Mit Art. 16 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong> wird<br />

im Gegensatz zu Art. 5 <strong>VVG</strong>, der si<strong>ch</strong> nur auf den Fall bezieht, in dem die Anzeigepfli<strong>ch</strong>t zum Zeitpunkt<br />

des Vertragss<strong>ch</strong>lusses erfüllt wird, au<strong>ch</strong> der Fall abgedeckt, bei dem der Zeitpunkt des Vertragss<strong>ch</strong>lusses<br />

vom Zeitpunkt der Erfüllung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t abwei<strong>ch</strong>t: Damit wird verunmögli<strong>ch</strong>t, dass z.B. ein HIV-<br />

positiver Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer bei Vertragss<strong>ch</strong>luss selbst anwesend ist, für die spätere Erfüllung der An-<br />

zeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung aber strategis<strong>ch</strong> einen Vertreter einsetzt, der von seiner Erkrankung ni<strong>ch</strong>ts weiss.<br />

■ Art. 17 E-<strong>VVG</strong> → Konsumentens<strong>ch</strong>utz und Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit: vgl. die Fallbeispiele 4.3.1 und 4.3.2<br />

im vorangehenden Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

■ Art. 18 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 4 E-<strong>VVG</strong> → Veränderung der Risikoallokation zugunsten der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer: Die Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldens, die Erstreckung des Kausali-<br />

tätserfordernis auf den Umfang der Leistungsfreiheit und die Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist<br />

von 5 Jahren führt zu einer Veränderung der Risikoallokation zugunsten der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer.<br />

197


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Art. 18 Abs. 2, Art. 18 Abs. 2 lit. b, Art. 19 Abs. 1 und Art. 20 E-<strong>VVG</strong> → Veränderte Risikoallo-<br />

kation zugunsten der Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen: Die Ausdehnung der Leistungsfreiheit auf Ver-<br />

tragsbeendigungen jenseits von Kündigungen infolge Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen und auf Fälle, bei denen<br />

das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen den Vertrag überhaupt ni<strong>ch</strong>t, also au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu einer höheren Prämie<br />

ges<strong>ch</strong>lossen hätte und die Einführung eines Anspru<strong>ch</strong>s auf erhöhte Prämie führt zu einer Veränderung der<br />

Risikoallokation zugunsten der Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen.<br />

■ Art. 23 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong> → Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit und Konsumentens<strong>ch</strong>utz: Die Art. 23 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong><br />

inhärente Konditionierung der Folgen der verletzten Anzeigepfli<strong>ch</strong>t auf das s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>e Auskunftsbegehren<br />

(im Sinne von Art. 15 Abs. 1) erhöhe zum einen die Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit (vgl. u.a. Integration Handicap 2009,<br />

2). Zum anderen verfolgt der Artikel das Ziel, «dass der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer nur dann mit den gravie-<br />

renden Sanktionen von Artikel 18 ff. E-<strong>VVG</strong> belegt werden kann, wenn ihm die Bedeutung der Anzeige-<br />

pfli<strong>ch</strong>t sowie die Konsequenzen einer Pfli<strong>ch</strong>tverletzung zuvor mit hinrei<strong>ch</strong>ender Deutli<strong>ch</strong>keit ins Bewusst-<br />

sein gerückt worden sind. Eine blosse Verweisung auf das Gesetz genügt diesen Anforderungen ni<strong>ch</strong>t.»<br />

(Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t 2009, 36).<br />

8.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung<br />

■ Absolute Verjährungsfrist (Art. 19 Abs. 4 E-<strong>VVG</strong>) → unerwüns<strong>ch</strong>te Verhaltensänderungen der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen: Die absolute Verjährungsfrist führe zu einer Veränderung der Produktei-<br />

gens<strong>ch</strong>aften. So ist denkbar, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen Vertragsverlängerungen nur no<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong><br />

erneuter Risikoprüfung gewähren (SVV 2009a, 23).<br />

■ Bes<strong>ch</strong>ränkung der Leistungsfreiheit bei Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung (Art. 18-19 E-<strong>VVG</strong>) → Na<strong>ch</strong>-<br />

lässigkeiten und Missbräu<strong>ch</strong>e bei der Erfüllung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t: Die Bes<strong>ch</strong>ränkung der Leis-<br />

tungspfli<strong>ch</strong>t bei Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen führe dazu, dass Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen praktis<strong>ch</strong> kaum<br />

mehr Konsequenzen haben. Denn der Versi<strong>ch</strong>erer wird in vielen Fällen ni<strong>ch</strong>t den Na<strong>ch</strong>weis erbringen kön-<br />

nen, dass die Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> oder grobfahrlässig ges<strong>ch</strong>ehen ist. Denn die Absi<strong>ch</strong>ten<br />

des Versi<strong>ch</strong>erungsnehmers sind nur demselben bekannt. Insgesamt s<strong>ch</strong>affen die zusätzli<strong>ch</strong>en Eins<strong>ch</strong>rän-<br />

kungen der Leistungsfreiheit bei Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen «massive Anreize für Na<strong>ch</strong>lässigkeiten und<br />

Missbräu<strong>ch</strong>e bei der Erfüllung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t, [...]» (SVV 2009a, 23), was si<strong>ch</strong> letztli<strong>ch</strong><br />

in höheren Prämien nieders<strong>ch</strong>lage. Diese Eins<strong>ch</strong>ätzung teilt Prof. Dr. Stephan Fuhrer: Gemäss ihm führe<br />

die absolute Verjährungsfrist und das Erfordernis eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldens zu einer «Aushöhlung<br />

der Institution der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t».<br />

■ Qualifiziertes Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis (Art. 18 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong>) → höhere Anwalts- und Ge-<br />

ri<strong>ch</strong>tskosten: Die Einführung einer Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis führe zu erhöhten Anwalts- und Geri<strong>ch</strong>tskos-<br />

ten.<br />

■ Anspru<strong>ch</strong> auf eine erhöhte Prämie bei Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen (Art. 19 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong>) →<br />

Ni<strong>ch</strong>t-Umsetzbarkeit bzw. Unzweckmässigkeit im Vollzug: Die in Art. 19 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong> erwähnte<br />

«erhöhte Prämie» lasse si<strong>ch</strong> nur im Massenges<strong>ch</strong>äft sinnvoll bere<strong>ch</strong>nen. Der Kanton Züri<strong>ch</strong> (2009, 4)<br />

meint dazu: «Eine sol<strong>ch</strong>e neue, erhöhte Prämie lässt si<strong>ch</strong> nur beim Massenges<strong>ch</strong>äft im Na<strong>ch</strong>hinein sinnvoll bere<strong>ch</strong>-<br />

nen. Bei besonderen Versi<strong>ch</strong>erungen und Grossrisiken spielen ni<strong>ch</strong>t nur die versi<strong>ch</strong>erungsmathematis<strong>ch</strong>en Bere<strong>ch</strong>nun-<br />

gen, sondern au<strong>ch</strong> die Marktsituation und die entspre<strong>ch</strong>enden Strategien der Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen eine bedeu-<br />

tende Rolle. Die Bestimmung des «ri<strong>ch</strong>tigen» höheren Tarifs ist in diesen Fällen vielfa<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu bewerkstelligen. Statt<br />

damit neue Konfliktfelder zu ers<strong>ch</strong>liessen, sollte auf Abs. 1 komplett verzi<strong>ch</strong>tet werden. Das Versi<strong>ch</strong>erungsunterneh-<br />

men ist dur<strong>ch</strong> die Mögli<strong>ch</strong>keit der Leistungsverweigerung gemäss Art. 18 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong> genügend vor dem erhöhten<br />

Risiko ges<strong>ch</strong>ützt.»<br />

■ Eins<strong>ch</strong>ränkung der Vertreterregelung (Art. 16) auf die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer → Fortbestehen<br />

der Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheit: Die Ombudsfrau für Privatversi<strong>ch</strong>erung und Suva kritisiert, dass si<strong>ch</strong> Art. 16 E-<br />

198


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

<strong>VVG</strong> nur auf die Vertreter der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> auf die Vertreter des Versi<strong>ch</strong>erungsun-<br />

ternehmen beziehe: «Die Ombudsstelle hat si<strong>ch</strong> notoris<strong>ch</strong> mit Anfragen und Bes<strong>ch</strong>werden zu befassen, bei denen<br />

es um geltend gema<strong>ch</strong>te Äusserungen der Vertreter der Versi<strong>ch</strong>erer geht. Dies v.o. im vorvertragli<strong>ch</strong>en Stadium z.B.<br />

betr. Pfli<strong>ch</strong>t zur Deklaration gewisser Gesundheitsprobleme, die vom Agenten häufig als unnötig anzugeben erklärt<br />

werden. Dies führt erfahrungsgemäss bei Geltendma<strong>ch</strong>ung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung dur<strong>ch</strong> den Versi<strong>ch</strong>erer zu<br />

Konflikten. Auf diesem Hintergrund ist es bedauerli<strong>ch</strong>, dass in Art. 16 auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> vom Vertreter des Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsnehmers die Rede ist und das Thema Vertreter des Versi<strong>ch</strong>erers ni<strong>ch</strong>t figuriert. Art. 71, der die aktuelle (wenig<br />

klare) Re<strong>ch</strong>tslage wiederholt, ist hierbei ni<strong>ch</strong>t hilfrei<strong>ch</strong>» (Ombudsfrau 2009a, 1-2).<br />

■ Interpretationsbedürftigkeit von Art. 18 E-<strong>VVG</strong> → Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheit: Laut Ombudsfrau (2009a,<br />

3) ist den «eher s<strong>ch</strong>wammigen Formulierung des Art. 18 E-<strong>VVG</strong>» ein «erhebli<strong>ch</strong>es Konfliktpotential» inhä-<br />

rent: «In der Sa<strong>ch</strong>e selbst gehen wir davon aus, dass die eher s<strong>ch</strong>wammige Formulierung des Art. 18 E-<strong>VVG</strong> die Zahl<br />

der Bes<strong>ch</strong>werden wegen vom Versi<strong>ch</strong>erer geltend gema<strong>ch</strong>ten Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen anwa<strong>ch</strong>sen lassen dürfte.<br />

Formulierungen wie: " ...erhebli<strong>ch</strong>e Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e, die sie oder er kannte oder kennen musste..." sind konturenarm<br />

und tragen erfahrungsgemäss ein erhebli<strong>ch</strong>es Konfliktpotential in si<strong>ch</strong>. Meinungsvers<strong>ch</strong>iedenheiten dürften si<strong>ch</strong> zu-<br />

dem ni<strong>ch</strong>t nur an den Fakten (ni<strong>ch</strong>t deklarierten Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e) entzünden, sondern au<strong>ch</strong> an der Frage, was jemand<br />

wusste, resp. hätte wissen müssen. Fragli<strong>ch</strong> ist au<strong>ch</strong>, ob die in Abs. 2 von Art. 18 VE-<strong>VVG</strong> erwähnte Fahrlässigkeit si<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> auf das "Wissen müssen" erstrecken kann. Wir erwarten au<strong>ch</strong> erhebli<strong>ch</strong>e Auseinandersetzungen im Zusam-<br />

menhang mit Abs. 2 Iit. a in Art. 18 VE-<strong>VVG</strong>. Der im teilrevidierten <strong>VVG</strong> erforderli<strong>ch</strong>e Kausalzusammenhang wird<br />

dur<strong>ch</strong> die vorges<strong>ch</strong>lagene Formulierung de facto zurückgenommen 67 , was si<strong>ch</strong> u.E. zulasten der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer<br />

auswirken wird» (Ombudsfrau 2009a, 3).<br />

8.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

8.4.1 Nutzen und Bedeutung vorvertragli<strong>ch</strong>er Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten<br />

In Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.1 haben wir gezeigt, dass der Nutzen von Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten darin liegt, dass die VU die<br />

Risiken ex ante diskriminieren können. Ist eine sol<strong>ch</strong>e Diskriminierung ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, haben die VU im<br />

Wesentli<strong>ch</strong>en drei Mögli<strong>ch</strong>keiten:<br />

■ Mis<strong>ch</strong>prämie: Wenn die Risiken ni<strong>ch</strong>t diskriminiert werden können, muss ein Mis<strong>ch</strong>prämie angeboten<br />

werden. Dies führt dazu, dass die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft der guten Risiken ni<strong>ch</strong>t mehr die Kosten der Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsdeckung decken, so dass diese auf eine Fremdversi<strong>ch</strong>erung verzi<strong>ch</strong>ten.<br />

■ Einführung von Fran<strong>ch</strong>isen und Selbstbehalten: Die VU können Fran<strong>ch</strong>isen und Selbstbehalte ein-<br />

führen, so dass si<strong>ch</strong> die Risiken selbsttätig selektieren: Die guten Risiken wählen die Verträge mit hohen<br />

Fran<strong>ch</strong>isen und Selbstbehalten, so dass ihre Risiken ni<strong>ch</strong>t vollständig versi<strong>ch</strong>ert sind.<br />

■ Erfahrungstarifierung und Bonus-Malus-Tarifsysteme<br />

Sowohl Mis<strong>ch</strong>prämien als die Einführung von Fran<strong>ch</strong>isen und Selbstbehalten führen – im Verglei<strong>ch</strong> zu<br />

einer Situation, in wel<strong>ch</strong>er die VU die Risiken diskriminieren können – zu einer Reduktion der Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsdeckung. Dadur<strong>ch</strong> sinken die Konsumenten- und Produzentenrenten.<br />

Vor diesem Hintergrund muss festgestellt werden, dass die vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t der VN aus<br />

wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Perspektive eine wertvolle Institution darstellt. Es ist also wüns<strong>ch</strong>enswert, dass<br />

die VN ihre Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten sorgfaltig und wahrheitsgetreu wahrnehmen.<br />

Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten spielen grundsätzli<strong>ch</strong> in allen Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en eine Rolle, weshalb Anzeigepfli<strong>ch</strong>t-<br />

verletzungen in allen Bran<strong>ch</strong>en vorkommen. Allerdings handelt es si<strong>ch</strong> bei Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen<br />

67 [BASS: Dies ist darauf zurückzuführen, dass lit. a und lit. b in Art. 18 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong> über die Konjunktion «oder» verbunden sind]<br />

199


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

ni<strong>ch</strong>t um ein Massenphänomen. Gemäss den befragten VU liegt der Anteil der S<strong>ch</strong>adensfälle, bei<br />

wel<strong>ch</strong>en die VU eine Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung geltend ma<strong>ch</strong>en können, zwis<strong>ch</strong>en 0 und 0.5<br />

Prozent – je na<strong>ch</strong> Bran<strong>ch</strong>e und Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen. Die typis<strong>ch</strong>en Fälle von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tver-<br />

letzungen sind:<br />

■ Personenversi<strong>ch</strong>erungen (Lebensversi<strong>ch</strong>erungen, Krankenttaggeldversi<strong>ch</strong>erungen, Krankenzusatzversi-<br />

<strong>ch</strong>erungen): Vers<strong>ch</strong>weigen von vorbestehenden Krankheiten<br />

■ Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen: Vers<strong>ch</strong>weigen von Fahrausweisentzügen und hohen Bussen, Fals<strong>ch</strong>an-<br />

gaben bezügli<strong>ch</strong> des häufigsten Fahrers<br />

■ Hausratversi<strong>ch</strong>erung und Gebäude-Wasser-Versi<strong>ch</strong>erung: Vers<strong>ch</strong>weigen von Frequenzs<strong>ch</strong>äden<br />

■ Allgemein: Fals<strong>ch</strong>angaben zur Frage, ob der Vorversi<strong>ch</strong>erer gekündigt hat.<br />

Seit der Einführung der Kausalität im Rahmen der Teilrevision 2006 hat das Thema «Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverlet-<br />

zungen» aus Si<strong>ch</strong>t des Konsumentens<strong>ch</strong>utzes an Bedeutung verloren: «Diese Problematik gehört nun unter<br />

dem neuen Re<strong>ch</strong>t der Vergangenheit an. Darum hatte die Zweigstelle Lausanne ab Mitte 2006, d.h. na<strong>ch</strong>dem das<br />

neue Re<strong>ch</strong>t zu greifen begonnen hatte, nur no<strong>ch</strong> vereinzelte Fälle wegen Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung zu bearbeiten»<br />

(Ombudsfrau 2006, 21).<br />

Aus Si<strong>ch</strong>t des Konsumentens<strong>ch</strong>utzes gibt es in Zusammenhang mit Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen in erster<br />

Linie no<strong>ch</strong> das Problem der Irreführung von VN dur<strong>ch</strong> opportunistis<strong>ch</strong>e Vermittler: Offenbar kommt es<br />

immer wieder vor, dass opportunistis<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler VN dahingehend irreführen, dass sie die<br />

Bedeutung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>terfüllung herunterspielen, dass sie VN zu ni<strong>ch</strong>t wahrheitsgemässen Angaben<br />

auffordern oder dass sie den Fragebogen glei<strong>ch</strong> selbst ausfüllen, na<strong>ch</strong>dem der VN den Antrag unter-<br />

s<strong>ch</strong>rieben hat. Derartiges Verhalten kann unter dem geltenden <strong>VVG</strong> nur über den Re<strong>ch</strong>tsweg sanktioniert<br />

werden, den die betroffenen VN aus finanziellen Gründen oft ni<strong>ch</strong>t begehen können und wollen.<br />

8.4.2 ∆ 1 und ∆ 2 : Erhebli<strong>ch</strong>keit von Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en<br />

Die in Art. 15 E-<strong>VVG</strong> formulierten neuen Anforderungen an die Erhebli<strong>ch</strong>keit von Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en<br />

(Abs<strong>ch</strong>nitt 7.1.2), werden folgende Auswirkungen haben:<br />

■ Einmalige Anpassungskosten: Die VU werden gewisse Fragen umformulieren müssen. Dadur<strong>ch</strong> kön-<br />

nen einmalige Anpassungskosten entstehen, die als verna<strong>ch</strong>lässigbar betra<strong>ch</strong>tet werden können. Ni<strong>ch</strong>t<br />

zuletzt deshalb, weil die Anpassungen im Zug von anderen Veränderungen umgesetzt werden können,<br />

die unabhängig von der Gesetzesänderung vollzogen werden müssen. Damit die Kosten minimal ausfal-<br />

len, ist au<strong>ch</strong> hier ein zeitli<strong>ch</strong>er Vorlauf notwendig, damit die VU die Anpassung optimal in ihre Unterneh-<br />

mensprozesse einfügen können.<br />

■ Erhöhung der Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit und Reduktion von Transaktionskosten: Die Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit wird<br />

steigen, da es keine Auseinandersetzungen mehr bezügli<strong>ch</strong> Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en geben wird, zu wel<strong>ch</strong>en die<br />

VN ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> und unmissverständli<strong>ch</strong> befragt wurden. Es ist also eine Reduktion der Dur<strong>ch</strong>setzungs-<br />

und Geri<strong>ch</strong>tskosten zu erwarten.<br />

■ Reduktion der sekundären Kosten: Es wird eine geringfügige Reduktion der sekundären Kosten<br />

geben. Denn die VU können ni<strong>ch</strong>t mehr von der Leistungspfli<strong>ch</strong>t befreit werden, wenn ein VN auf eine<br />

Frage, die nur mündli<strong>ch</strong>, unmissverständli<strong>ch</strong> oder ni<strong>ch</strong>t spezifis<strong>ch</strong> genug gestellt wurde, eine unwahr-<br />

heitsgemässe Antwort gibt.<br />

■ Reduktion der Vertragsrisiken des VN: Mit den geplanten Änderungen zur Erhebli<strong>ch</strong>keit reduzieren<br />

si<strong>ch</strong> die Vertragsrisiken des VN. Dadur<strong>ch</strong> steigt die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft der VN, was ceteris paribus mit<br />

einer Ausdehnung der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken verbunden ist (vgl. Ausführungen im Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

4.6.3.4)<br />

200


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Die neuen Anforderungen an die Erhebli<strong>ch</strong>keit von Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en sind zu begrüssen. Die Nutzen re<strong>ch</strong>t-<br />

fertigen die geringfügigen Kosten der Regulierung klar. Die Veränderungen sind au<strong>ch</strong> aus einer normati-<br />

ven Si<strong>ch</strong>t angezeigt: Bisher war der VN einem zusätzli<strong>ch</strong>en Vertragsrisiko ausgesetzt, weil das VU au<strong>ch</strong><br />

dann von seiner Leistungspfli<strong>ch</strong>t befreit werden konnte, wenn die Fragen ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> und unmissver-<br />

ständli<strong>ch</strong> gestellt wurden. Wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong> ist es angezeigt, dieses Vertragsrisiko von den VN zu<br />

den VU zu vers<strong>ch</strong>ieben. Denn die VU sind die Cheapest Cost Avoider: Sie können das Risiko unter Auf-<br />

wendung minimalster Kosten vollständig verni<strong>ch</strong>ten.<br />

Mit Art. 15 Abs. 3 E-<strong>VVG</strong> entfällt die Vermutung gemäss Art. 4 Abs. 3 <strong>VVG</strong>, wona<strong>ch</strong> die Erhebli<strong>ch</strong>keit von<br />

Tatsa<strong>ch</strong>en, na<strong>ch</strong> denen das VU gefragt hat, unterstellt wird, so dass der VN die Unerhebli<strong>ch</strong>keit der Ge-<br />

fahrstatsa<strong>ch</strong>e beweisen muss. Diese Umkehr der Beweislast führt zu einer Reduktion von Transaktions-<br />

kosten: Die Informationen, mit wel<strong>ch</strong>en die Erhebli<strong>ch</strong>keit von Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en bewiesen werden können,<br />

befinden si<strong>ch</strong> im Organisationsberei<strong>ch</strong> der VU. Aus diesem Grund ist die Beweislast den VU zuzuordnen:<br />

Das VU muss in die Beweisführung weniger Ressourcen investieren als dies der Fall ist, wenn der VN den<br />

Beweis antreten muss. Weil mit der Beweislastumkehr knappe Ressourcen eingespart werden können,<br />

würden si<strong>ch</strong> rationale VN und VU in einem vollständigen Vertrag darauf einigen, dass das VU den Beweis<br />

der Erhebli<strong>ch</strong>keit einer Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e zu erbringen hat.<br />

In Tabelle 35 und Tabelle 36 sind die Auswirkungen der geplanten Veränderungen zur Erhebli<strong>ch</strong>keit von<br />

Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en im Überblick dargestellt.<br />

201


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 35: ∆ 1 - Erhebli<strong>ch</strong>keit von Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en: Die Auswirkungen im Überblick<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

+<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten +<br />

Transaktionskosten +<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten<br />

Abwicklungskosten<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU infolge ni<strong>ch</strong>t-vorsätzli<strong>ch</strong>er APV<br />

Änderungs- & Anpassungskosten - VU müssen Fragen bezügli<strong>ch</strong> zukünftiger Sa<strong>ch</strong>verhalte umformulieren<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten +<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN)<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI und VU +<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

Ex ante Opportunismus der VI<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU)<br />

Ex post Opportunismus der VU +<br />

Andere Verhaltensanpassungen<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

Produktqualität<br />

Vertragsrisiken des VN +<br />

Vertragsrisiken des VU<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen<br />

Adverse Selektion<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t +<br />

+<br />

+<br />

Erhöhung der Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit bezügli<strong>ch</strong> der Erhebli<strong>ch</strong>keit von Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en<br />

Reduktion von ex post Opportunismus der VU (vgl. weiter unten)<br />

VU können si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr auf die Verletzung von Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten berufen, na<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>en<br />

sie ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>, unmissverständli<strong>ch</strong> und spezifiziert gefragt haben<br />

Das Risiko ni<strong>ch</strong>t-vorsätzli<strong>ch</strong>er Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen sinkt<br />

Prämienvolumen (Marktvolumen) = ���� Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung, tendenziell positiv<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV ���� Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU infolge ni<strong>ch</strong>t-vorsätzli<strong>ch</strong>er APV<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ���� Reduktion der Transaktionskosten aufgrund erhöhter Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit<br />

Prämienhöhe =<br />

���� Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU infolge ni<strong>ch</strong>t-vorsätzli<strong>ch</strong>er<br />

APV<br />

���� Reduktion von Transaktionskosten aufgrund erhöhter Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ���� Reduktion der Vertragsrisiken stimuliert Na<strong>ch</strong>frage der VN<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ���� Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge und Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV steigen<br />

Instabilität des Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt +<br />

Renten der VN + Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU infolge APV<br />

Renten der VI =<br />

Renten der VU =<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung, tendenziell positiv wegen der Zunahme des<br />

Marktvolumens<br />

202


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 36: ∆ 2 - Beweislastumkehr: Die Auswirkungen im Überblick<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten +<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Transaktionskosten +<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten<br />

Abwicklungskosten<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Änderungs- & Anpassungskosten<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten +<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN)<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI und VU<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

Ex ante Opportunismus der VI<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU)<br />

Ex post Opportunismus der VU<br />

Andere Verhaltensanpassungen<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

Produktqualität<br />

Vertragsrisiken des VN +<br />

Vertragsrisiken des VU<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen<br />

Adverse Selektion<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t +<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

Reduktion der Kosten der Beweisführung<br />

Prämienvolumen = ���� Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung, tendenziell positiv<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ����<br />

Prämienhöhe ����<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ���� Reduktion der Prämienhöhe stimuliert Na<strong>ch</strong>frage<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ���� Zunahme der Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge<br />

Instabilität des Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt +<br />

Renten der VN +<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung fällt<br />

Renten der VI = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Renten der VU = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

Abnahme der Transaktionskosten<br />

203


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

8.4.3 ∆ 3: Zeitpunkt der Erfüllung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t<br />

In Abs<strong>ch</strong>nitt 8.1.3 (vg. Fall 4.3.1 und Fall 4.3.2) haben wir ausgeführt, dass es eine Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheit<br />

bezügli<strong>ch</strong> des Zeitpunkts gibt, bezügli<strong>ch</strong> dem die Erfüllung einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>t bewertet werden soll:<br />

Diese Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheit kann mit Art. 17 E-<strong>VVG</strong> vermieden werden, so dass die Vertragsrisiken, wel<strong>ch</strong>en<br />

die VN und die VU ausgesetzt sind, reduziert werden. Die Reduktion von Vertragsrisiken führt zu folgen-<br />

den Nutzen:<br />

■ Nutzengewinn infolge Risikoreduktion: Die Reduktion der Vertragsrisiken entspri<strong>ch</strong>t per se einem<br />

Wohlfahrtsgewinn, da die Reduktion von Risiken bei den Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekten zu einem höheren Nutzen<br />

führen.<br />

■ Ausweitung des Marktvolumens: Die Reduktion von Vertragsrisiken senkt bei den VU die Kosten<br />

und damit die Preise der Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte. Bei den VN bewirkt die Reduktion von Vertragsrisiken<br />

eine höhere Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft. Dadur<strong>ch</strong> wird das Marktvolumen tendenziell ausgeweitet.<br />

■ Reduktion von Transaktionskosten: Streitigkeiten bezügli<strong>ch</strong> des Zeitpunkts, bezügli<strong>ch</strong> dem die Erfül-<br />

lung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t bewertet werden muss, werden wegfallen. Dadur<strong>ch</strong> sinken die Dur<strong>ch</strong>setzungs-<br />

und Geri<strong>ch</strong>tkosten.<br />

Art. 17 E-<strong>VVG</strong> wird darüber hinaus in verna<strong>ch</strong>lässigbarem Ausmass die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

reduzieren. Der Grund hierfür ist, dass es unter dem geltenden <strong>VVG</strong> Fälle gab, in wel<strong>ch</strong>en die VU von ihrer<br />

Leistungspfli<strong>ch</strong>t befreit wurden, wenn ein VN eine Gefahrserhöhung ni<strong>ch</strong>t meldete, die während der Be-<br />

arbeitung des Antrags dur<strong>ch</strong> das VU aufgetreten ist.<br />

In Tabelle 38 sind die Auswirkungen zur Konkretisierung des Zeitpunkts der Erfüllung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t<br />

im Überblick dargestellt.<br />

204


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 37: ∆ 3 - Zeitpunkt der Erfüllung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t: Die Auswirkungen im Überblick<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten +<br />

Transaktionskosten +<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten<br />

Abwicklungskosten<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Änderungs- & Anpassungskosten<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten +<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN)<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN +<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI und VU<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

Ex ante Opportunismus der VI<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU)<br />

Ex post Opportunismus der VU<br />

Andere Verhaltensanpassungen<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

Produktqualität<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

+<br />

+<br />

+<br />

Vertragsrisiken des VN + Risiko einer ni<strong>ch</strong>t-vorsätzli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung sinkt<br />

Vertragsrisiken des VU +<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen<br />

Adverse Selektion<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t<br />

+<br />

Prämienvolumen = ���� Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung, tendenziell positiv<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV ���� Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen des VU infolge APV<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ���� Reduktion von Transaktionskosten infolge erhöhter Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit<br />

Prämienhöhe =<br />

� � � � Reduktion von Transaktionskosten aufgrund erhöhter Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit<br />

���� Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU infolge APV<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ���� Reduktion von Vertragsrisiken stimuliert Angebot und Na<strong>ch</strong>frage<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ���� Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge und Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV steigen<br />

Instabilität des Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt<br />

Renten der VN +<br />

Renten der VI =<br />

Renten der VU<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

=<br />

+<br />

+ Reduktion der Häufigkeit ni<strong>ch</strong>t-vorsätzli<strong>ch</strong>er APV dur<strong>ch</strong> VN<br />

- Der Fall, dass si<strong>ch</strong> ein VU weder auf Verletzung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t<br />

no<strong>ch</strong> auf Verletzung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t bei Gefahrserhöhung berufen kann, wird<br />

unmögli<strong>ch</strong><br />

Reduktion der Häufigkeit von Auseinandersetzungen bezügli<strong>ch</strong> des Zeitpunkts der APV<br />

Verunmögli<strong>ch</strong>ung eines opportunistis<strong>ch</strong>en Einsatzes eines Vertreters dur<strong>ch</strong> den VN bei<br />

der Erfüllung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t<br />

Risiko, dass si<strong>ch</strong> ein VU weder auf Verletzung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong><br />

auf Verletzung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t bei Gefahrserhöhung berufen kann, wird verni<strong>ch</strong>tet<br />

Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU infolge APV<br />

Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung, tendenziell positiv wegen der Zunahme des<br />

Marktvolumens<br />

205


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

8.4.4 ∆ 4: Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong><br />

Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

Die Re<strong>ch</strong>tsfolgen der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung treten gemäss Art. 23 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong> neu nur no<strong>ch</strong> dann<br />

ein, wenn das s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>e Auskunftsbegehren der VU klar und deutli<strong>ch</strong> auf die Anzeigepfli<strong>ch</strong>t und auf die<br />

Folgen ihrer Verletzung hingewiesen hat. Diese Neuerung wird zu folgenden Auswirkungen führen:<br />

■ Keine zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten: Die VU können die Anforderung von Art. 23 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong> im Rahmen der<br />

Anpassung der s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Dokumente, die bereits aufgrund der neuen zusätzli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>-<br />

ten verändert werden müssen, umsetzen. Zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten sind deshalb keine zu erwarten.<br />

■ Zusätzli<strong>ch</strong>e Nutzen: Wenn die VN die Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung besser kennen,<br />

führt dies grundsätzli<strong>ch</strong> dazu, dass sie ihre Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten mit grösserer Sorgfalt und gewissenhafter<br />

wahrnehmen. Dadur<strong>ch</strong> sinkt das Risiko einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung, was folgende positiven Auswir-<br />

kungen haben kann:<br />

- Reduktion von sekundären Kosten: Sinkt die Häufigkeit von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen, sinken<br />

die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten, da die VU ni<strong>ch</strong>t von ihrer Leistungspfli<strong>ch</strong>t befreit sind.<br />

- Reduktion von Transaktionskosten: Eine gewissenhaftere Wahrnehmung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten<br />

dur<strong>ch</strong> die VN reduziert die Kontroll- und Überwa<strong>ch</strong>ungskosten sowie Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Ge-<br />

ri<strong>ch</strong>tskosten. Die sorgfältigere und gewissenhaftere Wahrnehmung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeige-<br />

pfli<strong>ch</strong>ten dur<strong>ch</strong> die VN führt darüber hinaus dazu, dass die Prämien risikoadäquater ausgestaltet<br />

werden können. Dies führt zu einer Reduktion der adversen Selektion und damit zu einem stabi-<br />

leren Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t, in wel<strong>ch</strong>em die Risiken weniger wandern. Entspre<strong>ch</strong>end sinken die<br />

Vereinbarungskosten.<br />

- Ausweitung des Marktvolumens: Eine bessere Wahrnehmung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten ermögli<strong>ch</strong>t<br />

den VU eine bessere Diskriminierung von Risiken, da die Prämien risikoadäquater bere<strong>ch</strong>net wer-<br />

den können. Dadur<strong>ch</strong> kann das Marktvolumen tendenziell ausgeweitet werden (vgl. Ausführun-<br />

gen im Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.1)<br />

In Tabelle 38 sind die Auswirkungen der geplanten Einführung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>t<br />

bezügli<strong>ch</strong> der APV und ihrer Re<strong>ch</strong>tsfolgen im Überblick dargestellt.<br />

206


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 38: ∆ 4 - Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> APV und ihrer Re<strong>ch</strong>tsfolgen: Die Auswirkungen im Überblick<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten +<br />

Transaktionskosten +<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

+<br />

Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU infolge APV<br />

Vereinbarungskosten + Reduktion der adversen Selektion aufgrund risikoadäquateren Prämien<br />

Abwicklungskosten<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten +<br />

Änderungs- & Anpassungskosten<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten +<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN)<br />

Informationsdefizite der VN +<br />

Ex ante Opportunismus der VN +<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VL und VU<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

Ex ante Opportunismus der VI +<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU)<br />

Ex post Opportunismus der VU<br />

Andere Verhaltensanpassungen<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV+<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien +<br />

Produktqualität<br />

Vertragsrisiken des VN +<br />

Vertragsrisiken des VU +<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen<br />

Adverse Selektion +<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

+<br />

+<br />

+<br />

Zunahme der Sorgfalt der VN bei der Erfüllung ihrer vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten<br />

Reduktion der Häufigkeit von Auseinandersetzungen bei APV<br />

Reduktion der Informationsdefizite der VN bezügli<strong>ch</strong> APV und ihrer Re<strong>ch</strong>tsfolgen<br />

Risiko von Leistungsauss<strong>ch</strong>lüssen infolge APV sinkt<br />

Risiko risikoinadäquater, d.h. zu tiefer Prämien, sinkt<br />

Risikoadäquatere Prämien aufgrund der Reduktion der Häufigkeit von APV<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t +<br />

Prämienvolumen ����<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV ���� Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen des VU infolge APV<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ���� Reduktion der Transaktionskosten<br />

Prämienhöhe ����<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ����<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ����<br />

Instabilität des Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts +<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt<br />

Renten der VN +<br />

Renten der VI =<br />

Renten der VU =<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

+<br />

Kenntnis der Re<strong>ch</strong>tsfolgen der APV halten VN von APV ab<br />

Reduktion der Erfolgswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit der Täus<strong>ch</strong>ung der VN bezügli<strong>ch</strong> der Bedeutung der<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten und der dramatis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer APV dur<strong>ch</strong><br />

opportunistis<strong>ch</strong>e VI<br />

Zunahme der Sorgfalt der VN bei der Erfüllung ihrer vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten<br />

���� Reduktion des Preises der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung<br />

���� Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU infolge APV<br />

���� Reduktion von Vertragrisiken stimuliert Na<strong>ch</strong>frage<br />

���� Erhöhung der Prämien<br />

Prämienhöhe, Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge und Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro<br />

VV steigen<br />

Reduktion der adversen Selektion<br />

Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU infolge APV<br />

+ Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung, tendenziell positiv wegen Zunahme des Marktvolumens<br />

207


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

8.4.5 ∆ 5 - ∆ 8 Re<strong>ch</strong>tsfolgen der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

In Abs<strong>ch</strong>nitt 8.1.3 haben wir dargelegt, dass in Zusammenhang mit den Re<strong>ch</strong>tsfolgen, die bei einer An-<br />

zeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung eintreten, vier wesentli<strong>ch</strong>e Änderungen vorgesehen sind:<br />

■ ∆ 5 : Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist, die 5 Jahre beträgt.<br />

■ ∆ 6 : Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis<br />

■ ∆ 7 : Einführung einer Kausalität mit Teilung der S<strong>ch</strong>adenssumme, d.h. Erstreckung der Kausalitätserfor-<br />

dernis auf den Umfang der Leistungsfreiheit.<br />

■ ∆ 8 : Einführung eines rückwirkenden Anspru<strong>ch</strong>s auf eine erhöhte Prämie<br />

Da die Neuerungen in vers<strong>ch</strong>iedenen Kombinationen auftreten können, sind die Auswirkungen relativ<br />

komplex. Bevor wir diese Komplexität im Rahmen einer Übersi<strong>ch</strong>tstabelle darstellen, fassen wir die ver-<br />

s<strong>ch</strong>iedenen Dimensionen, die in Zusammenhang mit der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t, der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung und<br />

den Re<strong>ch</strong>tsfolgen der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung relevant sind, zusammen:<br />

■ Re<strong>ch</strong>tsfolgen der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung (3 Ausprägungen): a. Kündigungsre<strong>ch</strong>t, b. Leistungs-<br />

freiheit und c. Anspru<strong>ch</strong> auf erhöhte Prämien.<br />

■ Vertragszustand (2 Ausprägungen): a. Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags infolge Anzeigepfli<strong>ch</strong>t-<br />

verletzung oder anderweitige Beendigung des Vertrags, b. Aufre<strong>ch</strong>terhaltung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags.<br />

■ Vers<strong>ch</strong>ulden (3 Ausprägungen): a. Grobfahrlässige / absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung, b. lei<strong>ch</strong>t-<br />

fahrlässige Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung und c. s<strong>ch</strong>uldlose Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung.<br />

■ S<strong>ch</strong>adensverlauf (4 Ausprägungen): a. Kein S<strong>ch</strong>aden, b. Ni<strong>ch</strong>t-kausaler S<strong>ch</strong>aden, c. Teil-kausaler<br />

S<strong>ch</strong>aden und d. Ganzer S<strong>ch</strong>aden ist kausal.<br />

■ Hypothetis<strong>ch</strong>er Vertragszustand bei korrekter Anzeige (2 Ausprägungen): a. Der Vertrag wäre<br />

überhaupt ni<strong>ch</strong>t abges<strong>ch</strong>lossen worden; b. Der Vertrag wäre mit anderem Inhalt abges<strong>ch</strong>lossen worden.<br />

Dieser Fall kann formal folgendermassen dargestellt werden: P o > P M (P o = Prämie ohne Anzeigepfli<strong>ch</strong>tver-<br />

letzung = Prämie mit Berücksi<strong>ch</strong>tigung der vers<strong>ch</strong>wiegenen oder unri<strong>ch</strong>tig mitgeteilten erhebli<strong>ch</strong>en Ge-<br />

fahrstatsa<strong>ch</strong>e, P m = Prämie mit Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung = Prämie ohne Berücksi<strong>ch</strong>tigung der vers<strong>ch</strong>wie-<br />

genen oder unri<strong>ch</strong>tig mitgeteilten erhebli<strong>ch</strong>en Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e.<br />

■ Verwirkung des Kündigungsre<strong>ch</strong>t (2 Ausprägungen): a. Die Verwirkungsfrist wird eingehalten und<br />

dem Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen entsteht das Kündigungsre<strong>ch</strong>t infolge Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung, b. Die<br />

Verwirkungsfrist wird ni<strong>ch</strong>t eingehalten, so dass das Kündigungsre<strong>ch</strong>t trotz Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung er-<br />

lis<strong>ch</strong>t.<br />

Will man untersu<strong>ch</strong>en, wie si<strong>ch</strong> die gesetzli<strong>ch</strong>en Neuerungen im Rahmen von Art. 18-20 E-<strong>VVG</strong> auf die<br />

Leistungsfreiheit infolge Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung und auf den Anspru<strong>ch</strong> auf erhöhte Prämie für die Zeit<br />

der tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Vertragsdauer auswirken, muss man alle mögli<strong>ch</strong>en Kombinationen der soeben aufge-<br />

führten Dimensionen berücksi<strong>ch</strong>tigen. Eine sol<strong>ch</strong>e Kombination nennen wir im Folgenden «Fall». Ein Fall<br />

unter vielen ist z.B. der folgende:<br />

Fall 1: Es kommt zu einem S<strong>ch</strong>aden, so dass der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer gegenüber den Versi<strong>ch</strong>erungsun-<br />

ternehmen eine Forderung geltend ma<strong>ch</strong>t. Im Verlauf der S<strong>ch</strong>adensregulierung ergibt si<strong>ch</strong>, dass der Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsnehmer eine erhebli<strong>ch</strong>e Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e, über die er s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>, unmissverständli<strong>ch</strong> und präzise<br />

befragt worden ist, ni<strong>ch</strong>t korrekt angezeigt hat. Die Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung sei derart, dass:<br />

■ sie ein Kündigungsre<strong>ch</strong>t begründet,<br />

■ den Tatbestand der Grobfahrlässigkeit (oder der Absi<strong>ch</strong>t) erfüllt und<br />

■ das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen den S<strong>ch</strong>aden überhaupt ni<strong>ch</strong>t, also au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu einer höheren Prämie<br />

gedeckt hätte, wenn die entspre<strong>ch</strong>ende Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e korrekt angezeigt worden wäre.<br />

208


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

In der Folge übt das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen das Kündigungsre<strong>ch</strong>t infolge Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

aus. Im Rahmen der S<strong>ch</strong>adenregulierung stellt si<strong>ch</strong> heraus, dass nur ein Teil des S<strong>ch</strong>adens ni<strong>ch</strong>t kausal auf<br />

die erhebli<strong>ch</strong>e Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e, die ni<strong>ch</strong>t korrekt angezeigt wurde, zurückzuführen ist.<br />

Insgesamt gibt es – rein mathematis<strong>ch</strong> betra<strong>ch</strong>tet – 96 derartiger Kombinationen 68 , die hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des<br />

Kündigungsre<strong>ch</strong>ts, der Leistungsfreiheit und des Anspru<strong>ch</strong>s auf erhöhte Prämie untersu<strong>ch</strong>t werden müs-<br />

sen – sowohl für das Regulierungsszenario als au<strong>ch</strong> für das Referenzszenario, so dass das juristis<strong>ch</strong>e Delta<br />

identifiziert werden kann. Allerdings finden si<strong>ch</strong> unter diesen 96 Kombinationen sol<strong>ch</strong>e, die es in der Rea-<br />

lität überhaupt ni<strong>ch</strong>t gibt. So kann z.B. davon ausgegangen werden, dass der Vertragszustand «Aufre<strong>ch</strong>t-<br />

erhalten» in der Praxis ni<strong>ch</strong>t existiert, wenn das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen den Vertrag bei korrekter<br />

Anzeige überhaupt ni<strong>ch</strong>t, also au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu einer höheren Prämie, ges<strong>ch</strong>lossen hätte: Denn es kann da-<br />

von ausgegangen werden, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen in jedem sol<strong>ch</strong>en Fall vom Kündigungs-<br />

re<strong>ch</strong>t infolge Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung Gebrau<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en.<br />

In Tabelle 39 sind diejenigen Kombinationen bzw. Fälle dargestellt, die in der Praxis von Interesse sind.<br />

Die Tabelle weist grundsätzli<strong>ch</strong> für die vers<strong>ch</strong>iedenen Fälle von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen aus, ob das<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen einen Anspru<strong>ch</strong> auf erhöhte Prämie und einen Anspru<strong>ch</strong> auf Befreiung von<br />

der Leistungspfli<strong>ch</strong>t haben – zum einen unter dem geltenden <strong>VVG</strong> (Referenzszenario), zum anderen unter<br />

dem E-<strong>VVG</strong> (Regulierungsszenario). Die folgenden formalen Anmerkungen erlei<strong>ch</strong>tern das Lesen und die<br />

Interpretation der Tabelle:<br />

■ Nummerierung und Zellenverweis: Sowohl die Zeilen als au<strong>ch</strong> die Spalten sind nummeriert. Ein Verweis<br />

auf einzelne Zellen wird damit mögli<strong>ch</strong>.<br />

■ 2 Spaltenberei<strong>ch</strong>e: Die Spalten 1-4 zeigen die Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung in all jenen<br />

Fällen auf, bei wel<strong>ch</strong>en das VU die Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung vor Ablauf der 5-jährigen Verwirkungsfrist<br />

geltend ma<strong>ch</strong>t. Die Spalte 5-8 hingegen zeigen die Re<strong>ch</strong>tsfolgen in den Fällen, bei wel<strong>ch</strong>en die VU die<br />

Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung ni<strong>ch</strong>t innerhalb von 5 Jahren na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss geltend ma<strong>ch</strong>en.<br />

■ 2 Zeilenberei<strong>ch</strong>e: Die Zeilen 1-6 beziehen si<strong>ch</strong> auf die relevanten Fälle einer grobfahrlässigen oder ab-<br />

si<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung. Die Zeilen 7-12 hingegen auf Fälle lei<strong>ch</strong>tfahrlässiger und die Zeilen<br />

13-18 auf die Fälle von s<strong>ch</strong>uldlosen Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen.<br />

■ Regulierungsszenario (E-<strong>VVG</strong>) vs. Referenzszenario (<strong>VVG</strong>): Die obere Zeile bezieht si<strong>ch</strong> jeweils auf das<br />

Regulierungsszenario (E-<strong>VVG</strong>). Die Zeile darunter zeigt für den entspre<strong>ch</strong>enden Fall jeweils die Situation<br />

unter dem Regime des geltenden <strong>VVG</strong> (Referenzszenario).<br />

■ S<strong>ch</strong>warze S<strong>ch</strong>riftfarbe – keine Veränderungen: Fälle, bei denen si<strong>ch</strong> keine Veränderungen ergeben, sind<br />

in s<strong>ch</strong>warzer S<strong>ch</strong>rift eingetragen.<br />

■ Blaue und grüne S<strong>ch</strong>riftfarbe – Veränderungen in der Re<strong>ch</strong>tsordnung: Fälle, bezügli<strong>ch</strong> derer si<strong>ch</strong> Regu-<br />

lierungs- und Referenzszenario unters<strong>ch</strong>eiden, sind in blauer und grüner S<strong>ch</strong>riftfarbe eingetragen. Dabei<br />

bedeutet «grün», dass der E-<strong>VVG</strong> die Re<strong>ch</strong>tslage zu Gunsten der VN verändert, «blau» hingegen, dass die<br />

gesetzli<strong>ch</strong>e Veränderung zu Gunsten der VU wirken.<br />

■ Lesebeispiel: Zelle (1, 3) zeigt z.B. dass das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen im Fall 1, den wir weiter oben<br />

ausgeführt haben, unter dem E-<strong>VVG</strong> nur zum Teil von der Leistungspfli<strong>ch</strong>t vollständig befreit ist. Zelle (2,<br />

3) hingegen zeigt, dass das VU unter dem geltenden <strong>VVG</strong> vollständig von der Leistungspfli<strong>ch</strong>t befreit wird.<br />

Tabelle 39 ma<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>, dass die Veränderungen bezügli<strong>ch</strong> den Re<strong>ch</strong>tsfolgen von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverlet-<br />

zungen in direkter Art und Weise zu einer Umverteilungen der primären S<strong>ch</strong>adenskosten zwis<strong>ch</strong>en dem<br />

VN, der eine Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung begangen hat, und dem VU führen werden: Zum einen, weil die<br />

68 96 = Vertragszustand (3) × Vers<strong>ch</strong>ulden (3) × S<strong>ch</strong>adensverlauf (4) × Hypothetis<strong>ch</strong>er Vertragszustand (2) × Verwirkung des Kündi-<br />

gungsre<strong>ch</strong>ts (2)<br />

209


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Allokation der S<strong>ch</strong>adensrisiken zwis<strong>ch</strong>en dem VN, der eine Anzeigepfli<strong>ch</strong>t verletzt hat, und dem VU ver-<br />

ändert wird. Zum anderen, weil der VN, der eine Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung begangen hat, neu verpfli<strong>ch</strong>tet<br />

ist, dem VU die erhöhte Prämie zurückzuerstatten. Darüber hinaus muss davon ausgegangen werden,<br />

dass diese Reallokation von Risiken das Verhalten der VN und der VU beeinflussen wird.<br />

Tabelle 39: Veränderungen bezügli<strong>ch</strong> der Re<strong>ch</strong>tsfolgen von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen<br />

Keine Deckung oder<br />

Deckung zu höherer<br />

Prämie (P o>Pm)<br />

Ni<strong>ch</strong>tkausaler<br />

S<strong>ch</strong>aden<br />

Teilkausaler<br />

S<strong>ch</strong>aden<br />

Ganzer<br />

S<strong>ch</strong>aden<br />

kausal<br />

Ni<strong>ch</strong>tkausaler<br />

S<strong>ch</strong>aden<br />

Teilkausaler<br />

S<strong>ch</strong>aden<br />

Ganzer<br />

S<strong>ch</strong>aden<br />

kausal<br />

Spaltenzähler 1 2 3 4 5 6 7 8<br />

Absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e / grobfahrlässige Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

Keine<br />

Deckung<br />

P o > P m<br />

K<br />

K<br />

A<br />

A<br />

K<br />

E-<strong>VVG</strong> Nein Nein 1 Teils Ja Nein Nein Nein Nein 1<br />

<strong>VVG</strong> Nein Nein Ja Ja Nein Nein Ja Ja 2<br />

E-<strong>VVG</strong> Ja Nein Teils Ja Nein Nein Nein Nein 3<br />

<strong>VVG</strong> Nein Nein Ja Ja Nein Nein Ja Ja 4<br />

E-<strong>VVG</strong> Ja Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein 5<br />

<strong>VVG</strong> Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein 6<br />

Lei<strong>ch</strong>tfahrlässige Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

Keine<br />

Deckung<br />

P o > P m<br />

K<br />

K<br />

E-<strong>VVG</strong> Nein Nein 1 Nein Nein Nein Nein Nein Nein 7<br />

<strong>VVG</strong> Nein Nein Ja Ja Nein Nein Ja Ja 8<br />

E-<strong>VVG</strong> Ja Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein 9<br />

<strong>VVG</strong> Nein Nein Ja Ja Nein Nein Ja Ja 10<br />

E-<strong>VVG</strong> Ja Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein 11<br />

<strong>VVG</strong> Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein 12<br />

S<strong>ch</strong>uldlose Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

Keine<br />

Deckung<br />

P o > P m<br />

Kündigung (K) oder<br />

Aufre<strong>ch</strong>terhaltung (A)<br />

K<br />

A<br />

VU ma<strong>ch</strong>t Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

innerhalb von 5 Jahren na<strong>ch</strong><br />

Vertragss<strong>ch</strong>luss geltend<br />

Anspru<strong>ch</strong><br />

auf eine<br />

erhöhte<br />

Prämie?<br />

Leistungsbefreiung im<br />

S<strong>ch</strong>adensfall?<br />

VU ma<strong>ch</strong>t Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

ni<strong>ch</strong>t innerhalb von 5 Jahren na<strong>ch</strong><br />

Vertragss<strong>ch</strong>luss geltend<br />

Anspru<strong>ch</strong><br />

auf eine<br />

erhöhte<br />

Prämie?<br />

Leistungsbefreiung im<br />

S<strong>ch</strong>adensfall?<br />

E-<strong>VVG</strong> Nein Nein 1 Nein Nein Nein Nein Nein Nein 13<br />

<strong>VVG</strong> Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein 14<br />

E-<strong>VVG</strong> Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein 15<br />

<strong>VVG</strong> Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein 16<br />

E-<strong>VVG</strong> Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein 17<br />

<strong>VVG</strong> Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein 18<br />

Fussnote: 1 Da Bu<strong>ch</strong>stabe a und Bu<strong>ch</strong>stabe b von Art. 18 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong> über den logis<strong>ch</strong>en Operator «ODER» verbunden sind, müsste<br />

hier strenggenommen «Ja» stehen, da diese Formulierung impliziert, dass in Fällen, in wel<strong>ch</strong>en die VU überhaupt keine Deckung<br />

gewährt hätten, keine Kausalität gegeben sein muss, damit die VU die Leistungsbefreiung infolge APV geltend ma<strong>ch</strong>en können. Wie<br />

wir in Abs<strong>ch</strong>nitt 8.1.3 (Seite 196) ausgeführt haben, gehen wir davon aus, dass hier eine spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Ungenauigkeit vorliegt, deren<br />

Implikation (kein Kausalitätserfordernis bezügli<strong>ch</strong> der Leistungsbefreiung der VU infolge APV) ni<strong>ch</strong>t den Absi<strong>ch</strong>ten der S<strong>ch</strong>öpfer des<br />

E-<strong>VVG</strong> entspri<strong>ch</strong>t.<br />

Legende: grüne S<strong>ch</strong>rift = Veränderung zu Gunsten der VN, die Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung begangen haben, blaue S<strong>ch</strong>rift = Veränderung<br />

zu Ungunsten der VN, die Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung begangen haben, s<strong>ch</strong>warze S<strong>ch</strong>rift: keine Veränderung<br />

Quelle: E-<strong>VVG</strong>, <strong>VVG</strong>, eigene Analysen; eigene Darstellung<br />

Zeilenhzähler<br />

210


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

8.4.5.1 ∆ 5: Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist<br />

Analyse der Auswirkungen<br />

Die Einführung einer 5-jährigen Verwirkungsfrist bezügli<strong>ch</strong> der Geltendma<strong>ch</strong>ung der Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer<br />

Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung wird folgende direkte Auswirkungen haben:<br />

■ Reduktion von sekundären Kosten: Bei Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen, von wel<strong>ch</strong>en das VU später als 5<br />

Jahre na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss Kenntnis erhält, wird das VU ni<strong>ch</strong>t mehr von seiner Leistungspfli<strong>ch</strong>t befreit. Da<br />

das VU in diesen Fällen den S<strong>ch</strong>aden des VN decken müssen, sinken die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten. Der<br />

Umfang dieser Umverteilung hängt davon ab, in wie vielen Fällen die VU Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen erst<br />

5 Jahre na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss erkennen. Da Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen zumeist im S<strong>ch</strong>adensfall erkannt<br />

werden, hängt diese Häufigkeit von zwei Faktoren ab:<br />

- Wie ho<strong>ch</strong> ist die dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>adensfrequenz?<br />

- Wie ho<strong>ch</strong> ist der Anteil der Verträge, die seit 5 und mehr Jahren bestehen?<br />

Die befragten Experten der VU haben zu Protokoll gegeben, dass bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungen zwei Drittel<br />

der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen erst im S<strong>ch</strong>adensfall – und damit zum grössten Teil später als 5 Jahre na<strong>ch</strong><br />

Vertragss<strong>ch</strong>luss – erkannt werden. Ni<strong>ch</strong>t zuletzt deshalb, weil die VU im Berei<strong>ch</strong> der Lebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen im S<strong>ch</strong>adensfall systematis<strong>ch</strong> überprüfen. Besonders starke Auswirkungen<br />

wird die 5-jährige Verwirkungsfrist au<strong>ch</strong> im Berei<strong>ch</strong> der Gebäudeversi<strong>ch</strong>erungen haben, wo Vertragslauf-<br />

zeiten von 20 und mehr Jahren keine Seltenheit sind. Aufgrund von Prolongationsklauseln ist der Anteil<br />

von Verträgen, die vor mehr als 5 Jahren abges<strong>ch</strong>lossen worden sind, au<strong>ch</strong> in anderen Versi<strong>ch</strong>erungsbran-<br />

<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t verna<strong>ch</strong>lässigbar. Allerdings ist in diesen Bran<strong>ch</strong>en die S<strong>ch</strong>adenfrequenz höher, so dass die<br />

Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, dass eine Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung innerhalb der ersten 5 Jahren na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss<br />

erkannt wird, relativ ho<strong>ch</strong> ist.<br />

■ Reduktion der Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten: Bei all jenen Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen, die<br />

unter dem geltenden <strong>VVG</strong> später als 5 Jahre na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss von den VU geltend gema<strong>ch</strong>t werden,<br />

kann es zu geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Auseinandersetzungen zwis<strong>ch</strong>en VN und VU kommen. Die Einführung einer 5-<br />

jährigen Verwirkungsfrist würde deshalb zu einer Reduktion der Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten füh-<br />

ren.<br />

Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass die Einführung einer 5-jährigen Verwirkungsfrist das<br />

Verhalten sowohl der VU als au<strong>ch</strong> der VN verändern wird:<br />

■ Erhöhung der Kontroll- und Überwa<strong>ch</strong>ungskosten: Es muss davon ausgegangen werden, dass die<br />

VU bei Vertragss<strong>ch</strong>luss verstärkt monetäre Ressourcen für die Überprüfung der Angaben investieren wür-<br />

den, wel<strong>ch</strong>e die VN im Rahmen der Erfüllung ihrer vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t ma<strong>ch</strong>en. Dadur<strong>ch</strong> stei-<br />

gen die Kontroll- und Überwa<strong>ch</strong>ungskosten (Beispiel: erneute Gesundheitsprüfungen bei Vertragsverlän-<br />

gerungen).<br />

■ Erhöhung der Änderungs- und Anpassungskosten: Es ist davon auszugehen, dass die VU ihre Be-<br />

mühungen intensivieren würden, den Anteil der Versi<strong>ch</strong>erungsverträge, bei wel<strong>ch</strong>en die Verwirkungsfrist<br />

abgelaufen ist, zu reduzieren. Diesen Anreiz haben sie gemäss den befragten Experten der VU bereits<br />

heute, da vers<strong>ch</strong>iedene Vertragsgenerationen auf vers<strong>ch</strong>iedenen IT-Systemen abgewickelt werden. Dieses<br />

Nebeneinander von vers<strong>ch</strong>iedenen Systemen ist mit hohen Wartungs- und Äderungskosten verbunden.<br />

Mit den Bemühungen, die Auswirkungen der absoluten Verwirkungsfrist zu minimieren, entstehen grund-<br />

sätzli<strong>ch</strong> Änderungs- und Vereinbarungskosten.<br />

■ Präventivwirkung auf das Verhalten der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler: Wie in Abs<strong>ch</strong>nitt 5.7 ausge-<br />

führt, gibt es Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, wel<strong>ch</strong>e die korrekte Wahrnehmung von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen<br />

211


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

ni<strong>ch</strong>t gerade positiv beeinflussen. Es ist davon auszugehen, dass die VU ihre Bemühungen, derartiges<br />

Verhalten zu unterbinden, intensivieren würden.<br />

■ Wohlfahrtsverluste aufgrund s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terer Risikodiskriminierung: Die Einführung einer 5-jährigen<br />

Verwirkungsfrist bezügli<strong>ch</strong> der Geltendma<strong>ch</strong>ung der Re<strong>ch</strong>tsfolgen der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen redu-<br />

ziert die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize der VN, die Fragen zu den erhebli<strong>ch</strong>en Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en sorgfältig und<br />

wahrheitsgetreu zu beantworten. Insbesondere im Berei<strong>ch</strong> der Lebensversi<strong>ch</strong>erungen, bei wel<strong>ch</strong>en über<br />

die Hälfte der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen später als 5 Jahre na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss publik werden, ist zu<br />

erwarten, dass der Anteil unri<strong>ch</strong>tiger Angaben steigen würde. Dadur<strong>ch</strong> würde die Fähigkeit der VU leiden,<br />

Risiken zu diskriminieren und risikoadäquate Prämien zu kalkulieren. Dadur<strong>ch</strong> steigt die Gefahr, dass si<strong>ch</strong><br />

eine adverse Selektion einstellt, die letztli<strong>ch</strong> zu einer Reduktion des Marktvolumens bzw. der Risikode-<br />

ckung der Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte führt. Eine erhöhte adverse Selektion reduziert darüber hinaus die Stabilität<br />

des Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts und führt damit zu einer Erhöhung der Vereinbarungskosten.<br />

In Tabelle 40 sind die Auswirkungen der geplanten Einführung einer absoluten Verjährungsfrist bezügli<strong>ch</strong><br />

Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen im Überblick dargestellt.<br />

Normative Analyse<br />

Aus einer normativen Perspektive lässt si<strong>ch</strong> die Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist ni<strong>ch</strong>t re<strong>ch</strong>tfer-<br />

tigen. Bezügli<strong>ch</strong> des Risikos, eine Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung zu begehen, ist der VN der Cheapest Cost<br />

Avoider: Unter Aufwendung minimalster Kosten kann er eine Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung verhindern, indem<br />

er bei der Erfüllung seiner vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t die dafür nötige Sorgfalt aufbringt.<br />

Die Rekonstruktion des vollständigen Vertrags führt zum glei<strong>ch</strong>en Ergebnis: Unter fairen Bedingungen<br />

würden redli<strong>ch</strong>e Vertragsparteien vereinbaren, dass die VN bei der Erfüllung ihrer vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzei-<br />

gepfli<strong>ch</strong>t die dafür notwendige Sorgfalt aufbringen. Es ist ni<strong>ch</strong>t davon auszugehen, dass die ehrli<strong>ch</strong>en und<br />

sorgfältigen VN bereit wären, die unehrli<strong>ch</strong>en und unsorgfältigen zu quersubventionieren.<br />

212


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 40: ∆ 5 - Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten -<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten -<br />

Transaktionskosten -<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten -<br />

Abwicklungskosten<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten -<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

(1) VU kündigen Verträge und s<strong>ch</strong>liessen neue ab, um die 5-jährige Verwirkungsfrist auszuhebeln<br />

(2) Zunahme der adversen Selektion infolge risikoinadäquateren Prämien<br />

Änderungs- & Anpassungskosten - Zunahme der Häufigkeit von Vertragsänderungen, um die 5-jährige Verwirkungsfrist auszuhebeln<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten +<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN) -<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN -<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI und VU<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VL) +<br />

Ex ante Opportunismus der VI +<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU) -<br />

Ex post Opportunismus der VU<br />

Andere Verhaltensanpassungen -<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV -<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien -<br />

Produktqualität<br />

Vertragsrisiken des VN +<br />

Keine Auseinandersetzungen bei APV, wel<strong>ch</strong>e die VU später als 5 Jahre na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss<br />

erkennen<br />

Risiko einer Leistungsbefreiung des VU infolge APV sinkt<br />

Vertragsrisiken des VU - Das Risiko risikoinadäquater, d.h. zu tiefer Prämien, steigt<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen -<br />

Adverse Selektion -<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t -<br />

Prämienvolumen ����<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV ����<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ����<br />

Prämienhöhe ����<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ����<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ����<br />

Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU infolge APV<br />

Zunahme der Transaktionskosten<br />

Instabilität des Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts - Zunahme der adversen Selektion<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt -<br />

Renten der VN -<br />

Renten der VI - Reduktion des Marktvolumens<br />

Renten der VU - Reduktion des Marktvolumens<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

+ Keine Leistungsfreiheit der VU bei APV, wel<strong>ch</strong>e die VU erst später als 5 Jahre na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss<br />

erkennen<br />

- Reduktion der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken (Prämienerhöhungen, adverse Selektion)<br />

Zusätzli<strong>ch</strong>e Massnahmen der Kontrolle und Überprüfung der Angaben der VN bei der Erfüllung ihrer<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize der VN zu wahrheitsgetreuen und sorgfältigen Erfüllung ihrer<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t sinken, weshalb die Häufigkeit von APV zunehmen wird<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize der VI (VU), die VN zur wahrheitsgetreuen und sorgfältigen Wahrnehmung<br />

der Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten zu bewegen, steigen<br />

(1) VU erneuern Verträge, um die 5-jährige Verwirkungsfrist auszuhebeln<br />

(2) VU intensivieren ihre Kontroll- und Überprüfungsmassnahmen<br />

+ Reduktion von ex ante Opportunismus der VI (vgl. oben)<br />

- - Die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize der VN zu wahrheitsgetreuen und sorgfältigen Erfüllung ihrer<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t sinken, weshalb die Häufigkeit von APV zunehmen wird<br />

Prämie werden risikoinadäquater, da die Häufigkeit von APV zunimmt<br />

(1) Zunahme der Transaktionskosten<br />

(2) Zunahme der S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU (Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen<br />

infolge APV)<br />

(1) Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung nimmt zu; (2) Zunahme der adversen Selektion<br />

���� Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV<br />

���� Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge<br />

+ Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU infolge APV<br />

- Reduktion der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken (Preiserhöhungen, adverse Selektion)<br />

213


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

8.4.5.2 ∆ 6: Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis<br />

Analyse der Auswirkungen<br />

Die Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernisses bezügli<strong>ch</strong> der Leistungsbefreiung des VU<br />

infolge einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung führt zu ähnli<strong>ch</strong>en Auswirkungen wie die Einführung einer absolu-<br />

ten Verwirkungsfrist (vgl. vorangehenden Abs<strong>ch</strong>nitt):<br />

■ Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten: Da die VU bei lei<strong>ch</strong>tfährlässigen Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverlet-<br />

zungen unter dem E-<strong>VVG</strong> leistungspfli<strong>ch</strong>tig bleiben, würden si<strong>ch</strong> die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten reduzie-<br />

ren. Denn der S<strong>ch</strong>aden, der unter dem geltenden <strong>VVG</strong> im Fall einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung vom VN<br />

getragen werden muss, müsste ni<strong>ch</strong>t mehr diesem allein, sondern vom VU und damit von der Versi<strong>ch</strong>er-<br />

tengemeins<strong>ch</strong>aft getragen werden.<br />

■ Erhöhung der Kontroll-, Überwa<strong>ch</strong>ungs-, Änderungs- und Vertragsabs<strong>ch</strong>lusskosten: Aufgrund<br />

der glei<strong>ch</strong>en Überlegungen wie im Fall der Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist würde die Einfüh-<br />

rung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis zu einer Erhöhung der Kontroll-, Überwa<strong>ch</strong>ungs-, Ände-<br />

rungs- und Vertragsabs<strong>ch</strong>lusskosten führen. Insbesondere wäre denkbar, dass die VU dazu übergehen<br />

würden, die VN einer wiederholten Anzeigepfli<strong>ch</strong>t, z.B. im Rahmen einer Vertragsänderung oder einer<br />

Vertragsverlängerung, zu unterziehen.<br />

■ Erhöhung der Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten: Während die Einführung einer absoluten Ver-<br />

wirkungsfrist die Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten reduzieren würde, kann dies von einer Einführung<br />

eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernisses ni<strong>ch</strong>t erwartet werden. Dies ist auf den Tatbestand zurück-<br />

zuführen, dass es für ein VU einfa<strong>ch</strong>er ist, zu beweisen, dass eine ni<strong>ch</strong>t-s<strong>ch</strong>uldlose Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverlet-<br />

zung vorliegt als dies der Fall ist, wenn bewiesen werden muss, dass eine Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung ni<strong>ch</strong>t<br />

nur lei<strong>ch</strong>tfahrlässig ges<strong>ch</strong>ehen ist. Aus diesem Grund ist zu erwarten, dass die Auseinandersetzungen<br />

zwis<strong>ch</strong>en VU und VN bezügli<strong>ch</strong> einer erfolgten Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung zunehmen würden.<br />

■ Wohlfahrtsverluste aufgrund s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terer Risikodiskriminierung: Au<strong>ch</strong> die Einführung einer qua-<br />

lifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis reduziert die Anreize der VN, ihre vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t sorgfäl-<br />

tig und korrekt zu erfüllen. Dadur<strong>ch</strong> werden die Prämien risikoinadäquater und die Gefahr der adversen<br />

Selektion mit ihren negativen wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>en Konsequenzen (Reduktion der Menge der versi-<br />

<strong>ch</strong>erten Risiken, Erhöhung der Instabilität des Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts) nimmt zu.<br />

In Tabelle 41 sind die erwarteten Auswirkungen der geplanten Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>ul-<br />

denserfordernis in Zusammenhang mit Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen im Überblick dargestellt.<br />

214


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 41: ∆ 6 - Qualifiziertes Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis: Die Auswirkungen im Überblick<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten -<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten -<br />

Transaktionskosten<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

-<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

+ Keine Leistungsfreiheit der VU bei lei<strong>ch</strong>tfahrlässigen APV<br />

- Reduktion der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken<br />

Vereinbarungskosten - Instabileres Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t aufgrund einer Zunahme der adversen Selektion<br />

Abwicklungskosten<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten -<br />

Änderungs- & Anpassungskosten -<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten -<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN) -<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN -<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI und VU<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI) +<br />

Ex ante Opportunismus der VI +<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU) -<br />

Ex post Opportunismus der VU<br />

Andere Verhaltensanpassungen -<br />

Zunahme der Häufigkeit von Vertragsänderungen, um die VN wiederholt den Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten<br />

auszusetzen<br />

(1) Zusätzli<strong>ch</strong>e Auseinandersetzungen bezügli<strong>ch</strong> der Frage, ob eine lei<strong>ch</strong>tfahrlässige oder<br />

grobfahrlässige/absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e APV vorliegt; (2) Zunahme der Kosten der Beweisführung<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV -<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

+ Reduktion von ex ante Opportunismus der VI (vgl. oben)<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

Produktqualität<br />

- - Die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize der VN zu wahrheitsgetreuen und sorgfältigen Erfüllung ihrer<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t sinken, weshalb die Häufigkeit von APV zunehmen wird<br />

Vertragsrisiken des VN + Risiko einer Leistungsbefreiung des VU infolge APV sinkt<br />

Vertragsrisiken des VU - Das Risiko risikoinadäquater, d.h. zu tiefer Prämien, steigt<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen -<br />

Adverse Selektion - Die Zunahme der Häufigkeit von APV führt zu risikoinadäquateren Prämien<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t -<br />

Prämienvolumen ����<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV ����<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ����<br />

Prämienhöhe ����<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ����<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ����<br />

Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU infolge APV<br />

Zunahme der Transaktionskosten<br />

Instabilität des Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts - Zunahme der adversen Selektion<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt -<br />

Renten der VN -<br />

Renten der VI - Reduktion des Marktvolumens<br />

Renten der VU - Reduktion des Marktvolumens<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

Zusätzli<strong>ch</strong>e Massnahmen der Kontrolle und Überprüfung der Angaben der VN bei der Erfüllung ihrer<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize der VN zur wahrheitsgetreuen und sorgfältigen Erfüllung ihrer<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t sinken, weshalb die Häufigkeit von APV zunehmen wird<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize der VI (VU), die VN adäquat über die drastis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer APV zu<br />

informieren, steigen<br />

(1) Zunahme der Häufigkeit von Vertragsänderungen (vgl. oben)<br />

(2) VU intensivieren ihre Kontroll- und Überprüfungsmassnahmen<br />

(1) Zunahme der Transaktionskosten<br />

(2) Zunahme der S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU (Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen<br />

infolge APV)<br />

(1) Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung nimmt zu; (2) Zunahme der adversen Selektion<br />

���� Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV<br />

���� Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge<br />

+ Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU infolge APV<br />

- Reduktion der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken (Preiserhöhungen, adverse Selektion)<br />

215


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Normative Analyse<br />

Eine s<strong>ch</strong>uldlose Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung stellt ein Vertragsrisiko dar. Da dieses Risiko definitionsge-<br />

mäss weder vom VU no<strong>ch</strong> vom VN vermieden werden kann, gibt es keinen Cheapest Cost Avoider. Eben-<br />

falls gibt es keinen Cheapest Insurer, da es für das Risiko s<strong>ch</strong>uldloser Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen keine<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsmärkte gibt. Aus diesem Grund sollte das Risiko einer s<strong>ch</strong>uldlosen Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

dem Superior Risk Bearer übertragen werden. Der Superior Risk Bearer ist jedo<strong>ch</strong> das VU.<br />

Bei lei<strong>ch</strong>tfahrlässigen, grobfahrlässigen und absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen sind die VN<br />

die Cheapest Cost Avoider. Deshalb sollte das Risiko derartiger Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen dem VN über-<br />

tragen werden. Dies würde implizieren, dass – entgegen dem E-<strong>VVG</strong> – die VU au<strong>ch</strong> bei lei<strong>ch</strong>tfahrlässigen<br />

Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen von der Leistungspfli<strong>ch</strong>t befreit werden sollten.<br />

Allerdings muss bezügli<strong>ch</strong> der Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernisses no<strong>ch</strong> eine andere<br />

Überlegung berücksi<strong>ch</strong>tigt werden. Denn mit der Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis-<br />

ses gibt die Re<strong>ch</strong>tsordnung implizit einen Sorgfaltsstandard vor, der von den VN bei der Wahrnehmung<br />

ihrer Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten zu befolgen ist. Aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t gibt es einen optimalen Sorgfaltsstandard,<br />

der von der sogenannten Learned Hand Formel festgelegt ist. Die Learned Hand Formel bedeutet in<br />

unserem Fall, dass die Sorgfaltsaufwendungen solange ausgedehnt werden sollen, bis eine monetäre<br />

Einheit zusätzli<strong>ch</strong>e Sorgfalt die erwarteten S<strong>ch</strong>äden gerade um eine Einheit reduziert. Die S<strong>ch</strong>äden sind<br />

dabei die Wohlfahrtsverluste, die entstehen, weil die VU aufgrund der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung die Risi-<br />

ken ni<strong>ch</strong>t mehr diskriminieren können. Die VN orientieren si<strong>ch</strong> allerdings ni<strong>ch</strong>t an der Learned Hand For-<br />

mel, weil der S<strong>ch</strong>aden, der dur<strong>ch</strong> Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen ausgelöst wird, ni<strong>ch</strong>t bei den anzeigepfli<strong>ch</strong>t-<br />

verletzenden VN selbst, sondern bei der Versi<strong>ch</strong>erungsgemeins<strong>ch</strong>aft anfällt. Rationale VN lösen deshalb<br />

ein anderes Maximierungskalkül: Sie dehnen ihre Sorgfaltsaufwendungen solange aus, bis eine monetäre<br />

Einheit zusätzli<strong>ch</strong>e Sorgfalt die S<strong>ch</strong>äden, die sie aufgrund der Sanktionen infolge der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverlet-<br />

zung zu erwarten haben, gerade um eine Einheit reduziert. Dies ist letztli<strong>ch</strong> der Grund, weshalb rationale<br />

VN auf eine Reduktion der Sanktionen, die sie zu tragen haben, wenn die Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung publik<br />

wird, mit einer Reduktion ihrer Sorgfaltsaufwendungen reagieren. Dies gilt insbesondere au<strong>ch</strong> für die<br />

Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist bezügli<strong>ch</strong> den Re<strong>ch</strong>tsfolgen von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen:<br />

Die absolute Verwirkungsfrist reduziert die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, dass eine Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung Re<strong>ch</strong>ts-<br />

folgen entfaltet. Dadur<strong>ch</strong> verändert si<strong>ch</strong> das Nutzenmaximierungskalkül des VN, der vor der Frage steht,<br />

wel<strong>ch</strong>en Sorgfaltsaufwand er bei der Erfüllung seiner Anzeigepfli<strong>ch</strong>t betreiben soll.<br />

Aus einer wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>en Perspektive stellt si<strong>ch</strong> deshalb die Frage, wel<strong>ch</strong>er Sorgfaltsstandard<br />

von der Re<strong>ch</strong>tsordnung vorgegeben soll, so dass aus dem nutzenmaximierenden Kalkül der VN ein Sorg-<br />

faltsniveau resultiert, das gerade dem sozial effizienten Sorgfaltsniveau entspri<strong>ch</strong>t, das von der Learned<br />

Hand Formel determiniert ist.<br />

S<strong>ch</strong>äfer und Ott (2005, 174ff) beantworten diese Frage im Rahmen der ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse der Ver-<br />

s<strong>ch</strong>uldenshaftung folgendermassen:<br />

«Ist der geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Sorgfaltsmassstab für die Gruppe der S<strong>ch</strong>ädiger [anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzende VN] vage definiert und<br />

kann der S<strong>ch</strong>ädiger nur Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keiten eins<strong>ch</strong>ätzen, mit denen die Geri<strong>ch</strong>te ein bestimmtes S<strong>ch</strong>adensvermei-<br />

dungsverhalten [sorgfältiges Wahrnehmen der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> den VN] als fahrlässig klassifizieren, so minimie-<br />

ren die S<strong>ch</strong>ädiger ihre erwarteten Kosten dur<strong>ch</strong> einen Sorgfaltsaufwand, der nur zufällig effizient und ansonsten<br />

gegenüber dem effizienten Aufwand zu ho<strong>ch</strong> oder zu niedrig ist. [...]. Wenn für das Re<strong>ch</strong>tssystem die Informations-<br />

probleme bei der Ermittlung des sozial wüns<strong>ch</strong>enswerten Sorgfaltsmassstabes gross sind, ist es daher sinnvoll, diesen<br />

Massstab eher zu ho<strong>ch</strong> als zu niedrig anzusetzen...»<br />

216


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Diese Ausführungen spre<strong>ch</strong>en für eine Ablehnung der Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfor-<br />

dernisses.<br />

Gegen die Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernisses spre<strong>ch</strong>en aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t<br />

also Überlegungen zur Präventivwirkung. Demgegenüber muss festgehalten werden, dass die Leistungs-<br />

befreiung des VU im Fall einer lei<strong>ch</strong>tfahrlässigen Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung für den betroffenen VN eine<br />

sehr harte Sanktion sein kann, die in Einzelfällen mit den Gere<strong>ch</strong>tigkeitsvorstellungen der Wirts<strong>ch</strong>aftssub-<br />

jekte ni<strong>ch</strong>t übereinstimmt.<br />

8.4.5.3 ∆ 7: Einführung einer Kausalität mit Teilung der S<strong>ch</strong>adenssumme<br />

Die Erstreckung des Kausalitätserfordernisses auf den Umfang der Leistungsfreiheit des VU wird gemäss<br />

den befragten Experten der VU bei Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen kaum Auswirkungen haben, da bei S<strong>ch</strong>adenereig-<br />

nissen im Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungsberei<strong>ch</strong> ein S<strong>ch</strong>aden zumeist vollständig oder aber überhaupt ni<strong>ch</strong>t auf die<br />

Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e zurückzuführen ist, bezügli<strong>ch</strong> der eine Fals<strong>ch</strong>angabe gema<strong>ch</strong>t worden ist.<br />

Bei Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen, die Angaben zu Gesundheitsinformationen zum Gegenstand haben,<br />

könnte die Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernisses aufgrund multikausaler Ursa<strong>ch</strong>en<br />

von Personens<strong>ch</strong>äden zu einer markanten Erhöhung der Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tkosten führen. Denn<br />

unter dem geltenden <strong>VVG</strong> muss das VU nur na<strong>ch</strong>weisen, dass der S<strong>ch</strong>aden von der ni<strong>ch</strong>t korrekt ange-<br />

zeigten Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e beeinflusst worden ist, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong>, dass der eingetretene S<strong>ch</strong>aden vollständig<br />

auf diese Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e zurückgeführt werden kann. In einer gewissen Art und Weise steht die Kausali-<br />

tät mit Teilung der S<strong>ch</strong>adenssumme in einem Widerspru<strong>ch</strong> zum Bu<strong>ch</strong>stabe a von Art. 18 Abs. 2: Dieser<br />

verlangt, dass die der Eintritt oder der Umfang des S<strong>ch</strong>adens von der ni<strong>ch</strong>t ri<strong>ch</strong>tig angezeigten Gefahrstat-<br />

sa<strong>ch</strong>e nur beeinflusst, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> monokausal verursa<strong>ch</strong>t worden ist. Insofern ist der Einführung einer<br />

Kausalität mit Teilung der S<strong>ch</strong>adenssumme das Potential inhärent, bei Personenversi<strong>ch</strong>erungen zu Re<strong>ch</strong>ts-<br />

unsi<strong>ch</strong>erheiten mit bedeutender Kostenfolge zu führen. Allerdings haben si<strong>ch</strong> einige der befragten Exper-<br />

ten der VU auf den Standpunkt gestellt, dass diese Neuerung im medizinis<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> keine Auswirkun-<br />

gen haben wird, da es ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong> ist, einen S<strong>ch</strong>aden auf vers<strong>ch</strong>iedene Ursa<strong>ch</strong>en zu verteilen: Entweder<br />

sei ein S<strong>ch</strong>aden kausal oder er sei es ni<strong>ch</strong>t.<br />

217


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 42: ∆ 7 - Kausalität mit Teilung der S<strong>ch</strong>adenssumme: Die Auswirkungen im Überblick<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten +<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten +<br />

Transaktionskosten -<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten<br />

Abwicklungskosten<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Änderungs- & Anpassungskosten<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten -<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN) -<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN -<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI und VU<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI) +<br />

Ex ante Opportunismus der VI +<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU)<br />

Ex post Opportunismus der VU<br />

Andere Verhaltensanpassungen<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV +<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien =<br />

Produktqualität<br />

Vertragsrisiken des VN +<br />

Vertragsrisiken des VU<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen<br />

Adverse Selektion = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t =<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

+ Keine vollständige Leistungsbefreiung des VU bei teilkausalen S<strong>ch</strong>äden im Fall von APV<br />

- Reduktion der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken<br />

Risiko einer vollständigen Leistungsbefreiung des VU bei teilkausalen S<strong>ch</strong>äden im Fall von APV sinkt<br />

Prämienvolumen = ���� Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung, tendenziell Erhöhung<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV ���� Reduktion der Häufigkeit vollständiger Leistungsbefreiung der VU bei APV<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ����<br />

Prämienhöhe ����<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ����<br />

Instabilität des Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt +<br />

Renten der VN +<br />

Renten der VI =<br />

Renten der VU =<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

Zusätzli<strong>ch</strong>e Auseinandersetzungen zur Frage, wel<strong>ch</strong>er Teil des S<strong>ch</strong>adens auf die unri<strong>ch</strong>tig oder ni<strong>ch</strong>t<br />

angezeigte Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e zurückzuführen ist, insbesondere bei Personens<strong>ch</strong>äden mit vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

medizinis<strong>ch</strong>en Ursa<strong>ch</strong>en<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize der VN zur wahrheitsgetreuen und sorgfältigen Erfüllung ihrer<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t sinken, weshalb die Häufigkeit von APV zunehmen wird<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize der VI (VU), die VN adäquat über die drastis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer APV zu<br />

informieren, steigen<br />

+ Reduktion von ex ante Opportunismus der VI (vgl. oben)<br />

- - Die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize der VN zu wahrheitsgetreuen und sorgfältigen Erfüllung ihrer<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t sinken<br />

Zunahme der Transaktionskosten<br />

(1) Zunahme des Preises der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung<br />

(2) Zunahme der S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU (Reduktion der Häufigkeit vollständiger<br />

Leistungsbefreiungen infolge APV)<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV nimmt zu<br />

+ Reduktion der Häufigkeit von vollständigen Leistungsbefreiungen der VU infolge APV<br />

- Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung nimmt zu<br />

Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

218


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

8.4.5.4 ∆ 8: Rückwirkender Anspru<strong>ch</strong> auf erhöhte Prämie<br />

Die Einführung eines rückwirkenden Anspru<strong>ch</strong>s der VU bewirkt in direkter Art und Weise eine Umvertei-<br />

lung zu Lasten des VN, der die Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung begangen hat. Dadur<strong>ch</strong> steigen die ökonomi-<br />

s<strong>ch</strong>en Anreize der VN, bei der Erfüllung ihrer vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t die gewüns<strong>ch</strong>te Sorgfalt<br />

aufzubringen. Dies vor allem deshalb, weil unter dem geltenden <strong>VVG</strong> ein VN im Fall einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>t-<br />

verletzung keine Sanktionen zu tragen hat, wenn das VU keine Leistungsbefreiung geltend ma<strong>ch</strong>en kann.<br />

Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ein S<strong>ch</strong>aden eintritt, der ni<strong>ch</strong>t kausal auf die ni<strong>ch</strong>t korrekt ange-<br />

zeigte Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e zurückgeführt werden kann. In diesem Fall ist die rückwirkende Rückzahlung der<br />

erhöhten Prämie si<strong>ch</strong>er eine adäquate Sanktion. Allerdings birgt die Einführung eines rückwirkenden An-<br />

spru<strong>ch</strong>s auf eine erhöhte Prämie au<strong>ch</strong> Gefahren:<br />

■ Finanzieller Ruin bzw. Belastung des VN: Sofern keine absolute Verwirkungsfrist eingeführt wird,<br />

birgt der Anspru<strong>ch</strong> auf erhöhte Prämie die Gefahr, dass der VN finanziell ruiniert wird, was unerwüns<strong>ch</strong>te<br />

Folgen ni<strong>ch</strong>t nur auf den VN, sondern au<strong>ch</strong> auf dessen soziales Umfeld (z.B. die Familie), zeitigen kann.<br />

Dies könnte insbesondere bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen der Fall sein, wenn die Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung<br />

z.B. erst 30 Jahre na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss publik wird. Vor diesem Hintergrund empfiehlt si<strong>ch</strong>, den zurückzu-<br />

zahlenden Betrag gegen oben zu plafonieren.<br />

■ Opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten der VU: Die VU könnten beginnen, hohe Fantasie-Tarife für Risiken zu<br />

entwickeln, die sie gar ni<strong>ch</strong>t versi<strong>ch</strong>ern wollen.<br />

219


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 43: ∆ 8 - Rückwirkender Anspru<strong>ch</strong> auf erhöhte Prämie: Die Auswirkungen im Überblick<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten -<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten +/- Auswirkungen auf die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken ist unklar<br />

Transaktionskosten -<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten +<br />

Abwicklungskosten - Inkasso bezügli<strong>ch</strong> der rückwirkend zu bezahlenden erhöhten Prämien<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Änderungs- & Anpassungskosten<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten -<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN) +<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN +<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI und VU<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI) -<br />

Ex ante Opportunismus der VI -<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU) -<br />

Ex post Opportunismus der VU<br />

Andere Verhaltensanpassungen -<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV -<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien +<br />

Produktqualität<br />

Vertragsrisiken des VN - Das Risiko der Rückzahlung der erhöhten Prämie bei APV steigt mit der Vertragslaufzeit<br />

Vertragsrisiken des VU + Das Risiko risikoinadäquater, d.h. zu tiefer Prämien, sinkt<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen +<br />

Adverse Selektion<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

+ Die Abnahme der Häufigkeit von APV führt zu risikoadäquateren Prämien<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t +/-<br />

Prämienvolumen ����/����<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

Auswirkungen auf die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken ist unklar<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ���� Zunahme der Transaktionskosten<br />

Prämienhöhe ����<br />

���� Prämienrückzahlungen der VN, die APV begangen haben<br />

���� Zunahme des Preises der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ����/����<br />

� � � �<br />

� � � �<br />

(1) Reduktion der adversen Selektion; (2) Reduktion der Prämien<br />

Zunahme der Vertragsrisiken senkt Na<strong>ch</strong>frage<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ����/���� Auswirkungen auf die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken ist unklar<br />

Instabilität des Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts + Reduktion der adversen Selektion<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt +/-<br />

Renten der VN +/- Auswirkungen auf die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken ist unklar<br />

Renten der VI = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Renten der VU = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Renten anderer Produzenten<br />

Stabileres Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t aufgrund einer Abnahme der adversen Selektion<br />

Zusätzli<strong>ch</strong>e Auseinandersetzungen zur Frage, wie ho<strong>ch</strong> die Prämie ausgefallen wäre, wenn der<br />

VN die entspre<strong>ch</strong>ende(n) Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e(n) korrekt angezeigt hätte<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize der VN zur wahrheitsgetreuen und sorgfältigen Erfüllung ihrer<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t steigen, weshalb die Häufigkeit von APV zunehmen wird<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize der VI (VU), die VN adäquat über die drastis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer<br />

APV zu informieren, sinken<br />

Missbrau<strong>ch</strong>spotential: VU definieren Fantasie-Tarife für Risiken, die sie gar ni<strong>ch</strong>t versi<strong>ch</strong>ern<br />

(wollen), um bei APV in den Genuss einer Opportunitätsprämie in Form höherer Rückzahlungen<br />

der VN zu kommen<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize der VN zur wahrheitsgetreuen und sorgfältigen Erfüllung ihrer<br />

vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t steigen, weshalb die Häufigkeit von APV abnehmen wird<br />

220


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

8.5 Zusammenfassung<br />

8.5.1 Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

In Tabelle 44 sind geplanten Veränderungen, die Problemstellung und die Ziele der Regulierung in<br />

Zusammenhang mit den vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten und den Re<strong>ch</strong>tsfolgen ihrer Verletzung in Form<br />

einer Überblickstabelle dargestellt.<br />

Tabelle 44: Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t: Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

∆: Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN und Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung (APV)<br />

<strong>VVG</strong>: Art. 6-7<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 18-23<br />

Problemstellung: (1) Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheiten, (2) Zu hohe Transaktionskosten, (3) Vermeidbare Vertragsrisiken, (4) Informationsdefizite des VN<br />

bezügli<strong>ch</strong> seinen vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten und den Re<strong>ch</strong>tsfolgen von APV, (5) Suboptimale Allokation der Vertragsund<br />

S<strong>ch</strong>adensrisiken<br />

Hauptziele: (1) Erhöhung der Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit, (2) Reduktion von Transaktionskosten, (3) Reduktion von Vertragsrisiken, (4)<br />

Reallokation von Vertrags- und S<strong>ch</strong>adensrisiken<br />

∆1: Konkretisierung und Vers<strong>ch</strong>ärfung der formalen Anforderungen an die Erhebli<strong>ch</strong>keit von Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en<br />

<strong>VVG</strong>: Art. 4 Abs. 1<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 15<br />

Problemstellung: Unklarheiten und Auseinandersetzungen zwis<strong>ch</strong>en VU und VN bezügli<strong>ch</strong> der Erhebli<strong>ch</strong>keit von Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en<br />

Ziele: (1) Reduktion der Vertragsrisiken des VN<br />

(2) Erhöhung der Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit → Reduktion der Transaktionskosten<br />

∆2: Beweistlastumkehr bezügli<strong>ch</strong> der Erhebli<strong>ch</strong>keit von Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en<br />

<strong>VVG</strong>: Art. 4 Abs. 3<br />

E-<strong>VVG</strong>: -<br />

Problemstellung: Beweise zur Erhebli<strong>ch</strong>keit von Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en befinden si<strong>ch</strong> in der Organisationsphäre des VU<br />

Ziel: Reduktion der Transaktionskosten<br />

∆3: Veränderung des Zeitpunkts für die Beurteilung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>terfüllung<br />

<strong>VVG</strong>: -<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 17<br />

Problemstellung: Unklare Abgrenzung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung von der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung infolge<br />

Gefahrserhöhung<br />

Ziele: (1) Reduktion der Vertragsrisiken des VN und des VU<br />

(2) Erhöhung der Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit → Reduktion der Transaktionskosten<br />

∆4: Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> APV und ihrer Re<strong>ch</strong>tsfolgen<br />

<strong>VVG</strong>: -<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 23 Abs. 1<br />

Problemstellung: Informationsdefizite des VN bezügli<strong>ch</strong> der Bedeutung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t und der Re<strong>ch</strong>tsfolgen ihrer Verletzung<br />

Ziele: (1) Bewusste und korrekte Wahrnehmung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten dur<strong>ch</strong> den VN<br />

(2) Reduktion der Vertragsrisiken des VN<br />

∆5: Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist bezügli<strong>ch</strong> der des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts infolge APV<br />

<strong>VVG</strong>: -<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 19 Abs. 2<br />

Problemstellung: (1) Langfristige Instabilität des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags aufgrund von Vertragsrisiken<br />

(2) S<strong>ch</strong>wierigkeiten bei der Beweisführung bezügli<strong>ch</strong> weit zurückliegender Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen<br />

Ziele: (1) Stabilisierung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags → Erhöhung der Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit<br />

(2) Reduktion von Transaktionskosten<br />

∆6: Einführung des Erfordernis eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldens<br />

<strong>VVG</strong>: Art. 6 Abs. 3<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 18 Abs. 2<br />

Problemstellung: Verlust der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung des VN bei lei<strong>ch</strong>tfahrlässiger APV<br />

Ziel: Reduktion der Vertragsrisiken des VN → Reallokation des S<strong>ch</strong>adenrisikos zu Lasten des VU<br />

∆7: Kausalität mit Teilung der Versi<strong>ch</strong>erungsleistung<br />

<strong>VVG</strong>: Art. 6 Abs. 3<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 18 Abs. 2<br />

Problemstellung: Keine Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung des VN für ni<strong>ch</strong>t-kausale Teils<strong>ch</strong>äden<br />

Ziel: Reduktion der Vertragsrisiken des VN → Reallokation des S<strong>ch</strong>adenrisikos zu Lasten des VU<br />

∆8: Einführung eines Anspru<strong>ch</strong>s des VU auf eine erhöhte Prämie im Fall einer APV<br />

<strong>VVG</strong>: -<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 19 Abs. 1 und Art. 20<br />

Problemstellung: Belastung der Versi<strong>ch</strong>erungsgemeins<strong>ch</strong>aft aufgrund risikoinädaquater (zu tiefer) Prämien<br />

Ziel: S<strong>ch</strong>utz der ehrli<strong>ch</strong>en VN<br />

Quelle: <strong>VVG</strong>, E-<strong>VVG</strong>, Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t (2009), eigene Analysen<br />

221


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

8.5.2 Auswirkungen der Regulierung<br />

In Tabelle 45 sind die ökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkungen, die wir in Zusammenhang mit den a<strong>ch</strong>t Änderungen<br />

im Berei<strong>ch</strong> der vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten erwarten, im Überblick dargestellt. Die erwarteten Aus-<br />

wirkungen können folgendermassen zusammengefasst werden:<br />

■ Die Präzisierungen zur Erhebli<strong>ch</strong>keit von Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en zum Zeitpunkt für die Beurteilung<br />

der Anzeigepfli<strong>ch</strong>terfüllung sowie zur vorvertragli<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>t sind zu begrüssen: Sie<br />

werden die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten senken und die Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit erhöhen, was zu tieferen Trans-<br />

aktionskosten führen wird. Vertragsrisiken sowohl der VN als au<strong>ch</strong> der VU können reduziert werden. Die-<br />

se Auswirkungen werden den Preis der Versi<strong>ch</strong>erung tendenziell senken und die Menge der versi<strong>ch</strong>erten<br />

Risiken tendenziell erhöhen.<br />

■ Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist: Die Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist<br />

bezügli<strong>ch</strong> der Geltendma<strong>ch</strong>ung der Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung bewerten wir kritis<strong>ch</strong>.<br />

Auf der einen Seite dürfte die Neuerung zu einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten führen, da<br />

die VU bei Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen, die später als 5 Jahre na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss publik werden, neu<br />

leistungspfli<strong>ch</strong>tig bleiben würden. Au<strong>ch</strong> würden die Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten sinken, die in<br />

Zusammenhang mit Auseinandersetzungen zwis<strong>ch</strong>en VN und VU bezügli<strong>ch</strong> Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen<br />

entstehen, die länger als 5 Jahre zurückliegen. Auf der anderen Seite müssen Verhaltensänderungen der<br />

VU erwartet werden, da die Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist ihre Vertragsrisiken erhöht.<br />

Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> würden die VU Massnahmen ergreifen, um die 5-jährige Verwirkungsfrist auszuhebeln.<br />

Zum Beispiel dur<strong>ch</strong> Vertragserneuerungen, so dass der Fristenlauf neu beginnt. Ebenso ist zu erwarten,<br />

dass die VU ihre Kontroll- und Überwa<strong>ch</strong>ungsmassnahmen intensivieren würden. Derartige Verhaltensän-<br />

derungen führen zu einer Erhöhung der Abwicklungskosten, der Vereinbarungskosten, der Kontroll- und<br />

Überwa<strong>ch</strong>ungskosten sowie der Änderungs- und Anpassungskosten. Ebenso kann ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen<br />

werden, dass die Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist die sorgfältige und wahrheitsgemässe Erfül-<br />

lung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> die VN negativ tangieren würde. Dadur<strong>ch</strong> werden die Prämien weniger<br />

risikoadäquat, was zusammen mit den zu erwartenden Erhöhung der Prämien die Menge der Risiken<br />

reduzieren wird, die von den Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekten fremdversi<strong>ch</strong>ert werden.<br />

■ Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis: Die Auswirkungen der Einführung eines<br />

qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis sind ähnli<strong>ch</strong>er Natur wie diejenigen der Einführung einer absoluten<br />

Verwirkungsfrist. Die Leistungspfli<strong>ch</strong>t der VU im Fall einer lei<strong>ch</strong>tfahrlässigen Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung führt<br />

zu einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten. Aufgrund von Verhaltensänderungen der VU ist eine<br />

Erhöhung der Kontroll- und Überwa<strong>ch</strong>ungskosten, der Vereinbarungskosten und der Änderungs- und<br />

Anpassungskosten zu erwarten, was si<strong>ch</strong> negativ auf den Preis der Versi<strong>ch</strong>erung auswirkt. Während die<br />

Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist zu einer Reduktion der Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten<br />

führt, ist für die Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis das Gegenteil zu erwarten: Es<br />

wird zusätzli<strong>ch</strong>e Auseinandersetzungen bezügli<strong>ch</strong> der Frage geben, ob eine lei<strong>ch</strong>tfahrlässige oder aber<br />

grobfahrlässige bzw. absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung vorliegt. Da die Einführung eines qualifizierten<br />

Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis die Sanktionen reduziert, die ein VN zu erwarten hat, wenn er seine Anzeige-<br />

pfli<strong>ch</strong>t verletzt, muss davon ausgegangen werden, dass die Häufigkeit von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen<br />

steigen wird. Insgesamt erwarten wir, dass die Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis den<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erung erhöht und die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken senken wird, so dass Wohlfahrtsver-<br />

luste in Form reduzierter Konsumenten- und Produzentenrenten resultieren.<br />

■ Erstreckung der Kausalität auf den Umfang des S<strong>ch</strong>adens: Die Erstreckung der Kausalität auf den<br />

Umfang des S<strong>ch</strong>adens wird zu einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten führen. Allenfalls sollten<br />

Personenversi<strong>ch</strong>erung von der Neuerung ausgenommen werden, da gesundheitli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>äden ni<strong>ch</strong>t mo-<br />

222


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

nokausal sein müssen. Dies birgt die Gefahr von Auseinandersetzungen zur Aufteilung bzw. Zuordnung<br />

eines S<strong>ch</strong>adens auf vers<strong>ch</strong>iedene medizinis<strong>ch</strong>e Ursa<strong>ch</strong>en.<br />

■ Anspru<strong>ch</strong> der VU auf die erhöhte Prämie: Dem geltenden Re<strong>ch</strong>t haftet der Makel an, dass Anzeige-<br />

pfli<strong>ch</strong>tverletzungen, die ni<strong>ch</strong>t zu einer Leistungsfreiheit des VU führen, für den VN, der die Anzeigepfli<strong>ch</strong>t-<br />

verletzung begangen hat, keine Konsequenzen hat. Der rückwirkende Anspru<strong>ch</strong> des VU auf die erhöhte<br />

Prämie s<strong>ch</strong>liesst diese Lücke. Allerdings führt die Neuerung zu zwei bedeutenden Problemen: Zum einen<br />

birgt die Regelung ein hohes Missbrau<strong>ch</strong>spotential: Die VU könnten dazu übergehen, Fantasie-Tarife für<br />

Risiken zu entwickeln, die sie gar ni<strong>ch</strong>t versi<strong>ch</strong>ern. Zum anderen kann die Verpfli<strong>ch</strong>tung zur Rückzahlung<br />

der erhöhten Prämie für die VN ein sehr hohes Vertragsrisiko darstellen. Insbesondere dann, wenn keine<br />

absolute Verwirkungsfrist eingeführt wird, kann der rückwirkende Anspru<strong>ch</strong> das VU auf die erhöhte Prä-<br />

mie einen VN finanziell ruinieren, was ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert ist. Wir empfehlen deshalb, im Fall der Einfüh-<br />

rung eines sol<strong>ch</strong>en Anspru<strong>ch</strong>s den ges<strong>ch</strong>uldeten Betrag gegen oben zu plafonieren. Au<strong>ch</strong> ist der Anspru<strong>ch</strong><br />

des VU auf rückwirkende Prämienzahlung ökonomis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sinnvoll, wenn das VU bereits eine Leistungs-<br />

befreiung geltend ma<strong>ch</strong>en kann, die betragsmässig die ges<strong>ch</strong>uldete Prämienrückzahlung übersteigt.<br />

8.5.3 Empfehlungen<br />

Vor dem Hintergrund der dur<strong>ch</strong>geführten juristis<strong>ch</strong>en und ökonomis<strong>ch</strong>en Analysen können wir folgende<br />

Empfehlungen formulieren:<br />

■ Interpretationsspielräume: Die juristis<strong>ch</strong>e Analyse hat ergeben, dass Art. 18-20 eine Vielzahl von<br />

Interpretationsspielräumen und Unklarheiten inhärent sind. Diesbezügli<strong>ch</strong> verweisen wir auf die Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

8.1.2 und 8.1.3. Wir empfehlen, Art. 18-20 in Bezug auf diese Unklarheiten zu überarbeiten bzw. neu zu<br />

formulieren.<br />

■ Konkretisierungen: Die geplanten Veränderungen zur Erhebli<strong>ch</strong>keit von Gefahrstatsa<strong>ch</strong>en, die Kon-<br />

kretisierung des Zeitpunkts der Erfüllung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t und die veränderten Anforderungen an die<br />

Information der VU über die Re<strong>ch</strong>tsfolgen der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen sind zu begrüssen.<br />

■ Re<strong>ch</strong>tsfolgen von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen: Die geplanten Veränderungen zu den Re<strong>ch</strong>tsfolgen<br />

der Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen (Einführung einer absoluten Verwirkungsfrist, Einführung eines qualifizier-<br />

ten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis und rückwirkender Anspru<strong>ch</strong> des VU auf die erhöhte Prämie) können wir<br />

ni<strong>ch</strong>t zur Umsetzung empfehlen. Da eine Sanktionierung von Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzungen, die ni<strong>ch</strong>t zu<br />

einer Leistungsbefreiung des VU führen, aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert ist, empfehlen wir, den<br />

Anspru<strong>ch</strong> auf die erhöhte Prämie sowohl gegen oben (Begrenzung der zusätzli<strong>ch</strong>en Vertragsrisiken des<br />

VN) als au<strong>ch</strong> gegen unten (pönaler Mindestbetrag, der bei kurzer Vertragslaufzeit greift) zu plafonieren.<br />

■ Re<strong>ch</strong>tsfolgen der Verletzung der Informationspfli<strong>ch</strong>t der VU/VI bezügli<strong>ch</strong> der Re<strong>ch</strong>tsfolgen<br />

einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung: Die verfügbaren empiris<strong>ch</strong>en Informationen indizieren, dass opportu-<br />

nistis<strong>ch</strong>en VI, wel<strong>ch</strong>e die VN ni<strong>ch</strong>t adäquat über die Bedeutung der vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten und<br />

die dramatis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung informieren, das grösste Problem darstellen,<br />

das es im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt in Zusammenhang mit der vorvertragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t der<br />

VN gibt. Dieses Problem wird au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> die Einführung eines qualifizierten Vers<strong>ch</strong>uldenserfordernis<br />

gelöst. Aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t empfehlen si<strong>ch</strong> die folgenden Massnahmen, um diesem Problem zu be-<br />

gegnen:<br />

- Sanktionierung mit pönalem Charakter: Ein VI, der einen VN indadäquat über die Re<strong>ch</strong>tsfolgen<br />

einer Anzeigepfli<strong>ch</strong>tverletzung informiert, muss mit einer monetären Strafe belegt werden, die<br />

pönalen Charakter hat. Dies deshalb, weil davon ausgegangen werden muss, dass ni<strong>ch</strong>t alle Ver-<br />

letzungen der Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> der Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer APV bewiesen werden kön-<br />

nen. Bezei<strong>ch</strong>nen wir mit p die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, dass eine Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzung bewie-<br />

223


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

sen werden kann, mit O den erwarteten Ertrag einer Informationspfli<strong>ch</strong>tverletzung (Opportuni-<br />

tätsprämie) für den VI und für das VU und mit S die monetäre Busse, mit wel<strong>ch</strong>er die Verletzung<br />

der Informationspfli<strong>ch</strong>t belegt wird, dann muss die monetäre Busse derart ho<strong>ch</strong> sein, dass gilt:<br />

S > p × O. Andernfalls ist es für die VI und die VU rational, ihre Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> der<br />

Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer APV zu verletzen.<br />

- Verpfli<strong>ch</strong>tung der VI zur mündli<strong>ch</strong>en Information über die Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer APV: Die Erfüllung<br />

der Informationspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong> der dramatis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsfolgen einer APV (Art. 23 Abs. 1 E-<br />

<strong>VVG</strong>) sollte ni<strong>ch</strong>t nur in s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>er Form, sondern au<strong>ch</strong> in mündli<strong>ch</strong>er Form verlangt werden.<br />

Denn es gibt viele VN, wel<strong>ch</strong>e die s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Unterlagen ni<strong>ch</strong>t lesen. Wir empfehlen, einen kur-<br />

zen Text (2 Sätze) vorzugeben, der den VN von den VI von Gesetzes wegen laut und deutli<strong>ch</strong> vor-<br />

gelesen werden muss.<br />

224


8 Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t des VN (Art. 15-23 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 45: Vorvertragli<strong>ch</strong>e Anzeigepfli<strong>ch</strong>t(verletzung): Die ökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkungen im Überblick<br />

Geplante Veränderung<br />

Erhebli<strong>ch</strong>keit BeweislastInformationsVerwirkungs- Qualifiziertes Teilung der Rückwirkender<br />

v. Gefahrstats. umkehr Zeitpunkt pfli<strong>ch</strong>tfrist Vers<strong>ch</strong>ulden S<strong>ch</strong>adenssumme Anspru<strong>ch</strong><br />

Total<br />

Auswirkungen auf...<br />

? 1 ? 2 ? 3 ? 4 ? 5 ? 6 ? 7 ? 8<br />

Art.-Nr. im E-<strong>VVG</strong> 15.3 15.3 17 23.1 19.4 18.2 18.2 19.1/20<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten + + + + - - + - -<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten + + + - - + +/- -<br />

Transaktionskosten + + + + - - - - -<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten + - - + -<br />

Abwicklungskosten - -<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten + - - -<br />

Änderungs- & Anpassungskosten - - - -<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten + + + + + - - - +/-<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN) + + + - - - + -<br />

Informationsdefizite der VN + +<br />

Ex ante Opportunismus der VN + + - - - + -<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI und VU +<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

+ + + + - +<br />

Ex ante Opportunismus der VI + + + + - +<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU)<br />

Ex post Opportunismus der VU +<br />

Legende: vgl. Seite 76<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

+ - - - -<br />

Andere Verhaltensanpassungen - - - -<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

- - + - -<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien + - - = + -<br />

Produktqualität<br />

Vertragsrisiken des VN + + + + + + + - +<br />

Vertragsrisiken des VU + + - - + -<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen + - - + -<br />

Adverse Selektion + - - = + -<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t + + + + - - = +/- -<br />

Prämienvolumen = = = ���� ���� ���� = ����/���� ����<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV ���� ���� ���� ���� ���� ���� ����<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ���� ���� ���� ���� ���� ���� ���� ���� ����<br />

Prämienhöhe = ���� = ���� ���� ���� ���� ���� ����<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ���� ���� ���� ���� ���� ���� = ����/���� ����<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ���� ���� ���� ���� ���� ���� ���� ����/���� ����<br />

Instabilität des Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts + - - + -<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt + + + + - - + +/- -<br />

Renten der VN + + + + - - + +/- -<br />

Renten der VI = = = = - - = = -<br />

Renten der VU = = = = - - = = -<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

225


9 S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung (Art. 34 / 41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

9 S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung (Art. 34 / 41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

9.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

9.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

In Tabelle 46 sind die relevanten gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen, wel<strong>ch</strong>e das Regulierungsszenario und das<br />

Referenzszenario definieren, einander gegenübergestellt.<br />

Tabelle 46: (Kosten für) S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung: Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en<br />

Grundlagen<br />

Regulierungszenario RZ) Referenzszenario (BS)<br />

Art. 34 (Abwendung und Minderung des S<strong>ch</strong>adens) E-<strong>VVG</strong> Art. 61 (Rettungspfli<strong>ch</strong>t) <strong>VVG</strong><br />

Uneinges<strong>ch</strong>ränkter Geltungsberei<strong>ch</strong> Geltungsberei<strong>ch</strong>: S<strong>ch</strong>adenversi<strong>ch</strong>erungen<br />

34.1. Die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerinnen und Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer<br />

und die Anspru<strong>ch</strong>sbere<strong>ch</strong>tigten haben bei unmittelbar<br />

drohendem oder eingetretenem befür<strong>ch</strong>teten Ereignis, soweit<br />

mögli<strong>ch</strong> und zumutbar, für die Abwendung oder Minderung des<br />

S<strong>ch</strong>adens zu sorgen.<br />

34.2. Sie haben zumutbare Weisungen des<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmens zu befolgen und sol<strong>ch</strong>e einzuholen,<br />

wenn dies vertragli<strong>ch</strong> vereinbart oder na<strong>ch</strong> den Umständen<br />

erforderli<strong>ch</strong> ist.<br />

Art. 41 (Kosten für S<strong>ch</strong>adenabwendung, -minderung und -<br />

ermittlung) E-<strong>VVG</strong><br />

41.1. Aufwendungen zur Abwendung und Minderung des<br />

S<strong>ch</strong>adens gemäss Artikel 34 sind vom Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

selbst dann zu übernehmen, wenn die Massnahmen erfolglos<br />

geblieben sind, sofern sie die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin, der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer oder die anspru<strong>ch</strong>sbere<strong>ch</strong>tigte Person für<br />

geboten halten durfte.<br />

41.2. Das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen hat die<br />

Aufwendungen für die Ermittlung und Feststellung des<br />

S<strong>ch</strong>adens zu übernehmen.<br />

41.3. Soweit in den Fällen na<strong>ch</strong> den Absätzen 1 und 2 das<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen im Einzelfall Aufwendungen<br />

veranlasst hat, muss es sie au<strong>ch</strong> dann übernehmen, wenn sie<br />

zusammen mit den übrigen Leistungen die Versi<strong>ch</strong>erungssumme<br />

übersteigen.<br />

41.4. Ist das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen bere<strong>ch</strong>tigt, seine<br />

Leistung zu kürzen, so kann es die Kostenübernahme<br />

entspre<strong>ch</strong>end reduzieren.<br />

Art. 42 (Befreiung von der Leistungspfli<strong>ch</strong>t und Kürzung<br />

der Leistung) E-<strong>VVG</strong><br />

42.5 Bei Verletzung einer Obliegenheit ist das<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen bere<strong>ch</strong>tigt, seine Leistung<br />

entspre<strong>ch</strong>end dem Grad des Vers<strong>ch</strong>uldens der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin, des Versi<strong>ch</strong>erungsnehmers oder der<br />

anspru<strong>ch</strong>sbere<strong>ch</strong>tigten Person zu kürzen, es sei denn, diese<br />

weisen na<strong>ch</strong>, dass die Leistungspfli<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> bei Erfüllung der<br />

Obliegenheit entstanden wäre.<br />

61.1. Der Anspru<strong>ch</strong>sbere<strong>ch</strong>tigte ist verpfli<strong>ch</strong>tet, na<strong>ch</strong> Eintritt des<br />

befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses tunli<strong>ch</strong>st für Minderung des S<strong>ch</strong>adens zu<br />

sorgen. Er muss, wenn ni<strong>ch</strong>t Gefahr im Verzuge liegt, über die zu<br />

ergreifenden Massregeln die Weisung des Versi<strong>ch</strong>erers einholen und<br />

befolgen.<br />

Art. 70 (Rettungskosten) <strong>VVG</strong><br />

70.1. Der Versi<strong>ch</strong>erer ist gehalten, dem Anspru<strong>ch</strong>sbere<strong>ch</strong>tigten die<br />

zum Zwecke der S<strong>ch</strong>adensminderung (Art. 61) ni<strong>ch</strong>t offenbar<br />

unzweckmässig aufgewendeten Kosten au<strong>ch</strong> dann zu vergüten,<br />

wenn die getroffenen Massnahmen ohne Erfolg geblieben sind, [...].<br />

67.5 Die Kosten der S<strong>ch</strong>adensermittlung tragen die Parteien zu<br />

glei<strong>ch</strong>en Teilen<br />

70.1. Der Versi<strong>ch</strong>erer ist gehalten, dem Anspru<strong>ch</strong>sbere<strong>ch</strong>tigten die<br />

zum Zwecke der S<strong>ch</strong>adensminderung (Art. 61) ni<strong>ch</strong>t offenbar<br />

unzweckmässig aufgewendeten Kosten au<strong>ch</strong> dann zu vergüten,<br />

wenn [...] diese Kosten und der S<strong>ch</strong>adenersatz zusammen den<br />

Betrag der Versi<strong>ch</strong>erungssumme übersteigen.<br />

70.2. Errei<strong>ch</strong>t die Versi<strong>ch</strong>erungssumme den Ersatzwert ni<strong>ch</strong>t,<br />

so trägt der Versi<strong>ch</strong>erer die Kosten in dem Verhältnisse, in<br />

dem die Versi<strong>ch</strong>erungssumme zum Ersatzwerte steht.<br />

61.2. Hat der Anspru<strong>ch</strong>sbere<strong>ch</strong>tigte diese Pfli<strong>ch</strong>ten in ni<strong>ch</strong>t zu<br />

ents<strong>ch</strong>uldigender Weise verletzt, so ist der Versi<strong>ch</strong>erer bere<strong>ch</strong>tigt,<br />

die Ents<strong>ch</strong>ädigung um den Betrag zu kürzen, um den sie si<strong>ch</strong> bei<br />

Erfüllung jener Obliegenheiten vermindert hätte.<br />

Anmerkungen: RS = Regulierungsszenario; BS = Referenzszenario; Orange = halbzwingendes Re<strong>ch</strong>t; Grün: dispositives Re<strong>ch</strong>t; fett:<br />

inhaltli<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>iede<br />

Quelle: E-<strong>VVG</strong>, <strong>VVG</strong><br />

226


9 S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung (Art. 34 / 41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

9.1.2 Identifikation der Veränderungen<br />

Art. 34 und 41 E-<strong>VVG</strong> enthalten grundsätzli<strong>ch</strong> Bestimmung zu drei vers<strong>ch</strong>iedenen Fragestellungen:<br />

■ Fragestellung 1: Zu wel<strong>ch</strong>en Massnahmen zur Abwendung und Minderung von S<strong>ch</strong>äden sind die<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer verpfli<strong>ch</strong>tet?<br />

■ Fragestellung 2: Wel<strong>ch</strong>e Kosten, die aufgrund dieser Massnahmen entstehen, haben die Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsunternehmen in wel<strong>ch</strong>em Ausmass zu tragen?<br />

■ Fragestellung 3: Wel<strong>ch</strong>e Kosten, die in Zusammenhang mit der Ermittlung des S<strong>ch</strong>adens entstehen,<br />

haben die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen in wel<strong>ch</strong>em Umfang zu tragen?<br />

Bezügli<strong>ch</strong> aller drei Fragestellungen müssen folgende zwei Veränderungen berücksi<strong>ch</strong>tigt werden:<br />

■ Die gesetzli<strong>ch</strong>en Regelungen im Referenzszenario waren nur dispositiver Natur. Diejenigen im Regulie-<br />

rungsszenario (Art. 34 und 41 E-<strong>VVG</strong>) sind hingegen halbzwingender Natur.<br />

■ Die relevanten Regelungen im geltenden <strong>VVG</strong> beziehen si<strong>ch</strong> nur auf S<strong>ch</strong>adenversi<strong>ch</strong>erungen. Der Gel-<br />

tungsberei<strong>ch</strong> von Art. 34 und 41 E-<strong>VVG</strong> ist demgegenüber ni<strong>ch</strong>t einges<strong>ch</strong>ränkt: Sie gelten für alle Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsverträge.<br />

Bezügli<strong>ch</strong> der ersten Fragestellung ist neu, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer ni<strong>ch</strong>t nur bei eingetretenem<br />

Ereignis, sondern au<strong>ch</strong> bei unmittelbar drohendem Ereignis zu s<strong>ch</strong>adensmindernden Massnahmen ver-<br />

pfli<strong>ch</strong>tet sind (zeitli<strong>ch</strong>e Vorverlegung der S<strong>ch</strong>adenminderungspfli<strong>ch</strong>t). Bezügli<strong>ch</strong> dieser Neuerung müssen<br />

folgende Aspekte berücksi<strong>ch</strong>tigt werden:<br />

■ Prof. Dr. Stephan Fuhrer ist der Ansi<strong>ch</strong>t, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer bereits heute, unter dem gel-<br />

tenden <strong>VVG</strong>, bei unmittelbar drohendem Ereignis zu Massnahmen der S<strong>ch</strong>adenminderung und –<br />

abwendung verpfli<strong>ch</strong>tet sind. Er verweist in diesem Zusammenhang auf folgenden Fall: Bei einem Reihen-<br />

einfamilienhaus kommt es zu einem Brand, wobei das Haus des Na<strong>ch</strong>bars bereits Feuer gefangen hat,<br />

ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> dasjenige des Versi<strong>ch</strong>erungsnehmers. In diesem Fall ist der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer verpfli<strong>ch</strong>tet,<br />

die Feuerwehr zu rufen. Prof. Dr. Fuhrer weist allerdings relativierend daraufhin, dass der Fall, in dem der<br />

S<strong>ch</strong>aden unmittelbar droht, in der Literatur umstritten ist. Dr. Stephan Weber bestätigt, dass die Ret-<br />

tungspfli<strong>ch</strong>t bei unmittelbar drohendem Ereignis in der Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung umstritten ist. Die Expertenkom-<br />

mission wollte diesbezügli<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit s<strong>ch</strong>affen.<br />

■ An der Formulierung von Art. 34 Abs. 1 ist wi<strong>ch</strong>tig, dass von «unmittelbar drohenden» und ni<strong>ch</strong>t von<br />

«drohenden Ereignissen» die Rede ist. «Unmittelbar drohend» ist dabei so zu verstehen, dass der «Point<br />

of no Return» bereits übers<strong>ch</strong>ritten ist und es zwingend zum S<strong>ch</strong>aden kommen wird, wenn keine Mass-<br />

nahmen der S<strong>ch</strong>adenabwendung ergriffen werden. In diesem Sinne haben die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

– entgegen entspre<strong>ch</strong>ender Verlautbarungen im Rahmen der Vernehmlassung – die Kosten von Präventi-<br />

onsmassnahmen in Zusammenhang mit der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung oder die Kosten von S<strong>ch</strong>neeräu-<br />

mungsaktivitäten der Gemeinden ni<strong>ch</strong>t zu tragen.<br />

Bezügli<strong>ch</strong> der zweiten Fragestellung (Übernahme der S<strong>ch</strong>adenminderungskosten dur<strong>ch</strong> das Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsunternehmen) ist neu, dass die Übernahme von S<strong>ch</strong>adenminderungskosten einges<strong>ch</strong>ränkt wird,<br />

wenn diese Kosten zusammen mit den übrigen Leistungen die Versi<strong>ch</strong>erungssumme übersteigen: Mit Art.<br />

70 Abs. 1 <strong>VVG</strong> waren die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen gehalten, die zum Zwecke der S<strong>ch</strong>adenminderung<br />

ni<strong>ch</strong>t offenbar unzweckmässig aufgewendeten Kosten au<strong>ch</strong> dann zu vergüten, wenn diese Kosten und<br />

der S<strong>ch</strong>adensersatz zusammen den Betrag der Versi<strong>ch</strong>erungssumme übersteigen. Im E-<strong>VVG</strong> gilt dies mit<br />

Art. 41 Abs. 3 neu nur no<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong> Kosten für Massnahmen zur S<strong>ch</strong>adenminderung und -abwendung,<br />

die das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen selbst veranlasst hat.<br />

227


9 S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung (Art. 34 / 41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Au<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong> der dritten Fragestellung (Übernahme der S<strong>ch</strong>adenermittlungskosten dur<strong>ch</strong> das Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsunternehmen) gibt es eine Neuerung: Für die Interpretation von Art. 41 Abs. 2 ist wi<strong>ch</strong>tig, dass<br />

mit S<strong>ch</strong>adenermittlungskosten nur Kosten gemeint sind, die bei dritten Parteien anfallen (u.a. Guta<strong>ch</strong>ter-<br />

kosten und Geri<strong>ch</strong>tskosten, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> Anwaltskosten). Dies bedeutet, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsunterneh-<br />

men z.B. Opportunitätskosten des Versi<strong>ch</strong>erungsnehmers, die bei diesem in Zusammenhang mit der<br />

S<strong>ch</strong>adenermittlung anfallen (Beispiel: Erstellen einer S<strong>ch</strong>adensliste), ni<strong>ch</strong>t tragen müssen. Laut Prof. Dr.<br />

Stephan Fuhrer müssen diese Kosten der S<strong>ch</strong>adenermittlung objektiv gere<strong>ch</strong>tfertigt sein, ansonsten müs-<br />

sen sie vom Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen ni<strong>ch</strong>t getragen werden. Gemäss Prof. Dr. Fuhrer und Dr. Weber<br />

führt Art. 41 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong> nur in Zusammenhang mit Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren zu einer Veränderung.<br />

Denn die S<strong>ch</strong>adenermittlungskosten, die in einem normalen S<strong>ch</strong>adensfall entstehen, werden s<strong>ch</strong>on unter<br />

dem geltenden <strong>VVG</strong> vollumfängli<strong>ch</strong> von den Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen getragen, da sie als Teil des<br />

S<strong>ch</strong>adens gelten. In Zusammenhang mit Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren führt Art. 41 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong> zu einer<br />

Kostenumverteilung zu Lasten der VU: Mit Art. 67. Abs. 5 <strong>VVG</strong> teilen si<strong>ch</strong> das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

und der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer die Kosten von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren. Mit Art. 41 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong> ha-<br />

ben die VU die Kosten von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren neu alleine zu tragen.<br />

9.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

■ Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t (Art. 34 Abs. 1)→ Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit und Vermeidung von<br />

abwendbaren S<strong>ch</strong>aden: Mit der Ausdehnung der Pfli<strong>ch</strong>t zur S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung auf<br />

«unmittelbar drohende befür<strong>ch</strong>tete Ereignisse» sollen gemäss dem erläuternden Beri<strong>ch</strong>t abwendbare<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsfälle verhindert werden: «Die Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>eint unter dem Gesi<strong>ch</strong>ts-<br />

punkt der Vermeidung von abwendbaren Versi<strong>ch</strong>erungsfällen als sinnvoll, zumal der Verpfli<strong>ch</strong>tung des Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsnehmers zur Abwendung (und Minderung) des S<strong>ch</strong>adens die Kostenersatzpfli<strong>ch</strong>t des Versi<strong>ch</strong>erungsunterneh-<br />

mens für die getroffenen Massnahmen bis zur Höhe der vereinbarten Versi<strong>ch</strong>erungssumme gegenüber steht (Art. 41<br />

E-<strong>VVG</strong>). Mit dieser Regelung wird die alte Kontroverse um die Anerkennung einer vorgezogenen Rettungspfli<strong>ch</strong>t<br />

positiv (und sa<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>t) ausgeräumt.» (Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t 2009, 43). Mit der Vorerstreckung der Rettungs-<br />

pfli<strong>ch</strong>t wird allerdings au<strong>ch</strong> das Ziel verfolgt, Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit zu s<strong>ch</strong>affen. Wie bereits ausgeführt war<br />

bisher umstritten war, ob die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer unter dem geltenden <strong>VVG</strong> bei unmittelbar drohenden<br />

Ereignissen zu S<strong>ch</strong>adenabwendungs- und S<strong>ch</strong>adenminderungsmassnahmen verpfli<strong>ch</strong>tet waren.<br />

■ Begrenzung der Kosten für ni<strong>ch</strong>t angeordnete Massnahmen zur S<strong>ch</strong>adenminderung und –<br />

abwendung (Art. 41 Abs. 3) → Begrenzung des Risikos der VU: Die Begrenzung verfolgt das Ziel,<br />

das Kostenrisiko, das einem VU aufgrund von Massnahmen entsteht, die ein VN zur S<strong>ch</strong>adenabwendung<br />

und -minderung dur<strong>ch</strong>führt, gegen oben zu plafonieren.<br />

9.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung<br />

■ Übernahme der S<strong>ch</strong>adenermittlungskosten dur<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen → Anreize<br />

zur ineffizienten S<strong>ch</strong>adenermittlung dur<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer: Da mit Art. 41 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong><br />

si<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer ni<strong>ch</strong>t mehr an den Kosten der S<strong>ch</strong>adenermittlung beteiligen müssen, wer-<br />

den die Kosten der S<strong>ch</strong>adenermittlung steigen, da diese keinen ökonomis<strong>ch</strong>en Anreizen hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> einer<br />

effizienten S<strong>ch</strong>adenermittlung mehr ausgesetzt sind. SVV (2009a, 33-34) formuliert diese Argumentati-<br />

onsfigur folgendermassen: «Sollte si<strong>ch</strong> die im Entwurf vorges<strong>ch</strong>lagene Regelung der Kostentragung zu Lasten der<br />

Versi<strong>ch</strong>erer dur<strong>ch</strong>setzen, ist zu befür<strong>ch</strong>ten, dass versi<strong>ch</strong>erte Personen den geringsten eigenen Aufwand dem Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rer in Re<strong>ch</strong>nung stellen: Angefangen beim Absetzen einer S<strong>ch</strong>adenmeldung, über den Zeitaufwand für das Auflisten<br />

von S<strong>ch</strong>adenpositionen und den Augens<strong>ch</strong>ein am S<strong>ch</strong>adensort bis hin zu Kopier- und Telefonspesen. Die versi<strong>ch</strong>erte<br />

Person wird dazu neigen, si<strong>ch</strong> bei diesen Handlungen dur<strong>ch</strong> fa<strong>ch</strong>kundige externe Personen vertreten zu lassen, da sie<br />

228


9 S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung (Art. 34 / 41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

ja die damit verbundenen Kosten auf die Versi<strong>ch</strong>ertengemeins<strong>ch</strong>aft abwälzen kann. In Versi<strong>ch</strong>erungsmissbrau<strong>ch</strong>sfäl-<br />

len kann der Ermittlungsaufwand zur Überführung eines unehrli<strong>ch</strong>en Kunden heute von diesem zurückgefordert<br />

werden. Die neue Bestimmung kann aber dazu führen, dass au<strong>ch</strong> dieser Aufwand von der Versi<strong>ch</strong>ertengemeins<strong>ch</strong>aft<br />

getragen werden muss.»<br />

■ Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t (Art. 34 Abs. 1)→ Deckungserweiterung → höhere Prä-<br />

mien: Die zeitli<strong>ch</strong>e Erweiterung der Pfli<strong>ch</strong>t zur S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung auf Fälle «unmittel-<br />

bar drohender» Ereignisse führe zu einer «kaum abs<strong>ch</strong>ätzbaren, mit Si<strong>ch</strong>erheit substantiellen Deckungs-<br />

erweiterung» (SVV 2009a, 32), die letztli<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungsgemeins<strong>ch</strong>aft in Form höherer Prämien zu<br />

finanzieren hat. In diesem Sinne fordert der SVV Deckungsbes<strong>ch</strong>ränkungen: «Im Weiteren bedarf es weiterer<br />

Deckungsbes<strong>ch</strong>ränkungen, damit die Risiken adäquat eingegrenzt und ni<strong>ch</strong>t der gesamten Versi<strong>ch</strong>ertengemeins<strong>ch</strong>aft<br />

sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t begründbare und teure Risiken übertragen werden.» (SVV 2009a, 33). Concordia (2009, 6) mö<strong>ch</strong>te<br />

die Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung von Art. 41 E-<strong>VVG</strong> ausges<strong>ch</strong>lossen wissen: «In der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung<br />

kann die vorges<strong>ch</strong>lagene Regelung u.U. dazu führen, dass aufgrund der S<strong>ch</strong>adenminderungspfli<strong>ch</strong>t Leistungen zu<br />

übernehmen wären, die ni<strong>ch</strong>t in den vertragli<strong>ch</strong> vereinbarten Leistungskatalog gehören (z.B. Rettungskosten bei Er-<br />

krankung im Ausland oder Kosten einer ambulanten Behandlung statt einer stationären Behandlung): Dies darf ni<strong>ch</strong>t<br />

sein. Die Anwendbarkeit der Bestimmung auf die Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung ist daher auszus<strong>ch</strong>liessen.»<br />

Des Weiteren ma<strong>ch</strong>te der SVV in seiner Vernehmlassung zwei weitere Kritikpunkte geltend, die unseres<br />

Era<strong>ch</strong>tens aufgrund juristis<strong>ch</strong>er Überlegungen ni<strong>ch</strong>t bere<strong>ch</strong>tigt sind:<br />

■ Verbot von Obliegenheiten, die ni<strong>ch</strong>t nur bei unmittelbar drohendem Ereignis zu erfüllen<br />

sind: Gemäss dem SVV folgt aus dem halbzwingenden Charakter von Art. 34 E-VVV, dass die Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsnehmer vertragli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr zu Obliegenheiten verpfli<strong>ch</strong>tet werden können, die ni<strong>ch</strong>t nur bei un-<br />

mittelbar drohendem Ereignis zu erfüllen sind: «Die Bestimmung muss deshalb dispositiv ausgestaltet sein, ni<strong>ch</strong>t<br />

zuletzt au<strong>ch</strong> aus wettbewerbspolitis<strong>ch</strong>en Überlegungen und weil sonst die Pfli<strong>ch</strong>ten des Versi<strong>ch</strong>erungsnehmers/in<br />

ni<strong>ch</strong>t genügend konkretisiert werden können. Die zwingende Ausgestaltung verunmögli<strong>ch</strong>t die Aufnahme von Bedin-<br />

gungen in den Vertrag, wel<strong>ch</strong>e Obliegenheiten konkretisieren, die ni<strong>ch</strong>t nur bei unmittelbar drohendem Ereignis zu<br />

erfüllen sind (z.B. Alarm einstellen bei der Einbru<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erung; S<strong>ch</strong>nee von den Dä<strong>ch</strong>ern räumen oder Heizung<br />

eins<strong>ch</strong>alten um Frosts<strong>ch</strong>äden zu vermeiden). Bleibt Art. 34 E-<strong>VVG</strong> zwingend, könnten vertragli<strong>ch</strong>e Obliegenheiten zur<br />

Verminderung der Gefahr und zur Verhütung der Gefahrserhöhung, wie sie heute dur<strong>ch</strong> Art. 29 <strong>VVG</strong> ausdrückli<strong>ch</strong><br />

ermögli<strong>ch</strong>t werden, ni<strong>ch</strong>t mehr gültig vereinbart werden.» (SVV 2009a, 28). Diese Auslegung ist unseres Era<strong>ch</strong>-<br />

tens ni<strong>ch</strong>t korrekt: Art. 34 Abs. 1 E-<strong>VVG</strong> verpfli<strong>ch</strong>tet den Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer, selbständig für die Ab-<br />

wendung oder Minderung des S<strong>ch</strong>adens zu sorgen, wenn ein unmittelbar drohendes oder eingetretenes<br />

Ereignis auftritt. Es handelt si<strong>ch</strong> also um eine gesetzli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>adenabwendungs- und -minderungspfli<strong>ch</strong>t.<br />

Art. 34 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong> hingegen betrifft Weisungen der Versi<strong>ch</strong>erung an den Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer zur<br />

S<strong>ch</strong>adenminderung oder -abwendung. Sol<strong>ch</strong>e werden soweit zugelassen, als diese zumutbar sind. Damit<br />

wird eine vertragli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>adenabwendungs- und -minderungspfli<strong>ch</strong>t ermögli<strong>ch</strong>t. Dass diese denselben<br />

Bes<strong>ch</strong>ränkungen wie Art. 34 Abs.1 E-<strong>VVG</strong> unterliegt (Notwendigkeit eines zumindest unmittelbar drohen-<br />

den Ereignisses), ist unseres Era<strong>ch</strong>tens keine korrekte Interpretation.<br />

■ Kosten für die Abwehr ungere<strong>ch</strong>tfertigter Anspru<strong>ch</strong>e: Der SVV ma<strong>ch</strong>t geltend: «Der Wortlaut lässt<br />

au<strong>ch</strong> offen, ob die Kosten für die Abwehr ungere<strong>ch</strong>tfertigter Ansprü<strong>ch</strong>e (Anwalts-, Guta<strong>ch</strong>terkosten) als Ermittlungs-<br />

kosten vom Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer übernommen werden müssen. Die Abwehr ungere<strong>ch</strong>tfertigter Ansprü<strong>ch</strong>e ist aber<br />

eine Kernaufgabe des Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erers, wel<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungssumme begrenzt sein muss; dies<br />

au<strong>ch</strong> wenn der Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer die Aufträge vergeben hat. Bei internationalen Prozessen können diese Kosten<br />

exorbitant ho<strong>ch</strong> sein und müssen aus Gründen der Kalkulierbarkeit und Rückversi<strong>ch</strong>erbarkeit dur<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

summe begrenzt werden können.» (SVV 2009a, 34). Anwaltskosten gelten unter geltendem <strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t als<br />

S<strong>ch</strong>adenermittlungskosten. Die Kosten für ein geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Verfahren und ein aussergeri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Sa<strong>ch</strong>ver-<br />

229


9 S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung (Art. 34 / 41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

ständigenverfahren (v.a. die Honorare der Sa<strong>ch</strong>verständigen) fielen hingegen darunter (BSK <strong>VVG</strong>-<br />

SÜSSKIND/HÖNGER, Basel 2001, Art.67 Rz.19).<br />

9.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

Art. 34 und 41 E-<strong>VVG</strong> betreffen die Kosten von Massnahmen zur S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung<br />

sowie die Kosten der S<strong>ch</strong>adenermittlung. Gemäss den befragten VU betragen die Kosten von Massnah-<br />

men zur S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung je na<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>e zwis<strong>ch</strong>en 0 und 2 Prozent<br />

der jährli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>adenssumme. Die Kosten der S<strong>ch</strong>adenermittlung belaufen si<strong>ch</strong> je na<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

bran<strong>ch</strong>e auf 0.5 bis 2 Prozent der jährli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>adenssumme.<br />

9.4.1 ∆ 1 : Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t<br />

Nutzen der Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t<br />

Die Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t auf unmittelbar drohende S<strong>ch</strong>äden, die mit an Si<strong>ch</strong>erheit grenzen-<br />

der Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit eintreten werden, wird dazu führen, dass die VN ihre Rettungspfli<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong><br />

unmittelbar drohenden S<strong>ch</strong>äden in stärkerem Ausmass wahrnehmen werden als dies unter dem gelten-<br />

den <strong>VVG</strong> der Fall ist. Dadur<strong>ch</strong> entstehen zwar zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten der S<strong>ch</strong>adenabwendung. Falls die<br />

Formulierung «[...] sofern sie [die Massnahmen der S<strong>ch</strong>adenabwendung] die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin, der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer oder die anspru<strong>ch</strong>sbere<strong>ch</strong>tigte Person für geboten halten durfte» (Art. 41 Abs. 1 E-<br />

<strong>VVG</strong>) im Sinne der Learned Hand Formel interpretiert wird, werden die Kosten der S<strong>ch</strong>adenabwendung im<br />

Erwartungswert geringer sein als die primären S<strong>ch</strong>adenskosten, die mit den Massnahmen der S<strong>ch</strong>aden-<br />

abwendung eingespart werden können.<br />

Ein weiterer Nutzen der Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t auf unmittelbar drohende Ereignisse ist die<br />

Reduktion der Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten, die resultieren wird, da eine bestehende Re<strong>ch</strong>tsun-<br />

si<strong>ch</strong>erheit aufgelöst wird.<br />

Kosten der Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t<br />

Der Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t sind zwei Problemstellungen inhärent, die zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten aus-<br />

lösen können:<br />

■ Es gibt Fälle, in wel<strong>ch</strong>en unklar ist, ob ein drohender S<strong>ch</strong>aden ein unmittelbar oder aber nur ein mittel-<br />

bar drohender S<strong>ch</strong>aden ist. Derartige Fälle sind insbesondere bei Personenversi<strong>ch</strong>erungen denkbar, wenn<br />

es um die Abwendung von drohenden gesundheitli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>äden geht. Sol<strong>ch</strong>e Fälle können zu einer Er-<br />

höhung der Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten führen.<br />

■ Die Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t kann dazu führen, dass zusätzli<strong>ch</strong>e Risiken gedeckt werden<br />

müssen, für wel<strong>ch</strong>e die VU spezielle Versi<strong>ch</strong>erungen anbieten oder gar ni<strong>ch</strong>t versi<strong>ch</strong>ern. Die befragten<br />

Experten der VU haben als Beispiel hierfür die Versi<strong>ch</strong>erung von Produktrückrufaktionen angeführt. Aus<br />

diesem Grund empfehlen wir, Art. 34 E-<strong>VVG</strong> dahingehend zu ergänzen, dass die VU konkret definierte<br />

Massnahmen der S<strong>ch</strong>adenabwendung vom Geltungsberei<strong>ch</strong> von Art. 34 E-<strong>VVG</strong> vertragli<strong>ch</strong> auss<strong>ch</strong>liessen<br />

können.<br />

Die Auswirkungen, die wir von der Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t erwarten, sind in Tabelle 47 zu-<br />

sammengefasst.<br />

230


9 S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung (Art. 34 / 41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 47: ∆ 1 - Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t: Die Auswirkungen im Überblick<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten +<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten +<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Transaktionskosten -<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

S<strong>ch</strong>adenabwendung und -minderung bei unmittelbar drohenden S<strong>ch</strong>adensereignissen<br />

+ Reduktion der Häufigkeit von (geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en) Auseinandersetzungen zwis<strong>ch</strong>en VN und VU<br />

- Kosten der zusätzli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>adenabwendung und -minderungsmassnahmen<br />

Abwicklungskosten - Zusätzli<strong>ch</strong>e Massnahmen der S<strong>ch</strong>adenabwendung und -minderung<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Änderungs- & Anpassungskosten<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten +<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN)<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI & VU<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

Ex ante Opportunismus der VI<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU)<br />

Ex post Opportunismus der VU<br />

Andere Verhaltensanpassungen<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

Produktqualität<br />

Vertragsrisiken des VN +<br />

Vertragsrisiken des VU +<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen<br />

Adverse Selektion<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t +<br />

+<br />

Auflösung einer bestehenden Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheit<br />

Risiko von Obliegenheitsverletzungen und von geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Auseinandersetzungen sinkt<br />

Risiko geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Auseinandersetzungen sinkt<br />

Prämienvolumen = ���� Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung, tendenziell positiv<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ���� Zunahme der Transaktionskosten<br />

Prämienhöhe ���� � � � � Reduktion der primären S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

���� Zunahme der Transaktionskosten<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ���� Reduktion der Prämien stimuliert Na<strong>ch</strong>frage<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ���� Zunahme der Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge<br />

Instabilität des Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt +<br />

Renten der VN +<br />

Renten der VI = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Renten der VU = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

(1) Reduktion der primären S<strong>ch</strong>adenskosten; (2) Zunahme der Menge der versi<strong>ch</strong>erten<br />

Risiken<br />

231


9 S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung (Art. 34 / 41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

9.4.2 ∆ 2: Begrenzung der Übernahme von S<strong>ch</strong>adenminderungskosten<br />

Unter dem geltenden <strong>VVG</strong> musste ein VU dem VN die Kosten der S<strong>ch</strong>adenminderung au<strong>ch</strong> dann erstat-<br />

ten, wenn diese die Versi<strong>ch</strong>erungssumme überstieg. Unter dem E-<strong>VVG</strong> wird diese Übernahme von S<strong>ch</strong>a-<br />

denminderungskosten gegen oben begrenzt. Dies wird zu Wohlfahrtsgewinnen führen, da so ineffiziente<br />

Aktivitäten der S<strong>ch</strong>adenminderung unterbunden werden können. Denn wenn die S<strong>ch</strong>adenminderungs-<br />

kosten grösser sind als der Erwartungswert der primären S<strong>ch</strong>adenskosten, dann ist es effizient, den S<strong>ch</strong>a-<br />

den eintreten zu lassen: «S<strong>ch</strong>adensminderung ist ni<strong>ch</strong>t in jedem Fall geboten. Es gibt ein oberes Mass an S<strong>ch</strong>a-<br />

densverhütungsaufwand, das no<strong>ch</strong> als sozial nützli<strong>ch</strong> betra<strong>ch</strong>tet werden kann. Und es gibt zudem ein sozial optimales<br />

Niveau s<strong>ch</strong>ädli<strong>ch</strong>er Aktivität. Folgli<strong>ch</strong> gibt es au<strong>ch</strong> ein Ausmass an S<strong>ch</strong>äden, dessen Hinnahme ebenfalls sozial nützli<strong>ch</strong><br />

ist.» (S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005, 134).<br />

In Tabelle 48 sind die Auswirkungen, die wir von der Begrenzung der Übernahme der S<strong>ch</strong>ademinde-<br />

rungskosten dur<strong>ch</strong> die VU erwarten, im Überblick dargestellt.<br />

232


9 S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung (Art. 34 / 41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 48: ∆ 2 - Begrenzung der Übernahme der S<strong>ch</strong>adenminderungskosten dur<strong>ch</strong> die VU: Die<br />

Auswirkungen im Überblick<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten +<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten + Reduktion der Häufigkeit ineffizienter Massnahmen der S<strong>ch</strong>adenabwendung und -minderung<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten - Reduktion der Beteiligung der VU an den Kosten der S<strong>ch</strong>adenabwendung und -minderung<br />

Transaktionskosten +<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten<br />

Abwicklungskosten + Reduktion der Häufigkeit ineffizienter Massnahmen der S<strong>ch</strong>adenabwendung und -minderung<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Änderungs- & Anpassungskosten<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN) +<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN +<br />

Misstrauen gegenüber VI & VU<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

Ex ante Opportunismus der VI<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU)<br />

Ex post Opportunismus der VU<br />

Andere Verhaltensanpassungen<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

Produktqualität<br />

Vertragsrisiken des VN -<br />

Vertragsrisiken des VU +<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen<br />

Adverse Selektion<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t +<br />

Legende: vgl. Seite 76<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

=<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize der VN, ineffiziente Massnahmen der S<strong>ch</strong>adenabwendung und -<br />

minderung zu ergreifen, sinken<br />

Risiko, einen Teil der Kosten von ineffizienten Massnahmen der S<strong>ch</strong>adenabwendung und -<br />

minderung übernehmen zu müssen, steigt<br />

Risiko, die Kosten von ineffizienten Massnahmen der S<strong>ch</strong>adenabwendung und -minderung<br />

übernehmen zu müssen, sinkt<br />

Prämienvolumen = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung des Marktvolumens<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV ����<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ���� Reduktion von Transaktionskosten<br />

Reduktion der Kostenübernahmen der VU bei ineffizienten Massnahmen der<br />

S<strong>ch</strong>adenabwendung und -minderung<br />

Prämienhöhe ���� Reduktion der Transaktionskosten und der primären S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ���� Prämienreduktion stimuliert die Na<strong>ch</strong>frage<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Instabilität des Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt +<br />

+ (1) Reduktion der Prämien; (2) Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken nimmt zu<br />

Renten der VN + - Reduktion der Kostenübernahmen der VU bei ineffizienten Massnahmen der<br />

S<strong>ch</strong>adenabwendung und -minderung<br />

Renten der VI = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Renten der VU = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

233


9 S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung (Art. 34 / 41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

9.4.3 ∆ 3: Zuweisung der S<strong>ch</strong>adenermittlungskosten an das VU<br />

Um zu verstehen, wel<strong>ch</strong>e Auswirkungen Art. 41 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong> haben wird, ist es zweckmässig, die fol-<br />

genden Fallkonstellationen zu differenzieren:<br />

■ Normalfall: Das VU ermittelt, allenfalls unter Mithilfe des VN, den S<strong>ch</strong>aden und trägt die Kosten der<br />

S<strong>ch</strong>adenermittlung. Diese werden allerdings als Teil des S<strong>ch</strong>adens begriffen und sind deshalb in der versi-<br />

<strong>ch</strong>erten Summe enthalten.<br />

■ Guta<strong>ch</strong>ten des VN: Der VN ist mit der S<strong>ch</strong>adenshöhe, die das VU ermittelt hat, ni<strong>ch</strong>t einverstanden<br />

und gibt selbst ein Guta<strong>ch</strong>ten zur Ermittlung des S<strong>ch</strong>adens in Auftrag. Der VN trägt die Kosten des von<br />

ihm angeordneten S<strong>ch</strong>adenermittlungsverfahren selbst.<br />

■ Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren: Das Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren gibt es nur im Berei<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>adenversi-<br />

<strong>ch</strong>erungen. Es handelt si<strong>ch</strong> um ein aussergeri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Bereinigungsverfahren, wenn VU und VN die Höhe<br />

des eingetretenen S<strong>ch</strong>adens unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> bewerten. Das VU und der VN ernennen je einen Sa<strong>ch</strong>ver-<br />

ständigen und diese beiden bestimmen einen Obmann. Das Dreierteam legt den Wert der versi<strong>ch</strong>erten<br />

Sa<strong>ch</strong>e fest, wobei bei Uneinigkeit der Obmann ents<strong>ch</strong>eidet. Die Kosten des Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahrens<br />

teilen si<strong>ch</strong> VN und VU unter dem geltenden <strong>VVG</strong> gemäss Art. 67 Abs. 5. Gemäss den befragten Experten<br />

eines VU sind Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren äusserst selten: Bei 400'000 S<strong>ch</strong>adensfällen im Ni<strong>ch</strong>t-Leben-<br />

Berei<strong>ch</strong> gibt es bei diesem VU pro Jahr etwa 5 Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren.<br />

■ Geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>adensermittlung: Können si<strong>ch</strong> VU und VN ni<strong>ch</strong>t über die Höhe des eingetretenen<br />

S<strong>ch</strong>adens einigen und bes<strong>ch</strong>reiten deshalb den Re<strong>ch</strong>tsweg, kann der zuständige Ri<strong>ch</strong>ter ein Guta<strong>ch</strong>ten zur<br />

Ermittlung des S<strong>ch</strong>adens in Auftrag geben. Die Kosten dieses Guta<strong>ch</strong>tens trägt unter dem geltenden <strong>VVG</strong><br />

die Partei, wel<strong>ch</strong>en den Geri<strong>ch</strong>tsprozess verliert.<br />

Art. 41 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong> ist ein gewisser Interpretationsspielraum inhärent:<br />

■ Erstens ist unklar, wel<strong>ch</strong>e der vier oben formulierte Fallkonstellationen in den Geltungsberei<strong>ch</strong> von Art.<br />

41 Abs. 2 fallen. Wir gehen im folgenden davon aus, dass Art. 41 Abs. 2 nur die beiden Fallkonstellatio-<br />

nen «Normalfall» und «Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren» betrifft und es bezügli<strong>ch</strong> der anderen beiden Fall-<br />

konstellationen keine Neuerungen gibt.<br />

■ Zweitens kann der Formulierung von Art. 41 Abs. 2 ni<strong>ch</strong>t entnommen werden, ob die Kosten der S<strong>ch</strong>a-<br />

densermittlung, wel<strong>ch</strong>e das VU zu tragen hat, in der Versi<strong>ch</strong>erungssumme enthalten sind. Gemäss dem<br />

Erläuternden Beri<strong>ch</strong>t (2009) ist dies der Fall. Allenfalls sollte dies in Art. 41 Abs. 2 konkretisiert werden.<br />

Unter den zwei soeben formulierten Annahmen ist für die Fallkonstellation «Normalfall» mit keinen Aus-<br />

wirkungen zu re<strong>ch</strong>nen, da alles beim Alten bleibt. Art. 41 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong> dürfte also nur dann zu Verände-<br />

rungen führen, wenn der S<strong>ch</strong>aden im Rahmen eines Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahrens ermittelt werden muss:<br />

■ Umverteilung: Die VU müssen neu die gesamten Kosten des Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren tragen. Unter<br />

dem geltenden <strong>VVG</strong> wurden die Kosten mit Art. 67 Abs. 5 zwis<strong>ch</strong>en dem VU und dem VN aufgeteilt.<br />

■ Verhaltensänderung: Da die VN bei einem Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren keine Kosten mehr zu tragen<br />

haben, sinken deren ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize, Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren zu verhindern. Deshalb ist zu<br />

erwarten, dass die Häufigkeit von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren steigt, so dass die Abwicklungskosten, kon-<br />

kret: die Kosten der S<strong>ch</strong>adenregulierung, steigen werden.<br />

234


9 S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung (Art. 34 / 41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 49: ∆ 3 - Zuweisung der Kosten von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren an die VU: Die Auswirkungen im<br />

Überblick<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten -<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten + Keine Beteiligung der VN an den Kosten von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren<br />

Transaktionskosten -<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten<br />

Abwicklungskosten -<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Änderungs- & Anpassungskosten<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN) -<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN -<br />

Misstrauen gegenüber VI & VU<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

Ex ante Opportunismus der VI<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU) -<br />

Ex post Opportunismus der VU<br />

Andere Verhaltensanpassungen -<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

Produktqualität<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

-<br />

Zunahme der Häufigkeit von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize der VN, si<strong>ch</strong> mit den VU ohne Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren zu einigen,<br />

sinken, was zu einer Erhöhung der Häufigkeit von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren führen wird<br />

Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren werden aus Si<strong>ch</strong>t der VU weniger attraktiv, weshalb die Häufigkeit<br />

des Bes<strong>ch</strong>reitens des Re<strong>ch</strong>tsweges zunehmen könnte<br />

Vertragsrisiken des VN + Risiko, si<strong>ch</strong> an den Kosten eines Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren beteiligen zu müssen, sinkt<br />

Vertragsrisiken des VU -<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen<br />

Adverse Selektion<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t -<br />

Risiko zusätzli<strong>ch</strong>er Kosten steigt, die die Häufigkeit von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren zunehmen<br />

wird<br />

Prämienvolumen = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung, tendenziell negativ<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV ���� Das monetäre Risiko von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren wird aus Si<strong>ch</strong>t des VN verni<strong>ch</strong>tet<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ����<br />

Prämienhöhe ����<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ���� Erhöhung der Prämien<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total =<br />

Instabilität des Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt -<br />

Renten der VN -<br />

���� Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV steigt<br />

���� Abnahme der Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge<br />

Renten der VI = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Renten der VU = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

Erhöhung der Transaktionskosten aufgrund einer Zunahme der Häufigkeit von<br />

Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren<br />

+ Keine Beteiligung der VN an den Kosten Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren<br />

- Prämienerhöhungen infolge Zunahme der Transaktionskosten<br />

235


9 S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung (Art. 34 / 41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

9.5 Zusammenfassung<br />

9.5.1 Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

In Tabelle 50 sind die geplanten Veränderungen, die Hintergründe und Problemstellung sowie die Ziele<br />

der Regulierung im Sinne von Art. 34 und 41 E-<strong>VVG</strong> im Überblick dargestellt.<br />

Tabelle 50: S<strong>ch</strong>adenabwendung und -minderung: Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

∆ 1: Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t<br />

<strong>VVG</strong>: Art. 61<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 34 Abs. 1<br />

Problemstellung: Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheit bezügli<strong>ch</strong> der Pfli<strong>ch</strong>t des VN zu Massnahmen der<br />

S<strong>ch</strong>adenabwendung und -minderung bei unmittelbar drohenden<br />

S<strong>ch</strong>adensereignissen<br />

Ziel: (1) Minimierung des S<strong>ch</strong>adenvolumens<br />

(2) Reduktion von Transaktionskosten<br />

∆ 2: Begrenzung der Übernahme von S<strong>ch</strong>adenminderungskosten des VN dur<strong>ch</strong> das VU<br />

<strong>VVG</strong>: Art. 70 Abs. 1<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 41 Abs. 3<br />

Problemstellung: (1) Ineffizientes (zu hohes) Niveau der S<strong>ch</strong>adenminderungsaktivitäten des VN<br />

(2) Na<strong>ch</strong> oben unbegrenzte Kostenrisiken des VU infolge<br />

S<strong>ch</strong>adenminderungsaktivitäten des VN<br />

Ziele: (1) Effizientes Niveau der S<strong>ch</strong>adenminderungsaktivitäten des VN<br />

(2) Reduktion der Vertragsrisiken des VU<br />

∆3: Zuweisung der S<strong>ch</strong>adenermittlungskosten an das VU<br />

<strong>VVG</strong>: Art. 67 Abs. 5<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 41 Abs. 2<br />

Problemstellung: Hohes Vertragsrisiko des VN infolge S<strong>ch</strong>adenermittlungskosten<br />

Ziel: Reduktion der Vertragsrisiken des VN → Risikoreallokation zu Lasten des VU<br />

Quelle: <strong>VVG</strong>, E-<strong>VVG</strong>, Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t (2009), eigene Analysen<br />

9.5.2 Auswirkungen der Regulierung<br />

Die Auswirkungen der Regulierung im Sinne von Art. 34 und 41 E-<strong>VVG</strong> sind in Überblick dargestellt. Die<br />

Ergebnisse der ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse können folgendermassen zusammengefasst werden:<br />

■ Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t: Die Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t wird tendenziell zu<br />

einer Reduktion der primären S<strong>ch</strong>adenskosten führen, da die VN neu au<strong>ch</strong> bei unmittelbar drohenden<br />

S<strong>ch</strong>äden verpfli<strong>ch</strong>tet sind, Massnahmen der S<strong>ch</strong>adenabwendung zu ergreifen. Es ist denkbar, dass in Zu-<br />

sammenhang mit gesundheitli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>äden Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheiten und damit erhöhte Dur<strong>ch</strong>setzungs- und<br />

Geri<strong>ch</strong>tkosten resultieren. Die Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t kann zu einer Erweiterung des De-<br />

ckungsumfangs führen. Allenfalls sollten den VU das Re<strong>ch</strong>t eingeräumt werden, spezifis<strong>ch</strong>e, konkret for-<br />

mulierte Massnahmen der S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung vom Geltungsberei<strong>ch</strong> von Art. 34 E-<strong>VVG</strong><br />

auszunehmen.<br />

■ Begrenzung der Übernahmen von S<strong>ch</strong>adenskosten: Diese Neuerung ist zu begrüssen, weil sie si-<br />

<strong>ch</strong>erstellt, dass die VN ni<strong>ch</strong>t Massnahmen der S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung ergreifen, deren Kos-<br />

ten höher sind als der Erwartungswert des verhinderten S<strong>ch</strong>adens.<br />

236


9 S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung (Art. 34 / 41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Zuweisung der S<strong>ch</strong>adenermittlungskosten an das VU: Bereits heute tragen die VU im Normalfall<br />

die Kosten der S<strong>ch</strong>adenermittlung, wobei die Bes<strong>ch</strong>ränkung auf die Versi<strong>ch</strong>erungssumme gilt. Auswirkun-<br />

gen dürfte die Neuerung nur bei Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren haben, die es nur im Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben gibt<br />

und äusserst selten vorkommen: Da unter dem geltenden <strong>VVG</strong> (Art. 67 Abs. 5) die VU und VN die Kosten<br />

von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren unter si<strong>ch</strong> aufteilen, führt Art. 41 Abs. 2 zu einer Umverteilung dieser<br />

Kosten zu Lasten das VU, was zu einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten führt. Da die VN auf-<br />

grund Art. 41 Abs. 2 keinen ökonomis<strong>ch</strong>en Anreiz mehr haben, Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren zu verhindern,<br />

kann eine Erhöhung der Häufigkeit von sol<strong>ch</strong>en Verfahren ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen werden, was zu einer<br />

Erhöhung der Kosten der S<strong>ch</strong>adenregulierung führen würde.<br />

9.5.3 Empfehlungen<br />

Vor dem Hintergrund der dur<strong>ch</strong>geführten ökonomis<strong>ch</strong>en Analysen können wir folgende Empfehlungen<br />

formulieren:<br />

■ Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t: Die Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t auf unmittelbar dro-<br />

hende Ereignisse ist grundsätzli<strong>ch</strong> zu begrüssen, da dadur<strong>ch</strong> die primären S<strong>ch</strong>adenskosten reduziert wer-<br />

den können. Damit die Vorerstreckung der Rettungspfli<strong>ch</strong>t zu keiner unerwüns<strong>ch</strong>ten Erweiterung des<br />

Deckungsumfangs führt, sollten die VU konkrete, d.h. spezifizierte Massnahmen zur S<strong>ch</strong>adenabwendung<br />

und –minderung vertragli<strong>ch</strong> auss<strong>ch</strong>liessen können (Beispiel: Produktrückrufaktionen).<br />

■ Begrenzung der Übernahme von S<strong>ch</strong>adenminderungskosten dur<strong>ch</strong> die VU: Die Begrenzung der<br />

Übernahme von S<strong>ch</strong>adenminderungskosten ist zu begrüssen, da diese si<strong>ch</strong>erstellt, dass die VN keine inef-<br />

fizienten Massnahmen zur S<strong>ch</strong>adenminderung und –abwendung ergreifen.<br />

■ Kosten von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren: Die vollständige Zuweisung der S<strong>ch</strong>adenermittlungskosten,<br />

die im Rahmen von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren anfallen, führt dazu, dass die VN keine ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

Anreize mehr haben, Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren dur<strong>ch</strong> gütli<strong>ch</strong>e Einigung zu verhindern. Aus diesem<br />

Grund dürfte die Häufigkeit von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren steigen, was zu zusätzli<strong>ch</strong>en Transaktionskos-<br />

ten führen wird, wel<strong>ch</strong>e die VN in Form höherer Prämien zu tragen haben. Eine Beteiligung der VN an den<br />

Kosten von Sa<strong>ch</strong>verständigenverfahren ist deshalb wüns<strong>ch</strong>enswert.<br />

237


9 S<strong>ch</strong>adenabwendung und –minderung (Art. 34 / 41 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 51: Die Auswirkungen von Art. 34/41 E-<strong>VVG</strong> im Überblick<br />

Auswirkungen auf...<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

Vorerstreckung der<br />

Rettungspfli<strong>ch</strong>t<br />

Begrenzung der Übernahme<br />

von S<strong>ch</strong>adenminderungkosten<br />

Zuweisung der<br />

S<strong>ch</strong>adenermittlungskosten<br />

an das VU<br />

Art.-Nr. im E-<strong>VVG</strong> ∆1 ∆2 ∆3<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten + + - +<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten + + +<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten - + +/-<br />

Transaktionskosten - + - -<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten<br />

Abwicklungskosten - + - -<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Änderungs- & Anpassungskosten<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten + +<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN)<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Moral hazard der VN<br />

+ - -<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI & VU<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

Ex ante Opportunismus der VI<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

+ - -<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU)<br />

Ex post Opportunismus der VU<br />

- -<br />

Andere Verhaltensanpassungen - -<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV + = - +<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

Produktqualität<br />

Vertragsrisiken des VN + - + +<br />

Vertragsrisiken des VU + + - +<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen<br />

Adverse Selektion<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t + + - =<br />

Prämienvolumen = = = =<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV ���� ���� =<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ���� ���� ���� =<br />

Prämienhöhe ���� ���� ���� =<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ���� ���� ���� =<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ���� = = ����<br />

Instabilität des Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts =<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt + + - +<br />

Renten der VN + + - +<br />

Renten der VI = = = =<br />

Renten der VU = = = =<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

Total<br />

238


10 Prämienanpassungsklausel (Art. 49 E-<strong>VVG</strong>)<br />

10 Prämienanpassungsklausel (Art. 49 E-<strong>VVG</strong>)<br />

10.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

10.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

In Tabelle 52 sind die relevanten gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen, wel<strong>ch</strong>e die Regulierungsszenarien und das<br />

Referenzszenario definieren, einander gegenübergestellt.<br />

Tabelle 52: Prämienanpassungsklausel: Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

Regulierungszenario (RS) und<br />

Alternativszenarien (AS1 und AS2)<br />

RS: Gesetzli<strong>ch</strong>e Regelung gemäss Art. 49 E-<strong>VVG</strong><br />

AS1: Verzi<strong>ch</strong>t auf gesetzli<strong>ch</strong>e Regelung und generelle<br />

Zulässigkeit von Prämienanpassungsklauseln<br />

AS2: Generelles Verbot von Prämienanpassungsklauseln<br />

Anmerkungen: RS = Regulierungsszenario; AS = Alternativszenario; BS = Referenzszenario; Orange = halbzwingendes Re<strong>ch</strong>t; Blau:<br />

Existenz von Alternativszenarien<br />

Quelle: E-<strong>VVG</strong>, <strong>VVG</strong>, AVO<br />

10.1.2 Identifikation der Veränderungen<br />

Referenzszenario (BZ)<br />

Art. 49 (Prämienanpassungsklausel) E-<strong>VVG</strong> Art. 132 (Prämienanpassungsklauseln) AVO<br />

Geltungsberei<strong>ch</strong>: Lebens- und Ni<strong>ch</strong>tlebensversi<strong>ch</strong>erungen Geltungsberei<strong>ch</strong>: Nur Lebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

49.1. Eine Anpassungsklausel, die das<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen ermä<strong>ch</strong>tigt, die Prämie einseitig zu<br />

erhöhen, kann nur für den Fall gültig vereinbart werden, dass<br />

die für die Prämienbere<strong>ch</strong>nung massgebli<strong>ch</strong>en Verhältnisse<br />

si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Vertragsabs<strong>ch</strong>luss in einer Weise ändern, wel<strong>ch</strong>e die<br />

vorgesehene Erhöhung re<strong>ch</strong>tfertigen.<br />

49.2. Ma<strong>ch</strong>t das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen von einer<br />

vereinbarten Anpassungsklausel Gebrau<strong>ch</strong>, so hat es dies der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder dem Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer<br />

s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>, begründet und unter Hinweis auf das<br />

Kündigungsre<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> Absatz 3 mitzuteilen. Die Erhöhung tritt<br />

frühestens vier Wo<strong>ch</strong>en na<strong>ch</strong> Zugang der Mitteilung in Kraft.<br />

49.3. Die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer ist bere<strong>ch</strong>tigt, den Vertrag oder den von<br />

der Prämienerhöhung betroffenen Teil auf den Zeitpunkt zu<br />

kündigen, ab wel<strong>ch</strong>em die Prämienerhöhung gemäss<br />

Mitteilung des Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmens wirksam würde.<br />

Die Kündigung ist re<strong>ch</strong>tzeitig erfolgt, wenn sie dem<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen vorher zugeht.<br />

132.1 Das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen darf die Prämien<br />

eines laufenden Versi<strong>ch</strong>erungsvertrages nur dann an neue<br />

Gegebenheiten anpassen, wenn dies in den<br />

Vertragsgrundlagen ausdrückli<strong>ch</strong> vorgesehen ist.<br />

132.2 Es darf keine Prämienanpassungsklausel vorsehen,<br />

die Tarifgarantien aufhebt.<br />

132.3 Es darf keine Anpassungen bei laufender Rente<br />

vorsehen.<br />

132.4 Prämienanpassungen können nur vorgenommen<br />

werden, wenn si<strong>ch</strong> die der Prämienbere<strong>ch</strong>nung zugrunde<br />

liegenden Verhältnisse erhebli<strong>ch</strong> geändert haben.<br />

Unter dem geltenden <strong>VVG</strong> ist die allfällige Anpassung von Prämien ni<strong>ch</strong>t geregelt. Mit Art. 49 E-<strong>VVG</strong> sind<br />

Prämienanpassungen neu nur dann mögli<strong>ch</strong>, wenn si<strong>ch</strong> die für die Prämienbere<strong>ch</strong>nung massgebli<strong>ch</strong>en<br />

Verhältnisse na<strong>ch</strong> Vertragsabs<strong>ch</strong>luss wesentli<strong>ch</strong> verändert haben. «Die wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung besteht darin,<br />

dass si<strong>ch</strong> die vorgesehene Erhöhung unter sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gesi<strong>ch</strong>tspunkten re<strong>ch</strong>tfertigt. Es rei<strong>ch</strong>t also beispielsweise ni<strong>ch</strong>t<br />

aus, dass das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen bei Abs<strong>ch</strong>luss des Vertrages die Risikolage fals<strong>ch</strong> einges<strong>ch</strong>ätzt hat oder den<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer mit einem "Lockvogelangebot" an si<strong>ch</strong> binden wollte. Eine Änderung der Allgemeinen Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsbedingungen stellt ebenfalls keine sol<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tfertigung dar. Vorbehalten bleibt gegebenenfalls eine An-<br />

239


10 Prämienanpassungsklausel (Art. 49 E-<strong>VVG</strong>)<br />

fe<strong>ch</strong>tung des Vertrages gestützt auf die allgemeinen Bestimmungen des OR betreffend Willensmängel.» (Erläuternder<br />

Beri<strong>ch</strong>t 2009, 53-54).<br />

Bei der Interpretation von Art. 49 ist zu berücksi<strong>ch</strong>tigen, dass mit dem Verbot von Prämienanpassungs-<br />

klauseln ni<strong>ch</strong>t generell variable Prämien verboten werden. So vertritt die SUVA in ihrer Vernehmlassungs-<br />

antwort die Ansi<strong>ch</strong>t, dass Art. 49 E-<strong>VVG</strong> einem Verbot von Bonus-Malus-Systemen glei<strong>ch</strong>komme: «Die<br />

gegenüber dem geltenden <strong>VVG</strong> neue Regelung lässt nur Prämienanpassungen zu, wenn si<strong>ch</strong> die für die Prämienbe-<br />

re<strong>ch</strong>nung massgebli<strong>ch</strong>en Verhältnisse na<strong>ch</strong> Vertragsabs<strong>ch</strong>luss wesentli<strong>ch</strong> verändert haben. Letzteres trifft in der Un-<br />

fallversi<strong>ch</strong>erung bei veränderten Betriebsverhältnissen zu. Bonus-Malus-Systeme wären dagegen ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, da<br />

si<strong>ch</strong> bei diesen die Prämien dem S<strong>ch</strong>adenverlauf anpassen, wel<strong>ch</strong>er ni<strong>ch</strong>t unbedingt eine Folge von veränderten Ver-<br />

hältnissen ist. Bonus-Malus-Systeme stellen in der Unfallversi<strong>ch</strong>erung jedo<strong>ch</strong> ein wi<strong>ch</strong>tiges Anreizmittel zur Unfallprä-<br />

vention dar und entspre<strong>ch</strong>en im Übrigen dem Verursa<strong>ch</strong>erprinzip. Wir lehnen diese Bestimmung daher ab.» (SUVA<br />

2009, 6). Hierbei handelt es si<strong>ch</strong> um eine Fehlinterpretation von Art. 49 E-<strong>VVG</strong>. Denn variable Prämien<br />

stellen ni<strong>ch</strong>t eine einseitige Prämienanpassung dar, da si<strong>ch</strong> der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer bei Vertragss<strong>ch</strong>luss<br />

mit diesen einverstanden erklärt hat. Art. 49 E-<strong>VVG</strong> ist bezügli<strong>ch</strong> variablen Prämien dahingehend zu inter-<br />

pretieren, dass eine einseitige Erhöhung der Grundprämie ni<strong>ch</strong>t erlaubt ist. Analog sind unter Art. 49 E-<br />

<strong>VVG</strong> au<strong>ch</strong> Indexklauseln (Beispiel: Teuerungsklauseln) weiterhin mögli<strong>ch</strong>.<br />

Gemäss Prof. Dr. Stephan Fuhrer sind Prämienanpassungsklauseln unter dem E-<strong>VVG</strong> zwar ni<strong>ch</strong>t prinzipiell<br />

verboten. Faktis<strong>ch</strong> führe die gesetzli<strong>ch</strong> Neuerung jedo<strong>ch</strong> dazu, dass es keine Prämienanpassungsklauseln<br />

mehr geben wird. Dies expliziert er anhand einer Teuerungsanpassungsklausel: Im ganzen Jahr t s<strong>ch</strong>liesst<br />

der Versi<strong>ch</strong>erer unter dem geltenden <strong>VVG</strong> Verträge zu einer Prämie p t ab, wobei er diese auf den 1. Janu-<br />

ar des Jahres t+1 auf p t+1 an die Teuerung anpassen mö<strong>ch</strong>te. Da er während dem Jahr t an einem jeden<br />

Tag Verträge abges<strong>ch</strong>lossen hat, kann er nun ni<strong>ch</strong>t den ganzen Prämienbestand auf die Prämie p t+1 anpas-<br />

sen, weil dadur<strong>ch</strong> die Prämie z.B. au<strong>ch</strong> für den Kunden, mit dem er am 30. Dezember des Jahres t den<br />

Vertrag abges<strong>ch</strong>lossen hat, auf p t+1 steigen würde, was jedo<strong>ch</strong> die neue Bedingung in Art. 49 Abs. 1 ver-<br />

letzen würde. Der Versi<strong>ch</strong>erer müsste deshalb für jeden einzelnen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag die von Art. 49<br />

zugelassene Teuerung bere<strong>ch</strong>nen, was für den Versi<strong>ch</strong>erer zu aufwändig und zu teuer wäre, so dass er<br />

letztli<strong>ch</strong> ganz auf eine Teuerungsanpassungsklausel verzi<strong>ch</strong>ten wird. Dies ist gemäss Prof. Dr. Fuhrer aller-<br />

dings ni<strong>ch</strong>t sonderli<strong>ch</strong> problematis<strong>ch</strong>, da die Prämie mit dem neuen ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>t (Art.<br />

53 E-<strong>VVG</strong>) na<strong>ch</strong> drei Jahren angepasst werden kann.<br />

Gemäss Prof. Dr. Fuhrer wird Art. 49 E-<strong>VVG</strong> allgemein dazu führen, dass Prämienanpassungen im Regulie-<br />

rungsszenario künftig über das Vehikel der ordentli<strong>ch</strong>en Kündigung vorgenommen würden, was für die<br />

Versi<strong>ch</strong>erer allerdings ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert ist. Denn eine Prämienanpassung auf der Basis des ordentli-<br />

<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>ts (Art. 53 E-<strong>VVG</strong>) führe im Verglei<strong>ch</strong> zu einer Prämienanpassung auf der Basis einer<br />

Prämienanpassungsklausel dazu, dass das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen die «trägen» Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer<br />

und damit einen Teil seines Bestandes verliert. Aus folgendem Grund:<br />

■ Kommuniziert ein Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen unter dem geltenden <strong>VVG</strong> eine Prämienanpassung auf<br />

der re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Grundlage einer entspre<strong>ch</strong>enden Prämienanpassungsklausel, bleibt der Kunde erhalten,<br />

wenn dieser ni<strong>ch</strong>t reagiert. Wenn er die erhöhte Prämie ni<strong>ch</strong>t akzeptieren will, muss er aktiv kündigen.<br />

■ Bei einer Änderungskündigung auf der Basis von Art. 53 <strong>VVG</strong> hingegen geht der passive Kunde verlo-<br />

ren.<br />

Vor dem Hintergrund der Einführung eines ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>ts (Art. 53 E-<strong>VVG</strong>) stellt si<strong>ch</strong> ge-<br />

mäss Dr. Stephan Weber die Frage, ob Art. 49 <strong>VVG</strong> wirkli<strong>ch</strong> erforderli<strong>ch</strong> ist. Denn angesi<strong>ch</strong>ts des ordentli-<br />

<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>ts hat Art. 49 eigentli<strong>ch</strong> nur no<strong>ch</strong> für die drei ersten Vertragsjahre überhaupt eine<br />

Bedeutung.<br />

240


10 Prämienanpassungsklausel (Art. 49 E-<strong>VVG</strong>)<br />

10.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

Der Hintergrund der Regulierung von Prämienanpassungsklauseln ist gemäss Dr. Stephan Weber die Tat-<br />

sa<strong>ch</strong>e, dass die Prämienanpassungsklauseln zu einem Thema wurden, seit die AVB ni<strong>ch</strong>t mehr einer inhalt-<br />

li<strong>ch</strong>en Kontrolle unterworfen sind.<br />

■ Verhinderung von Lockvogel-Angeboten: Gemäss erläuterndem Beri<strong>ch</strong>t verfolgt Art. 49 E-<strong>VVG</strong> das<br />

Ziel, Lockvogel-Angebote zu unterbinden.<br />

10.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung<br />

■ Unmögli<strong>ch</strong>keit der Prämienanpassung bei Fehlkalkulationen → Erhöhung des Insolvenzrisikos<br />

von Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen: Bei fehlerhafter bzw. ungenügender Prämienkalkulation könne des<br />

Verbot von Prämienanpassungen im Sinne von Art. 49 E-<strong>VVG</strong> zu Solvenzproblemen der Versi<strong>ch</strong>erer füh-<br />

ren, was ni<strong>ch</strong>t im Interesse der Versi<strong>ch</strong>erungsgemeins<strong>ch</strong>aft sein könne.<br />

■ Unmögli<strong>ch</strong>keit von Prämienanpassungen → Strategis<strong>ch</strong>es Pricing der Versi<strong>ch</strong>erungsunter-<br />

nehmen → höhere Prämien: Das Verbot von Prämienanpassungsklauseln könne si<strong>ch</strong> allenfalls preistrei-<br />

bend auswirken: «Ist eine na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong>e Tarifanpassung s<strong>ch</strong>wierig, werden die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

künftig unter Umständen eher Si<strong>ch</strong>erheitsmargen einre<strong>ch</strong>nen und gegebenenfalls auf - re<strong>ch</strong>neris<strong>ch</strong> mögli-<br />

<strong>ch</strong>e - Prämiensenkungen tendenziell verzi<strong>ch</strong>ten.» (SVV 2009a, 39).<br />

10.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

Gemäss den befragten Experten der VU werden die Prämienanpassungsklauseln in erster Linie dann ge-<br />

nutzt, wenn eine Prämienanpassung auf einem gesamten Bestand (eine Vielzahl von Policen) vorgenom-<br />

men werden muss. Eine sol<strong>ch</strong>e Anpassung wird dann notwendig, wenn das S<strong>ch</strong>adensaufkommen ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr von den Prämienzahlungen der VN gedeckt ist.<br />

Wenn die VU eine Prämienanpassung auf einem Bestand auf der Basis einer Prämienanpassungsklausel<br />

(PAK) dur<strong>ch</strong>führen, nennen sie dieses Ereignis «Dur<strong>ch</strong>führung einer PAK». Wir werden diese Terminologie<br />

im Folgenden übernehmen.<br />

10.4.1 Analyse des Regulierungsszenario<br />

Analyse der Auswirkungen<br />

Es ist davon auszugehen, dass si<strong>ch</strong> Art. 49 E-<strong>VVG</strong> nur im Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben auswirken wird, da Prä-<br />

mienanpassungsklauseln im Berei<strong>ch</strong> der Lebensversi<strong>ch</strong>erungen bereits heute in Art. 132 AVO geregelt<br />

sind.<br />

Art. 49 E-<strong>VVG</strong> führt dazu, dass die VU im Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben die Prämien nur no<strong>ch</strong> dann erhöhen kön-<br />

nen, wenn si<strong>ch</strong> «die für die Prämienbere<strong>ch</strong>nung massgebli<strong>ch</strong>en Verhältnisse» na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss «in<br />

einer Weise ändern, wel<strong>ch</strong>e die vorgesehene Erhöhung re<strong>ch</strong>tfertigen». Die Formulierung «die für die Prä-<br />

mienbere<strong>ch</strong>nung massgebli<strong>ch</strong>en Verhältnisse» ist grundsätzli<strong>ch</strong> interpretationsbedürftig. Wir interpretie-<br />

ren sie dahingehend, dass eine Veränderung der massgebli<strong>ch</strong>en Verhältnissen dann gegeben ist, wenn die<br />

Veränderung vom VU ni<strong>ch</strong>t beeinflusst werden konnte. Art. 49 E-<strong>VVG</strong> führt deshalb im Verglei<strong>ch</strong> zur<br />

Situation unter dem geltenden <strong>VVG</strong> dazu, dass die VU im Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben keine PAK mehr dur<strong>ch</strong>füh-<br />

ren können, die auf Umständen beruhen, die das VU selbst verantwortet. Sofern diese Interpretation zu-<br />

trifft, führt Art. 49 E-<strong>VVG</strong> zu einem Verbot von Prämienerhöhungen mittels PAK auf einzelnen Poli-<br />

cen. Denn wenn eine Prämienerhöhung nur auf einer einzelnen Police und ni<strong>ch</strong>t auf allen Policen des<br />

241


10 Prämienanpassungsklausel (Art. 49 E-<strong>VVG</strong>)<br />

glei<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsprodukts notwendig wird, dann wurde die Notwendigkeit der Prämienerhöhung<br />

bezügli<strong>ch</strong> dieser spezifis<strong>ch</strong>en Police vom VU ganz offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> selbst vers<strong>ch</strong>uldet – in den meisten Fällen<br />

dadur<strong>ch</strong>, dass das VU das Risiko des VN der Police fals<strong>ch</strong> einges<strong>ch</strong>ätzt hat. Wenn dies ni<strong>ch</strong>t so wäre, dann<br />

wäre au<strong>ch</strong> eine Prämienerhöhung auf den restli<strong>ch</strong>en Policen des betroffenen Versi<strong>ch</strong>erungsprodukts not-<br />

wendig.<br />

Die Nutzen von Art. 49 E-<strong>VVG</strong> sind die folgenden:<br />

■ Reduktion von Opportunitätsprämien: Mit Art. 49 E-<strong>VVG</strong> werden die VN vor allfälligem ex post Oppor-<br />

tunismus der VU ges<strong>ch</strong>ützt: Prämienerhöhungen mittels PAK, die darauf abzielen, si<strong>ch</strong> ohne entspre<strong>ch</strong>en-<br />

de Gegenleistung einen Teil der Konsumentenrente anzueignen, werden ni<strong>ch</strong>t mehr mögli<strong>ch</strong> sein.<br />

■ Intensivierung des Preiswettbewerbs: Art. 49 E-<strong>VVG</strong> wird zu einer Intensivierung des Preiswettbewerbs<br />

führen, da die VU selbst vers<strong>ch</strong>uldete Prämien ni<strong>ch</strong>t mehr mittels PAK, sondern mittels des Vehikels der<br />

ordentli<strong>ch</strong>en Kündigung dur<strong>ch</strong>führen müssen. Bei ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungen ist die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit<br />

grösser, dass die VN ihre Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung einer grundsätzli<strong>ch</strong>en Überprüfung unterziehen. Ein in-<br />

tensivierter Preiswettbewerb entfaltet grundsätzli<strong>ch</strong> eine transaktionskostensenkende Wirkung.<br />

■ Reduktion der Häufigkeit von Prämienerhöhungen: Die Häufigkeit von Prämienerhöhungen wird ab-<br />

nehmen, was si<strong>ch</strong> transaktionskostensenkend auswirkt.<br />

Diesen Nutzen stehen die folgenden zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten gegenüber, die entstehen, wenn eine Prä-<br />

mienerhöhung, die das VU selbst vers<strong>ch</strong>uldet hat, unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> wird:<br />

■ Erhöhung der Komplexitätskosten: Gemäss den befragten Experten eines VU kann Art. 49 E-<strong>VVG</strong> zu<br />

erhöhten Systemkosten führen: Können die VU keine PAK mehr dur<strong>ch</strong>führen, müssen sie die Risikozei<strong>ch</strong>-<br />

nung auf einem Produkt stoppen und ein neues Produkt mit einem höheren Tarif einführen. Dieses Vor-<br />

gehen führt zu zusätzli<strong>ch</strong>en Komplexitätskosten – insbesondere in Bezug auf die IT-Systeme.<br />

■ Erhöhung der Abwicklungskosten: Wenn ein VU eine unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Prämienerhöhung mittels des<br />

ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>ts dur<strong>ch</strong>führen muss, entstehen im Verglei<strong>ch</strong> zur Dur<strong>ch</strong>führung einer PAK<br />

höhere Abwicklungskosten, da die betroffenen VN neue Versi<strong>ch</strong>erungsverträge abs<strong>ch</strong>liessen müssen.<br />

■ Erhöhung der sekundären Kosten: Bei einer PAK gehen den VN die «trägen» VN ni<strong>ch</strong>t verloren: Wenn<br />

sie ni<strong>ch</strong>t vom Kündigungsre<strong>ch</strong>t Gebrau<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en, das die VU bei Prämienanpassungen gewähren, akzep-<br />

tieren sie stills<strong>ch</strong>weigend die Prämienanpassung und der Vertrag läuft weiter. Bei einer Prämienanpassung<br />

mittels des Vehikels der ordentli<strong>ch</strong>en Kündigung (Art. 53 E-<strong>VVG</strong>) hingegen gehen den VU diese «trägen»<br />

VN, die auf die Vertragskündigung ni<strong>ch</strong>t reagieren, verloren. Dadur<strong>ch</strong> können Deckungslücken entstehen,<br />

die zu einer Erhöhung der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten führen.<br />

■ Erhöhung der Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten: Es ist ni<strong>ch</strong>t auszus<strong>ch</strong>liessen, dass die Formulierung<br />

«die für die Prämienbere<strong>ch</strong>nung massgebli<strong>ch</strong>en Verhältnisse» zu Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheiten mit entspre<strong>ch</strong>ender<br />

Kostenfolge führt. In diesem Sinne könnten z.B. Probleme bei der Beweisführung auftreten, was folgen-<br />

des Beispiel zeigt: Verfolgt ein VU eine aggressive Risikozei<strong>ch</strong>nungspolitik, führt dies dazu, dass der Anteil<br />

s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter Risiken im Risikopool steigt. Dies wiederum führt zu einer Erhöhung des S<strong>ch</strong>adenvolumens, so<br />

dass die Prämien erhöht werden müssen. Das Problem bei diesem Beispiel ist, dass ein oberflä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter nur die Erhöhung des S<strong>ch</strong>adenvolumens beoba<strong>ch</strong>ten kann, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> die Ursa<strong>ch</strong>e der Er-<br />

höhung des S<strong>ch</strong>adenvolumens. Ein Zugriff auf S<strong>ch</strong>adens- und Versi<strong>ch</strong>ertendaten des VU ist notwendig,<br />

um beweisen zu können, dass die Erhöhung des S<strong>ch</strong>adenvolumens auf die aggressive Risikozei<strong>ch</strong>nungspo-<br />

litik und ni<strong>ch</strong>t auf einen exogenen Faktor, den das VU ni<strong>ch</strong>t beeinflussen konnte, zurückzuführen ist.<br />

Art. 49 E-<strong>VVG</strong> ist zusätzli<strong>ch</strong> ein konzeptuelles Problem inhärent: Angenommen, ein VU führt ein PAK<br />

dur<strong>ch</strong>, wobei die Aktivierung der Prämienanpassungsklausel ni<strong>ch</strong>t re<strong>ch</strong>tens ist, was bedeutet, dass die<br />

Notwendigkeit der Prämienanpassung vom VU vers<strong>ch</strong>uldet ist. Wie werden die VN reagieren? Der träge<br />

242


10 Prämienanpassungsklausel (Art. 49 E-<strong>VVG</strong>)<br />

VN wird überhaupt ni<strong>ch</strong>t reagieren, da er au<strong>ch</strong> unter dem geltenden <strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t reagiert. Der aufmerksa-<br />

me VN hingegen, der mit der Prämienanpassung ni<strong>ch</strong>t einverstanden ist, hat zwei Mögli<strong>ch</strong>keiten: Er kann<br />

von seinem Kündigungsre<strong>ch</strong>t, das ihm in den AVB von den Versi<strong>ch</strong>erern für den Fall einer Prämienerhö-<br />

hungen mittels PAK eingeräumt wurde, Gebrau<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en oder aber er klagt gegen den Versi<strong>ch</strong>erer. Er<br />

wird in aller Regel von seinem Kündigungsre<strong>ch</strong>t Gebrau<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en – das ma<strong>ch</strong>t er jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> unter dem<br />

geltenden <strong>VVG</strong>. Art. 49 E-<strong>VVG</strong> führt im Fall, in wel<strong>ch</strong>em die VU eine gesetzeswidrige PAK dur<strong>ch</strong>führen,<br />

also zu keinem Ergebnis, das si<strong>ch</strong> von demjenigen unter dem geltenden <strong>VVG</strong> unters<strong>ch</strong>eidet.<br />

Die erwarteten Auswirkungen von Art. 49 E-<strong>VVG</strong> sind in Tabelle 53 zusammengefasst.<br />

243


10 Prämienanpassungsklausel (Art. 49 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 53: Die Auswirkungen von Art. 49 E-<strong>VVG</strong> (Regulierungsszenario) im Überblick<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten +/-<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten -<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

Träge VN verlieren ihren Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz, wenn Prämienerhöhungen ni<strong>ch</strong>t mittels<br />

PAK, sondern mittels des ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>ts dur<strong>ch</strong>geführt werden<br />

Transaktionskosten + + Intensivierung des Preiswettbewerbs wirkt si<strong>ch</strong> transaktionskostensenkend aus<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten<br />

Abwicklungskosten<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Änderungs- & Anpassungskosten<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten -<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN)<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI & VU<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

Ex ante Opportunismus der VI<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU) +<br />

Ex post Opportunismus der VU +<br />

Andere Verhaltensanpassungen<br />

Auseinandersetzungen bezügli<strong>ch</strong> der Frage, ob das VU die Notwendigkeit der<br />

Prämienerhöhung selbst vers<strong>ch</strong>uldet hat<br />

(1) Verhinderung von Lockvogelangeboten<br />

(2) Verhinderung der Abwälzung der Kosten einer aggressiven Risikozei<strong>ch</strong>nungspolitik<br />

(Zunahme des Anteils s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter Risiken) auf die Versi<strong>ch</strong>erungsgemeins<strong>ch</strong>aft<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

+/-<br />

Risikoadäquanz der Prämien - Reduktion der Häufigkeit von Prämienanpassungen<br />

Produktqualität<br />

Vertragsrisiken des VN<br />

Vertragsrisiken des VU<br />

+<br />

-<br />

Reduktion des Risikos von ex post Opportunismus der VU<br />

Das Risiko risikinadäquater, d.h. zu tiefer Prämien, steigt<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen +<br />

Adverse Selektion - Prämien werden risikoinadäquater<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb + Zunahme der Häufigkeit von Vertragskündigungen und Vertragsabs<strong>ch</strong>lüssen<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t +/-<br />

Prämienvolumen ����<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV<br />

+/-<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ����<br />

� � � � Reduktion der Prämien<br />

� � � � Reduktion der Anzahl Verträge<br />

���� (1) Reduktion von Opportunitätsprämien der VU; (2) Intensivierter Preiswettbewerb;<br />

(3) Reduktion der Häufigkeit von Prämienanpassungen<br />

���� Zunahme der Häufigkeit von Vertragskündigungen dur<strong>ch</strong> die VU<br />

Prämienhöhe ���� Reduktion des Preises der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ����<br />

���� Tiefere Prämien stimulieren die Na<strong>ch</strong>frage<br />

���� Träge VN s<strong>ch</strong>liessen bei Vertragskündigung keinen neuen VV ab; Zunahme der<br />

adversen Selektion<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ���� Reduktion der Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge (träge VN)<br />

Instabilität des Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt +<br />

Renten der VN +<br />

Renten der VI -<br />

Renten der VU -<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

+ Reduktion der Häufigkeit von Prämienerhöhungen<br />

- Zunahme der Häufigkeit von Vertragskündigungen dur<strong>ch</strong> die VU<br />

- Zunahme der Marktinstabilität aufgrund erhöhter adverser Selektion<br />

+ Reduktion der Prämien<br />

- Erhöhung der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

(1) Intensivierung des Preiswettbewerbs; (2) Reduktion von Opportunitätsprämien;<br />

(3) Reduktion des Marktvolumens<br />

244


10 Prämienanpassungsklausel (Art. 49 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Normative Analyse<br />

Das Risiko, dass si<strong>ch</strong> exogene Faktoren, die das VU ni<strong>ch</strong>t beeinflussen kann, derart verändern, dass eine<br />

Prämienerhöhung notwendig ist, kann als Vertragsrisiko interpretiert werden. Das Risiko kann weder vom<br />

VU no<strong>ch</strong> von den VN beeinflusst werden, so dass es keinen Cheapest Cost Avoider gibt. Da das Risiko<br />

ni<strong>ch</strong>t messbar ist, wird si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> kein Rückversi<strong>ch</strong>erer finden, der dieses Risiko versi<strong>ch</strong>ert: es gibt also au<strong>ch</strong><br />

keinen Cheapest Insurer. Das Risiko muss deshalb vom Superior Risk Bearer getragen werden. Die Superi-<br />

or Risk Bearer sind in diesem Fall jedo<strong>ch</strong> die VN: die sekundären Kosten werden minimiert, wenn der<br />

S<strong>ch</strong>aden auf die VN verteilt wird. Das Risiko ist also den VN zuzuordnen: Den VU ist eine Prämienerhö-<br />

hung mit dem Vehikel der Prämienanpassungsklausel zu gewähren – so wie es Art. 49 E-<strong>VVG</strong> vorsieht.<br />

Ein anderes Ergebnis resultiert, wenn eine Prämienerhöhung notwendig wird, weil si<strong>ch</strong> das VU in einer<br />

gewissen Art und Weise verhalten hat, z.B. weil das VU bei der Prämienkalkulation Fehler gema<strong>ch</strong>t oder<br />

weil es eine aggressive Risikozei<strong>ch</strong>nungspolitik verfolgt hat. In diesem Fall ist das Risiko grundsätzli<strong>ch</strong> dem<br />

VU zuzuordnen, da das VU der Cheapest Cost Avoider ist. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass Prä-<br />

mienanpassungen auf einzelnen Verträgen vorgenommen werden, na<strong>ch</strong>dem si<strong>ch</strong> ex post, d.h. na<strong>ch</strong><br />

Vertragss<strong>ch</strong>luss, herausstellt, dass das VU das Risiko des VN fals<strong>ch</strong> einges<strong>ch</strong>ätzt hat. Da die Eins<strong>ch</strong>ätzung<br />

des Risikos von VN zum Kernges<strong>ch</strong>äft der VU gehört, ist das Risiko einer Fehleins<strong>ch</strong>ätzung dem VU zuzu-<br />

ordnen: Prämienanpassungen sind in diesem Fall zu unterbinden – ni<strong>ch</strong>t zuletzt aufgrund des Grundsatzes<br />

«pacta sunt servanda», von dem nur dann abgewi<strong>ch</strong>en werden sollte, wenn der Vertrag bereits ex ante,<br />

d.h. vor Vertragss<strong>ch</strong>luss, für eine Vertragspartei unvorteilhaft war. Im vorliegenden Fall stellt si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong><br />

erst na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss, na<strong>ch</strong> Erfüllung der Anzeigepfli<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> den VN, heraus, dass dieser ein höhe-<br />

res Risiko darstellt als vom VU angenommen wurde. Die VU sollten deshalb Prämien einzelner Policen<br />

ni<strong>ch</strong>t auf der Basis von Prämienanpassungsklauseln erhöhen können – so wie es Art. 49 E-<strong>VVG</strong> letztli<strong>ch</strong><br />

impliziert. Allerdings: Solange die VU das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall haben, ist es aus Si<strong>ch</strong>t des<br />

VN besser, wenn die VU eine Prämienanpassungsklausel zur Verfügung haben, die sie au<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong><br />

einzelner Policen anwenden können. Denn es ist denkbar, dass die VU anstelle von Prämienerhöhungen<br />

Vertragskündigungen (auf der Basis des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts im S<strong>ch</strong>adensfall) dur<strong>ch</strong>führen werden, wenn<br />

ihnen keine PAK mehr zur Verfügung steht.<br />

Eine besondere Problemstellung liegt vor, wenn das VU eine selbst vers<strong>ch</strong>uldete Prämienanpassung auf<br />

dem gesamten Bestand vornehmen muss. Weiter oben haben wir dargelegt, dass das VU unter dem E-<br />

<strong>VVG</strong> die Erhöhung der Prämien mittels des ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>ts umsetzen wird. Im Verglei<strong>ch</strong><br />

zur Situation unter dem geltenden <strong>VVG</strong> führt dies zu folgenden Veränderungen:<br />

■ Aufmerksame VN: Glei<strong>ch</strong>es Ergebnis bzw. keine Veränderungen, da si<strong>ch</strong> die aufmerksamen VN au<strong>ch</strong><br />

unter dem geltenden <strong>VVG</strong> vom Vertrag lösen, indem sie das Kündigungsre<strong>ch</strong>t nutzen, das ihnen bei einer<br />

PAK gewährt wird.<br />

■ Träge VN, die na<strong>ch</strong> der ordentli<strong>ch</strong>en Kündigung einen neuen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zei<strong>ch</strong>nen:<br />

Erhöhung der Vereinbarungskosten (Kosten) und Erhöhung der Konsumentenrente (Nutzen).<br />

■ Träge VN, die vergessen, na<strong>ch</strong> der ordentli<strong>ch</strong>en Kündigung einen neuen Vertrag zu zei<strong>ch</strong>nen:<br />

Erhöhung der sekundären Kosten.<br />

Unseres Era<strong>ch</strong>tens sind diese direkten Auswirkungen eher als negativ zu beurteilen. VN, die si<strong>ch</strong> vom Ver-<br />

trag lösen mö<strong>ch</strong>ten, wenn die Prämien auf dem gesamten Bestand mittels PAK erhöht werden, haben<br />

diese Mögli<strong>ch</strong>keit bereits heute, unter dem geltenden <strong>VVG</strong>. Allerdings muss au<strong>ch</strong> die Präventivwirkung<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigt werden: Die Mögli<strong>ch</strong>keit, Prämienerhöhungen kostengünstig mittels PAK dur<strong>ch</strong>zusetzen,<br />

ermögli<strong>ch</strong>t den VU opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten. Deshalb ist zu erwarten, dass Art. 49 E-<strong>VVG</strong> dazu führen<br />

wird, dass die Häufigkeit von Prämienanpassungen, die auf dem gesamten Bestand vorgenommen wer-<br />

245


10 Prämienanpassungsklausel (Art. 49 E-<strong>VVG</strong>)<br />

den müssen, sinkt. Dies ist wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong> positiv zu bewerten, da dadur<strong>ch</strong> Transaktionskosten<br />

eingespart werden können.<br />

10.4.2 Analyse der Alternativszenarien<br />

Dem Regulierungsszenario (Art. 49 E-<strong>VVG</strong>) stehen zwei Alternativszenarien gegenüber:<br />

■ Alternativszenario 1: Verzi<strong>ch</strong>t auf Art. 49 E-<strong>VVG</strong> bzw. generelle Zulässigkeit von Prämienanpassungs-<br />

klauseln.<br />

■ Alternativszenario 2: Generelles Verbot von Prämienanpassungsklauseln.<br />

Die Bewertung der beiden Alternativszenarien folgt unmittelbar aus den bisherigen Ausführungen:<br />

■ Alternativszenario 1: Eine generelle Zulässigkeit von Prämienanpassungsklauseln ist ni<strong>ch</strong>t wün-<br />

s<strong>ch</strong>enswert. Mit sol<strong>ch</strong>en Prämienanpassungsklauseln können die VU auf einzelnen Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen<br />

die Vertragsbedingungen ändern, na<strong>ch</strong>dem si<strong>ch</strong> ex post herausstellt, dass sie das Risiko trotz den vorver-<br />

tragli<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>ten des VN ni<strong>ch</strong>t korrekt einges<strong>ch</strong>ätzt haben. Dadur<strong>ch</strong> entstehen bei den betrof-<br />

fenen VN, die das Kündigungsre<strong>ch</strong>t geltend ma<strong>ch</strong>en, Transaktionskosten, da sie einen neuen Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvertrag zei<strong>ch</strong>nen müssen. Bei den trägen VN hingegen, die das Kündigungsre<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t nutzen, sinkt<br />

die Konsumentenrente, da si<strong>ch</strong> das VU ex post einen Teil derselben aneignen kann, indem es die Ver-<br />

tragsbedingungen na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong> zu seinen Gunsten verändert.<br />

■ Alternativszenario 2: Au<strong>ch</strong> ein generelles Verbot von Prämienanpassungsklauseln ist ni<strong>ch</strong>t wün-<br />

s<strong>ch</strong>enswert: Die Mögli<strong>ch</strong>keit der Prämienanpassung beim gesamten Bestand auf der Basis einer PAK ist<br />

wüns<strong>ch</strong>enswert, wenn die Notwendigkeit der Prämienerhöhung auf exogene Faktoren, wel<strong>ch</strong>e das VU<br />

ni<strong>ch</strong>t beeinflussen konnte, zurückzuführen ist. Die Mögli<strong>ch</strong>keit ist deshalb wüns<strong>ch</strong>enswert, weil sie im<br />

Verglei<strong>ch</strong> zu einer Prämienanpassung mittels der ordentli<strong>ch</strong>en Kündigung tiefere Transaktionskosten (Ve-<br />

reinbarungs- und Abwicklungskosten) und tiefere sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten verursa<strong>ch</strong>t. Die erwarteten<br />

Auswirkungen eines generellen Verbots von Prämienanpassungsklauseln sind in Tabelle 54 zusammenge-<br />

fasst.<br />

246


10 Prämienanpassungsklausel (Art. 49 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 54: Die Auswirkungen eines generellen Verbots von Prämienanpassungsklauseln<br />

(Alternativszenario 2) im Überblick<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten -<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten -<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

(1) Träge VN verlieren ihren Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz, wenn Prämienerhöhungen ni<strong>ch</strong>t mittels<br />

PAK, sondern mittels des ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>ts dur<strong>ch</strong>geführt werden<br />

(2) Reduktion der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken infolge adverser Selektion<br />

Transaktionskosten - + Intensivierung des Preiswettbewerbs wirkt si<strong>ch</strong> transaktionskostensenkend aus<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten<br />

Abwicklungskosten<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Änderungs- & Anpassungskosten<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN)<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI & VU<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

Ex ante Opportunismus der VI<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU) +<br />

Ex post Opportunismus der VU + VU können si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr mittels PAK eine Opportunitätsprämie aneignen<br />

Andere Verhaltensanpassungen<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

-<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien - Reduktion der Häufigkeit von Prämienanpassungen<br />

Produktqualität<br />

Vertragsrisiken des VN + Reduktion des Risikos von ex post Opportunismus der VU<br />

Vertragsrisiken des VU - Das Risiko risikinadäquater, d.h. zu tiefer Prämien, steigt<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen +/-<br />

Adverse Selektion - Prämien werden risikoinadäquater<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb + Zunahme der Häufigkeit von Vertragskündigungen und Vertragsabs<strong>ch</strong>lüssen<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t -<br />

Prämienvolumen =<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ����<br />

Prämienhöhe ����<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ����<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ����<br />

� � � � Prämienerhöhungen infolge Zunahme der Transaktionskosten<br />

� � � � Reduktion der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken<br />

���� (1) Reduktion von Opportunitätsprämien der VU; (2) Intensivierter Preiswettbewerb<br />

���� Erhöhung der Transaktionskosten<br />

Zunahme des Preises der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung<br />

(1) Träge VN s<strong>ch</strong>liessen bei Vertragskündigung keinen neuen VV ab;<br />

(2) Zunahme der adversen Selektion<br />

Reduktion der Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge<br />

Instabilität des Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts - Zunahme der adversen Selektion<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt -<br />

Renten der VN -<br />

Renten der VI -<br />

Renten der VU -<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

-<br />

+ Reduktion der Häufigkeit von Prämienerhöhungen<br />

- Zunahme der Häufigkeit von Vertragskündigungen dur<strong>ch</strong> die VU<br />

- Zunahme der Marktinstabilität aufgrund erhöhter adverser Selektion<br />

(1) Erhöhung der sekundären und tertiären S<strong>ch</strong>adenskosten;<br />

(2) Reduktion der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken<br />

(1) Intensivierung des Preiswettbewerbs; (2) Reduktion von Opportunitätsprämien;<br />

247


10 Prämienanpassungsklausel (Art. 49 E-<strong>VVG</strong>)<br />

10.4.3 Exkurs: Staatli<strong>ch</strong> angeordnete Prämienanpassungen<br />

Gemäss den befragten Experten eines VU gibt es Prämienerhöhungen, die staatli<strong>ch</strong> angeordnet sind. Die-<br />

ser Fall ist offenbar im Jahr 2005 eingetreten: In diesem Jahr gab es sehr hohe Elementars<strong>ch</strong>äden, so dass<br />

die VU die sogenannte «Katastrophenbremse» (Ges<strong>ch</strong>ädigte werden ni<strong>ch</strong>t vollständig, sondern nur pro-<br />

zentual in Abhängigkeit der verfügbaren Mittel) hätten geltend ma<strong>ch</strong>en können. Die VU wollten dieses<br />

Mittel ni<strong>ch</strong>t ergreifen. Stattdessen wurde ents<strong>ch</strong>ieden, eine Prämienerhöhung mittels PAK dur<strong>ch</strong>zuführen.<br />

Dabei ist zu berücksi<strong>ch</strong>tigen, dass die betroffenen Versi<strong>ch</strong>erungsverträge bezügli<strong>ch</strong> Prämienhöhe und<br />

Leistungsumfang vollständig identis<strong>ch</strong> sind. Da die VN bei der Dur<strong>ch</strong>führung einer PAK ein Kündigungs-<br />

re<strong>ch</strong>t haben, gab es im Rahmen der staatli<strong>ch</strong> angeordneten Prämienerhöhung Kündigungen, die auf op-<br />

portunistis<strong>ch</strong>es Verhalten von Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern zurückzuführen sind: Es gab offenbar Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvermittler, wel<strong>ch</strong>e die Gunst der Stunde genutzt haben, um Neuges<strong>ch</strong>äfte zu ma<strong>ch</strong>en.<br />

Die befragten Vertreter des VU fordern deshalb, dass bei staatli<strong>ch</strong> angeordneten Prämienerhöhungen kein<br />

Kündigungsre<strong>ch</strong>t entstehen soll. Hierzu ist aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t Folgendes zu sagen:<br />

■ Der We<strong>ch</strong>sel des Versi<strong>ch</strong>erers ist in derartigen Fällen ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert, weil bei sol<strong>ch</strong>en We<strong>ch</strong>seln<br />

nur Transaktionskosten und keine Nutzen entstehen.<br />

■ Es sind Fälle denkbar, bei wel<strong>ch</strong>en die Prämienerhöhung dazu führt, dass die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft des<br />

VN den Preis der Versi<strong>ch</strong>erung ni<strong>ch</strong>t mehr deckt. In diesem Fall sollte si<strong>ch</strong> der VN von seinem Vertrag lösen<br />

können.<br />

10.5 Zusammenfassung<br />

10.5.1 Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

In Tabelle 55 sind Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung im Sinne von Art. 49 E-<strong>VVG</strong><br />

dargestellt.<br />

Tabelle 55: Prämienanpassungsklausel: Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

∆: Prämienanpassung nur bei Veränderung der massgebli<strong>ch</strong>en Verhältnissen<br />

<strong>VVG</strong>: AVB der VU<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 49<br />

Problemstellung: Lockvogelangebote<br />

Ziel: Verhinderung von ex post Opportunismus der VU<br />

Quelle: <strong>VVG</strong>, E-<strong>VVG</strong>, Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t (2009), eigene Analysen<br />

10.5.2 Auswirkungen der Regulierung<br />

Die Ergebnisse der ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse kann folgendermassen zusammengefasst werden:<br />

■ Effiziente Allokation von Vertragsrisiken: Der Grundsatz, dass die VU Prämienanpassungen nur<br />

dann vornehmen können, wenn sie die Notwendigkeit der Prämienanpassung ni<strong>ch</strong>t selbst vers<strong>ch</strong>ulden, ist<br />

aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t zu begrüssen.<br />

■ Prämienanpassungen auf einzelnen Policen: Prämienanpassungen, wel<strong>ch</strong>e die VU auf einzelnen<br />

Verträgen dur<strong>ch</strong>führen, na<strong>ch</strong>dem si<strong>ch</strong> ex post herausgestellt hat, dass das VU das Risiko des VN fals<strong>ch</strong><br />

einges<strong>ch</strong>ätzt hat, sind grundsätzli<strong>ch</strong> zu unterbinden. Derartige Prämienanpassungen stehen im Wider-<br />

spru<strong>ch</strong> zum Grundsatz «pacta sunt servanda». Unter Art. 49 E-<strong>VVG</strong> werden Prämienerhöhungen auf ein-<br />

248


10 Prämienanpassungsklausel (Art. 49 E-<strong>VVG</strong>)<br />

zelnen Policen mittels PAK ni<strong>ch</strong>t mehr mögli<strong>ch</strong> sein, was aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t zu begrüssen ist – aller-<br />

dings nur dann, wenn die VU kein Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall haben.<br />

■ Prämienanpassungen auf einem Bestand: Wenn ein VU die Notwendigkeit einer Prämienanpassung<br />

auf einem Bestand selbst vers<strong>ch</strong>uldet hat und eine Anpassung der Prämien unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> wird, entste-<br />

hen höhere sekundäre und tertiäre S<strong>ch</strong>adenskosten, wenn das VU die Prämienerhöhung ni<strong>ch</strong>t mittels<br />

einer Prämienanpassungsklausel (PAK) dur<strong>ch</strong>führen kann. Diese zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten müssen gegen die<br />

Präventivwirkung abgewogen werden, die tendenziell dazu führt, dass weniger Prämienanpassungen<br />

dur<strong>ch</strong>geführt werden, was si<strong>ch</strong> positiv auf die Konsumentenrenten der VN auswirkt.<br />

10.5.3 Empfehlungen<br />

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnissen lassen si<strong>ch</strong> die folgenden Empfehlungen ableiten:<br />

■ Regulierung der Prämienanpassungsklauseln im VAG: Die VN können ni<strong>ch</strong>t erkennen, ob die<br />

Notwendigkeit einer Prämienerhöhung auf einem Bestand mittels PAK vom VU selbst vers<strong>ch</strong>uldet ist oder<br />

von exogenen Faktoren verursa<strong>ch</strong>t ist. Dieser Tatbestand spri<strong>ch</strong>t dafür, dass die FINMA darüber ents<strong>ch</strong>ei-<br />

det, ob eine Prämienanpassung mittels PAK auf einem Policenbestand gere<strong>ch</strong>tfertigt ist oder ni<strong>ch</strong>t. Aus<br />

ökonomis<strong>ch</strong>en Überlegungen sollten Prämienanpassungen mittels PAK nur dann unterbunden werden,<br />

wenn die Notwendigkeit der Prämienerhöhung vom VU vorsätzli<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>uldet ist (Lockvogelangebote<br />

und aggressive Risikozei<strong>ch</strong>nungspolitik).<br />

■ Gefahr einer Substitution der Prämienerhöhung dur<strong>ch</strong> Kündigung im S<strong>ch</strong>adensfall: Falls den<br />

VU weiterhin ein Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall (Art. 55 E-<strong>VVG</strong>) zur Verfügung steht, ist es aus öko-<br />

nomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert, dass die VU au<strong>ch</strong> die Mögli<strong>ch</strong>keit haben, eine Prämienerhöhung auf<br />

einem einzelnen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag auf der Basis einer PAK vorzunehmen. Andernfalls ist zu befür<strong>ch</strong>-<br />

ten, dass Prämienerhöhungen mit Vertragskündigungen substituiert werden, was dazu führen kann, dass<br />

die VN ihren Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz verlieren (Erhöhung der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten). Eine Umsetzung<br />

von Art. 49 E-<strong>VVG</strong> empfehlen wir also nur für den Fall, dass die Kündigung im S<strong>ch</strong>adensfall dur<strong>ch</strong> die VU<br />

verboten wird.<br />

249


11 Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

11 Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

11.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

11.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

In Tabelle 56 sind die relevanten gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen einander gegenübergestellt.<br />

Tabelle 56: Kündigungsre<strong>ch</strong>te: Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

Art. 53 (Ordentli<strong>ch</strong>e Kündigung) E-<strong>VVG</strong><br />

53.1. Der Vertrag kann, au<strong>ch</strong> wenn er für eine längere<br />

Dauer vereinbart wurde, auf das Ende des [dritten] ODER<br />

[zweiten] ODER [ersten] oder jedes darauf folgenden<br />

Jahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten<br />

gekündigt werden.<br />

53.2. Die Parteien können vereinbaren, dass der Vertrag<br />

s<strong>ch</strong>on vor Ablauf des dritten Jahres kündbar ist, wobei die<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer<br />

ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter gestellt werden darf als das<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen.<br />

53.3. Vorbehalten bleiben die besonderen Bestimmungen<br />

für die Lebensversi<strong>ch</strong>erung.<br />

Art. 55 (Kündigung im S<strong>ch</strong>adenfall) E-<strong>VVG</strong><br />

Art. 42 (Teils<strong>ch</strong>aden) <strong>VVG</strong><br />

55.1. Der Vertrag ist kündbar, wenn: 42.1. Ist nur ein Teils<strong>ch</strong>aden eingetreten und wird<br />

a. ein S<strong>ch</strong>aden eintritt, der eine Leistungspfli<strong>ch</strong>t des<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmens auslöst; und<br />

b. der Vertrag ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> Artikel 51 Absatz 1 [Der Vertrag<br />

erlis<strong>ch</strong>t, wenn das versi<strong>ch</strong>erte wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Interesse<br />

während der Vertragsdauer wegfällt] erlis<strong>ch</strong>t.<br />

55.2. Das Kündigungsre<strong>ch</strong>t erlis<strong>ch</strong>t zwei Wo<strong>ch</strong>en na<strong>ch</strong><br />

Auszahlung der Ents<strong>ch</strong>ädigung.<br />

55.3. Wird der Vertrag gekündigt, so endet das<br />

Vertragsverhältnis zwei Wo<strong>ch</strong>en na<strong>ch</strong> Zugang der Kündigung.<br />

Anmerkungen: Orange = halbzwingendes Re<strong>ch</strong>t; Blau: Existenz von Alternativszenarien;<br />

Quelle: E-<strong>VVG</strong>, <strong>VVG</strong><br />

Unter dem geltenden <strong>VVG</strong> gibt es das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> ein ordentli<strong>ch</strong>es<br />

Kündigungsre<strong>ch</strong>t. In diesem Sinne können die Regulierungsszenarien folgendermassen definiert werden:<br />

■ Regulierungsszenario: Einführung eines ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>ts im Sinne von Art. 53 E-<strong>VVG</strong>,<br />

Subalternativen: Ordentli<strong>ch</strong>e Kündigung na<strong>ch</strong> einem, zwei oder drei Jahren. Beibehaltung der Mögli<strong>ch</strong>keit<br />

der Kündigung im S<strong>ch</strong>adensfall im Sinne von Art. 55 E-<strong>VVG</strong>.<br />

■ Alternativszenario: Verbot der Kündigung im S<strong>ch</strong>adensfall und Einführung eines ordentli<strong>ch</strong>en Kündi-<br />

gungsre<strong>ch</strong>ts im Sinne von Art. 53 E-<strong>VVG</strong>.<br />

dafür Ersatz beanspru<strong>ch</strong>t, so ist der Versi<strong>ch</strong>erer wie<br />

der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer bere<strong>ch</strong>tigt, spätestens bei<br />

der Auszahlung der Ents<strong>ch</strong>ädigung vom Vertrage<br />

zurückzutreten.<br />

42.2. Wird der Vertrag gekündigt, so erlis<strong>ch</strong>t die<br />

Haftung des Versi<strong>ch</strong>erers 14 Tage, na<strong>ch</strong>dem der<br />

anderen Partei die Kündigung mitgeteilt wurde.<br />

42.3. Dem Versi<strong>ch</strong>erer bleibt der Anspru<strong>ch</strong> auf die<br />

Prämie für die laufende Versi<strong>ch</strong>erungsperiode<br />

gewahrt, falls der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer den Vertrag<br />

während des auf den Vertragsabs<strong>ch</strong>luss folgenden<br />

Jahres kündigt.<br />

42.4. Tritt weder der Versi<strong>ch</strong>erer no<strong>ch</strong> der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer vom Vertrage zurück, so haftet<br />

der Versi<strong>ch</strong>erer für die Folgezeit, wenn ni<strong>ch</strong>ts anderes<br />

vereinbart ist, mit dem Restbetrage der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungssumme.<br />

250


11 Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

11.1.2 Identifikation der Veränderungen<br />

Ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t (Art. 53 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Unter dem geltenden <strong>VVG</strong> gibt es kein ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t. Mit Art. 53 E-<strong>VVG</strong> wird neu ein<br />

ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t eingeführt (Regulierungsszenario). Eine ordentli<strong>ch</strong>e Kündigung soll spätes-<br />

tens na<strong>ch</strong> einem, zwei oder drei Jahren na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss mögli<strong>ch</strong> sein. Na<strong>ch</strong> Ablauf dieser Fristen soll<br />

eine Kündigung jedes weitere Jahr mögli<strong>ch</strong> sein. Die ordentli<strong>ch</strong>e Kündigung hat unter Einhaltung einer<br />

dreimonatigen Frist zu erfolgen.<br />

Bezügli<strong>ch</strong> des Referenzszenario im Berei<strong>ch</strong> der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen muss berücksi<strong>ch</strong>tigt<br />

werden, dass die Versi<strong>ch</strong>erer na<strong>ch</strong> heutigem Re<strong>ch</strong>t bei Vertragsablauf und im S<strong>ch</strong>adensfall zwar kündigen<br />

können, grossmehrheitli<strong>ch</strong> aber auf dieses Re<strong>ch</strong>t verzi<strong>ch</strong>ten (vgl. Eidgenössis<strong>ch</strong>e Kommission für Familien-<br />

fragen 2009, 4 und KPT 2009, 4).<br />

Kündigung im S<strong>ch</strong>adensfall (Art. 55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Das Kündigungsre<strong>ch</strong>t der Versi<strong>ch</strong>erer im S<strong>ch</strong>adensfall gibt es gemäss einem der befragten Experten nur in<br />

der S<strong>ch</strong>weiz.<br />

Gemäss den Ausführungen von Prof. Dr. Fuhrer wird das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall von den Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsunternehmen in der Praxis oft genutzt, um Auseinandersetzungen darüber, ob ein Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsbetrug vorliegt, zu vermeiden.<br />

Wie bereits in Zusammenhang mit dem ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>t gemäss Art. 53 E-<strong>VVG</strong> muss be-<br />

zügli<strong>ch</strong> des Referenzszenario im Berei<strong>ch</strong> der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen und der Krankentag-<br />

geldversi<strong>ch</strong>erungen berücksi<strong>ch</strong>tigt werden, dass die Versi<strong>ch</strong>erer na<strong>ch</strong> heutigem Re<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall<br />

zwar kündigen können, grossmehrheitli<strong>ch</strong> aber auf dieses Re<strong>ch</strong>t verzi<strong>ch</strong>ten (vgl. Eidgenössis<strong>ch</strong>e Kommis-<br />

sion für Familienfragen 2009, 4 und KPT 2009, 4).<br />

11.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

Ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t (Art. 53 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Hintergrund eines ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>ts na<strong>ch</strong> drei Jahren ist gemäss Dr. Stephan Weber die<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung, dass es im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt teilweise Verträge mit sehr langer Vertragsdauer gibt. Ein<br />

Beispiel hierfür sind etwa Re<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>utz-Policen mit 10-jähriger Vertragslaufzeit.<br />

■ Kürzere Vertragslaufzeit → Verstärkung des Wettbewerbs im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt: Wenn die<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer ihre Versi<strong>ch</strong>erungsverträge früher und häufiger künden können, verstärkt dies den<br />

Wettbewerb unter den Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen.<br />

■ Kürzere Vertragslaufzeit → Mögli<strong>ch</strong>keit des VN, bei Unzufriedenheit aus dem Vertrag auszu-<br />

steigen: Mit Wegfall der Genehmigungspfli<strong>ch</strong>t der AGB hat die Aufsi<strong>ch</strong>tsbehörde keinen Einfluss mehr<br />

auf die Vertragsbestimmungen, wel<strong>ch</strong>e die Vertragsdauer betreffen. Das ordentli<strong>ch</strong>e Kündigungsre<strong>ch</strong>t<br />

stellt si<strong>ch</strong>er, dass si<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer, die mit dem Vertrag unzufrieden sind, spätestens na<strong>ch</strong> drei<br />

Jahren vom ungeliebten Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag lösen können.<br />

Kündigung im S<strong>ch</strong>adensfall (Art. 55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Der Hintergrund von Art. 55 E-<strong>VVG</strong> ist eine Abwägung: «Da de lege ferenda nun ein ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungs-<br />

re<strong>ch</strong>t gewährt werden soll (Art. 53 E-<strong>VVG</strong>), stellt si<strong>ch</strong> sowohl aus Si<strong>ch</strong>t der Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen als au<strong>ch</strong> aus<br />

jener der Versi<strong>ch</strong>erten die Frage, ob ein besonderes Kündigungsre<strong>ch</strong>t im Teils<strong>ch</strong>adenfall no<strong>ch</strong> opportun ist. Nament-<br />

251


11 Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

li<strong>ch</strong> für einen Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer kann es im S<strong>ch</strong>adensfall s<strong>ch</strong>wierig sein, bei Kündigung dur<strong>ch</strong> das Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

unternehmen den Abs<strong>ch</strong>luss eines neuen Vertrages realisieren zu können. Andererseits mag si<strong>ch</strong> für den Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsnehmer bei aus seiner Si<strong>ch</strong>t inadäquater Erledigung eines S<strong>ch</strong>adens der Wuns<strong>ch</strong> beziehungsweise die Notwen-<br />

digkeit ergeben, si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> einem neuen Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen umzusehen. Eine Abwägung der hier im Spiel<br />

liegenden Interessen führt allerdings dazu, die Wettbewerbsmögli<strong>ch</strong>keiten au<strong>ch</strong> bei Eintritt des befür<strong>ch</strong>teten Ereignis-<br />

ses zu betonen und insoweit ein besonderes Kündigungsre<strong>ch</strong>t vorzusehen.» (Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t 2009, 58).<br />

Diese Ausführungen ma<strong>ch</strong>en deutli<strong>ch</strong>, dass bezügli<strong>ch</strong> Art. 55 E-<strong>VVG</strong> eine Abwägung zwis<strong>ch</strong>en den fol-<br />

genden zwei Argumenten für und gegen das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall vorgenommen werden<br />

musste:<br />

■ Argument für das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall: Der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer soll si<strong>ch</strong> im S<strong>ch</strong>a-<br />

densfall vom Versi<strong>ch</strong>erer trennen können, wenn er mit der S<strong>ch</strong>adenregulierung desselben ni<strong>ch</strong>t zufrieden<br />

ist. Dadur<strong>ch</strong> entsteht unter den Versi<strong>ch</strong>erern ein Wettbewerb bezügli<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>adenregulierung.<br />

■ Argument gegen das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall: Die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen können<br />

im S<strong>ch</strong>adensfall unliebsame Risiken loswerden. Dieses Gefahr ist insbesondere bei den Krankenzusatzver-<br />

si<strong>ch</strong>erung und der Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung eminent.<br />

Prof. Dr. Stephan Fuhrer ma<strong>ch</strong>t darauf aufmerksam, dass ausserordentli<strong>ch</strong>e Kündigungsre<strong>ch</strong>te im Allge-<br />

meinen und das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall im Besonderen umso unbedeutender sind, je kürzer die<br />

Abstände bezügli<strong>ch</strong> der ordentli<strong>ch</strong>en Kündigung (vgl. Art. 53 E-<strong>VVG</strong>) definiert sind. Dieser Meinung<br />

s<strong>ch</strong>liesst si<strong>ch</strong> Dr. Stephan Weber an, indem er das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall angesi<strong>ch</strong>ts der Mög-<br />

li<strong>ch</strong>keit einer ordentli<strong>ch</strong>en Kündigung na<strong>ch</strong> 3 Jahren generell in Frage stellt. Darüber hinaus vertritt Dr.<br />

Stephan Weber die Ansi<strong>ch</strong>t, dass das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall im Widerspru<strong>ch</strong> zu jegli<strong>ch</strong>en<br />

re<strong>ch</strong>tsdogmatis<strong>ch</strong>en Grundsätzen stehe: Es sei ni<strong>ch</strong>t einsi<strong>ch</strong>tig, weshalb Vertragserfüllung ein Kündigungs-<br />

re<strong>ch</strong>t begründen solle.<br />

11.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung<br />

Ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t (Art. 53 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Santésuisse und vers<strong>ch</strong>iedene Krankenkassen haben im Rahmen der Vernehmlassung darauf hingewiesen,<br />

dass im Berei<strong>ch</strong> der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen ein ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t im Interesse der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer ist: «Le Groupe Mutuel est d'avis que l'introduction de cette disposition menace un des<br />

principes fondamentaux de I'assurance, à savoir la solidarité au sein d'une communauté de risques. En effet, plus la<br />

période d'assurance est courte, moins I'effet de solidarité sera assuré» (Groupe Mutuel 2009, 4). Vor diesem Hin-<br />

tergrund s<strong>ch</strong>lagen die Krankenkassen vor, dass eine ordentli<strong>ch</strong>e Kündigung bei der Krankenzusatzversi-<br />

<strong>ch</strong>erung erst na<strong>ch</strong> 5 Jahren mögli<strong>ch</strong> sein soll (vgl. u.a. Santésuisse 2009, 4). Andere Institutionen, die an<br />

der Vernehmlassung teilgenommen haben, s<strong>ch</strong>lagen hingegen vor, die Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen vom<br />

Geltungsberei<strong>ch</strong> von Art. 53 E-<strong>VVG</strong> auszunehmen (vgl. u.a. KPT 2009, 4). Die Konsumentens<strong>ch</strong>utzorgani-<br />

sationen verlangen für die Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen sogar, dass die Kündigung dur<strong>ch</strong> den Versi<strong>ch</strong>erer<br />

bei Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong> sein sollte (Konsumentens<strong>ch</strong>utzorganisationen 2009, 7).<br />

Kündigung im S<strong>ch</strong>adensfall (Art. 55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Vers<strong>ch</strong>iedene Institutionen, die an der Vernehmlassung zum E-<strong>VVG</strong> teilgenommen haben, weisen darauf<br />

hin, dass das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall gemäss Art. 55 von den Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen ge-<br />

nutzt werden kann, unliebsame Risiken loszuwerden. Diese Gefahr stellt si<strong>ch</strong> in besonderem Ausmass bei<br />

den Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen, weshalb die Konsumentens<strong>ch</strong>utzorganisationen verlangen, diese vom<br />

252


11 Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Geltungsberei<strong>ch</strong> von Art. 55 E-<strong>VVG</strong> auszunehmen: «Les organisations de consommateurs considerent que cette<br />

possibilité de résiliation en cas de sinistre ouvre la porte à des situations difficiles puisque I'entreprise d'assurance<br />

pourra résilier immédiatement un contrat en cas de sinistre. Que se passe-t-il par exemple si I'on decouvre une mala-<br />

die <strong>ch</strong>ronique? L'assurance résilie au moment du premier paiement et ne couvre plus la suite de la maladie. Cet article<br />

devrait être supprimé du projet ou au moins prévoir une exception pour les assurances maladies complementaires»<br />

(Konsumentens<strong>ch</strong>utzorganisationen 2009, 7).<br />

Intégration Handicap kritisiert das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall gemäss Art. 55 E-<strong>VVG</strong> au<strong>ch</strong> mit Blick<br />

auf die Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungen: «Diese Mögli<strong>ch</strong>keit unterläuft einen angemessenen Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz insbeson-<br />

dere in der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung, gibt sie do<strong>ch</strong> den Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen die Mögli<strong>ch</strong>keit, na<strong>ch</strong> jedem au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> so<br />

geringen Krankheitsfall den Vertrag zu kündigen. Au<strong>ch</strong> in der Taggeldversi<strong>ch</strong>erung erlaubt sie den Versi<strong>ch</strong>erern, selbst im Falle einer<br />

bloss kurzen Arbeitsunfähigkeit vom Vertrag zurückzutreten. Die versi<strong>ch</strong>erten Personen sind in sol<strong>ch</strong>en Fällen erfahrungsgemäss<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr in der Lage, eine Taggeldversi<strong>ch</strong>erung abzus<strong>ch</strong>liessen, weder im Rahmen der kollektiven no<strong>ch</strong> der Einzelversi<strong>ch</strong>erung»<br />

(Intégration Handicap 2009, 4-5).<br />

Der Arbeitgeberverband stellt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> mit Blick auf den B2B-Markt gegen das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im<br />

S<strong>ch</strong>adensfall: «[...]. Vielmehr kann er [Art. 55 E-<strong>VVG</strong>, BASS] dazu führen, dass Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer na<strong>ch</strong> einem<br />

S<strong>ch</strong>adenseintritt und erfolgter Kündigung dur<strong>ch</strong> den Versi<strong>ch</strong>erer S<strong>ch</strong>wierigkeiten haben, eine neue Versi<strong>ch</strong>erung<br />

abzus<strong>ch</strong>liessen. Was für Private gilt, gilt ebenso für KMU, wel<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> einen daraus resultierenden Zwang zur<br />

Selbstübernahme der Risikodeckung finanziell in Bedrängnis geraten könnten» (Arbeitgeberverband 2009, 5).<br />

11.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

Einleitend mö<strong>ch</strong>ten wir auf zwei Problemstellungen der Formulierung von Art. 53 und 55 E-<strong>VVG</strong> hin-<br />

weisen:<br />

■ Kündigungsre<strong>ch</strong>te in den Krankenzusatz- und Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungen: Grundsätzli<strong>ch</strong><br />

müssen ni<strong>ch</strong>t nur die Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen, sondern au<strong>ch</strong> die Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen und die<br />

Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungen vom Geltungsberei<strong>ch</strong> von Art. 53 E-<strong>VVG</strong> (und Art. 55 E-<strong>VVG</strong>) ausgenom-<br />

men werden. Denn bei diesen Versi<strong>ch</strong>erungen können S<strong>ch</strong>adensrisiken zu zwei vers<strong>ch</strong>iedenen Zeitpunkt<br />

miteinander korreliert sein. Diese Korrelation von S<strong>ch</strong>adenereignissen kann dazu führen, dass die VU den<br />

Vertrag kündigen können, sobald ein S<strong>ch</strong>aden eintritt, bei dem man weiss, dass ihm weitere S<strong>ch</strong>äden<br />

folgen werden. Bei den Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen steigt das S<strong>ch</strong>adensrisiko im Zeitverlauf stetig an,<br />

was darauf zurückzuführen ist, dass das S<strong>ch</strong>adensrisiko mit dem Alter der VN positiv korreliert ist. Die<br />

Verfügbarkeit eines ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t könnte ein VU deshalb dazu verleiten, dem VN den<br />

Vertrag zu kündigen, sobald dieser ein bestimmtes Alter, zum Beispiel das Pensionsalter, errei<strong>ch</strong>t. Au<strong>ch</strong><br />

bei den Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungen gibt es Korrelationen zwis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>adenereignissen zu zwei ver-<br />

s<strong>ch</strong>iedenen Zeitpunkten - insbesondere im Fall von psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Erkrankungen. Denn bei psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Er-<br />

krankungen (Beispiel: Burn-Out) gibt es jeweils eine ni<strong>ch</strong>t unbedeutende Rückfallquote. Steht dem VU ein<br />

Kündigungsre<strong>ch</strong>t zur Verfügung, kann es si<strong>ch</strong> so aus einer si<strong>ch</strong> abzei<strong>ch</strong>nenden S<strong>ch</strong>adensserie herauskün-<br />

digen. Wie wir in Abs<strong>ch</strong>nitt 4.5 ausgeführt haben, versi<strong>ch</strong>ert si<strong>ch</strong> der VN bei Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung<br />

und bei Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungen au<strong>ch</strong> dagegen, ein s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes Risiko zu sein. Aus diesem Grund<br />

empfehlen wir, in Art. 53 und Art. 55 explizit darauf hinzuweisen, dass ordentli<strong>ch</strong>e Kündigungen und<br />

Kündigungen im S<strong>ch</strong>adensfall dur<strong>ch</strong> die VU bei Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen und bei Krankentaggeldver-<br />

si<strong>ch</strong>erungen unzulässig sind. Vor dem Hintergrund des privatre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Charakters der zur Debatte ste-<br />

henden Verträgen kann diese Empfehlung als überzogen ers<strong>ch</strong>einen, da sie in einem gewissen Sinne ei-<br />

nen «Kontraktzwang» begründet. Unseres Era<strong>ch</strong>tens ist dies aus folgenden Gründen ni<strong>ch</strong>t der Fall, da die<br />

253


11 Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Versi<strong>ch</strong>erer eine Vielzahl von anderen Instrumenten haben, um die Risiken zu separieren und die Risiken<br />

kalkulierbar zu ma<strong>ch</strong>en:<br />

- Erfahrungstarifierung: Den Versi<strong>ch</strong>erern ist es freigestellt, variable Prämien derart zu definieren,<br />

dass s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te Risiken ihre Verträge von si<strong>ch</strong> aus kündigen.<br />

- Versi<strong>ch</strong>erungssumme: Die Versi<strong>ch</strong>erer haben die Mögli<strong>ch</strong>keiten, das Risiko eines Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vertrag mit einer Versi<strong>ch</strong>erungssumme gegen oben zu plafonieren.<br />

- Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse: Die Versi<strong>ch</strong>erer haben die Mögli<strong>ch</strong>keit, Risiken (z.B. <strong>ch</strong>ronis<strong>ch</strong>e Krankhei-<br />

ten), die sie als ni<strong>ch</strong>t versi<strong>ch</strong>erbar einstufen, von der Deckung auszus<strong>ch</strong>liessen.<br />

Die Forderung eines Verbots der ordentli<strong>ch</strong>en Kündigung bei Krankenzusatz- und Krankentaggeldversi-<br />

<strong>ch</strong>erungen ist in diesem Sinne eine Forderung na<strong>ch</strong> Transparenz: Die VN sollen beim Abs<strong>ch</strong>luss eines Ver-<br />

si<strong>ch</strong>erungsvertrag wissen, unter wel<strong>ch</strong>en Umständen sie ihren Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz verlieren werden. Eine<br />

derartige Transparenz ist ni<strong>ch</strong>t gegeben, solange si<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erer mit dem ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungs-<br />

re<strong>ch</strong>t aus gestaffelten S<strong>ch</strong>adensserien herauskündigen können, was anhand eines Beispiels expliziert wer-<br />

den kann: Ein VN s<strong>ch</strong>liesst im Alter von 30 Jahren eine Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung ab, bezieht während<br />

18 Jahren keine Leistungen. Zu Beginn des 19. Vertragslaufjahres erkrankt er an einer <strong>ch</strong>ronis<strong>ch</strong>en Krank-<br />

heit, die derart sei, dass absehbar ist, dass in den nä<strong>ch</strong>sten 10 Jahren grössere S<strong>ch</strong>äden anfallen werden,<br />

die gemäss dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag gedeckt sind und die mit an Si<strong>ch</strong>erheit grenzender Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>-<br />

keit zu einem negativen Rendement der Police führen werden. Die Konstellation sei derart, dass der Kran-<br />

kenversi<strong>ch</strong>erer die Mögli<strong>ch</strong>keit habe, den Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag per Ende des 20. Jahres zu kündigen. Das<br />

Problem ist, dass der VN die Kriterien ni<strong>ch</strong>t kennt, gemäss wel<strong>ch</strong>en sein Versi<strong>ch</strong>erer den Ents<strong>ch</strong>eid fällt,<br />

den Vertrag fortzuführen bzw. zu kündigen. Wird der Versi<strong>ch</strong>erer seinem Ents<strong>ch</strong>eid das Rendement der<br />

Police in den letzten 5 Jahren, in den letzten 10 oder sogar in den letzten 20 Jahren zugrunde legen?<br />

Hängt der Ents<strong>ch</strong>eid au<strong>ch</strong> vom Ges<strong>ch</strong>äftsverlauf des Versi<strong>ch</strong>erers im laufenden Jahre ab?<br />

■ Der halbzwingende Charakter von Art. 53 Abs. 2 impliziert, dass die Parteien nur dann vereinbaren<br />

können, dass der Vertrag s<strong>ch</strong>on vor Ablauf des dritten Jahres kündbar ist, wenn die VN dadur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter gestellt werden. Hieraus ergibt si<strong>ch</strong> eine Unklarheit: So stellt si<strong>ch</strong> z.B. die Frage, ob 1-Jahres-<br />

Verträge, bei wel<strong>ch</strong>en sowohl die VU als au<strong>ch</strong> die VN bereits na<strong>ch</strong> Ablauf von einem Jahr kündigen kön-<br />

nen, die VN s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter oder besser stellen.<br />

11.4.1 Ausübung der Kündigungsre<strong>ch</strong>te unter dem geltenden <strong>VVG</strong><br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse der im E-<strong>VVG</strong> vorgesehenen Veränderungen im Berei<strong>ch</strong> der Kündigungsre<strong>ch</strong>te<br />

muss vor dem Hintergrund vorgenommen werden, wie die VN und VU ihre Kündigungsre<strong>ch</strong>te unter dem<br />

geltenden <strong>VVG</strong> wahrnehmen. Aufgrund der Angaben, die wir von den VU erhalten haben, können wir<br />

folgende empiris<strong>ch</strong>e Aussagen ma<strong>ch</strong>en:<br />

■ Der Anteil der laufenden Versi<strong>ch</strong>erungsverträge, die während einem Jahr von den VU oder von den VN<br />

gekündigt werden, beträgt in den meisten Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en rund 10%. Bei den Gebäude- und<br />

Transportversi<strong>ch</strong>erungen sowie bei den Lebensversi<strong>ch</strong>erungen ist die Kündigungsrate no<strong>ch</strong> tiefer. Dieser<br />

empiris<strong>ch</strong>e Tatbestand kann dahingehend interpretiert werden, dass die Mehrheit der VN ihre Verträ-<br />

ge ni<strong>ch</strong>t kündigen, obwohl ihnen vertragli<strong>ch</strong> ein Kündigungsre<strong>ch</strong>t zur Verfügung steht, das sie<br />

unmittelbar (d.h. einmal pro Jahr) geltend ma<strong>ch</strong>en könnten.<br />

■ Der Wettbewerb ist bei den Motorfahrzeug-Versi<strong>ch</strong>erungen besonders ausgeprägt, so dass es in dieser<br />

Bran<strong>ch</strong>e besonders viel Bewegung gibt.<br />

■ Verträge mit Laufzeiten von mehr als 3 Jahren sind ni<strong>ch</strong>t mehr so verbreitet wie früher. Eines der be-<br />

fragten VU hat geltend gema<strong>ch</strong>t, dass die meisten ihrer Verträge 1-Jahres-Verträge mit Prolongationsklau-<br />

seln seien. Bei den Hausratsversi<strong>ch</strong>erungen werden au<strong>ch</strong> heutzutage no<strong>ch</strong> Verträge mit Laufzeiten von 5<br />

oder 10 Jahren abges<strong>ch</strong>lossen. Es gibt VU, die bei sol<strong>ch</strong>en Verträgen den VN auf Anfrage ein jährli<strong>ch</strong>es<br />

254


11 Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Kündigungsre<strong>ch</strong>t gewähren, andere gewähren ein sol<strong>ch</strong>es standardmässig, d.h. au<strong>ch</strong> ohne Na<strong>ch</strong>frage des<br />

VN. Au<strong>ch</strong> in den Bran<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>utz, Haftpfli<strong>ch</strong>t und Kollektivleben sind Verträge mit Laufzeiten von<br />

mehr als drei Jahren no<strong>ch</strong> übli<strong>ch</strong>.<br />

■ Die Kündigungsre<strong>ch</strong>te werden gemäss den Angaben der VU in erster Linie von den VN ausgeübt: In<br />

den meisten Bran<strong>ch</strong>en beträgt der Anteil der Kündigungen, die von den VN ausgelöst wurden, mehr als<br />

90%. Die befragten Experten führen diesen Sa<strong>ch</strong>verhalt darauf zurück, dass die VU grundsätzli<strong>ch</strong> ein<br />

Interesse haben, einen Kunden zu behalten. Der Anteil der Vertragskündigungen, die von den VU vorge-<br />

nommen werden, s<strong>ch</strong>eint in der Bran<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz am hö<strong>ch</strong>sten zu sein.<br />

■ Au<strong>ch</strong> das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall wird gemäss den Angaben der befragten VU fast nur von<br />

den VN genutzt: Der Anteil der Kündigungen im S<strong>ch</strong>adensfall, die von den VU ausgespro<strong>ch</strong>en werden,<br />

beträgt zwis<strong>ch</strong>en 2 bis 5 Prozent. Kündigungen im S<strong>ch</strong>adensfall dur<strong>ch</strong> die VU gibt es v.a. bei Hausrats-,<br />

Motorfahrzeug-, Haftpfli<strong>ch</strong>t- und Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erungen.<br />

■ Es muss davon ausgegangen werden, dass die VN das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall unter dem<br />

geltenden <strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t nur dann geltend ma<strong>ch</strong>en, wenn sie mit der S<strong>ch</strong>adenregulierung ni<strong>ch</strong>t zufrieden<br />

sind, sondern au<strong>ch</strong> aus anderen Gründen.<br />

Gemäss den befragten Experten der VU geht einer Vertragskündigung dur<strong>ch</strong> das VU eine Überprüfung<br />

der S<strong>ch</strong>adensbelastung voraus. Dabei wird die Kundenbeziehung in ihrer Gesamtheit betra<strong>ch</strong>tet, was<br />

bedeutet, dass die Überprüfung ni<strong>ch</strong>t auf einzelnen Policen vorgenommen wird. Die S<strong>ch</strong>adenbelastung<br />

gilt als zu ho<strong>ch</strong>, wenn die Summe der Prämienzahlungen z.B. der letzten 5 Jahren höher ist als die Summe<br />

der S<strong>ch</strong>adenszahlungen des VU während dieser Periode, man spri<strong>ch</strong>t in diesen Fällen von einem «negati-<br />

ven Rendement». Gemäss den befragten Experten erfolgt die Kündigung in einem sol<strong>ch</strong>en Fall ni<strong>ch</strong>t un-<br />

mittelbar. Vielmehr werden in einem ersten S<strong>ch</strong>ritt andere Massnahmen zur sogenannten «Policensanie-<br />

rung» vorgenommen. Hierfür werden folgende Instrumente verwendet:<br />

■ Erhöhung von Selbstbehalten und Fran<strong>ch</strong>isen (z.B. We<strong>ch</strong>sel von Vollkasko zu Teilkasko).<br />

■ Erhöhung der Prämie<br />

■ Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse<br />

■ Verpfli<strong>ch</strong>tung des VN zu Massnahmen der S<strong>ch</strong>adenabwendung (Beispiel: Alarmanlage)<br />

Erst wenn diese Massnahmen ni<strong>ch</strong>t zum Ziel führen, trennt si<strong>ch</strong> das VU vom betroffenen VN dur<strong>ch</strong> Ver-<br />

tragskündigung. Allerdings s<strong>ch</strong>eint dies ni<strong>ch</strong>t immer der Fall zu sein; so zitiert die Konsumentenzeits<strong>ch</strong>rift<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter aus dem Jahresberi<strong>ch</strong>t der Ombudsfrau der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA folgendermas-<br />

sen:<br />

«Auffällig sind im Berei<strong>ch</strong> der Hausrat-, Haftpfli<strong>ch</strong>t- und Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erungen die si<strong>ch</strong> häufenden Klagen über<br />

Kündigung im S<strong>ch</strong>adensfall. Aufgrund der zunehmenden Zahl deswegen unterbreiteter Fälle entsteht der Eindruck,<br />

einzelne Gesells<strong>ch</strong>aften würden so Policensanierung betreiben» (zitiert na<strong>ch</strong> einem Artikel in der Beoba<strong>ch</strong>ter-Ausgabe<br />

23/2004 69 ).<br />

Gemäss der Ombudsfrau der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA stossen Vertragskündigungen dur<strong>ch</strong> das<br />

VU bei den VN oft auf Unverständnis:<br />

■ «Einige Bes<strong>ch</strong>werden betrafen die Kündigungen im S<strong>ch</strong>adenfall. Die Versi<strong>ch</strong>erten era<strong>ch</strong>teten es dur<strong>ch</strong>wegs als sehr<br />

ungere<strong>ch</strong>t, wenn der Versi<strong>ch</strong>erer wegen grosser S<strong>ch</strong>adenhäufigkeit die Police ni<strong>ch</strong>t weiterzuführen bereit war. Sie<br />

ma<strong>ch</strong>ten in der Regel geltend, dass sie kein Vers<strong>ch</strong>ulden am S<strong>ch</strong>adenseintritt traf und fühlten si<strong>ch</strong> vom eigenen Versi-<br />

<strong>ch</strong>erer im Sti<strong>ch</strong> gelassen.» (Ombudsfrau 2006, 23).<br />

69 http://www.beoba<strong>ch</strong>ter.<strong>ch</strong>/konsum/artikel/versi<strong>ch</strong>erung_solidaritaet-adieu/<br />

255


11 Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ «Ein anderes Problem im Zusammenhang mit Policenkündigungen betraf die Kündigung im S<strong>ch</strong>adenfall seitens der<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft. Sol<strong>ch</strong>e Kündigungen wurden von vielen Versi<strong>ch</strong>erten als ungere<strong>ch</strong>t empfunden. Me Subilia [ein Mitar-<br />

beiter der Ombudsstelle, BASS] konnte den Betroffenen zwar die Re<strong>ch</strong>tslage erklären und darauf hinweisen, dass es<br />

si<strong>ch</strong> um eine beiden Parteien zustehende vertragli<strong>ch</strong>e Mögli<strong>ch</strong>keit handle. Auf wenig Verständnis stiess er aber in<br />

Fällen der Kündigung bei der obligatoris<strong>ch</strong>en Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erung. Vielfa<strong>ch</strong> hatten die Betroffenen grosse<br />

Mühe, einen anderen Versi<strong>ch</strong>erer zu finden. Die Leute konnten ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>vollziehen, weshalb der Gesetzgeber einer-<br />

seits den Abs<strong>ch</strong>luss einer Versi<strong>ch</strong>erung vors<strong>ch</strong>reibt, andererseits aber bei obligatoris<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungen keinen Kont-<br />

rahierungszwang kennt.» (Ombudsfrau 2007, 19).<br />

11.4.2 Analyse der Kündigungsre<strong>ch</strong>te der VN<br />

11.4.2.1 Warum VN ihre Versi<strong>ch</strong>erungsverträge kündigen<br />

Um die Kosten und Nutzen der Kündigung dur<strong>ch</strong> die VN zu identifizieren, ist es zweckmässig, in einem<br />

ersten S<strong>ch</strong>ritt die Gründe zu analysieren, weshalb VN ihre Verträge kündigen. Grundsätzli<strong>ch</strong> können die<br />

folgenden Gründe differenziert werden, die VN veranlassen können, einen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag aufzulö-<br />

sen:<br />

■ Veränderung der Risikoexposition des VN: Sowohl wenn si<strong>ch</strong> das Risiko des VN erhöht als au<strong>ch</strong><br />

vermindert, hat der VN mit Art. 46 E-<strong>VVG</strong> (Erhöhung der Gefahr), Art. 47 E-<strong>VVG</strong> (Verminderung der Ge-<br />

fahr) und Art. 51 E-<strong>VVG</strong> (Wegfall des versi<strong>ch</strong>erten wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Interessens) die Mögli<strong>ch</strong>keit, si<strong>ch</strong> vom<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu lösen. Hierfür brau<strong>ch</strong>t er also weder das ordentli<strong>ch</strong>e Kündigungsre<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> das<br />

Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall.<br />

■ Prämienerhöhung mittels PAK: Ein Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag kann für den VN suboptimal oder sogar ein<br />

Win(VU)-Loose(VN)-Vertrag werden, wenn das VU auf der Basis einer Prämienanpassungsklausel (PAK) die<br />

Prämie erhöht. In diesem Fall kann si<strong>ch</strong> der VN mit Art. 49 E-<strong>VVG</strong> vom Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag lösen. Er<br />

bedarf also au<strong>ch</strong> diesbezügli<strong>ch</strong> weder des ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>ts no<strong>ch</strong> des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts im<br />

S<strong>ch</strong>adensfall.<br />

■ Unzufriedenheit mit der S<strong>ch</strong>adenregulierung: Ist der VN mit der Regulierung eines S<strong>ch</strong>adens dur<strong>ch</strong><br />

das VU ni<strong>ch</strong>t zufrieden, mö<strong>ch</strong>te er den Versi<strong>ch</strong>erer we<strong>ch</strong>seln. Hierfür benötigt er das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im<br />

S<strong>ch</strong>adensfall oder ein ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t, das er zeitnah ausüben kann.<br />

■ Veränderung der Präferenzen: Wenn si<strong>ch</strong> die Präferenzen eines VN verändern, wenn er zum Beispiel<br />

weniger risikoavers geworden ist, kann dies dazu führen, das sein bestehender Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag sub-<br />

optimal ist. Der VN kann das ordentli<strong>ch</strong>e Kündigungsre<strong>ch</strong>t oder das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall<br />

nutzen, um si<strong>ch</strong> von seinem suboptimalen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu trennen.<br />

■ Veränderung der Einkommens- und Vermögenssituation des VN: Verändert si<strong>ch</strong> aufgrund von<br />

exogenen Lebensumständen die Einkommens- und Vermögenssituation des VN, kann dies eine Verände-<br />

rung des Versi<strong>ch</strong>erungsportfolios des VN erforderli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en. So ist z.B. denkbar, dass ein VN, dessen<br />

verfügbares Einkommen im Zuge einer S<strong>ch</strong>eidung markant fällt, si<strong>ch</strong> von seiner Re<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erung<br />

lösen mö<strong>ch</strong>te, um die damit freiwerdenden Mittel einem für ihn vorteilhafteren Verwendungszweck zuzu-<br />

führen.<br />

■ Konkurrenz-induzierte Kündigung: vgl. unsere Ausführungen zum Widerrufsre<strong>ch</strong>t, insbesondere<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt 6.4.1.<br />

■ Wertsenkende Information, die si<strong>ch</strong> auf den bestehenden Vertrag bezieht: Der VN ist bei Ver-<br />

tragss<strong>ch</strong>luss Informationsdefiziten ausgesetzt und deshalb auf eine gute Beratung dur<strong>ch</strong> den Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvermittler angewiesen. Eine S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung dur<strong>ch</strong> den Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler kann dazu führen,<br />

dass der VN fals<strong>ch</strong>e Vorstellungen bezügli<strong>ch</strong> des gezei<strong>ch</strong>neten Vertrag hat oder bestimmte Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

256


11 Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

des gezei<strong>ch</strong>neten Vertrags ni<strong>ch</strong>t kennt. Das klassis<strong>ch</strong>e Beispiel sind Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse, derer er si<strong>ch</strong> bei<br />

Vertragss<strong>ch</strong>luss ni<strong>ch</strong>t bewusst war. Es kann sein, dass der VN während der Vertragslaufzeit in den Besitz<br />

einer neuen oder anderen Information zu seinem Vertrag kommt, die den Wert des gezei<strong>ch</strong>neten Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvertrags für den VN reduziert. Dadur<strong>ch</strong> sinkt die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft des VN – allenfalls soweit,<br />

dass für den VN ein Win(VU)-Loose(VN)-Vertrag vorliegt. Dieser Fall dürfte am häufigsten beim Eintritt von<br />

S<strong>ch</strong>adensereignissen eintreten, wenn si<strong>ch</strong> herausstellt, dass si<strong>ch</strong> der VN bezügli<strong>ch</strong> des Deckungsumfangs<br />

geirrt hat. Das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall kann der VN in diesem Fall ni<strong>ch</strong>t geltend ma<strong>ch</strong>en, da<br />

formal-juristis<strong>ch</strong> kein S<strong>ch</strong>adensfall vorliegt. Der VN muss das Vertragsende abwarten, um si<strong>ch</strong> vom Vertrag<br />

lösen zu können - sofern zwis<strong>ch</strong>enzeitli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ein S<strong>ch</strong>adensfall eintritt, so dass er das Kündigungsre<strong>ch</strong>t<br />

im S<strong>ch</strong>adensfall geltend ma<strong>ch</strong>en kann.<br />

■ Wertsenkende Information, die si<strong>ch</strong> auf Konkurrenz-Produkte bezieht: Es kommt vor, dass der<br />

VN während der Vertragslaufzeit erfährt, dass im Markt unterdessen ein Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag verfügbar<br />

ist, der für ihn vorteilhafter ist. In diesem Fall muss der VN das Vertragsende abwarten, um si<strong>ch</strong> vom Ver-<br />

trag zu lösen – sofern zwis<strong>ch</strong>enzeitli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ein S<strong>ch</strong>adensfall eintritt, so dass er das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im<br />

S<strong>ch</strong>adensfall geltend ma<strong>ch</strong>en kann.<br />

11.4.2.2 Kosten und Nutzen der Kündigungsre<strong>ch</strong>te der VN<br />

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen können folgende Nutzen der Vertragskündigung dur<strong>ch</strong> die<br />

VN mittels des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts im S<strong>ch</strong>adensfall und des ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>ts identifiziert<br />

werden:<br />

■ Erhöhung der Konsumentenrenten: Die Kosten von suboptimalen Kaufents<strong>ch</strong>eiden in Form redu-<br />

zierter Konsumentenrenten können gesenkt werden, wenn si<strong>ch</strong> die Verbrau<strong>ch</strong>er von ihrem Vertrag lösen<br />

können, sobald sie dessen Suboptimalität erkannt haben.<br />

■ Effizienzsteigerungen und Produktinnovationen dur<strong>ch</strong> mehr Wettbewerb: In einem Markt mit<br />

einer hohen Fluidität können die VN s<strong>ch</strong>neller zu neuen Angeboten von Konkurrenten we<strong>ch</strong>seln. Dadur<strong>ch</strong><br />

wird der Wettbewerb intensiviert, was zu Effizienzsteigerungen und Produktinnovationen führt.<br />

■ Lern- und Erfahrungseffekte: Eine hohe Fluidität des Marktes ermögli<strong>ch</strong>t den VN, mehr Produkte<br />

«auszuprobieren». Dies erhöht zum einen das Marktvolumen, zum anderen reduziert das «Ausprobieren»<br />

die Informationsasymmetrie, so dass die VN optimalere Kaufents<strong>ch</strong>eide fällen können.<br />

■ Präventivwirkung: Ein Markt mit hoher Fluidität entfaltet eine stärkere Präventivwirkung: Wenn si<strong>ch</strong><br />

die VN jederzeit von ihrem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag lösen können, haben die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler einen<br />

grösseren Anreiz, Verträge zu empfehlen und anzubieten, die den VN langfristig Nutzen stiften.<br />

■ Reduktion von Transaktionskosten und primären S<strong>ch</strong>adenskosten: Wenn si<strong>ch</strong> VN von einem<br />

ungeliebten Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag ni<strong>ch</strong>t lösen können, verändern sie unter Umständen ihr Verhalten so,<br />

dass zusätzli<strong>ch</strong>e Transaktionskosten oder sogar zusätzli<strong>ch</strong>e primäre S<strong>ch</strong>adenskosten entstehen. Diesbezüg-<br />

li<strong>ch</strong> verweisen wir auf unsere Ausführungen zum Widerrufsre<strong>ch</strong>t (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 6.4.1)<br />

Diese Nutzen stehen den folgenden Kosten gegenüber:<br />

■ Erhöhung der Transaktionskosten: Die zeitnahe Verfügbarkeit von Kündigungsre<strong>ch</strong>ten erhöht die<br />

Anzahl Vertragskündigungen, Vertragsvereinbarungen und Vertragsänderungen. Dies führt zu höheren<br />

Vereinbarungs-, Änderung-, Anpassungs-, Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten.<br />

■ Verstärkte Risikoselektion: Die VU haben zwei Mögli<strong>ch</strong>keiten, einem stärkeren Preiswettbewerb zu<br />

begegnen: Entweder reduzieren sie ihre Abs<strong>ch</strong>luss- und Verwaltungskosten oder aber sie führen den<br />

Preiswettbewerb über Risikoselektion. Die Mögli<strong>ch</strong>keit der VN, si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>neller von Verträgen zu lösen, kann<br />

so paradoxerweise dazuführen, dass die VU ihrerseits Verträge öfters kündigen. Ein Preiswettbewerb über<br />

257


11 Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Risikoselektion führt im s<strong>ch</strong>limmsten Fall dazu, dass VN ihre Risiken ni<strong>ch</strong>t mehr versi<strong>ch</strong>ern können, was zu<br />

einer Erhöhung der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten führt.<br />

11.4.2.3 Normative Analyse der Kündigungsre<strong>ch</strong>te des VN<br />

Die bisherigen Ausführungen ma<strong>ch</strong>en deutli<strong>ch</strong>, dass für die Bewertung von Art. 53 E-<strong>VVG</strong> die zusätzli<strong>ch</strong>en<br />

Transaktionskosten ents<strong>ch</strong>eidend sind, die entstehen, wenn die VN si<strong>ch</strong> häufiger von ihren Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

verträgen lösen können. Eine Differenzierung zwis<strong>ch</strong>en dem Privatkundenges<strong>ch</strong>äft und dem Firmenkun-<br />

denges<strong>ch</strong>äft halten wir bei der Bewertung von Art. 53 für zweckmässig.<br />

Im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft sind wir der Ansi<strong>ch</strong>t, dass die Nutzen die Kosten überwiegen – und zwar des-<br />

halb, weil davon ausgegangen werden kann, dass Art. 53 die Bewegungen im Markt ni<strong>ch</strong>t wesentli<strong>ch</strong><br />

erhöhen wird. Aus folgenden Gründen:<br />

■ Erstens: Ein grosser Teil der Versi<strong>ch</strong>erungsverträge, wel<strong>ch</strong>e die Konsumenten derzeit zei<strong>ch</strong>nen, werden<br />

von Art. 53 E-<strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t tangiert, da sie für die Konsumenten ein jährli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t vorsehen.<br />

■ Zweitens: Das Privatkundenges<strong>ch</strong>äft ist, wie das die befragten Vertreter der VU betont haben, ein<br />

Vertrauensges<strong>ch</strong>äft. Im Zentrum des Ges<strong>ch</strong>äfts steht die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en dem VN und dem Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvermittler. Wenn diese Vertrauensbeziehung ni<strong>ch</strong>t gestört ist und wenn si<strong>ch</strong> keine Leistungsstörun-<br />

gen einstellen, so dass der VN mit dem VU und seinen Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen zufrieden ist, hat der VN<br />

keinen Anlass, den Vertrag zu kündigen.<br />

■ Drittens: Der dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e VN ist gemäss den Aussagen einiger der befragten Experten träge. Dar-<br />

über hinaus setzt er si<strong>ch</strong> nur ungern mit Versi<strong>ch</strong>erungsfragen auseinander, weshalb er si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> beim<br />

Vertragss<strong>ch</strong>luss ni<strong>ch</strong>t sonderli<strong>ch</strong> für die s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Unterlagen des VU interessiert. Ein sol<strong>ch</strong>er Kunde<br />

kündigt seinen Vertrag ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong> so, weil ein We<strong>ch</strong>sel der Versi<strong>ch</strong>erung für ihn mit Aufwänden ver-<br />

bunden ist.<br />

■ Viertens: Es gibt VN, die den Einkauf von Versi<strong>ch</strong>erungsprodukten rationaler gestalten: Sie informieren<br />

si<strong>ch</strong> vor Vertragss<strong>ch</strong>luss über das Marktangebot und we<strong>ch</strong>seln die Versi<strong>ch</strong>erung häufiger, um ihre Ausga-<br />

ben für Versi<strong>ch</strong>erungen regelmässig zu optimieren. Sol<strong>ch</strong>e VN sind von Art. 53 E-<strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t betroffen.<br />

Denn diese s<strong>ch</strong>liessen bereits unter dem geltenden <strong>VVG</strong> nur 1-Jahres-Verträge – insbesondere über das<br />

Internet.<br />

Der empiris<strong>ch</strong>e Beleg für diese Ausführungen ist die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass gemäss den Angaben, die wir von den<br />

VU erhalten haben, der Anteil der laufenden Verträge, die jährli<strong>ch</strong> gekündigt werden, nur gerade 10 Pro-<br />

zent beträgt.<br />

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen kann davon ausgegangen werden, dass die VN einen beste-<br />

henden Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag nur dann kündigen, wenn dieser Vertrag aus der Si<strong>ch</strong>t des VN substantielle<br />

Mängel aufweist.<br />

Die Bes<strong>ch</strong>ränkung der Vertragslaufzeit im Sinne von Art. 53 E-<strong>VVG</strong> ist au<strong>ch</strong> vor dem Hintergrund der ge-<br />

samten Revision zu begrüssen. Denn die S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e der Revision des <strong>VVG</strong> ist darin zu sehen, dass keine<br />

Sanktionen vorgesehen sind, mit wel<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler belegt werden können, die den VN<br />

vorsätzli<strong>ch</strong> oder au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t-vorsätzli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t beraten. Deshalb ist es wi<strong>ch</strong>tig, dass si<strong>ch</strong> die VN zeitnah<br />

von ihrem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag lösen können: Dadur<strong>ch</strong> können zum einen die Wohlfahrtsverluste mini-<br />

miert werden, die bei S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung eintreten. Zum anderen – und das s<strong>ch</strong>eint uns die wi<strong>ch</strong>tigere<br />

Funktion zu sein – entfaltet die zeitnahe Verfügbarkeit eines Kündigungsre<strong>ch</strong>t auf opportunistis<strong>ch</strong>e Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvermittler eine positive Präventivwirkung: Die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler,<br />

ihren VN diejenige Verträge zu empfehlen, die für die VN vorteilhaft sind, steigen.<br />

258


11 Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Vor diesem Hintergrund dieser Ausführungen era<strong>ch</strong>ten wir es für wüns<strong>ch</strong>enswert, dass alle Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsverträge zwis<strong>ch</strong>en VU und Privatkunden unabhängig von der Vertragslaufzeit ein jährli-<br />

<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t für die VN vorsehen.<br />

Im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft sehen wir aus folgenden Gründen keinen Regulierungsbedarf:<br />

■ Die einzige Problemstellungen, für die es im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft empiris<strong>ch</strong>e Belege gibt, sind De-<br />

ckungs- und Leistungsauss<strong>ch</strong>lüsse bei der kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung.<br />

■ Die Vereinbarungskosten, die sowohl bei den VU als au<strong>ch</strong> bei den VN anfallen, können im Firmenkun-<br />

denges<strong>ch</strong>äft sehr ho<strong>ch</strong> sein. So dauern gemäss den befragten Experten eines VU die Vertragsverhandlun-<br />

gen zwis<strong>ch</strong>en VU und Vorsorgeeinri<strong>ch</strong>tungen teilweise über mehrere Monate an. Darüber hinaus können<br />

bei Spezialrisiken hohe Kosten im Rahmen von Risk Assessments anfallen. Bei hohen Initialkosten sind<br />

mehrjährige Verträge aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert.<br />

■ Der Einkauf von Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen ist bei den Firmenkunden rationaler gestaltet. Aus diesem<br />

Grund arbeiten viele Unternehmen mit Versi<strong>ch</strong>erungsbrokern zusammen. Der S<strong>ch</strong>utzbedarf ist bei Firmen-<br />

kunden deshalb geringer als bei den Privatkunden.<br />

11.4.3 Analyse der Kündigungsre<strong>ch</strong>te der VU<br />

Aus Si<strong>ch</strong>t der VU gibt es zwei Gründe, einen bestehenden Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu künden:<br />

■ Bereinigung des Produktportfolios: Das Nebeneinander von vers<strong>ch</strong>iedenen Produktgenerationen<br />

führt bei den VU zu einer Erhöhung der Abwicklungskosten, z.B. weil parallel IT-Systeme unters<strong>ch</strong>iedli-<br />

<strong>ch</strong>en Alters gewartet werden müssen. Die VU sind deshalb dem ökonomis<strong>ch</strong>en Anreiz ausgesetzt, ihr<br />

Produktportfolio laufend zu bereinigen, indem VN auf Versi<strong>ch</strong>erungsverträge neueren Datums migriert<br />

werden.<br />

■ Negatives Rendement: Decken die Prämienzahlungen eines VN die S<strong>ch</strong>adenszahlungen und die<br />

Transaktionskosten des VU ni<strong>ch</strong>t, ist der betroffene Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag für das VU betriebswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t rentabel. Ein negatives Rendement kann drei Ursa<strong>ch</strong>en haben: (1) Zufall, (2) Moral Hazard und (3)<br />

Fehleins<strong>ch</strong>ätzung des Risikos des VN dur<strong>ch</strong> das VU.<br />

Vor diesem Hintergrund können die folgenden Nutzen der Kündigungsre<strong>ch</strong>te der VU identifiziert wer-<br />

den:<br />

■ Sanktionierung von Moral Hazard: Die VU können dur<strong>ch</strong> Vertragskündigung opportunistis<strong>ch</strong>es Ver-<br />

halten, insbesondere Moral Hazard der VN, sanktionieren. Dies kann zum einen in direkter Art und Weise<br />

zu einer Reduktion der primären S<strong>ch</strong>adenskosten führen: Wenn der opportunistis<strong>ch</strong>e VN, dem der Vertrag<br />

gekündigt wurde, ni<strong>ch</strong>t mehr in der Lage ist, sein Risiko bei einem anderen Versi<strong>ch</strong>erer zu decken, dann<br />

steigen dessen Anreize, Massnahmen zur Risikoreduktion zu ergreifen. Dadur<strong>ch</strong> sinken die primären<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten. Zum anderen können die Kündigungsre<strong>ch</strong>te der VU, insbesondere das Kündigungsre<strong>ch</strong>t<br />

im S<strong>ch</strong>adensfall, eine Präventivwirkung entfalten: Der VN, dem eine Kündigung im S<strong>ch</strong>adensfall droht, hat<br />

den Anreiz, seinen Anstrengungen im Berei<strong>ch</strong> der Risikoprävention, -meidung und –minderung zu intensi-<br />

vieren.<br />

■ Nutzen risikoadäquater Prämien: Hat ein VU das Risiko eines VN fals<strong>ch</strong> einges<strong>ch</strong>ätzt, bezahlt dieser<br />

eine zu tiefe, risikoinadäquate Prämie. Der VN muss deshalb dur<strong>ch</strong> zu hohe, ebenfalls risikoinadäquate<br />

Prämien anderer VN quersubventioniert werden. Dies führt – wie in Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.1 im Detail ausgeführt<br />

wurde – über den Me<strong>ch</strong>anismus der adversen Selektion letztli<strong>ch</strong> dazu, dass die Menge der versi<strong>ch</strong>erten<br />

Risiken sinkt.<br />

Diesen Nutzen stehen die folgenden Kosten gegenüber:<br />

259


11 Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Erhöhung der Transaktionskosten: Kann der VN, dem ein VU den Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag gekündigt<br />

hat, einen neuen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag bei einem anderen VU zei<strong>ch</strong>nen, entstehen zusätzli<strong>ch</strong>e Vereinba-<br />

rungs-, Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten.<br />

■ Erhöhung der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten: Kann ein VN na<strong>ch</strong> einer Kündigung dur<strong>ch</strong> ein VU sein<br />

Risiko ni<strong>ch</strong>t mehr fremdversi<strong>ch</strong>ern, weil kein anderer Versi<strong>ch</strong>erer dazu bereit ist, steigen die sekundären<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten.<br />

Die Vertragslaufzeit und damit die Verfügbarkeit eines ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>ts für die VU muss<br />

unseres Era<strong>ch</strong>tens ni<strong>ch</strong>t reguliert werden und kann dem Wettbewerb überlassen werden. Eine Ausnahme<br />

hierzu sind Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungen und Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen: In diesen beiden Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsbran<strong>ch</strong>en sollte den VU überhaupt kein ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t gewährt werden, da sie si<strong>ch</strong><br />

ansonsten aus gestaffelten S<strong>ch</strong>adensereignissen herauskündigen können. Die Existenz von gestaffelten<br />

S<strong>ch</strong>adensereignissen ist dabei darauf zurückzuführen, dass in der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung und in der<br />

Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung die S<strong>ch</strong>adensrisiken zu zwei vers<strong>ch</strong>iedenen Zeitpunkt ni<strong>ch</strong>t unabhängig von-<br />

einander sind.<br />

Problematis<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint uns hingegen das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall, das mit Art. 55 E-<strong>VVG</strong><br />

au<strong>ch</strong> für die VU verfügbar ist. Wir haben bereits darauf hingewiesen, was dieses Kündigungsre<strong>ch</strong>t bedeu-<br />

tet: Das VU kann einen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag in jedem betriebswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> relevanten Fall kündigen. Dies<br />

steht im Widerspru<strong>ch</strong> zum Grundsatz «pacta sunt servanda»: In der ökonomis<strong>ch</strong>en Lesart dieses Grund-<br />

satzes können Verträge nur dann keine Gültigkeit beanspru<strong>ch</strong>en, wenn der Vertrag bereits ex ante für<br />

eine der Vertragsparteien ein Win-Loose-Vertrag war. Dies ist jedo<strong>ch</strong> bei einer Kündigung im S<strong>ch</strong>adensfall<br />

ni<strong>ch</strong>t der Fall: Na<strong>ch</strong>dem der VN alle Fragen beantwortet hat, die ihm vom VU im Rahmen der vorvertragli-<br />

<strong>ch</strong>en Anzeigepfli<strong>ch</strong>t gestellt wurde, ist das VU zum S<strong>ch</strong>luss gekommen, dass ein Vertrag mit diesem VN<br />

einen positiven Erwartungswert hat. Erst na<strong>ch</strong> Vertragss<strong>ch</strong>luss hat si<strong>ch</strong> aufgrund von S<strong>ch</strong>adenereignissen<br />

herausgestellt, dass der Vertragss<strong>ch</strong>luss für das VU kein vorteilhaftes Ereignis war. Besonders problema-<br />

tis<strong>ch</strong> ist das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall bei gestaffelten S<strong>ch</strong>adensereignissen, wenn ni<strong>ch</strong>t das S<strong>ch</strong>a-<br />

denverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip gilt: Ist aufgrund eines Primärereignisses absehbar, dass weitere S<strong>ch</strong>äden eintre-<br />

ten werden, kann si<strong>ch</strong> das VU mittels des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts im S<strong>ch</strong>adensfall aus der S<strong>ch</strong>adenskette «her-<br />

auskündigen»: Der VN verliert seinen Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz, da kein anderes VU bereit ist, ihn ohne De-<br />

ckungsauss<strong>ch</strong>luss bezügli<strong>ch</strong> des eingetretenen Primärereignisses zu versi<strong>ch</strong>ern.<br />

260


11 Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

11.5 Zusammenfassung<br />

11.5.1 Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

In Tabelle 57 sind die geplanten Veränderungen, die zugrundeliegende Problemstellung und die Ziele der<br />

Regulierung in Zusammenhang mit den Kündigungsre<strong>ch</strong>ten der VN und VU zusammengefasst.<br />

Tabelle 57: Kündigungsre<strong>ch</strong>te: Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

∆ RS: Einführung eines ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>ts<br />

<strong>VVG</strong>: Gemäss Laufzeit des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrages<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 53<br />

Problemstellung: Lange Vertragslaufzeiten, so dass si<strong>ch</strong> VN ni<strong>ch</strong>t von Win(VU)-Loose(VN)-<br />

Verträgen lösen können.<br />

Ziele: (1) Reduktion von Wohlfahrtsverlusten infolge Win(VU)-Loose(VN)-Verträgen<br />

(2) Intensivierung des Wettbewerbs<br />

∆ AS: Verbot der Kündigung im S<strong>ch</strong>adensfall<br />

<strong>VVG</strong>: Art. 42<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 55<br />

Problemstellung: VU können si<strong>ch</strong> aus gestaffelten S<strong>ch</strong>adensereignissen herauskündigen (ex post<br />

Opportunismus)<br />

Ziel: Reduktion von ex post Opportunismus der VU<br />

Quelle: <strong>VVG</strong>, E-<strong>VVG</strong>, Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t (2009), eigene Analysen<br />

11.5.2 Auswirkungen der Regulierung<br />

Die Kosten und Nutzen der Mögli<strong>ch</strong>keit einer zeitnahen Vertragskündigung für die VU und für die VN sind<br />

in Tabelle 58 im Überblick dargestellt. Die Ergebnisse der ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse können folgendermassen<br />

zusammengefasst werden:<br />

■ Die wi<strong>ch</strong>tigsten Nutzen einer zeitnahen Verfügbarkeit eines Kündigungsre<strong>ch</strong>t sind: (1) Reduktion von<br />

Wohlfahrtsverlusten infolge nutzensuboptimaler Verträge; (2) Präventivwirkung: Sanktion von S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tbe-<br />

ratung, ex ante Opportunismus und ex post Opportunismus; (3) Auswirkungen eines erhöhten Wettbe-<br />

werbsdrucks: Kostensenkungen, Erhöhung der Produktqualität und Erhöhung der Beratungsqualität der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler.<br />

■ Diesen Nutzen stehen in erster Linie höhere Transaktionskosten gegenüber, die resultieren, wenn es<br />

im Markt mehr Bewegungen gibt (Erhöhung der Vereinbarungs-, Änderungs-, und Anpassungskosten).<br />

■ VN, die mit ihrem Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, ihrem VU und ihren Versi<strong>ch</strong>erungsprodukten zufrieden sind,<br />

haben keinen Anlass, ihren Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu kündigen. Die zeitnahere Verfügbarkeit eines Kündi-<br />

gungsre<strong>ch</strong>ts wird si<strong>ch</strong> deshalb in erster Linie bei Kunden auswirken, die mit ihrem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag<br />

unzufrieden sind. Die Kosten-Nutzen-Bilanz der zeitnaheren Verfügbarkeit von Kündigungsre<strong>ch</strong>ten dürfte<br />

deshalb positiv ausfallen.<br />

261


11 Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 58: Auswirkungen der zeitnaheren Verfügbarkeit von Kündigungsre<strong>ch</strong>ten:<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

=<br />

+<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten =<br />

Transaktionskosten +<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

-<br />

Vereinbarungskosten<br />

Abwicklungskosten +<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten +<br />

Änderungs- & Anpassungskosten -<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten +<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN) +<br />

Informationsdefizite der VN +<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Moral hazard der VN +<br />

Ex post Opportunismus der VN +<br />

Misstrauen gegenüber VI & VU +<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI) +<br />

Ex ante Opportunismus der VI +<br />

Beratungsqualität +<br />

Qualität der VI +<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU) +<br />

Ex post Opportunismus der VU<br />

Andere Verhaltensanpassungen -<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids +<br />

Risikoadäquanz der Prämien +<br />

Produktqualität +<br />

Vertragsrisiken des VN +<br />

Vertragsrisiken des VU -<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen +<br />

Adverse Selektion +<br />

Markt für Zitronen +<br />

Wettbewerb +<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t +<br />

Prämienvolumen ����<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ����<br />

Prämienhöhe ����<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge =<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total =<br />

Instabilität des Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts =<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt +<br />

Renten der VN +<br />

Renten der VI -<br />

Renten der VU -<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

+<br />

Reduktion von Moral Hazard und anderem ex post Opportunismus unzufriedener Kunden<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken verändert si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wesentli<strong>ch</strong><br />

+ Erhöhter Wettbewerbsdruck wirkt si<strong>ch</strong> transaktionskostensenkend aus<br />

Zunahme der Häufigkeit von Vertragskündigungen und Vertragsabs<strong>ch</strong>lüssen<br />

Weniger Auseinandersetzungen zwis<strong>ch</strong>en VU und VN, da si<strong>ch</strong> die Vertragsparteien ras<strong>ch</strong>er voneinander<br />

trennen können.<br />

Unzufriedene VN neigen zu opportunistis<strong>ch</strong>em Verhalten (Versi<strong>ch</strong>erungsbetrug etc.)<br />

Zunahme der Häufigkeit von Vertragsänderungen und -anpassungen<br />

Weniger Auseinandersetzungen zwis<strong>ch</strong>en VU und VN, da si<strong>ch</strong> die Vertragsparteien ras<strong>ch</strong>er voneinander<br />

trennen können.<br />

Lerneffekte aufgrund häufigeren Vertragss<strong>ch</strong>lüssen<br />

Zufriedene VN neigen weniger zu Moral Hazard<br />

Zufriedene VN neigen weniger zu ex post Opportunismus (Versi<strong>ch</strong>erungsbetrug etc.)<br />

Misstrauen der VN sinkt, da sie suboptimale Kaufents<strong>ch</strong>eide zeitnaher rückgängig ma<strong>ch</strong>en können<br />

(1) Präventivwirkung: Opportunistis<strong>ch</strong>e VI müssen mit zeitnaher Vertragskündigung re<strong>ch</strong>nen<br />

(2) Ertrag opportunistis<strong>ch</strong>er VI sinkt (Reduktion von Opportunitätsprämien)<br />

VU kündigen aufgrund zunehmendem Wettbewerbsdruck Policen mit negativem Rendement häufiger<br />

VN können si<strong>ch</strong> ras<strong>ch</strong>er von nutzensuboptimalen VV und Win(VU)-Loose(VN)-Verträgen lösen<br />

Das Risiko wird häufiger neu einges<strong>ch</strong>ätzt, da VN häufiger VV abs<strong>ch</strong>liessen<br />

Rentabilität von Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen mit hoher Kündigungsquote sinkt<br />

Risiko der Zei<strong>ch</strong>nung eines Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags sinkt aus Si<strong>ch</strong>t des VN, da er si<strong>ch</strong> ras<strong>ch</strong>er von einem<br />

nutzensuboptimalen VV trennen kann<br />

Eine Vertragskündigung dur<strong>ch</strong> den VN stellt für das VU ein Risiko dar<br />

Risikoadäquatere Prämien<br />

Rentabilität von VV mit Vertragseigens<strong>ch</strong>aften, die ni<strong>ch</strong>t den Präferenzen der VN entspre<strong>ch</strong>en, sinkt<br />

aufgrund einer verglei<strong>ch</strong>sweise hohen Kündigungsquote<br />

VN können ras<strong>ch</strong>er zu nutzenoptimaleren Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen we<strong>ch</strong>seln. Der verstärkte<br />

Wettbewerb wirkt si<strong>ch</strong> transaktionskostensenkend aus<br />

Reduktion der Prämien infolge tieferen Transaktionskosten<br />

Reduktion der Transaktionskosten<br />

���� Reduktion der Prämien; Reduktion von Vertragsrisiken stimuliert Na<strong>ch</strong>frage; Erhöhung der<br />

Produktqualität; Reduktion der adversen Selektion<br />

���� Zunahme der Häufigkeit von Vertragskündigungen<br />

Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

+ Reduktion der adversen Selektion infolge risikoadäquateren Prämien<br />

- VN können ras<strong>ch</strong>er den Versi<strong>ch</strong>erer we<strong>ch</strong>seln<br />

(1) VN halten nutzenoptimalere VV; (2) Prämiensenkungen (Reduktion von Opportunitätsprämien und<br />

intensivierter Preiswettbewerb)<br />

(1) Erhöhter Wettbewerbsdruck; (2) Reduktion von Opportunitätsprämien; (3) Reduktion des<br />

Marktvolumens<br />

262


11 Kündigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (Art. 53/55 E-<strong>VVG</strong>)<br />

11.5.3 Empfehlungen<br />

Vor dem Hintergrund der dur<strong>ch</strong>geführten ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse können wir folgende Empfehlungen<br />

abgeben:<br />

■ Ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Wir empfehlen, dass in allen Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsverträgen zwis<strong>ch</strong>en VU und Konsumenten (Privatkundenges<strong>ch</strong>äft) zwingenderweise ein 1-jähriges<br />

Kündigungsre<strong>ch</strong>t für den VN vorgesehen ist. Die Verfügbarkeit eines ordentli<strong>ch</strong>en Kündigungsre<strong>ch</strong>ts für<br />

die VU muss unseres Era<strong>ch</strong>tens ni<strong>ch</strong>t reguliert werden.<br />

■ Ordentli<strong>ch</strong>es Kündigungsre<strong>ch</strong>t im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: Wir sehen im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

bezügli<strong>ch</strong> der Kündigungsre<strong>ch</strong>te keinen Regulierungsbedarf.<br />

■ Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall für die VU: Den VU sollte kein Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall<br />

gewährt werden – dies gilt sowohl für das Privatkundenges<strong>ch</strong>äft als au<strong>ch</strong> für das Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft.<br />

■ Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall für die VN: Dem Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall ist grundsätz-<br />

li<strong>ch</strong> die Gefahr inhärent, dass die VN absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>äden herbeiführen, um si<strong>ch</strong> von einem ungeliebten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu trennen. Aus diesem Grund era<strong>ch</strong>ten wir das Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall<br />

au<strong>ch</strong> für die VN für ni<strong>ch</strong>t sinnvoll.<br />

■ Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung und Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung: Bei diesen beiden Versi<strong>ch</strong>erungen<br />

sollten die VU überhaupt keine ordentli<strong>ch</strong>e Kündigungsre<strong>ch</strong>te haben, da si<strong>ch</strong> die VN mit diesen Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungen gegen das Risiko versi<strong>ch</strong>ern, ein s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes Risiko zu sein. Wenn die VU in diesen beiden Bran<strong>ch</strong>en<br />

ordentli<strong>ch</strong>e Kündigungsre<strong>ch</strong>te haben, können sie si<strong>ch</strong> aus gestaffelten S<strong>ch</strong>adensereignissen herauskündi-<br />

gen, was zu einer Erhöhung der sekundären S<strong>ch</strong>adenkosten führt.<br />

263


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

12.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

12.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

In Tabelle 59 sind die relevanten gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen, wel<strong>ch</strong>e die beiden Regulierungsszenarien und<br />

das Referenzszenario determinieren, einander gegenübergestellt.<br />

Tabelle 59: Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle: Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

Regulierungsszenario (RS)<br />

Art. 57 (Na<strong>ch</strong>haftung) E-<strong>VVG</strong><br />

57. Ist das befür<strong>ch</strong>tete Ereignis no<strong>ch</strong> während der Laufzeit des<br />

Vertrags eingetreten, so ist die Versi<strong>ch</strong>erungsleistung während fünf<br />

Jahren na<strong>ch</strong> Beendigung des Vertrags au<strong>ch</strong> dann ges<strong>ch</strong>uldet, wenn<br />

die Leistungspfli<strong>ch</strong>t des Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmens erst na<strong>ch</strong><br />

Beendigung des Vertrags ausgelöst wird.<br />

Art. 58 (Hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle) E-<strong>VVG</strong><br />

58.1. Vertragsbestimmungen, wel<strong>ch</strong>e ein Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

bere<strong>ch</strong>tigen, bei Beendigung des Vertrags na<strong>ch</strong> Eintritt des<br />

befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses bestehende Leistungsverpfli<strong>ch</strong>tungen<br />

bezügli<strong>ch</strong> Dauer oder Umfang einseitig zu bes<strong>ch</strong>ränken oder<br />

aufzuheben, sind ni<strong>ch</strong>tig.<br />

58.2. Vorbehalten bleibt die individuelle Krankenpflegeversi<strong>ch</strong>erung.<br />

Anmerkungen: RS = Regulierungsszenario; BS: Referenzszenario; Rot = zwingendes Re<strong>ch</strong>t; Blau: Existenz von Alternativszenarien;<br />

fett: materielle Unters<strong>ch</strong>iede<br />

Quelle: E-<strong>VVG</strong>, <strong>VVG</strong><br />

12.1.2 Versi<strong>ch</strong>erte Gefahr - befür<strong>ch</strong>tetes Ereignis - versi<strong>ch</strong>ertes Ereignis -<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsfall<br />

In der Vernehmlassung zur Totalrevision des <strong>VVG</strong> hat si<strong>ch</strong> gezeigt, dass Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> in unter-<br />

s<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Art und Weise interpretiert wird. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Begriff «befür<strong>ch</strong>te-<br />

tes Ereignis» weder im E-<strong>VVG</strong> no<strong>ch</strong> im <strong>VVG</strong> definiert ist:<br />

Referenzszenario (BS):<br />

Freie Vereinbarung im Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag;<br />

Freizügigkeitsabkommen unter den<br />

Krankentaggeld-Versi<strong>ch</strong>erern (SVV 2006)<br />

«Das <strong>VVG</strong> verwendet den Begriff des befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses mehrfa<strong>ch</strong> – z.B. in Art. 9, 14, 38, 61, 96 usw. -; es<br />

ums<strong>ch</strong>reibt ihn aber ni<strong>ch</strong>t. Es legt somit die Merkmale ni<strong>ch</strong>t fest, die gegeben sein müssen, damit ein befür<strong>ch</strong>tetes<br />

Ereignis vorliegt. Vielmehr überlässt es die Aufgabe der definitoris<strong>ch</strong>en Erfassung den Vertragsparteien, der Wissen-<br />

s<strong>ch</strong>aft und der Re<strong>ch</strong>tsspre<strong>ch</strong>ung. Mangels eines fest umrissenen Begriffs ist bei jeder gesetzli<strong>ch</strong>en Bestimmung zu<br />

prüfen, was sie unter dem befür<strong>ch</strong>teten Ereignis versteht. Es ist m.a.W. auf die Funktion abzustellen, die eine Norm<br />

mit dem Ausdruck verbindet. Deshalb muss das befür<strong>ch</strong>tete Ereignis z.B. für die Anzeigepfli<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> Art. 38 u.U. ni<strong>ch</strong>t<br />

genau dasselbe bedeuten wie in Art. 61 für die Rettungs- oder S<strong>ch</strong>adenminderungspfli<strong>ch</strong>t. Dies erklärt wenigstens<br />

teilweise, weshalb der Begriff des befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses in Doktrin und Re<strong>ch</strong>tsspre<strong>ch</strong>ung in man<strong>ch</strong>erlei Hinsi<strong>ch</strong>t<br />

umstritten ist.[...]. Der Versi<strong>ch</strong>erungsfall, also der Tatbestand, der grundsätzli<strong>ch</strong> die Leistungspfli<strong>ch</strong>t des Versi<strong>ch</strong>erer<br />

entstehen lässt, muss si<strong>ch</strong> verwirkli<strong>ch</strong>en, während der Vertrag wirksam ist, d.h. während der Dauer des Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungss<strong>ch</strong>utzes. Hier zeigt si<strong>ch</strong> die Problematik, die mit dem Begriff des Versi<strong>ch</strong>erungsfalls verbunden ist. Da weder das<br />

264


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Gesetz no<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungsverträge von einem einheitli<strong>ch</strong>en Begriff, von den glei<strong>ch</strong>en Merkmalen ausgehen, ist<br />

für jeden Versi<strong>ch</strong>erungszweig, ja für jeden Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu untersu<strong>ch</strong>en, wel<strong>ch</strong>e Tatbestandselemente si<strong>ch</strong><br />

während der Dauer der vertragli<strong>ch</strong>en Deckung verwirkli<strong>ch</strong> müssen und wel<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t. Der wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Begriff des<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsfalles ist daher insoweit nur von bes<strong>ch</strong>ränktem Nutzen. Es dürfte zutreffender sein, allgemein von Leis-<br />

tungsvoraussetzungen zu spre<strong>ch</strong>en, die anhand des Vertrages und allenfalls des Gesetzes zu ermitteln sind.» (Maurer<br />

1986, 307-209).<br />

Hieraus lassen si<strong>ch</strong> vorerst die folgenden zwei S<strong>ch</strong>lüsse ziehen:<br />

■ Erstens: Das befür<strong>ch</strong>tete Ereignis ist ni<strong>ch</strong>t im Gesetz, sondern im Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag definiert.<br />

■ Zweitens: Im <strong>VVG</strong> wird der Begriff des befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses ni<strong>ch</strong>t einheitli<strong>ch</strong> verwendet. Die Bedeu-<br />

tung des Begriffes im Gesetz hängt von der Funktion der Norm ab, in wel<strong>ch</strong>er der Begriff verwendet wird.<br />

Der Begriff «befür<strong>ch</strong>tetes Ereignis» wird in der Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung unter dem geltenden <strong>VVG</strong> synonym zu<br />

den Begriffen «Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Gefahr», die au<strong>ch</strong> «Eintritt des versi<strong>ch</strong>erten Ereignisses» genannt wird,<br />

und «Versi<strong>ch</strong>erungsfall» verwendet:<br />

■ BGE 129 III 50: «Unter ‚befür<strong>ch</strong>tetem Ereignis’ – au<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsfall genannt – ist wie in Art. 38 <strong>VVG</strong> die Ver-<br />

wirkli<strong>ch</strong>ung der Gefahr zu verstehen, gegen wel<strong>ch</strong>e die Versi<strong>ch</strong>erung genommen worden ist [...].»<br />

■ Fuhrer (2010, §02: 2.8/2.13): «Realisiert si<strong>ch</strong> die versi<strong>ch</strong>erte Gefahr, so spri<strong>ch</strong>t man vom Eintritt des versi<strong>ch</strong>erten<br />

Ereignisses (das Gesetz spri<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> vom befür<strong>ch</strong>teten Ereignis). [...]. Statt vom versi<strong>ch</strong>erten Ereignis wird au<strong>ch</strong> vom<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsfall gespro<strong>ch</strong>en.»<br />

■ Maurer (1986, Fussnote 519, 225): «[...]. Wenn si<strong>ch</strong> die versi<strong>ch</strong>erte Gefahr verwirkli<strong>ch</strong>t hat, ist der Versi<strong>ch</strong>erungsfall<br />

oder – wie si<strong>ch</strong> das <strong>VVG</strong> ausdrückt – das befür<strong>ch</strong>tete Ereignis eingetreten ;[...].»<br />

■ Maurer (1986, 307): «Wenn si<strong>ch</strong> der Tatbestand erfüllt, der grundsätzli<strong>ch</strong> eine Leistungspfli<strong>ch</strong>t des Versi<strong>ch</strong>erers<br />

oder – vom Anspru<strong>ch</strong>sbere<strong>ch</strong>tigten her gesehen – einen Leistungsanspru<strong>ch</strong> entstehen lässt, spri<strong>ch</strong>t man vom Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsfall [Fussnote: Das <strong>VVG</strong> nennt ihn das befür<strong>ch</strong>tete Ereignis. Die beiden Ausdrücke haben die glei<strong>ch</strong>e Bedeu-<br />

tung; [...]]. Der Tatbestand ist erfüllt, wenn si<strong>ch</strong> die versi<strong>ch</strong>erte Gefahr am versi<strong>ch</strong>erten Gegenstand verwirkli<strong>ch</strong>t, [...].»<br />

Dies impliziert, dass die oben formulierten zwei S<strong>ch</strong>lussfolgerungen ni<strong>ch</strong>t nur für der Begriff «befür<strong>ch</strong>tetes<br />

Ereignis», sondern au<strong>ch</strong> für die Begriffe «Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Gefahr», «Eintritt des versi<strong>ch</strong>erten Ereignis-<br />

ses» und «Versi<strong>ch</strong>erungsfall» gelten.<br />

Diese Glei<strong>ch</strong>setzung ist dann unproblematis<strong>ch</strong>, wenn es si<strong>ch</strong> bei der versi<strong>ch</strong>erten Gefahr um eine Einzel-<br />

gefahr handelt: «Die Verwirkli<strong>ch</strong>ung einer Einzelgefahr führt direkt zum Eintritt des versi<strong>ch</strong>erten Ereignis-<br />

ses (z.B. Tod in der Lebensversi<strong>ch</strong>erung, Diebstahl in der Kaskoversi<strong>ch</strong>erung).» (Fuhrer 2010, §02: 2.8).<br />

Mit der Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Einzelgefahr sind alle «Tatbestandselemente» bzw. «Leistungsvoraussetzun-<br />

gen» (Maurer 1986, 309) für die Leistungspfli<strong>ch</strong>t des Versi<strong>ch</strong>erers erfüllt: Der Versi<strong>ch</strong>erungsfall ist einge-<br />

treten. Dies ma<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>, dass Art. 57 E-<strong>VVG</strong> (und Art. 46 VE-<strong>VVG</strong>) bedeutungslos sind, wenn in einem<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag eine Einzelgefahr versi<strong>ch</strong>ert wird.<br />

Die Glei<strong>ch</strong>setzung der Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Gefahr mit dem Eintritt des Versi<strong>ch</strong>erungsfalls führt hingegen<br />

zu Problemen, wenn eine sogenannte Stufengefahr vorliegt: «Bei Stufengefahren ist zwis<strong>ch</strong>en Primärge-<br />

fahr (oder Grundgefahr) und Folgegefahr (Qualifikation) zu unters<strong>ch</strong>eiden. Entspre<strong>ch</strong>end brau<strong>ch</strong>t es zum<br />

Eintritt des versi<strong>ch</strong>erten Ereignisses ein Primär- und [Hervorhebung BASS] ein Folgeereignis. Erst mit Letz-<br />

terem gilt das versi<strong>ch</strong>erte Ereignis als eingetreten (z.B. bei der Versi<strong>ch</strong>erung des Unfalltodes stellt der Un-<br />

fall das Primärereignis und der Tod das Folgeereignis dar).» (Fuhrer 2010, §02: 2.8).<br />

Das klassis<strong>ch</strong>e Beispiel für eine Stufengefahr findet si<strong>ch</strong> bei der allgemeinen Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung (Pri-<br />

vathaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung) und der Motorfahrzeughaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung (vgl. Fuhrer 2010, §20: Abbil-<br />

dung 20.1):<br />

265


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Versi<strong>ch</strong>erte Gefahr (gefährdendes Element): Stufengefahr, bestehend aus Primärgefahr und Folgegefah-<br />

ren<br />

■ Primärgefahr: Haftungsbegründende Handlung oder Unterlassung (effektive oder behauptete S<strong>ch</strong>ädi-<br />

gung eines Dritten)<br />

■ Folgegefahr: (1) Bedarf na<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz (Re<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>utzanspru<strong>ch</strong>) und (2) Feststellung der Haftung des<br />

Versi<strong>ch</strong>erten (Ents<strong>ch</strong>ädigungsanspru<strong>ch</strong>)<br />

■ Versi<strong>ch</strong>ertes Interesse (gefährdetes Element): Vermögenserhaltungsinteresse und Reputationsinteresse<br />

■ Versi<strong>ch</strong>erte Leistung: Abwehr unbegründeter Ansprü<strong>ch</strong>e und Ents<strong>ch</strong>ädigung begründeter Ansprü<strong>ch</strong>e<br />

Stufengefahren gibt es allerdings ni<strong>ch</strong>t nur in Zusammenhang mit Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen. Für den<br />

Versi<strong>ch</strong>erer ergibt si<strong>ch</strong> bei Stufengefahren eine Problemstellung, die Fuhrer (2010, §20: 20.6) am Beispiel<br />

der Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen folgendermassen expliziert:<br />

«Zwis<strong>ch</strong>en Primär- und Folgeereignis kann viel Zeit verstrei<strong>ch</strong>en. Knüpft man zur Abgrenzung des zeitli<strong>ch</strong>en Gel-<br />

tungsberei<strong>ch</strong>s einer Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> – wie bei anderen Versi<strong>ch</strong>erungszweigen übli<strong>ch</strong> – beim<br />

Primärereignis (haftungsbegründende Handlung) an, so folgt daraus, dass der Versi<strong>ch</strong>erer für Folgeereignisse aus<br />

Jahre zurückliegenden Primärereignissen aufzukommen hat (lange Na<strong>ch</strong>haftung, au<strong>ch</strong> Long-Tail-Risiko genannt). Um<br />

diese Na<strong>ch</strong>haftung zu verkürzen, haben si<strong>ch</strong> in der Praxis vers<strong>ch</strong>iedene Varianten der zeitli<strong>ch</strong>en Zuordnung von Haft-<br />

pfli<strong>ch</strong>tfällen zu einem Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungsvertrag entwickelt.»<br />

Die vers<strong>ch</strong>iedenen Varianten der zeitli<strong>ch</strong>en Zuordnung von S<strong>ch</strong>adensereignissen zu einem Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvertrag sind die folgenden:<br />

■ S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip (Action Committed, Verstosstheorie): Der S<strong>ch</strong>aden ist gedeckt,<br />

wenn das S<strong>ch</strong>adenereignis während der Vertragslaufzeit verursa<strong>ch</strong>t worden ist. Oder anders formuliert:<br />

Hat si<strong>ch</strong> das Primärereignis während der Vertragsdauer ereignet, ist der S<strong>ch</strong>aden gedeckt – unabhängig<br />

davon, zu wel<strong>ch</strong>em Zeitpunkt der S<strong>ch</strong>aden eingetreten ist und zu wel<strong>ch</strong>em Zeitpunkt der Anspru<strong>ch</strong> auf<br />

Deckung erhoben wird. Anwendungsberei<strong>ch</strong>e: Motorfahrzeug-, Privathaftpfli<strong>ch</strong>t- und Unfallversi<strong>ch</strong>erun-<br />

gen.<br />

■ S<strong>ch</strong>adeneintrittsprinzip (Loss Occurrence): Der S<strong>ch</strong>aden ist gedeckt, wenn das S<strong>ch</strong>adenereignis<br />

während der Laufzeit der Versi<strong>ch</strong>erungspolice stattgefunden hat, wobei gemäss Fuhrer (2010, §20: 20.7)<br />

das erstmalige Feststellen des S<strong>ch</strong>adens, bei Personens<strong>ch</strong>äden der erste Arztbesu<strong>ch</strong>, massgebend ist. Aus<br />

diesem Grund sollte das S<strong>ch</strong>adeneintrittsprinzip gemäss Fuhrer (2009, Fussnote 34) eigentli<strong>ch</strong> «S<strong>ch</strong>aden-<br />

feststellungsprinzip» genannt werden sollte. S<strong>ch</strong>äden, die während der Vertragslaufzeit verursa<strong>ch</strong>t wor-<br />

den sind (Eintritt des Primärereignisses), aber erst na<strong>ch</strong> Erlös<strong>ch</strong>en des Vertrages eintreten (Eintritt des Fol-<br />

geereignisses), sind gemäss dem S<strong>ch</strong>adeneintrittsprinzip ni<strong>ch</strong>t gedeckt. Wi<strong>ch</strong>tigster Anwendungsberei<strong>ch</strong><br />

ist gemäss (2009, Fussnote 34) die Betriebshaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung.<br />

■ Behandlungsprinzip (bei Krankenpflegeversi<strong>ch</strong>erungen): Der S<strong>ch</strong>aden ist gedeckt, wenn der Zeit-<br />

punkt der medizinis<strong>ch</strong>en Behandlung innerhalb der Versi<strong>ch</strong>erungslaufzeit erfolgt. Dieses Prinzip kommt<br />

nur bei Krankenpflegeversi<strong>ch</strong>erungen zur Anwendung.<br />

■ Anspru<strong>ch</strong>serhebungsprinzip (Claims Made Prinzip): Der S<strong>ch</strong>aden ist gedeckt, wenn die Anspru<strong>ch</strong>s-<br />

erhebung (Claims Made) innerhalb der Versi<strong>ch</strong>erungslaufzeit erfolgt. Fuhrer (2009, Fussnote 35) weist<br />

daraufhin, dass au<strong>ch</strong> der Begriff «Anspru<strong>ch</strong>serhebungsprinzip» fals<strong>ch</strong> ist: «Eigentli<strong>ch</strong> ist der Begriff au<strong>ch</strong><br />

bei diesem Prinzip fals<strong>ch</strong>, da massgebend ni<strong>ch</strong>t die Anspru<strong>ch</strong>serhebung selbst, sondern die Kenntnis von<br />

Umständen ist, na<strong>ch</strong> denen ernsthaft mit der Erhebung von Ansprü<strong>ch</strong>en zu re<strong>ch</strong>nen ist». S<strong>ch</strong>äden, die<br />

während der Vertragslaufzeit verursa<strong>ch</strong>t (Eintritt des Primärereignisses) und/oder eingetreten (Eintritt eines<br />

Folgeereignisses) sind, für die jedo<strong>ch</strong> während der Vertragslaufzeit kein Anspru<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die ges<strong>ch</strong>ädigten<br />

Person erhoben wurde, sind ni<strong>ch</strong>t gedeckt. Anwendungsberei<strong>ch</strong>e: Vermögenss<strong>ch</strong>aden-<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung, u.a. die Berufshaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung.<br />

266


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Damit ergibt si<strong>ch</strong> bei Stufengefahren nun die folgende Problemstellung: Zum einen muss si<strong>ch</strong>ergestellt<br />

werden, dass in einem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag nur ausgewählte Folgeereignisse versi<strong>ch</strong>ert werden können.<br />

Wie wir im Rahmen der ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse ausführen werden, kann ein Versi<strong>ch</strong>erungsnotstand ein-<br />

treten, wenn die Versi<strong>ch</strong>erer gezwungen werden, bei der Verwirkli<strong>ch</strong>ung von Folgegefahren unabhängig<br />

vom zeitli<strong>ch</strong>en Zuordnungskriterium, das im Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag definiert ist, leistungspfli<strong>ch</strong>tig zu sein.<br />

Dies führt dazu, dass bei Stufengefahren, die im Rahmen des Claims Made Prinzips versi<strong>ch</strong>ert werden, mit<br />

der «Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Gefahr» bzw. dem «Eintritt des befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses» nur die «Verwirkli-<br />

<strong>ch</strong>ung der Folgegefahr» gemeint sein kann. Zum anderen gibt es im <strong>VVG</strong> Normen, die an die Begriffe der<br />

versi<strong>ch</strong>erten Gefahr bzw. des befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses anknüpfen, si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf die Folgegefahr,<br />

sondern auf die Primärgefahr beziehen. Fuhrer (2010, §20: 20.9) führt für diese Problemstellung u.a. das<br />

folgende Beispiel aus: «Na<strong>ch</strong> Art. 61 Abs. 1 <strong>VVG</strong> ist der Versi<strong>ch</strong>erte verpfli<strong>ch</strong>tet, na<strong>ch</strong> Eintritt des befür<strong>ch</strong>teten<br />

Ereignisses für die Minderung des S<strong>ch</strong>adens zu sorgen. Damit kann nur das Primärereignis gemeint sein. Wollte man<br />

das befür<strong>ch</strong>tete Ereignis in der Anspru<strong>ch</strong>serhebung erblicken, so wäre der ein Kind verletzende S<strong>ch</strong>ädiger (zumindest<br />

versi<strong>ch</strong>erungsvertragsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>) erst na<strong>ch</strong> dem Eingang von S<strong>ch</strong>adenersatzforderungen der Eltern zu Rettungshand-<br />

lungen verpfli<strong>ch</strong>tet.»<br />

Fuhrer (2010, §20: 20.6) kommt bezügli<strong>ch</strong> der Konfusionen, die si<strong>ch</strong> daraus ergeben, dass mit dem be-<br />

für<strong>ch</strong>teten Ereignis bzw. der Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Gefahr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Phänomene gemeint sind, zu<br />

folgendem S<strong>ch</strong>luss:<br />

«Quelle der erwähnten Konfusion ist nun, dass diese zeitli<strong>ch</strong>en Zuordnungskriterien in der Literatur zum Teil als Defi-<br />

nition des versi<strong>ch</strong>erten Ereignisses qualifiziert werden. Da vers<strong>ch</strong>iedene Institute des Gesetzes am Eintritt des versi<strong>ch</strong>er-<br />

ten Ereignisses anknüpfen, führt eine sol<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>stellung zwingend in die Irre. Ri<strong>ch</strong>tigerweise sind deshalb versi<strong>ch</strong>er-<br />

tes Ereignis und Ums<strong>ch</strong>reibung des zeitli<strong>ch</strong>en Geltungsberei<strong>ch</strong>es auseinander zu halten.»<br />

Vor diesem Hintergrund ist es mit Blick auf die Identifikation des juristis<strong>ch</strong>en Delta zielführend, au<strong>ch</strong> die<br />

Formulierung zu berücksi<strong>ch</strong>tigen, wel<strong>ch</strong>e die Expertenkommission im VE-<strong>VVG</strong> für die Na<strong>ch</strong>haftung (Art.<br />

46 VE-<strong>VVG</strong>) und die hängigen Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 47 VE-<strong>VVG</strong>) vorgesehen hat (vgl. Tabelle 60).<br />

Verglei<strong>ch</strong> man Art. 46 und 47 VE-<strong>VVG</strong> mit ihren Pendants im E-<strong>VVG</strong> (Art. 57 und 58), stellt man Folgen-<br />

des fest:<br />

■ Art. 46 VE-<strong>VVG</strong> vs. Art. 57 E-<strong>VVG</strong>: In Art. 46 VE-<strong>VVG</strong> ist die Rede von der «Verwirkli<strong>ch</strong>ung der versi-<br />

<strong>ch</strong>erten Gefahr» (Art. 57 E-<strong>VVG</strong>: «Eintritt des befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses») und vom «S<strong>ch</strong>adeneintritt» (Art.<br />

57 E-<strong>VVG</strong>: «Auslösung der Leistungspfli<strong>ch</strong>t»).<br />

■ Art. 47 VE-<strong>VVG</strong> vs. Art. 58 E-<strong>VVG</strong>: In Art. 47 VE-<strong>VVG</strong> ist die Rede von «Eintritt des Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

falls» (Art. 58 E-<strong>VVG</strong>: «Eintritt des befür<strong>ch</strong>tet Ereignisses») und von «Eins<strong>ch</strong>ränkung bestehender Leis-<br />

tungsverpfli<strong>ch</strong>tungen» (Art. 58 E-<strong>VVG</strong>: «Bes<strong>ch</strong>ränkung oder Aufhebung bestehender Leistungsverpfli<strong>ch</strong>-<br />

tungen»).<br />

267


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 60: Art. 22, 46 und 47 VE-<strong>VVG</strong><br />

Art. 22 (Voraussetzungen) VE-<strong>VVG</strong><br />

Der Versi<strong>ch</strong>erungsfall ist eingetreten, sobald sämtli<strong>ch</strong>e Voraussetzungen für die Leistungspfli<strong>ch</strong>t des<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmens erfüllt sind.<br />

Art. 46 (Na<strong>ch</strong>haftung) VE-<strong>VVG</strong><br />

46.1 Hat si<strong>ch</strong> die versi<strong>ch</strong>erte Gefahr no<strong>ch</strong> während der Laufzeit des Vertrages verwirkli<strong>ch</strong>t, so ist die<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsleistung au<strong>ch</strong> dann ges<strong>ch</strong>uldet, wenn der aus diesem Ereignis entstehende S<strong>ch</strong>aden erst na<strong>ch</strong><br />

Beendigung des Vertrages eintritt.<br />

46.2 Anderslautende Vereinbarungen in der Personeneinzelversi<strong>ch</strong>erung sind ni<strong>ch</strong>tig, soweit sie die<br />

Leistungspfli<strong>ch</strong>t für S<strong>ch</strong>äden auss<strong>ch</strong>liessen, die innert fünf Jahren seit Beendigung des Vertrages eintreten.<br />

Art. 47 (Folgen für hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle) VE-<strong>VVG</strong><br />

47.1 Vertragsbestimmungen, wel<strong>ch</strong>e ein Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen bere<strong>ch</strong>tigen, bei Beendigung des<br />

Vertrages na<strong>ch</strong> Eintritt des Versi<strong>ch</strong>erungsfalls bestehende Leistungsverpfli<strong>ch</strong>tungen bezügli<strong>ch</strong> Dauer oder<br />

Umfang einseitig zu bes<strong>ch</strong>ränken oder aufzuheben, sind ni<strong>ch</strong>tig.<br />

47.2 Vorbehalten bleibt die kollektive Personenversi<strong>ch</strong>erung.<br />

Anmerkungen: Grün = dispositives Re<strong>ch</strong>t, orange = halbzwingendes Re<strong>ch</strong>t, rot = zwingendes Re<strong>ch</strong>t<br />

Quelle: VE-<strong>VVG</strong><br />

Die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass die Anwendungsvoraussetzung von Art. 46 VE-<strong>VVG</strong> die Verwirkli<strong>ch</strong>ung der versi<strong>ch</strong>er-<br />

ten Gefahr ist, diejenige von Art. 47 VE-<strong>VVG</strong> hingegen der Eintritt des Versi<strong>ch</strong>erungsfall, legt den S<strong>ch</strong>luss<br />

nahe, dass für die Expertenkommission Verwirkli<strong>ch</strong>ung der versi<strong>ch</strong>erten Gefahr etwas anderes ist als der<br />

Eintritt des Versi<strong>ch</strong>erungsfalls. Wir interpretieren diese Unters<strong>ch</strong>eidung dahingehend, dass die Experten-<br />

kommission im Sinne von Fuhrer (2010) einen Begriff der versi<strong>ch</strong>erten Gefahr verwendet, der unabhängig<br />

vom Zeitpunkt ist, der für die zeitli<strong>ch</strong>e Zuordnung eines Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags zu einem S<strong>ch</strong>adenereignis<br />

massgebend ist. Gemäss dieser Interpretation liegt der Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en dem «Versi<strong>ch</strong>erungsfall» und<br />

der «Verwirkli<strong>ch</strong>ung der versi<strong>ch</strong>erten Gefahr» darin, dass si<strong>ch</strong> eine versi<strong>ch</strong>erte Gefahr verwirkli<strong>ch</strong>en kann,<br />

ohne dass deswegen ein Versi<strong>ch</strong>erungsfall eintritt. Oder anders formuliert: Der Eintritt des Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

fall ist an mehr «Tatbestandselemente» bzw. «Leistungsvoraussetzungen» (Maurer 1986, 309) geknüpft<br />

als die Verwirkli<strong>ch</strong>ung der versi<strong>ch</strong>erten Gefahr. Die Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Gefahr ist in dem Sinne eine not-<br />

wendige, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> eine hinrei<strong>ch</strong>ende Bedingung für den Eintritt des Versi<strong>ch</strong>erungsfalls. Das zusätzli<strong>ch</strong>e<br />

Tatbestandselement, das erfüllt sein muss, damit na<strong>ch</strong> der Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Gefahr au<strong>ch</strong> der Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsfall eintritt, ist das zeitli<strong>ch</strong>e Zuordnungskriterium (S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip, Claims Made Prinzip<br />

etc.), das im Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag definiert ist. Mit dem Eintritt des Versi<strong>ch</strong>erungsfalls steht die Leistungs-<br />

pfli<strong>ch</strong>t des Versi<strong>ch</strong>erers allerdings no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t fest. Denn damit die Leistungspfli<strong>ch</strong>t des Versi<strong>ch</strong>erers gege-<br />

ben ist, müssen weitere Voraussetzungen, die sogenannten «sekundären Leistungsvoraussetzungen»<br />

(Maurer 1986, Fussnote 796, 307), erfüllt sein.<br />

12.1.3 Identifikation der Veränderungen<br />

Na<strong>ch</strong>haftung: Art. 57 E-<strong>VVG</strong> und Art. 46 VE-<strong>VVG</strong><br />

Art. 57 E-<strong>VVG</strong> und au<strong>ch</strong> Art. 46 VE-<strong>VVG</strong> sind bedeutungs- bzw. gegenstandslos, wenn es si<strong>ch</strong> bei der<br />

versi<strong>ch</strong>erten Gefahr um eine Einzelgefahr handelt. Damit Art. 46 VE-<strong>VVG</strong> und Art. 57 E-<strong>VVG</strong> wirksam<br />

werden können, müssen folgende zwei Bedingungen erfüllt sein:<br />

■ Bedingung 1: Es geht um eine Stufengefahr, bei der si<strong>ch</strong> die Primärgefahr während der Vertragsdauer<br />

verwirkli<strong>ch</strong>t hat, das Folgereignis hingegen erst na<strong>ch</strong> Beendigung des Vertrags. Denn wenn es um eine<br />

268


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Einzelgefahr geht, fallen der Zeitpunkt des «Eintritts des befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses» und der Zeitpunkt des<br />

«Auslösens der Leistungspfli<strong>ch</strong>t des Versi<strong>ch</strong>erers» zusammen: Der Versi<strong>ch</strong>erer ist leistungspfli<strong>ch</strong>tig, wenn<br />

dieser Zeitpunkt in die Vertragsperiode fällt, ansonsten ist er es ni<strong>ch</strong>t.<br />

■ Bedingung 2: Es geht um Versi<strong>ch</strong>erungsverträge, bei wel<strong>ch</strong>en das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip gilt.<br />

Ansonsten wäre der Zeitpunkt des Eintritts der Primärgefahr irrelevant. Oder anders formuliert: Ansonsten<br />

ist unter dem Eintritt des befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses der Eintritt der Verwirkli<strong>ch</strong>ung der versi<strong>ch</strong>erten Folgege-<br />

fahr zu verstehen.<br />

Dies ma<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>: Mit Art. 57 E-<strong>VVG</strong> wird – entgegen anderslautenden Verlautbarungen im Rahmen<br />

der Vernehmlassung – die zeitli<strong>ch</strong>e Zuordnung eines S<strong>ch</strong>adenereignisses zu einem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag<br />

ni<strong>ch</strong>t reguliert. Es steht den Versi<strong>ch</strong>erern also na<strong>ch</strong> wie vor frei, als «Eintritt des befür<strong>ch</strong>teten Ereignis» die<br />

Verursa<strong>ch</strong>ung, den S<strong>ch</strong>adeneintritt oder – bei Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen – die Anspru<strong>ch</strong>serhebung zu<br />

definieren. Dies kann anhand der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung illustriert werden: Der zeitli<strong>ch</strong>e Trigger ist in<br />

der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung ni<strong>ch</strong>t der Eintritt einer Krankheit (Primärereignis), sondern die Inanspru<strong>ch</strong>-<br />

nahme einer kostenpfli<strong>ch</strong>tigen medizinis<strong>ch</strong>en Dienstleistung. Fällt das befür<strong>ch</strong>tete Ereignis (Arztbesu<strong>ch</strong>,<br />

Spitalaufenthalt etc.) ni<strong>ch</strong>t in die Vertragsperiode, ist der Krankenversi<strong>ch</strong>erer au<strong>ch</strong> unter Art. 57 E-<strong>VVG</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t leistungspfli<strong>ch</strong>tig.<br />

Art. 57 E-VGG führt deshalb in erster Linie bei Privathaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen, bei Motorfahrzeughaft-<br />

pfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen, bei Motorfahrzeugkaskoversi<strong>ch</strong>erungen und bei Unfallversi<strong>ch</strong>erungen, bei wel<strong>ch</strong>en<br />

im Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip vorgesehen ist, zu Veränderungen: Klauseln in<br />

den AVB, die eine Leistungsbefreiung und/oder eine Leistungsreduktion innerhalb von fünf Jahren na<strong>ch</strong><br />

Beendigung des Vertrags für S<strong>ch</strong>adenereignisse vorsehen, die erst na<strong>ch</strong> der Vertragsbeendigung eintreten,<br />

jedo<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> während der Vertragslaufzeit eingetreten sind, sind ni<strong>ch</strong>tig.<br />

Diesbezügli<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> Art. 46 VE-<strong>VVG</strong> von Art. 57 E-<strong>VVG</strong>: Unter Art. 57 E-<strong>VVG</strong> haben die Ver-<br />

si<strong>ch</strong>erer die Mögli<strong>ch</strong>keit, bei Privathaftpfli<strong>ch</strong>t-, Motorfahrzeughaftpfli<strong>ch</strong>t-, Motorfahrzeugkasko- und Un-<br />

fallversi<strong>ch</strong>erungen vom S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip abzuwei<strong>ch</strong>en, wodur<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> die Bedeutung des<br />

befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses verändert. Definieren sie bei Privathaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungsverträgen das Claims<br />

Made Prinzip als zeitli<strong>ch</strong>es Zuordnungskriterium, greift Art. 57 E-<strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr, weil si<strong>ch</strong> das befür<strong>ch</strong>te-<br />

te Ereignis in diesem Fall ni<strong>ch</strong>t mehr auf die Primärgefahr bezieht. Diese Mögli<strong>ch</strong>keit, als zeitli<strong>ch</strong>es Zuord-<br />

nungskriterium ni<strong>ch</strong>t das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip zu bestimmen, haben die Versi<strong>ch</strong>erer unter Art. 46<br />

VE-<strong>VVG</strong> bei Personeneinzelversi<strong>ch</strong>erungen (zwingender Charakter von Abs. 2 von Art. 46 VE-<strong>VVG</strong>) ni<strong>ch</strong>t,<br />

weil die in Absatz 1 erwähnte «versi<strong>ch</strong>erten Gefahr» au<strong>ch</strong> die Primärgefahr umfasst 70 .<br />

Inwiefern die kollektive Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung und die Einzeltaggeldversi<strong>ch</strong>erung von Art. 57 E-<strong>VVG</strong><br />

tangiert wird, werden wir weiter unten ausführen.<br />

Art. 58 (Hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle) VE-<strong>VVG</strong><br />

Art. 58 E-<strong>VVG</strong> unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong> seiner Auswirkungen von Art. 57 E-<strong>VVG</strong> in zwei Punkten:<br />

■ Art. 58 E-<strong>VVG</strong> kann au<strong>ch</strong> zur Anwendung kommen, wenn eine Einzelgefahr versi<strong>ch</strong>ert wurde.<br />

■ Art. 58 E-<strong>VVG</strong> betrifft ni<strong>ch</strong>t nur Versi<strong>ch</strong>erungsverträge, bei wel<strong>ch</strong>en das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip<br />

gilt, sondern alle Versi<strong>ch</strong>erungsverträge – unabhängig vom zeitli<strong>ch</strong>e Zuordnungskriterium.<br />

70 Der Begriff der «versi<strong>ch</strong>erten Gefahr» in Art. 46 Abs. 1 VE-<strong>VVG</strong> ist unabhängig vom zeitli<strong>ch</strong>en Zuordnungskriterium, das im Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvertrag definiert ist. Der Begriff der versi<strong>ch</strong>erten Gefahr bezieht si<strong>ch</strong> bei einer Stufengefahr deshalb auf die Primärgefahr<br />

und die Folgegefahr. Der Begriff der versi<strong>ch</strong>erten Gefahr, der im VE-<strong>VVG</strong> verwendet wird, wei<strong>ch</strong>t deshalb von der Bedeutung des<br />

Begriffs ab, der im <strong>VVG</strong> verwendet wird.<br />

269


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Art. 58 E-<strong>VVG</strong> führt dazu, dass Klauseln in den AVB, die eine Leistungsbefreiung oder eine Leistungsre-<br />

duktion der Versi<strong>ch</strong>erer im Fall von Vertragsbeendigungen vorsehen, wenn der Versi<strong>ch</strong>erungsfall (im sinne<br />

von Art. 47 VE-<strong>VVG</strong>) bzw. das befür<strong>ch</strong>tete Ereignis (im Sinne von Art. 57 E-<strong>VVG</strong>) no<strong>ch</strong> während der Ver-<br />

tragslaufzeit eingetreten ist.<br />

Art. 58 E-<strong>VVG</strong> und Art. 47 VE-<strong>VVG</strong> unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> unseres Era<strong>ch</strong>tens nur bezügli<strong>ch</strong> des Geltungsbe-<br />

rei<strong>ch</strong>s:<br />

■ Art. 47 Absatz 2 VE-<strong>VVG</strong> s<strong>ch</strong>liesst die kollektive Personenversi<strong>ch</strong>erung vom Geltungsberei<strong>ch</strong> von Art. 47<br />

aus. Die Gründe für diesen Auss<strong>ch</strong>luss werden wir im na<strong>ch</strong>folgenden Abs<strong>ch</strong>nitt erläutern.<br />

■ Art. 58 Absatz 2 E-<strong>VVG</strong> s<strong>ch</strong>liesst die individuellen Krankenpflegeversi<strong>ch</strong>erung vom Geltungsberei<strong>ch</strong> von<br />

Art. 58 aus. Die Motivation bzw. die Hintergründe für diesen Auss<strong>ch</strong>luss konnten wir im Rahmen der <strong>RFA</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t eruieren.<br />

Bedeutung von Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> für Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Die Einzeltaggeldversi<strong>ch</strong>erung und die kollektive Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung sind von Art. 57 und 58 E-<br />

<strong>VVG</strong> in besonderer Art und Weise betroffen.<br />

Zuerst weisen wir auf einen wi<strong>ch</strong>tigen Punkt hin: Art. 57 E-<strong>VVG</strong> hat im Fall eines Erlös<strong>ch</strong>ens des Ar-<br />

beitsvertrags zwis<strong>ch</strong>en einem Arbeitnehmenden und einem Arbeitgebenden überhaupt keine<br />

Auswirkungen, da kein Vertragsbeendigung vorliegt, so dass die Anwendungsvoraussetzungen von Art.<br />

57 E-<strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t erfüllt sind. Dies gilt ni<strong>ch</strong>t für Art. 58 E-<strong>VVG</strong>: Dieser kann den Fall eines Erlös<strong>ch</strong>ens des<br />

Arbeitsvertrag zwis<strong>ch</strong>em dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber tangieren.<br />

Unbestritten dürfte sein, dass bei Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungen die Primärgefahr die krankheitsbeding-<br />

te Erwerbsunfähigkeit ist. Die Primärgefahr realisiert si<strong>ch</strong> mit dem Zeitpunkt, zu dem die Erwerbsunfähig-<br />

keit des Arbeitnehmenden gemäss Arztzeugnis eintritt. Allenfalls könnte man auf den Gedanken kom-<br />

men, die Krankheit als Primärgefahr zu definieren. Eine sol<strong>ch</strong>e Definition ist unseres Era<strong>ch</strong>tens allerdings<br />

ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>lüssig, weil eine Krankheit eintreten kann, ohne dass dadur<strong>ch</strong> eine Erwerbsunfähigkeit resultiert<br />

(Beispiel: Kopfs<strong>ch</strong>merzen).<br />

Bezügli<strong>ch</strong> der Folgegefahren muss bei der kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung zwis<strong>ch</strong>en dem Arbeit-<br />

nehmenden und dem Arbeitgebenden (VN) unters<strong>ch</strong>ieden werden. Dies deshalb, weil mit einem kollekti-<br />

ven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungsvertrag ni<strong>ch</strong>t nur Gefahren versi<strong>ch</strong>ert werden, wel<strong>ch</strong>en der Arbeitge-<br />

bende (VN) ausgesetzt ist, sondern au<strong>ch</strong> Gefahren, wel<strong>ch</strong>en der Arbeitnehmende ausgesetzt ist 71 :<br />

■ Folgegefahr aus Si<strong>ch</strong>t des Arbeitnehmenden: Die Folgegefahr aus Si<strong>ch</strong>t des Arbeitnehmenden ist<br />

der Erwerbsausfall na<strong>ch</strong> Ablauf der Lohnfortzahlungspfli<strong>ch</strong>t des Arbeitgebenden, die si<strong>ch</strong> aus dem Geset-<br />

ze (OR) oder aus anderweitigen (verbindli<strong>ch</strong>en) Vereinbarungen (z.B. Gesamtarbeitsverträge) ergibt.<br />

■ Folgegefahr aus Si<strong>ch</strong>t des Arbeitgebers: Die Folgegefahr aus Si<strong>ch</strong>t des Arbeitgebers ist die Lohn-<br />

fortzahlung, zu wel<strong>ch</strong>er er gesetzli<strong>ch</strong> (OR) oder anderweitig (Gesamtarbeitsverträge) verpfli<strong>ch</strong>tet ist, ohne<br />

dabei eine entspre<strong>ch</strong>ende Gegenleistung des Arbeitnehmenden zu erhalten.<br />

Typis<strong>ch</strong>erweise realisiert si<strong>ch</strong> die Folgegefahr aus Si<strong>ch</strong>t des Arbeitgebers zu einem früheren Zeitpunkt als<br />

die Folgegefahr aus Si<strong>ch</strong>t des Arbeitnehmenden, da die Zeitperiode, während wel<strong>ch</strong>er der Arbeitgeber<br />

71 Der SVV (2009a, 41) führt in seiner Vernehmlassungsantwort aus: «Diese Regelung entspri<strong>ch</strong>t dem Zweck dieser Versi<strong>ch</strong>erung,<br />

dem Arbeitgeber eine Deckung für dessen Lohnfortzahlungspfli<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> Art, 324a OR zu gewähren.» Wir mö<strong>ch</strong>ten ergänzend<br />

festhalten, dass dies nur ein Zweck der kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung ist – ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> der einzige. Es wäre nur dann der<br />

einzige Zweck, wenn die Arbeitgeber (VN) mit ihren KTG-Verträgen nur die Lohnfortzahlungspfli<strong>ch</strong>t versi<strong>ch</strong>ern würden, zu wel<strong>ch</strong>er<br />

der VN (Arbeitgeber) von Gesetzes wegen verpfli<strong>ch</strong>tet ist. Dies ist jedo<strong>ch</strong> im Normalfall ni<strong>ch</strong>t der Fall: Typis<strong>ch</strong>erweise erbringen KTG-<br />

Versi<strong>ch</strong>erer Leistungen, die weit über die gesetzli<strong>ch</strong>e Lohnfortzahlungspfli<strong>ch</strong>t des Arbeitgebers hinausrei<strong>ch</strong>en.<br />

270


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

aufgrund des Gesetzes oder aufgrund anderweitiger Vereinbarungen zur Lohnfortzahlung verpfli<strong>ch</strong>tet ist,<br />

länger dauert als die Wartefrist, die er im KTG-Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag vereinbart hat. Aus diesem Grund<br />

dürfte für den Zeitpunkt der Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Folgegefahr der Zeitpunkt der Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Folge-<br />

gefahr aus Si<strong>ch</strong>t des Arbeitgebers ents<strong>ch</strong>eidend sein. Dies führt uns zum S<strong>ch</strong>luss, dass der Zeitpunkt der<br />

Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Folgegefahr in den meisten Fällen der Zeitpunkt «Datum der Erwerbsunfähigkeit<br />

+ Wartefrist» ist 72 .<br />

Die Auswirkungen von Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> hängen nun davon ab, wel<strong>ch</strong>es Zuordnungskriterium im<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag definiert ist:<br />

■ S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip 73 : Gilt das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip, ist der Zeitpunkt auss<strong>ch</strong>lag-<br />

gebend, ab wel<strong>ch</strong>em der Arbeitnehmende gemäss ärztli<strong>ch</strong>em Attest erwerbsunfähig ist. Fällt dieser Zeit-<br />

punkt in die Vertragslaufzeit, haftet der KTG-Versi<strong>ch</strong>erer na<strong>ch</strong>. Dabei ergeben si<strong>ch</strong> folgende Veränderun-<br />

gen gegenüber dem Referenzszenario 74 :<br />

- Kollision mit dem Freizügigkeitsabkommen: Falls der beendete KTG-Vertrag von einem KTG-<br />

Na<strong>ch</strong>folgevertrag abgelöst wird, wobei das Freizügigkeitsabkommen zur Anwendung kommt,<br />

kollidiert die Na<strong>ch</strong>haftung gemäss Art. 57 E-<strong>VVG</strong> mit dem Freizügigkeitsabkommen der KTG-<br />

Versi<strong>ch</strong>erer (2006).<br />

- Kollision mit dem Re<strong>ch</strong>t des Übertritts in die Einzeltaggeldversi<strong>ch</strong>erung: Falls der KTG-Versi<strong>ch</strong>erer<br />

des beendeten KTG-Vertrags den versi<strong>ch</strong>erten Personen einen Übertritt in die Einzelversi<strong>ch</strong>erung<br />

(gemäss den Bedingungen des beendeten KTG-Vertrags) gewährt, kollidiert die Na<strong>ch</strong>haftung mit<br />

dem na<strong>ch</strong>folgenden Einzeltaggeldversi<strong>ch</strong>erungsvertrag.<br />

- Na<strong>ch</strong>haftung, falls es keinen Krankentaggeld--Na<strong>ch</strong>folgevertrag gibt 75 : Falls es keinen na<strong>ch</strong>fol-<br />

genden Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungsvertrag gibt (Freizügigkeitsabkommen und Übertrittsre<strong>ch</strong>t<br />

kommen ni<strong>ch</strong>t zur Anwendung) haftet der KTG-Versi<strong>ch</strong>erer im Sinne von Art. 57 E-<strong>VVG</strong> na<strong>ch</strong>.<br />

■ S<strong>ch</strong>adeneintrittsprinzip: Gilt das S<strong>ch</strong>adeneintrittsprinzip, ist der Zeitpunkt auss<strong>ch</strong>laggebend, zu wel-<br />

<strong>ch</strong>em si<strong>ch</strong> die Folgegefahr verwirkli<strong>ch</strong>t: Dies ist der Zeitpunkt des Ablaufs der Wartefrist: «Datum der Er-<br />

werbsunfähigkeit + Wartefrist». Fällt dieser Zeitpunkt in die Vertragsperiode, kommen Art. 57 und 58 E-<br />

<strong>VVG</strong> zur Anwendung. Die Auswirkungen von Art. 57 E-<strong>VVG</strong> bei Geltung des S<strong>ch</strong>adeneintrittsprinzip un-<br />

ters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> von den Auswirkungen von Art. 57 E-<strong>VVG</strong> bei Geltung des S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip<br />

nur in folgendem Punkt: Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> kommen ni<strong>ch</strong>t zur Anwendung, wenn die S<strong>ch</strong>adenverur-<br />

sa<strong>ch</strong>ung (Eintritt der Erwerbsunfähigkeit) no<strong>ch</strong> während der Vertragslaufzeit / der Laufzeit des Arbeitsver-<br />

trags stattfindet, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>adeneintritt (Datum der Erwerbsunfähigkeit + Wartezeit). Dies ist<br />

72 Wir überlassen es dem Leser, in analoger Weise die Auswirkungen von Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> für den Fall zu deduzieren, dass der<br />

relevante Zeitpunkt der Zeitpunkt der Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Folgegefahr aus Si<strong>ch</strong>t des Arbeitnehmenden ist. Dieser Zeitpunkt ist gege-<br />

ben dur<strong>ch</strong>: Datum der Erwerbsunfähigkeit + Dauer der Lohnfortzahlungspfli<strong>ch</strong>t.<br />

73 Bei Taggeldversi<strong>ch</strong>erungen findet die S<strong>ch</strong>adenfeststellung paradoxerweise früher statt als der S<strong>ch</strong>adeneintritt. Insofern ist au<strong>ch</strong><br />

denkbar, dass bei einem KTG-Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag die S<strong>ch</strong>adenfeststellung als zeitli<strong>ch</strong>es Zuordnungskriterium festgelegt wird. Der<br />

Zeitpunkt der S<strong>ch</strong>adenfeststellung stimmt jedo<strong>ch</strong> mit dem Zeitpunkt der S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ung in den meisten Fällen überein, so dass<br />

die Auswirkungen von Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> bei Geltung des S<strong>ch</strong>adenfeststellungsprinzips etwa glei<strong>ch</strong> ausfallen wie diejenigen bei<br />

Geltung des S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzips. Das S<strong>ch</strong>adenfeststellungsprinzip s<strong>ch</strong>eint allerdings ni<strong>ch</strong>t zweckmässig zu sein, da Er-<br />

werbsunfähigkeiten von ärztli<strong>ch</strong>er Seite zum Teil «bis auf Weiteres» augestellt werden. Darüber hinaus würden si<strong>ch</strong> ernsthafte<br />

Probleme ergeben, wenn eine krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit verlängert wird, was oft vorkommt. In diesem Fall gäb es dann<br />

nämli<strong>ch</strong> mehr als einen Zeitpunkt der S<strong>ch</strong>adenfeststellung.<br />

74 Wenn das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip gilt, haftet der KTG-Versi<strong>ch</strong>erer aufgrund von Art. 57 E-<strong>VVG</strong> au<strong>ch</strong> für hängige Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsfälle. Art. 58 E-<strong>VVG</strong> ist in diesem Fall redundant.<br />

75 Damit meinen wir au<strong>ch</strong> den Fall, dass es einen KTG-Na<strong>ch</strong>folgevertrag gibt, bei dem jedo<strong>ch</strong> das Freizügigkeitsabkommen ni<strong>ch</strong>t zur<br />

Anwendung kommt. Vom Ergebnis her ist dieser mit dem Fall, dass es überhaupt keinen Na<strong>ch</strong>folgevertrag gibt, identis<strong>ch</strong>: Der Na<strong>ch</strong>-<br />

versi<strong>ch</strong>erer ist ni<strong>ch</strong>t leistungspfli<strong>ch</strong>tig, da er in den AVB einen entspre<strong>ch</strong>enden Deckungsauss<strong>ch</strong>luss definiert hat.<br />

271


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

dann der Fall, wenn gilt: Datum der Erwerbsunfähigkeit < Datum der Vertragsbeendigung / der Beendi-<br />

gung des Arbeitsvertrags < Datum der Erwerbsunfähigkeit + Wartefrist. Dies ist dann mögli<strong>ch</strong>, wenn die<br />

Vertragsbeendigung / die Beendigung des Arbeitsvertrags kurz na<strong>ch</strong> Eintritt der Erwerbsunfähigkeit ein-<br />

tritt, so dass die Wartefrist über den Zeitpunkt der Vertragsbeendigung / Beendigung des Arbeitsvertrags<br />

hinausrei<strong>ch</strong>t. In Abbildung 9 ist die Abfolge der Ereignisse, die zu diesem Unters<strong>ch</strong>ied führt, grafis<strong>ch</strong><br />

dargestellt. In beiden Fällen, die in Abbildung 9 dargestellt sind, verwirkli<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> die Primärgefahr (krank-<br />

heitsbedingte Erwerbsunfähigkeit) während der Vertragslaufzeit. Die beiden Fälle unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> ein-<br />

zig dadur<strong>ch</strong>, dass in Fall 1 au<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>adeneintritt (Datum der Erwerbsunfähigkeit + Wartefrist) in die<br />

Vertragsperiode fällt, was in Fall 2 ni<strong>ch</strong>t der Fall ist, weil eine längere Wartefrist vereinbart wurde.<br />

Abbildung 9 deutet au<strong>ch</strong> die Frage an, inwiefern der KTG-Versi<strong>ch</strong>erer na<strong>ch</strong>haftet, wenn es na<strong>ch</strong> der Ver-<br />

tragsbeendigung zu einem Rückfall kommt. Wir konnten diese Frage im Rahmen der <strong>RFA</strong> ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>lies-<br />

send klären. Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, ob mit dem Rückfall ein neuer Versi<strong>ch</strong>erungsfall<br />

entsteht:<br />

■ Rückfall begründet einen neuen Versi<strong>ch</strong>erungsfall: Der KTG-Versi<strong>ch</strong>erer haftet mit Art. 57 E-<strong>VVG</strong><br />

na<strong>ch</strong>, wenn das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong>, wenn das S<strong>ch</strong>adeneintrittsprinzip vereinbart<br />

wurde.<br />

■ Rückfall begründet keinen neuen Versi<strong>ch</strong>erungsfall: Der KTG-Versi<strong>ch</strong>erer haftet mit Art. 57 E-<strong>VVG</strong><br />

na<strong>ch</strong>, wenn das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip gilt. Mit Art. 58 E-<strong>VVG</strong> ist er au<strong>ch</strong> leistungspfli<strong>ch</strong>tig, wenn<br />

das S<strong>ch</strong>adeneintrittsprinzip gilt – allerdings nur dann, wenn der Rückfall die Eigens<strong>ch</strong>aften aufweist, die<br />

gemäss dem KTG-Vertrag erfüllt sein müssen, damit ein Rückfall vorliegt.<br />

Gemäss dem SVV (2009a, 41) gilt bei der kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung der Zeitpunkt des Ein-<br />

trittes der Arbeitsunfähigkeit als zeitli<strong>ch</strong>e Zuordnungskriterium: «Im Fall der kollektiven Krankentaggeldversi-<br />

<strong>ch</strong>erung ist der Versi<strong>ch</strong>erer im Zeitpunkt des Eintrittes der Arbeitsunfähigkeit für die Leistungsausri<strong>ch</strong>tung zuständig.<br />

Diese Regelung entspri<strong>ch</strong>t dem Zweck dieser Versi<strong>ch</strong>erung, dem Arbeitgeber eine Deckung für dessen Lohnfortzah-<br />

lungspfli<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> Art, 324a OR zu gewähren. Ni<strong>ch</strong>t massgebend ist dagegen, bei wel<strong>ch</strong>em Versi<strong>ch</strong>erer die Krankheit<br />

zuerst aufgetreten oder behandelt worden ist.» Dies spri<strong>ch</strong>t dafür, dass bei kollektiven Krankentaggeldversi-<br />

<strong>ch</strong>erungen das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip gilt – ausser, man interpretiert den Eintritt der Erwerbsunfä-<br />

higkeit als S<strong>ch</strong>adeneintritt und ni<strong>ch</strong>t als S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ung. Wir haben bereits weiter oben ausgeführt,<br />

dass wir eine sol<strong>ch</strong>e Si<strong>ch</strong>tweise ni<strong>ch</strong>t für adäquat handeln. Denn in einer sol<strong>ch</strong>en Si<strong>ch</strong>tweise müsste dann<br />

der Eintritt der Krankheit als S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ung gelten. Diese Krankheit kann jedo<strong>ch</strong> bereits bei der<br />

Geburt eingetreten sein (genetis<strong>ch</strong> bedingte Krankheit), was zeigt, dass eine derartige Interpretation der<br />

Dinge keinen Sinn ma<strong>ch</strong>t.<br />

272


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Abbildung 9: Auswirkungen von Art. 57/58 E-<strong>VVG</strong> bei der kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung<br />

Ereignisse Vertragssituation<br />

Erwerbstätigkeit<br />

Abs<strong>ch</strong>luss eines neuen Arbeitsvertrags mit<br />

Arbeitnehmer 2<br />

Kündigung des Arbeitsvertrags mit<br />

Arbeitgeber 1<br />

Eintritt des Primärereignisses: Burn-Out<br />

100%-Erwerbsunfähigkeit<br />

Arbeitgeberwe<strong>ch</strong>sel<br />

Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit<br />

Eintritt eines Rückfalls<br />

100%-Erwerbsunfähigkeit<br />

Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit<br />

Bemerkung: Wenn der Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit (S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ung) das ents<strong>ch</strong>eidende zeitli<strong>ch</strong>e Zuordnungskriterium<br />

ist, haftet der KTG-Versi<strong>ch</strong>erer gemäss Art 57 E-<strong>VVG</strong> sowohl in Fall 1 au<strong>ch</strong> als in Fall 2 na<strong>ch</strong>. Wenn hingegen der<br />

Zeitpunkt des Eintritts des Erwerbsausfalls (Datum der Erwerbsunfähigkeit + Wartefrist) das ents<strong>ch</strong>eidende zeitli<strong>ch</strong>e Zuordnungskriterium<br />

ist, haftet der KTG-Versi<strong>ch</strong>erer nur im Fall 1, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> im Fall 2 na<strong>ch</strong>.<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

12.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> zielen darauf ab, eine Kürzung oder sogar eine Einstellung von S<strong>ch</strong>adensleistungen<br />

in folgenden zwei Fällen zu verhindern:<br />

Zeita<strong>ch</strong>se<br />

Arbeitsvertrag<br />

mit Arbeitgeber 1<br />

(mit KTG-Vertrag )<br />

Wartefrist:<br />

FALL 1<br />

FALL 2<br />

Arbeitsvertrag<br />

mit Arbeitgeber 2<br />

Erwerbstätigkeit<br />

Erwerbsunfähigkeit<br />

4 Monate<br />

Erwerbstätigkeit<br />

Erwerbsunfähigkeit<br />

4 Monate<br />

Erwerbstätigkeit<br />

273


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Leistungskürzungen bei Vertragsbeendigung: Na<strong>ch</strong>dem ein befür<strong>ch</strong>tetes Ereignis eingetreten ist,<br />

kommt es – aus wel<strong>ch</strong>en Gründen au<strong>ch</strong> immer – zur Beendigung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags. Derartige<br />

Fälle gab es offenbar in Zusammenhang mit der Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung. Derrer Satmer Hunziker &<br />

Baumgartner Re<strong>ch</strong>tsanwälte (2009, 4) s<strong>ch</strong>ildern in ihrer Vernehmlassungsantwort einen sol<strong>ch</strong>en Fall: «In<br />

einem Krankentaggeldfall einer 1-Mann-GmbH endigte der Vertrag zufolge Prämienverzug, dies als Folge des Total-<br />

ausfalles des Ges<strong>ch</strong>äftsführers. Der Versi<strong>ch</strong>erer stellte si<strong>ch</strong> allen Ernstes auf den Standpunkt, mit der Vertragsbeendi-<br />

gung werde die laufende 730 Tage-Leistungsdauer auf den Tag der Vertragsbeendigung verkürzt.» Darüber hinaus<br />

gibt es gemäss den befragten Experten bei Versi<strong>ch</strong>erungen, bei wel<strong>ch</strong>en im Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag das<br />

S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip als zeitli<strong>ch</strong>es Zuordnungskriterium definiert ist, zum Tei offenbar Klauseln in<br />

den AVB, die eine Leistungsreduktion oder eine Leistungsbefreiung im Fall einer Vertragsbeendigung vor-<br />

sehen. Dabei geht es um Konsumentenversi<strong>ch</strong>erungen, insbesondere um Privathaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen,<br />

Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen und Unfallversi<strong>ch</strong>erungen.<br />

■ Opportunistis<strong>ch</strong>e Vertragskündigungen bei gestaffelten S<strong>ch</strong>adenereignissen: Wenn für die VU<br />

aufgrund von eingetretenen S<strong>ch</strong>äden absehbar ist, dass weitere S<strong>ch</strong>äden eintreten werden, können si<strong>ch</strong><br />

die VU mittels des Kündigungsre<strong>ch</strong>ts im S<strong>ch</strong>adensfall aus einer S<strong>ch</strong>adenskette herauskündigen.<br />

Diese Ausführungen ma<strong>ch</strong>en deutli<strong>ch</strong>, dass Art. 57 und 58 das Ziel verfolgen, eine als stossend empfun-<br />

dene Leistungsbefreiung von Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen zu verhindern und entspre<strong>ch</strong>end eine Risikode-<br />

ckung aufre<strong>ch</strong>t zu erhalten. Hintergrund dieses Ansinnens sind gemäss Dr. Stephan Weber entspre<strong>ch</strong>ende<br />

Klauseln in den AVB ausgewählter Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen.<br />

12.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung<br />

Wie oben ausgeführt, haben zahlrei<strong>ch</strong>e Teilnehmer der Vernehmlassung Art. 57 dahingehend interpre-<br />

tiert, dass nur no<strong>ch</strong> das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip zulässig sei. Auf der Basis dieser Interpretation, die<br />

unseres Era<strong>ch</strong>tens (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitte 12.1.2 und 12.1.3) ni<strong>ch</strong>t zutreffend ist, haben zahlrei<strong>ch</strong>e Teilnehmer<br />

Art. 57 und 58 kritisiert – aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t zu Re<strong>ch</strong>t, falls ihre Interpretation zutreffend wäre. Wir<br />

verzi<strong>ch</strong>ten an dieser Stelle auf eine Ausführung dieser Kritik, da wir davon ausgehen, dass sie auf einer<br />

unzutreffenden Interpretation von Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> beruht.<br />

Der SVV (2009a) ma<strong>ch</strong>t in seiner Vernehmlassungsantwort allerdings eine Kritik geltend, die unabhängig<br />

von dieser Fehlinterpretation Bestand hat: Die Kritik bezieht si<strong>ch</strong> auf die Kollision der Na<strong>ch</strong>haftung mit<br />

dem Freizügigkeitsabkommen und dem Übertrittsre<strong>ch</strong>t in die Einzeltaggeldversi<strong>ch</strong>erung, das die meisten<br />

KTG-Versi<strong>ch</strong>erer gewähren:<br />

«Um Eins<strong>ch</strong>ränkungen betreffend vorbestehender Krankheiten im Fall eines Arbeitgeberwe<strong>ch</strong>sels oder bei Übernahme<br />

des Kollektivvertrages dur<strong>ch</strong> einen neuen Versi<strong>ch</strong>erer zu verhindern, haben die Versi<strong>ch</strong>erer ein Freizügigkeitsabkom-<br />

men abges<strong>ch</strong>lossen. Dieses Abkommen sieht vor, dass der neue Versi<strong>ch</strong>erer ab dem Zeitpunkt des Arbeitgeber- oder<br />

Versi<strong>ch</strong>ererwe<strong>ch</strong>sels sämtli<strong>ch</strong>e bestehenden Leistungsansprü<strong>ch</strong>e weiter ausri<strong>ch</strong>tet, und zwar na<strong>ch</strong> den Bestimmungen<br />

des vormaligen Versi<strong>ch</strong>erers. Dieses System, das in der Praxis sehr gut funktioniert, würde dur<strong>ch</strong> die vorges<strong>ch</strong>lagene<br />

Na<strong>ch</strong>haftungsregelung verunmögli<strong>ch</strong>t 76 . Der alte Versi<strong>ch</strong>erer könnte dann bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit<br />

immer no<strong>ch</strong> belangt werden. Es würden si<strong>ch</strong> zwangsläufig unlösbare Zuständigkeitsprobleme stellen. Au<strong>ch</strong> gewähren<br />

die meisten Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erer beim Auss<strong>ch</strong>eiden aus dem Kollektiwertrag des Arbeitgebers ein Übertritts-<br />

re<strong>ch</strong>t in die Einzel-Krankentaggeld-Versi<strong>ch</strong>erung. In dieses gut funktionierende System würde mit einer zwingenden<br />

Na<strong>ch</strong>haftungsregelung im Sinne von Art. 57 VE-WG ohne Not eingegriffen.» (SVV 2009a, 42)<br />

76 Die ist unseres Era<strong>ch</strong>tens ni<strong>ch</strong>t ganz korrekt: Ri<strong>ch</strong>tig ist, dass die Na<strong>ch</strong>haftung im Sinne von Art. 57 E-<strong>VVG</strong> den Vorrang gegen-<br />

über dem Freizügigkeitsabkommen haben würde, wie es derzeit formuliert ist. Das Freizügigkeitsabkommen könnte jedo<strong>ch</strong> derart<br />

angepasst werden, dass es erst na<strong>ch</strong> der Na<strong>ch</strong>haftung zur Anwendung kommt.<br />

274


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

12.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

Im Abs<strong>ch</strong>nitt 12.2 haben wir ausgeführt, dass der Hintergrund von Art. 57/58 E-<strong>VVG</strong> zwei Problemstel-<br />

lungen sind:<br />

■ Problemstellung 1: Kürzung von Leistungen im Fall von Vertragsbeendigungen, wenn das befür<strong>ch</strong>tete<br />

Ereignis no<strong>ch</strong> während der Vertragslaufzeit eingetreten ist.<br />

■ Problemstellung 2: Opportunistis<strong>ch</strong>e Vertragskündigungen dur<strong>ch</strong> die VU in Zusammenhang mit ge-<br />

staffelten S<strong>ch</strong>adenereignissen.<br />

Diese Problemstellungen sind auf entspre<strong>ch</strong>ende Klauseln in den AVB der VU zurückzuführen. Aus öko-<br />

nomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t stellt si<strong>ch</strong> die Frage, warum si<strong>ch</strong> derartige Klauseln, die ni<strong>ch</strong>t den Präferenzen der VN<br />

entspre<strong>ch</strong>en, dur<strong>ch</strong>setzen bzw. überleben konnten. Das Phänomen der asymmetris<strong>ch</strong>en Information<br />

könnte diesen Sa<strong>ch</strong>verhalt erklären. Insbesondere in Zusammenhang mit der kollektiven Krankentaggeld-<br />

versi<strong>ch</strong>erung gibt es darüber hinaus empiris<strong>ch</strong>e Evidenz für einen «Market for Lemons», der in der Infor-<br />

mationsasymmetrie begründet ist: Die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass die Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erer ein Freizügigkeitsab-<br />

kommen s<strong>ch</strong>liessen mussten, um Deckungslücken beim Arbeitgeberwe<strong>ch</strong>sel von Angestellten (z.T.) und<br />

beim We<strong>ch</strong>sel des Versi<strong>ch</strong>erers dur<strong>ch</strong> den VN verhindern zu können, ist ein starker empiris<strong>ch</strong>er Hinweis,<br />

dass der Me<strong>ch</strong>anismus eines Marktes für Zitronen spielt: Kooperatives Verhalten (Freizügigkeitsabkom-<br />

men) war notwendig, um eine im Verglei<strong>ch</strong> zur Marktlösung pareto-superiore Allokation der S<strong>ch</strong>adensrisi-<br />

ken realisieren zu können. Leider werden mit dem besagten Freizügigkeitsabkommen ni<strong>ch</strong>t alle relevanten<br />

Fallkonstellationen abgedeckt:<br />

■ Ni<strong>ch</strong>t alle KTG-Versi<strong>ch</strong>erer haben das Freizügigkeitsabkommen unters<strong>ch</strong>rieben. Wenn der ursprüngli<strong>ch</strong>e<br />

Vertrag oder der na<strong>ch</strong>folgende Vertrag bei einem KTG-Versi<strong>ch</strong>erer gezei<strong>ch</strong>net wurde, der das Freizügig-<br />

keitsabkommen ni<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>rieben hat, kommt letzteres ni<strong>ch</strong>t zur Anwendung.<br />

■ Das Freizügigkeitsabkommen kann dann ni<strong>ch</strong>t zur Anwendung kommen, wenn es überhaupt keinen<br />

na<strong>ch</strong>folgenden KTG-Vertrag gibt.<br />

12.4.1 Analyse der Auswirkungen von Art. 57 E-<strong>VVG</strong><br />

Positive Analyse der Auswirkungen<br />

Die Analyse der Auswirkungen von Art. 57 E-<strong>VVG</strong>, die wir im Folgenden explizieren, beruht auf einer<br />

Interpretation von Art. 57 E-<strong>VVG</strong>, wie wir sie in Abs<strong>ch</strong>nitt 12.1.3 ausgeführt haben. Diese Interpretation<br />

impliziert, dass folgende zwei Bedingungen erfüllen sein müssen, damit Art. 57 greift und zu realen Aus-<br />

wirkungen führen kann:<br />

■ Bedingung 1: Es geht um die Verwirkli<strong>ch</strong>ung einer Stufengefahr. Bei der Verwirkli<strong>ch</strong>ung einer Einzel-<br />

gefahr führt Art. 57 E-<strong>VVG</strong> zu überhaupt keinen Auswirkungen.<br />

■ Bedingung 2: Im entspre<strong>ch</strong>ende Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag ist als zeitli<strong>ch</strong>es Zuordnungskriterium das S<strong>ch</strong>a-<br />

denverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip definiert. Art. 57 E-<strong>VVG</strong> hat keine Auswirkung bei Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen, bei<br />

wel<strong>ch</strong>en ein anderes Zuordnungskriterium definiert ist.<br />

Diese beiden Bedingungen ma<strong>ch</strong>en deutli<strong>ch</strong>, dass Art. 57 E-<strong>VVG</strong> in erster Linie bei folgenden Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungen zu Auswirkungen führen kann, da bei diesen typis<strong>ch</strong>erweise das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip gilt<br />

und Stufengefahren vorliegen:<br />

■ Taggeldversi<strong>ch</strong>erungen<br />

■ Unfallversi<strong>ch</strong>erungen<br />

■ Privathaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen<br />

275


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Die Auswirkungen in diesen Bran<strong>ch</strong>en hängen nun davon ab, ob die VU die Mögli<strong>ch</strong>keit haben, in diesen<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en ein anderes zeitli<strong>ch</strong>es Zuordnungsprinzip als die S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ung dur<strong>ch</strong>zu-<br />

setzen. Diese Mögli<strong>ch</strong>keit könnte dur<strong>ch</strong> drei Faktoren begrenzt sein:<br />

■ Es ist denkbar, dass die VU das zeitli<strong>ch</strong>e Zuordnungsprinzip trotz Art. 57 gar ni<strong>ch</strong>t verändern wollen.<br />

■ Es ist denkbar, dass ein Geri<strong>ch</strong>t zur Überzeugung gelangt, dass angesi<strong>ch</strong>ts der Gefahren, die mit Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsverträgen dieser Bran<strong>ch</strong>en versi<strong>ch</strong>ert werden, ein anderes Zuordnungskriterium als das S<strong>ch</strong>aden-<br />

verursa<strong>ch</strong>ungsprinzip sittenwidrig und deshalb ni<strong>ch</strong>t zulässig ist.<br />

■ Es ist denkbar, dass si<strong>ch</strong> andere Zuordnungskriterien in diesen Bran<strong>ch</strong>en im Markt ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>setzen<br />

könnten. Dies setzt voraus, dass die VN in der Lage sind, die Bedeutung der vers<strong>ch</strong>iedenen zeitli<strong>ch</strong>en Zu-<br />

ordnungskriterien zu erkennen 77 .<br />

Wir gehen im Folgenden davon aus, dass die VU in den oben genannten Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en aus ei-<br />

nem oder mehreren der soeben genannten Gründe ni<strong>ch</strong>t in der Lage sind, vom S<strong>ch</strong>adenverursa-<br />

<strong>ch</strong>ungsprinzip abzuwei<strong>ch</strong>en und halten an dieser Stelle fest: Sollte diese Annahme ni<strong>ch</strong>t zutreffen, wird<br />

Art. 57 E-<strong>VVG</strong> zu überhaupt keinen Auswirkungen führen.<br />

Trifft unsere Annahme zu, dann führt Art. 57 E-<strong>VVG</strong> dazu, dass bei den betroffenen Versi<strong>ch</strong>erungsverträ-<br />

gen Vertragsklauseln ni<strong>ch</strong>tig sind, die bei S<strong>ch</strong>adensereignissen, die innerhalb von fünf Jahren na<strong>ch</strong> Ver-<br />

tragsbeendigung eintreten, Leistungsbefreiungen der VU vorsehen – sofern si<strong>ch</strong> die Primärgefahr während<br />

der Vertragslaufzeit verwirkli<strong>ch</strong>t hat.<br />

Die Auswirkungen von Art. 57 E-<strong>VVG</strong> im Berei<strong>ch</strong> der kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung hängt<br />

darüber hinaus davon ab, wie die VU mit der Kollision der Na<strong>ch</strong>haftung mit dem Freizügigkeitsabkommen<br />

unter den Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erern (SVV 2006) und mit der Kollision der Na<strong>ch</strong>haftung mit dem Über-<br />

trittsre<strong>ch</strong>t in die Einzeltaggeldversi<strong>ch</strong>erung zu den Bedingungen des KTG-Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags (insbe-<br />

sondere: keine neuen Gesundheitsvorbehalte), das in den meisten KTG-Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen vorgese-<br />

hen ist, umgehen würden, wenn Art. 57 E-<strong>VVG</strong> umgesetzt würde. Wir gehen davon aus, dass dieses<br />

«Kollisionsproblem» gelöst wird, wobei vers<strong>ch</strong>iedene Lösungswege denkbar sind:<br />

■ Die KTG-Versi<strong>ch</strong>erer passen das Freizügigkeitsabkommen und die Übertrittsklauseln so an, dass diese<br />

erst na<strong>ch</strong> der Na<strong>ch</strong>haftung gemäss Art. 57 E-<strong>VVG</strong> greifen.<br />

■ Die kollektive Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung wird vom Geltungsberei<strong>ch</strong> von Art. 57 E-<strong>VVG</strong> ausges<strong>ch</strong>los-<br />

sen.<br />

■ Art. 57 E-<strong>VVG</strong> wird um einen Passus ergänzt, der vorsieht, dass das Freizügigkeitsabkommen und die<br />

Übertrittsklauseln «Vorrang» haben, so dass die Na<strong>ch</strong>haftung im Sinne von Art. 57 E-<strong>VVG</strong> nur subsidiär<br />

zur Anwendung kommt. «Subsidiär» bedeutet dabei: Der KTG-Versi<strong>ch</strong>erer haftet nur na<strong>ch</strong>, wenn weder<br />

das Freizügigkeitsabkommen no<strong>ch</strong> eine entspre<strong>ch</strong>ende Übertrittsklausel des KTG-Vertrags zur Anwen-<br />

dung kommt.<br />

Diese Annahme begründen wir damit, dass es weder der Absi<strong>ch</strong>t der S<strong>ch</strong>öpfer des E-<strong>VVG</strong> no<strong>ch</strong> der Ab-<br />

si<strong>ch</strong>t der S<strong>ch</strong>öpfer des VE-<strong>VVG</strong> entspri<strong>ch</strong>t, dass si<strong>ch</strong> die Position der versi<strong>ch</strong>erten Personen bei der KTG-<br />

Versi<strong>ch</strong>erung vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tert, indem das Freizügigkeitsabkommen eliminiert und Übertrittsklauseln verun-<br />

mögli<strong>ch</strong>t werden. Wir halten an dieser Stelle jedo<strong>ch</strong> fest, dass eine Elimination des Freizügigkeitsabkom-<br />

men und eine Verunmögli<strong>ch</strong>ung von Übertrittsklauseln, wie sie si<strong>ch</strong> unter dem geltenden <strong>VVG</strong> in vielen<br />

77 Wenn man bedenkt, dass die Frage der zeitli<strong>ch</strong>en Zuordnung zum Teil au<strong>ch</strong> unter Juristen ni<strong>ch</strong>t unstrittig ist, dürfte dies eher<br />

ni<strong>ch</strong>t der Fall sein.<br />

276


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

KTG-Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen finden, im Zuge von Art. 57 (und 58) E-<strong>VVG</strong> zu einer Reduktion der ökono-<br />

mis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt führen würde.<br />

Unter diesen Annahmen wird Art. 57 E-<strong>VVG</strong> zu folgenden Nutzen führen:<br />

■ Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten: Die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

trag nimmt zu: Die Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU führt zu einer Reduktion<br />

der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten.<br />

■ Reduktion der primären S<strong>ch</strong>adenskosten: Art. 57 E-<strong>VVG</strong> führt dazu, dass die Häufigkeit von Fällen sinkt,<br />

bei wel<strong>ch</strong>en die VN den S<strong>ch</strong>aden alleine tragen müssen. Dadur<strong>ch</strong> sinkt die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit von Folge-<br />

kosten, die resultieren können, wenn eine Person von einem S<strong>ch</strong>aden finanziell ruiniert wird.<br />

■ Intensivierung des Wettbewerbs: Vertragsklauseln, die eine Leistungsbefreiung des VU im Fall einer<br />

Vertragsbeendigung vorsehen, behaften den We<strong>ch</strong>sel des Versi<strong>ch</strong>erers mit Risiken: Der Vorversi<strong>ch</strong>erer ist<br />

aufgrund dieser Vertragsklauseln bei der Verwirkli<strong>ch</strong>ung von Folgegefahren ni<strong>ch</strong>t leistungspfli<strong>ch</strong>tig; der<br />

Na<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erer au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, da er bezügli<strong>ch</strong> Primärgefahren, die si<strong>ch</strong> bereits vor Vertragss<strong>ch</strong>luss verwirk-<br />

li<strong>ch</strong>t haben, Deckungsauss<strong>ch</strong>lüsse definiert hat und/oder von Gesetzes wegen ni<strong>ch</strong>t leistungspfli<strong>ch</strong>tig sein<br />

darf (Verbot von Rückwärtsversi<strong>ch</strong>erung).<br />

■ Reduktion von Opportunitätsprämien: Die Mögli<strong>ch</strong>keiten von ex ante Opportunismus im Sinne der<br />

Ni<strong>ch</strong>t-Information über die entspre<strong>ch</strong>enden Vertragsklauseln werden reduziert. Dadur<strong>ch</strong> sinken die Oppor-<br />

tunitätsprämien derjenigen VU, die derzeit no<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Vertragsklauseln haben.<br />

Diese Nutzen stehen den folgenden Kosten gegenüber:<br />

■ Erhöhung der Kosten der S<strong>ch</strong>adenregulierung: Da die VU für zusätzli<strong>ch</strong>e Folgeereignisse leistungspfli<strong>ch</strong>-<br />

tig sind, müssen zusätzli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>adensfälle reguliert werden.<br />

■ Erhöhung der S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU: Die Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der<br />

VU führt zu höheren S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU.<br />

■ Erhöhung der Kapitalkosten der VU: VU, die unter dem geltenden <strong>VVG</strong> Leistungsbefreiungen für S<strong>ch</strong>a-<br />

densfälle vorsehen, die si<strong>ch</strong> innerhalb der ersten fünf Jahre na<strong>ch</strong> Vertragsbeendigung ereignen, werden<br />

höhere S<strong>ch</strong>adensrückstellungen bilden müssen.<br />

Angesi<strong>ch</strong>ts dieser Nutzen und Kosten ergeben si<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong> des Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts die folgenden<br />

Auswirkungen:<br />

■ Reduktion des Preises der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung: Die Intensivierung des Preiswettbewerbs wirkt si<strong>ch</strong><br />

auf die Transaktionskosten dämpfend aus.<br />

■ Erhöhung der Prämien: Die Prämien steigen, da die S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU zunehmen.<br />

■ Erhöhung der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken: Die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV steigt auf-<br />

grund der reduzierten Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU. Die Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge<br />

dürfte lei<strong>ch</strong>t abnehmen, da die Prämien steigen. Dieser Effekt wird die Zunahme der Menge der versi<strong>ch</strong>er-<br />

ten Risiken pro Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag ni<strong>ch</strong>t ausglei<strong>ch</strong>en, da mit der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag au<strong>ch</strong> die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft der VN zunimmt, was die Na<strong>ch</strong>frage stimuliert.<br />

■ Zunahme des Marktvolumens: Das Marktvolumen wird zunehmen, was letztli<strong>ch</strong> auf die Zunahme der<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken zurückzuführen ist.<br />

Bezügli<strong>ch</strong> der Renten der vers<strong>ch</strong>iedenen Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte ergeben si<strong>ch</strong> die folgenden wohlfahrts-<br />

ökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkungen:<br />

■ Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung der Renten der VU und VI: Die Renten der VU und Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

mittler werden si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wesentli<strong>ch</strong> verändern: Zum einen steigt das Marktvolumen, was die Renten der<br />

VU und der VI tendenziell erhöht. Zum anderen nimmt die Wettbewerbsintensität zu, was die Renten<br />

277


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

derselben tendenziell reduziert. Au<strong>ch</strong> die Reduktion von Opportunitätsprämien senkt die Renten der VU<br />

und VI. Die Renten der VU, die keine Vertragsklauseln haben, auf wel<strong>ch</strong>e Art. 57 E-<strong>VVG</strong> abzielt, werden<br />

demgemäss lei<strong>ch</strong>t steigen. Diejenigen der VU hingegen, die derartige Vertragsklauseln haben, werden<br />

sinken.<br />

■ Zunahme der Renten der VN: Die Renten der VN werden steigen, da die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken<br />

steigt und der Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung abnimmt.<br />

■ Zunahme der Renten der Arbeitnehmenden: Die Renten der im Rahmen von KTG-<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen versi<strong>ch</strong>erten Arbeitnehmenden werden steigen – allerdings nur unter der Annah-<br />

me, dass das «Kollisionsproblem» gelöst wird.<br />

■ Zunahme der Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte: Wird ein VN ruiniert, weil ein S<strong>ch</strong>aden aufgrund<br />

entspre<strong>ch</strong>ender Vertragsklauseln ni<strong>ch</strong>t gedeckt ist, ist es oft der Staat als subsidiärer Kostenträger, der für<br />

den S<strong>ch</strong>aden aufkommen muss. Darüber hinaus führt Art. 57 E-<strong>VVG</strong> zu einer Reduktion der Häufigkeit<br />

des Ruins von VN, der si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>teilig auf die Angehörigen der VN auswirken kann.<br />

Letztli<strong>ch</strong> ist die ökonomis<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>eidende Frage die folgende: Würden die VN (und bei der kollektiven<br />

Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung: die versi<strong>ch</strong>erten Personen 78 ) einer Prämieerhöhung zustimmen, um De-<br />

ckungsauss<strong>ch</strong>lüsse und Leistungsbefreiungen der VU zu verhindern, die bei Vertragsbeendigungen ent-<br />

stehen können? Die Antwort auf diese Frage lautet unseres Era<strong>ch</strong>tens «Ja»: Andernfalls müsste man einen<br />

plausiblen ökonomis<strong>ch</strong>en Grund dafür anbringen können, warum die Bereits<strong>ch</strong>aft der VN (und der versi-<br />

<strong>ch</strong>erten Personen bei KTG-Verträgen), eine Gefahr zu versi<strong>ch</strong>ern, davon abhängt, zu wel<strong>ch</strong>em Zeitpunkt<br />

si<strong>ch</strong> die versi<strong>ch</strong>erte Gefahr verwirkli<strong>ch</strong>t. Einen sol<strong>ch</strong>en Grund können wir ni<strong>ch</strong>t erkennen.<br />

Normative Analyse von Art. 57 E-<strong>VVG</strong><br />

Art. 57 E-<strong>VVG</strong> ist ein Eingriff in die Inhaltsfreiheit als Bestandteil der Vertragsfreiheit. Der Eingriff lässt si<strong>ch</strong><br />

ökonomis<strong>ch</strong> nur dann re<strong>ch</strong>tfertigen, wenn ein Marktversagen vorliegt. Ein Marktversagen liegt dann vor,<br />

wenn:<br />

■ die VN keine Kenntnis von den Vertragsklauseln oder von den Auswirkungen bzw. der Bedeutung die-<br />

ser Vertragsklausel haben, auf deren Verbot Art. 57 E-<strong>VVG</strong> abzielt, und<br />

■ die VN den Vertrag ni<strong>ch</strong>t zei<strong>ch</strong>nen würden, wenn sie die Bedeutung und die Auswirkungen dieser Ver-<br />

tragsklauseln kennen würden.<br />

Wir gehen in Bezug auf die Standard-Konsumentenversi<strong>ch</strong>erungsverträge, die mit Art. 57 E-<strong>VVG</strong> reguliert<br />

werden sollen, davon aus, dass ein Marktversagen in oben formuliertem Sinne gegeben ist. Begründung:<br />

Angenommen, ein VN ist si<strong>ch</strong> bei Vertragss<strong>ch</strong>luss z.B. einer Unfallversi<strong>ch</strong>erung, bei wel<strong>ch</strong>er das S<strong>ch</strong>aden-<br />

verursa<strong>ch</strong>ungsprinzip gilt, einer Vertragsklausel vollkommen bewusst, die eine Leistungsbefreiung des<br />

Unfallversi<strong>ch</strong>erers bei Folgeereignissen vorsieht, die si<strong>ch</strong> später als drei Jahre, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> später als 5<br />

Jahre na<strong>ch</strong> Vertragsbeendigung realisieren. Unserer Ansi<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> ist es unmögli<strong>ch</strong>, dass der VN diese In-<br />

formation produktiv verarbeiten kann. Denn damit er die Auswirkungen dieser Vertragsklausel abs<strong>ch</strong>ätzen<br />

78 Die Arbeitnehmenden finanzieren bei kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungen die Prämien mit. Die Versi<strong>ch</strong>erung der Gefahr der<br />

wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Folgen einer krankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit ist ein Bestandteil des Lohnes der Arbeitnehmenden. Aus<br />

ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t finanzieren die Arbeitnehmenden deshalb diejenigen S<strong>ch</strong>adenszahlungen im Rahmen von KTG-<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen, wel<strong>ch</strong>e über die Lohnfortzahlung, zu wel<strong>ch</strong>er der Arbeitgeber von Gesetzes wegen (OR) oder aufgrund<br />

anderer Vereinbarungen (insb. Gesamtarbeitsverträge) verpfli<strong>ch</strong>tet ist, hinausrei<strong>ch</strong>en. Die Arbeitgeber hingegen tragen aus ökonomi-<br />

s<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t nur diejenigen KTG-S<strong>ch</strong>adenszahlungen, die ihre gesetzli<strong>ch</strong>e Lohnfortzahlungspfli<strong>ch</strong>t decken. Auf wel<strong>ch</strong>en Finanzierungs-<br />

s<strong>ch</strong>lüssel si<strong>ch</strong> Arbeitgeber und Arbeitnehmer formal einigen, ist aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t irrelevant. Denn würde der formale Finanzie-<br />

rungss<strong>ch</strong>lüssel zu Ungunsten der Arbeitgeber verändert (z.B. von 50 Prozent auf 100 Prozent), dann würde in der Folge einfa<strong>ch</strong> der<br />

Lohn der Arbeitnehmer um den Betrag sinken, den die Arbeitgeber neu in Form von Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen ausbezahlen.<br />

278


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

kann, müsste er umfassende (statistis<strong>ch</strong>e) Kenntnisse der zeitli<strong>ch</strong>e Abfolge von mögli<strong>ch</strong>en Folgeereignis-<br />

sen, die si<strong>ch</strong> aus einem Unfall ergeben können, haben. Zumindest müsste er wissen, in wie vielen Prozent<br />

der Unfälle mit einem S<strong>ch</strong>werverletzen Folgeereignisse später als drei Jahre na<strong>ch</strong> dem Primärereignis (Un-<br />

fall) eintreten können und wie ho<strong>ch</strong> in derartigen Fällen das dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>adensaufkommen ist. Da<br />

davon auszugehen ist, dass der VN überhaupt keine und «im besten Fall» nur sehr wenig Erfahrung mit<br />

Unfällen hat, bei wel<strong>ch</strong>en es S<strong>ch</strong>werverletzte gibt, kann davon ausgegangen werden, dass er diese statis-<br />

tis<strong>ch</strong>en Kennzahl ni<strong>ch</strong>t kennt – ausser er bes<strong>ch</strong>äftigt si<strong>ch</strong> berufli<strong>ch</strong> mit derartigen Kennzahlen. Wäre letz-<br />

teres erfüllt, d.h. würde er si<strong>ch</strong> berufli<strong>ch</strong>, z.B. im Rahmen einer Anstellung bei einem Unfallversi<strong>ch</strong>erer, mit<br />

derartigen Informationen bes<strong>ch</strong>äftigen, würde er jedo<strong>ch</strong> keinen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zei<strong>ch</strong>nen, der eine<br />

derartige Vertragsklausel aufweist. Falls dem ni<strong>ch</strong>t so wäre, würde die Mehrheit der Unfall-Versi<strong>ch</strong>erer,<br />

wel<strong>ch</strong>e diese statistis<strong>ch</strong>en Kennzahlen zweifellos kennen, sol<strong>ch</strong>e Vertragsklauseln vorsehen – dies ist je-<br />

do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t der Fall. Ergo ist der S<strong>ch</strong>luss zu ziehen, dass die VN, die Standard-<br />

Konsumentenversi<strong>ch</strong>erungsverträge zei<strong>ch</strong>nen, die derartige Vertragsklauseln enthalten, diese Vertrags-<br />

klauseln entweder ni<strong>ch</strong>t kennen oder die Kenntnis dieser Vertragsklausel ni<strong>ch</strong>t für ihren Kaufents<strong>ch</strong>eid<br />

fru<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>en können. Dass Konsumenten derartige Verträge zei<strong>ch</strong>nen, ist also auf das Phänomen der<br />

asymmetris<strong>ch</strong>en Information zurückzuführen, das ein Marktversagen begründet.<br />

Unser Interpretation von Art. 57 E-<strong>VVG</strong> impliziert, dass mit diesem die Mögli<strong>ch</strong>keit der VU, das zeitli<strong>ch</strong>e<br />

Zuordnungskriterium frei zu definieren, ni<strong>ch</strong>t einges<strong>ch</strong>ränkt wird. Die Gefahr einer Regulierung des zeitli-<br />

<strong>ch</strong>en Zuordnungskriteriums ist darin zu sehen, dass dur<strong>ch</strong> eine sol<strong>ch</strong>e Regulierung Win-Win-<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsverträge verhindert werden können, die ohne diese Regulierung mögli<strong>ch</strong> wären und dem-<br />

entspre<strong>ch</strong>end au<strong>ch</strong> gezei<strong>ch</strong>net würden, falls dies das Gesetz zulassen würde. Dass sol<strong>ch</strong>e Win-Win-<br />

Verträge denkbar sind, kann nie ausges<strong>ch</strong>lossen werden, da si<strong>ch</strong> die Bedürfnisse der VN, Te<strong>ch</strong>nologien<br />

(z.B. die Risikodiskriminierungste<strong>ch</strong>nologie) und andere Faktoren, wel<strong>ch</strong>e die Verhältnisse auf dem Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsmarkt verändern können, über die Zeit ändern können. Der Versu<strong>ch</strong> in anderen Ländern, das<br />

Claims Made Prinzip zu verbieten, hat gemäss Fuhrer (2010, §20: 20.8/20.11) zu Versi<strong>ch</strong>erungsnotstän-<br />

den geführt:<br />

«Das Claims-made-Prinzip wird immer wieder heftig kritisiert (und wurde von ausländis<strong>ch</strong>en Geri<strong>ch</strong>ten au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on als<br />

sittenwidrig qualifiziert), da es dem Versi<strong>ch</strong>erer die Mögli<strong>ch</strong>keit gibt, si<strong>ch</strong> aus einer S<strong>ch</strong>adenserie [...] herauszukündi-<br />

gen, wobei der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer im typis<strong>ch</strong>en Fall keine Mögli<strong>ch</strong>keit mehr hat, Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz für bereits<br />

verursa<strong>ch</strong>te S<strong>ch</strong>äden zu finden. [...].Die Probleme zeigen, dass das Claims-made-Prinzip der Natur des Haftpfli<strong>ch</strong>tversi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvertrages widerspri<strong>ch</strong>t (Art. 8 lit. b UWG). Es (einigen ausländis<strong>ch</strong>en Geri<strong>ch</strong>ten folgend) als sittenwidrig (Art.<br />

20 OR) zu qualifizieren, dürfte aber zu weit gehen. Au<strong>ch</strong> lässt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sagen, das Prinzip wei<strong>ch</strong>e in irreführender<br />

Weise von der Natur des Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungsvertrages ab (Art. 8 UWG). Na<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>em Re<strong>ch</strong>t muss es<br />

deshalb als Ausdruck der Vertragsfreiheit zulässig sein, den zeitli<strong>ch</strong>en Geltungsberei<strong>ch</strong> einer Haftpfli<strong>ch</strong>t-<br />

versi<strong>ch</strong>erung dem Claims-made-Prinzip zu unterstellen (ob dies au<strong>ch</strong> für Konsumentenverträge gilt, mag an<br />

dieser Stelle offen bleiben, da dies in der Praxis ni<strong>ch</strong>t vorkommt). Für die Zulässigkeit des Claims-made-Prinzips spri<strong>ch</strong>t<br />

au<strong>ch</strong> die normative Kraft des Faktis<strong>ch</strong>en: Für gewisse als heikel beurteilte Risiken ist auf dem internationalen Rückver-<br />

si<strong>ch</strong>erungsmarkt eine Rückdeckung nur für dem Claims-made-Prinzip unterstellte Verträge erhältli<strong>ch</strong>. Aus diesem<br />

Grunde bietet au<strong>ch</strong> der Erstversi<strong>ch</strong>erungsmarkt auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Deckungen an. Soweit ausländis<strong>ch</strong>e Geri<strong>ch</strong>te<br />

das Claims-made-Prinzip als sittenwidrig qualifizierten, mussten deshalb die jeweiligen Gesetzgeber korrigierend ein-<br />

greifen, um Versi<strong>ch</strong>erungsnotstände zu verhindern. Geht man von der Zulässigkeit des Claims-made-Prinzips aus, so<br />

müssen jedo<strong>ch</strong> Lösungen für die dargestellten Probleme gefunden werden.»<br />

Aus diesen Gründen kann aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t grundsätzli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t empfohlen werden, die Freiheit der<br />

VU bezügli<strong>ch</strong> der Bestimmung des zeitli<strong>ch</strong>en Zuordnungskriteriums zu bes<strong>ch</strong>ränken.<br />

279


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

12.4.2 Analyse der Auswirkungen von Art. 58 E-<strong>VVG</strong><br />

Art. 58 E-<strong>VVG</strong> unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> von Art. 57 E-<strong>VVG</strong> aus juristis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t v.a. darin, dass die Anwen-<br />

dungsvoraussetzung von Art. 58 E-<strong>VVG</strong> der Eintritt des Versi<strong>ch</strong>erungsfalls (im Sinne von Art. 22 und Art.<br />

47 VE-<strong>VVG</strong>) und ni<strong>ch</strong>t die Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Gefahr (im Sinne von Art. 46 VE-<strong>VVG</strong>: Irrelevanz des zeitli-<br />

<strong>ch</strong>en Zuordungskriteriums) ist (vgl. Ausführungen in den Abs<strong>ch</strong>nitten 12.1.2 und 12.1.3). Deshalb kann<br />

si<strong>ch</strong> Art. 58 E-<strong>VVG</strong> im Gegensatz zu Art. 57 E-<strong>VVG</strong> au<strong>ch</strong> bei Einzelgefahren und au<strong>ch</strong> bei Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

verträgen auswirken, wel<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip zugrunde liegt.<br />

Der Wirkungsradius von Art. 58 E-<strong>VVG</strong> ist deshalb um einiges breiter als derjenige von Art. 58 E-<strong>VVG</strong>. In<br />

qualitativer Hinsi<strong>ch</strong>t wird Art. 58 E-<strong>VVG</strong> zu Auswirkungen führen, die mit denjenigen von Art. 57 E-<strong>VVG</strong><br />

identis<strong>ch</strong> sind.<br />

Die Überlegungen, die wir bei der normativen Analyse von Art. 57 E-<strong>VVG</strong> angestellt haben, können in<br />

analoger Weise au<strong>ch</strong> bei Art. 58 angeführt werden.<br />

Aus diesen Gründen verzi<strong>ch</strong>ten wir – um Redundanzen zu vermeiden – auf eine ausführli<strong>ch</strong>e Explikation<br />

der ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse von Art. 58 E-<strong>VVG</strong> und halten einzig fest, dass Art. 58 zu einer Erhöhung der<br />

ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt führen wird – au<strong>ch</strong> diese Aussage gilt in Bezug auf die kollektive Krankentag-<br />

geldversi<strong>ch</strong>erung nur dann, wenn das «Kollisionsproblem», das wir in Abs<strong>ch</strong>nitt 12.1.3 bes<strong>ch</strong>rieben ha-<br />

ben, gelöst wird.<br />

12.5 Zusammenfassung<br />

12.5.1 Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

In Tabelle 61 sind Gegenstand, Hintergründe, Problemstellung und Ziele der Regulierung im Sinne von<br />

Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong> tabellaris<strong>ch</strong> zusammengefasst.<br />

Tabelle 61: Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle: Gegenstand, Problemstellung und Ziele der<br />

Regulierung<br />

∆: Verbot von Vertragsklauseln, die im Fall von Vertragsbeendigungen eine<br />

Leistungsbefreiung des VU vorsehen, wenn das befür<strong>ch</strong>tete Ereignis no<strong>ch</strong> während der<br />

Vertragslaufzeit eingetreten ist<br />

<strong>VVG</strong>: (1) Freizügigkeitsabkommen der Krankentaggeld-Versi<strong>ch</strong>erer (SVV 2006)<br />

(2) KTG-Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsklauseln, die versi<strong>ch</strong>erten Personen einen<br />

vorteilhaften Übertritt in eine Einzeltaggeldversi<strong>ch</strong>erung ermögli<strong>ch</strong>en.<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 57-58<br />

Problemstellung: (1) Vertragsklauseln, die den VU ermögli<strong>ch</strong>en, si<strong>ch</strong> aus gestaffelten<br />

S<strong>ch</strong>adenereignissen herauszukündigen<br />

(2) Vertragsklauseln, die na<strong>ch</strong> Eintritt des Versi<strong>ch</strong>erungsfalls<br />

Leistungsbefreiungen oder Leistungsreduktionen der VU vorsehen<br />

Ziel: (1) Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

(1) Intensivierung des Wettbewerbs dur<strong>ch</strong> Reduktion der Risiken beim We<strong>ch</strong>sel<br />

des Versi<strong>ch</strong>erers<br />

Quelle: <strong>VVG</strong>, E-<strong>VVG</strong>, Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t (2009), eigene Analysen<br />

280


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

12.5.2 Auswirkungen der Regulierung<br />

Die juristis<strong>ch</strong>e Analyse von Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> unter Berücksi<strong>ch</strong>tigung der ursprüngli<strong>ch</strong>en Formulie-<br />

rungen im VE-<strong>VVG</strong> (Art. 46 und 47) hat zu einer Interpretation geführt, die folgendes impliziert:<br />

■ Die Mögli<strong>ch</strong>keit der VU, das zeitli<strong>ch</strong>e Zuordnungskriterium (S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip, Claims Made<br />

Prinzip etc.) frei zu bestimmen, wird von Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t tangiert.<br />

■ Art. 57 E-<strong>VVG</strong> wird nur bei Stufengefahren und nur bei Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen bzw. Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

bran<strong>ch</strong>en zu Auswirkungen führen, bei wel<strong>ch</strong>en das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip gilt.<br />

■ Art. 58 E-<strong>VVG</strong> kann au<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsverträge betreffen, bei wel<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t das S<strong>ch</strong>adenverursa-<br />

<strong>ch</strong>ungsprinzip gilt. Darüber hinaus kann Art. 58 E-<strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t nur bei Stufengefahren, sondern au<strong>ch</strong> bei<br />

Einzelgefahren zur Anwendung kommen.<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse hat zu folgenden Ergebnissen geführt:<br />

■ Art. 57 E-<strong>VVG</strong> führt bei Versi<strong>ch</strong>erungen, bei wel<strong>ch</strong>en das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip vereinbart wur-<br />

de, dazu, dass Vertragsklauseln ni<strong>ch</strong>tig sind, die eine Leistungsbefreiung des VU für Folgeereignisse vorse-<br />

hen, die na<strong>ch</strong> Vertragsbeendigung aber innerhalb von 5 Jahren na<strong>ch</strong> Erlös<strong>ch</strong>en des VV eintreten.<br />

■ Art. 58 E-<strong>VVG</strong> führt dazu, dass Vertragsklauseln ni<strong>ch</strong>tig sind, die eine Leistungsbefreiung oder Leis-<br />

tungsreduktion der VU für S<strong>ch</strong>adensereignisse vorsehen, die no<strong>ch</strong> während der Vertragslaufzeit zum Ein-<br />

tritt des Versi<strong>ch</strong>erungsfall geführt haben.<br />

Die Ni<strong>ch</strong>tigkeit dieser Vertragsklauseln wird zu folgenden ökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkungen führen:<br />

■ Nutzen: (1) Die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten werden sinken, da die Häufigkeit von Leistungsbefreiun-<br />

gen und –reduktionen der VU abnimmt; (2) Der (Preis)Wettbewerb wird intensiviert, weil aus Si<strong>ch</strong>t der VN<br />

die Risiken eines We<strong>ch</strong>sels des Versi<strong>ch</strong>erers abnehmen; (3) Reduktion von Opportunitätsprämien der VU,<br />

die derzeit no<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>ende Vertragsklauseln haben.<br />

■ Kosten: (1) Zunahme der S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU; (2) Die Kapitalkosten der VU werden steigen, da<br />

zusätzli<strong>ch</strong>e Rückstellungen gebildet werden müssen; (3) Die Transaktionskosten werden steigen, v.a. weil<br />

zusätzli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>adensfälle reguliert werden müssen.<br />

Während der Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung abnimmt, werden die Prämien steigen, da die S<strong>ch</strong>adenszah-<br />

lungen der VU zunehmen. Die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV nimmt zu, so dass au<strong>ch</strong> die Zah-<br />

lungsbereits<strong>ch</strong>aft der VN zunimmt, weshalb keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung der Anzahl gezei<strong>ch</strong>neter VV<br />

zu erwarten ist. Das Marktvolumen wird insgesamt zunehmen.<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt wird insgesamt zunehmen. Während die Renten der VU und der VI si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

wesentli<strong>ch</strong> verändern, allenfalls lei<strong>ch</strong>t sinken werden, werden die Renten der VN und der versi<strong>ch</strong>erten<br />

Personen zunehmen.<br />

Die Gefahren von Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> liegen in zwei Punkten:<br />

■ Sollte Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> entgegen unserer Interpretation derart ausgelegt werden, dass die Freiheit<br />

der VU bei der Bestimmung des zeitli<strong>ch</strong>en Zuordnungskriteriums einges<strong>ch</strong>ränkt wird, können Wohlfahrts-<br />

verluste eintreten, da in diesem Fall Win-Win-Versi<strong>ch</strong>erungsverträge verunmögli<strong>ch</strong>t werden.<br />

■ Wenn Art. 57 und 58 e-<strong>VVG</strong> zu einer Elimination des Freizügigkeitsabkommens und zu einer Eliminati-<br />

on von Vertragsklauseln führen, wel<strong>ch</strong>e für die Arbeitnehmenden bzw. versi<strong>ch</strong>erten Personen einen vor-<br />

teilhaften Übertritt in die Einzeltaggeldversi<strong>ch</strong>erung vorsehen, führen Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> in der Bran-<br />

<strong>ch</strong>e «Krankentaggeld» zu Wohlfahrtsverlusten.<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkungen von Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong>, die wir erwarten, sind in Tabelle 62 im<br />

Überblick dargestellt.<br />

281


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

12.5.3 Empfehlungen<br />

Vor dem Hintergrund der dur<strong>ch</strong>geführten juristis<strong>ch</strong>en Analyse könne wir folgende Empfehlungen for-<br />

mulieren: Auf den Begriff «befür<strong>ch</strong>tetes Ereignis» sollte generell verzi<strong>ch</strong>tet werden. Stattdessen sollte die<br />

Begriffli<strong>ch</strong>keit gewählt werden, die im VE-<strong>VVG</strong> eingeführt wurde. Diese Begriffli<strong>ch</strong>keit zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong><br />

zwei Merkmale aus:<br />

■ Der Begriff der «versi<strong>ch</strong>erten Gefahr» wird vom zeitli<strong>ch</strong>en Zuordnungskriterium losgelöst. Dadur<strong>ch</strong> wird<br />

der Begriff der versi<strong>ch</strong>erten Gefahr konsistenter, weil si<strong>ch</strong> eine Folgegefahr ni<strong>ch</strong>t verwirkli<strong>ch</strong>en kann,<br />

wenn si<strong>ch</strong> die Primärgefahr ni<strong>ch</strong>t bereits verwirkli<strong>ch</strong>t hat.<br />

■ Der Begriff «Versi<strong>ch</strong>erungsfall» unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> vom Begriff «Verwirkli<strong>ch</strong>ung der versi<strong>ch</strong>erten Ge-<br />

fahr» dadur<strong>ch</strong>, dass zusätzli<strong>ch</strong> das zeitli<strong>ch</strong>e Zuordnungskriterium berücksi<strong>ch</strong>tigt wird. In dieser Logik kann<br />

si<strong>ch</strong> eine versi<strong>ch</strong>erten Gefahr verwirkli<strong>ch</strong>en, ohne dass dadur<strong>ch</strong> ein Versi<strong>ch</strong>erungsfall eintritt.<br />

Vor dem Hintergrund der dur<strong>ch</strong>geführten ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse können wir folgende Empfehlungen<br />

ausspre<strong>ch</strong>en:<br />

■ Art. 57 E-<strong>VVG</strong>: Die Verhinderung von Vertragsklauseln, die bei der Versi<strong>ch</strong>erung von Stufengefahren,<br />

bei wel<strong>ch</strong>en das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip gilt, Leistungsbefreiungen der VU vorsehen, wenn der<br />

S<strong>ch</strong>aden erst na<strong>ch</strong> Beendigung des VV eintritt, die Primärgefahr si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> während der Vertrags-<br />

laufzeit verwirkli<strong>ch</strong>t hat, ist aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t zu begrüssen.<br />

■ Art. 58E-<strong>VVG</strong>: Die Verhinderung von Vertragsklauseln, die Leistungsbefreiungen und Leistungsredukti-<br />

on der VU im Fall von Vertragsbeendigungen vorsehen, obwohl der Versi<strong>ch</strong>erungsfall no<strong>ch</strong> während der<br />

Vertragslaufzeit eingetreten ist, ist aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t zu begrüssen.<br />

■ Regulierung des zeitli<strong>ch</strong>en Zuordnungskriteriums: Eine generelle Eins<strong>ch</strong>ränkung der Freiheit der VU, das<br />

zeitli<strong>ch</strong>e Zuordnungskriterium frei zu definieren, ist aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert, weil<br />

dadur<strong>ch</strong> Win-Win-Verträge verhindert werden können. Bei Standard-Konsumentenversi<strong>ch</strong>erungen (Mas-<br />

senges<strong>ch</strong>äft) s<strong>ch</strong>eint das S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip (Zeitpunkt der Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Primärgefahr ist<br />

für die zeitli<strong>ch</strong>e Zuordnung des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags bestimmend) aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t<br />

wüns<strong>ch</strong>enswert. Eine Lösung könnte darin liegen, für diese Versi<strong>ch</strong>erungen eine halbzwingende Formulie-<br />

rung zu wählen, von wel<strong>ch</strong>er die Versi<strong>ch</strong>erer nur abwei<strong>ch</strong>en können, wenn sie na<strong>ch</strong>weisen können, dass<br />

die Abwei<strong>ch</strong>ung vom S<strong>ch</strong>adenverursa<strong>ch</strong>ungsprinzip im Interessen des VN war.<br />

■ Kollektive Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung: Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> können mit dem Freizügigkeitsabkom-<br />

men und Übertrittsklauseln, die für die versi<strong>ch</strong>erten Personen einen vorteilhaften Übertritt in die Einzel-<br />

taggeldversi<strong>ch</strong>erung vorsehen, kollidieren. In Zusammenhang mit dieser «Kollision» empfehlen wir fol-<br />

gende Anpassungen des E-<strong>VVG</strong>:<br />

- Das Freizügigkeitsabkommen wird für alle KTG-Versi<strong>ch</strong>erer für verbindli<strong>ch</strong> erklärt (Verhinderung<br />

von «Trittbrettfahren»)<br />

- Das Re<strong>ch</strong>t, bei Vertragsbeendigung oder beim Erlös<strong>ch</strong>en des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu den glei-<br />

<strong>ch</strong>en Bedingungen (insbesondere: keine neuen Gesundheitsvorbehalte) in die Einzeltaggeldversi-<br />

<strong>ch</strong>erung des KTG-Versi<strong>ch</strong>erer einzutreten, wird gesetzli<strong>ch</strong> verankert.<br />

- Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> kommen in der kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung nur subsidiär zur<br />

Anwendung. «Subsidiär» bedeutet dabei: Wenn das Freizügigkeitsabkommen oder eine Über-<br />

trittsklausel zur Anwendung kommt, kommen Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t zur Anwendung.<br />

282


12 Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle (Art. 57-58 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 62: Na<strong>ch</strong>haftung und hängige Versi<strong>ch</strong>erungsfälle: Die Auswirkungen im Überblick<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

+<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten +<br />

Transaktionskosten +/-<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

-<br />

Vereinbarungskosten<br />

Abwicklungskosten -<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Änderungs- & Anpassungskosten<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten +<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN) +<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI & VU +<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

Ex ante Opportunismus der VI<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU) +<br />

Ex post Opportunismus der VU +<br />

Andere Verhaltensanpassungen<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

+<br />

+<br />

Reduktion der Mögli<strong>ch</strong>keiten der VU, si<strong>ch</strong> bei gestaffelten S<strong>ch</strong>adenereignissen aus dem VV<br />

herauszukündigen<br />

+ Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV entspre<strong>ch</strong>en besser den Präferenzen der VN<br />

- Gefahr: Verhinderung der Zei<strong>ch</strong>nung von Win-Win-Versi<strong>ch</strong>erungsverträgen, wenn das<br />

zeitli<strong>ch</strong>e Zuordnungskriterium reguliert wird<br />

Produktqualität + Die VV verlieren Eigens<strong>ch</strong>aften, die ni<strong>ch</strong>t den Präferenzen der VN entspre<strong>ch</strong>en<br />

Vertragsrisiken des VN +<br />

Reduktion des Risikos des Verlusts der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung infolge Vertragsbeendigung oder<br />

We<strong>ch</strong>sel des Versi<strong>ch</strong>erers<br />

Vertragsrisiken des VU - Na<strong>ch</strong>haftung erhöht die S<strong>ch</strong>adensrisiken der VU<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen +<br />

Adverse Selektion<br />

Markt für Zitronen +<br />

Wettbewerb +<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t +<br />

Prämienvolumen ����<br />

Me<strong>ch</strong>anismus des Marktes für Zitronen wird dur<strong>ch</strong> Eingriff in die Produktgestaltung ausser<br />

Kraft gesetzt<br />

Die Reduktion der Risiken, die einem We<strong>ch</strong>sel des VV und einem Arbeitgeberwe<strong>ch</strong>sel anhaften,<br />

führen zu mehr Bewegungen im Markt<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV ���� Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ���� Intensivierung des Wettbewerbs<br />

Prämienhöhe ���� Erhöhung der S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge = ���� Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung, tendenziell negativ<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ���� Zunahme der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag<br />

Instabilität des Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU<br />

+ Intensivierung des Wettbewerbs wirkt si<strong>ch</strong> transaktionskostensenkend aus<br />

Mehr Bewegungen im Markt aufgrund einer Reduktion der finanziellen Risiken, die einem<br />

We<strong>ch</strong>sel des Versi<strong>ch</strong>erers anhaften<br />

Mehr S<strong>ch</strong>adensereignisse müssen reguliert werden, da die Häufigkeit von Leistungsbefreiungen<br />

sinkt<br />

Reduktion der Häufigkeit von Auseinandersetzungen bezügli<strong>ch</strong> der Vertragsklauseln, auf deren<br />

Ni<strong>ch</strong>tigkeit Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> abzielen<br />

Leistungsbefreiungen, die für die VN unverständli<strong>ch</strong> sind, reduziert das Misstrauen der VN<br />

gegenüber den VI und VU<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt +<br />

Renten der VN +<br />

(1) Zunahme der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken; (2) Reduktion des Preises der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung<br />

Renten der VI +<br />

+ Zunahme des Marktvolumens<br />

- (1) Intensivierung des Preiswettbewerbs; (2) Reduktion von Opportunitätsprämien<br />

Renten der VU<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

=<br />

+<br />

+ Zunahme des Marktvolumens<br />

- - (1) Intensivierung des Preiswettbewerbs; (2) Reduktion von Opportunitätsprämien<br />

Staat als subsidiärer Kostenträger; Angehörige von ruinierten VN und Ges<strong>ch</strong>ädigten<br />

283


13 Verjährung von Forderungen aus dem Vertrag (Art. 66 E-<strong>VVG</strong>)<br />

13 Verjährung von Forderungen aus dem Vertrag (Art. 66 E-<strong>VVG</strong>)<br />

13.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

13.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

In Tabelle 63 sind die relevanten gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen, wel<strong>ch</strong>e die beiden Regulierungsszenarien und<br />

das Referenzszenario festlegen, einander gegenübergestellt.<br />

Tabelle 63: Verjährung von Forderungen aus dem Vertrag: Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>e Grundlagen<br />

Regulierungszenario (RS) und<br />

Alternativszenario (AS)<br />

Anmerkungen: RS = Regulierungsszenario; AS = Alternativszenario; BS: Referenzszenario; Orange = halbzwingendes Re<strong>ch</strong>t; Blau:<br />

Existenz von Alternativszenarien;<br />

Quelle: E-<strong>VVG</strong>, <strong>VVG</strong><br />

13.1.2 Identifikation der Veränderungen<br />

Referenzszenario (BS)<br />

Art. 66 (Verjährung) E-<strong>VVG</strong> Art. 46 (Verjährung und Befristung) <strong>VVG</strong><br />

66.1. Forderungen aus dem Vertrag verjähren<br />

[RS: fünf Jahre] ODER [AS: 10 Jahre] na<strong>ch</strong><br />

Eintritt der Fälligkeit.<br />

66.2. Sind periodis<strong>ch</strong>e<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen ges<strong>ch</strong>uldet, so<br />

verjährt die einzelne periodis<strong>ch</strong>e Leistung<br />

na<strong>ch</strong> fünf Jahren und die Gesamtforderung<br />

zehn Jahre na<strong>ch</strong> Eintritt der Fälligkeit der<br />

ersten rückständigen periodis<strong>ch</strong>en<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsleistung.<br />

46.1. Die Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrage<br />

verjähren in zwei Jahren na<strong>ch</strong> Eintritt der Tatsa<strong>ch</strong>e,<br />

wel<strong>ch</strong>e die Leistungspfli<strong>ch</strong>t begründet. Artikel 41 des<br />

Bundesgesetzes vom 25. Juni 1982 über die berufli<strong>ch</strong>e<br />

Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge bleibt<br />

vorbehalten.<br />

46.2. Vertragsabreden, die den Anspru<strong>ch</strong> gegen den<br />

Versi<strong>ch</strong>erer einer kürzern Verjährung oder einer zeitli<strong>ch</strong><br />

kürzeren Bes<strong>ch</strong>ränkung unterwerfen, sind ungültig.<br />

Vorbehalten bleibt die Bestimmung des Artikels 39<br />

Absatz 2 Ziffer 2 dieses Gesetzes.<br />

Mit Art. 66 E-<strong>VVG</strong> wird zum einen die Verjährungsfrist bei Forderungen aus dem Vertrag verlän-<br />

gert, zum anderen wird der Beginn des Fristenlaufes verändert: Unter dem geltenden <strong>VVG</strong> verjähren<br />

Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zwei Jahre na<strong>ch</strong> Eintritt der Tatsa<strong>ch</strong>e, wel<strong>ch</strong>e die Leistungs-<br />

pfli<strong>ch</strong>t begründet. Neu beträgt diese Verjährungsfrist fünf Jahre na<strong>ch</strong> Eintritt der Fälligkeit und 10 Jahre<br />

für die Gesamtforderung bei periodis<strong>ch</strong>en Leistungen. Die neue Regelung im E-<strong>VVG</strong> verlängert also die<br />

heute geltende Verjährungsfrist von zwei auf fünf Jahre und vers<strong>ch</strong>iebt den Beginn des Fristenlaufs.<br />

Wir weisen an dieser Stelle auf den folgenden bedeutsamen Punkt hin: Im Rahmen der Vernehmlassung<br />

wurde vers<strong>ch</strong>iedentli<strong>ch</strong> gefordert, dass die Verjährungsfrist zum Zeitpunkt des Eintritts des «befür<strong>ch</strong>teten<br />

Ereignisses» einsetzen soll, wie dies unter dem geltenden <strong>VVG</strong> der Fall sei. Unter dem geltenden <strong>VVG</strong> ist<br />

setzt die Verjährungsfrist jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit dem Eintritt des «befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses, sondern mit dem<br />

«Eintritt der Tatsa<strong>ch</strong>e, wel<strong>ch</strong>e die Leistungspfli<strong>ch</strong>t begründet» (Art. 46 Abs. 1 <strong>VVG</strong>) ein. Der Zeitpunkt, der<br />

284


13 Verjährung von Forderungen aus dem Vertrag (Art. 66 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Eintritt der Tatsa<strong>ch</strong>en, wel<strong>ch</strong>e die Leistungspfli<strong>ch</strong>t begründet kann gemäss der Re<strong>ch</strong>tsspre<strong>ch</strong>ung des Bun-<br />

desgeri<strong>ch</strong>ts jedo<strong>ch</strong> von dem Zeitpunkt des Eintritt des befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses abwei<strong>ch</strong>en. Dies ist zum<br />

Beispiel bei Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen der Fall, bei wel<strong>ch</strong>en das Claims Made Prinzip gilt:<br />

«Na<strong>ch</strong> Art. 46 Abs. 1 <strong>VVG</strong> verjähren Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag in zwei Jahren na<strong>ch</strong> Eintritt der Tat-<br />

sa<strong>ch</strong>e, wel<strong>ch</strong>e die Leistungspfli<strong>ch</strong>t begründet. Wird als leistungsauslösende Tatsa<strong>ch</strong>e die Anspru<strong>ch</strong>serhebung angese-<br />

hen, so ergeben si<strong>ch</strong> unauflösli<strong>ch</strong>e Widersprü<strong>ch</strong>e zur Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung des Bundesgeri<strong>ch</strong>ts. Diese knüpft (zu Re<strong>ch</strong>t) am<br />

Eintritt des Folgeereignisses an. In Bezug auf den Ents<strong>ch</strong>ädigungsanspru<strong>ch</strong> ist dies die re<strong>ch</strong>tskräftige Feststellung der<br />

Haftung des Versi<strong>ch</strong>erten (BGE 61 II 197). In Bezug auf den Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utzanspru<strong>ch</strong> ist – in Anlehnung an die Re<strong>ch</strong>t-<br />

spre<strong>ch</strong>ung zur Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utzversi<strong>ch</strong>erung – der Bedarf na<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz das verjährungsauslösende Moment (BGE<br />

119 II 468).» (Fuhrer 2010, §20: 20.9).<br />

Die Formulierung von Art. 46 Abs. 1 <strong>VVG</strong>: «Tatsa<strong>ch</strong>e, wel<strong>ch</strong>e die Leistungspfli<strong>ch</strong>t begründet» kürzen wir<br />

im Folgenden mit der Formulierung «leistungsbegründende» ab und meinen damit jeweils jenen Zeit-<br />

punkt, der bezügli<strong>ch</strong> dem Einsetzen der Verjährungsfrist unter dem geltenden <strong>VVG</strong> – unter Berücksi<strong>ch</strong>ti-<br />

gung der Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung des Bundesgeri<strong>ch</strong>ts – gilt.<br />

13.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

Die Verlängerung der Verjährungsfrist bezügli<strong>ch</strong> Forderungen aus dem Vertrag von zwei auf fünf Jahre ist<br />

unbestritten, was si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in der Vernehmlassung gezeigt hat. Hintergrund der Verlängerung der Verjäh-<br />

rungsfrist sind Fälle, bei denen Forderungen auf Versi<strong>ch</strong>erungsleistung verjährten, bevor sie fällig wurden.<br />

Sol<strong>ch</strong>e Fälle gab es insbesondere dann, wenn si<strong>ch</strong> bei der S<strong>ch</strong>adensermittlung zwis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

nehmer und Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen Streitigkeiten ergeben haben, so dass na<strong>ch</strong> zwei Jahren die Fäl-<br />

ligkeit no<strong>ch</strong> immer ni<strong>ch</strong>t eingetreten ist.<br />

Die Veränderung des Zeitpunkts des Beginns der Verjährungsfrist (Eintritt der leistungsbegründenden<br />

Tatsa<strong>ch</strong>e → Eintritt der Fälligkeit) wurde ni<strong>ch</strong>t von der Expertenkommission eingebra<strong>ch</strong>t: Diese Neuerung<br />

wurde vom BPV bei der Erarbeitung des E-<strong>VVG</strong> vorgenommen. Die Expertenkommission spra<strong>ch</strong> in Art. 55<br />

Abs. 2 VE-<strong>VVG</strong> vom «Eintritt des Versi<strong>ch</strong>erungsfalls», wobei in der Terminologie des VE-<strong>VVG</strong> unter «Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsfall» - entgegen der Terminologie unter dem geltenden <strong>VVG</strong> – ni<strong>ch</strong>t das Glei<strong>ch</strong>e zu verstehen ist<br />

wie unter dem «befür<strong>ch</strong>teten Ereignis» 79 und au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t das Glei<strong>ch</strong>e wie unter dem Terminus «Verwirkli-<br />

<strong>ch</strong>ung der Gefahr» (vgl. Ausführungen in Abs<strong>ch</strong>nitt 12.1.2). Mit Blick auf den Beginn der Verjährung bei<br />

Versi<strong>ch</strong>erungen, bei wel<strong>ch</strong>en das Claims Made Prinzip gilt, s<strong>ch</strong>eint uns der Begriff «Eintritt des Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsfalls» im Sinne von Art. 55 Abs. 2 VE-<strong>VVG</strong> inhaltli<strong>ch</strong> synonym zum Begriff «Eintritt der Tatsa<strong>ch</strong>e,<br />

wel<strong>ch</strong>e die Leistungspfli<strong>ch</strong>t begründet» (Art. 46 Abs. 1 <strong>VVG</strong>) zu sein, wie er vom Bundesgeri<strong>ch</strong>t verstan-<br />

den wird.<br />

13.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung<br />

Vers<strong>ch</strong>iedene Teilnehmer der Vernehmlassung kritisieren, dass Art. 66 E-<strong>VVG</strong> im Gegensatz zu Art. 55 VE-<br />

<strong>VVG</strong> bezügli<strong>ch</strong> dem Verjährungsbeginn ni<strong>ch</strong>t zwis<strong>ch</strong>en der S<strong>ch</strong>uld des Versi<strong>ch</strong>erungsnehmers (Prämie)<br />

und der S<strong>ch</strong>uld des Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmens (Versi<strong>ch</strong>erungsleistung) unters<strong>ch</strong>eidet. Mit Art. 66 E-<strong>VVG</strong><br />

beginnt die Verjährungsfrist für die Versi<strong>ch</strong>erungsleistung mit dem Eintritt der Fälligkeit, so dass die Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsnehmer den Beginn der Verjährungsfrist beliebig hinauszögern können. Dies habe zur Folge, dass<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsansprü<strong>ch</strong>e praktis<strong>ch</strong> unverjährbar werden. Der SVV fordert deshalb, dass bei Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

leistungen der Fristenlauf mit dem Eintritt des befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses beginnt, wie dies unter dem gel-<br />

79 Der Terminus «befür<strong>ch</strong>tete Ereignis» findet si<strong>ch</strong> im VE-<strong>VVG</strong> ein einziges Mal: In Art. 32 Abs. 1 lit. a. Wir gehen davon aus, dass<br />

285


13 Verjährung von Forderungen aus dem Vertrag (Art. 66 E-<strong>VVG</strong>)<br />

tenden <strong>VVG</strong> der Fall ist. Dieser Meinung s<strong>ch</strong>liesst si<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Gesells<strong>ch</strong>aft für Haftpfli<strong>ch</strong>t- und<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>t an: «Der Vorentwurf der Expertenkommission unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en der Verjährung von Prä-<br />

mienforderungen und jener von Forderungen auf Versi<strong>ch</strong>erungsleistung. Diese Unters<strong>ch</strong>eidung s<strong>ch</strong>eint einleu<strong>ch</strong>tender<br />

und genauer und sollte folgli<strong>ch</strong> in den Entwurf aufgenommen werden. Bezügli<strong>ch</strong> der Forderung auf Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

leistung wäre ausserdem eine Regelung vorzuziehen, die den Beginn der Verjährungsfrist an den Eintritt des Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsfalles - und ni<strong>ch</strong>t wie vorgesehen an die Fälligkeit - knüpft. Ansonsten hätten der Versi<strong>ch</strong>erer oder der An-<br />

spru<strong>ch</strong>sbere<strong>ch</strong>tigte die Mögli<strong>ch</strong>keit, den Beginn der Verjährungsfrist zu verzögern, indem sie auf die Bedingungen der<br />

Fälligkeit Einfluss nehmen, was einen Einfluss auf die Verjährungsfrist haben und damit zu missbräu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>em Verhal-<br />

ten führen könnte.» (S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Gesells<strong>ch</strong>aft für Haftpfli<strong>ch</strong>t- und Versi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>t 2009, 8).<br />

Prof. Dr. Stephan Fuhrer s<strong>ch</strong>liesst si<strong>ch</strong> dieser Kritik an: Die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer hätten z.B. aufgrund des<br />

hohen S<strong>ch</strong>uld- und Verzugszinses von 5 Prozent einen ökonomis<strong>ch</strong>en Anreiz, den Eintritt der Fälligkeit<br />

dur<strong>ch</strong> opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten zu verzögern. Dr. Stephan Weber ma<strong>ch</strong>t allerdings ein Argument gel-<br />

tend, das für die Anbindung des Fristenlaufes an den Zeitpunkt des Eintritts der Fälligkeit spri<strong>ch</strong>t: Es gibt<br />

Fälle, in wel<strong>ch</strong>en der S<strong>ch</strong>adensanspru<strong>ch</strong> unklar ist. Dies kann zu langwierigen Auseinandersetzungen füh-<br />

ren, so dass s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> die Verjährung einer Forderung eintritt, wenn der Fristenlauf bereits mit dem Ein-<br />

tritt des befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses beginnt.<br />

13.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

Verjährungen von Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen sind gemäss den befragten Experten selten:<br />

■ In dem meisten Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en beträgt der Anteil der S<strong>ch</strong>adensfälle, bei wel<strong>ch</strong>en die Verjäh-<br />

rung eintritt, zwis<strong>ch</strong>en 0 und 0.1 Prozent.<br />

■ Gemäss den befragten Experten eines VU gibt es im Berei<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Leben Verjährungen fast nur bei<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen, wenn es um grössere Personens<strong>ch</strong>äden geht. In sol<strong>ch</strong>en Fällen kann die<br />

S<strong>ch</strong>adenregulierung sehr lange dauern, so dass die Verjährung eintritt, wenn der Anwalt des VN vergisst,<br />

die Verjährung zu unterbre<strong>ch</strong>en. Da es um grössere Personens<strong>ch</strong>äden geht, dürften die S<strong>ch</strong>adenssummen<br />

überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> ho<strong>ch</strong> sein. Gemäss den befragten Experten der Konsumentenpresse gibt es aber<br />

au<strong>ch</strong> bei den Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen immer wieder Fälle von Forderungen der VN, die verjäh-<br />

ren.<br />

■ Im Berei<strong>ch</strong> der Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen kommt es in Zusammenhang mit IV-Fällen no<strong>ch</strong> relativ<br />

häufig zur Verjährungen. Bei einem der befragten VU beträgt der Anteil der S<strong>ch</strong>adensfälle, bei wel<strong>ch</strong>en<br />

die Verjährung eintritt, rund ein halbes Prozent.<br />

■ Es gibt VU, wel<strong>ch</strong>e die Verjährung unter dem geltenden <strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t geltend ma<strong>ch</strong>en, wenn kein Anwalt<br />

involviert ist.<br />

Wie bei Art. 57 und 58 E-<strong>VVG</strong> geht es au<strong>ch</strong> bei Art. 66 E-<strong>VVG</strong> zur Verjährung von Forderungen aus dem<br />

Vertrag nur darum, wie ein unwiderrufli<strong>ch</strong> eingetretener S<strong>ch</strong>aden verteilt wird. Art. 66 E-<strong>VVG</strong> führt in<br />

erster Linie zu einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten: Die Verlängerung der Verjährungs-<br />

frist führt dazu, dass die VU S<strong>ch</strong>äden decken müssen, die unter dem geltenden <strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t gedeckt wer-<br />

den müssen, da die Verjährung eingetreten ist. Dies wird zu einer Erhöhung der Prämien führen, so<br />

dass si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> hier die Frage stellt, ob die VN einer Prämienerhöhung zustimmen würden, wenn im Ge-<br />

genzug die Verjährungsfrist von 2 auf 5 Jahre verlängert würde. Die Antwort au<strong>ch</strong> auf diese Frage ist<br />

eindeutig ein «Ja»: Die VN haben einen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag gezei<strong>ch</strong>net, damit die S<strong>ch</strong>äden gedeckt<br />

werden, unabhängig davon, wie viel Zeit die S<strong>ch</strong>adenregulierung in Anspru<strong>ch</strong> nimmt.<br />

Die Verlängerung der Verjährungsfrist von 2 auf 5 Jahre wurde von keinem der befragten Experten, die<br />

wir zu Art. 66 E-<strong>VVG</strong> befragt haben, bestritten. Umstritten ist hingegen der Zeitpunkt des Einsetzens des<br />

286


13 Verjährung von Forderungen aus dem Vertrag (Art. 66 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Fristenlaufes. Art. 66 E-<strong>VVG</strong> sieht vor, dass der Fristenlauf mit Eintritt der Fälligkeit beginnt, die befragten<br />

Vertreter der VU hingegen wüns<strong>ch</strong>en, dass der Fristenlauf mit dem Eintritt des befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses<br />

beginnt. Wir gehen im Folgenden davon aus, dass die besagten Vertreter mit dem Eintritt des befür<strong>ch</strong>te-<br />

ten Ereignisses das meinen, was im geltenden <strong>VVG</strong> «Eintritt der Tatsa<strong>ch</strong>e, wel<strong>ch</strong>e die Leistungspfli<strong>ch</strong>t<br />

begründet» (Art. 46 Abs. 1 <strong>VVG</strong>) und im VE-<strong>VVG</strong> «Eintritt des Versi<strong>ch</strong>erungsfalls» (Art. 55 Abs. 2 VE-<strong>VVG</strong>)<br />

genannt wird.<br />

Um festzustellen, inwiefern si<strong>ch</strong> die Auswirkungen der beiden Mögli<strong>ch</strong>keiten unters<strong>ch</strong>eiden, ist es<br />

zweckmässig, die Gründe zu unters<strong>ch</strong>eiden, warum Verjährungen eintreten können:<br />

■ Fall 1: Der VN erfährt vom Eintritt des befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses ni<strong>ch</strong>t zum Zeitpunkt, zu dem das be-<br />

für<strong>ch</strong>tete Ereignis eintritt.<br />

■ Fall 2: Die S<strong>ch</strong>adenregulierung beanspru<strong>ch</strong>t sehr viel Zeit. Gründe hierfür können sein: (2.1) Gestaffelte<br />

S<strong>ch</strong>adenereignisse: Der Eintritt von Folgeereignissen, die kausal auf das Primärereignis zurückzuführen<br />

sind, muss abgewartet werden; (2.2) Die Parteien können si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t über die Höhe des S<strong>ch</strong>adens einigen,<br />

so dass der S<strong>ch</strong>aden im Rahmen eines Geri<strong>ch</strong>tsverfahren ermittelt werden muss; (2.3) Der S<strong>ch</strong>aden ist<br />

derart komplex, dass die S<strong>ch</strong>adenermittlung sehr viel Zeit beanspru<strong>ch</strong>t.<br />

■ Fall 3: Der VN vergisst, einen S<strong>ch</strong>aden geltend zu ma<strong>ch</strong>en. Dieser Fall kann z.B. bei der Krankenzusatz-<br />

versi<strong>ch</strong>erung eintreten, wenn ein Arzt oder ein Spital vergisst, einem Patienten na<strong>ch</strong> der Behandlung<br />

Re<strong>ch</strong>nung zu stellen, dieses Versäumnis aber zu einem späteren Zeitpunkt bemerkt und na<strong>ch</strong>holt.<br />

Setzt der Fristenlauf mit Eintritt der Fälligkeit ein, kann dies dazu führen, dass bei Fall 1 Forderungen des<br />

VN unverjährbar werden, was ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert ist. Au<strong>ch</strong> bei Fall 2 können Fälle konstruiert werden,<br />

bei wel<strong>ch</strong>en die Lösung «Eintritt der Fälligkeit» dazu führt, dass Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

trag unverjährbar werden. Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass Fall 2 am häufigsten ist. In<br />

diesem Fall ist es grundsätzli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert, dass eine Forderung verjährt, nur weil ein Anwalt<br />

vergisst, den Fristenlauf zu unterbre<strong>ch</strong>en.<br />

Im Rahmen der Vernehmlassung wurde die Lösung «Eintritt des Fristenlaufes» mit dem Argument abge-<br />

lehnt, der VN könne in diesem Fall die Verjährung beliebig herauszögern, indem sie den Eintritt der Fällig-<br />

keit beeinflussen. Einer der befragten Experten vertrat die Meinung, dass der hohe Verzugszins, den die<br />

VU bei Verzug leisten müssen, ein Motiv sein kann.<br />

Die Lösung «Eintritt der leistungsbegründenden Tatsa<strong>ch</strong>e» hat grundsätzli<strong>ch</strong> den Vorteil, dass der Zeit-<br />

punkt dieses Eintritts definiert ist, was beim Eintritt der Fälligkeit ni<strong>ch</strong>t der Fall ist. Die Lösung «Eintritt der<br />

Fälligkeit» dürfte deshalb zu höheren Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten führen, da si<strong>ch</strong> Streitigkeiten<br />

bezügli<strong>ch</strong> dem Zeitpunkt des Eintretens der Fälligkeit ergeben könnten.<br />

Vor dem Hintergrund, dass die Lösung «Eintritt der Fälligkeit» dazu führen kann, dass Forderungen aus<br />

dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag unverjährbar werden, und im Verglei<strong>ch</strong> zur Lösung «Eintritt der leistungsbe-<br />

gründenden Tatsa<strong>ch</strong>e» zu höheren Transaktionskosten führen dürfte, sollte unseres Era<strong>ch</strong>tens der Fristen-<br />

lauf mit Eintritt der leistungsbegründenden Tatsa<strong>ch</strong>e beginnen. Da die meisten Forderungen erst na<strong>ch</strong> 10<br />

Jahren verjähren, sollte die Verjährungsfrist bei Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag länger als 5<br />

Jahre betragen.<br />

287


13 Verjährung von Forderungen aus dem Vertrag (Art. 66 E-<strong>VVG</strong>)<br />

13.5 Zusammenfassung<br />

13.5.1 Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

Tabelle 64: Verjährung von Forderungen aus dem Vertrag: Gegenstand, Problemstellung und Ziele der<br />

Regulierung<br />

∆: Verlängerung der Verjährung von Forderungen aus dem Vertrag und veränderter<br />

Beginn des Fristenlaufes<br />

<strong>VVG</strong>: Art. 46<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 66<br />

Problemstellung: Verjährung bere<strong>ch</strong>tigter Forderungen der VN<br />

Ziel: Reduktion der Vertragsrisiken des VN → Reallokation des S<strong>ch</strong>adenrisikos zu<br />

Lasten des VU<br />

Quelle: <strong>VVG</strong>, E-<strong>VVG</strong>, Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t (2009), eigene Analysen<br />

13.5.2 Auswirkungen der Regulierung<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse von Art. 66 E-<strong>VVG</strong> hat zu folgenden Ergebnissen geführt:<br />

Die Verlängerung der Verjährungsfrist von zwei auf fünf oder zehn Jahre wird zu folgenden Auswirkun-<br />

gen führen:<br />

■ Die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten werden sinken, weil weniger Forderungen der VN aus dem Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvertrag verjähren.<br />

■ Die Prämien werden entspre<strong>ch</strong>end steigen.<br />

■ Der Anteil der S<strong>ch</strong>adensfälle, bei wel<strong>ch</strong>en unter dem geltenden <strong>VVG</strong> eine Verjährung der Forderung der<br />

VN eintreten, betragen bei den meisten Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en zwis<strong>ch</strong>en 0 und 0.1 Prozent. Bei Kollektiv-<br />

lebensversi<strong>ch</strong>erungen kommt es in Zusammenhang mit IV-Fällen no<strong>ch</strong> relativ häufig zu Verjährungen von<br />

Forderungen aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag. Gemäss einem der befragten VU beträgt der Anteil der ver-<br />

jährten Forderungen bei diesen Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungsverträgen 0.5 Prozent. Das betroffene S<strong>ch</strong>a-<br />

denvolumen ist deshalb als tief, ni<strong>ch</strong>t aber als verna<strong>ch</strong>lässigbar einzuordnen.<br />

Aus einer wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>en Perspektive stellt si<strong>ch</strong> die Frage, ob die VN bereit sind, eine entspre-<br />

<strong>ch</strong>ende Prämienerhöhung zu akzeptieren, um in den Genuss reduzierter S<strong>ch</strong>adenskosten zu kommen.<br />

Diese Frage kann eindeutig mit «Ja» beantwortet werden: Die Verlängerung der Verjährungsfrist ist aus<br />

ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t also wüns<strong>ch</strong>enswert.<br />

Es gibt Fälle, bei wel<strong>ch</strong>en die Forderungen der VN unverjährbar werden, wenn die Verjährungsfrist mit<br />

dem Eintritt der Fälligkeit einsetzt. Diese Auswirkung ist wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert, weil<br />

dadur<strong>ch</strong> die Vertragsrisiken und die Kapitalkosten des VU steigen würden.<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkungen, die wir aufgrund von Art. 66 E-<strong>VVG</strong> erwarten, sind in Tabelle 65 im<br />

Überblick dargestellt.<br />

13.5.3 Empfehlungen<br />

Vor dem Hintergrund der dur<strong>ch</strong>geführten ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse der Auswirkungen von Art. 66 E-<strong>VVG</strong><br />

können wir die folgenden Empfehlungen abgeben:<br />

288


13 Verjährung von Forderungen aus dem Vertrag (Art. 66 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Der Fristenlauf sollte mit dem Eintritt des Versi<strong>ch</strong>erungsfalls im Sinne von Art. 55 Abs. 2 VE-<strong>VVG</strong> bzw.<br />

mit dem Eintritt der leistungsbegründenden Tatsa<strong>ch</strong>e und ni<strong>ch</strong>t mit dem Eintritt der Fälligkeit einsetzen.<br />

■ Die Verjährungsfrist sollte auf 10 Jahre erhöht werden, da die meisten Vertragsforderungen eine Ver-<br />

jährungsfrist von 10 Jahren aufweisen. Gegenüber einer Verjährungsfrist von 5 Jahren können mit einer<br />

Verjährungsfrist von 10 Jahren die VN besser ges<strong>ch</strong>ützt werden, die si<strong>ch</strong> keinen Re<strong>ch</strong>tsanwalt leisten kön-<br />

nen, der weiss, ob, wann und wie man den Fristenlauf unterbre<strong>ch</strong>en muss.<br />

289


13 Verjährung von Forderungen aus dem Vertrag (Art. 66 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 65: Verjährung von Forderungen aus dem VV: Die Auswirkungen im ÜberblickTabelle 65<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten +<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten + Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU infolge Verjährung<br />

Transaktionskosten -<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten<br />

Abwicklungskosten<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Änderungs- & Anpassungskosten<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten - Auseinandersetzungen bezügli<strong>ch</strong> der Frage, wann die Fälligkeit der Forderung des VN eingetreten ist<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN) -<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN - Missbrau<strong>ch</strong>spotential: Vorsätzli<strong>ch</strong>es Hinauszögern des Zeitpunkts der Fälligkeit<br />

Misstrauen gegenüber VI & VU<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

Ex ante Opportunismus der VI<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU)<br />

Legende: vgl. Seite 76<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

+<br />

Ex post Opportunismus der VU + Erfolgswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit einer vorsätzli<strong>ch</strong>en Vers<strong>ch</strong>leppung der S<strong>ch</strong>adenregulierung sinkt<br />

Andere Verhaltensanpassungen<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

Produktqualität<br />

Vertragsrisiken des VN +<br />

Vertragsrisiken des VU<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen<br />

Adverse Selektion<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t +<br />

Prämienvolumen ����<br />

+<br />

Risiko der Verjährung sinkt<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV ���� Reduktion der Häufigkeit von Leistungsbefreiungen der VU infolge Verjährung<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ����<br />

Prämienhöhe ����<br />

Erhöhung der Transaktionskosten<br />

(1) Zunahme der S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU; (2) Erhöhung der Transaktionskosten<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ���� Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV steigt<br />

Instabilität des Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt +<br />

Renten der VN + Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten bzw. Zunahme der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken<br />

Renten der VI +<br />

Renten der VU<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

+<br />

Zunahme des Marktvolumens<br />

Zunahme des Marktvolumens<br />

290


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

14.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

14.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

In Tabelle 66 sind die relevanten gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen, wel<strong>ch</strong>e die vier Regulierungsszenarien und das<br />

Referenzszenario festlegen, einander gegenübergestellt.<br />

Tabelle 66: Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Regulierungsszenario und Alternativszenarien 1 und 2<br />

RS: Einführung von Art. 68 E-<strong>VVG</strong><br />

AS1: Blosse Transparenzvors<strong>ch</strong>riften ohne eigentli<strong>ch</strong>e Festlegung der Ents<strong>ch</strong>ädigungsmodalitäten<br />

AS2: Verbot der Leistung und Entgegennahme von volumen-, wa<strong>ch</strong>stums- und s<strong>ch</strong>adenabhängigen Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen<br />

Art. 68 (Ents<strong>ch</strong>ädigung) E-<strong>VVG</strong><br />

68.1. Die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerinnen und Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer ents<strong>ch</strong>ädigen die<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsmaklerinnen und Versi<strong>ch</strong>erungsmakler für ihre Vermittlungstätigkeit.<br />

68.2. Die Versi<strong>ch</strong>erungsmaklerinnen und Versi<strong>ch</strong>erungsmakler erstatten den<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerinnen und Versi<strong>ch</strong>erungsnehmern die ihnen vom<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen zugekommenen Leistungen wie Provisionen,<br />

Superprovisionen und andere geldwerte Vorteile, die direkt oder indirekt mit dem<br />

vermittelten Vertrag zusammenhängen.<br />

68.3. Auf die Erfüllung der Herausgabepfli<strong>ch</strong>t kann die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer nur so weit verzi<strong>ch</strong>ten, wie die Leistungen na<strong>ch</strong> Absatz 2<br />

erfüllungshalber an die Ents<strong>ch</strong>ädigung angere<strong>ch</strong>net werden. Der Verzi<strong>ch</strong>t ist s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong><br />

zu erklären.<br />

Art. 45 (Informationspfli<strong>ch</strong>t) E-VAG<br />

d. die Person, die für Na<strong>ch</strong>lässigkeit, Fehler oder unri<strong>ch</strong>tige Auskünfte im<br />

Zusammenhang mit ihrer Vermittlungstätigkeit haftbar gema<strong>ch</strong>t werden kann;<br />

e. die Bearbeitung der Personendaten, insbesondere Ziel, Umfang und<br />

Empfänger der Daten sowie deren Aufbewahrung<br />

f. ob sie als Versi<strong>ch</strong>erungsmaklerin oder als Versi<strong>ch</strong>erungsagentin<br />

beziehungsweise er als Versi<strong>ch</strong>erungsmakler oder Versi<strong>ch</strong>erungsagent tätig ist;<br />

und<br />

g. ob sie oder er im Register eingetragen ist.<br />

1bis Die Versi<strong>ch</strong>erungsmaklerin oder der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler muss zudem über<br />

die Weitergabepfli<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> Artikel 68 Absatz 2 des E-<strong>VVG</strong> und die<br />

Voraussetzungen informieren, unter denen auf die Weitergabe verzi<strong>ch</strong>tet werden<br />

kann.<br />

Referenzszenario (BS)<br />

Art. 45 (Informationspfli<strong>ch</strong>t) VAG<br />

1 Sobald eine Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlerin oder ein Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler mit 1 Sobald Vermittler und Vermittlerinnen mit Versi<strong>ch</strong>erten Kontakt aufnehmen,<br />

einer Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder einem Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer Kontakt<br />

aufnimmt, muss sie oder er diese betreffende Person mindestens über Folgendes<br />

informieren:<br />

müssen sie diese mindestens über Folgendes informieren:<br />

a. ihre Identität und ihre Adresse; a. ihre Identität und ihre Adresse;<br />

b. ob die von ihnen in einem bestimmten Versi<strong>ch</strong>erungszweig angebotenen b. ob die von ihnen in einem bestimmten Versi<strong>ch</strong>erungszweig angebotenen<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsdeckungen von einem einzigen oder von mehreren<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsdeckungen von einem einzigen oder von mehreren<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen stammen und um wel<strong>ch</strong>e<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen stammen und um wel<strong>ch</strong>e<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen es si<strong>ch</strong> handelt;<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen es si<strong>ch</strong> handelt;<br />

c. ihre Vertragsbeziehungen mit den Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen, für die sie c. ihre Vertragsbeziehungen mit den Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen, für die sie<br />

tätig sind, sowie die Namen dieser Unternehmen;<br />

tätig sind, sowie die Namen dieser Unternehmen;<br />

1ter Erhält die Versi<strong>ch</strong>erungsmaklerin oder der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler eine<br />

Leistung na<strong>ch</strong> Artikel 68 Absatz 2 des E-<strong>VVG</strong>, so muss sie oder er die<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerin oder den Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer vollständig und<br />

wahrheitsgetreu über deren Art, Höhe und Bere<strong>ch</strong>nung informieren.<br />

2 Die Informationen na<strong>ch</strong> den Absätzen 1-1 ter sind auf einem dauerhaften und<br />

für die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmerinnen und Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer zugängli<strong>ch</strong>en<br />

Datenträger abzugeben.<br />

3 Der Bundesrat regelt die Einzelheiten.<br />

d. die Person, die für Na<strong>ch</strong>lässigkeit, Fehler oder unri<strong>ch</strong>tige Auskünfte im<br />

Zusammenhang mit ihrer Vermittlungstätigkeit haftbar gema<strong>ch</strong>t werden kann;<br />

e. die Bearbeitung der Personendaten, insbesondere Ziel, Umfang und<br />

Empfänger der Daten sowie deren Aufbewahrung.<br />

2 Die Informationen na<strong>ch</strong> Absatz 1 sind auf einem dauerhaften und für die<br />

Versi<strong>ch</strong>erten zugängli<strong>ch</strong>en Träger abzugeben.<br />

3 Der Bundesrat regelt die Einzelheiten.<br />

Anmerkungen: RS = Regulierungsszenario; AS = Alternativszenario; BS: Referenzszenario; Rot = zwingendes Re<strong>ch</strong>t; Blau: Existenz<br />

von Alternativszenarien; fett: materielle Veränderungen<br />

Quelle: E-<strong>VVG</strong>, <strong>VVG</strong>, E-VAG, VAG<br />

291


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

14.1.2 Klärung begriffli<strong>ch</strong>er Interpretationsspielräume<br />

Aufgrund von begriffli<strong>ch</strong>en Unklarheiten sind den Art. 67-69 E-<strong>VVG</strong> (Versi<strong>ch</strong>erungsmakler) sowie den Art.<br />

70-71 E-<strong>VVG</strong> (Versi<strong>ch</strong>erungsagent) unerwüns<strong>ch</strong>te Interpretationsspielräume inhärent. Die Unklarheiten<br />

sind dabei darauf zurückzuführen, dass die Begriffe «Versi<strong>ch</strong>erungsmakler» und «Versi<strong>ch</strong>erungsagent»<br />

ni<strong>ch</strong>t definiert sind.<br />

Beim Begriff «Versi<strong>ch</strong>erungsmakler» stellt si<strong>ch</strong> die Problemstellung, dass si<strong>ch</strong> im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsmarkt eine Vielzahl von Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern gibt, die si<strong>ch</strong> zwar Versi<strong>ch</strong>erungsmakler nennen, in<br />

Tat und Wahrheit jedo<strong>ch</strong> Mehrfa<strong>ch</strong>agenten sind (vgl. Ausführungen im Abs<strong>ch</strong>nitt 5.6).<br />

Beim Begriff «Versi<strong>ch</strong>erungsagent» stellt si<strong>ch</strong> das Problem, dass eine enge Auslegung unter diesem<br />

Begriff nur Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler subsumiert, die mit dem VU, für das sie Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte ver-<br />

kaufen, in keinem Angestelltenverhältnis stehen. Diese werden im englis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> «exclusive<br />

agents» genannt und umfassen deshalb die Angestellten von (General-)Agenturen, die im Aussendienst<br />

tätig sind. Allerdings hat si<strong>ch</strong> im S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> eingebürgert, au<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

mittler als Versi<strong>ch</strong>erungsagenten zu bezei<strong>ch</strong>nen, die einen Arbeitsvertrag mit dem VU haben, für wel<strong>ch</strong>es<br />

sie im Aussendienst tätig sind.<br />

Da die Begriffe «Versi<strong>ch</strong>erungsmakler» und «Versi<strong>ch</strong>erungsagenten» ni<strong>ch</strong>t definiert sind, gehen wir davon<br />

aus, dass in Art. 67-71 E-<strong>VVG</strong> der Begriff «Versi<strong>ch</strong>erungsmakler» synonym zum Begriff «ungebundener<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler» und der Begriff «Versi<strong>ch</strong>erungsagent» synonym zum Begriff «gebundener Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvermittler» verwendet wurden. Die Begriffe «ungebundener Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler» und «ge-<br />

bundener Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler» sind dabei in Art. 183 AVO definiert. Bereits an dieser Stelle mö<strong>ch</strong>ten<br />

wir darauf aufmerksam ma<strong>ch</strong>en, dass diese Auslegung des Begriffs «Versi<strong>ch</strong>erungsmakler» hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

des Geltungsberei<strong>ch</strong>s von Art. 67-69 E-<strong>VVG</strong> impliziert, dass Strukturbetriebe und Mehrfa<strong>ch</strong>agenten (vgl.<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt 5.6.5) von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t erfasst werden, da es si<strong>ch</strong> bei diesen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern<br />

gemäss Art. 183 AVO um gebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler handelt.<br />

14.1.3 Identifikation der Veränderungen<br />

Die vers<strong>ch</strong>iedenen Regulierungsszenarien können folgendermassen bes<strong>ch</strong>rieben werden:<br />

Das Regulierungsszenario<br />

Im Regulierungsszenario treten Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG wie in Tabelle 66 dargestellt in Kraft. Im<br />

Verglei<strong>ch</strong> zum Referenzszenario kommt es damit zum einen zu einer Erweiterung der Informations-<br />

pfli<strong>ch</strong>ten.<br />

Einerseits werden allen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern neue vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>ten auferlegt:<br />

■ Art. 45 Absatz 1f E-VAG: Die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler müssen darüber informieren, ob sie als Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsmakler oder als Versi<strong>ch</strong>erungsagent tätig sind.<br />

■ Art. 45 Absatz 1g E-VAG: Die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler müssen darüber informieren, ob sie im Vermitt-<br />

lerregister der FINMA eingetragen sind.<br />

Andererseits werden den Versi<strong>ch</strong>erungsmaklern zusätzli<strong>ch</strong>e vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>ten aufer-<br />

legt, wel<strong>ch</strong>en die Versi<strong>ch</strong>erungsagenten ni<strong>ch</strong>t unterliegen:<br />

■ Art. 45 Absatz 1 bis<br />

E-VAG: Die Versi<strong>ch</strong>erungsmakler müssen über die Weitergabepfli<strong>ch</strong>t gemäss Art. 68<br />

Abs. 2 E-<strong>VVG</strong> und die Voraussetzungen, unter denen die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer auf die Weitergabe ver-<br />

zi<strong>ch</strong>ten können, informieren.<br />

292


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

■ Art. 45 Absatz 1 ter<br />

E-VAG: Die Versi<strong>ch</strong>erungsmakler müssen über Höhe, Art und Bere<strong>ch</strong>nung der vom<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen erhaltene Leistungen gemäss Art. 68 Absatz 2 E-<strong>VVG</strong> informieren.<br />

Zum anderen verlangt Art. 68 Abs. 3 E-<strong>VVG</strong>, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsmakler alle ihnen vom VU zugekom-<br />

menen Leistungen, die direkt oder indirekt mit dem vermittelten Vertrag zusammenhängen, dem VN zu-<br />

rückerstatten. Art. 68 Abs. 3 benennt die Bedingungen, unter denen die VN auf die Erfüllung dieser Her-<br />

ausgabepfli<strong>ch</strong>t verzi<strong>ch</strong>ten können.<br />

Die Alternativszenario<br />

Folgende Alternativszenarien sind zu untersu<strong>ch</strong>en:<br />

■ Alternativszenario 1: Das Alternativszenario 1 unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> vom Regulierungsszenario dahinge-<br />

hend, dass nur Art. 45 E-VAG, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> Art. 68 E-<strong>VVG</strong> in Kraft tritt.<br />

■ Alternativszenario 2: Wie beim Regulierungsszenario und dem Alternativszenario 1 tritt Art. 45 E-<br />

VAG wie in Tabelle 66 dargestellt in Kraft. Auf Art. 68 E-<strong>VVG</strong> wird verzi<strong>ch</strong>tet. Anstelle von Art. 68 gibt es<br />

ein Verbot von volumen-, wa<strong>ch</strong>stums- und s<strong>ch</strong>adensabhängigen Ents<strong>ch</strong>ädigungen (Contingent Commissi-<br />

ons) der VU an die Versi<strong>ch</strong>erungsmakler.<br />

Referenzszenario<br />

Bei der Identifikation der Auswirkungen der vers<strong>ch</strong>iedenen Regulierungsszenarien in der Re<strong>ch</strong>tspraxis,<br />

müssen folgende Eigens<strong>ch</strong>aften des Referenzszenario berücksi<strong>ch</strong>tigt werden:<br />

■ Ein Teil der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler verzi<strong>ch</strong>tet bereits heute – also unter dem geltenden <strong>VVG</strong> – auf Con-<br />

tingent Commissions. Diesbezügli<strong>ch</strong> verweisen wir auf den Code of Conduct der SIBA vom 29. Oktober<br />

2008. Dieser Sa<strong>ch</strong>verhalt ist insbesondere bezügli<strong>ch</strong> Alternativszenario 2 relevant.<br />

■ Der SIBA ma<strong>ch</strong>t geltend, dass bereits heute unter dem geltenden <strong>VVG</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler auf<br />

entspre<strong>ch</strong>ende Fragen der VN über die von den Versi<strong>ch</strong>erern erhaltenen Ents<strong>ch</strong>ädigungen informieren:<br />

«Gemäss Art. 45 Abs. 1 VAG ist der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler beim ersten Kundenkontakt ni<strong>ch</strong>t verpfli<strong>ch</strong>tet, von si<strong>ch</strong><br />

aus über die vom Versi<strong>ch</strong>erer erhaltenen Ents<strong>ch</strong>ädigungen zu informieren. Es ist jedo<strong>ch</strong> unbestritten, dass der Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvermittler auf entspre<strong>ch</strong>ende Frage hin bereits gemäss geltendem Re<strong>ch</strong>t über seine vom Versi<strong>ch</strong>erer erhalte-<br />

nen Ents<strong>ch</strong>ädigungen orientieren muss.» (SIBA 2009a, 11).<br />

14.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

Gemäss Prof. Dr. Stephan Fuhrer liess si<strong>ch</strong> die Expertenkommission von zwei Überlegungen leiten:<br />

Zum einen stellte si<strong>ch</strong> die Expertenkommission die Frage, ob angesi<strong>ch</strong>ts der hohen Maklergebühren der<br />

Einsatz des differenzierten Analyse- und Beratungsinstrument der Makler im B2C-Markt überhaupt sinn-<br />

voll ist. Die Expertenkommission kam zum S<strong>ch</strong>luss, dass diese Frage von den VN selbst beantwortet wer-<br />

den muss. Aus diesem Grund müssen die VN wissen, was die Dienstleistungen der Makler kosten – dies<br />

umso mehr, als die Makler im Namen der VN tätig sind. Nur wenn die VN die Kosten der Dienstleistungen<br />

der Makler kennen, können sie für si<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>eiden, ob sie die Leistungen in Anspru<strong>ch</strong> nehmen oder lie-<br />

ber von einer sol<strong>ch</strong>en Beanspru<strong>ch</strong>ung absehen mö<strong>ch</strong>ten.<br />

Zum anderen s<strong>ch</strong>webte der Expertenkommission eine Marktlösung im Sinne eines Netquote-Marktes vor,<br />

der folgendermassen bes<strong>ch</strong>rieben werden kann:<br />

■ Die VU offerieren Nettoprämien.<br />

■ Die VN ents<strong>ch</strong>ädigen die VU einzig für den Risikotransfer.<br />

293


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

■ Die VN ents<strong>ch</strong>ädigen ihre Makler für die erbra<strong>ch</strong>ten Einkaufs- und Beratungsleistungen auf Honorarba-<br />

sis.<br />

Dr. Stephan Weber hält ergänzend fest, dass si<strong>ch</strong> die Expertenkommission von der Glei<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>altung der<br />

monetären Anreize der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler mit den Interessen ihrer Kunden eine höhere Dienstleis-<br />

tungsqualität erhofft.<br />

Vor dem Hintergrund dieser beiden Überlegungen s<strong>ch</strong>lug die Expertenkommission im VE-<strong>VVG</strong> vor, Ent-<br />

s<strong>ch</strong>ädigungen der Makler dur<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen grundsätzli<strong>ch</strong> zu verbieten. Von dieser Lö-<br />

sung distanzierte si<strong>ch</strong> das BPV bei der Umformulierung des VE-<strong>VVG</strong> zum E-<strong>VVG</strong>, indem mit Art. 68 E-<strong>VVG</strong><br />

der Retrozessionsents<strong>ch</strong>eid des Bundesgeri<strong>ch</strong>ts kodifiziert wurde.<br />

14.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung<br />

Art. 68 E-<strong>VVG</strong> wurde im Rahmen der Vernehmlassung von vers<strong>ch</strong>iedenen Unternehmen, Verbänden und<br />

natürli<strong>ch</strong>en Personen, die eine materielle Stellungnahme eingerei<strong>ch</strong>t haben, kritisiert. Die ökonomis<strong>ch</strong><br />

relevante Kritik umfasst im Wesentli<strong>ch</strong>en die folgenden vier Argumentationsfiguren:<br />

Erstens wird geltend gema<strong>ch</strong>t, dass die Umsetzung von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> zu zusätzli<strong>ch</strong>en Aufwänden<br />

und damit Kosten in Zusammenhang mit der Abre<strong>ch</strong>nung der erbra<strong>ch</strong>ten Leistungen der Makler und<br />

der Verre<strong>ch</strong>nung der von den Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen gewährten Courtagen führen würde. SIBA<br />

(2009a, 13ff) spri<strong>ch</strong>t in diesem Zusammenhang von «Komplexitätskosten»: «Insbesondere würde die<br />

komplizierte Abwicklung gemäss Abs. 3 den ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler mit hohen unnötigen<br />

Zusatzkosten belasten, für die letztendli<strong>ch</strong> wiederum der Kunde aufkommen müsste». Au<strong>ch</strong> die FDP<br />

(2009, 3) ma<strong>ch</strong>t Kostenfolgen geltend: «Die Anwendung des vorges<strong>ch</strong>lagenen Bezahlungssystems würde<br />

ein Erhöhung des Verwaltungsaufwands und folgli<strong>ch</strong> der Kosten für den Kunden bewirken.» Die Kritiker<br />

der Regelungen zur Maklerents<strong>ch</strong>ädigung im E-<strong>VVG</strong> führen im Rahmen dieser Argumentationsfigur<br />

s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> aus, dass die von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> induzierten Kostenerhöhungen letztli<strong>ch</strong> von den VN bezahlt<br />

werden müssten, was ni<strong>ch</strong>t im Interesse derselben sein kann.<br />

Zweitens wird geltend gema<strong>ch</strong>t, dass mit Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG die ungebundenen Vermitt-<br />

ler gegenüber den gebundenen Vermittler bena<strong>ch</strong>teiligt würden, da Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und die erweiterten<br />

Informationspfli<strong>ch</strong>ten gemäss Art. 45 E-VAG nur für die ungebundenen, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> für die gebundenen<br />

Vermittler gelten. Diese Bena<strong>ch</strong>teiligung der ungebundenen Vermittler bzw. die Diskriminierung zwis<strong>ch</strong>en<br />

gebundenen und ungebundenen Vermittler wird als Verletzung des Glei<strong>ch</strong>heitsgrundsatzes interpre-<br />

tiert. Der Glei<strong>ch</strong>heitsgrundsatz besagt, dass «(a) der Staat sein Bürger grundsätzli<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong> zu<br />

behandeln hat – willkürli<strong>ch</strong>e Diskriminierungen sollen ausges<strong>ch</strong>lossen sein – und (b) Grundsatz (a) einzu-<br />

s<strong>ch</strong>ränken ist, wenn Diskriminierungen notwendig sind, um die Funktionsfähigkeit der Ordnung und da-<br />

mit mittelfristig den Wohlstand für alle zu erhöhen.» (Erlei et. al. 1999, 427ff). Dieses Argument ist öko-<br />

nomis<strong>ch</strong> insofern relevant, als dass der Glei<strong>ch</strong>heitsgrundsatz ein Gemeinwohlprinzip darstellt, dessen Ein-<br />

haltung Wohlfahrt und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Prosperität einer Volkswirts<strong>ch</strong>aft fördert.<br />

Drittens ma<strong>ch</strong>en die Kritiker der gesetzli<strong>ch</strong>en Regelungen zur Maklerents<strong>ch</strong>ädigung im E-<strong>VVG</strong> geltend,<br />

dass die soeben ausgeführte implizite Unglei<strong>ch</strong>behandlung von ungebundenen und gebundenen Vermitt-<br />

ler im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt zu Marktanteilsgewinnen der gebundenen Vermittler bzw. zu<br />

einem Anstieg der Zahl der gebundenen Vermittler und zu Marktanteilsverlusten der ungebun-<br />

denen Vermittler bzw. zu einer Reduktion der Zahl der ungebundenen Vermittler führen würde.<br />

Diese Entwicklung sei ni<strong>ch</strong>t im Interesse der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer: «Eine der grösseren positiven Errungen-<br />

s<strong>ch</strong>aften der vergangenen Jahrzehnte im Berei<strong>ch</strong> der Versi<strong>ch</strong>erungswirts<strong>ch</strong>aft ist der Umstand, dass die Makler ihr<br />

Ges<strong>ch</strong>äft zu Lasten des Vertriebs über die Agenturen der Versi<strong>ch</strong>erungsgesells<strong>ch</strong>aften stark ausgebaut haben.» (Al-<br />

294


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

tenburger 2009, 8). Die Behauptung, dass ein hoher Marktanteil der Broker letztli<strong>ch</strong> im Interesse der Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsnehmer ist, wird mit folgenden Kausalzusammenhängen begründet:<br />

■ Weniger unabhängige Makler → s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tere Beratung → s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tere Risikoabdeckung: Wenn Zahl und<br />

Bedeutung der Makler fallen, werden die Kunden zunehmend von gebundenen Vermittler beraten. Dies<br />

führe dazu, dass die Kunden ni<strong>ch</strong>t mehr objektiv und unabhängig über die verfügbaren Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

produkte im Markt informiert werden, so dass sie – gegeben ihre Bedürfnisse und Risikoprofile – letztli<strong>ch</strong><br />

nur no<strong>ch</strong> in suboptimaler Art und Weise versi<strong>ch</strong>ert sind.<br />

■ Weniger Makler → höhere Markeintrittsbarrieren → weniger Wettbewerb → höhere Prämien und ge-<br />

ringere Produktevielfalt: Wenn die Zahl und Bedeutung der Makler fallen, steigen insbesondere für aus-<br />

ländis<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen die Markteintrittskosten, da sie in der S<strong>ch</strong>weiz eine eigene Verkaufs-<br />

und Vertriebsstruktur aufbauen müssen, wenn ihre Produkte ni<strong>ch</strong>t mehr in genügender Art und Weise<br />

von den Makler vertrieben werden. Die erhöhten Markteintrittskosten führen gemäss dieser Argumentati-<br />

onsfigur grundsätzli<strong>ch</strong> zu einer S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ung des Wettbewerbs, was letztli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t im Interesse der Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsnehmer ist: Denn weniger Wettbewerb bedeute höhere Prämien und eine weniger ausgeprägte<br />

Produktvielfalt. SIBA (2009b, 17) formuliert diese Argumentationsfigur folgendermassen: «Die professionel-<br />

len Versi<strong>ch</strong>erungsbroker haben zum Wettbewerb unter den Versi<strong>ch</strong>erern beigetragen, weil kleinere, in- und vor allem<br />

ausländis<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erer ohne eigenen Aussendienst den Markteintritt praktis<strong>ch</strong> auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> über den Broker ha-<br />

ben und si<strong>ch</strong> so s<strong>ch</strong>neller entwickeln können. Dur<strong>ch</strong> eine Eins<strong>ch</strong>ränkung der Ents<strong>ch</strong>ädigungsmögli<strong>ch</strong>keiten der Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsbroker werden diese Versi<strong>ch</strong>erungsgesells<strong>ch</strong>aften im Wettbewerb gegenüber den grossen Versi<strong>ch</strong>erungsge-<br />

sells<strong>ch</strong>aften bena<strong>ch</strong>teiligt. Allenfalls könnte dies zu einem Rückzug dieser Gesells<strong>ch</strong>aften aus der S<strong>ch</strong>weiz führen, was<br />

für den Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer sehr na<strong>ch</strong>teilig wäre. Der professionelle Versi<strong>ch</strong>erungsbroker hat weltweit zu besserer<br />

Markttransparenz und zu grösserer Konkurrenz unter den Versi<strong>ch</strong>erern geführt.»<br />

■ Weniger Makler → höhere Vertriebskosten → höhere Prämien: Wenn die ungebundenen Vermittler<br />

gegenüber den gebundenen Vermittler bena<strong>ch</strong>teiligt und so dur<strong>ch</strong> diese verdrängt werden, resultieren<br />

gemäss dieser Argumentationsfigur grundsätzli<strong>ch</strong> höhere Kosten, da die Makler günstigere und s<strong>ch</strong>lanke-<br />

re Kostenstrukturen aufweisen als die Versi<strong>ch</strong>erungsagenten. Die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer haben diese höhe-<br />

ren Kosten letztli<strong>ch</strong> in Form höherer Prämien zu berappen.<br />

■ Weniger Makler → weniger objektive Preis- und Produktverglei<strong>ch</strong> → weniger Transparenz → weniger<br />

Wettbewerb → höhere Prämien: Wenn die Makler aufgrund der Bena<strong>ch</strong>teiligung zunehmend von den<br />

Agenten verdrängt werden, gibt es weniger objektive Preis- und Produktverglei<strong>ch</strong>e. Die reduzierte Trans-<br />

parenz bezügli<strong>ch</strong> dem Preis-Leistungsverhältnis der vers<strong>ch</strong>iedenen Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>t den<br />

Preiswettbewerb, so dass si<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer letztli<strong>ch</strong> höheren Prämien gegenüber sehen. In<br />

diesem Sinne behauptet der SIBA (2009a, 9): «Die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker haben dem Markt zunehmend mehr<br />

Transparenz vers<strong>ch</strong>afft und das Prämienniveau substantiell gesenkt.».<br />

■ Weniger Makler → Na<strong>ch</strong>frage wird weniger gebündelt→ weniger Markt- und Verhandlungsma<strong>ch</strong>t der<br />

Na<strong>ch</strong>frage → s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tere Konditionen bzw. höhere Prämien: SIBA (2009a, 9) fasst dieses Argument fol-<br />

gendermassen: «Der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker errei<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> die Bündelung der Na<strong>ch</strong>frage und dur<strong>ch</strong> seine Kenntnisse<br />

des Marktes bessere Konditionen für seinen Auftraggeber, entlastet damit den Versi<strong>ch</strong>erer und erhält hierfür Gross-<br />

handelskonditionen bzw. Preisna<strong>ch</strong>lässe. Diese finanziellen Vorteile würde der einzelne Kunde allein ni<strong>ch</strong>t errei<strong>ch</strong>en,<br />

da ihm dazu sowohl das Wissen als au<strong>ch</strong> die Na<strong>ch</strong>fragema<strong>ch</strong>t fehlen.»<br />

Viertens ma<strong>ch</strong>en die Kritiker der neuen Regelungen zur Maklerents<strong>ch</strong>ädigung geltend, dass es si<strong>ch</strong> bei<br />

den Courtagen und Zusatzleistungen der Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen ni<strong>ch</strong>t um eine reine Vermitt-<br />

lungsprovision handle. Vielmehr gelten die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen die Broker au<strong>ch</strong> dafür ab, dass<br />

sie werts<strong>ch</strong>öpfende Leistungen erbringen, die vers<strong>ch</strong>iedene Teile der Werts<strong>ch</strong>öpfungskette betreffen: SVV<br />

(2009a, 45) meint hierzu: «Es kommt dazu, dass die Leistungen der Versi<strong>ch</strong>erer an die Broker ni<strong>ch</strong>t nur eine Ver-<br />

295


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

mittlungsents<strong>ch</strong>ädigung darstellen, sondern au<strong>ch</strong> Leistungen des Brokers rund um die <strong>admin</strong>istrative Betreuung des<br />

Kunden im Antragsverfahren, beim Inkasso sowie bei der S<strong>ch</strong>adenmeldung abgelten.» Die Versi<strong>ch</strong>erungsunter-<br />

nehmen lagern in diesem Sinne Teile der Werts<strong>ch</strong>öpfungskette an die Broker aus: «Die Versi<strong>ch</strong>erer reduzier-<br />

ten in derselben Zeitspanne [zwis<strong>ch</strong>en 1980 und 2009] ihren Aussendienst und au<strong>ch</strong> ihre Kundenbetreuer für die<br />

Direktbetreuung; sie konzentrieren si<strong>ch</strong> auf das Underwriting sowie die S<strong>ch</strong>adenabwicklung und überlassen die Kun-<br />

denbetreuung dem professionellen Versi<strong>ch</strong>erungsbroker, was zu einer Senkung der Kosten des Versi<strong>ch</strong>erers führt. Der<br />

ungebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler agiert als Vertriebskanal der Versi<strong>ch</strong>erer, wofür diese bereit sind, Ents<strong>ch</strong>ädi-<br />

gungen zu bezahlen» (SIBA 2009a, 8). In Abs<strong>ch</strong>nitt 5.6.4.2 haben wir bereits ausgeführt, wel<strong>ch</strong>e Leistungen<br />

von den Brokern erbra<strong>ch</strong>t werden. Die Vertreter dieser Kritik am E-<strong>VVG</strong> argumentieren s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong>, dass<br />

die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer auf einen Teil der Courtagen und Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen keinen Anspru<strong>ch</strong><br />

haben, da die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen mit diesen die Broker für eine ausgelagerte, eigenwirts<strong>ch</strong>aftli-<br />

<strong>ch</strong>e Leistung letztgenannter ents<strong>ch</strong>ädigen: «Art. 68 E-<strong>VVG</strong> verhindert jede separate oder eigene Vergütung des<br />

Maklers dur<strong>ch</strong> den Versi<strong>ch</strong>erer für Leistungen, die vom Makler zugunsten des Versi<strong>ch</strong>erers erbra<strong>ch</strong>t werden. [...].Die<br />

Ents<strong>ch</strong>ädigung für diese Leistungen steht dem Makler, ni<strong>ch</strong>t dem Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer zu. Sol<strong>ch</strong>e Leistungen zu-<br />

gunsten des Versi<strong>ch</strong>erers sind vielfältig; sie bes<strong>ch</strong>lagen unter anderem die Risikoanalyse, die Verbesserung (Professio-<br />

nalisierung) der Kommunikation zwis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer und Versi<strong>ch</strong>erer allgemein sowie anlässli<strong>ch</strong> des Ver-<br />

tragss<strong>ch</strong>lusses und im weiteren Verlauf der Vertragsabwicklung; zu nennen sind ferner Leistungen im Berei<strong>ch</strong> der<br />

Administration, bei und anlässli<strong>ch</strong> von S<strong>ch</strong>adenfällen, bei der na<strong>ch</strong>folgenden S<strong>ch</strong>adenregulierung, im Zusammenhang<br />

mit der Vertragserneuerung etc. Darüber hinaus stellen die Makler für den Versi<strong>ch</strong>erer selbstverständli<strong>ch</strong> einen wi<strong>ch</strong>ti-<br />

gen Vertriebskanal dar und ermögli<strong>ch</strong>en oftmals dank einer Bündelung der Na<strong>ch</strong>frage Synergien und Einsparungen<br />

(au<strong>ch</strong>) beim Versi<strong>ch</strong>erer, wel<strong>ch</strong>e dieser beispielsweise mittels Preisna<strong>ch</strong>lässen zu honorieren bereit ist. Die dem Makler<br />

hierfür zufliessende Ents<strong>ch</strong>ädigung deckt je na<strong>ch</strong>dem sämtli<strong>ch</strong>e (und mögli<strong>ch</strong>erweise no<strong>ch</strong> weitere) oder allenfalls<br />

au<strong>ch</strong> nur einen Teil dieser Leistungen ab, wobei eine Aufs<strong>ch</strong>lüsselung auf die einzelnen Leistungen in aller Regel ni<strong>ch</strong>t<br />

mögli<strong>ch</strong> und ni<strong>ch</strong>t praktikabel ist» (Lloyds 2009, 11-12).<br />

14.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse des Versi<strong>ch</strong>erungsvertriebs<br />

Sollen die Auswirkungen von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> auf den Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt untersu<strong>ch</strong>t werden, stellt si<strong>ch</strong> in<br />

einem ersten S<strong>ch</strong>ritt die Frage, bezügli<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>en Zielgrössen eine sol<strong>ch</strong>e Untersu<strong>ch</strong>ung zu erfolgen hat.<br />

Aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t drängen si<strong>ch</strong> insbesondere die folgenden Zielgrössen auf:<br />

■ Die Transaktionskosten im Vertriebssystem: Die Transaktionskosten im Vertriebssystem sind wohl-<br />

fahrtsökonomis<strong>ch</strong> von Bedeutung, weil sie si<strong>ch</strong> auf die Prämien auswirken: Höhere Transaktionskosten<br />

führen zu höheren Prämien. Höhere Prämien wiederum senken die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken und<br />

reduzieren so die Konsumenten- und Produzentenrenten.<br />

■ Qualität der Beratung: Die Qualität der Beratung ist wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong> wesentli<strong>ch</strong>, weil sie einen<br />

Einfluss darauf hat, ob die VN Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte einkaufen, die ihren Nutzen maximieren. In Ab-<br />

s<strong>ch</strong>nitt 4.6.3.4 haben wir bereits im Detail ausgeführt, wie Informationsdefizite der VN die Wohlfahrt<br />

negativ tangieren können.<br />

■ Die Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung der Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte: Je besser die Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte ihre Risiken<br />

dur<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung kontrollieren können, desto höher die gesamtwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Wohlfahrt.<br />

14.4.1 Die ökonomis<strong>ch</strong>e Funktion der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler<br />

Die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler – die gebundenen und die ungebundenen – erbringen sowohl für die VN als<br />

au<strong>ch</strong> für die VU Dienstleistungen.<br />

296


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Funktion der Vermittler aus Si<strong>ch</strong>t der VN<br />

In Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.3.2 haben wir gezeigt, dass drei vers<strong>ch</strong>iedene Wirkungen differenziert werden können,<br />

die von Informationsdefiziten der VN ausgelöst werden:<br />

■ Die VN haben nur unvollständige Teilinformationen über die am Markt verfügbaren Versi<strong>ch</strong>erungspro-<br />

dukte.<br />

■ Die VN sind si<strong>ch</strong> ihrer Informationsdefizite bewusst und haben deshalb Misstrauen.<br />

■ Die VN haben Vorstellung über Eigens<strong>ch</strong>aften von Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte, die ni<strong>ch</strong>t der Realität ent-<br />

spre<strong>ch</strong>en.<br />

Hiervon lassen si<strong>ch</strong> die drei Funktionen ableiten, die der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler gegenüber den VN erfül-<br />

len:<br />

■ Einsparung von Su<strong>ch</strong>kosten<br />

■ Abbau von Misstrauen und Aufbau von Vertrauen<br />

■ Verhinderung inadäquater Vorstellungen über Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte.<br />

In der Realität erfüllen die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler diese drei Funktionen ni<strong>ch</strong>t in vollkommener Art und<br />

Weise, wie die folgenden beiden Beispiele zeigen:<br />

■ Gemäss einer Studie von IBM Global Business Services (2009) haben 57 Prozent der befragten VN kein<br />

Vertrauen in die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen, während 70 Prozent derselben jedo<strong>ch</strong> ihrem Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vermittler vertrauen.<br />

■ Gemäss der Ombudsfrau für Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA (Ombudsfrau 2009a) liegt einem grossen<br />

Teil der Anliegen, die an die Ombudsstelle herangetragen werden, das Problem zugrunde, dass die VN<br />

fals<strong>ch</strong>e Vorstellungen davon haben, wel<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>adensfälle von ihrem Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt gedeckt sind.<br />

Diese beiden Beispiele illustrieren zum einen, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler Aufgaben wahrnehmen, die<br />

für die VN einen hohen potentiellen Wert aufweisen. Zum anderen zeigen Sie, dass es den Vermittlern in<br />

der Realität offenbar ni<strong>ch</strong>t vollständig gelingt, ihre ökonomis<strong>ch</strong>e Funktion gegenüber den VN zu erfüllen.<br />

Wie erfolgrei<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler die drei Funktionen wahrnehmen, hängt im Wesentli<strong>ch</strong>en von<br />

den Konkurrenzverhältnissen im Versi<strong>ch</strong>erungsvertrieb und von den ökonomis<strong>ch</strong>en Anreizen ab, wel<strong>ch</strong>en<br />

die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler ausgesetzt sind.<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Funktion der selbständigen Vermittler aus Si<strong>ch</strong>t der VU<br />

Die selbständigen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (Makler, Broker und exclusive agents) erfüllen ni<strong>ch</strong>t nur eine<br />

ökonomis<strong>ch</strong>e Funktion gegenüber den VN. Vielmehr erbringen sie au<strong>ch</strong> gegenüber den VU Dienstleistun-<br />

gen. Im Verglei<strong>ch</strong> zu einem Vertrieb über angestellte Aussendienstmitarbeitenden (direct writers), werden<br />

in der Literatur die folgenden zwei Funktionen hervorgehoben:<br />

■ Der Vertrieb über selbständige Vermittler kann zu Effizienzsteigerungen im Vertriebsprozess führen.<br />

Dies deshalb, weil die Ents<strong>ch</strong>ädigung der selbständigen Vermittler keine fixe Komponente enthält: «Da<br />

der Agent auf eigene Re<strong>ch</strong>nung arbeitet, trägt er den Kosten, die mit einer zusätzli<strong>ch</strong>en Prämieneinnahme<br />

einhergehen, gebührend Re<strong>ch</strong>nung.» (Zweifel und Eisen 2003, 189). Stehen die selbständigen Vermittler<br />

mit angestellten Agenten im Wettbewerb, führt dies gemäss Seog (2009) dazu, dass die VU, die mit selb-<br />

ständigen Vermittlern arbeiten, einen höheren Marktanteil realisieren können.<br />

■ In der eins<strong>ch</strong>lägige Literatur wird teilweise davon ausgegangen, dass selbständige Versi<strong>ch</strong>erungsvermitt-<br />

ler das Risiko eines VN besser abs<strong>ch</strong>ätzen können als direct writers, so dass die VU die Risiken besser sepa-<br />

rieren können. Dadur<strong>ch</strong> kann die Rei<strong>ch</strong>weite der Versi<strong>ch</strong>erung bzw. die Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ausgewei-<br />

tet werden, da nun au<strong>ch</strong> VN versi<strong>ch</strong>ert werden können, die bei Mis<strong>ch</strong>prämien ihre Risiken ni<strong>ch</strong>t versi<strong>ch</strong>ert<br />

297


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

hätten. Diese Theorie basiert auf der Annahme, dass die VN mehr Vertrauen in selbständige Vermittler<br />

haben als in angestellte Aussendiensmitarbeitende (direct writers), so dass sie den Vermittlern mehr In-<br />

formationen übermitteln als den angestellten Agenten. Diese Theorie ist insofern paradox, da der Wohl-<br />

fahrtsgewinn, der dur<strong>ch</strong> den Vertrieb über selbständige Vermittler mögli<strong>ch</strong> wird, nur dadur<strong>ch</strong> entsteht,<br />

dass die selbständigen Vermittler das Vertrauen der VN «missbrau<strong>ch</strong>en».<br />

14.4.2 Su<strong>ch</strong>kosten und entartete Anreize<br />

14.4.2.1 Ergebnisse der ökonomis<strong>ch</strong>en Literatur<br />

In der ökonomis<strong>ch</strong>en Literatur werden die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Vertriebskanäle typis<strong>ch</strong>erweise im Rahmen<br />

von «Su<strong>ch</strong>kosten-Modellen» untersu<strong>ch</strong>t. Dabei wird untersu<strong>ch</strong>t, wie si<strong>ch</strong> die vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanä-<br />

le auf die Kosten der Informationssu<strong>ch</strong>e auswirken.<br />

Die Ergebnisse der Literatur sind leider ni<strong>ch</strong>t eindeutig und widersprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>. Dies ist darauf zurückzufüh-<br />

ren, dass die vers<strong>ch</strong>iedenen Modelle unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Annahmen bezügli<strong>ch</strong> dem Verhalten der Verbrau-<br />

<strong>ch</strong>er, der Versi<strong>ch</strong>erungsagenten und der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler enthalten. Diese unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Annah-<br />

men entspre<strong>ch</strong>en allerdings einer Realität: Es gibt unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Produktmarktsegmente und unter-<br />

s<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Kundensegmente, so dass für vers<strong>ch</strong>iedene Teilmärkte unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Modelle adäquat sind.<br />

Dies impliziert, dass die Ergebnisse eines bestimmten Teilmarktes ni<strong>ch</strong>t ohne Weiteres auf andere Teil-<br />

märkte übertragen werden können. Vielmehr ist von einer globalen Analyse Abstand zu nehmen, so dass<br />

der Heterogenität der vers<strong>ch</strong>iedenen Teilmärkte Re<strong>ch</strong>nung getragen werden kann.<br />

14.4.2.2 Su<strong>ch</strong>kosten im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt ohne Vermittler<br />

Das Informations- und Ents<strong>ch</strong>eidungsproblem, das die VN in einem Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt zu lösen haben, in<br />

wel<strong>ch</strong>em es keine Vermittler, also au<strong>ch</strong> keine angestellten Agenten gibt, lässt si<strong>ch</strong> folgendermassen mo-<br />

dellieren: Der optimale Vertrag, d.h. der Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag, der den Nutzen eines VN maximiert, stellt<br />

ein Punkt in einer Punktwolke dar. Diese Punktwolke besteht aus den vers<strong>ch</strong>iedenen Versi<strong>ch</strong>erungspro-<br />

dukten, wel<strong>ch</strong>e die VU am Markt anbieten. Der VN kann diese Punktwolke sehen, d.h. er kennt den Ort<br />

dieser Punkte, weiss jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, wel<strong>ch</strong>es Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt wel<strong>ch</strong>em Punkt entspri<strong>ch</strong>t. Die Su<strong>ch</strong>e<br />

des VN besteht deshalb darin, zufällig Punkte auszuwählen und festzustellen, wel<strong>ch</strong>em Angebot dieser<br />

Punkt entspri<strong>ch</strong>t. Das Ents<strong>ch</strong>eidungsproblem des VN liegt nun darin, das optimale Angebot unter den<br />

bereits bekannten zu wählen, oder aber die Su<strong>ch</strong>e fortzusetzen. Beide Handlungsalternativen sind mit<br />

Kosten verbunden:<br />

■ Zusätzli<strong>ch</strong>e Su<strong>ch</strong>kosten: Unternimmt der VN eine zusätzli<strong>ch</strong>e Su<strong>ch</strong>aktion, entstehen zusätzli<strong>ch</strong>e Su<strong>ch</strong>-<br />

kosten.<br />

■ Kosten der Suboptimierung: Wählt der VN dasjenige Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt, das unter den bekann-<br />

ten Angeboten seinen Nutzen maximiert, realisiert er im Verglei<strong>ch</strong> zum Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt, wel<strong>ch</strong>es<br />

das globale Optimum darstellt, eine tiefere Konsumentenrente.<br />

Diese beiden Kostenkomponenten muss der rationale VN gegeneinander abwägen. Die ökonomis<strong>ch</strong>e<br />

Literatur zeigt, dass es Situationen gibt, in wel<strong>ch</strong>en es für den VN optimal ist, das lokal optimale Angebot<br />

anzunehmen und darauf zu verzi<strong>ch</strong>ten, das globale Optimum zu erhalten. Dieses Ergebnis ist insbesonde-<br />

re in Zusammenhang mit dem empiris<strong>ch</strong>en Tatbestand wi<strong>ch</strong>tig, dass es unter den Kunden von Maklern<br />

und Brokern Quersubventionierungen gibt. Auf diese Problemstellung werden wir weiter unten im Detail<br />

eingehen.<br />

298


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

Da die Kunden ni<strong>ch</strong>t homogen sind, ist das optimale Niveau der Informationssu<strong>ch</strong>e für vers<strong>ch</strong>iedene VN<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sie unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Su<strong>ch</strong>kosten ausgesetzt sind,<br />

was vers<strong>ch</strong>iedene Gründen haben kann:<br />

■ Einige VN sind bei der Su<strong>ch</strong>e und Analyse der Informationen effizienter als andere.<br />

■ Die VN haben unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Präferenzen, was bedeutet, dass die Punkte, die den optimalen Vertrag<br />

der VN darstellen, in der Punktwolke an unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Orten lokalisiert sind. Befindet si<strong>ch</strong> der Punkt<br />

z.B. im Zentrum der Punktewolke, müssen im Verglei<strong>ch</strong> zu einem Punkt, der si<strong>ch</strong> am Rand der Punktewol-<br />

ke befindet, weniger Su<strong>ch</strong>aktivitäten unternommen werden, um das global optimale Versi<strong>ch</strong>erungspro-<br />

dukt oder ein Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt, das vom optimalen nur marginal abwei<strong>ch</strong>t, zu finden.<br />

■ Die VN sind unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> risikoavers, so dass die Konsumentenrenten, die beim Kauf der global opti-<br />

malen Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte resultieren, unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> ho<strong>ch</strong> sind. Eine VN, der weniger risikoavers ist,<br />

muss deshalb seine Su<strong>ch</strong>aktivitäten früher abbre<strong>ch</strong>en als ein VN, der sehr stark risikoavers ist (vgl. die<br />

Ausführungen im Abs<strong>ch</strong>nitt 4.2 zur sogenannten «Si<strong>ch</strong>erheitsprämie»).<br />

Aus einer wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>en Perspektive ist folgendes Ergebnis am bedeutsamsten: Die Existenz<br />

von Su<strong>ch</strong>kosten kann zu einer Reduktion der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken führen. Dies ist dann der Fall,<br />

wenn die VN die Su<strong>ch</strong>e abbre<strong>ch</strong>en müssen, ehe sie ein Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt gefunden haben, das ihnen<br />

eine positive Konsumentenrente bes<strong>ch</strong>ert.<br />

14.4.2.3 Der Einfluss der VU auf die Su<strong>ch</strong>kosten<br />

Die VU beeinflussen die Su<strong>ch</strong>kosten in zweifa<strong>ch</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t:<br />

■ Wahl des Produktsortiments, das im Markt angeboten wird;<br />

■ Wahl der Vertriebskanäle, über wel<strong>ch</strong>e die Produkte vertrieben werden.<br />

Die VU bieten im Allgemeinen ni<strong>ch</strong>t nur einen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag, sondern ein Menü von Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsverträgen an, unter wel<strong>ch</strong>en die VN wählen können. Dies führt dazu, dass das Su<strong>ch</strong>- und Ents<strong>ch</strong>ei-<br />

dungsproblem der VN zwei Dimensionen hat:<br />

■ «Inter-Optimierung»: Su<strong>ch</strong>e des VU, wel<strong>ch</strong>es das global optimale Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte anbietet.<br />

■ «Intra-Optimierung»: Su<strong>ch</strong>e der optimalen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag innerhalb eines VU (Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

deckung, Fran<strong>ch</strong>ise etc.)<br />

Diese Unters<strong>ch</strong>eidung ist deshalb wesentli<strong>ch</strong>, weil die Varianz der Prämien von Versi<strong>ch</strong>erungsprodukten<br />

innerhalb eines VU im Allgemeinen höher ist als die Varianz von Prämien der glei<strong>ch</strong>en Produkte zwis<strong>ch</strong>en<br />

den vers<strong>ch</strong>iedenen VU: Der Preisunters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en zwei identis<strong>ch</strong>en Verträgen bei zwei vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

VU ist typis<strong>ch</strong>erweise geringer als der Prämienunters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en den vers<strong>ch</strong>iedenen Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

trägen innerhalb eines VU.<br />

Die Su<strong>ch</strong>kosten, denen die VN ausgesetzt sind, sind au<strong>ch</strong> davon abhängig, wie die VU den Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsmarkt bearbeiten. Dabei können grundsätzli<strong>ch</strong> drei Strategien differenziert werden:<br />

■ Werbung: Ein VU kann Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte, die auf bestimmte Kundensegmente zuges<strong>ch</strong>nitten<br />

sind, mittels gezielter Werbung bewerben. Dadur<strong>ch</strong> werden die Su<strong>ch</strong>kosten der VN verringert.<br />

■ Vertrieb über gebundene Versi<strong>ch</strong>erungsagenten: Die gebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsagenten informie-<br />

ren die Kunden über die Produkte, die ihr VU anbietet. Dadur<strong>ch</strong> können die VN Su<strong>ch</strong>kosten einsparen –<br />

allerdings nur die Kosten der Su<strong>ch</strong>e des optimalen Produkts innerhalb des betreffenden VU, da die Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsagenten ni<strong>ch</strong>t über Produkte anderer VU informieren.<br />

■ Vertrieb über ungebundene Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und -broker: vgl. na<strong>ch</strong>folgende Ausführungen.<br />

299


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

14.4.2.4 Der Einfluss des idealen Maklers auf die Su<strong>ch</strong>kosten<br />

Wenn den VN «ideale Makler» bzw. «ideale Broker» zur Verfügung stehen, die keinem Interessenskonflikt<br />

ausgesetzt sind, haben die VN die Mögli<strong>ch</strong>keit, gegen eine fixe Ents<strong>ch</strong>ädigung den global optimalen Ver-<br />

trag zu erhalten. Dadur<strong>ch</strong> können sie sowohl ihre Su<strong>ch</strong>kosten als au<strong>ch</strong> die Kosten der Suboptimierung<br />

einsparen.<br />

Der Gewinn, den ein VN dur<strong>ch</strong> den Einsatz eines idealen Maklers in Form einer zusätzli<strong>ch</strong>en Konsumen-<br />

tenrente realisieren kann, hängt im Wesentli<strong>ch</strong>en von zwei Faktoren ab:<br />

■ Komplexität des Marktes: Je komplexer eine Markt ist, desto höher sind die Su<strong>ch</strong>kosten des VN.<br />

■ Eigens<strong>ch</strong>aft des VN: Je atypis<strong>ch</strong>er ein VN ist, desto höher sind seine Su<strong>ch</strong>kosten.<br />

Die Kosten des idealen Maklers setzen si<strong>ch</strong> aus zwei Bestandteilen zusammen:<br />

■ Fixkosten<br />

■ Grenzkosten der Beratung eines einzelnen VN<br />

Damit der ideale Makler einen Gewinn realisieren kann, müssen seine Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittskosten tiefer sein als<br />

die maximale zusätzli<strong>ch</strong>e Konsumentenrente, die ein VN dur<strong>ch</strong> den Einsatz eines idealen Maklers realisie-<br />

ren kann. Die Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittskosten des idealen Maklers hängen aufgrund der Existenz von Fixkosten je-<br />

do<strong>ch</strong> davon ab, wie viele VN der Makler in seinem Kundenportfolio hält (positive Skaleneffekte).<br />

Grundsätzli<strong>ch</strong> führt die Verfügbarkeit von idealen Maklern dazu, dass Wohlfahrtsgewinne realisiert wer-<br />

den können, wobei folgende drei Effekte zu differenzieren sind:<br />

■ Reduktion der Su<strong>ch</strong>kosten<br />

■ Reduktion der Kosten der Suboptimierung<br />

■ Erweiterung der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung<br />

Ein weiterer Nutzen der Makler und Broker für die VN dürfte darin zu sehen sein, dass die Marktma<strong>ch</strong>t der<br />

Makler und Broker ihre VN vor ex post Opportunismus der VU s<strong>ch</strong>ützen.<br />

14.4.2.5 Der Interessenskonflikt<br />

Der ideale Makler zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> aus, dass er den VN den optimalen Vertrag vermittelt und dafür<br />

eine fixe Ents<strong>ch</strong>ädigung erhält. In der Realität werden die meisten Makler jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit einem fixen<br />

Betrag ents<strong>ch</strong>ädigt. Vielmehr erhalten sie von den VU Provisionen, deren Höhe davon abhängt, wel<strong>ch</strong>en<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag die VN der Makler wählen (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 5.6.4). Da die Ents<strong>ch</strong>ädigung des Maklers<br />

von der Produktwahl der VN abhängt, kann ein Interessenskonflikt entstehen, wenn der Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

trag, der den Nutzen des VN maximiert, ni<strong>ch</strong>t mit dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag identis<strong>ch</strong> ist, der das Ein-<br />

kommen des Maklers maximiert.<br />

Im Extremfall wird der Makler nur denjenigen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag empfehlen und «verkaufen», der sein<br />

Einkommen maximiert (Gravelle 1993). Allerdings müssen drei Annahmen erfüllt sein, damit dieser Ex-<br />

tremfall eintreten kann:<br />

■ Naivität / Unwissenheit des VN: Der VN wählt den vom Makler empfohlenen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag.<br />

■ Treue des VN: Der VN lässt den Wettbewerb zwis<strong>ch</strong>en Maklern ni<strong>ch</strong>t spielen und wird nur von einem<br />

einzigen Makler beraten.<br />

■ Kein Gedä<strong>ch</strong>tnis: Der Reputationsme<strong>ch</strong>anismus funktioniert ni<strong>ch</strong>t.<br />

Die Frage, ob und in wel<strong>ch</strong>em Umfang die ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler dem Interessenskon-<br />

flikt na<strong>ch</strong>geben, ist letztli<strong>ch</strong> empiris<strong>ch</strong>er Natur. Grundsätzli<strong>ch</strong> gibt es keine empiris<strong>ch</strong>e Studien zu der Fra-<br />

300


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

ge, ob und in wel<strong>ch</strong>em Umfang der Interessenskonflikt im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt spielt. Aufgrund<br />

von ökonomis<strong>ch</strong>en Überlegungen können wir den Interessenskonflikt allerdings qualitativ <strong>ch</strong>arakterisieren.<br />

Dabei ist es zielführend, zwis<strong>ch</strong>en dem Privatkundenmarkt und dem Firmenkundenmarkt zu differenzie-<br />

ren.<br />

Der Interessenskonflikt der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

■ Ungünstige betriebswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Rahmenbedingungen: Die befragten Broker haben geltend<br />

gema<strong>ch</strong>t, dass die Provisionen im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft zu gering sind, um eine qualitativ befriedigende<br />

Beratung anzubieten zu können (Ausnahme: Lebensversi<strong>ch</strong>erungen). Dies lässt den S<strong>ch</strong>luss zu, dass die<br />

betriebswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Rahmenbedingungen der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft sehr<br />

ungünstig sind (vgl. unsere Ausführungen im Abs<strong>ch</strong>nitt 5.6.4.4). Der Anreiz, dem Interessenskonflikt<br />

na<strong>ch</strong>zugeben und das Vertrauen der VN opportunistis<strong>ch</strong> auszubeuten, dürfte deshalb im B2C-Markt rela-<br />

tiv gross sein.<br />

■ Informationsdefizite der VN: Wie wir im Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.3 ausgeführt haben, sind die VN im Privat-<br />

kundenmarkt substantiellen Informationsdefiziten ausgesetzt – aus genau diesem Grund engagieren sie<br />

einen Versi<strong>ch</strong>erungsmakler. Die Unwissenheit der VN führt dazu, dass die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, dass sie das<br />

opportunistis<strong>ch</strong>e Verhalten ihres Versi<strong>ch</strong>erungsmaklers erkennen können, tief ist. Dadur<strong>ch</strong> steigt der Er-<br />

trag des opportunistis<strong>ch</strong>en Verhaltens (Opportunitätsprämie).<br />

■ S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>er Wettbewerb unter den Versi<strong>ch</strong>erungsmaklern: Der Wettbewerb unter den Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsmaklern ist im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft als gering einzus<strong>ch</strong>ätzen. Da die Opportunitätskosten eines<br />

We<strong>ch</strong>sels des Versi<strong>ch</strong>erungsmaklers aus Si<strong>ch</strong>t der VN relativ ho<strong>ch</strong> sind, we<strong>ch</strong>seln diese nur sehr selten<br />

ihren Makler.<br />

■ Bes<strong>ch</strong>werden von VN bei der Vermittleraufsi<strong>ch</strong>t: Die Bes<strong>ch</strong>werden von VN über S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung<br />

und aggressive Verkaufste<strong>ch</strong>niken, die bei der Vermittleraufsi<strong>ch</strong>t der FINMA deponiert werden, betreffen<br />

ni<strong>ch</strong>t nur gebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, sondern au<strong>ch</strong> ungebundene.<br />

■ Hohe Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen: Die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass Einzellebensversi<strong>ch</strong>e-<br />

rungen trotz den hohen Abs<strong>ch</strong>lusskosten (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 5.6.4.3: Abs<strong>ch</strong>lussprovision von bis zu 50'000<br />

Franken bei einer Einmaleinlage in der Höhe von 1 Million Franken) und trotz der für die VN ungünstigen<br />

Produkteigens<strong>ch</strong>aft der Zillmerung au<strong>ch</strong> von ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern im grossen Stil an<br />

VN vertrieben werden, für wel<strong>ch</strong>e die vertriebenen Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte zum Teil völlig ungeeignet<br />

sind, lässt den S<strong>ch</strong>luss zu, dass in dieser Bran<strong>ch</strong>e eine Vielzahl opportunistis<strong>ch</strong>er Versi<strong>ch</strong>erungsmakler aktiv<br />

ist.<br />

■ Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen: Der Interessenskonflikt dürfte ausgeprägter sein, wenn Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen<br />

bei der Maklerents<strong>ch</strong>ädigung ein zentrales Element darstellen. Bei Bestandes-Courtagen spielt der Interes-<br />

senskonflikt weniger stark, da die wiederkehrende Auszahlung von Courtagen dazu führt, dass der Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsmakler ein Interesse an einer langfristigen Kundenbeziehung hat. Da Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen im<br />

Berei<strong>ch</strong> der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen und der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen verbreitet sind, ist zu er-<br />

warten, dass in diesen beiden Bran<strong>ch</strong>en der Interessenskonflikt besonders negative Auswirkungen entfal-<br />

tet. Diese Aussage ist mit den empiris<strong>ch</strong>en Tatbeständen konsistent.<br />

■ Abhängigkeit der Provision vom platzierten Prämienvolumen: Die Versi<strong>ch</strong>erungsmakler sind im<br />

Privatkundenges<strong>ch</strong>äft übli<strong>ch</strong>erweise dahingehend kleiner als die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker im Firmenkundenge-<br />

s<strong>ch</strong>äft, dass das Prämienvolumen, das sie bei den VU platziert haben, kleiner ist. Dies führt zu grösseren<br />

Differenzen der Provisionen, die sie von den vers<strong>ch</strong>iedenen VU erhalten, da sie von den vers<strong>ch</strong>iedenen VU<br />

abhängig vom Prämienvolumen, das sie bei diesen platziert haben, unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> eingestuft werden. So<br />

kann ein Makler beim VU 1 zum Beispiel als A-Makler eingestuft sein, beim VU 2 hingegen nur als B-<br />

Makler.<br />

301


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

Der Interessenskonflikt der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

Während es im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft empiris<strong>ch</strong>e Indizien dafür gibt, dass opportunistis<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsmakler im Markt aktiv sind, sind wir im Segment des Firmenkundenges<strong>ch</strong>äfts auf keine empiris<strong>ch</strong>e<br />

Evidenzen gestossen, was darauf s<strong>ch</strong>liessen lässt, dass der Interessenskonflikt im B2B-Ges<strong>ch</strong>äft kein zent-<br />

rales Problem darstellt. Insbesondere dürfte der Interessenskonflikt im B2B-Markt weniger spielen als dies<br />

im B2C-Markt der Fall ist – aus folgenden Gründen:<br />

■ Der Umgang mit dem Einkauf von Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ist bei Unternehmen rationaler gestaltet als<br />

dies bei Privatkunden der Fall ist: Der Vertrauens<strong>ch</strong>arakter ihrer Beziehung zu den Versi<strong>ch</strong>erungsvermitt-<br />

lern ist weniger stark ausgeprägt. Naivität und Unwissenheit dürften deshalb weniger stark ausgeprägt<br />

sein, als dies bei Privatkunden der Fall ist. Die Rationalität des Umgangs mit dem Einkauf von Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsleistungen hängt allerdings von der Unternehmensgrösse ab. Grundsätzli<strong>ch</strong> gilt: Je grösser das Un-<br />

ternehmen, desto rationaler ist der Prozess des Einkaufs von Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen organisiert. Bei mitt-<br />

leren und grossen Unternehmen setzen si<strong>ch</strong> Mitarbeiter mit dem Einkauf von Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen<br />

auseinander, die im Einkauf von Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen erfahren sind und/oder eine Ausbildung in die-<br />

sem Berei<strong>ch</strong> absolviert haben. Gemäss den befragten Experten gelten diese Ausführungen ni<strong>ch</strong>t für die<br />

Kleinstunternehmen im Gewerbe. Bei diesen ist die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en VN und Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler<br />

verglei<strong>ch</strong>bar mit der Vertrauensbeziehung, die zwis<strong>ch</strong>en VN und Vermittler im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft beo-<br />

ba<strong>ch</strong>tet werden kann.<br />

■ Der Reputationsme<strong>ch</strong>anismus dürfte im B2B-Markt stärken wirken als dies im B2C-Markt der Fall ist.<br />

Dies dürfte in erster Linie darauf zurückzuführen sein, dass Arbeitskräfte, die im Einkauf von Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsleistungen tätig sind, von Zeit zu Zeit den Arbeitgeber we<strong>ch</strong>seln. Es gibt folgli<strong>ch</strong> einen Wissensfluss<br />

unter den VN bezügli<strong>ch</strong> der Qualität der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker.<br />

■ Der Wettbewerb unter den Versi<strong>ch</strong>erungsbrokern ist im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft stärker ausgeprägt<br />

als im Privatkundenmarkt. Wiederum gilt: Je grösser die Unternehmen, desto stärker der Wettbewerb. Der<br />

Wettbewerb führt dazu, dass die Einkaufsleistung eines Versi<strong>ch</strong>erungsbrokers von Zeit zu Zeit von konkur-<br />

rierenden Versi<strong>ch</strong>erungsbrokern im Rahmen von Akquisitionsaktivitäten überprüft wird. Kann ein konkur-<br />

rierender Versi<strong>ch</strong>erungsbroker dem Kunden na<strong>ch</strong>weisen, dass der bestehende Broker ni<strong>ch</strong>t kostenminimal<br />

eingekauft hat, verliert der bestehende Versi<strong>ch</strong>erungsbroker sein Mandat. Der zunehmende Verdrän-<br />

gungswettbewerb unter den Brokern führt zu einem zunehmenden Preiswettbewerb. Dieser Preiswettbe-<br />

werb spielt insbesondere dann, wenn die VN ihr Brokermandat von Zeit zu Zeit neu auss<strong>ch</strong>reiben und<br />

vers<strong>ch</strong>iedene Versi<strong>ch</strong>erungsbroker zur Offerteingabe einladen. Im Rahmen dieser Verfahren wird der Preis<br />

der Dienstleistung des Brokers in der Regel verhandelt.<br />

■ Aufgrund eines hohen initialen Beratungsaufwands sind gerade kleinere Firmenkunden für die Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsbroker in den ersten Jahren zum Teil ni<strong>ch</strong>t rentabel. Die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker haben deshalb ein<br />

Interesse an einer langfristigen Kundenbeziehung. Mit opportunistis<strong>ch</strong>em Verhalten gefährden sie<br />

jedo<strong>ch</strong> eine langfristige Beziehung. Die langfristige Ausri<strong>ch</strong>tung der Broker ergibt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> daraus, dass<br />

es im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft nur Bestandes-Courtagen gibt.<br />

■ Gemäss den befragten Experten äusserst si<strong>ch</strong> der Interessenskonflikt der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker weniger<br />

darin, dass sie ihren Firmenkunden zu teure Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte empfehlen und verkaufen, sondern<br />

vielmehr darin, dass sie versu<strong>ch</strong>en, ihren Aufwand zu minimieren. Die Gewinnmaximierungsstrategie eines<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsbrokers auf einem bestehenden Kunden ist also ni<strong>ch</strong>t die Umsatzmaximierung (diese<br />

Strategie ist gemäss den befragten Experten aufgrund des Wettbewerbs und des Reputationsme<strong>ch</strong>anis-<br />

mus zu riskant), sondern die Kostenminimierung. Dieser Sa<strong>ch</strong>verhalt wurde uns insbesondere au<strong>ch</strong> von<br />

einem Experten bestätigt, der während 10 Jahren bei einem der grössten Versi<strong>ch</strong>erungsbroker der<br />

S<strong>ch</strong>weiz als Kundenberater gearbeitet hat, unterdessen jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr im Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt tätig ist.<br />

Dieser Sa<strong>ch</strong>verhalt ist au<strong>ch</strong> konsistent mit den Aussagen der befragten Versi<strong>ch</strong>erungsbroker: Wenn ein<br />

302


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

Kunde aufgrund Unzufriedenheit mit dem bestehenden Broker abgeworben werden kann, dann ist der<br />

We<strong>ch</strong>sel des Brokers in aller Regel auf eine passive Bewirts<strong>ch</strong>aftung zurückzuführen.<br />

Es gibt also insgesamt keine empiris<strong>ch</strong>e Evidenz, dass der Interessenskonflikt im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft ein<br />

substantielles Problem darstellt. Trotzdem muss davon ausgegangen werden, dass der Interessenskonflikt<br />

in Einzelfällen die Beratung der Broker au<strong>ch</strong> im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft verzerren kann – aus folgenden<br />

Gründen:<br />

■ Die betriebswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Bedingungen der Makler- bzw. Brokertätigkeit sind ni<strong>ch</strong>t nur im Privatkun-<br />

denges<strong>ch</strong>äft (Ausnahme: Lebensversi<strong>ch</strong>erungen) ungünstig, sondern au<strong>ch</strong> im Ges<strong>ch</strong>äft mit Kleinstunter-<br />

nehmen (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 5.6.4.4).<br />

■ Der Fall «Spitzer vs. Marsh & Mc Lennan» (vgl. Krauss 2009) zeigt, dass der Interessenskonflikt au<strong>ch</strong> im<br />

Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft spielen kann.<br />

Zusammensetzung der Maklerents<strong>ch</strong>ädigung<br />

Die bisherigen Ausführungen haben deutli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t, dass die Zusammensetzung der Maklerents<strong>ch</strong>ädi-<br />

gung bezügli<strong>ch</strong> des Interessenskonflikts der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler sehr relevant ist:<br />

■ Erhalten die Makler eine Bestandes-Courtage, haben sie einen Anreiz, den optimalen Vertrag oder<br />

einen Vertrag zu empfehlen, der nahe beim optimalen Vertrag liegt. Denn kündigt ein VN den suboptima-<br />

len Vertrag, verliert der Makler au<strong>ch</strong> seine Bestandes-Courtage. Der Makler hat also eine Interesse daran,<br />

dass der Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag langfristig Bestand hat. Die drohende Gefahr der Vertragskündigung kann<br />

seine disziplinierende Wirkung allerdings nur dann entfalten, wenn der Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag überhaupt<br />

kündbar ist.<br />

■ Bei Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen hängt die Ents<strong>ch</strong>ädigung der Makler im Gegensatz zu Bestandes-<br />

Courtagen ni<strong>ch</strong>t von der Laufzeit des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags ab. Deshalb ist zu erwarten, dass der Interes-<br />

senskonflikt bei Produktteilmärkten, bei wel<strong>ch</strong>en in erster Linie Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen ausges<strong>ch</strong>üttet wer-<br />

den, akzentuiert auftritt. Dies ist konsistent mit der Tatsa<strong>ch</strong>e, dass im Berei<strong>ch</strong> der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>e-<br />

rungen und Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen akzentuiert opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten der Versi<strong>ch</strong>erungsvermitt-<br />

ler auftritt.<br />

■ Au<strong>ch</strong> Superprovisionen, bei wel<strong>ch</strong>en die Makler abhängig vom Prämienvolumen oder vom Wa<strong>ch</strong>stum<br />

desselben ents<strong>ch</strong>ädigt wird, dürften den Interessenskonflikt akzentuieren. Denn diese entfalten für den<br />

Makler einen Anreiz, einen mögli<strong>ch</strong>st hohen Anteil seines Prämienvolumens bei einem einzige VU zu kon-<br />

zentrieren. Allerdings muss an dieser Stelle klargestellt werden, dass es si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei den Bestandes-<br />

Courtagen um ein volumenabhängiges Ents<strong>ch</strong>ädigungsinstrument handelt. Dies deshalb, weil Makler mit<br />

einem grossen Volumen bessere Courtagen-Prozentsätze erhalten als Makler, die nur über ein kleines<br />

Prämienvolumen verfügen. Insofern unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> die Bestandes-Courtage im Jahr t von Contingent<br />

Commissions im Jahr t einzig dadur<strong>ch</strong>, dass der volumenabhängige Teil der Bestandes-Courtage auf dem<br />

Prämienvolumen des Jahres t-1 kalkuliert wird, die Contingent Commission allerdings auf der Basis des im<br />

laufenden Jahr t realisierten Prämienvolumens.<br />

Mögli<strong>ch</strong>keiten, die Auswirkungen des Interessenskonflikt einzudämmen<br />

Grundsätzli<strong>ch</strong> gibt es drei Mögli<strong>ch</strong>keiten, die Auswirkungen des Interessenskonflikts zu minimieren oder<br />

diese sogar vollständig zu verni<strong>ch</strong>ten:<br />

■ Verbesserung der Kündigungsmögli<strong>ch</strong>keiten (Art. 51-56 E-<strong>VVG</strong>).<br />

■ Erhöhung der Transparenz bezügli<strong>ch</strong> der Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Alternativszenario 1)<br />

■ Regulierung: Verbot von Ents<strong>ch</strong>ädigungsinstrumenten (Alternativszenario 2) oder vollständige Unter-<br />

bindung der Ents<strong>ch</strong>ädigung der Makler dur<strong>ch</strong> die VU (Regulierungsszenario).<br />

303


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

14.4.3 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse der vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanäle<br />

Im Wesentli<strong>ch</strong>en können fünf Vertriebskanäle, bei wel<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler involviert sind, diffe-<br />

renziert werden:<br />

■ Angestellte Versi<strong>ch</strong>erungsagenten (direct writers)<br />

■ Selbständige Versi<strong>ch</strong>erungsagenten (exclusive agents)<br />

■ Klassis<strong>ch</strong>e Makler/Broker (mit Interessenskonflikt)<br />

■ Maklerpools (mit Interessenskonflikt)<br />

■ Honorarmakler: Makler/Broker ohne Interessenskonflikt<br />

Im folgenden werden wir im Rahmen einer ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse darlegen, zu wel<strong>ch</strong>en Marktergebnis-<br />

sen die vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanäle führen, wobei wir reine Märkte untersu<strong>ch</strong>en, in wel<strong>ch</strong>en es jeweils<br />

nur einen Vertriebskanal gibt.<br />

14.4.3.1 Der Vertrieb über angestellte Versi<strong>ch</strong>erungsagenten<br />

Werden die Versi<strong>ch</strong>erungsprodukte nur über angestellte Versi<strong>ch</strong>erungsagenten vertrieben, müssen si<strong>ch</strong><br />

die VN selbständig über die Angebote der vers<strong>ch</strong>iedenen VU informieren. Denn die angestellten Agenten<br />

informieren jeweils nur über die Produkte des eigenen VU. Die VN sind deshalb einem Su<strong>ch</strong>kostenoptimie-<br />

rungsproblem ausgesetzt, wie es in Abs<strong>ch</strong>nitt 14.4.2.2 vorgestellt wurde. Die beiden VU stehen zueinan-<br />

der in Konkurrenz – zum einen bezügli<strong>ch</strong> der Produktpreise, so dass sie die Kosten minimieren müssen,<br />

zum anderen bezügli<strong>ch</strong> der Produktsortiments, das sie bezügli<strong>ch</strong> der Bedürfnisse der VN optimieren.<br />

Abbildung 10: Vertrieb über angestellte Versi<strong>ch</strong>erungsagenten<br />

VU1<br />

Angestellte<br />

Agenten<br />

des VU1<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

VN<br />

VU2<br />

Angestellte<br />

Agenten<br />

des VU2<br />

14.4.3.2 Der Vertrieb über selbständige Versi<strong>ch</strong>erungsagenten<br />

Wenn der Vertrieb über selbständige Versi<strong>ch</strong>erungsagenten organisiert ist, entsteht im Verglei<strong>ch</strong> zum<br />

Vertrieb über angestellte Agenten eine zusätzli<strong>ch</strong>e Wettbewerbsdimension: Die VU konkurrenzieren si<strong>ch</strong><br />

um die Dienste der besten selbständigen Versi<strong>ch</strong>erungsagenten. Die Agenturverträge, wel<strong>ch</strong>e die VU den<br />

selbständigen Agenten anbieten, werden dadur<strong>ch</strong> zu einem S<strong>ch</strong>lüsselelement des Marktes. Die VU, wel-<br />

304


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

<strong>ch</strong>e die effektivsten und effizientesten Versi<strong>ch</strong>erungsagenten an si<strong>ch</strong> binden können, werden die grössten<br />

Marktanteile realisieren können. Das Ents<strong>ch</strong>ädigungsmodell, das im Agenturvertrag spezifiziert ist, wird<br />

Auswirkungen auf das Marktergebnis haben. Denn die Konzeption des Ents<strong>ch</strong>ädigungsmodells kann die<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsagenten Anreizen aussetzen, die unerwüns<strong>ch</strong>te Auswirkungen auf das Marktergebnis ha-<br />

ben. Zum Beispiel können die VU den Verkauf von Produkten, die den hö<strong>ch</strong>sten Gewinn abwerfen, höhe-<br />

re Provisionen bezahlen, was dazu führen kann, dass die selbständigen Versi<strong>ch</strong>erungsagenten unabhängig<br />

vom Versi<strong>ch</strong>erungsbedarf der VN nur diejenigen Produkte empfehlen und verkaufen, die ihren Ertrag<br />

maximieren. Falls die Provisionen ni<strong>ch</strong>t produktspezifis<strong>ch</strong>e definiert sind bzw. über die vers<strong>ch</strong>iedenen Pro-<br />

dukte konstant sind, haben die selbständigen Versi<strong>ch</strong>erungsagenten den Anreiz, den VN das optimale<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt aus dem Produktsortiment des VU zu verkaufen, für das sie tätig sind. Wie wir im<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt 5.6.3 ausgeführt haben, ist dieser Tatbestand allerdings ni<strong>ch</strong>t erfüllt: Die Provisionen, wel<strong>ch</strong>e die<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsagenten erhalten, sind produktspezifis<strong>ch</strong> definiert.<br />

Abbildung 11: Vertrieb über selbständige Versi<strong>ch</strong>erungsagenten<br />

VU1<br />

Selbständige<br />

Agenten<br />

des VU1<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

VU2<br />

Agenturvertrag Agenturvertrag<br />

VN<br />

Selbständige<br />

Agenten<br />

des VU2<br />

14.4.3.3 Der Vertrieb über klassis<strong>ch</strong>e Makler und Broker<br />

Die klassis<strong>ch</strong>en Makler und Broker sind ni<strong>ch</strong>t nur dem Anreizrahmen eines einzigen VU, sondern den An-<br />

reizen mehrerer VU ausgesetzt. Die VU stehen zueinander im Wettbewerb: ni<strong>ch</strong>t nur bezügli<strong>ch</strong> Preis und<br />

Qualität ihrer Produkte, sondern au<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong> der Provisionen, die sie den klassis<strong>ch</strong>en Maklern gewäh-<br />

ren. Dasjenige VU, das die hö<strong>ch</strong>ste Provision anbietet, löst bei den klassis<strong>ch</strong>en Maklern den Anreiz aus,<br />

seinen Kunden Produkte dieses VU zu empfehlen und zu verkaufen.<br />

Aus diesem Grund werden die VU in erster Linie einen Provisionswettbewerb führen. Dieser Provisions-<br />

wettbewerb führt dazu, dass die Provisionen im Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t sehr ho<strong>ch</strong> sind, da si<strong>ch</strong> die VU bezüg-<br />

305


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

li<strong>ch</strong> der gewährten Provisionen gegenseitig überbieten. Dieser Tatbestand gilt insbesondere für den Be-<br />

rei<strong>ch</strong> der Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erungen und der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen, wo hohe Abs<strong>ch</strong>lussprovisio-<br />

nen verbreitet sind. Die VU stehen allerdings na<strong>ch</strong> wie vor in einem Kostenwettbewerb zueinander. Dieser<br />

Kostenwettbewerb wird allerdings nur geführt, um höhere Provisionen bezahlen zu können. Denn dasje-<br />

nige VU, das zu den tiefsten Kosten produziert, kann au<strong>ch</strong> die hö<strong>ch</strong>sten Provisionen gewähren. Cummins<br />

Doherty (2006) haben für den amerikanis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt empiris<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>gewiesen, dass fast<br />

100% der Provisionen, wel<strong>ch</strong>e die Makler erhalten, im Produktpreis, den die VN zu bezahlen haben, ent-<br />

halten sind. Dieses Ergebnis impliziert, dass der Provisionswettbewerb unter den VU letztli<strong>ch</strong> zu höheren<br />

Produktpreisen führt, wel<strong>ch</strong>e die VN zu bezahlen haben. Der Provisionswettbewerb führt allerdings au<strong>ch</strong><br />

dazu, dass si<strong>ch</strong> das effizienteste VU auf dem Markt dur<strong>ch</strong>setzen kann, da dieses in der Lage ist, die hö<strong>ch</strong>s-<br />

ten Provisionen anzubieten. In diesem Sinne können hohe Provisionen als Signal für die Effizienz eines VU<br />

interpretiert werden (Bentz 2001).<br />

Ein besondere Situation ergibt si<strong>ch</strong>, wenn alle VU die glei<strong>ch</strong>en Bestandes-Courtagen anbieten. In diesem<br />

Fall ist der Gewinn der klassis<strong>ch</strong>en Makler maximal, wenn sie das teuerste Produkt des teuersten VU emp-<br />

fehlen und verkaufen. In diesem Fall liegt also ein Marktversagen vor.<br />

Abbildung 12: Der Vertrieb über klassis<strong>ch</strong>e Makler<br />

VU1<br />

Klassis<strong>ch</strong>er<br />

Makler A<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

Provision<br />

VN<br />

VU2<br />

Klassis<strong>ch</strong>er<br />

Makler B<br />

14.4.3.4 Der Vertrieb über Maklerpools<br />

Aus einer ökonomis<strong>ch</strong>en Perspektive verändert die Verfügbarkeit von Maklerpools den Vertrieb über klas-<br />

sis<strong>ch</strong>e Makler ni<strong>ch</strong>t wesentli<strong>ch</strong>: Denn die Makler, die einem Maklerpool anges<strong>ch</strong>lossen sind, können als<br />

Angestellte eines einzigen klassis<strong>ch</strong>en Maklerunternehmens interpretiert werden. Die Verfügbarkeit von<br />

Maklerpools führt im Verglei<strong>ch</strong> zum Vertrieb über klassis<strong>ch</strong>e Makler zu zwei Veränderungen:<br />

■ Die Verfügbarkeit von Maklerpools führt tendenziell dazu, dass die klassis<strong>ch</strong>en Makler bei den VU alle<br />

etwa die glei<strong>ch</strong>en Konditionen antreffen.<br />

306


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

■ Die Transaktionskosten der klassis<strong>ch</strong>en Makler sinken, weil die Maklerpools aufgrund von positiven<br />

Skaleneffekten Teile der Werts<strong>ch</strong>öpfungskette, die von den Maklern erbra<strong>ch</strong>t werden, zu geringeren Kos-<br />

ten übernehmen können.<br />

14.4.3.5 Der Vertrieb über Honorarmakler<br />

Der Vertrieb über Honorarmakler unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> vom Vertrieb über klassis<strong>ch</strong>e Makler und Broker ein-<br />

zig dadur<strong>ch</strong>, dass die Honorarmakler im Gegensatz zu den klassis<strong>ch</strong>en Maklern von ihren Kunden, also<br />

von den VN, im Rahmen eines vereinbarten Honorars ents<strong>ch</strong>ädigt werden. Das Honorar ist abhängig vom<br />

Arbeitsaufwand, der mit dem Maklermandat verbunden ist. Beim Vertrieb über Honorarmakler handelt es<br />

si<strong>ch</strong> um das Modell, das mit Art. 68 E-<strong>VVG</strong> vorges<strong>ch</strong>lagen wird.<br />

In diesem Modell gibt es einen Kostenwettbewerb unter den VU: Dasjenige VU mit den tiefsten Kosten<br />

kann die tiefsten Nettoprämien anbieten und kann so den grössten Marktanteil realisieren. Der Wettbe-<br />

werb zwis<strong>ch</strong>en den Honorarmaklern wird über das Honorar und die Reputation geführt.<br />

Abbildung 13: Der Vertrieb über Honorarmakler<br />

VU1<br />

Klassis<strong>ch</strong>er<br />

Makler A<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

VN<br />

Honorar<br />

VU2<br />

Klassis<strong>ch</strong>er<br />

Makler B<br />

14.5 Analyse des Alternativszenario 1<br />

Da das Regulierungsszenario eine Erweiterung des Alternativszenario darstellt, analysieren wir es zuerst.<br />

Im Zentrum des Alternativszenario 1 steht Art. 45 Abs. 1 ter E-<strong>VVG</strong>, der besagt, dass ungebundene Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvermittler den VN bei der ersten Kontaktaufnahme über die Art, Höhe und Bere<strong>ch</strong>nung der Ent-<br />

s<strong>ch</strong>ädigungen informieren müssen, die sie von den VU erhalten.<br />

Bezügli<strong>ch</strong> der Auswirkungen dieser Regulierung sind drei allgemeine Bemerkungen notwendig:<br />

307


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

■ Art. 45 Abs. 1 ter<br />

E-<strong>VVG</strong> betrifft nur die ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> die gebun-<br />

denen. Die Transparenz-Vors<strong>ch</strong>rift wird deshalb im Privatkundenmarkt nur in sehr bes<strong>ch</strong>ränktem Ausmass<br />

eine Wirkung entfalten können, da der Marktanteil der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler im B2C-Markt relativ tief ist<br />

(vgl. Ausführungen im Abs<strong>ch</strong>nitt 5.6.1.1).<br />

■ Die Wirkung der Transparenz-Vors<strong>ch</strong>rift ist sehr stark davon abhängig, in wel<strong>ch</strong>em Detaillierungsgrad<br />

die Makler und Broker der neuen Informationspfli<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>kommen werden. Müssen die ungebundenen<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler z.B. für alle VU, mit wel<strong>ch</strong>en sie Zusammenarbeitsvereinbarungen haben, und für<br />

alle Bran<strong>ch</strong>en oder sogar für alle Produkte Art, Höhe und Bere<strong>ch</strong>nung der Ents<strong>ch</strong>ädigungen informieren?<br />

Was ist unter Höhe zu verstehen? Ein Prozentsatz oder ein absoluter Betrag?<br />

■ Art. 45 Abs. 1 ter<br />

E-<strong>VVG</strong> statuiert eine Informationspfli<strong>ch</strong>t beim ersten Kontakt zwis<strong>ch</strong>en dem ungebun-<br />

denen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler und dem VN. Gerade im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft findet die Beratung und<br />

der Kaufents<strong>ch</strong>eid der VN jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t im Rahmen des ersten Kontakts statt. Präsentiert ein Broker seinem<br />

Kunden erst zur einem späteren Zeitpunkt einen Verglei<strong>ch</strong> der in Frage kommenden Versi<strong>ch</strong>erungspro-<br />

dukten, so ist der Vermittler mit Art. 45 Abs. 1 ter ni<strong>ch</strong>t verpfli<strong>ch</strong>tet, konkret darüber zu informieren, wel-<br />

<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>ädigungen mit den evaluierten Produkten verbunden sind. Da der Kaufents<strong>ch</strong>eid des VN in der<br />

Regel au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t im Rahmen der ersten Kontaktaufnahme erfolgt, ist der ungebundene Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

vermittler ni<strong>ch</strong>t einmal verpfli<strong>ch</strong>tet, für das eingekaufte Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt auszuweisen, wel<strong>ch</strong>e Ent-<br />

s<strong>ch</strong>ädigungen er vom betreffenden VU erhält 80 .<br />

14.5.1 Analyse der Auswirkungen<br />

Wir gehen im Folgenden davon aus, dass die Makler und Broker derart über ihre Ents<strong>ch</strong>ädigungen infor-<br />

mieren müssen, dass der VN den Preis der Dienstleistung, die ihm der Makler bzw. Broker anbietet, ein-<br />

s<strong>ch</strong>ätzen kann. Unter dieser Annahme dürfte die Transparenz-Vors<strong>ch</strong>rift zu folgenden Auswirkungen<br />

führen:<br />

■ Direkte Kosten der Transparenz-Vors<strong>ch</strong>rift: Die mündli<strong>ch</strong>e und s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>e Information der Broker<br />

über ihre Ents<strong>ch</strong>ädigungen führt zu geringfügigen zusätzli<strong>ch</strong>en Transaktionskosten, deren Höhe als ver-<br />

na<strong>ch</strong>lässigbar zu bewerten sind.<br />

■ Reduktion der negativen Auswirkungen des Interessenskonflikts: Da die ungebundenen Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvermittler transparent über ihre Ents<strong>ch</strong>ädigung dur<strong>ch</strong> die VU informieren müssen, steigt das<br />

Bewusstsein der VN, dass die Makler bzw. Broker einem Interessenskonflikt unterliegen. Sie werden ge-<br />

genüber den Empfehlungen ihres Makler bzw. Broker misstrauis<strong>ch</strong>er, was eine Präventivwirkung entfaltet:<br />

Das Risiko, dass der VN opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten des Maklers erkennen kann, steigt. Dadur<strong>ch</strong> sinkt der<br />

erwartete Ertrag von opportunistis<strong>ch</strong>em Verhalten. Die Reduktion der negativen Auswirkungen des Inter-<br />

essenskonflikts führt zu einer Erhöhung der Konsumentenrenten.<br />

■ Intensivierung des Preiswettbewerbs: Da der Preis der Dienstleistung des Brokers neu thematisiert<br />

werden muss, ist zum einen zu erwarten, dass der Preisdruck auf die Broker steigt: Rationale VN werden<br />

beginnen, den Preis zu verhandeln. Zum anderen dürfte die Transparenz unter den Brokern zu einer Inten-<br />

sivierung des Preiswettbewerbs führen. Der stärkere Preiswettbewerb wird die Transaktionskosten senken<br />

und den Preis der Dienstleistung der Broker reduzieren. Eine Erhöhung der Konsumentenrenten und eine<br />

Reduktion der Renten der Broker sind das Resultat.<br />

■ Rückgang des Marktvolumens bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen: Die VN werden ni<strong>ch</strong>t bereit sein,<br />

die hohen Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen von Maklern bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen zu bezahlen. Das Prämienvo-<br />

80 Diese Interpretation ist allerdings inadäquat, wenn Art. 45 1 ter E-VAG in Zusammenhang mit Art. 68 E-<strong>VVG</strong> gelesen wird. Art. 45<br />

1 ter E-VAG müsste konkretisiert werden, wenn Art. 68 E-<strong>VVG</strong> gestri<strong>ch</strong>en werden sollte.<br />

308


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

lumen bei den Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen, die von Maklern verkauft wurden, wird deshalb erwartungs-<br />

gemäss abnehmen.<br />

■ Veränderung der Marktanteile der Vertriebskanäle im Privatkundenmarkt: Die Sensibilisierung<br />

der VN bezügli<strong>ch</strong> der Kosten eines Versi<strong>ch</strong>erungsbrokers, wird VN mit tiefen Su<strong>ch</strong>kosten dazu veranlassen,<br />

über einen direkten Einkauf na<strong>ch</strong>zudenken, um die Kosten eines Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers einsparen zu<br />

können. Deshalb ist zu erwarten, dass die Bedeutung des Direktvertriebs steigen wird, wenn die VN den<br />

Preis der Dienstleistung der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler kennen. Dadur<strong>ch</strong> werden die Kosten des Vertriebs sin-<br />

ken, was si<strong>ch</strong> in tieferen Prämien nieders<strong>ch</strong>lagen wird.<br />

In Tabelle 67 und Tabelle 68 sind die erwarteten Auswirkungen im Überblick dargestellt – sowohl für<br />

das Privatkundenges<strong>ch</strong>äft als au<strong>ch</strong> für das Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft. Sie zeigen, dass eine Transparenz-<br />

Vors<strong>ch</strong>rift bezügli<strong>ch</strong> der Ents<strong>ch</strong>ädigung der Makler und Broker aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t wün-<br />

s<strong>ch</strong>enswert ist.<br />

Tabelle 67: Transparenz der Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Alternativszenario 1):<br />

Die Auswirkungen im Überblick – Teil 1<br />

Auswirkungen auf die Kosten +<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Transaktionskosten +<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten +<br />

Abwicklungskosten<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Änderungs- & Anpassungskosten<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN) +<br />

Informationsdefizite der VN +<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI & VU +<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI) +<br />

Ex ante Opportunismus der VI +<br />

Beratungsqualität +<br />

Qualität der VI +<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU) -<br />

Ex post Opportunismus der VU<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

+ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

+/Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

+ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Reduktion der Abs<strong>ch</strong>lusskosten aufgrund: (1) Intensivierter<br />

Preiswettbewerb unter den VI; (2) Bes<strong>ch</strong>leunigung des Wa<strong>ch</strong>stums des Direktvertriebs aufgrund<br />

der Sensibilisierung der VN bezügli<strong>ch</strong> der Kosten der Versi<strong>ch</strong>erungsberatung<br />

+ Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: Verstärkter Preiswettbewerb unter den Brokern infolge erhöhter<br />

Preistransparenz<br />

Transparenz bezügli<strong>ch</strong> des Preises der Dienstleistung der Broker und Makler und damit bezügli<strong>ch</strong><br />

des Preises der Versi<strong>ch</strong>erungsberatung und der beiden Beraterkanäle im Allgemeinen<br />

+ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Reduktion des Interessenskonflikts<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft, + Kleinstkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

+ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Reduktion des Interessenskonflikts<br />

+ Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft, Reduktion des Interessenkonflikts, der in erster Linie im Ges<strong>ch</strong>äft mit<br />

Kleinstunternehmen zu negativen Auswirkungen führen dürfte<br />

Andere Verhaltensanpassungen - Gefahr versteckter Ents<strong>ch</strong>ädigungen der VU an die Makler und Broker<br />

309


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

Tabelle 68: Transparenz der Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Alternativszenario 1):<br />

Die Auswirkungen im Überblick – Teil 2<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids +<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

Produktqualität +<br />

Vertragsrisiken des VN +<br />

Vertragsrisiken des VU<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen +<br />

Adverse Selektion<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb +<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t +<br />

Prämienvolumen ����<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ����<br />

Prämienhöhe ����<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ����<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ����<br />

Instabilität des Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt<br />

Legende: vgl. Seite 76<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

14.5.2 Normative Analyse<br />

Ein VN hat im Wesentli<strong>ch</strong>en drei Mögli<strong>ch</strong>keiten, seine Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung einzukaufen:<br />

■ Einkauf über einen gebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler<br />

■ Einkauf über einen ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler<br />

■ Einkauf über den Direktvertrieb (Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Internet, Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: Inhouse-<br />

Broker)<br />

+<br />

+<br />

+ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: (1) Reduktion von S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung; (2) Prämienreduktionen; (3)<br />

Optimierte Wahl des Vertriebskanals<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft, + im Ges<strong>ch</strong>äft mit Kleinstunternehmen<br />

+ Privatkundenmarkt: Makler empfehlen keine Produkte mehr, die Eigens<strong>ch</strong>aften aufweisen,<br />

die ni<strong>ch</strong>t den Präferenzen der VN entspre<strong>ch</strong>en (Beispiel: Produkte mit hohen Abs<strong>ch</strong>lusskosten)<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

+ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Risiko der S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung sinkt<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: + Reduktion des Interessenskonflikts im Ges<strong>ch</strong>äft mit<br />

Kleinstunternehmen<br />

Erhöhte Transparenz bezügli<strong>ch</strong> des Preises der Beratungsleistung der Makler und Broker<br />

intensiviert den Preiswettbewerb unter den VI und unter den Vertriebskanälen<br />

+ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Reduktion des Prämienvolumens in der Bran<strong>ch</strong>e "Einzelleben"<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

���� Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Abfluss von Sparkapitalien an die Banken<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung des Marktvolumens<br />

���� Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: (1) Reduktion der Abs<strong>ch</strong>lusskosten; (2) Reduktion von<br />

Opportunitätsprämien<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: ���� Grössere Unternehmen; ���� Kleinst- und Kleinunternehmen<br />

(Quersubventionierung unter dem geltenden <strong>VVG</strong>)<br />

���� Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Reduktion der Anzahl Sparversi<strong>ch</strong>erungsverträge<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

���� Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Abfluss von Sparkapitalien an die Banken<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken<br />

Renten der VN +<br />

+ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: (1) Nutzenoptimalere Kaufents<strong>ch</strong>eide; (2) Reduktion der<br />

Abs<strong>ch</strong>lusskosten; (3) Reduktion von Opportunitätsprämien<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

- Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: (1) Reduktion der Abs<strong>ch</strong>lusskosten; (2) Reduktion von<br />

Renten der VI -<br />

Opportunitätsprämien; (3) Verstärkter Preiswettbewerb unter den VI<br />

- Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: (1) Verstärker Preiswettbewerb unter den Brokern; (2) Reduktion<br />

von Opportunitätsprämien im Ges<strong>ch</strong>äft mit Kleinstunternehmen<br />

- Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: (1) Reduktion des Marktvolumens, insbesondere im Berei<strong>ch</strong> Leben; (2)<br />

Renten der VU - Reduktion von Opportunitätsprämien<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Renten anderer Produzenten + Sparprodukte der Banken gewinnen Marktanteile<br />

Um ents<strong>ch</strong>eiden zu können, wel<strong>ch</strong>er Einkaufskanal für ihn optimal ist, muss der VN den Preis<br />

der vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanäle kennen. Konkret muss er wissen, was die Dienstleistung des ge-<br />

bundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers und die Dienstleistung des ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers<br />

310


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

kostet. Ansonsten ist es für den VN unmögli<strong>ch</strong>, bezügli<strong>ch</strong> der Wahl des Vertriebskanals einen nutzenma-<br />

ximierenden Kaufents<strong>ch</strong>eid fällen. Insbesondere im Privatkundenmarkt stellt die Versi<strong>ch</strong>erungsberatung<br />

einen «Added Value» dar, der den Risikotransfer – das eigentli<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt – er-<br />

gänzt, aber keinesfalls konstituierender Bestandteil desselben ist. Die Existenz des Direktvertriebs ma<strong>ch</strong>t<br />

deutli<strong>ch</strong>, dass es si<strong>ch</strong> bei der Versi<strong>ch</strong>erungsberatung um ein eigenständiges Produkt handelt, dessen Preis<br />

der VN kennen muss, damit er einen nutzenmaximalen Kaufents<strong>ch</strong>eid (Wahl des Vertriebskanals) fällen<br />

kann. Da si<strong>ch</strong> die VN bezügli<strong>ch</strong> ihrer Su<strong>ch</strong>kosten und bezügli<strong>ch</strong> ihrer Bedürfnisse unters<strong>ch</strong>eiden, ist die<br />

Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft derselben für diesen Added Value – die Versi<strong>ch</strong>erungsberatung – unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong><br />

ho<strong>ch</strong>. Aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t kommt es einer Vers<strong>ch</strong>wendung von knappen Ressourcen glei<strong>ch</strong>, wenn ein<br />

VN, dessen Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft den Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsberatung ni<strong>ch</strong>t deckt, si<strong>ch</strong> denno<strong>ch</strong> von ei-<br />

nem Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler beraten lässt. Nur wenn der VN den Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsberatung kennt,<br />

kann eine sol<strong>ch</strong>e Vers<strong>ch</strong>wendung von Ressourcen verhindert werden.<br />

Vor diesem Hintergrund ist es aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert, dass ni<strong>ch</strong>t nur die un-<br />

gebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, sondern au<strong>ch</strong> die gebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler über ihre<br />

Ents<strong>ch</strong>ädigung dur<strong>ch</strong> die VU informieren müssen. Eine Transparenz-Vors<strong>ch</strong>rift, die au<strong>ch</strong> die gebun-<br />

denen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler umfasst, ist aus vers<strong>ch</strong>iedenen Gründen wüns<strong>ch</strong>enswert:<br />

■ Die gebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler halten im Privatkundenmarkt einen Marktanteil von mindes-<br />

tens 80 Prozent. Der Wirkungsradius einer Transparenz-Vors<strong>ch</strong>rift, der nur die ungebundenen Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvermittler unterliegen, ist dementspre<strong>ch</strong>end bes<strong>ch</strong>ränkt.<br />

■ Au<strong>ch</strong> die gebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler sind einem Interessenskonflikt ausgesetzt. Dies gilt ni<strong>ch</strong>t<br />

nur für die Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und Strukturbetriebe. Einem Interessenskonflikt sind au<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsagenten ausgesetzt. Da zwis<strong>ch</strong>en ihnen und den VN eine Vertrauensbeziehung besteht, haben sie –<br />

wie wir bereits ausgeführt haben – ni<strong>ch</strong>t das Re<strong>ch</strong>t, den VN unabhängig von deren Präferenzen und Ei-<br />

gens<strong>ch</strong>aften Produkte zu verkaufen, die ni<strong>ch</strong>t zum Vorteil der VN sind.<br />

■ Empiris<strong>ch</strong>e Evidenz bezügli<strong>ch</strong> opportunistis<strong>ch</strong>em Verhalten von Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern betrifft zum<br />

grössten Teil ni<strong>ch</strong>t ungebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, sondern gebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler.<br />

14.6 Analyse des Regulierungsszenario<br />

14.6.1 Analyse der Auswirkungen<br />

Art. 68 E-<strong>VVG</strong> stellt einen komplexen Regulierungseingriff dar, dessen Auswirkungen sehr stark vom Ver-<br />

halten der VU abhängen. Insbesondere stellt si<strong>ch</strong> die Frage, ob die VU den Versi<strong>ch</strong>erungsbroker weiterhin<br />

Provisionen auszahlen oder aber jegli<strong>ch</strong>e Zahlungen an die Broker einstellen würden. Aus diesem Grund<br />

analysieren wir die Auswirkungen von Art. 68 im Folgenden im Rahmen von zwei Szenarien:<br />

■ Szenario 1 – Statis<strong>ch</strong>e Analyse: Dieses Szenario dürfte kurzfristig das adäquate sein. Die VU ents<strong>ch</strong>ä-<br />

digen die Makler und Broker weiterhin mittels Provisionen, wobei die Höhe der Ents<strong>ch</strong>ädigung den Ver-<br />

hältnissen im Status Quo entspri<strong>ch</strong>t.<br />

■ Szenario 2 – Dynamis<strong>ch</strong>e Analyse: Längerfristig dürfte das statis<strong>ch</strong>e Szenario ni<strong>ch</strong>t adäquat sein, da<br />

damit gere<strong>ch</strong>net werden muss, dass Art. 68 E-<strong>VVG</strong> auf dem Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt dynamis<strong>ch</strong>e Entwicklun-<br />

gen auslösen wird.<br />

311


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

14.6.1.1 Szenario 1 – Statis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

Die Auswirkungen von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> auf die Bedeutung der vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanäle hängt von<br />

folgenden Faktoren ab:<br />

■ Nutzen des Honorarmaklers bzw. Honorarbrokers für den VN: Der Nutzen des Honorarmaklers<br />

für den VN hängt von folgenden Kriterien ab:<br />

- Komplexität des Versi<strong>ch</strong>erungsprodukts: Je komplexer ein Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt ist, desto höher<br />

sind die Su<strong>ch</strong>kosten, die der VN aufwenden muss, um si<strong>ch</strong> über die am Markt verfügbaren Pro-<br />

dukte zu informieren. Der Wert des Honorarmaklers für den VN steigt deshalb mit der Komplexi-<br />

tät des Versi<strong>ch</strong>erungsprodukts.<br />

- Heterogenität der VN: Je heterogener die VN sind, desto höher sind die Su<strong>ch</strong>kosten, wel<strong>ch</strong>e die<br />

VN aufwenden müssen, um den optimalen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag aufzufinden. Der Wert des Ho-<br />

norarmaklers steigt deshalb mit zunehmender Heterogenität der VN.<br />

- Identifikation des Versi<strong>ch</strong>erungsbedarfs: Je s<strong>ch</strong>wieriger es für einen VN ist, seinen Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

bedarf zu bestimmen, desto grösser ist für diesen VN der Nutzen eines Honorarmaklers.<br />

■ Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft des VN bezügli<strong>ch</strong> der Dienstleistung des Honorarmaklers<br />

■ Preis der Dienstleistung des Honorarmaklers<br />

Zu diesen drei Faktoren lässt si<strong>ch</strong> Folgendes sagen:<br />

■ Alle diese drei Faktoren sind abhängig vom Produktmarkt und vom Kundensegment, weshalb die Aus-<br />

wirkungen für die vers<strong>ch</strong>iedenen Teilmärkte untersu<strong>ch</strong>t werden müssen.<br />

■ Der Nutzen der Makler und Broker für den VN wird von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t grundlegend verändert.<br />

Tendenziell wird der Nutzen jedo<strong>ch</strong> erhöht, da die Beratungsqualität infolge der Reduktion des Interes-<br />

senskonflikts steigen wird.<br />

■ Der Preis der Dienstleistung des Honorarmaklers könnte si<strong>ch</strong> aufgrund von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> verän-<br />

dern. Wir gehen von der statis<strong>ch</strong>en Annahme aus, dass der Preis der Dienstleistung der Makler und Broker<br />

von Art. 68 unberührt bleibt, was bedeutet, dass der Aufwand der Makler und Broker den Ents<strong>ch</strong>ädigun-<br />

gen entspri<strong>ch</strong>t, die sie heute von den VU erhalten. Wir gehen also davon aus, dass es keine Rückzahlung<br />

der Makler und Broker an ihre Kunden gibt, da der Aufwand gerade dem Provisionsertrag entspri<strong>ch</strong>t.<br />

Die VN haben unter dem geltenden <strong>VVG</strong> implizit eine bestimmte Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft bezügli<strong>ch</strong> der<br />

Dienstleistung der Makler und Broker. Diese Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft entspri<strong>ch</strong>t dem Provisionsertrag der<br />

Makler, den die VN indirekt finanzieren. Es muss davon ausgegangen werden, dass Art. 68 die Zah-<br />

lungsbereits<strong>ch</strong>aft der VN im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft reduzieren würde. Aus folgenden Gründen:<br />

■ Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft nur für den added value aus Si<strong>ch</strong>t des VN: Aufgrund von ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

Überlegungen muss davon ausgegangen werden, dass der Provisionsertrag der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker und<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsmakler dem Wert entspri<strong>ch</strong>t, den ihre Dienstleistung für die VU haben. Der VN aber bewer-<br />

tet die Dienstleistung seines Brokers ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> dem Nutzes des Broker für das VU, sondern na<strong>ch</strong> dem<br />

Wert, den die Dienstleistung des Brokers für ihn selbst hat. Dieser Wert ist jedo<strong>ch</strong> in der Regel geringer als<br />

der Wert, den die Dienstleistung des Brokers für die VU hat. Dieser S<strong>ch</strong>luss ist deshalb naheliegend, weil<br />

der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker mit seiner Provision sowohl seine Werts<strong>ch</strong>öpfung für den VN als au<strong>ch</strong> seine<br />

Werts<strong>ch</strong>öpfung für das VU finanzieren muss. Da die VN ihrem Broker die Werts<strong>ch</strong>öpfung, die dieser ge-<br />

genüber dem VU erbringt, ni<strong>ch</strong>t anre<strong>ch</strong>nen, dürfte die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft der VN sinken.<br />

■ Opportunitätskostenanomalie: Für ein rationales Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekt ist es irrelevant, ob Kosten in<br />

Form von Geldausgaben oder in anderer Form auftreten. Dies ist in der Realität jedo<strong>ch</strong> oft ni<strong>ch</strong>t so: «Wer<br />

in einem bereits abbezahlten Haus wohnt, tendiert oft dazu, die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en anfallenden Wohnungskosten niedriger<br />

312


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

zu bewerten, als wenn er monatli<strong>ch</strong> eine Miete zahlen muss.» (S<strong>ch</strong>äfer und Ott 2005, 67). Dur<strong>ch</strong> Art. 68 E-<strong>VVG</strong><br />

werden die Provisionserträge der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker aus Si<strong>ch</strong>t der VN zu direkten Geldausgaben. Die<br />

Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft wird deshalb sinken.<br />

Diese Phänomene der bes<strong>ch</strong>ränkten Rationalität dürften nur im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft und im Ges<strong>ch</strong>äft mit<br />

Kleinstunternehmen zum Tragen kommen, ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> bei Firmenkunden mit mehr als rund 10 Bes<strong>ch</strong>äf-<br />

tigten. Denn deren Umgang mit dem Einkauf von Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ist bei diesen von Rationalität<br />

geprägt.<br />

Vor dem Hintergrund dieser Annahmen können die Auswirkungen von Artikel 68 E-<strong>VVG</strong> auf die Bedeu-<br />

tung der gebundenen und ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler nun für die einzelnen Kundensegmen-<br />

te und Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en ausgewiesen werden. Die Ergebnisse sind in Tabelle 69 dargestellt. Diese<br />

ist folgendermassen aufgebaut:<br />

■ In den Spalten sind die vers<strong>ch</strong>iedenen Teilmärkte dargestellt. Die Kundensegmente sind B2C (Business<br />

to Consumer), B2K (Ges<strong>ch</strong>äft mit Kleinstunternehmen) und B2B (Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft exkl. das Seg-<br />

ment der Kleinstunternehmen).<br />

■ In den Zeilen 1-3 werden die wesentli<strong>ch</strong>en Produkteigens<strong>ch</strong>aften ausgewiesen.<br />

■ In den Zeilen 4-6 werden drei Indikatoren ausgewiesen, die den Wert eines Honorarmaklers für den VN<br />

indizieren: Je mehr «+»-Zei<strong>ch</strong>en, desto höher ist der Wert des Honorarmaklers für den VN einzus<strong>ch</strong>ätzen.<br />

■ In der Zeile 7 werden die drei Indikatoren zu einem einzigen Indikator verdi<strong>ch</strong>tet, der den Wert des<br />

Honorarmaklers für den VN indiziert. Je mehr «+»-Zei<strong>ch</strong>en, desto höher ist der Wert des Honorarmaklers<br />

für den VN einzus<strong>ch</strong>ätzen.<br />

■ Zeile 8 enthält einen Indikator zum Interessenskonflikt der klassis<strong>ch</strong>en Makler. Je mehr «-»-Zei<strong>ch</strong>en,<br />

desto stärker ist der Interessenskonflikt ausgeprägt.<br />

■ Zeile 9 zeigt die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft des VN für die Dienste eines Honorarmaklers. Dabei wird davon<br />

ausgegangen, dass der Honorarmakler eine glei<strong>ch</strong> hohe Ents<strong>ch</strong>ädigung erhält wie unter dem geltenden<br />

<strong>VVG</strong> die klassis<strong>ch</strong>en Makler erhalten. Je mehr «-»-Zei<strong>ch</strong>en, desto tiefer ist die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft des<br />

VN.<br />

■ Zeile 11 zeigt, wel<strong>ch</strong>e Vertriebsstruktur unter Art. 68 E-<strong>VVG</strong> zu erwarten ist. Zeile 11 ist in einem gewis-<br />

sen Sinne das Resultat der Zeilen 7 (Wert des Honorarmaklers für den VN) und 9 (Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft des<br />

VN): Ist der Nutzen des Honorarmaklers ho<strong>ch</strong> und die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft ho<strong>ch</strong>, dann resultiert ein Markt<br />

mit Versi<strong>ch</strong>erungsagenten und Honorarmaklern («ahm»). Ist die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft hingegen tief und<br />

der Nutzen tief, resultiert ein Markt ohne Honorarmakler, in dem nur no<strong>ch</strong> Versi<strong>ch</strong>erungsagenten tätig<br />

sind («a»).<br />

■ Die Zeilen 12-14 zeigen, mit wel<strong>ch</strong>em Marktvolumen in Abhängigkeit der Vertriebsstruktur zu re<strong>ch</strong>nen<br />

ist.<br />

■ Die Zeile 15 zeigt, mit wel<strong>ch</strong>er Veränderung des Marktvolumens bzw. der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ge-<br />

re<strong>ch</strong>net werden muss, wenn Art. 68 E-<strong>VVG</strong> umgesetzt wird.<br />

Ehe wir die Ergebnisse kommentieren, mö<strong>ch</strong>ten wir no<strong>ch</strong>mals auf die Annahmen aufmerksam ma<strong>ch</strong>en,<br />

wel<strong>ch</strong>e diesen Ergebnissen zugrunde liegen:<br />

■ Annahme 1: Der VU zahlen den Maklern und Brokern au<strong>ch</strong> unter Art. 68 E-<strong>VVG</strong> Provisionen aus – im<br />

glei<strong>ch</strong>en Umfang wie unter dem geltenden <strong>VVG</strong>.<br />

■ Annahme 2: Der Preis der Dienstleistung der Makler und Broker verharrt auf dem Preisniveau, wie es<br />

heute unter dem geltenden <strong>VVG</strong> gegeben ist. Das heisst: die Makler und Broker haben keinen Spielraum<br />

für die Rückzahlung von Übers<strong>ch</strong>üssen an die VN<br />

Tabelle 69 kann bezügli<strong>ch</strong> dem Privatkundenmarkt folgendermassen zusammengefasst werden:<br />

313


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

■ In den meisten Versi<strong>ch</strong>erungsbran<strong>ch</strong>en des Privatkundenmarktes würden die Versi<strong>ch</strong>erungsmakler ver-<br />

s<strong>ch</strong>winden, was auf zwei Gründe zurückzuführen ist: Zum einen würden die Kosten der Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

makler steigen, da sie unter Art. 68 E-<strong>VVG</strong> ihren Aufwand messen und mit den VN entspre<strong>ch</strong>end abre<strong>ch</strong>-<br />

nen müssten. Zum anderen würde sie si<strong>ch</strong> Umsatzeinbussen gegenübersehen, da die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft<br />

der VN aufgrund von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> sinken würde. Die betriebswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Rahmenbedingungen<br />

würden si<strong>ch</strong> für die Versi<strong>ch</strong>erungsmakler im statis<strong>ch</strong>en Szenario also merkbar vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern. Es kann<br />

davon ausgegangen werden, dass ein Teil der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler, die derzeit überhaupt im B2C-Markt<br />

aktiv sind, zu gebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler mutieren würden, um ni<strong>ch</strong>t Art. 68 E-<strong>VVG</strong> unterwor-<br />

fen zu sein.<br />

■ Besonders ausgeprägt dürften die Auswirkungen im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen sein. Die<br />

VN wären ni<strong>ch</strong>t bereit, die hohen Abs<strong>ch</strong>lusskosten zu tragen. Dies dürfte letztli<strong>ch</strong> zu einer Reduktion des<br />

Prämienvolumens im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen führen.<br />

Die Auswirkungen im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft können folgendermassen zusammengefasst werden:<br />

■ In der statis<strong>ch</strong>en Betra<strong>ch</strong>tung dürfte Art. 68 E-<strong>VVG</strong> im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft zu keinen substantiellen<br />

Veränderungen führen – ni<strong>ch</strong>t zuletzt deshalb, weil das, was von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> verlangt wird, bereits<br />

unter dem geltenden <strong>VVG</strong> stattfindet – dies gilt in besonderem Ausmass für grössere Unternehmenskun-<br />

den (vgl. Ausführungen im Abs<strong>ch</strong>nitt 5.6.4.3). Dieses zum Privatkundenges<strong>ch</strong>äft konträre Ergebnis ist auf<br />

folgende Gründe zurückzuführen:<br />

- Der Nutzen von Versi<strong>ch</strong>erungsbrokern für den VN ist im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft höher als dies im<br />

Privatkundenges<strong>ch</strong>äft der Fall ist. Dies lässt si<strong>ch</strong> darauf zurückführen, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

träge im B2B-Markt komplexer sind, dass die Bedürfnisse und Risikoexposition der VN heteroge-<br />

ner sind und dass es für die VN s<strong>ch</strong>wieriger ist, ihren Versi<strong>ch</strong>erungsbedarf zu bestimmen. Der<br />

wi<strong>ch</strong>tigste Grund jedo<strong>ch</strong> ist der, dass das Prämienvolumen eines Firmenkunden typis<strong>ch</strong>erweise<br />

höher ist als das Prämienvolumen eines Privatkunden, so dass die «Inter-Optimierung» (Berück-<br />

si<strong>ch</strong>tigung der Preisunters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en den vers<strong>ch</strong>iedenen VU) einen grösseren Ertrag (bzw.<br />

eine grössere Einsparung) abwirft, als dies im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft der Fall ist.<br />

- Der Einkauf von Versi<strong>ch</strong>erungsleistungen ist in Unternehmen rationaler strukturiert als dies bei<br />

Privatpersonen der Fall ist. Die Opportunitätskostenanomalie dürfte deshalb keine oder weniger<br />

Auswirkungen entfalten.<br />

■ Art. 68 E-<strong>VVG</strong> würde bei den Maklern und kleineren Brokern zu einer Erhöhung des <strong>admin</strong>istrativen<br />

Aufwands führen, da sie ihre Aufwände aufzei<strong>ch</strong>nen und mit den VN abre<strong>ch</strong>nen müssten. Dies könnte zu<br />

einer Strukturbereinigung unter den Versi<strong>ch</strong>erungsmaklern und kleinen Versi<strong>ch</strong>erungsbrokern führen.<br />

314


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

Tabelle 69: Szenario «Statis<strong>ch</strong>e Analyse»: Auswirkungen von Art. 68 auf die Vertriebsstruktur im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt<br />

Zeilennnummer<br />

Klassis<strong>ch</strong>e Einzellebensvers.<br />

Fondsgebundene<br />

Lebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Krankenzusatzversi<strong>ch</strong>erung<br />

Spaltennummer 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20<br />

1 Laufzeit des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags x x x x x x x x<br />

2 Kundensegment B2C B2C B2C B2K B2B B2C B2C B2C B2K B2B B2C B2K B2B B2C B2C B2K B2B B2C B2K B2B<br />

3 Obligatoris<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erung x x x x x x x<br />

4<br />

5<br />

6<br />

Komplexität der Versi<strong>ch</strong>erungsverträge<br />

Indikator für den Wert der Su<strong>ch</strong>kosten<br />

Heterogenität der VN<br />

Indikator für den Wert eines Honoramaklers<br />

S<strong>ch</strong>wierigkeit des VN, seinen Versi<strong>ch</strong>erungsbedarf zu<br />

bestimmen: Indikator für den Wert eines Honorarmaklers<br />

+++ +++ ++ ++ ++ + + + + ++ ++ ++ ++ ++ ++<br />

+++ +++ ++ +++ ++ + + + + ++ + + ++ + ++ ++ ++ ++ ++ ++<br />

++ ++ + + + + + + + +<br />

7 Nutzen des Honorarmaklers für den VN +++ +++ + ++ + + + + + + + ++ ++ ++ ++ ++ ++<br />

8<br />

9<br />

Wirksamkeit von Reputation<br />

Indikator für Auswirkungen des Interessenskonflikt<br />

Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft des VN bez. der heutigen<br />

Maklerents<strong>ch</strong>ädigung<br />

-- -- - - -- -- -- - -- - -- -- -- -- - - -<br />

--- --- -- - - - - - -<br />

10 Vertriebsstruktur Referenzszenario (<strong>VVG</strong>) akm akm akm akm akm akm akm akm akm akm akm akm akm akm akm akm akm akm akm akm<br />

11 Vertriebsstruktur Regulierungszenario (Art. 68 E-<strong>VVG</strong>) a a a ahm ahm a a a a ahm a ahm ahm a ahm ahm ahm ahm ahm ahm<br />

12 Marktvolumen bei Vertrieb nur mit Versi<strong>ch</strong>erungsagenten - - - - - - -<br />

Marktvolumen bei Vertrieb mit Agenten und klassis<strong>ch</strong>en<br />

13<br />

Maklern<br />

+ + + + + + +<br />

Marktvolumen bei Vertrieb mit Versi<strong>ch</strong>erungsagenten und<br />

14<br />

Honorarmaklern<br />

- + + + + +<br />

15 Veränderung des Marktvolumens infolge Art. 68 -- -- - -<br />

Kollektive<br />

Krankentaggeldvers.<br />

Legende: x = lange Vertragslaufzeit, a = Versi<strong>ch</strong>erungsagenten, km = klassis<strong>ch</strong>e Makler/Broker, hm = Honorarmakler/-broker, B2C = Privatkundenges<strong>ch</strong>äft, B2K = Ges<strong>ch</strong>äft mit Kleinstunternehmen, B2B =<br />

Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft ohne das Segment der Kleinstkunden<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

Unfallversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Oblig. Motorfahrzeug-<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung<br />

Übrige<br />

Motorfahrzeugvers.<br />

Allgemeine Haftpfli<strong>ch</strong>t<br />

Obligatoris<strong>ch</strong>e<br />

Gebäudeversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Übrige<br />

S<strong>ch</strong>adenversi<strong>ch</strong>erungen<br />

315


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

14.6.1.2 Szenario 2: Dynamis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

Die Annahme im statis<strong>ch</strong>en Szenario, dass Art. 68 E-<strong>VVG</strong> den Preis der Dienstleistung der Makler und<br />

Broker ni<strong>ch</strong>t verändert, ist mittelfristig ni<strong>ch</strong>t realistis<strong>ch</strong>. Denn die erhöhte Transparenz der Kosten der<br />

Dienstleistung der Makler und Broker wird zu einem verstärkten Preiswettbewerb unter den Maklern und<br />

Brokern führen, da die VN dazu übergehen werden, den Preis zu verhandeln bzw. zu drücken. Diese<br />

Überlegung kann anhand von zwei Beispielen illustriert werden:<br />

■ Im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft dürfte insbesondere der Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen von einem<br />

zunehmenden Preisdruck betroffen sein. Kein rationaler VN würde bei einer Einmaleinlage in der Höhe<br />

von 1 Million seinem Versi<strong>ch</strong>erungsmakler glauben, dass dieser Aufwendungen im Umfang von 50'000<br />

Franken hat. Der Ertrag der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen würde massiv fallen.<br />

Diese Eins<strong>ch</strong>ätzung teilen Langer und Rosenow (2006, 211-212): «Ein Preiswettbewerb im Hinblick auf die<br />

Abs<strong>ch</strong>lusskosten kann so lange ni<strong>ch</strong>t stattfinden, wie diese den Verbrau<strong>ch</strong>ern ni<strong>ch</strong>t offen gelegt werden. In Norwe-<br />

gen hat die Einführung einer gesetzli<strong>ch</strong>en Verpfli<strong>ch</strong>tung, die Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Lebensversi<strong>ch</strong>erungen bereits bei<br />

Abs<strong>ch</strong>luss des Vertrages in Re<strong>ch</strong>ung zu stellen, zu einer Absenkung dieser Kosten um mehr als 90 Prozent geführt.<br />

Offenbar wurden si<strong>ch</strong> die norwegis<strong>ch</strong>en Verbrau<strong>ch</strong>er erst dur<strong>ch</strong> diese Regelung der tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Höhe der für die<br />

Beratungsleistung in Re<strong>ch</strong>nung gestellten Kosten bewusst. Der dadur<strong>ch</strong> einsetzende Wettbewerb zwang die Unter-<br />

nehmen zu kundenfreundli<strong>ch</strong>eren Preisen. Man darf davon ausgehen, dass dur<strong>ch</strong> die Einführung einer vorvertragli-<br />

<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>t über die Höhe der Abs<strong>ch</strong>lusskosten ähnli<strong>ch</strong>e Wirkungen erzielt werden könnten.»<br />

■ Im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft gibt es gemäss einigen der befragten Brokern eine systematis<strong>ch</strong>e Quersub-<br />

ventionierung der kleinen Kunden mit tiefem Provisionsvolumen dur<strong>ch</strong> grosse Kunden mit hohen Provisi-<br />

onsvolumen (vgl. Ausführungen im Abs<strong>ch</strong>nitt 5.6.4). Aufgrund der erhöhten Transparenz infolge Art. 68<br />

E-<strong>VVG</strong> wäre zu erwarten, dass die Nettozahler dieser Quersubventionierung den Preis ihres Broker drü-<br />

cken würden. In diesem Zusammenhang liess si<strong>ch</strong> ein Versi<strong>ch</strong>erungsmakler, der im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

und im Vermittlungsges<strong>ch</strong>äft mit Kleinstunternehmen tätig ist, im Rahmen der Vernehmlassung folgen-<br />

dermassen vernehmen: «Im Gegensatz zum Ges<strong>ch</strong>äft mit Grosskunden, wel<strong>ch</strong>e teilweise bereits heute<br />

gewohnt sind, grössere Beträge für Beratungsdienstleistungen auszugeben, ist es im Ges<strong>ch</strong>äft mit Kleinst-<br />

unternehmen illusoris<strong>ch</strong> zu glauben, dass der Aufwand für die Versi<strong>ch</strong>erungsberatung und -betreuung<br />

kostendeckend dem Kunden in Re<strong>ch</strong>nung gestellt werden kann.» (A. S<strong>ch</strong>mid & Partner 2009, 1).<br />

Ganz offenbar gibt es unter dem geltenden <strong>VVG</strong> unter den Kunden der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsbroker Quersubventionierungen, wobei wir zwei Subventionsströme identifizieren konnten:<br />

■ Privatkunden mit Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen subventionieren Privatkunden ohne Einzellebensversi<strong>ch</strong>e-<br />

rungen und Kleinstunternehmen.<br />

■ Grössere Firmenkunden subventionieren Kleinstunternehmen.<br />

An dieser Stelle muss festgestellt werden, dass derartige Subventionsströme – entgegen den Überzeugun-<br />

gen der befragten Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und –broker – ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert sind. Denn Sie führen zu<br />

einer Vers<strong>ch</strong>wendung von knappen Ressourcen, was anhand eines einfa<strong>ch</strong>en Beispiels expliziert werden<br />

kann:<br />

Es sei ein kleiner Firmenkunden, der von einem Versi<strong>ch</strong>erungsagenten betreut wird. Das Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

portfolio dieses VN sei derart, dass gilt:<br />

■ Das jährli<strong>ch</strong>e Prämienvolumen umfasst 20'000 Franken, wobei es bei einem einzigen Versi<strong>ch</strong>erer, dem<br />

VU des Versi<strong>ch</strong>erungsagenten platziert ist.<br />

■ Der Beratungs- und Betreuungsaufwand des Versi<strong>ch</strong>erungsagenten, der ni<strong>ch</strong>t das ganze Marktangebot,<br />

sondern nur das Produktportfolio seines VU berücksi<strong>ch</strong>tigen muss, betrage 2'000 Franken pro Jahr. Die<br />

316


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

restli<strong>ch</strong>en 18'000 Franken entspre<strong>ch</strong>en den Kosten des VU abzügli<strong>ch</strong> der Beratungs- und Betreuungskos-<br />

ten des Versi<strong>ch</strong>erungsagenten. Die 18'000 Franken bezei<strong>ch</strong>nen wir als Nettoprämie.<br />

■ Der Beratungs- und Betreuungsaufwand betrage 4'000 Franken pro Jahr, wenn bei der Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

beratung das gesamte Marktangebot berücksi<strong>ch</strong>tigt werden muss. Die 4'000 Franken sind also die Kos-<br />

ten, die einem Versi<strong>ch</strong>erungsbroker pro Jahr entstehen würden, wenn er den Firmenkunden vom Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsagenten übernehmen würde.<br />

■ Würde der Firmenkunden von einem Versi<strong>ch</strong>erungsmakler betreut, könnte dieser dur<strong>ch</strong> Ausnutzen der<br />

Prämienunters<strong>ch</strong>iede der vers<strong>ch</strong>iedenen VU die Kosten des Risikos<strong>ch</strong>utzes um 1'500 senken. Die Netto-<br />

prämie würde also ni<strong>ch</strong>t mehr 18'000 Franken, sondern nur no<strong>ch</strong> 16'500 Franken betragen.<br />

Unter diesen Umständen ist es aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert, dass si<strong>ch</strong> der Firmenkunden wei-<br />

terhin von seinem Versi<strong>ch</strong>erungsagenten und ni<strong>ch</strong>t von einem Versi<strong>ch</strong>erungsmakler betreuen lässt, wel-<br />

<strong>ch</strong>er bei der Beratung das gesamte Marktangebot berücksi<strong>ch</strong>tigt:<br />

■ Kosten, wenn si<strong>ch</strong> der Kunden weiterhin vom Versi<strong>ch</strong>erungsagenten betreuen lässt: 18'000 Franken<br />

(Nettoprämie) + 2'000 Franken (Kosten der Beratung und Betreuung dur<strong>ch</strong> den Agenten) = 20'000 Fran-<br />

ken<br />

■ Kosten, wenn si<strong>ch</strong> der Kunden von einem Versi<strong>ch</strong>erungsmakler betreuen lässt: 16'500 Franken (Netto-<br />

prämie) + 4'000 Franken (Kosten der Beratung und Betreuung dur<strong>ch</strong> den Makler) = 20'500 Franken.<br />

Dieses pareto-effiziente Marktergebnis wird nun verzerrt, wenn der Makler die Mögli<strong>ch</strong>keit hat, den klei-<br />

nen Firmenkunden mit mehr als 500 Franken aus dem Provisionsertrag grösserer Kunden zu quersubven-<br />

tionieren. Dieses Beispiel ma<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>: Derartige Quersubventionierungen zwis<strong>ch</strong>en den Kunden von<br />

Maklern und Brokern unter dem geltenden <strong>VVG</strong> sind aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert: Sie<br />

können zu einer pareto-ineffizienten Allokation der knappen Ressourcen führen. Eine Betreuung des Fir-<br />

menkunden aus unserem Beispiel dur<strong>ch</strong> einen Versi<strong>ch</strong>erungsmakler ist nur dann ökonomis<strong>ch</strong> wüns<strong>ch</strong>ens-<br />

wert, wenn der Betrag, den der Makler dur<strong>ch</strong> die Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Prämienunters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en<br />

den vers<strong>ch</strong>iedenen VU «herausoptimieren» kann, höher ist als die Kosten dieser «Inter-Optimierung». Dies<br />

ma<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>: Eine Betreuung eines VN dur<strong>ch</strong> einen Makler bzw. Broker ist aus ökonomis<strong>ch</strong>er<br />

Si<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t in jedem Fall wüns<strong>ch</strong>enswert. Damit eine pareto-effiziente Allokation der Ressourcen<br />

resultiert, muss si<strong>ch</strong>ergestellt sein, dass si<strong>ch</strong> die Akteure den effektiven Kosten ihrer Dienstleis-<br />

tung gegenübersehen. Dies ist ni<strong>ch</strong>t der Fall ist, wenn es unter den Kunden der Makler und Broker<br />

Quersubventionierungen gibt.<br />

Der Preiswettbewerb, der von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> unter den Maklern und Broker ausgelöst wird, wird au<strong>ch</strong> den<br />

Agentenkanal na<strong>ch</strong>haltig tangiert: Bei allen Kunden, bei wel<strong>ch</strong>en Art. 68 dazu führen würde, dass der<br />

Preis der Makler und Broker sinkt, wäre der Einkauf der Versi<strong>ch</strong>erungsleistung über einen Makler bzw.<br />

Broker plötzli<strong>ch</strong> günstiger als der Einkauf über einen Versi<strong>ch</strong>erungsagenten. Konsequenterweise würden<br />

die Versi<strong>ch</strong>erungsagenten in diesen Berei<strong>ch</strong>en unter Druck kommen. Es kann davon ausgegangen wer-<br />

den, dass die VU auf diese Entwicklung reagieren würden, um ihren Agentenkanal zu s<strong>ch</strong>ützen. Eine<br />

mögli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>utzmassnahme wäre die Reduktion der Provisionen der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und Broker. In<br />

letzter Konsequenz könnte ein sogenannter Netquote-Markt entstehen, der folgendermassen bes<strong>ch</strong>rie-<br />

ben werden kann:<br />

■ Die VU zahlen den Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und –broker keine Provisionen mehr aus;<br />

■ Die VU bieten Nettoprämien an;<br />

■ Die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker und Versi<strong>ch</strong>erungsmakler werden von den VN auf Honorarbasis ents<strong>ch</strong>ädigt.<br />

Die befragten Experten der VU und der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker waren dur<strong>ch</strong>gehend der Ansi<strong>ch</strong>t, dass Art. 68<br />

E-<strong>VVG</strong> zu einem sol<strong>ch</strong>en Netquote-Markt führen würde. Es gibt ökonomis<strong>ch</strong>e Überlegungen, die für eine<br />

317


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

sol<strong>ch</strong>e Entwicklung spre<strong>ch</strong>en: Art. 68 E-<strong>VVG</strong> verlangt, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker die Provisionen der<br />

VU an ihre Kunden weiterleiten müssen. Dadur<strong>ch</strong> wird der Provisionswettbewerb unter den VU aufgeho-<br />

ben (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 14.4.3.3), da die Broker keinen Vorteil mehr haben, wenn sie eine hohe Provision er-<br />

halten. Dies deshalb, weil sie mit Art. 68 E-<strong>VVG</strong> dazu verpfli<strong>ch</strong>tet sind, den VN na<strong>ch</strong> Verre<strong>ch</strong>nung mit den<br />

Aufwänden einen allfällige Übers<strong>ch</strong>uss auszuzahlen. An die Stelle des Provisionswettbewerbs unter den<br />

VU würde ein Kostenwettbewerb treten, der darauf abzielt, die günstigsten Nettoprämien anzubieten<br />

(vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 14.4.3.5).<br />

Dies impliziert, dass die Formulierung von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> zum glei<strong>ch</strong>en Marktergebnis führen würde wie<br />

die s<strong>ch</strong>ärfere Formulierung im Vorentwurf der Expertenkommission, die für die Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und –<br />

broker ein generelles Verbot der Entgegennahme von Ents<strong>ch</strong>ädigungen des VU vorgesehen hat: «Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsmakler ist, wer die Vermittlung im Auftrag eines Versi<strong>ch</strong>erungsinteressenten bzw. Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsnehmers betreibt, dafür weder direkt no<strong>ch</strong> indirekt von einem Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen ents<strong>ch</strong>ä-<br />

digt wird und au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in anderer Weise im Sinn von Artikel 43 Absatz 1 an ein Versi<strong>ch</strong>erungsunter-<br />

nehmen gebunden ist.» (Art. 40 Abs. 3 VE-VAG).<br />

In einem Netquote-Markt gibt es für jedes Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt drei Preise:<br />

■ Agenten-Preis: Preis des Versi<strong>ch</strong>erungsprodukts, wenn ein VN das Produkt über einen Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

agenten einkauft.<br />

■ Direktvertriebs-Preis: Preis des Versi<strong>ch</strong>erungsprodukts, wenn ein VN das Produkt über das Internet<br />

einkauft.<br />

■ Broker-/Makler-Preis: Preis des Versi<strong>ch</strong>erungsprodukts, wenn ein VN seinen Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz über<br />

einen Makler oder Broker einkauft. Dieser Preis wird übli<strong>ch</strong>erweise «Nettoprämie» genannt.<br />

Die Auswirkungen eines Netquote-Marktes hängen ents<strong>ch</strong>eidend davon ab, in wel<strong>ch</strong>em Umfang si<strong>ch</strong><br />

diese drei Preise unters<strong>ch</strong>eiden. Unbestritten dürfte der ordinale Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en diesen drei<br />

Preisen sein:<br />

Agenten-Preis > Direktvertriebs-Preis > Broker-Preis<br />

Die befragten Experten waren si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t einig, wie der Broker-Preis im Verglei<strong>ch</strong> zum Agenten-Preis aus-<br />

fallen würde. Ein VU hat geltend gema<strong>ch</strong>t, dies ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>ätzen können, da keine Kostenre<strong>ch</strong>nungen<br />

vorliegen, wel<strong>ch</strong>e eine verlässli<strong>ch</strong>e Bestimmung des Werts der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und –broker für das<br />

VU 81 zulassen würden. Ein anderes VU hat si<strong>ch</strong> auf den Standpunkt gestellt, dass der Broker-Preis höher<br />

wäre als der heutige Preis abzügli<strong>ch</strong> der heutigen Brokerents<strong>ch</strong>ädigung. Dies ganz im Gegensatz zu einem<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsbroker, wel<strong>ch</strong>er der Ansi<strong>ch</strong>t war, dass der Broker-Preis tiefer sein müsste als der heutige<br />

Preis abzügli<strong>ch</strong> der heutigen Brokerents<strong>ch</strong>ädigung.<br />

Einig waren si<strong>ch</strong> die befragten Experten der VU allerdings dahingehend, dass die Kosten des Brokerkanals<br />

mit den Kosten des Agentenkanals heute in etwa verglei<strong>ch</strong>bar sind. Ein VU hat lei<strong>ch</strong>te Kostenvorteile des<br />

Brokerkanals geltend gema<strong>ch</strong>t, ein anderes VU hat lei<strong>ch</strong>te Kostenna<strong>ch</strong>teile des Brokerkanals im Privatkun-<br />

denges<strong>ch</strong>äft und im Segment der Kleinstunternehmen und lei<strong>ch</strong>te Kostenvorteile des Brokerkanals bei<br />

grösseren Firmenkunden diagnostiziert.<br />

Die Aussage, dass die Kosten des Brokerkanals und die Kosten des Agentenkanals etwa glei<strong>ch</strong> ho<strong>ch</strong> sind,<br />

ist konsistent mit ökonomis<strong>ch</strong>en Überlegungen. Denn der Provisionswettbewerb unter den VU müsste<br />

eigentli<strong>ch</strong> dazu führen, dass die Brokerents<strong>ch</strong>ädigungen der vers<strong>ch</strong>iedenen VU gerade dem Wert entspre-<br />

81 Der Wert der Dienstleistung des Brokers für ein VU ist im Wesentli<strong>ch</strong>en gegeben dur<strong>ch</strong> den Umsatz des VU mit dem Broker ab-<br />

zügli<strong>ch</strong> der Kosten, die im VU in Zusammenhang mit den Policen entstehen, die der Broker beim VU platziert hat.<br />

318


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

<strong>ch</strong>en, wel<strong>ch</strong>e die Dienstleistung der Broker für die VU haben. Folgendes Beispiel kann dies verans<strong>ch</strong>auli-<br />

<strong>ch</strong>en: Angenommen wir haben einen Markt mit 2 VU, wel<strong>ch</strong>e die genau glei<strong>ch</strong>e Kostenstruktur haben<br />

und ein vollständig homogenes Versi<strong>ch</strong>erungsprodukt zum glei<strong>ch</strong>en Preis anbieten. VU 1 unters<strong>ch</strong>eidet<br />

si<strong>ch</strong> von VU 2 einzig dahingehend, dass VU 1 gerade eine Brokerents<strong>ch</strong>ädigung entri<strong>ch</strong>tet, die exakt dem<br />

Wert der Dienstleistung des Brokers für das VU 1 entspri<strong>ch</strong>t. VU 2 hingegen bietet eine Brokerents<strong>ch</strong>ädi-<br />

gung an, die tiefer ist als der Wert der Dienstleistung des Brokers für das VU 2. Verhalten si<strong>ch</strong> die Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsbroker rational, werden sie dem VU 2 keinen einzigen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag vermitteln. VU 2 ist<br />

deshalb gezwungen, seine Maklerents<strong>ch</strong>ädigung na<strong>ch</strong> oben anzupassen. Diese Überlegungen führen zum<br />

S<strong>ch</strong>luss, dass die Brokerents<strong>ch</strong>ädigung der VU in etwa dem Wert entspre<strong>ch</strong>en müssen, wel<strong>ch</strong>e die Dienst-<br />

leistung der Broker für die VU hat.<br />

Vor diesem Hintergrund ers<strong>ch</strong>eint uns plausibel, dass in einem Netquote-Markt der Broker-Preis dem<br />

Agenten-Preis reduziert um die heutigen Brokerents<strong>ch</strong>ädigungen entspre<strong>ch</strong>en müsste:<br />

«Broker-Preis» = «Agenten-Preis» MINUS «heutige Brokerents<strong>ch</strong>ädigung»<br />

Die VN würden si<strong>ch</strong> also einem Menu aus drei Preisen gegenübersehen:<br />

■ Einkauf über einen Versi<strong>ch</strong>erungsagenten zum «Agenten-Preis»<br />

■ Einkauf über einen Versi<strong>ch</strong>erungsbroker zum Preis «Broker-Preis + Broker-Honorar»<br />

■ Einkauf über den Direktvertrieb zum «Direktvertriebs-Preis»<br />

Vor diesem Hintergrund können nun die Auswirkungen von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> unter der Annahme ana-<br />

lysiert werden, dass Art. 68 E-<strong>VVG</strong> zu einem Netquote-Markt führen würde:<br />

■ Reduktion der Auswirkungen des Interessenskonflikts der Makler und Broker: In einem Netquo-<br />

te-Markt unterliegen die ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler keinem Interessenskonflikt mehr. Die<br />

Beratungsqualität und die Nutzenoptimalität der Kaufents<strong>ch</strong>eide der VN würden insbesondere im Privat-<br />

kundenmarkt und im Ges<strong>ch</strong>äft mit den Kleinstunternehmen steigen.<br />

■ Einmalige Anpassungskosten: Bei einem Übergang zu einem Netquote-Markt würden Anpassungs-<br />

kosten entstehen, da das System der Ges<strong>ch</strong>äftsabwicklung verändert wird. Im Rahmen dieser Studie konn-<br />

ten diese Kosten ni<strong>ch</strong>t quantifiziert werden. Bei den Anpassungskosten handelt es si<strong>ch</strong> um einmalige In-<br />

vestitionskosten, die ni<strong>ch</strong>t unbedeutend sein dürften. Allerdings ist zu berücksi<strong>ch</strong>tigen, dass auf Wuns<strong>ch</strong><br />

von Firmenkunden bereits heute, unter dem geltenden <strong>VVG</strong>, mit Nettoprämien gearbeitet wird. Die betei-<br />

ligten Akteure sind also offenbar bereits unter dem geltenden <strong>VVG</strong> in der Lage, Kundenbeziehungen im<br />

Sinne des Netquotings zu pflegen.<br />

■ Abwicklungskosten der Broker und Makler: In einem Netquote-Markt müssten die Makler und<br />

Broker ihre Aufwände protokollieren und den Kunden verre<strong>ch</strong>nen. Dadur<strong>ch</strong> werden die Abwicklungskos-<br />

ten der Makler und Broker steigen. Allerdings muss berücksi<strong>ch</strong>tigt werden, dass diese Aufgaben bereits<br />

unter dem geltenden <strong>VVG</strong> von vielen Brokern wahrgenommen wird. Beispiele hierfür sind das VZ Vermö-<br />

genszentrum und der Broker Fairsi<strong>ch</strong>erung.<br />

■ Stärkung des Preiswettbewerbs: Ein Netquoting dürfte den Preiswettbewerb unter den Brokern<br />

verstärken, da die Broker mit den Kunden ihr Honorar verhandeln müssen. Dieser Preiswettbewerb wird<br />

zu Effizienzsteigerungen führen, wodur<strong>ch</strong> die Broker gegenüber den Agenten Kostenvorteile realisieren<br />

können. Dieser Wettbewerbsvorteil der Broker wird in der Folge au<strong>ch</strong> auf die Versi<strong>ch</strong>erungsagenten einen<br />

Kostendruck auslösen, wenn diese ihre Marktanteile halten wollen. Dies kann am Beispiel einer Einmalein-<br />

lage in der Höhe einer Million Franken illustriert werden: Unter dem geltenden <strong>VVG</strong> erhalten die Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsmakler gemäss den Ausführungen einiger der befragten Experten für die Vermittlung einer sol<strong>ch</strong>en<br />

Einmaleinlage eine Provision von 35'000 bis 50'000 Franken, was weit über den Kosten liegt, die beim<br />

Makler in Zusammenhang mit dieser Einmaleinlage entstehen. Die Makler brau<strong>ch</strong>en diese Abs<strong>ch</strong>lussprovi-<br />

319


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

sion unter dem geltenden <strong>VVG</strong> mit den VN ni<strong>ch</strong>t zu verhandeln, da die VN die Höhe der Abs<strong>ch</strong>lussprovisi-<br />

on erstens gar ni<strong>ch</strong>t kennen und zweitens generell mit den Versi<strong>ch</strong>erungsmaklern keine Preisverhandlun-<br />

gen führen (diese Aussage gilt nur für das Privatkundenges<strong>ch</strong>äft). Unter dem Regime von Art. 68 E-<strong>VVG</strong><br />

könnte ein VN seinem Makler nun z.B. eine Ents<strong>ch</strong>ädigung in der Höhe von 10'000 Franken anbieten.<br />

Sofern dieser Betrag die Kosten des Maklers deckt, wird er dieses Angebot annehmen. Dies führt letztli<strong>ch</strong><br />

dazu, dass der VN die Einmaleinlage über den Broker günstiger einkaufen kann als über den Agenten, mit<br />

wel<strong>ch</strong>em er keine Honorarverhandlungen führt. In der Folge müssen die VU die Abs<strong>ch</strong>lussprovisionen ihrer<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsagenten reduzieren, wenn sie no<strong>ch</strong> konkurrenzfähig bleiben wollen. Insgesamt dürfte si<strong>ch</strong><br />

ein Netquoting also Transaktionskosten-senkend auswirken.<br />

Unsere Analyse impliziert, dass si<strong>ch</strong> an der Verteilung der Marktanteile der vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebs-<br />

kanäle ni<strong>ch</strong>t viel ändern würde, da der VN, der seine Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung über einen Broker einkauft,<br />

in den Genuss einer Nettoprämie kommen würde, die gerade um den Betrag der heutigen Broker-<br />

Ents<strong>ch</strong>ädigung tiefer wäre als die Prämie, die der VN bezahlen würden, wenn er über einen gebundenen<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsagenten einkaufen würde. Die Differenz der Nettoprämie zum Agenten-Preis kann er ver-<br />

wenden, um den Broker zu ents<strong>ch</strong>ädigen. In einem Netquote-Markt würden die Broker na<strong>ch</strong> wie vor die-<br />

jenigen Märkte und Kundensegmente dominieren, bei wel<strong>ch</strong>en die Kosten der Beratung im Verglei<strong>ch</strong> zum<br />

Optimierungspotential des Brokers tief sind, was insbesondere im Ges<strong>ch</strong>äft mit grösseren Unternehmens-<br />

kunden der Fall ist.<br />

Die befragten Experten haben geltend gema<strong>ch</strong>t, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker in einem B2B-Netquote-<br />

Markt Kunden verlieren würden, weil bei den Kunden «Dienstleisterdiskussionen» entstehen würden.<br />

Damit ist gemeint, dass innerhalb der Unternehmen Diskussionen bezügli<strong>ch</strong> des Broker-Honorars geführt<br />

werden müssten, die heute, unter dem Courtagen-Modell ni<strong>ch</strong>t geführt werden. Hierzu ist aus ökonomi-<br />

s<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t Folgendes zu sagen:<br />

■ Wenn gilt: «Broker-Prämie + Broker-Honorar» < «Agenten-Preis» wird jeder rationale Firmenkunde<br />

seine Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung weiterhin über den Brokerkanal einkaufen. Falls er dies ni<strong>ch</strong>t tut, handelt er<br />

selbsts<strong>ch</strong>ädigend, wovon ni<strong>ch</strong>t ausgegangen werden kann.<br />

■ Wenn gilt: «Broker-Prämie + Broker-Honorar» > «Agenten-Preis», dann wird der rationale Firmenkunde<br />

seine Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung über den Agentenkanal einkaufen. Wie wir in Zusammenhang mit den Quer-<br />

subventionierungen unter den Kunden von Maklern und Brokern unter dem geltenden <strong>VVG</strong> ausgeführt<br />

haben, ist dieses Marktergebnis pareto-effizient 82 .<br />

Gemäss den befragten Experten der VU und insbesondere der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker würde Art. 68 E-<strong>VVG</strong><br />

zu substantiellen Marktanteilsverlusten des Brokerkanals führen (vgl. u.a. die Vernehmlassungsantworten<br />

des SIBA und des SVV). Unsere ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse hat hingegen zum Ergebnis geführt, dass ein Net-<br />

quoting die Markt<strong>ch</strong>ancen der Versi<strong>ch</strong>erungsmakler und Versi<strong>ch</strong>erungsbroker ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>haltig tangieren<br />

würde. Unser Ergebnis ist au<strong>ch</strong> konsistent mit den Entwicklungen in skandinavis<strong>ch</strong>en Ländern, in wel<strong>ch</strong>en<br />

Eingriffe in das Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetz vorgenommen wurden, die mit Art. 68 E-<strong>VVG</strong> verglei<strong>ch</strong>bar<br />

sind (vgl. na<strong>ch</strong>folgenden Abs<strong>ch</strong>nitt).<br />

Gemäss unseren Analysen wird ein Netquoting nur dann zu substantiellen Marktanteilsverlusten des Bro-<br />

kerkanals führen, wenn die VU den Broker-Preis, d.h. die Nettoprämie, strategis<strong>ch</strong> zu ho<strong>ch</strong> ansetzen, um<br />

den hauseigenen Agentenkanal zu s<strong>ch</strong>ützen. Damit eine sol<strong>ch</strong>e Strategie erfolgsverspre<strong>ch</strong>end ist, müssen<br />

82 Dies gilt allerdings nur dann, wenn alle Preise, also die Nettoprämie, das Broker-Honorar und der Agenten-Preis die «wahren»<br />

Kosten widerspiegeln. Diese Annahme kann verletzt sein, wenn der Wettbewerb ni<strong>ch</strong>t spielt und die VU dur<strong>ch</strong> kooperatives Handeln<br />

in der Lage sind, den Nettopreis zu ho<strong>ch</strong> anzusetzen, so dass sie mit der Nettoprämie den Vertrieb über die Agenten quersubventio-<br />

nieren können. Vgl. Ausführungen weiter unten.<br />

320


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

die VU allerdings ein strategis<strong>ch</strong>es Gefangenendilemma lösen, da jedes VU dem ökonomis<strong>ch</strong>en Anreiz<br />

ausgesetzt ist, seine Nettoprämien zu senken, um Marktanteilsgewinne im Brokerkanal zu realisieren. Um<br />

das strategis<strong>ch</strong>e Gefangenendilemma lösen zu können, müssen die VU miteinander kooperieren, was<br />

eine Verletzung des Wettbewerbsre<strong>ch</strong>ts darstellen würde. Grundsätzli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ätzen wir die Gefahr eines<br />

sol<strong>ch</strong>en strategis<strong>ch</strong>en Verhaltens der VU für gering ein, aus folgenden Gründen:<br />

■ Die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker sind der Gefahr von kooperativem Verhalten der VU au<strong>ch</strong> unter dem gelten-<br />

den <strong>VVG</strong> ausgesetzt. Da unter dem geltenden <strong>VVG</strong> der Provisionswettbewerb unter den VU spielt, sehen<br />

wir keine ökonomis<strong>ch</strong>en Grund, weshalb der Preiswettbewerb unter Art. 68 E-<strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t funktionieren<br />

sollte.<br />

■ Wie wir im Abs<strong>ch</strong>nitt 5.4 anhand empiris<strong>ch</strong>er Daten na<strong>ch</strong>gewiesen haben, gibt es im S<strong>ch</strong>weizer Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsmarkt eine Vielzahl von Anbietern und die Marktkonzentration ist tief. Unter sol<strong>ch</strong>en Bedingun-<br />

gen ist die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit von stills<strong>ch</strong>weigenden Abreden (tacit collusion) und anderen Formen der<br />

Kooperation grundsätzli<strong>ch</strong> tief.<br />

Die Auswirkungen von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> sind in Tabelle 70 und Tabelle 72 im Überblick für den Fall darge-<br />

stellt, dass Art. 68 E-<strong>VVG</strong> zu einem Netquote-Markt führen würde – sowohl für das Privatkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

als au<strong>ch</strong> für das Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft.<br />

321


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

Tabelle 70: Die Auswirkungen der Herausbildung eines Netquotemarktes im Zuge von Art. 68 E-<strong>VVG</strong><br />

(Szenario 2: Dynamis<strong>ch</strong>e Analyse) – Teil I<br />

Auswirkungen auf die Kosten +<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Transaktionskosten +<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten +<br />

Abwicklungskosten - Makler und Broker müssen ihre Aufwände aufzei<strong>ch</strong>nen und mit den VN abre<strong>ch</strong>nen<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Änderungs- & Anpassungskosten -<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN) +<br />

Informationsdefizite der VN +<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI & VU +<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI) +<br />

Ex ante Opportunismus der VI +<br />

Beratungsqualität +<br />

Qualität der VI +<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU) -<br />

Ex post Opportunismus der VU<br />

Legende: vgl. Seite 76<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

+ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

+/- Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

+ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Reduktion der Abs<strong>ch</strong>lusskosten aufgrund: (1) Intensivierter<br />

Preiswettbewerb unter den VI; (2) Bes<strong>ch</strong>leunigung des Wa<strong>ch</strong>stums des Direktvertriebs aufgrund der<br />

Sensibilisierung der VN bezügli<strong>ch</strong> der Kosten der Versi<strong>ch</strong>erungsberatung<br />

+ Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: Verstärkter Preiswettbewerb unter den Brokern infolge erhöhter<br />

Preistransparenz<br />

Einmalige Anpassungskosten der Makler, Broker und VU, weil die Ges<strong>ch</strong>äftsprozesse auf die<br />

Funktionsweise des Netquote-Markts angepasst werden müssen<br />

Transparenz bezügli<strong>ch</strong> des Preises der Dienstleistung der Broker und Makler und damit bezügli<strong>ch</strong><br />

des Preises der Versi<strong>ch</strong>erungsberatung und der beiden Beraterkanäle im Allgemeinen<br />

+ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Verni<strong>ch</strong>tung des Interessenskonflikts<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft, + Kleinstunternehmen: Verni<strong>ch</strong>tung des Interessenkonflikts<br />

+ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Verni<strong>ch</strong>tung des Interessenskonflikts<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft, + Kleinstunternehmen: Verni<strong>ch</strong>tung des Interessenkonflikts<br />

Andere Verhaltensanpassungen - Gefahr versteckter Ents<strong>ch</strong>ädigungen der VU an die Makler und Broker<br />

322


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

Tabelle 71: Die Auswirkungen der Herausbildung eines Netquotemarktes im Zuge von Art. 68 E-<strong>VVG</strong><br />

(Szenario 2: Dynamis<strong>ch</strong>e Analyse) – Teil 2<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids +<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

Produktqualität +<br />

Vertragsrisiken des VN +<br />

Vertragsrisiken des VU<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen +<br />

Adverse Selektion<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb +<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t +<br />

Prämienvolumen ����<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ����<br />

Prämienhöhe ����<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ����<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ����<br />

Instabilität des Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt<br />

Renten der VN +<br />

Renten der VI -<br />

Renten der VU -<br />

Renten anderer Produzenten +<br />

Legende: vgl. Seite 76<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

14.6.2 Normative Analyse von Art. 68 E-<strong>VVG</strong><br />

Wir sehen uns folgenden empiris<strong>ch</strong>en Tatbeständen gegenüber:<br />

■ Im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft sind die ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler relativ unbedeutend.<br />

■ Empiris<strong>ch</strong>e Evidenz für opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler gibt es nur im Privat-<br />

kundenges<strong>ch</strong>äft. Obwohl es opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten von ungebundenen VI au<strong>ch</strong> im Firmenkundenge-<br />

s<strong>ch</strong>äft, insbesondere im Segment der Kleinstunternehmen, geben dürfte, s<strong>ch</strong>eint dies kein zentrales Prob-<br />

lem des B2B-Marktes zu sein.<br />

+<br />

+<br />

+ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: (1) Reduktion von S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung; (2) Prämienreduktionen; (3)<br />

Optimierte Wahl des Vertriebskanals<br />

+ Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: Pareto-effiziente Wahl des Vertriebskanals, da es in in einem Netquote-<br />

Markt keine Subventionsströme unter den Kunden der Makler und Broker mehr gibt<br />

+ Privatkundenmarkt: Makler empfehlen keine Produkte mehr, die Eigens<strong>ch</strong>aften aufweisen,<br />

die ni<strong>ch</strong>t den Präferenzen der VN entspre<strong>ch</strong>en (Beispiel: Produkte mit hohen Abs<strong>ch</strong>lusskosten)<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

+ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Risiko der S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung sinkt<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft, + Kleinstunternehmen: Risiko der S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung sinkt<br />

+ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Erhöhte Transparenz bezügli<strong>ch</strong> des Preises der Beratungsleistung der<br />

Makler und Broker intensiviert den Preiswettbewerb unter den VI und unter den Vertriebskanälen<br />

+/- Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: + Erhöhte Transparenz verstärkt Preiswettbewerb unter Brokern;<br />

- Ein allfälliges kooperatives Verhalten der VU reduziert den Markanteil des Brokerkanals<br />

���� Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Abfluss von Sparkapitalien an die Banken<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung des Marktvolumens<br />

+ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: (1) Reduktion der Abs<strong>ch</strong>lusskosten; (2) Reduktion von<br />

Opportunitätsprämien<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: ���� Grössere Unternehmen; ���� Kleinst- und Kleinunternehmen<br />

(Quersubventionierung unter dem geltenden <strong>VVG</strong>)<br />

���� Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Abfluss von Sparkapitalien an die Banken<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

���� Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Abfluss von Sparkapitalien an die Banken<br />

= Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: Keine Veränderung der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken<br />

+ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: (1) Nutzenoptimalere Kaufents<strong>ch</strong>eide; (2) Reduktion der<br />

Abs<strong>ch</strong>lusskosten; (3) Reduktion von Opportunitätsprämien<br />

+/- Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: + Intensivierter Preiswettbewerb unter den Brokern;<br />

- Kooperatives Verhalten der VU senkt den Marktanteil des Brokerkanals<br />

- Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: (1) Nutzenoptimalere Kaufents<strong>ch</strong>eide; (2) Reduktion der<br />

Abs<strong>ch</strong>lusskosten; (3) Reduktion von Opportunitätsprämien; (4) Verstärkter Preiswettbewerb unter<br />

den VI<br />

- Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: (1) Verstärkter Preiswettbewerb unter den Brokern; (2)<br />

Marktanteilsverluste, wenn die VU die Nettoprämien zu ho<strong>ch</strong> ansetzen<br />

- Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: (1) Reduktion des Marktvolumens, insbesondere im Berei<strong>ch</strong> Leben; (2)<br />

Reduktion von Opportunitätsprämien<br />

- Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft: Intensivierter Preiswettbewerb<br />

Sparprodukte der Banken gewinnen Marktanteile<br />

323


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

■ Bei den opportunistis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlern handelt es si<strong>ch</strong> in der Mehrheit um gebundenen<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, insbesondere um Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und gebundene VI von Strukturbetrieben.<br />

■ Der Wettbewerb unter den Broker im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft spielt und der Reputationsme<strong>ch</strong>anismus<br />

spielt. Diese Aussage gilt ni<strong>ch</strong>t für das Ges<strong>ch</strong>äft mit Kleinstunternehmen.<br />

■ Der Versi<strong>ch</strong>erungsbroker fördern im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft na<strong>ch</strong>weisli<strong>ch</strong> den Preiswettbewerb unter<br />

den VU. Einer der befragten Experten eines VU hat zu Protokoll gegen, dass die Umsätze mit Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsbroker relativ ras<strong>ch</strong> sinken, wenn die Produkte preisli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr attraktiv positioniert sind.<br />

Vor diesem Hintergrund stellt si<strong>ch</strong> unseres Era<strong>ch</strong>tens die Frage, ob die Notwendigkeit eines Regulierungs-<br />

eingriffs im Sinne von Art. 68 E-<strong>VVG</strong>, der in erster Linie die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft<br />

und die ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler betrifft, gegeben ist. Die empiris<strong>ch</strong>e Evidenz würde<br />

grundsätzli<strong>ch</strong> eher dafür spre<strong>ch</strong>en, Massnahmen zu treffen, die si<strong>ch</strong> auf gebundene Versi<strong>ch</strong>erungsvermitt-<br />

ler (insbesondere Mehrfa<strong>ch</strong>agenten sowie Strukturbetriebe) und auf den Privatkundenmarkt beziehen.<br />

Allerdings sind bei der Bewertung von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> au<strong>ch</strong> die Auswirkungen zu berücksi<strong>ch</strong>tigen, die wir<br />

in den vorangehenden Abs<strong>ch</strong>nitten dargestellt haben und die unseres Era<strong>ch</strong>tens für das Privatkundenge-<br />

s<strong>ch</strong>äft und das Ges<strong>ch</strong>äft mit Kleinstunternehmen positiv und für das Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft neutral zu<br />

bewerten sind.<br />

Die Bewertung der Auswirkungen im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft ist letztli<strong>ch</strong> darauf zurückzuführen, dass<br />

gemäss unseren ökonomis<strong>ch</strong>en Analysen die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>haltig ges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>t würden.<br />

Die Entwicklungen in den skandinavis<strong>ch</strong>en Ländern, in wel<strong>ch</strong>en verglei<strong>ch</strong>bare Regulierungseingriffe in den<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt vorgenommen wurde, deuten daraufhin, dass unsere Prognosen adäquater sind als<br />

die Prognosen der VU und der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler, die bedeutende Markanteilsverluste für die Broker<br />

im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft erwarten, wenn Art. 68 E-<strong>VVG</strong> umgesetzt würde. Den Ausführungen der VU<br />

und Versi<strong>ch</strong>erungsbroker können wir nur dahingehend zustimmen, dass Marktanteilsverluste der Broker<br />

im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert sind. Der Grund hierfür ist, dass<br />

die Broker zu einem guten Teil verantwortli<strong>ch</strong> sind für den Preiswettbewerb unter den VU, wel<strong>ch</strong>er letzt-<br />

li<strong>ch</strong> den VN zugute kommt.<br />

Die Verhältnismässigkeit eines Eingriffs in die Vertragsfreiheit im Sinne von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> (oder Art. 40<br />

VE-VAG) ist im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft unseres Era<strong>ch</strong>tens aus folgenden Gründen ni<strong>ch</strong>t gegeben:<br />

- Die empiris<strong>ch</strong>e Evidenz indiziert, dass der Reputationsme<strong>ch</strong>anismus und der Wettbewerb unter<br />

den Versi<strong>ch</strong>erungsbroker im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft – insbesondere im Ges<strong>ch</strong>äft mit Unterneh-<br />

men mit mehr als rund 10 Bes<strong>ch</strong>äftigten – spielen.<br />

- Es gibt keine empiris<strong>ch</strong>e Evidenz, dass der Interessenskonflikt, dem die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker aus-<br />

gesetzt sind, im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft ein zentrales Problem darstellt.<br />

- Das, was Art. 68 E-<strong>VVG</strong> vors<strong>ch</strong>lägt, gibt es im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft zum Teil s<strong>ch</strong>on (vgl. Ab-<br />

s<strong>ch</strong>nitt 5.6.4)<br />

- Die Firmenkunden können – sofern sie dies wüns<strong>ch</strong>en – bereits unter dem geltenden <strong>VVG</strong> eine<br />

Zusammenarbeit mit den Brokern auf Honorarbasis vereinbaren.<br />

14.6.3 Auswirkungen verglei<strong>ch</strong>barer Regulierungen in Skandinavien<br />

Dans le reste du monde, les acteurs du secteur assurance se sont principalement occupés des réformes du<br />

systèmes, le MiFiD et plus récemment le Solvency II, ces points concernent uniquement la sécurité finan-<br />

cière des entreprises et n’entrent pas dans le cadre de cette <strong>RFA</strong>. Simultanément, le secteur des assurance<br />

bénéficie d’une «Insurance Block Exemption Regulation», les soustrayant à une partie des obligations au<br />

324


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

niveau européen. Cette Régulation arrivait a é<strong>ch</strong>éance et a été prolongée en 2010. A nouveau, cette ré-<br />

gulation n’entre pas dans le cadre de cette <strong>RFA</strong>.<br />

Concernant les courtiers, la mise en place du mar<strong>ch</strong>é intérieur Européen a impliqué la création de la Direc-<br />

tive 2002/92/CE du 9 Décembre 2002 sur l’intermédiation en assurance, réglant la concurrence interna-<br />

tionale et l’exercice du métier de courtier entre deux pays membres.<br />

L’asymétrie d’information dans le sens d’un avantage en faveur de l’assurance ou de l’intermédiaire est<br />

également fréquemment un sujet discuté. Le constat que les consommateurs ne sont pas bien informés<br />

concernant leur propre couverture d’assurance et se retrouvent souvent en possession d’un contrat su-<br />

boptimal est généralisé.<br />

Le problème de la mauvaise transmission des information de la part des courtiers est apprécié de deux<br />

manières, soit du fait d’un manque de formation, soit d’un comportement opportuniste lié au conflit<br />

d’intérêt.<br />

Nous avons identifié quatre pistes de solutions différentes:<br />

■ Exigences concernant la formation nécessaire pour obtenir le droit d’exercer en qualité de courtier<br />

■ Transparence, le client du courtier doit savoir pour qui le courtier travaille<br />

■ Transparence monétaire, le client doit être informé du montant des provisions que le courtier reçoit.<br />

■ Interdiction de tout transfert monétaire allant des assurances aux courtiers ou rétrocession/ ou Système<br />

de net quoting<br />

En Suisse, les deux premiers points sont inclus dans l’ordonnance du 9 novembre 2005 sur la surveillance<br />

des entreprises d’assurance privées, fixant d’une part les qualifications minimales (Art 44 LSA), et le devoir<br />

d’information des clients (art 45 LSA).<br />

Le projet de révision <strong>VVG</strong> dans son article 68 va dans le sens de la quatrième solution, rétrocession des<br />

avantages obtenus par les courtiers.<br />

Nous avons donc <strong>ch</strong>er<strong>ch</strong>é à analyser l’impact obtenu dans les pays ayant introduit une telle mesure.<br />

Deux pays ont introduit une mesure similaire, à savoir l’introduction du système de Netquoting, les assu-<br />

reurs proposant deux primes, l’une « nette », ne couvrant pas les frais d’Abs<strong>ch</strong>luss, qui sont à <strong>ch</strong>arge du<br />

client, et l’autre la «brute» couvrant l’ensemble des prestations. Il s’agit de la Finlande et de la Norvège.<br />

Le mar<strong>ch</strong>é des assurances dans ces pays est significativement différent du suisse. D’une part le segment<br />

«Life» est en grande partie couvert par les banques, qui exercent également une pression concurentielle<br />

dans le segment «Non-Life». Les assureurs privés sont de ce fait fortement incités à s’organiser de manière<br />

à résister à cette concurrence.<br />

D’autre part le mar<strong>ch</strong>é de la distribution des assurances est fortement couvert par des courtiers, égale-<br />

ment concernant le B2C.<br />

De ce fait, la révision à été voulue et soutenue par les entreprises d’assurances et combattue par les cour-<br />

tiers.<br />

14.6.3.1 Finlande<br />

La Finlande a révisé son Insurance Mediation Act 2n 2005 (Act 570/2005). La révision distingue clairement<br />

les Agents, travaillant pour le compte d’une assurance et les courtiers, travaillant pour le compte de<br />

l’assuré. Les courtiers doivent être neutres et indépendant des assureurs. Depuis le 1 er Septembre 2008, les<br />

Courtiers ne peuvent être financé que par leurs clients.<br />

325


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

L’effet principal de cette révision a été l’introduction du système de net quoting, les courtiers facturent<br />

leurs honoraires, et la compagnie d’assurance inclus dans son calcul de prime nette le fait que le courtier<br />

effectue une part du travail.<br />

Il n’existe pas d’évaluation de l’impact de cette réglementation, qui est en cours. D’un point de vue global,<br />

cette modification n’a pas eu d’impact spectaculaire sur le mar<strong>ch</strong>é, les indicateurs sont restés pratique-<br />

ment constants, y compris la part de mar<strong>ch</strong>é des courtiers. Le nombre de courtiers est passé de 341 en<br />

2006 à 331 en 2009.<br />

14.6.3.2 Norvège<br />

Une première révision en 2005 introduit un niveau de qualification minimal pour exercer en qualité de<br />

conseiller, et la constitution d’un Insurance Complaint Board, <strong>ch</strong>argé de récolter les plaintes et les conflits<br />

concernant les courtiers.<br />

Depuis 2008, les courtiers ne peuvent plus recevoir de paiement de la part des assurances.<br />

En 2009, un contrôle de l’activité des courtiers a été effectué, et certains cas de courtiers pratiquant simul-<br />

tanément en qualité d’agent ont été identifiés. Le bureau des plaintes n’a reçu aucune plainte en 2009.<br />

Dans l’ensemble, le mar<strong>ch</strong>é n’a pas été particulièrement modifié, ni suite à la révision de 2005, ni celle de<br />

2008. Le nombre et la part de mar<strong>ch</strong>é des courtiers sont restés stables.<br />

14.6.3.3 Suède<br />

Le <strong>ch</strong>angement de loi a été opéré en 2005 en Suède. La Suède a adopté un système mixte de transpa-<br />

rence et de Formation minimale.<br />

La loi précise de manière très détaillée les connaissances requises permettant d’obtenir l’autorisation<br />

d’exercer en qualité de conseiller.<br />

D’autre part, la transparence financière est introduite : Les Intermédiaires sont tenu d’informer leurs<br />

clients du montant qu’ils reçoivent de la part des assureurs, ou la manière dont cela sera calculé.<br />

L’analyse effectuée en 2006 et 2009 a principalement porté sur la vérification de la conformité à<br />

l’exigence de formation minimale des personnes pratiquant le conseil. De l’é<strong>ch</strong>antillon contrôlé, dans de<br />

nombreux cas, les assistants des Courtiers ne disposaient pas de la formation nécessaire et ne disposaient<br />

pas de guidelines adéquat pour exercer en qualité de conseiller. La Suède a donc décidé de procéder à<br />

une analyse approfondie dont les résultats sont attendus pro<strong>ch</strong>ainement.<br />

Aucune analyse approfondie n’a eu lieu sur l’impact de l’obligation d’information concernant le montant<br />

des provisions, la seule réAction obtenue a été d’estimer que « Cela n’a pas provoqué de <strong>ch</strong>angement<br />

majeur sur le mar<strong>ch</strong>é».<br />

14.6.3.4 Conclusion<br />

L’analyse de la situation dans d’autre pays n’a pas abouti à un résultat aussi intéressant qu’escompté.<br />

D’une part, l’actualité est clairement tournée vers les accords européen concernant le mar<strong>ch</strong>é intérieur et<br />

les réglementations concernant la stabilité financière des entreprises, sujet pour lesquels nous avons obte-<br />

nus beaucoup de réponses sans avoir posé de questions.<br />

326


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

Les textes et rapports concernant les trois pays nordiques étudié ne sont en général pas traduit en Anglais<br />

ou une autre langue connue du bureau BASS, ce qui a significativement compliqué la re<strong>ch</strong>er<strong>ch</strong>e. Trois<br />

rapports importants sont attendus, mais qui ne seront malheureusement pas disponibles avant la fin de<br />

notre <strong>RFA</strong>.<br />

La conclusion générale que l’on peut tirer de cet examen est que ces modification (passage à un système<br />

de Net quoting en Norvège et en Finlande) n’a pas fondamentalement modifié le mar<strong>ch</strong>é dans son en-<br />

semble, les courtiers n’ont pas disparu et leur part de mar<strong>ch</strong>é est restée pratiquement constante. Il nous<br />

manque toutefois des sources fiables permettant de quantifier exactement les variations de prix.<br />

14.7 Analyse des Alternativzsenario 2<br />

Das Alternativszenario 2 sieht ein Verbot der Entgegennahme von Superprovisionen dur<strong>ch</strong> ungebundene<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler vor. Unter Superprovisionen werden die folgenden Ents<strong>ch</strong>ädigungsinstrumente<br />

verstanden:<br />

■ Volumenabhängige Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen (Contingent Commissions): Bei volumenabhängigen<br />

Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen stellt ein VU einem Broker zusätzli<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>ädigungen in Aussi<strong>ch</strong>t, wenn er be-<br />

zügli<strong>ch</strong> des platzierten Prämienvolumens einen bestimmten S<strong>ch</strong>wellenwert übers<strong>ch</strong>reitet. Volumenabhän-<br />

gige Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen lösen bei den Brokern den Anreiz aus, das Prämienvolumen bei einem VU zu<br />

konzentrieren, um in den Genuss der volumenabhängigen Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen zu kommen.<br />

■ Wa<strong>ch</strong>stumsabhängige Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen (Contingent Commissions): Analog zu den volu-<br />

menabhängigen Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen. Die S<strong>ch</strong>wellenwerte beziehen si<strong>ch</strong> dabei ni<strong>ch</strong>t auf das platziert<br />

Prämienvolumen, sondern auf das Wa<strong>ch</strong>stum des Prämienvolumens im Verglei<strong>ch</strong> zum platzierten Prä-<br />

mienvolumen im Vorjahr. Wa<strong>ch</strong>stumsabhängige Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen setzen die Broker dem ökonomi-<br />

s<strong>ch</strong>en Anreiz aussetzen, bei einem VU ein mögli<strong>ch</strong>st hohes Prämienwa<strong>ch</strong>stum zu realisieren.<br />

■ S<strong>ch</strong>adensabhängige Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen (Profit Commissions): Bei s<strong>ch</strong>adensabhängigen Zu-<br />

satzents<strong>ch</strong>ädigungen erhalten die Broker Ende Jahr in Abhängigkeit des S<strong>ch</strong>adenaufkommens der von<br />

ihnen beim VU platzierten Policen eine Ents<strong>ch</strong>ädigung, wobei gilt: Je tiefer das S<strong>ch</strong>adensaufkommen,<br />

desto höher die Ents<strong>ch</strong>ädigung. Profit Commissions setzen die Broker dem ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize aus, die<br />

Kunden davon zu überzeugen, Massnahmen der Risikoprävention und –meidung zu ergreifen.<br />

Ein Verbot von volumen- und wa<strong>ch</strong>stumsabhängigen Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen wird keine Kosten verursa-<br />

<strong>ch</strong>en. Der Nutzen des Verbots liegt darin, dass es den Interessenskonflikt reduziert, dem die Broker ausge-<br />

setzt sind. Das Verbot dürfte deshalb zu einer besseren Beratungsqualität, zu nutzenoptimaleren Kaufent-<br />

s<strong>ch</strong>eiden der VN und damit zu einer Erhöhung der Konsumentenrenten führen. Glei<strong>ch</strong>zeitig dürften die<br />

Renten derjenigen Broker sinken, die unter dem geltenden <strong>VVG</strong> no<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Superprovisionen entgegen-<br />

nehmen.<br />

Ein Verbot von s<strong>ch</strong>adensabhängigen Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen wird den Anreiz der Broker senken, ihre<br />

Kunden von Massnahmen der Risikoprävention und Risikomeidung zu überzeugen. Dies dürfte zu einer<br />

Erhöhung der primären S<strong>ch</strong>adenkosten führen, was ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert ist.<br />

Zusammenfassend lässt si<strong>ch</strong> festhalten, dass:<br />

■ Ein Verbot der Entgegennahme von volumen- und wa<strong>ch</strong>stumsabhängigen Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen<br />

dur<strong>ch</strong> die Makler und Broker ist aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t zu begrüssen.<br />

■ Ein Verbot der Entgegennahme von s<strong>ch</strong>adensabhängigen Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen dur<strong>ch</strong> die Makler und<br />

Broker ist aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert.<br />

Die Auswirkungen sind in Tabelle 72 im Überblick dargestellt.<br />

327


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

Tabelle 72: Verbot von Superprovisionen (Alternativszenario 2): Die Auswirkungen im Überblick<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten -<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten -<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Transaktionskosten<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten<br />

Abwicklungskosten<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Änderungs- & Anpassungskosten<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN)<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI & VU<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI) +<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

Verbot von s<strong>ch</strong>adensabhängigen Superprovisionen: Anreize der Makler und Broker, die VN<br />

von Massnahmen der Risikoprävention und Risikomeidung zu überzeugen, sinken<br />

Ex ante Opportunismus der VI + Reduktion des Interessenskonflikts der Makler und Broker<br />

Beratungsqualität + Reduktion des Interessenkonflikts der Makler und Broker<br />

Qualität der VI + Ertrag opportunistis<strong>ch</strong>er Makler und Broker sinkt<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU)<br />

Ex post Opportunismus der VU<br />

Andere Verhaltensanpassungen<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids + Bessere Beratungsqualität dank Reduktion des Interessenskonflikts der Makler und Broker<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

Produktqualität +<br />

Vertragsrisiken des VN -<br />

Vertragsrisiken des VU<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen<br />

Adverse Selektion<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t<br />

Prämienvolumen<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung<br />

Prämienhöhe<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total<br />

Instabilität des Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt +<br />

Renten der VN +<br />

Makler empfehlen weniger Produkte, die für die VN ungünstige Eigens<strong>ch</strong>aften (Preis,<br />

Deckungsaus<strong>ch</strong>lüsse etc.) aufweisen<br />

Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit von S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung und opportunistis<strong>ch</strong>er Ausbeutung dur<strong>ch</strong> Makler<br />

und Broker sinkt<br />

Nutzenoptimalere Kaufents<strong>ch</strong>eide<br />

Renten der VI - Reduktion von Opportunitätsprämien<br />

Renten der VU<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte<br />

328


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

14.8 Zusammenfassung<br />

14.8.1 Gegenstand der Regulierung<br />

Es sind drei Regulierungsszenarien zu untersu<strong>ch</strong>en:<br />

■ Regulierungsszenario: Einführung einer Transparenzvors<strong>ch</strong>rift bezügli<strong>ch</strong> der Ents<strong>ch</strong>ädigungen, wel-<br />

<strong>ch</strong>e die Broker von den VU erhalten (Art. 45 Abs. 1 ter<br />

E-VAG) und Verpfli<strong>ch</strong>tung der Broker zur Rückerstat-<br />

tung eines allfälligen Übers<strong>ch</strong>usses, wenn die Ents<strong>ch</strong>ädigung des VU den Aufwand des Brokers übersteigt<br />

(Art. 68 E-<strong>VVG</strong>).<br />

■ Alternativszenario 1: Einführung einer Transparenzvors<strong>ch</strong>rift bezügli<strong>ch</strong> der Ents<strong>ch</strong>ädigungen, wel<strong>ch</strong>e<br />

die Broker von den VU erhalten und Verzi<strong>ch</strong>t auf Art. 68 E-<strong>VVG</strong>.<br />

■ Alternativszenario 2: Verbot der Entgegennahme von wa<strong>ch</strong>stums-, volumen- und s<strong>ch</strong>adensabhängi-<br />

gen Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen dur<strong>ch</strong> die Broker.<br />

14.8.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

Tabelle 73: Maklerents<strong>ch</strong>ädigung: Problemstellung, Motivation und Ziele der Regulierung<br />

∆ 1: Pfli<strong>ch</strong>t der Makler/Broker zur Herausgabe der Makler/Broker-Ents<strong>ch</strong>ädigung an die VN<br />

<strong>VVG</strong>: (Retrozessionsents<strong>ch</strong>eid des Bundesgeri<strong>ch</strong>ts)<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 68<br />

Problemstellung: Principal-Agent-Problem: Opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten der Makler und Broker<br />

Ziel: Glei<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>altung der monetären Interessen der Makler/Broker mit den Interessen des<br />

Prinzipals (VN) → Nutzenoptimale Konsuments<strong>ch</strong>eide der VN<br />

∆ 2: Informationspfli<strong>ch</strong>t der Makler/Broker bezügli<strong>ch</strong> der Makler/Broker-Ents<strong>ch</strong>ädigung des VU<br />

<strong>VVG</strong>: -<br />

E-VAG: Art. 45 Abs. 1 ter<br />

Problemstellung: (1) VN kennen den Preis der Dienstleistung der Makler/Broker ni<strong>ch</strong>t<br />

(2) VN kennen den Interessenskonflikt der Broker ni<strong>ch</strong>t<br />

Ziel: (1) Intensivierung des Preiswettbewerbs unter den Maklern/Brokern<br />

(2) VN können opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten der Makler/Broker erkennen<br />

Quelle: <strong>VVG</strong>, E-<strong>VVG</strong>, Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t (2009), eigene Analysen<br />

14.8.3 Auswirkungen der Regulierung<br />

Regulierungsszenario: Art. 68 E-<strong>VVG</strong><br />

Aufgrund der Eins<strong>ch</strong>ätzungen der befragten Experten und aufgrund ökonomis<strong>ch</strong>er Überlegungen muss<br />

davon ausgegangen werden, dass Art. 68 E-<strong>VVG</strong> zur Herausbildung eines sogenannten Netquote-<br />

Marktes führen würde. In einem Netquote-Markt bezahlen die VN, die ihre Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung über<br />

einen Versi<strong>ch</strong>erungsbroker oder -makler einkaufen, eine sogenannte Nettoprämie und ents<strong>ch</strong>ädigen die<br />

Broker auf Honorarbasis.<br />

Im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft erwarten wir die folgenden Auswirkungen von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-<br />

VAG:<br />

■ Intensivierung des Preiswettbewerbs: Der Preiswettbewerb unter den Maklern wird zunehmen, da sie in<br />

einem Netquote-Markt mit den VN ihr Honorar verhandeln müssen. Au<strong>ch</strong> der Preiswettbewerb zwis<strong>ch</strong>en<br />

329


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

dem Maklerkanal und dem Agentenkanal würde intensiviert, was si<strong>ch</strong> positiv auf den Preis der Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsdeckung auswirken dürfte.<br />

■ Reduktion nutzensuboptimaler Kaufents<strong>ch</strong>eide: In einem Netquote-Markt sind die Makler keinem Inter-<br />

essenskonflikt mehr ausgesetzt, weil deren Ents<strong>ch</strong>ädigung ni<strong>ch</strong>t von den Eigens<strong>ch</strong>aften des Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsvertrags abhängt, für wel<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> der VN ents<strong>ch</strong>eidet. Die Beratungsqualität der Makler wird des-<br />

halb zunehmen, was si<strong>ch</strong> positiv auf die Nutzenoptimalität der Kaufents<strong>ch</strong>eide der Konsumenten auswir-<br />

ken wird.<br />

■ Reduktion des Marktvolumens und der Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen: Aufgrund der<br />

Transparenzvors<strong>ch</strong>rift bezügli<strong>ch</strong> der Maklerents<strong>ch</strong>ädigung werden die Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Einzellebens-<br />

versi<strong>ch</strong>erungen unter Druck kommen und substantiell fallen. Das Prämienvolumen von Sparversi<strong>ch</strong>erun-<br />

gen, die von Maklern vermittelt werden, wird in der Folge sinken, da si<strong>ch</strong> mit der Reduktion der Ab-<br />

s<strong>ch</strong>lusskosten die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize zur Vermittlung von Sparversi<strong>ch</strong>erungen vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern.<br />

■ Reduktion von Informationsdefiziten der VN bezügli<strong>ch</strong> der Qualität der VI: In einem Netquote-Markt<br />

können die VN die Qualität eines Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers besser beurteilen: Ungebunden ist derjenige VI,<br />

der von den VN selbst ents<strong>ch</strong>ädigt werden muss.<br />

■ Erhöhung der Abwicklungskosten der Makler: Die Abwicklungskosten der Makler werden steigen, da<br />

sie in einem Netquote-Markt ihre Aufwände aufzei<strong>ch</strong>nen und mit den VN abre<strong>ch</strong>nen müssen.<br />

■ Reduktion des Marktanteils des Maklerkanals: Aufgrund der erhöhten Abwicklungskosten und dem<br />

verstärkten Preiswettbewerb, dem die Makler in einem Netquote-Markt ausgesetzt sind, wird es unter den<br />

Maklern zu einer Marktbereinigung kommen. Der Marktanteil des Maklerkanals wird fallen.<br />

Insgesamt erwarten wir für den Privatkundenmarkt eine Erhöhung der ökonomis<strong>ch</strong>en Wohlfahrt: Die<br />

Konsumentenrenten werden steigen, die Renten der Makler und die Renten der VU hingegen sinken.<br />

Im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft erwarten wir hingegen die folgenden Auswirkungen:<br />

■ Intensivierung des Preiswettbewerbs: Der Preiswettbewerb unter den Brokern wird zunehmen, da sie in<br />

einem Netquote-Markt mit den VN ihr Honorar verhandeln müssen. Dadur<strong>ch</strong> wird au<strong>ch</strong> der Agentenkanal<br />

unter Druck kommen, was si<strong>ch</strong> positiv auf den Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung auswirken dürfte.<br />

■ Keine substantielle Veränderung der Marktanteile der vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanäle: Bezügli<strong>ch</strong> der<br />

Bedeutung der vers<strong>ch</strong>iedenen Vertriebskanäle im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft erwarten wir keine substantiellen<br />

Veränderungen: Die Broker würden si<strong>ch</strong> im Ges<strong>ch</strong>äft mit grösseren Firmenkunden au<strong>ch</strong> in einem Netquo-<br />

te-Markt dur<strong>ch</strong>setzen – ni<strong>ch</strong>t zuletzt deshalb, weil ein Teil der VN – insbesondere die grösseren Firmen-<br />

kunden – die Ents<strong>ch</strong>ädigung der Broker bereits unter dem geltenden <strong>VVG</strong> verhandelt. 83 Ein substantieller<br />

Rückgang der Anzahl Broker ist also ni<strong>ch</strong>t zu erwarten – darauf deuten au<strong>ch</strong> die jüngsten Entwicklungen<br />

in den skandinavis<strong>ch</strong>en Ländern hin, in wel<strong>ch</strong>en verglei<strong>ch</strong>bare Regulierungen umgesetzt wurden.<br />

Diese Erwartungen zum Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft basieren auf der Annahme, dass der Wettbewerb unter<br />

den VU funktioniert, so dass si<strong>ch</strong> die Nettoprämie von der Bruttoprämie im Umfang der heutigen Broker-<br />

ents<strong>ch</strong>ädigung unters<strong>ch</strong>eiden würde. Sollten si<strong>ch</strong> die VU strategis<strong>ch</strong> bzw. kooperativ verhalten und die<br />

Nettoprämie zu ho<strong>ch</strong> ansetzen, würde dies Auswirkungen auf den Brokerkanal entfalten, die aus wohl-<br />

fahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert sind, da der Brokerkanal für den Preiswettbewerb unter<br />

den VU im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft sehr wertvoll ist.<br />

83 Dabei werden oft Rückzahlungen der Broker an die VN vorgesehen, wenn die Brokerents<strong>ch</strong>ädigung den Betreuungs- und Bera-<br />

tungsaufwand des Brokers übertrifft.<br />

330


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

Alternativszenario 1: Transparenzvors<strong>ch</strong>rift<br />

Das Alternativszenario 1 sieht vor, dass die Makler und Broker ihre Kunden über die Art, Höhe und Be-<br />

re<strong>ch</strong>nung der Ents<strong>ch</strong>ädigungen informieren müssen. Die Transparenzvors<strong>ch</strong>rift würde – unter der Annah-<br />

me, dass die Broker die VN derart informieren müssten, dass diese den Preis der Dienstleistung der Broker<br />

korrekt eins<strong>ch</strong>ätzen können – zu folgenden Auswirkungen führen:<br />

■ Reduktion der Auswirkungen des Interessenskonflikts: Dur<strong>ch</strong> die Thematisierung der Finanzierung<br />

der Makler- und Brokerdienstleistung würde eine Sensibilisierung der VN bezügli<strong>ch</strong> allfälligen Interessens-<br />

konflikten der Makler und Broker stattfinden. Das Bewusstsein der Existenz eines Interessenskonflikts<br />

würde eine Präventivwirkung entfalten, so dass eine Reduktion von opportunistis<strong>ch</strong>em Verhalten der Mak-<br />

ler und Broker zu erwarten wäre. Darüber hinaus würde der Ertrag von opportunistis<strong>ch</strong>en Maklern und<br />

Brokern sinken, so dass die Qualität der im Markt aktiven Makler und Broker steigen würde. Die Redukti-<br />

on von ex ante Opportunismus würde letztli<strong>ch</strong> in nutzenoptimaleren Kaufents<strong>ch</strong>eiden der VN und damit<br />

in höheren Konsumentenrenten resultieren. Die Reduktion des Interessenkonflikts dürfte si<strong>ch</strong> in erster<br />

Linie im Privatkundenmarkt und im Ges<strong>ch</strong>äft mit Kleinstunternehmen auswirken.<br />

■ Verstärkter Preiswettbewerb unter den VI und unter den Vertriebskanälen: Die Transparenzvor-<br />

s<strong>ch</strong>rift dürfte den Preiswettbewerb unter den Maklern und Brokern intensivieren, was letztli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> den<br />

Agentenkanal unter Druck setzen würde. Die Sensibilisierung der VN bezügli<strong>ch</strong> des Preises der Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsberatung dürfte im Privatkundenmarkt das Wa<strong>ch</strong>stum des Direktvertriebs bes<strong>ch</strong>leunigen.<br />

■ Entwicklung im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen: Das Prämienvolumen im Berei<strong>ch</strong> der<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen, das über Versi<strong>ch</strong>erungsmakler vermittelt wird, würde markant sinken. Die<br />

Abs<strong>ch</strong>lusskosten bei Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen würden au<strong>ch</strong> im Agentenkanal stark unter Druck kom-<br />

men.<br />

■ Reduktion der Renten der VU und Makler und Broker: Die Gewinne der VU und der Makler/Broker<br />

würden sinken: Wegen dem verstärkten Wettbewerb, der Reduktion von Opportunitätsprämien und auf-<br />

grund eines reduzierten Marktvolumens im Berei<strong>ch</strong> der Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen.<br />

Aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ist die Einführung einer Transparenzvors<strong>ch</strong>rift wüns<strong>ch</strong>enswert. Ni<strong>ch</strong>t<br />

zuletzt deshalb, weil die zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten, die von der Informationspfli<strong>ch</strong>t ausgelöst würden, verna<strong>ch</strong>-<br />

lässigbar gering ausfallen dürften: Den zusätzli<strong>ch</strong>en Nutzen stehen keine relevanten zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten<br />

gegenüber.<br />

Alternativszenario 2: Verbot der Entgegennahme von Superprovisionen<br />

Das Alternativszenario 2 sieht ein Verbot der Entgegennahme von Contingent Commissions dur<strong>ch</strong> Makler<br />

und Broker vor. Dieses Verbot würde zu folgenden Auswirkungen führen:<br />

■ Das Verbot von wa<strong>ch</strong>stums- und volumenabhängigen Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen würde den Inter-<br />

essenskonflikt der Makler und Broker reduzieren. Die Folge davon wäre eine höhere Beratungsqualität<br />

und nutzenoptimalere Kaufents<strong>ch</strong>eide der VN. Die Konsumentenrenten würden steigen. Das Verbot wür-<br />

de zu keinen zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten führen.<br />

■ Das Verbot von Zusatzents<strong>ch</strong>ädigungen, die vom S<strong>ch</strong>adensverlauf der Policen abhängig sind,<br />

die eine Makler bzw. ein Broker bei einem VU platziert hat, würde die ökonomis<strong>ch</strong>en Anreize desselben<br />

senken, seine Kunden von Massnahmen der Risikoprävention und Risikovermeidung zu überzeugen. Die<br />

Folge davon wäre eine Zunahme der primären S<strong>ch</strong>adenskosten, was aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t<br />

ni<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert ist.<br />

331


14 Maklerents<strong>ch</strong>ädigung (Art. 68 E-<strong>VVG</strong> und Art. 45 E-VAG)<br />

14.8.4 Empfehlungen<br />

Vor dem Hintergrund der dur<strong>ch</strong>geführten ökonomis<strong>ch</strong>en, ordnungs- und wirts<strong>ch</strong>aftspolitis<strong>ch</strong>en Analyse<br />

können wir insgesamt folgende Empfehlungen formulieren:<br />

■ Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft Für den Firmenkundenmarkt empfehlen wir eine umfassende, spezifis<strong>ch</strong>er<br />

formulierte Transparenzvors<strong>ch</strong>rift bezügli<strong>ch</strong> der Ents<strong>ch</strong>ädigungen, wel<strong>ch</strong>e die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker von<br />

den VU erhalten. Die Verhältnismässigkeit eines Eingriffs in die Vertragsfreiheit ist im Firmenkundenge-<br />

s<strong>ch</strong>äft im Sinne von Art. 68 E-<strong>VVG</strong> (oder Art. 40 VE-VAG) unseres Era<strong>ch</strong>tens aus folgenden Gründen ni<strong>ch</strong>t<br />

gegeben:<br />

- Die empiris<strong>ch</strong>e Evidenz indiziert, dass der Reputationsme<strong>ch</strong>anismus und der Wettbewerb unter<br />

den Versi<strong>ch</strong>erungsbroker im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft – insbesondere im Ges<strong>ch</strong>äft mit Unterneh-<br />

men mit mehr als rund 10 Bes<strong>ch</strong>äftigten – spielen.<br />

- Es gibt keine empiris<strong>ch</strong>e Evidenz, dass der Interessenskonflikt, dem die Versi<strong>ch</strong>erungsbroker aus-<br />

gesetzt sind, ein zentrales Problem im Firmenkundenges<strong>ch</strong>äft darstellt.<br />

- Die Firmenkunden haben bereits unter dem geltenden <strong>VVG</strong> die Mögli<strong>ch</strong>keit, ihren Broker auf Ho-<br />

norarbasis zu ents<strong>ch</strong>ädigen, was sie zum Teil au<strong>ch</strong> tun.<br />

- Abgesehen von den Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Bes<strong>ch</strong>äftigten sind die Firmenkunden<br />

ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>utzbedürftig.<br />

■ Privatkundenges<strong>ch</strong>äft: Die Auswirkungen von Art. 45 Abs. 1 ter<br />

und Art. 68 E-<strong>VVG</strong> im Privatkundenge-<br />

s<strong>ch</strong>äft werden bes<strong>ch</strong>eiden ausfallen, da der Maklerkanal im B2C-Markt verglei<strong>ch</strong>sweise s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> ist. Aus<br />

diesem Grund empfehlen wir, die Transparenzvors<strong>ch</strong>rift (Alternativszenario 1) auf die gebundenen VI<br />

auszudehnen. Au<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>erungsagenten, Mehrfa<strong>ch</strong>agenten und VI der Strukturbetriebe sollten ver-<br />

pfli<strong>ch</strong>tet werden, ihre ökonomis<strong>ch</strong>e Interessensbindung offen zu legen – aus folgenden Gründen:<br />

- Ni<strong>ch</strong>t nur die ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsmakler, sondern au<strong>ch</strong> die gebundenen VI sind im<br />

Rahmen ihres Ents<strong>ch</strong>ädigungsmodells einem Interessenskonflikt ausgesetzt.<br />

- Beim grössten Teil der opportunistis<strong>ch</strong>en VI handelt es si<strong>ch</strong> erwiesenermassen ni<strong>ch</strong>t um ungebun-<br />

dene, sondern um gebundene VI.<br />

- Die Ausdehnung der Transparenzvors<strong>ch</strong>rift auf gebunden VI ist aus einer normativ-ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

Perspektive gere<strong>ch</strong>tfertigt, weil ni<strong>ch</strong>t nur die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en dem VN und dem ungebunde-<br />

nen VI, sondern au<strong>ch</strong> die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en dem VN und dem gebundenen VI eine Vertrauens-<br />

beziehung ist – dabei handelt es si<strong>ch</strong> um einen Anspru<strong>ch</strong> der gebundenen VI selbst, weshalb sie<br />

si<strong>ch</strong> zumeist als Versi<strong>ch</strong>erungsberater und ni<strong>ch</strong>t als Versi<strong>ch</strong>erungsverkäufer bezei<strong>ch</strong>nen.<br />

Für das Privatkundenges<strong>ch</strong>äft empfehlen wir darüber hinaus ein Verbot der Entgegennahme von Ents<strong>ch</strong>ä-<br />

digung der VU dur<strong>ch</strong> die ungebundenen VI im Sinne von Art. 40 Abs. 3 VE-VAG, da wir von einem Net-<br />

quote-Markt im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft positive Auswirkungen auf die ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt erwarten.<br />

Wenn man si<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en einer Transparenzvors<strong>ch</strong>rift, wel<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong> die gebundenen VI erfasst, und einem<br />

Verbot der Maklerents<strong>ch</strong>ädigung ents<strong>ch</strong>eiden muss, ist aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t eine auf die gebundenen<br />

VI ausgedehnte Transparenzvors<strong>ch</strong>rift vorzuziehen – diese ökonomis<strong>ch</strong>e Präferenz ergibt si<strong>ch</strong> aus der rela-<br />

tiv geringen Bedeutung des Maklerkanals im Privatkundenges<strong>ch</strong>äft.<br />

332


15 Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (Art. 73 E-<strong>VVG</strong>)<br />

15 Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (Art. 73 E-<strong>VVG</strong>)<br />

15.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

15.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

In Tabelle 74 sind die relevanten gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen, wel<strong>ch</strong>e die Regulierungsszenarien und das<br />

Referenzszenario determinieren, einander gegenübergestellt.<br />

Tabelle 74: Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung<br />

Regulierungsszenario (RS) und Alternativszenario (AS)<br />

RS: Einführung von Art. 73 E-<strong>VVG</strong><br />

AS: Verbot von Gesundheitsprüfungen.<br />

Art. 73 (Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung) E-<strong>VVG</strong><br />

73.1. Sieht ein Kollektivvertrag mit einem Arbeitgeber vor, dass das<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen die Leistungen gegenüber einer versi<strong>ch</strong>erten<br />

Arbeitnehmerin oder einem versi<strong>ch</strong>erten Arbeitnehmer aufgrund einer<br />

Gesundheitsprüfung eins<strong>ch</strong>ränken kann, und tritt dieser Fall ein, so teilt das<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen dies der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer<br />

s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> mit. Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer ist auf das Re<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong><br />

Absatz 2 hinzuweisen.<br />

73.2. Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer hat das Re<strong>ch</strong>t, innert zwei Wo<strong>ch</strong>en<br />

dem Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen zu untersagen, den Arbeitgeber über die<br />

Eins<strong>ch</strong>ränkung in Kenntnis zu setzen.<br />

73.3. Untersagt die versi<strong>ch</strong>erte Arbeitnehmerin oder der versi<strong>ch</strong>erte Arbeitnehmer<br />

die Bena<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tigung des Arbeitgebers, so ist der Arbeitgeber im Falle einer<br />

Verhinderung der versi<strong>ch</strong>erten Arbeitnehmerin oder des versi<strong>ch</strong>erten Arbeitsnehmers<br />

aus einem von der Eins<strong>ch</strong>ränkung des Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen erfassten Grundes<br />

nur zur Lohnfortzahlung na<strong>ch</strong> den Bestimmungen des Obligationenre<strong>ch</strong>ts<br />

verpfli<strong>ch</strong>tet, au<strong>ch</strong> wenn ein Einzel- oder ein Gesamtarbeitsvertrag etwas anderes<br />

vorsieht.<br />

Anmerkungen: RS = Regulierungsszenario; AS = Alternativszenario; BS: Referenzszenario; Orange = halbzwingendes Re<strong>ch</strong>t; Blau:<br />

Existenz von Alternativszenarien; fett: neu / verändert<br />

Quelle: E-<strong>VVG</strong>, <strong>VVG</strong><br />

15.1.2 Identifikation der Veränderungen<br />

Das Regulierungsszenario sieht vor, dass mit Art. 73 E-<strong>VVG</strong> die Arbeitnehmer bei kollektiven Kranken-<br />

taggeldversi<strong>ch</strong>erungen neu die Mögli<strong>ch</strong>keit haben, dem Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen zu untersagen, den<br />

Arbeitgeber über eine Versi<strong>ch</strong>erungsleistungseins<strong>ch</strong>ränkung aufgrund einer Gesundheitsprüfung zu in-<br />

formieren. In einem sol<strong>ch</strong>en Fall ist der Arbeitgeber im S<strong>ch</strong>adensfall nur zu einer Lohnfortzahlung na<strong>ch</strong><br />

den Bestimmungen des Obligationenre<strong>ch</strong>ts 84 verpfli<strong>ch</strong>tet.<br />

Das Alternativszenario sieht vor, Gesundheitsprüfung bei Kollektivversi<strong>ch</strong>erungen zu verbieten.<br />

84 Z.B. Zür<strong>ch</strong>er Skala: 3 Wo<strong>ch</strong>en Lohnfortzahlungspfli<strong>ch</strong>t im 1. Anstellungsjahr, sodann pro Jahr 1 Wo<strong>ch</strong>e mehr.<br />

Referenzszenario (BS):<br />

Keine gesetzli<strong>ch</strong>e Regelung<br />

333


15 Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (Art. 73 E-<strong>VVG</strong>)<br />

15.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

Der erläuternde Beri<strong>ch</strong>t führt bezügli<strong>ch</strong> dem Regulierungsszenario aus, dass Art. 73 E-<strong>VVG</strong> das «die ge-<br />

genläufigen Interessen austarierende» Resultat einer Interessensabwägung darstelle (vgl. Erläuternder<br />

Beri<strong>ch</strong>t 2009, 66):<br />

■ Auf der einen Seite muss der Arbeitgeber wissen, wann eine zur Finanzierung der Lohnfortzahlung<br />

abges<strong>ch</strong>lossene Versi<strong>ch</strong>erung ni<strong>ch</strong>t leisten muss, da der Arbeitgeber in diesem Fall persönli<strong>ch</strong> leistungs-<br />

pfli<strong>ch</strong>tig wird. Insbesondere bei Kleinbetrieben kann die Pfli<strong>ch</strong>t zur Übernahme von Risiken, die der Klein-<br />

betrieb versi<strong>ch</strong>ert zu haben meint, «gravierende Folgen» (Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t 2009, 66) haben.<br />

■ Auf der anderen Seite kann der Arbeitnehmer «ein s<strong>ch</strong>ützenswertes Interesse an der Geheimhaltung<br />

gesundheitli<strong>ch</strong>er Beeinträ<strong>ch</strong>tigungen» (Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t 2009, 66) haben. Insbesondere deshalb, weil<br />

ein Arbeitgeber, der Kenntnis über die gesundheitli<strong>ch</strong>e Beeinträ<strong>ch</strong>tigung eines soeben eingestellten Ar-<br />

beitnehmers erhält, si<strong>ch</strong> anbetra<strong>ch</strong>t des damit zusammenhängenden Risikos für eine Kündigung (während<br />

der begonnenen Probezeit) ents<strong>ch</strong>eiden könnte.<br />

Diese Lösung ist insofern «die gegenläufigen Interessen austarierend», dass dem Arbeitnehmer mit Art.<br />

73 Abs. 2 zwar das Re<strong>ch</strong>t eingeräumt wird, dem Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen zu untersagen, den Arbeit-<br />

geber über den Vorbehalt und die damit einhergehende Eins<strong>ch</strong>ränkung der Leistungspfli<strong>ch</strong>t zu informie-<br />

ren. In diesem Fall wird jedo<strong>ch</strong> dem Interesse des Arbeitgebers dadur<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>nung getragen, dass dessen<br />

Leistungspfli<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall auf das Minimum gemäss OR festgesetzt wird.<br />

15.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung<br />

Die Kritik, die im Rahmen der Vernehmlassung formuliert wurde, strukturiert si<strong>ch</strong> entlang der gegenläufi-<br />

gen Interessen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, die von einem Gesundheitsvorbehalt betroffen<br />

sind:<br />

■ Kritik von Institutionen, die das Interesse der Arbeitnehmer betonen: Diejenigen Institutionen,<br />

die das Interesse der Arbeitnehmer betonen, kritisieren die Lösung im Sinne von Art. 73 E-<strong>VVG</strong>, da diese<br />

für den Arbeitnehmer mit einem Vorbehalt aufgrund einer Gesundheitsprüfung kein Verbesserung dar-<br />

stellt, da dieser zu einer Wahl zwis<strong>ch</strong>en zwei Übel gezwungen wird: Entweder untersagt er dem Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsunternehmen, den Arbeitgeber über die Eins<strong>ch</strong>ränkung zu informieren und verliert dadur<strong>ch</strong> den<br />

Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz, der über die Bestimmung im OR hinausgehen kann oder er untersagt ni<strong>ch</strong>t und<br />

nimmt damit das Risiko in Kauf, während der Probezeit entlassen zu werden. Das Risiko, entlassen zu<br />

werden, dürfte dabei ni<strong>ch</strong>t unbedeutend sein, da der Arbeitnehmer das Risiko tragen muss, die Lohnfort-<br />

zahlung gemäss OR übernehmen zu müssen. Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt (2009, 4) bilan-<br />

ziert: «Damit werden zwar die gegenläufigen Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmenden unter Wahrung der<br />

Persönli<strong>ch</strong>keitsre<strong>ch</strong>te der Arbeitnehmenden austariert, an der s<strong>ch</strong>werwiegenden Lücke in ihrem Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz<br />

ändert dies aber ni<strong>ch</strong>ts.» Die Sozialdemokratis<strong>ch</strong>e Partei der S<strong>ch</strong>weiz s<strong>ch</strong>liesst si<strong>ch</strong> dieser Eins<strong>ch</strong>ätzung an:<br />

«Die vorges<strong>ch</strong>lagene Bestimmung zur Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung versetzt den Arbeitnehmer<br />

bzw. die Arbeitnehmerin in die unakzeptable Position, dass er oder sie si<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>eiden muss zwis<strong>ch</strong>en dem Verlust<br />

der vollständigen und dur<strong>ch</strong> Prämien bezahlten Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung, inklusive Verlust der vertragli<strong>ch</strong> zugesi<strong>ch</strong>erten<br />

und verbesserten Lohnfortzahlung, oder aber einer Entlassung dur<strong>ch</strong> den Arbeitgeber wegen der offengelegten Ge-<br />

sundheitsprobleme» (SP 2009, 4). Der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Gewerks<strong>ch</strong>aftsbund fordert vor diesem Hintergrund<br />

ein Verbot von Gesundheitsprüfungen au<strong>ch</strong> für den Fall, dass die Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung ni<strong>ch</strong>t für<br />

obligatoris<strong>ch</strong> erklärt werden sollte: «Art. 73 WG: Diese Bestimmung ist zu strei<strong>ch</strong>en. Die von Ihnen vorges<strong>ch</strong>lage-<br />

ne Regelung ist ein inakzeptabler Eingriff in das Arbeitsverhältnis und würde die Arbeitnehmenden in eine ausweglo-<br />

se Situation versetzen, indem sie ihn vor die Wahl zwis<strong>ch</strong>en dem Verlust der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung - dies trotz Prä-<br />

334


15 Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (Art. 73 E-<strong>VVG</strong>)<br />

mienzahlung - und zusätzli<strong>ch</strong> dem Verlust einer arbeitsvertragli<strong>ch</strong> zugesi<strong>ch</strong>erten verbesserten Lohnfortzahlung oder<br />

aber der wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>en Entlassung stellte, weil der Arbeitgeber das Risiko ni<strong>ch</strong>t selbst tragen will. Stattdessen soll<br />

bei Kollektivkrankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungen generell auf Gesundheitsprüfungen verzi<strong>ch</strong>tet werden. Verzerrungen<br />

zwis<strong>ch</strong>en den Versi<strong>ch</strong>erern werden damit trotz fehlendem Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium bzw. Aufnahmezwang ausge-<br />

s<strong>ch</strong>lossen und die Versi<strong>ch</strong>erer können die Kosten auf die Masse verteilen. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang,<br />

dass heute in vielen Kollektivverträgen ohnehin keine Gesundheitsprüfung mehr vorgesehen ist, was mit dem beste-<br />

henden Freizügigkeitsabkommen zusammenhängen dürfte. Die generelle Abs<strong>ch</strong>affung der Gesundheitsprüfung ist für<br />

die Versi<strong>ch</strong>erer also zumutbar. Eventualiter müsste Art. 70 KVG sinngemäss anwendbar erklärt werden» (SGB 2009,<br />

2).<br />

■ Kritik der Institutionen, wel<strong>ch</strong>e die Interessen der Arbeitgeber betonen: Wenn der Arbeitneh-<br />

mer dem Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen untersagt, den Arbeitgeber über den Vorbehalt zu informieren,<br />

entsteht für den Arbeitgeber ein Zahlungsrisiko: Im S<strong>ch</strong>adensfall muss er unerwarteterweise Lohnfortzah-<br />

lung gemäss den Bestimmungen im OR leisten. Dies ist für den Arbeitgeber besonders bitter, da er mit<br />

dem Abs<strong>ch</strong>luss einer Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung genau dieses Zahlungsrisiko eliminieren wollte (vgl. u.a.<br />

KV S<strong>ch</strong>weiz 2009, 5).<br />

15.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

Art. 73 E-<strong>VVG</strong> betrifft eine Problemstellung, die mit na<strong>ch</strong>folgendem Fall illustriert werden kann, von dem<br />

die Ombudsfrau der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der SUVA beri<strong>ch</strong>tet:<br />

«Als sensibler Berei<strong>ch</strong> erwies si<strong>ch</strong> der Datens<strong>ch</strong>utz. Im einen Fall ging es um die Aufnahme einer neu eingetretenen<br />

Angestellten in die Kollektiv-Kranken-Taggeld-Versi<strong>ch</strong>erung des Arbeitgebers. Der Aussendienstmitarbeiter des Versi-<br />

<strong>ch</strong>erers füllte zusammen mit der Angestellten in Anwesenheit des Arbeitgebers den Gesundheitsfragebogen aus.<br />

Dadur<strong>ch</strong> erhielt der Arbeitgeber Kenntnis vom Gesundheitszustand der Frau. Als der Versi<strong>ch</strong>erer in der Folge ni<strong>ch</strong>t<br />

bereit war, die Frau ohne Vorbehalt in die Kollektiv-Versi<strong>ch</strong>erung aufzunehmen, teilte der Arbeitgeber der Frau mit,<br />

sie stelle ein zu hohes Risiko für ihn dar, worauf das Arbeitsverhältnis – im gegenseitigen Einvernehmen – aufgelöst<br />

wurde. Die seither arbeitslose Frau wandte si<strong>ch</strong> an die Ombudsstelle, wel<strong>ch</strong>e mit ihrer Intervention errei<strong>ch</strong>en konnte,<br />

dass die Versi<strong>ch</strong>erungs-Gesells<strong>ch</strong>aft bereit war, der Bes<strong>ch</strong>werdeführerin einen Genugtuungsbetrag zu leisten.» (Om-<br />

budsfrau 2006, 10-11)<br />

15.4.1 Hintergrundinformationen<br />

Gesundheitsprüfungen gibt es sowohl in der kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung als au<strong>ch</strong> bei<br />

den überobligatoris<strong>ch</strong>en Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen der berufli<strong>ch</strong>en Vorsorge. Im folgenden<br />

präsentieren wir kurz Hintergrundinformationen, die für die ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse von Art. 73 E-<strong>VVG</strong><br />

relevant sind.<br />

Kollektive Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungen<br />

■ Eine Gesundheitsprüfung läuft folgendermassen ab: Die versi<strong>ch</strong>erten Personen füllen einen Gesund-<br />

heitsfragebogen aus. Diese Angaben werden von einem Arzt dur<strong>ch</strong>gesehen, der die ausgefüllten Frage-<br />

bogen in drei Kategorien teilt: Kategorie 1: Kein Gesundheitsvorbehalt; Kategorie 2: Gesundheitsvorbehalt<br />

muss angebra<strong>ch</strong>t werden; Kategorie 3: Weiter Abklärungen sind notwendig, unter Umständen nimmt der<br />

Arzt selbst einen Gesundheits<strong>ch</strong>eck vor.<br />

■ Gesundheitsprüfungen sind bei Kleinstunternehmen die Regel. Die meisten KTG-Versi<strong>ch</strong>erer führen<br />

Gesundheitsprüfungen bei Unternehmen mit weniger als fünf Bes<strong>ch</strong>äftigten dur<strong>ch</strong>. Andere ziehen die<br />

Trennlinie bei drei oder zehn Bes<strong>ch</strong>äftigen. Es gibt allerdings au<strong>ch</strong> KTG-Versi<strong>ch</strong>erer, bei wel<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t die<br />

335


15 Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (Art. 73 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Anzahl Bes<strong>ch</strong>äftigter, sondern die Lohnsumme darüber bestimmt, ob eine Gesundheitsprüfung dur<strong>ch</strong>ge-<br />

führt wird.<br />

■ Na<strong>ch</strong> der Dur<strong>ch</strong>führung einer Gesundheitsprüfung können drei Ergebnisse resultieren: (1) Der KTG-<br />

Versi<strong>ch</strong>erer ist ni<strong>ch</strong>t bereit, das Unternehmen zu versi<strong>ch</strong>ern; (2) Der KTG-Versi<strong>ch</strong>erer bringt Gesundheits-<br />

vorbehalte an; (3) Der KTG versi<strong>ch</strong>ert ohne Vorbehalt. Die Häufigkeiten dieser drei Ergebnisse hängen im<br />

Wesentli<strong>ch</strong>en von der Ges<strong>ch</strong>äftspolitik des VU und von der Kundenbeziehung ab: So gibt es VU, die Ge-<br />

sundheitsvorbehalte eher zurückhaltend anbringen, dafür häufiger darauf verzi<strong>ch</strong>ten, die Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

deckung überhaupt zu gewähren. Grundsätzli<strong>ch</strong> spielt au<strong>ch</strong> die Kundenbeziehung eine Rolle: Wenn ein<br />

Kunde sein ganzes Versi<strong>ch</strong>erungsportfolio bei einem VU hat, so wird beim Ents<strong>ch</strong>eid, ob das Risiko ge-<br />

deckt wird oder ob Gesundheitsvorbehalte angebra<strong>ch</strong>t werden, die Kundenbeziehung in ihrer Gesamtheit<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigt.<br />

■ Grundsätzli<strong>ch</strong> kann davon ausgegangen werden, dass Gesundheitsvorbehalte relativ häufig sind: Bei<br />

einem VU, das wir befragt haben, beträgt der Anteil der Versi<strong>ch</strong>erungsverträge, die mindestens einen<br />

Gesundheitsvorbehalt enthalten, rund ein Fünftel.<br />

■ Gesundheitsprüfungen werden standardmässig au<strong>ch</strong> bei selbständig Erwerbstätigen dur<strong>ch</strong>geführt,<br />

insbesondere dann, wenn sie eine hohe Lohnsumme versi<strong>ch</strong>ern wollen. Eines der VU, die wir befragt ha-<br />

ben, führt Gesundheitsprüfungen bei Einkommen von mehr als 250'000 Franken pro Jahr standardmässig<br />

dur<strong>ch</strong>. Bei hohen Summenversi<strong>ch</strong>erungen sind Gesundheits<strong>ch</strong>ecks dur<strong>ch</strong> einen Arzt häufig.<br />

■ Gesundheitsvorbehalte gelten in der kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung na<strong>ch</strong> <strong>VVG</strong> – im Gegensatz<br />

zur Taggeldversi<strong>ch</strong>erung na<strong>ch</strong> KVG, bei wel<strong>ch</strong>en ein Gesundheitsvorbehalt hö<strong>ch</strong>stens während 5 Jahren<br />

angebra<strong>ch</strong>t werden darf – in der Regel lebenslang.<br />

Überobligatoris<strong>ch</strong>e Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen der berufli<strong>ch</strong>en Vorsorge<br />

■ Bei den überobligatoris<strong>ch</strong>en Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen der berufli<strong>ch</strong>en Vorsorge sind Gesundheits-<br />

prüfungen die Regel. Es gibt eher wenige Unternehmen bzw. Pensionskassen, die auf Gesundheitsprü-<br />

fungen gänzli<strong>ch</strong> verzi<strong>ch</strong>ten. Ein Beispiel hierfür ist das Detailhandelsgrossunternehmen Migros, das auf<br />

Gesundheitsprüfungen verzi<strong>ch</strong>tet.<br />

■ Gesundheitsvorbehalte dürften grundsätzli<strong>ch</strong> nur für fünf Jahre angebra<strong>ch</strong>t werden.<br />

15.4.2 Analyse des Regulierungsszenario<br />

15.4.2.1 Auswirkungen in der überobligatoris<strong>ch</strong>en<br />

Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erung<br />

Falls Art. 73 E-<strong>VVG</strong> eintritt, ist es für jeden Arbeitnehmer mit einem Gesundheitsvorbehalt rational, dem<br />

VU gemäss Abs. 2 zu untersagen, den Arbeitgeber über den Vorbehalt zu informieren. Denn er kann nur<br />

verlieren und ni<strong>ch</strong>ts gewinnen, wenn sein Arbeitgeber von seinem Gesundheitsvorbehalt Kenntnis erhält.<br />

Art. 73 E-<strong>VVG</strong> wird im Berei<strong>ch</strong> der überobligatoris<strong>ch</strong>en berufli<strong>ch</strong>en Vorsorge deshalb zu einer Reduktion<br />

der Anzahl Kündigungen führen, die auf medizinis<strong>ch</strong>e Gründen zurückzuführen sind. Die Reduktion der<br />

Anzahl Kündigungen ist aus einer volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Si<strong>ch</strong>t grundsätzli<strong>ch</strong> wüns<strong>ch</strong>enswert, weil dadur<strong>ch</strong>:<br />

■ Produktionsausfälle verhindert werden können, die entstehen, wenn ein Arbeitnehmer mit einem Ge-<br />

sundheitsvorbehalt keine Arbeit hat, und<br />

■ Transaktionskosten eingespart werden können, die resultieren, wenn der Arbeitgeber seine offene Stel-<br />

le anderweitig besetzen muss.<br />

336


15 Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (Art. 73 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Für den Arbeitgeber, der in seiner Belegs<strong>ch</strong>aft aus wel<strong>ch</strong>en Gründen au<strong>ch</strong> immer keine medizinis<strong>ch</strong>en<br />

Risiken haben mö<strong>ch</strong>te, ist Art. 73 unvorteilhaft, weil die medizinis<strong>ch</strong>en Risiken in seiner Belegs<strong>ch</strong>aft stei-<br />

gen.<br />

15.4.2.2 Auswirkungen in der kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung<br />

Kosten 1: Erhöhung der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Ein Arbeitgeber kann vers<strong>ch</strong>iedene Beweggründe haben, eine kollektive Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung<br />

einzukaufen:<br />

■ «Risikoversi<strong>ch</strong>erung»: Der Arbeitgeber zei<strong>ch</strong>net einen Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erungsvertrag, weil er<br />

das Risiko, im Krankheitsfall während der gesetzli<strong>ch</strong> vorges<strong>ch</strong>riebenen Dauer Lohnfortzahlung leisten zu<br />

müssen, ni<strong>ch</strong>t tragen will. Dies dürfte das Hauptmotiv für die Zei<strong>ch</strong>nung eines KTG-Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags<br />

dur<strong>ch</strong> einen Arbeitgeber sein. In Tabelle 75 ist dieses finanzielle Risiko am Beispiel eines Arbeitgebers in<br />

Züri<strong>ch</strong> aufgezeigt. Mit der Anzahl Dienstjahre des Arbeitnehmers, der krank geworden ist, steigt die Lohn-<br />

fortzahlungspfli<strong>ch</strong>t gemessen in Wo<strong>ch</strong>en: Im ersten Dienstjahr ist der Arbeitgeber verpfli<strong>ch</strong>tet, Lohnfort-<br />

zahlung während 3 Wo<strong>ch</strong>en zu leisten, im 40. Dienstjahr beträgt die Lohnfortzahlungspfli<strong>ch</strong>t 46 Wo<strong>ch</strong>en.<br />

Diese Angaben zur Lohnfortzahlungspfli<strong>ch</strong>t beruhen auf der sogenannten «Zür<strong>ch</strong>er Skala». Das finanzielle<br />

Risiko weisen wir für drei vers<strong>ch</strong>iedene Arbeitnehmer aus, die si<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong> des Lohns unters<strong>ch</strong>eiden:<br />

- «Median-Verdiener»: Der Median-Verdiener ist der «dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e Arbeitnehmer» der Gross-<br />

region Züri<strong>ch</strong>: Er verdient einen standardisierten, vollzeitäquivalenten Monatslohn in der Höhe<br />

von 6'250 Franken. Die Hälfte der Arbeitnehmer in der Grossregion Züri<strong>ch</strong> haben einen standar-<br />

disierten, vollzeitäquivalenten Monatslohn, der höher ist als derjenige des Median-Verdieners. Die<br />

andere Hälfte verdient weniger.<br />

- «Unteres-Quartil-Verdiener»: Dieser Arbeitnehmer verdient weniger als der Medianverdiener,<br />

nämli<strong>ch</strong> 4'745 Franken. Im Grossraum Züri<strong>ch</strong> haben 75 Prozent der Arbeitnehmer einen höheren<br />

Lohn als der Unteres-Quartil-Verdiener, 25 Prozent einen tieferen.<br />

- «Oberes-Quartil-Verdiener»: Dieser Arbeitnehmer verdient mehr als der Medianverdiener, sein<br />

standardisierter Bruttomonatslohn beträgt 8'544 Franken Im Grossraum Züri<strong>ch</strong> verdienen nur 25<br />

Prozent der Arbeitnehmer mehr, 75 Prozent verdienen weniger<br />

Die Tabelle zeigt zum Beispiel: Erkrankt ein Arbeitnehmer in seinem 20. Dienstjahr, ist der Arbeitgeber zu<br />

einer Lohnfortzahlung während 26 Wo<strong>ch</strong>en verpfli<strong>ch</strong>tet. Handelt es si<strong>ch</strong> beim erkrankten Arbeitnehmer<br />

um einen «Oberes-Quartil-Verdiener» und wird er für die gesamten 26 Wo<strong>ch</strong>en krankges<strong>ch</strong>rieben, be-<br />

trägt das finanzielle Risiko für den Arbeitgeber 55'536 Franken.<br />

■ «Attraktiver Arbeitgeber»: Damit ein Unternehmen die besten Talente einstellen kann, muss es att-<br />

raktive Anstellungsbedingungen haben. Ein Element attraktiver Anstellungsbedingungen ist die finanzielle<br />

Absi<strong>ch</strong>erung der Arbeitnehmer im Krankheitsfall.<br />

■ «Verantwortung»: Es gibt Arbeitgeber, die si<strong>ch</strong> für die finanzielle Si<strong>ch</strong>erheit ihrer Mitarbeiter verant-<br />

wortli<strong>ch</strong> fühlen. Verantwortungsgefühl kann also au<strong>ch</strong> ein Grund sein, weshalb ein Arbeitgeber einen<br />

KTG-Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zei<strong>ch</strong>net.<br />

■ «Kontrolle medizinis<strong>ch</strong>er Risiken»: Es ist der Fall denkbar, dass ein Arbeitgeber au<strong>ch</strong> deshalb einen<br />

KTG-Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zei<strong>ch</strong>net, damit er Informationen über den Gesundheitszustand von fris<strong>ch</strong> ein-<br />

gestellten Arbeitnehmenden erhält, so dass er diese sofort wieder entlassen kann, wenn sie ein zu hohes<br />

medizinis<strong>ch</strong>es Risiko darstellen. Allein aus diesem Grund dürfte allerdings wohl kein Arbeitgeber einen<br />

KTG-Vertrag zei<strong>ch</strong>nen.<br />

337


15 Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (Art. 73 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Art. 73 E-<strong>VVG</strong> führt nun dazu, dass die Arbeitgeber den Deckungsumfang seiner KTG-Versi<strong>ch</strong>erung ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr kennt. Er weiss deshalb ni<strong>ch</strong>t genau, wie ho<strong>ch</strong> die Risiken sind, die er ni<strong>ch</strong>t fremdversi<strong>ch</strong>ert hat.<br />

Anhand von Tabelle 75 kann das Risiko abges<strong>ch</strong>ätzt werden, das dem Arbeitgeber entsteht, wenn der<br />

betroffene Mitarbeiter dem KTG-Versi<strong>ch</strong>erer untersagt, ihn über einen Gesundheitsvorbehalt zu informie-<br />

ren:<br />

■ Beispiel 1: Wenn man davon ausgeht, dass der KTG-Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag eine Wartefrist von 3 Wo-<br />

<strong>ch</strong>en vorsieht, beträgt das finanzielle Risiko bei einer Neueinstellung eines Median-Verdieners 0 (Erkran-<br />

kung im 1. Dienstjahr) bis 67'188 Franken (Erkrankung im 40. Dienstjahr), dasjenige eines Oberes-Quartil-<br />

Verdieners 0 bis 91’848 Franken.<br />

■ Beispiel 2: Sehr hohe Risiken können resultieren, wenn ein Arbeitgeber, der no<strong>ch</strong> keine KTG-<br />

Versi<strong>ch</strong>erung hat, dies na<strong>ch</strong>holt und in seiner Belegs<strong>ch</strong>aft einen Mitarbeiter mit vielen Dienstjahren hat.<br />

Angenommen, es handelt si<strong>ch</strong> um einen Mitarbeiter mit 40 Dienstjahren, Oberes-Quartil-Verdiener. Dann<br />

beträgt das Risiko bei einer Wartefrist von 3 Wo<strong>ch</strong>en 91’848 Franken.<br />

Es ist mögli<strong>ch</strong>, dass bei einem Unternehmen au<strong>ch</strong> mehrere Arbeitnehmer mit einem Gesundheitsvorbe-<br />

halt, den sie dem Arbeitgeber vers<strong>ch</strong>wiegen haben, arbeiten. Dann wird das Risiko für den Arbeitgeber<br />

no<strong>ch</strong> grösser. Wenn allerdings mehrere Mitarbeiter mit wesentli<strong>ch</strong>en Gesundheitsvorbehalten belegt sind,<br />

findet der Arbeitgeber wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> gar keinen KTG-Versi<strong>ch</strong>erer. Denn gemäss den befragten Experten<br />

kommt es immer wieder vor, dass die Deckung abgelehnt wird, wenn die medizinis<strong>ch</strong>en Risiken eines<br />

kleinen Unternehmens zu ho<strong>ch</strong> sind.<br />

Diese Ausführungen ma<strong>ch</strong>en deutli<strong>ch</strong>, dass Art. 73 E-<strong>VVG</strong> den KTG-Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag aus Si<strong>ch</strong>t des VN<br />

mit zusätzli<strong>ch</strong>en Vertragsrisiken anrei<strong>ch</strong>ert. Da VN in der Regel risikoavers sind, sinkt damit der Wert, den<br />

der KTG-Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag für den VN hat. Dadur<strong>ch</strong> sinkt die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft des VN, weshalb zu<br />

erwarten ist, dass Art. 73 E-<strong>VVG</strong> dazu führt, dass weniger Risiken versi<strong>ch</strong>ert werden. Dadur<strong>ch</strong> aber erhö-<br />

hen si<strong>ch</strong> die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten.<br />

Kosten 2: Fehlallokation medizinis<strong>ch</strong>er Risiken auf die Unternehmen<br />

Unter dem geltenden <strong>VVG</strong> kennt der Arbeitgeber die medizinis<strong>ch</strong>en Risiken, wenn er darüber informiert<br />

wird, dass bei einem neu eingestellten Mitarbeiter Gesundheitsvorbehalte angebra<strong>ch</strong>t wurden: Wenn der<br />

Arbeitgeber finanziell in der Lage ist, dieses Risiko zu tragen, ents<strong>ch</strong>eidet er si<strong>ch</strong> allenfalls dafür, den neu-<br />

en Mitarbeiter trotz der medizinis<strong>ch</strong>en Risiken zu behalten. Realisieren si<strong>ch</strong> die Risiken, ist der Arbeitgeber<br />

darauf vorbereitet und der eingetretene S<strong>ch</strong>aden führt zu keinen weiteren negativen Auswirkungen. Ist<br />

der Arbeitgeber hingegen finanziell ni<strong>ch</strong>t in der Lage, das medizinis<strong>ch</strong>e Risiko seines neu eingestellten<br />

Mitarbeiters zu tragen, trennt er si<strong>ch</strong> von diesem, indem er die Kündigung ausspri<strong>ch</strong>t.<br />

Art. 73 E-<strong>VVG</strong> führt nun dazu, dass der Arbeitgeber das medizinis<strong>ch</strong>e Risiko seines neu eingestellten Mit-<br />

arbeiters ni<strong>ch</strong>t kennt. Es kann deshalb der Fall eintreten, dass ein Arbeitgeber ein medizinis<strong>ch</strong>es Risiko in<br />

seiner Belegs<strong>ch</strong>aft hat, das er finanziell ni<strong>ch</strong>t tragen kann. Realisiert si<strong>ch</strong> in einem sol<strong>ch</strong>en Fall das medizi-<br />

nis<strong>ch</strong>e Risiko, handelt es si<strong>ch</strong> unter Umständen ni<strong>ch</strong>t mehr um ein isoliertes S<strong>ch</strong>adenereignis. Vielmehr<br />

kann das eingetretene S<strong>ch</strong>adenereignis Folgekosten auslösen. Nur ein Beispiel: Viellei<strong>ch</strong>t kann der Arbeit-<br />

geber für eine gewisse Zeit die Re<strong>ch</strong>nungen seiner Lieferanten ni<strong>ch</strong>t mehr termingere<strong>ch</strong>t bezahlen. Dies<br />

führt zu erhöhten Inkassokosten, da die Lieferanten ihn mahnen müssen. Im s<strong>ch</strong>limmsten Fall führt das<br />

Risiko zum Konkurs des betroffenen Unternehmens (mit den entspre<strong>ch</strong>enden Folgekosten: Arbeitslosig-<br />

keit, Geri<strong>ch</strong>tskosten etc.)<br />

Im Verglei<strong>ch</strong> zum geltenden <strong>VVG</strong> führt Art. 73 E-<strong>VVG</strong> also dazu, dass die Arbeitnehmenden mit hohen<br />

medizinis<strong>ch</strong>en Risiken ni<strong>ch</strong>t mehr Unternehmen zugeteilt werden können, die dieses Risiko tragen kön-<br />

338


15 Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (Art. 73 E-<strong>VVG</strong>)<br />

nen. Dieses Argument ist insofern politis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t korrekt, weil es impliziert, dass die Kündigung eines neu<br />

eingestellten Mitarbeiters mit einem hohen medizinis<strong>ch</strong>en Risiko ökonomis<strong>ch</strong> sinnvoll sein kann.<br />

Nutzen von Art. 73 E-<strong>VVG</strong>: Verhinderung von Produktionsausfällen<br />

Art. 73 E-<strong>VVG</strong> kann zu einer Reduktion der Kosten der Arbeitslosigkeit führen: Da der Arbeitgeber ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr über das medizinis<strong>ch</strong>e Risiko des neu angestellten Mitarbeiters informiert wird, spri<strong>ch</strong>t er ni<strong>ch</strong>t die<br />

Kündigung aus, die er unter dem geltenden <strong>VVG</strong> ausgespro<strong>ch</strong>en hätte, wenn er vom KTG-Versi<strong>ch</strong>erer<br />

über den Gesundheitsvorbehalt informiert worden wäre.<br />

Tabelle 75: Finanzielles Risiko des Arbeitgebers ohne kollektive Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung<br />

Dienstjahre<br />

Lohnfortzahlungspfli<strong>ch</strong>t<br />

in Wo<strong>ch</strong>en<br />

keine<br />

Wartefrist<br />

Fussnoten: 1 Median-Verdiener: Der «dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e Arbeitnehmer» der Grossregion Züri<strong>ch</strong>. Er verdient einen standardisierten,<br />

vollzeitäquivalenten Bruttomonatslohn in der Höhe von 6'250 Franken;<br />

2<br />

Unteres-Quartil-Verdiener: 25% der Arbeitnehmer in der Grossregion Züri<strong>ch</strong> verdienen weniger, 75% mehr;<br />

3<br />

Oberes-Quartil-Verdiener: 25% der Arbeitnehmer in der Grossregion Züri<strong>ch</strong> verdienen mehr, 75% weniger<br />

Quelle: Lohnfortzahlungspfli<strong>ch</strong>t in Wo<strong>ch</strong>e: gemäss Zür<strong>ch</strong>er Skala; Standardisierte Bruttomonatslöhne in der Grossregion Züri<strong>ch</strong>; BFS<br />

- Statistis<strong>ch</strong>es Lexikon der S<strong>ch</strong>weiz<br />

15.4.3 Analyse des Alternativszenario<br />

Das Alternativszenario sieht vor, Gesundheitsprüfungen in der kollektiven Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung<br />

gänzli<strong>ch</strong> zu verbieten. Es versteht si<strong>ch</strong> von selbst, dass eine sol<strong>ch</strong>e Regulierung nur dort Auswirkungen<br />

entfalten kann, wo Gesundheitsprüfungen überhaupt dur<strong>ch</strong>geführt werden. Auswirkungen sind deshalb<br />

in erster Linie bei Unternehmen mit weniger als fünf Bes<strong>ch</strong>äftigten zu erwarten (vgl. Ausführungen im<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt 15.4.1).<br />

Median-Verdiener 1 :<br />

6'250 Fr.<br />

Finanzielles Risiko des Arbeitgebers<br />

gemäss Zür<strong>ch</strong>er Skala<br />

Wartefrist<br />

= 3 Wo<strong>ch</strong>en<br />

Unteres-Quartil-<br />

keine<br />

Wartefrist<br />

Verdiener 2<br />

4'745 Fr.<br />

Wartefrist<br />

= 3 Wo<strong>ch</strong>en<br />

Oberes-Quartil-<br />

keine<br />

Wartefrist<br />

Verdiener 3<br />

8'544 Fr.<br />

Wartefrist<br />

= 3 Wo<strong>ch</strong>en<br />

1 3 4'688 0 3'559 0 6'408 0<br />

2 8 12'500 7'813 9'490 5'931 17'088 10'680<br />

3 9 14'063 9'375 10'676 7'118 19'224 12'816<br />

4 10 15'625 10'938 11'863 8'304 21'360 14'952<br />

5 11 17'188 12'500 13'049 9'490 23'496 17'088<br />

6 12 18'750 14'063 14'235 10'676 25'632 19'224<br />

7 13 20'313 15'625 15'421 11'863 27'768 21'360<br />

8 14 21'875 17'188 16'608 13'049 29'904 23'496<br />

9 15 23'438 18'750 17'794 14'235 32'040 25'632<br />

10 16 25'000 20'313 18'980 15'421 34'176 27'768<br />

11 17 26'563 21'875 20'166 16'608 36'312 29'904<br />

15 21 32'813 28'125 24'911 21'353 44'856 38'448<br />

20 26 40'625 35'938 30'843 27'284 55'536 49'128<br />

21 27 42'188 37'500 32'029 28'470 57'672 51'264<br />

25 31 48'438 43'750 36'774 33'215 66'216 59'808<br />

30 36 56'250 51'563 42'705 39'146 76'896 70'488<br />

35 41 64'063 59'375 48'636 45'078 87'576 81'168<br />

40 46 71'875 67'188 54'568 51'009 98'256 91'848<br />

339


15 Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (Art. 73 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Statis<strong>ch</strong>e Analyse: Keine Verhaltensänderungen<br />

In einer rein statis<strong>ch</strong>en Betra<strong>ch</strong>tung, die allfällige Verhaltensänderungen der VU und der Unternehmen<br />

ni<strong>ch</strong>t berücksi<strong>ch</strong>tigt, wäre ein sol<strong>ch</strong>er Regulierungseingriff aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>ens-<br />

wert. Aus vers<strong>ch</strong>iedenen Gründen:<br />

■ Reduktion von sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten: Wenn unter dem geltenden <strong>VVG</strong> ein Arbeitnehmer<br />

aufgrund einer Krankheit arbeitsunfähig wird, bezügli<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>er der KTG-Versi<strong>ch</strong>erer einen Vorbehalt<br />

angebra<strong>ch</strong>t hat, muss der betroffene Arbeitnehmer die S<strong>ch</strong>adenskosten alleine tragen. Die sekundären<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten sind deshalb sehr ho<strong>ch</strong>. Das Verbot einer Gesundheitsprüfung würde – unter der stati-<br />

s<strong>ch</strong>en Annahme, dass der Arbeitgeber na<strong>ch</strong> wie vor eine KTG-Versi<strong>ch</strong>erung hätte – dazu führen, dass die<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten auf die Versi<strong>ch</strong>erungsgemeins<strong>ch</strong>aft verteilt werden können (Versi<strong>ch</strong>erungsprinzip). Inso-<br />

fern würde das Verbot einer Gesundheitsprüfung zu einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

führen.<br />

■ Reduktion primärer S<strong>ch</strong>adenskosten: Wenn ein Arbeitnehmer unter dem geltenden <strong>VVG</strong> die Kos-<br />

ten, die im S<strong>ch</strong>adensfall eintreten, alleine tragen muss, können über vers<strong>ch</strong>iedenste Kausalketten zusätzli-<br />

<strong>ch</strong>e Kosten verursa<strong>ch</strong>t werden. Zum Beispiel kann die finanzielle Bedrängnis, in die der Arbeitnehmer<br />

aufgrund der Lohnausfälle gerät, zu einer derartigen psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Belastung führen, dass eine Genesung<br />

verlangsamt oder gar verunmögli<strong>ch</strong>t wird. Es ist sogar denkbar, dass die finanzielle Sorgen weitere Krank-<br />

heiten, z.B. Depressionen oder Angsterkrankungen, auslösen, was im Gesundheitswesen Folgekosten<br />

verursa<strong>ch</strong>t. Unter der Annahme, dass die Unternehmen mit weniger als fünf Bes<strong>ch</strong>äftigten na<strong>ch</strong> wie vor<br />

eine KTG-Versi<strong>ch</strong>erung hätten, würde ein Verbot von Gesundheitsprüfungen also zu einer Reduktion<br />

primärer S<strong>ch</strong>adenskosten führen.<br />

■ Optimierung der Allokation des Humankapitals: Die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass unter dem geltenden <strong>VVG</strong> die<br />

Unternehmensgrösse darüber ents<strong>ch</strong>eidet, ob eine Gesundheitsprüfung dur<strong>ch</strong>geführt wird, kann bezüg-<br />

li<strong>ch</strong> der Allokation des Humankapitals auf die Unternehmen unerwüns<strong>ch</strong>te Nebenwirkungen entfalten.<br />

Denn ein Arbeitnehmer mit einem Gesundheitsvorbehalt, der eine neue Stelle bei einem Unternehmen<br />

antreten mö<strong>ch</strong>te, bei wel<strong>ch</strong>em Gesundheitsprüfungen dur<strong>ch</strong>geführt werden, könnte si<strong>ch</strong> dazu veranlasst<br />

sehen, auf diese Stelle zu verzi<strong>ch</strong>ten. Allgemein kann gesagt werden: Ein Arbeitnehmer mit einem Ge-<br />

sundheitsvorbehalt, der zu einem Unternehmen we<strong>ch</strong>selt, bei wel<strong>ch</strong>em Gesundheitsprüfungen dur<strong>ch</strong>ge-<br />

führt werden, handelt irrational. Insofern kann die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass bei einigen Unternehmen Gesundheits-<br />

prüfungen dur<strong>ch</strong>geführt werden, während dies bei anderen Unternehmen ni<strong>ch</strong>t der Fall ist, zu einer sub-<br />

optimalen Allokation des Humankapitals auf die arbeitgebenden Unternehmen und Institutionen führen.<br />

■ Reduktion der Vereinbarungskosten: Gesundheitsprüfungen sind ni<strong>ch</strong>t kostenlos. Vielmehr führen<br />

sie bei Vertragss<strong>ch</strong>luss zu Transaktionskosten. Allerdings sind diese relativ gering, was darauf zurückzu-<br />

führen ist, dass nur in den wenigsten Fällen medizinis<strong>ch</strong>e Untersu<strong>ch</strong>ungen dur<strong>ch</strong>geführt werden. Der<br />

Aufwand der Gesundheitsprüfungen besteht in erster Linie darin, die ausgefüllten Gesundheitsfragebogen<br />

der zu versi<strong>ch</strong>ernden Personen von einem Arzt kontrollieren und bewerten zu lassen. Aufgrund der Anga-<br />

ben zu den Kosten von Gesundheitsbefragungen, die wir von einem VU erhalten haben, muss davon<br />

ausgegangen werden, dass diese Kosten verna<strong>ch</strong>lässigbar gering sind.<br />

Dynamis<strong>ch</strong>e Analyse: Verhaltensänderungen<br />

Die Ergebnisse der statis<strong>ch</strong>en Analyse eines Verbots von Gesundheitsbefragungen sind jedo<strong>ch</strong> verfängli<strong>ch</strong>,<br />

da davon ausgegangen werden muss, dass sowohl die VN als au<strong>ch</strong> die VU ihre Verhalten verändern wür-<br />

de, wenn Gesundheitsbefragungen ni<strong>ch</strong>t mehr mögli<strong>ch</strong> wären.<br />

Ein Verbot von Gesundheitsbefragungen führt dazu, dass die VU die Risiken ni<strong>ch</strong>t mehr diskriminieren<br />

können. Dies hat drei Auswirkungen:<br />

340


15 Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (Art. 73 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Erhöhung der Vertragsrisiken: Das Verbot von Gesundheitsbefragungen führt dazu, dass die VU die<br />

Risiken der VN ni<strong>ch</strong>t erkennen können. Dadur<strong>ch</strong> steigen die Risiken, die dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag aus<br />

Si<strong>ch</strong>t des VU anhaften. Dies führt zu höheren Kapitalkosten, da höhere Rückstellungen gebildet werden<br />

müssen. Der Preis der Versi<strong>ch</strong>erung dürfte deshalb steigen. Die Erhöhung der Vertragsrisiken dürften au<strong>ch</strong><br />

dazu führen, dass die VU eine restriktivere Zei<strong>ch</strong>nungspolitik definieren, so dass das Volumen der transfe-<br />

rierten Risiken abnehmen wird.<br />

■ Erhöhung der Anzahl Kündigungen: Die VU werden S<strong>ch</strong>adensfälle als Indikator des Risikos interpre-<br />

tieren. Im S<strong>ch</strong>adensfall werden die VU deshalb vermehrt von ihrem Kündigungsre<strong>ch</strong>t im S<strong>ch</strong>adensfall<br />

Gebrau<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en, um die Risiken im Versi<strong>ch</strong>erungspool zu reduzieren.<br />

■ Mis<strong>ch</strong>prämie – Adverse Selektion: Können die VU die Risiken ni<strong>ch</strong>t mehr diskriminieren, müssen sie<br />

Mis<strong>ch</strong>prämien anbieten. Dies führt zur adversen Selektion (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.1): Da die Prämien ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr risikoadäquat sind, übersteigt die Mis<strong>ch</strong>prämie die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft von Unternehmen, die in<br />

ihrer Belegs<strong>ch</strong>aft überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> tiefe Risiken haben (z.B. weil das Unternehmen nur Männer zwi-<br />

s<strong>ch</strong>en 20 und 25 Jahren bes<strong>ch</strong>äftigt). Diese Unternehmen verzi<strong>ch</strong>ten in der Folge darauf, ihr (tiefes) Risiko<br />

fremd zu versi<strong>ch</strong>ern. Diese Abwanderung führt zu einer Vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terung des Risikos im Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

pool des KTG-Versi<strong>ch</strong>erers, so dass Prämienanpassungen na<strong>ch</strong> oben notwendig werden. Eine Prämiener-<br />

höhung führt allerdings zu einer weiteren Abwanderung von Unternehmen mit überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong><br />

günstigen Risiken. Dieser Prozess führt im s<strong>ch</strong>limmsten Fall zu einem vollständigen Zusammenbru<strong>ch</strong> des<br />

KTG-Marktes für Kleinstunternehmen.<br />

Ein weiteres Problem des Verbots von Gesundheitsprüfung hängt mit dem Grund zusammen, weshalb die<br />

KTG-Versi<strong>ch</strong>erer bei Kleinstunternehmen Gesundheitsprüfungen dur<strong>ch</strong>führen, während dies bei grösseren<br />

Unternehmen ni<strong>ch</strong>t der Fall ist: Versi<strong>ch</strong>erungsmissbrau<strong>ch</strong>. Gemäss einem Experten der befragten VU<br />

kommt es immer wieder vor, dass si<strong>ch</strong> Kleinstunternehmen erst dann versi<strong>ch</strong>ern wollen, wenn der S<strong>ch</strong>a-<br />

den bereits eingetreten ist oder wenn absehbar wird, dass S<strong>ch</strong>äden eintreten werden. Derartiges Verhal-<br />

ten der Kleinstunternehmen kann ni<strong>ch</strong>t mehr erkannt werden, wenn keine Gesundheitsbefragungen mehr<br />

mögli<strong>ch</strong> sind.<br />

341


15 Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (Art. 73 E-<strong>VVG</strong>)<br />

15.5 Zusammenfassung<br />

15.5.1 Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

In Tabelle 75 sind die geplanten Veränderungen, die Problemstellung, die Hintergründe und die Ziele der<br />

Regulierung im Sinne von Art. 66 E-<strong>VVG</strong> in Tabellenform zusammengefasst.<br />

Tabelle 76: Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung: Gegenstand, Probemstellung und Ziele der<br />

Regulierung<br />

∆ RS: Einführung eines Re<strong>ch</strong>ts des Arbeitnehmers, dem VU zu untersagen, den Arbeitgeber<br />

über einen Gesundheitsvorbehalt zu informieren<br />

<strong>VVG</strong>: -<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 73<br />

Problemstellung: Kein Datens<strong>ch</strong>utz → Kündigung des Arbeitsvertrags aufgrund medizinis<strong>ch</strong>er<br />

Risiken des Arbeitnehmers<br />

Ziele: (1) Gewährleistung des Datens<strong>ch</strong>utzes<br />

(2) Verhinderung von Kündigungen infolge Gesundheitsprüfung<br />

∆ AS: Verbot von Gesundheitsprüfungen<br />

<strong>VVG</strong>: -<br />

E-<strong>VVG</strong>: -<br />

Problemstellung: Keine Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung für s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te Risiken<br />

Ziel: Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung au<strong>ch</strong> für s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te Risiken<br />

Quelle: <strong>VVG</strong>, E-<strong>VVG</strong>, Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t (2009), eigene Analysen<br />

15.5.2 Auswirkungen der Regulierung<br />

Art. 73 E-<strong>VVG</strong> betrifft grundsätzli<strong>ch</strong> die kollektive Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung und die überobligatori-<br />

s<strong>ch</strong>en Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen der berufli<strong>ch</strong>en Vorsorge. Zu wesentli<strong>ch</strong>en Veränderungen führt Art.<br />

73 in erster Linie im Berei<strong>ch</strong> der kollektiven Krankenttaggeldversi<strong>ch</strong>erung – allerdings nur dort, wo Ge-<br />

sundheitsprüfungen vorgenommen werden. Dies ist bei Kleinstunternehmen, selbständig erwerbstätigen<br />

Personen sowie Arbeitskräften mit hohen versi<strong>ch</strong>erten Lohnsummen der Fall.<br />

Regulierungsszenario: Art. 73 E-<strong>VVG</strong><br />

Der ökonomis<strong>ch</strong>e Nutzen von Art. 73 E-<strong>VVG</strong> ist in einer Reduktion der Arbeitslosigkeit zu sehen: Unter<br />

dem geltenden <strong>VVG</strong> kommt es vor, dass Arbeitgeber während der Probezeit Kündigungen ausspre<strong>ch</strong>en,<br />

weil sie von ihrem KTG-Versi<strong>ch</strong>erer über das medizinis<strong>ch</strong>e Risiko des neu eingestellten Mitarbeiters in<br />

Kenntnis gesetzt werden. Eine sol<strong>ch</strong>e Kündigung kann dazu führen, dass die betroffene Arbeitskraft ar-<br />

beitslos wird. Mit Art. 73 E-<strong>VVG</strong> können derartige Fälle verhindert werden.<br />

Diesen Nutzen stehen folgende Kosten gegenüber:<br />

■ Erhöhung der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten: Art. 73 E-<strong>VVG</strong> erhöht aus Si<strong>ch</strong>t des Arbeitgebers die<br />

Risiken, die dem KTG-Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag anhaften. Es ist deshalb zu erwarten, dass die Na<strong>ch</strong>frage der<br />

Kleinstunternehmen na<strong>ch</strong> KTG-Versi<strong>ch</strong>erungen abnehmen wird. Aufgrund der Reduktion des Volumens<br />

der versi<strong>ch</strong>erten Risiken werden die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten zunehmen. Die sekundären S<strong>ch</strong>adens-<br />

342


15 Gesundheitsprüfung in der Kollektivversi<strong>ch</strong>erung (Art. 73 E-<strong>VVG</strong>)<br />

kosten nehmen au<strong>ch</strong> deshalb zu, weil ein Arbeitnehmer, der dem KTG-Versi<strong>ch</strong>erer untersagt, seinen Ar-<br />

beitgeber über einen Gesundheitsvorbehalt zu informieren, eine allfällige überobligatoris<strong>ch</strong>e Lohnfortzah-<br />

lung dur<strong>ch</strong> den Arbeitgeber verliert.<br />

■ Fehlallokation von medizinis<strong>ch</strong>en Risiken im Arbeitsmarkt: Die Mögli<strong>ch</strong>keit, dem KTG-Versi<strong>ch</strong>erer<br />

zu untersagen, den Arbeitgeber über einen Gesundheitsvorbehalt zu informieren, kann dazu führen, dass<br />

Arbeitnehmer mit hohen medizinis<strong>ch</strong>en Risiken ni<strong>ch</strong>t bei denjenigen Arbeitgebern arbeiten, wel<strong>ch</strong>e in der<br />

Lage sind, das hohe Risiko zu tragen. Eine derartige Fehlallokation kann zu Folgekosten vers<strong>ch</strong>iedenster<br />

Art führen.<br />

Alternativszenario: Verbot von Gesundheitsprüfungen<br />

Die Analyse des Alternativszenario, das eine Verbot von Gesundheitsprüfungen vorsieht, ist negativ ausge-<br />

fallen: Es muss davon ausgegangen werden, dass das Verbot von Gesundheitsprüfungen mit einer sub-<br />

stantiellen Reduktion des Volumens der versi<strong>ch</strong>erten Risiken verbunden wäre. Aufgrund der adversen<br />

Selektion, die bei einem sol<strong>ch</strong>en Verbot wirksam werden würde, kann sogar ein vollständiger Marktzu-<br />

sammenbru<strong>ch</strong> im Kundensegment der Kleinstunternehmen ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen werden.<br />

15.5.3 Empfehlungen<br />

Vor dem Hintergrund der dur<strong>ch</strong>geführten Analysen können wir weder das Regulierungsszenario no<strong>ch</strong> das<br />

Alternativszenario zum Umsetzung empfehlen. Bei einer allfälligen Umsetzung des Regulierungsszenarios<br />

empfehlen wir, analog zu der Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung na<strong>ch</strong> KVG au<strong>ch</strong> bei den Krankentaggeldversi-<br />

<strong>ch</strong>erungen na<strong>ch</strong> <strong>VVG</strong> zu regulieren, dass Gesundheitsvorbehalte nur no<strong>ch</strong> für maximal 5 Jahre angebra<strong>ch</strong>t<br />

werden dürfen. Dadur<strong>ch</strong> könnte das zusätzli<strong>ch</strong>e finanzielle Risiko, dem der Arbeitgeber aufgrund von Art.<br />

73 E-<strong>VVG</strong> ausgesetzt wird, gegen oben plafoniert werden (vgl. Tabelle 75 auf Seite 339).<br />

Das Problem der Gesundheitsvorbehalte in der Krankentaggeldversi<strong>ch</strong>erung kann wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> nur mit<br />

einem Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium gelöst werden. Dieser Meinung war u.a. die Expertenkommission: «Die-<br />

ser Weg hätte vers<strong>ch</strong>iedene Vorteile: Einerseits könnten Vorbehalte untersagt werden (Risikoausglei<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> das<br />

Obligatorium), womit si<strong>ch</strong> das Problem der Information des Arbeitgebers ni<strong>ch</strong>t stellte, und andererseits liesse si<strong>ch</strong> ein<br />

Ausfalls<strong>ch</strong>utz (z.B. bei Deckungsunterbru<strong>ch</strong> infolge eines Prämienzahlungsverzugs) relativ lei<strong>ch</strong>t organisieren.» (Erläu-<br />

ternder Beri<strong>ch</strong>t).<br />

Eine Lösung im Sinne eines Versi<strong>ch</strong>erungsobligatoriums müsste allerdings die folgenden Problemstellun-<br />

gen berücksi<strong>ch</strong>tigten:<br />

■ Versi<strong>ch</strong>erungsbetrug<br />

■ Es gibt grosse Unternehmen, die keine KTG-Versi<strong>ch</strong>erung benötigen: Das Gesetz der grossen Zahl führt<br />

dazu, dass diese das Risiko selbst tragen können. Eine Fremdversi<strong>ch</strong>erung würde nur zu unnötigen Trans-<br />

aktionskosten führen. Ein Beispiel für ein sol<strong>ch</strong>es Unternehmen bzw. für eine sol<strong>ch</strong>e Institution ist die<br />

Bundesverwaltung.<br />

343


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

16.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

16.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

In Tabelle 77 sind die relevanten gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen, wel<strong>ch</strong>e die Regulierungsszenarien und das<br />

Referenzszenario determinieren, einander gegenübergestellt.<br />

Tabelle 77: Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong>: Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en<br />

Grundlagen<br />

Regulierungsszenario (RS) und<br />

Alternativszenarien (AS1-2)<br />

RS: Art. 91 E-<strong>VVG</strong> tritt in Kraft<br />

AS1: Zusätzli<strong>ch</strong>e Mindestdeckung und Einredenauss<strong>ch</strong>luss<br />

AS2: Pfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung<br />

Art. 91 (Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und<br />

Auskunftsanspru<strong>ch</strong>) E-<strong>VVG</strong><br />

91.1. Die ges<strong>ch</strong>ädigte Person, ihre Re<strong>ch</strong>tsna<strong>ch</strong>folgerin oder ihr<br />

Re<strong>ch</strong>tsna<strong>ch</strong>folger hat gegen das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

ein direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t im Rahmen der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung. Vorbehalten bleiben Einwendungen<br />

und Einreden, die ihr das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen aufgrund<br />

des Gesetzes oder des Vertrags entgegenhalten kann.<br />

91.2. Die ges<strong>ch</strong>ädigte Person kann von der haftpfli<strong>ch</strong>tigen<br />

Person Auskunft über deren Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz<br />

verlangen.<br />

91.3. Dieser Artikel findet auf die ni<strong>ch</strong>t obligatoris<strong>ch</strong>e<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung für reine Vermögenss<strong>ch</strong>äden keine<br />

Anwendung.<br />

Anmerkungen: RS = Regulierungsszenario; AS = Alternativszenario; BS = Referenzszenario; Orange = halbzwingendes Re<strong>ch</strong>t; Rot:<br />

zwingendes Re<strong>ch</strong>t; Grün: dispositives Re<strong>ch</strong>t; Blau: Existenz von Alternativszenarien; fett: materielle Veränderungen<br />

Quelle: E-<strong>VVG</strong>, <strong>VVG</strong><br />

16.1.2 Identifikation der Veränderungen<br />

Im Referenzszenario, d.h. gemäss Art. 60 <strong>VVG</strong>, hat der Ges<strong>ch</strong>ädigte ein Pfandre<strong>ch</strong>t am Forderungsre<strong>ch</strong>t<br />

des Versi<strong>ch</strong>erungsnehmers gegenüber dem Versi<strong>ch</strong>erer: Das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen darf an den Ver-<br />

si<strong>ch</strong>erungsnehmer also ni<strong>ch</strong>t ohne Zustimmung des Ges<strong>ch</strong>ädigten, der das Pfandre<strong>ch</strong>t hat, leisten. Dar-<br />

über hinaus darf der Versi<strong>ch</strong>erer direkt an den Ges<strong>ch</strong>ädigten leisten. Bezügli<strong>ch</strong> des Referenzszenario ist zu<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigen, dass es im Berei<strong>ch</strong> der obligatoris<strong>ch</strong>en Motorfahrzeug-Versi<strong>ch</strong>erung im SGV bereits ein<br />

direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t gibt, das zudem mit einem Einredeauss<strong>ch</strong>luss verbunden ist (vgl. Art. 65 Abs. 2<br />

SGV).<br />

Referenzszenario (BS)<br />

Geltungsberei<strong>ch</strong>: Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Art. 60 (b. Gesetzli<strong>ch</strong>es Pfandre<strong>ch</strong>t des ges<strong>ch</strong>ädigten<br />

Dritten) <strong>VVG</strong><br />

60.1. An dem Ersatzanspru<strong>ch</strong>e, der dem<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer aus der Versi<strong>ch</strong>erung gegen die<br />

Folgen gesetzli<strong>ch</strong>er Haftpfli<strong>ch</strong>t zusteht, besitzt der<br />

ges<strong>ch</strong>ädigte Dritte im Umfange seiner<br />

S<strong>ch</strong>adenersatzforderung Pfandre<strong>ch</strong>t. Der Versi<strong>ch</strong>erer ist<br />

bere<strong>ch</strong>tigt, die Ersatzleistung direkt an den ges<strong>ch</strong>ädigten<br />

Dritten auszuri<strong>ch</strong>ten.<br />

60.2. Der Versi<strong>ch</strong>erer ist für jede Handlung, dur<strong>ch</strong> die er<br />

den Dritten in seinem Re<strong>ch</strong>te verkürzt, verantwortli<strong>ch</strong>.<br />

344


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Gemäss Prof. Dr. Stephan Fuhrer hat die Lösung über das Pfandre<strong>ch</strong>t zwei Na<strong>ch</strong>teile, die mit Art. 91 E-<br />

<strong>VVG</strong> überwunden werden sollen:<br />

■ Das Pfandre<strong>ch</strong>t führt materiell-re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> zu einer guten S<strong>ch</strong>utzwirkung; Die Umsetzung ist jedo<strong>ch</strong> sehr<br />

kompliziert, da der Ges<strong>ch</strong>ädigte unter Umständen eine Betreibung auf Pfandverwertung vornehmen<br />

muss.<br />

■ Wenn es den S<strong>ch</strong>ädiger ni<strong>ch</strong>t mehr gibt, geht die Pfandre<strong>ch</strong>t-Klage des Ges<strong>ch</strong>ädigten ins Leere. Handelt<br />

es si<strong>ch</strong> beim S<strong>ch</strong>ädiger um eine juristis<strong>ch</strong>e Person, die Konkurs gegangen ist, muss der Ges<strong>ch</strong>ädigte zuerst<br />

eine Klage auf Wiedereintrag ins Handelregister tätigen, ehe er sein Pfandre<strong>ch</strong>t geltend ma<strong>ch</strong>en kann.<br />

Handelt es si<strong>ch</strong> beim S<strong>ch</strong>ädiger hingegen um eine natürli<strong>ch</strong>e Person, die verstorben ist und dessen Erben<br />

das Erbe ausges<strong>ch</strong>lagen haben, gibt es für den Ges<strong>ch</strong>ädigten keine Mögli<strong>ch</strong>keiten mehr.<br />

Vor diesem Hintergrund soll unter Art. 91 E-<strong>VVG</strong> (Regulierungsszenario) der ges<strong>ch</strong>ädigte Dritte gegen-<br />

über dem Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungsunternehmen neu ein direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und gegenüber der<br />

haftpfli<strong>ch</strong>tigen Person einen Auskunftsanspru<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong> dessen Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utzes haben.<br />

Mit Blick auf das «juristis<strong>ch</strong>e Delta» ist dabei allerdings die heutige Vollzugspraxis zu berücksi<strong>ch</strong>tigen: «Die<br />

Regelung entspri<strong>ch</strong>t der heutigen Praxis, indem si<strong>ch</strong> das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen in Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungsverträ-<br />

gen regelmässig vorbehält, mit dem Haftpfli<strong>ch</strong>tigen zu verhandeln und ungere<strong>ch</strong>tfertigte Ansprü<strong>ch</strong>e abzuwehren<br />

bzw. entspre<strong>ch</strong>ende Re<strong>ch</strong>tsstreitigkeiten auszutragen, während dem Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer geradezu untersagt wird,<br />

irgendwel<strong>ch</strong>e Ansprü<strong>ch</strong>e anzuerkennen oder Ersatzleistungen direkt zu erbringen» (S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Gesells<strong>ch</strong>aft für<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>t- und Versi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>t 2009, 11). In diesem Sinne kann das Regulierungsszenario bis zu einem<br />

gewissen Grad au<strong>ch</strong> als gesetzli<strong>ch</strong>e Kodifikation geltender Re<strong>ch</strong>tspraxis interpretiert werden. In diesem<br />

Zusammenhang weist Dr. Stephan Weber darauf hin, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen in ihren AVB<br />

festhalten, dass der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer dem VU im S<strong>ch</strong>adensfall die Verhandlungsführung mit dem<br />

Ges<strong>ch</strong>ädigten überlassen muss. Vor diesem Hintergrund bilanziert er: «Mit dem direkten Forderungsre<strong>ch</strong>t<br />

wurde einfa<strong>ch</strong> umgesetzt, was heute s<strong>ch</strong>on Praxis ist.»<br />

Optional soll im Rahmen der vorliegenden <strong>RFA</strong> au<strong>ch</strong> eine alternative Regelung (Alternativszenario 1)<br />

untersu<strong>ch</strong>t werden, die – wie das bei der obligatoris<strong>ch</strong>en Motorfahrzeug-Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung der Fall<br />

ist – das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t mit einer Mindestdeckung und einem Einredeauss<strong>ch</strong>luss verbindet. Die<br />

Kombination des Einredeauss<strong>ch</strong>luss mit einer Mindestdeckung, trägt folgendem Argument der Experten-<br />

kommission Re<strong>ch</strong>nung: «Hingegen soll im Rahmen von freiwilligen Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen auf einen Einreden-<br />

auss<strong>ch</strong>luss (Art. 65 Abs. 2 SVG) verzi<strong>ch</strong>tet werden. Der Auss<strong>ch</strong>luss von Einreden aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertragsgesetz<br />

oder dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag ist nur dort sinnvoll, wo – wie dies in der obligatoris<strong>ch</strong>en Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung<br />

regelmässig der Fall ist – der Deckungsumfang der Versi<strong>ch</strong>erung gesetzli<strong>ch</strong> vorges<strong>ch</strong>rieben wird. Trifft dies – wie in<br />

der freiwilligen Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung – ni<strong>ch</strong>t zu, würde ein Einredenauss<strong>ch</strong>luss dazu führen, dass vertragli<strong>ch</strong>e Aus-<br />

s<strong>ch</strong>lussklauseln praktis<strong>ch</strong> wirkungslos blieben» (Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t (2009, 80).<br />

S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> steht no<strong>ch</strong> das Alternativszenario 2 zur Debatte. Dieses sieht ein Pfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungsgesetz<br />

vor. Prof. Dr. Stephan Fuhrer ist ein Verfe<strong>ch</strong>ter eines sol<strong>ch</strong>en Gesetzes, da mit diesem «das Dur<strong>ch</strong>einan-<br />

der, kantonale Unters<strong>ch</strong>iede und Inkonsistenzen in Zusammenhang mit Haftpfli<strong>ch</strong>tobligatorien und<br />

S<strong>ch</strong>utzme<strong>ch</strong>anismen» gelöst werden könnte. Als Beispiel hierfür nennt er die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass es zwar kein<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tobligatorium für Stauseen gäbe, hingegen jedo<strong>ch</strong> eines für Velos.<br />

345


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

16.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

Alle drei Regulierungsszenarien verfolgen grundsätzli<strong>ch</strong> die folgenden Ziele:<br />

■ Wirksamerer S<strong>ch</strong>utz des S<strong>ch</strong>adenersatzanspru<strong>ch</strong>es der ges<strong>ch</strong>ädigten Person.<br />

■ Verbesserung der Zweckmässigkeit im Vollzug und damit Reduktion der Transaktionskosten bei der<br />

Regulierung von Haftpfli<strong>ch</strong>t-Fällen.<br />

Gegenüber dem Regulierungsszenario wird der S<strong>ch</strong>utz des S<strong>ch</strong>adenersatzanspru<strong>ch</strong>es der ges<strong>ch</strong>ädigten<br />

Person im Alternativszenario 1 no<strong>ch</strong> stärker gewi<strong>ch</strong>tet.<br />

Das Alternativszenario 2 verfolgt zusätzli<strong>ch</strong> das Ziel einer adäquateren Deckung von Haftpfli<strong>ch</strong>t-Risiken.<br />

16.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung<br />

Im Rahmen der Vernehmlassung zum E-<strong>VVG</strong> wurden folgende Argumente, die von ökonomis<strong>ch</strong>en Inte-<br />

resse sind, gegen das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t formuliert<br />

■ Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t → Weniger Kulanz und Eins<strong>ch</strong>ränkung der Autonomie des Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsnehmers: Das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t der ges<strong>ch</strong>ädigten Drittpersonen vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tere die Re<strong>ch</strong>tsla-<br />

ge der Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer: Zum einen deshalb, weil sie ni<strong>ch</strong>t mehr selber ents<strong>ch</strong>eiden können, ob sie<br />

den bestehenden Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz überhaupt in Anspru<strong>ch</strong> nehmen wollen. Dies sei deshalb problema-<br />

tis<strong>ch</strong>, weil die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer den Selbstbehalt, das Risiko von Prämienerhöhungen und das Risiko<br />

einer Kündigung zu tragen haben. Zum anderen muss damit gere<strong>ch</strong>net werden, dass die Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

nehmer ni<strong>ch</strong>t mehr von der kulanten Zurückhaltung von Einreden oder Einwendungen dur<strong>ch</strong> die Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsunternehmen re<strong>ch</strong>nen können. SVV (2009a, 61-62) führt diese Argumentationsfigur folgendermas-<br />

sen zu Ende: «Au<strong>ch</strong> mit der heute kulanten Zurückhaltung von Einreden oder Einwendungen der Versi<strong>ch</strong>erer ihm<br />

gegenüber kann er ni<strong>ch</strong>t mehr re<strong>ch</strong>nen, wenn die Versi<strong>ch</strong>erer in einem Direktprozess vor Geri<strong>ch</strong>t stehen. Die Versi-<br />

<strong>ch</strong>erer werden auf die Geltendma<strong>ch</strong>ung ihre Re<strong>ch</strong>te gegenüber dem Ges<strong>ch</strong>ädigten ni<strong>ch</strong>t verzi<strong>ch</strong>ten. Entspre<strong>ch</strong>end<br />

werden die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer einen grösseren Teil der S<strong>ch</strong>äden selber tragen müssen und können mit der Unter-<br />

stützung der Versi<strong>ch</strong>erer bei der Abwehr unbere<strong>ch</strong>tigter Forderungen ni<strong>ch</strong>t mehr re<strong>ch</strong>nen, da deren Pfli<strong>ch</strong>t zur Ab-<br />

wehr mit der Beglei<strong>ch</strong>ung des gedeckten Teils des S<strong>ch</strong>adens erlos<strong>ch</strong>en ist. Sie werden im Gegenteil einen eigenen<br />

Anwalt beiziehen müssen, um den Forderungen des Ges<strong>ch</strong>ädigten entgegentreten zu können, was zu zusätzli<strong>ch</strong>en<br />

Kosten für den Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer führt.» (SVV 2009a, 6). Prof. Dr. Stephan Fuhrer bestreitet die Gültigkeit<br />

des «Kulanz-Arguments», da bereits heute die Forderung mit einem Pfandre<strong>ch</strong>t belegt sei und das Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsunternehmen bereits heute unter dem geltenden <strong>VVG</strong> mit der ges<strong>ch</strong>ädigten Person verhandle.<br />

Der Me<strong>ch</strong>anismus des «Kulanz-Arguments» könne allenfalls bei sogenannten «Wuns<strong>ch</strong>deckungen 85 » eine<br />

Rolle spielen.<br />

■ Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t → Hohes Prozessrisiko für den Ges<strong>ch</strong>ädigten: Gemäss den Gegner von<br />

Art. 73 E-<strong>VVG</strong> könne das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> zum Na<strong>ch</strong>teil der Ges<strong>ch</strong>ädigten führen: «Das direk-<br />

te Forderungsre<strong>ch</strong>t führt au<strong>ch</strong> nur s<strong>ch</strong>einbar zu einer Erlei<strong>ch</strong>terung der Dur<strong>ch</strong>setzung des Ents<strong>ch</strong>ädigungsanspru<strong>ch</strong>s<br />

des Ges<strong>ch</strong>ädigten. Der Ges<strong>ch</strong>ädigte müsste zur Dur<strong>ch</strong>setzung seiner Ansprü<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t nur die Haftung beweisen, er<br />

müsste au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>weisen, dass eine Deckung besteht. Er kennt aber weder den wirkli<strong>ch</strong>en Willen der Vertragspartei-<br />

85 Beispiel einer «Wuns<strong>ch</strong>deckung»: Eltern haften grundsätzli<strong>ch</strong> für die S<strong>ch</strong>äden ihrer Kinder – ausser sie können den Na<strong>ch</strong>weis<br />

erbringen, dass sie die Kinder ordentli<strong>ch</strong> beaufsi<strong>ch</strong>tigt haben. Dabei gibt es Fälle, in wel<strong>ch</strong>en die Kinder S<strong>ch</strong>äden verursa<strong>ch</strong>en, die<br />

Eltern zwar na<strong>ch</strong>weisen könnten, dass sie die Kinder ordentli<strong>ch</strong> beaufsi<strong>ch</strong>tigt haben, dies jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t tun, da sie aus moralis<strong>ch</strong>er<br />

Verpfli<strong>ch</strong>tung der ges<strong>ch</strong>ädigten Person gegenüber für den S<strong>ch</strong>aden aufkommen mö<strong>ch</strong>ten. In sol<strong>ch</strong>en Fällen gewähren gemäss Prof.<br />

Dr. Stephan Fuhrer die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen bis zu einer Sublimite von 100'000 Franken Kulanz.<br />

346


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

en, wel<strong>ch</strong>er dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu Grunde liegt, no<strong>ch</strong> die zu erwartenden Einreden und Einwendungen der<br />

Versi<strong>ch</strong>erer. Er müsste entspre<strong>ch</strong>end ein hohes Prozessrisiko eingehen und bei einem Unterliegen die vollen Prozess-<br />

und Parteikosten tragen. Im Weiteren hat der Ges<strong>ch</strong>ädigte zudem einen Prozess gegen den Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer<br />

bezügli<strong>ch</strong> des ni<strong>ch</strong>t gedeckten S<strong>ch</strong>adenteils zu führen. Eine Verbesserung im Verglei<strong>ch</strong> zur heutigen Re<strong>ch</strong>tslage lässt<br />

si<strong>ch</strong> aufgrund des Vorgenannten ni<strong>ch</strong>t erkennen.» Dr. Stephan Weber wendet bezügli<strong>ch</strong> dieses Arguments<br />

allerdings relativierend ein, dass der Ges<strong>ch</strong>ädigte ni<strong>ch</strong>t gegen das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen vorgehen<br />

muss: Er kann alternativ au<strong>ch</strong> gegen den S<strong>ch</strong>ädiger vorgehen.<br />

■ Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t → Anspru<strong>ch</strong>sinflation: Dieses Argument formuliert Lloyd’s in seiner Ver-<br />

nehmlassungsantwort folgendermassen: «Das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t des Ges<strong>ch</strong>ädigten, das laut Vorlage für die<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung allgemein eingeführt werden soll (mit den wenigen Ausnahmen gemäss Art. 91 Abs. 3 E-<br />

WG), wird mit an Si<strong>ch</strong>erheit grenzender Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit zu einer Zunahme der Zahl der Haftpfli<strong>ch</strong>tansprü<strong>ch</strong>e so-<br />

wie au<strong>ch</strong> deren Höhe führen. Diese Ansprü<strong>ch</strong>e werden si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> dem "Deep Pocket"-Prinzip zunehmend gegen die<br />

Versi<strong>ch</strong>erer ri<strong>ch</strong>ten und eine Zunahme der Ents<strong>ch</strong>ädigungszahlungen und zumindest längerfristig au<strong>ch</strong> der Höhe der<br />

Prämien bewirken. Das in Art. 91 Abs. 3 E-WG vorgesehene Auskunftsre<strong>ch</strong>t wird die Anspru<strong>ch</strong>shaltung des Ges<strong>ch</strong>ä-<br />

digten potenziell weiter vergrössern [...]. Zu bea<strong>ch</strong>ten ist au<strong>ch</strong> der Umstand, dass der Versi<strong>ch</strong>erer in Bezug auf die<br />

Abwehr gegen die Forderung des Ges<strong>ch</strong>ädigten in hohem Mass auf die Mitwirkung und Unterstützung dur<strong>ch</strong> den<br />

Versi<strong>ch</strong>erten angewiesen ist, da nur oder primär dieser über die relevanten Informationen und Unterlagen betreffend<br />

des S<strong>ch</strong>adenhergangs verfügt. In dem Mass aber, wie der Versi<strong>ch</strong>erte, wel<strong>ch</strong>er mit der Klage nun ni<strong>ch</strong>t direkt kon-<br />

frontiert ist, sein ureigenes Interesse an der erfolgrei<strong>ch</strong>en Abwehr der - in man<strong>ch</strong>en Fällen na<strong>ch</strong> Grund und/oder Höhe<br />

unbere<strong>ch</strong>tigten - Forderung verliert, wird das Risiko des Versi<strong>ch</strong>erers zunehmen, die Forderung ni<strong>ch</strong>t erfolgrei<strong>ch</strong> ab-<br />

wehren zu können mit wiederum entspre<strong>ch</strong>enden na<strong>ch</strong>teiligen Folgen für die Versi<strong>ch</strong>erten. Art . 91 E-<strong>VVG</strong> s<strong>ch</strong>ützt<br />

ni<strong>ch</strong>t die Konsumenten oder Versi<strong>ch</strong>erten, sondern die Ges<strong>ch</strong>ädigten.» (Lloyds 2009, 18ff). Ein Broker, der zuglei<strong>ch</strong><br />

Lloyd’s Coverholder ist, spri<strong>ch</strong>t in seiner Vernehmlassungsantwort von einer «Anspru<strong>ch</strong>sinflation», die als<br />

direkte Folge des direkten Forderungsre<strong>ch</strong>t entstehen werde: «Mit der Bekanntgabe der Vertragskonditionen<br />

entsteht oft eine sogenannte Anspru<strong>ch</strong>sinflation und die Forderungen steigen plötzli<strong>ch</strong> mit der Aussi<strong>ch</strong>t auf ein mög-<br />

li<strong>ch</strong>es kommendes Vermögen.» Au<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>er Anwaltsverband (2009, 7) prognostiziert eine An-<br />

spru<strong>ch</strong>sinflation: «Ein umfassendes direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t birgt die Gefahr in si<strong>ch</strong>, dass Ansprü<strong>ch</strong>e erhoben wer-<br />

den, die ni<strong>ch</strong>t gestellt würden, wenn der Haftpfli<strong>ch</strong>tige selbst belangt werden müsste. Es besteht kein sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er oder<br />

re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Grund, Dritte davon profitieren zu lassen, dass si<strong>ch</strong> jemand freiwillig versi<strong>ch</strong>ert hat. [...].Denkbar und sinn-<br />

voll wäre dagegen eine Ergänzung in dem Sinne, dass der Versi<strong>ch</strong>erte ungea<strong>ch</strong>tet anderslautender Bestimmungen im<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag seine Ansprü<strong>ch</strong>e gegen den Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer dem Anspru<strong>ch</strong>steller abtreten darf. Damit<br />

wird der privatre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Natur des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrages Re<strong>ch</strong>nung getragen.» Prof. Dr. Stephan Fuhrer stimmt<br />

dem «Anspru<strong>ch</strong>sinflations-Argument» nur insofern zu, als dass das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t zu einer Er-<br />

lei<strong>ch</strong>terung der Modalitäten in Zusammenhang mit der Dur<strong>ch</strong>setzung von Ents<strong>ch</strong>ädigungsansprü<strong>ch</strong>en der<br />

Ges<strong>ch</strong>ädigten führen werde. Dies sei jedo<strong>ch</strong> wüns<strong>ch</strong>enswert, da man dadur<strong>ch</strong> den Ges<strong>ch</strong>ädigten hilft, ein<br />

Re<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>zusetzen, das ihnen zusteht. Au<strong>ch</strong> Dr. Stephan Weber ist dem «Anspru<strong>ch</strong>sinflations-<br />

Argument» gegenüber skeptis<strong>ch</strong> eingestellt, da der Ges<strong>ch</strong>ädigte generell einem hohen Risiko ausgesetzt<br />

ist, wenn er seinen Anspru<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>setzen muss.<br />

347


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

16.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

16.4.1 Analyse des Regulierungsszenario<br />

16.4.1.1 Positive Analyse der Auswirkungen<br />

Aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t betrifft das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t den Prozess, in dessen Rahmen die Vertei-<br />

lung eines S<strong>ch</strong>adens unter den vier involvierten Parteien stattfindet:<br />

■ Der S<strong>ch</strong>ädiger, der zuglei<strong>ch</strong> VN oder versi<strong>ch</strong>erte Person ist<br />

■ Der Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer<br />

■ Der Ges<strong>ch</strong>ädigte<br />

■ Drittparteien, insbesondere der Staat als subsidiärer Kostenträger<br />

Da dieser Prozess au<strong>ch</strong> das Verteilungsergebnis beeinflusst, stehen die Analyse der Transaktionskosten<br />

(insbesondere die Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten), die bei der Verteilung des S<strong>ch</strong>adens anfallen<br />

und die Analyse der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten, die vom Verteilungsergebnis determiniert sind, im<br />

Zentrum der ökonomis<strong>ch</strong>en Bewertung, die wir im Folgenden vornehmen werden.<br />

Dabei gehen wir wie folgt vor:<br />

■ In einem ersten S<strong>ch</strong>ritt untersu<strong>ch</strong>en wir die Argumente der Gegner und der Befürworter des direkten<br />

Forderungsre<strong>ch</strong>ts hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ihrer ökonomis<strong>ch</strong>en Implikationen, insbesondere hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ihrer Implikati-<br />

onen bezügli<strong>ch</strong> der Transaktionskosten und der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten.<br />

■ In einem zweiten S<strong>ch</strong>ritt fassen wir die vers<strong>ch</strong>iedenen Auswirkungen, die wir im Rahmen der Unter-<br />

su<strong>ch</strong>ung der einzelnen Argumente identifizieren konnten, zusammen und nehmen eine ökonomis<strong>ch</strong>e<br />

Würdigung vor.<br />

Die Argumente sind den folgenden Quellen entnommen:<br />

■ Vernehmlassungsantworten zum E-<strong>VVG</strong><br />

■ Prof. Dr. Walter Fellmann: «Irrungen und Wirrungen des direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts», in: Haftpfli<strong>ch</strong>tpro-<br />

zess 2008, Dualistis<strong>ch</strong>es Haftungskonzept, Erfolgshonorar und Prozessfinanzierung, direktes Forderungs-<br />

re<strong>ch</strong>t, Opferhilfe sowie kantonales Verantwortli<strong>ch</strong>keitsre<strong>ch</strong>t, hrsg. von Walter Fellmann<br />

und Stephan Weber, Züri<strong>ch</strong> 2008, 83 – 111<br />

■ Prof. Dr. Stephan Fuhrer: Das Direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t in der Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung: hilfrei<strong>ch</strong> und not-<br />

wendig, in: Zeits<strong>ch</strong>rift für Haftpfli<strong>ch</strong>t und Versi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>t HAVE, 2/2009, 152ff<br />

■ Re<strong>ch</strong>tanwältin Yael Strub: «Das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t gegen den Versi<strong>ch</strong>erer, de lege lata – de lege<br />

ferenda», in: Zeits<strong>ch</strong>rift für Haftpfli<strong>ch</strong>t und Versi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>t HAVE, 2/2009, 145ff<br />

Das Argument «Eins<strong>ch</strong>ränkung der Privatautonomie»<br />

■ Das Argument: Fellmann (2008, 100) formuliert dieses Argument folgendermassen: «Damit verliert der<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tige die Mögli<strong>ch</strong>keit, selbst zu ents<strong>ch</strong>eiden, ob er den bestehenden Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz in Anspru<strong>ch</strong> neh-<br />

men will oder ni<strong>ch</strong>t. Dies ist vor allem dann von Bedeutung, wenn er einen Selbstbehalt zu tragen hat, ein S<strong>ch</strong>adenfall<br />

si<strong>ch</strong> unmittelbar auf die Prämien auswirken würde oder sogar eine Kündigung des Vertrags droht. Die Einräumung<br />

eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts erweist si<strong>ch</strong> damit als Eingriff in die im s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Privatre<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> wie vor<br />

geltende Privatautonomie, die dem Re<strong>ch</strong>tsunterworfenen die Mögli<strong>ch</strong>keit einräumt, seine re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Beziehungen<br />

na<strong>ch</strong> eigenem Willen frei zu gestalten.»<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse des Arguments: Dieses Argument hat unseres Era<strong>ch</strong>tens keinen ökonomi-<br />

s<strong>ch</strong>en Gehalt, da es ni<strong>ch</strong>t konsistent ist: Das Argument setzt voraus, dass der VN davon ausgeht, dass ein<br />

348


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

bere<strong>ch</strong>tigter Haftpfli<strong>ch</strong>tanspru<strong>ch</strong> gegen ihn besteht. Denn würde der VN ni<strong>ch</strong>t davon ausgehen, müsste er<br />

au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t darüber na<strong>ch</strong>denken, ob er den bestehenden Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz in Anspru<strong>ch</strong> nehmen will<br />

oder ni<strong>ch</strong>t. Wenn der VN aber davon ausgeht, dass der Ges<strong>ch</strong>ädigte einen bere<strong>ch</strong>tigten Haftpfli<strong>ch</strong>tan-<br />

spru<strong>ch</strong> gegen ihn hat und er seine Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung aus wel<strong>ch</strong>en (seltenen) Gründen au<strong>ch</strong> immer<br />

ni<strong>ch</strong>t in Anspru<strong>ch</strong> nehmen mö<strong>ch</strong>te, so will er den Ges<strong>ch</strong>ädigten offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> selber ents<strong>ch</strong>ädigen. Wenn<br />

er aber den Ges<strong>ch</strong>ädigten selber ents<strong>ch</strong>ädigt, dann hat der Ges<strong>ch</strong>ädigte keinen Grund, das direkte Forde-<br />

rungsre<strong>ch</strong>t gegen den Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer geltend zu ma<strong>ch</strong>en. Der Fall, dass ein Ges<strong>ch</strong>ädigter von sei-<br />

nem direkten Forderungsre<strong>ch</strong>t Gebrau<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t, obwohl der VN den Ges<strong>ch</strong>ädigten selbst ents<strong>ch</strong>ädigen<br />

mö<strong>ch</strong>te, dürfte in der Praxis also wohl nie vorkommen. Nebenbei sei bemerkt, dass das Argument beson-<br />

ders problematis<strong>ch</strong> ist, wenn es von Vertretern der VU geltend gema<strong>ch</strong>t wird. Denn diese greifen ebenso<br />

in die Privatautonomie des VN ein: «Die meisten Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer sehen in ihren Allgemeinen Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

bedingungen vor, dass der Versi<strong>ch</strong>erte nur mit Einwilligung des Versi<strong>ch</strong>erers dem Ges<strong>ch</strong>ädigten Zugeständnisse ma-<br />

<strong>ch</strong>en oder seine Haftpfli<strong>ch</strong>t anerkennen darf.» (Strub 2009, 3).<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>es Fazit zum Argument: Das Argument hat keinen ökonomis<strong>ch</strong>en Gehalt.<br />

Das Argument «Geltendma<strong>ch</strong>ung von Bagatell-S<strong>ch</strong>äden»<br />

■ Das Argument: Strub (2009, 6) formuliert dieses Argument folgendermassen: «Der Aspekt, dass der<br />

Ges<strong>ch</strong>ädigte mit direktem Forderungsre<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t gegen eine Person vorgehen muss, die ihm mögli<strong>ch</strong>erweise nahe<br />

steht, hat au<strong>ch</strong> eine negative Seite. Es besteht die Gefahr, dass jede Bagatelle dem Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer gemeldet<br />

wird und im Bewusstsein der Bevölkerung der Versi<strong>ch</strong>erer, ähnli<strong>ch</strong> wie ein Krankenversi<strong>ch</strong>erer, als Kosten- statt als<br />

Risikoträger wahrgenommen wird. Dies könnte zu erhebli<strong>ch</strong>em Mehraufwand der Versi<strong>ch</strong>erer und damit zu steigen-<br />

den Prämien führen.»<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse des Arguments: Dieses Argument wird von Strub (2009) gegen das direkte<br />

Forderungsre<strong>ch</strong>t vorgebra<strong>ch</strong>t. Der Hintergrund des Arguments ist der empiris<strong>ch</strong>e Tatbestand, dass es un-<br />

ter dem geltenden <strong>VVG</strong> vorkommt, dass Ges<strong>ch</strong>ädigte ihren bere<strong>ch</strong>tigten S<strong>ch</strong>adenersatzanspru<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

dur<strong>ch</strong>setzen, weil ihnen die S<strong>ch</strong>ädiger nahe stehen. Mit dem direkten Forderungsre<strong>ch</strong>t haben die Ges<strong>ch</strong>ä-<br />

digten neu die Mögli<strong>ch</strong>keit, ihre Forderung gegenüber dem «unpersönli<strong>ch</strong>en» VU geltend zu ma<strong>ch</strong>en.<br />

Aus diesem Grund wird das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t dazu führen, dass mehr S<strong>ch</strong>adenersatzansprü<strong>ch</strong>e<br />

dur<strong>ch</strong>gesetzt werden. Das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t wird deshalb zu einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>a-<br />

denskosten und zu einer Erhöhung der Transaktionskosten, konkret: der Abwicklungs-, Dur<strong>ch</strong>setzungs-<br />

und Geri<strong>ch</strong>tskosten führen. Die Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten ist aus wohlfahrtsökonomi-<br />

s<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t positiv zu bewerten, die Erhöhung der Transaktionskosten hingegen negativ. Deshalb muss<br />

hier eine ökonomis<strong>ch</strong>e Abwägung vorgenommen werden, die allerdings eindeutig ausfällt: Die Reduktion<br />

der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten überwiegt die Erhöhung der Transaktionskosten. Begründung: Der VN<br />

hat einen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag gezei<strong>ch</strong>net, der derartige S<strong>ch</strong>adensfälle abdeckt, weil er aus diesem Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsvertrag eine positiven Nutzen zieht; andernfalls hätte er den Vertrag ni<strong>ch</strong>t gezei<strong>ch</strong>net. Das VU<br />

hingegen hat den Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag gezei<strong>ch</strong>net, weil dieser Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag für das VU vorteilhaft<br />

ist. Es liegt also ein Win-Win-Vertrag vor. Dies aber bedeutet, dass die Si<strong>ch</strong>erheitsprämie höher ist als die<br />

Transaktionskosten des VN und des VU (vgl. Abs<strong>ch</strong>nitt 4.2), oder anders formuliert: Wenn die Transakti-<br />

onskosten, die in Zusammenhang mit der Versi<strong>ch</strong>erung des Risikos sol<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>äden entstehen, höher<br />

wären als die Einsparung sekundärer S<strong>ch</strong>adenskosten, dann wäre dieser Vertrag gar nie zustande ge-<br />

kommen 86 . Das Argument, das Strub (2009) also gegen das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t ins Feld führt, ist aus<br />

ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ein Argument für das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t.<br />

86 Um diesen S<strong>ch</strong>luss ziehen zu können, ist die Annahme notwendig, dass der Ges<strong>ch</strong>ädigte aus dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag des S<strong>ch</strong>ä-<br />

digers den glei<strong>ch</strong>en Nutzen ziehen würde wie dieser, wenn ni<strong>ch</strong>t der S<strong>ch</strong>ädiger, sondern er der VN wäre. Die Annahme halten wir<br />

349


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>es Fazit zum Argument: Das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t führt bei Bagatell-S<strong>ch</strong>äden unter<br />

Bekannten zu einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten und zu einer Erhöhung der Transaktions-<br />

kosten, wobei der wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>e Nettoeffekt, d.h. der Nettonutzen, positiv ist.<br />

Das Argument «S<strong>ch</strong>äden unter Bekannten»<br />

■ Das Argument: Dieses Argument entspri<strong>ch</strong>t im Wesentli<strong>ch</strong>en dem soeben ausgeführten Argument,<br />

wobei au<strong>ch</strong> die Gegner des direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts eingestehen, dass es si<strong>ch</strong> um ein Argument für das<br />

direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t handelt. Das Argument formuliert Strub (2009, 5) folgendermassen: «Oftmals<br />

entstehen S<strong>ch</strong>äden, wo si<strong>ch</strong> Bekannte oder Verwandte gegenseitig helfen, z.B. beim Umzug. Die Hemms<strong>ch</strong>welle, in<br />

sol<strong>ch</strong>en Situationen den S<strong>ch</strong>adenersatz geltend zu ma<strong>ch</strong>en, ist gross. Für den Ges<strong>ch</strong>ädigten ist es wesentli<strong>ch</strong> einfa-<br />

<strong>ch</strong>er, gegen einen Versi<strong>ch</strong>erer Ansprü<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong>zusetzen, als direkt gegen den S<strong>ch</strong>ädiger, mit dem ihn womögli<strong>ch</strong><br />

familiäre oder arbeitsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Verhältnisse verbinden.» Das klassis<strong>ch</strong>e Beispiel einer sol<strong>ch</strong>en Fallkonstellation<br />

liegt vor, wenn eine Arbeitgeber einen Arbeitnehmer s<strong>ch</strong>ädigt und der Arbeitnehmer für<strong>ch</strong>tet, entlassen<br />

zu werden, wenn er seinen bere<strong>ch</strong>tigten S<strong>ch</strong>adensersatzanspru<strong>ch</strong> gegen den Arbeitnehmer (z.B. auf ge-<br />

ri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>em Weg) dur<strong>ch</strong>setzt.<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse des Arguments: Die ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse fällt analog zur Analyse des Ar-<br />

guments «Geltendma<strong>ch</strong>ung von Bagatell-S<strong>ch</strong>äden» aus.<br />

■ Fazit zum Argument: Das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t führt bei S<strong>ch</strong>äden unter Bekannten zu einer Reduk-<br />

tion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten und zu einer Erhöhung der Transaktionskosten, wobei der wohl-<br />

fahrtsökonomis<strong>ch</strong>e Nettoeffekt, d.h. der Nettonutzen, positiv ist.<br />

Das Argument «Verhinderung unsa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Auseinandersetzungen»<br />

■ Das Argument: Dieses Argument für das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t formuliert Strub (2009, 5) folgen-<br />

dermassen: «Wenn Versi<strong>ch</strong>erer und Ges<strong>ch</strong>ädigter den Fall zusammen, ohne Beteiligung des S<strong>ch</strong>ädigers regeln, er-<br />

folgt die Bearbeitung des S<strong>ch</strong>adenfalles in der Regel s<strong>ch</strong>neller und einfa<strong>ch</strong>er. Denn der direkte Kontakt zwis<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>ädiger und Ges<strong>ch</strong>ädigtem artet ni<strong>ch</strong>t selten in eine unsa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Diskussion aus, in der si<strong>ch</strong> beide gegenseitig be-<br />

s<strong>ch</strong>uldigen anstatt an einer konstruktiven Lösung zu arbeiten. Verhandelt der Versi<strong>ch</strong>erer mit dem Ges<strong>ch</strong>ädigten,<br />

finden Verhandlungen eher auf einer sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en und objektiveren Ebene statt.»<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse des Arguments: Der Anwendungsfall dieses Arguments ist nur dann gege-<br />

ben, wenn der Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer von seinem in den AVB verankerten Re<strong>ch</strong>t, selbst mit dem Ges<strong>ch</strong>ä-<br />

digten zu verhandeln, verzi<strong>ch</strong>tet. Den Fall, dass die VU ni<strong>ch</strong>t mit dem Ges<strong>ch</strong>ädigten verhandeln wollen<br />

gibt es jedo<strong>ch</strong> mit Si<strong>ch</strong>erheit. Denn andernfalls hätten die VU und der SVV keinen Grund, si<strong>ch</strong> gegen das<br />

direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t zu wehren. Es gibt also Fälle, in wel<strong>ch</strong>en der VN und der Ges<strong>ch</strong>ädigten ohne das<br />

VU miteinander verhandeln und in Streit geraten, was im s<strong>ch</strong>limmsten Fall zu unnötigen geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Auseinandersetzungen führen kann, die Transaktionskosten verursa<strong>ch</strong>en. Die Verfügbarkeit des direkten<br />

Forderungsre<strong>ch</strong>ts kann in einem sol<strong>ch</strong>en Fall dazu führen, dass der Ges<strong>ch</strong>ädigte den Streit mit dem VN<br />

abbri<strong>ch</strong>t und seine Forderung gegen das VU ri<strong>ch</strong>tet und mit dem VU auf einer sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>eren Ebene verhan-<br />

delt.<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>es Fazit zum Argument: Das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t wird zu einer Reduktion der<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten führen.<br />

allerdings ni<strong>ch</strong>t für kritis<strong>ch</strong>, da sie im «Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt» erfüllt sein dürfte – ni<strong>ch</strong>t zuletzt deshalb, weil die Ges<strong>ch</strong>ädigten in der Realität<br />

au<strong>ch</strong> VN sind.<br />

350


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Das Argument «Kulanz des VU bezügli<strong>ch</strong> Einreden»<br />

■ Das Argument: Strub (2009, 5-6) formuliert dieses Argument folgendermassen (vgl. au<strong>ch</strong> Fellmann<br />

2009, 101 sowie SVV 2009a, 61): «Der Versi<strong>ch</strong>erer lässt ni<strong>ch</strong>t nur re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e, sondern au<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>äftspolitis<strong>ch</strong>e<br />

Überlegungen in die Fallbearbeitung einfliessen. Je na<strong>ch</strong> Kunde zeigt si<strong>ch</strong> der Versi<strong>ch</strong>erer kulant und zahlt, obs<strong>ch</strong>on er<br />

na<strong>ch</strong> Gesetz oder Vertrag zu keiner Leistung verpfli<strong>ch</strong>tet wäre. Ersu<strong>ch</strong>t aber ni<strong>ch</strong>t der Versi<strong>ch</strong>erte, sondern der Ge-<br />

s<strong>ch</strong>ädigte um die Ausri<strong>ch</strong>tung einer Leistung, wird der Versi<strong>ch</strong>erer spätestens im Geri<strong>ch</strong>tsprozess alle verfügbaren<br />

Gründe vorbringen, um den Prozess zu gewinnen. Ohne Rücksi<strong>ch</strong>t auf seinen Kunden wird er dann au<strong>ch</strong> Deckungs-<br />

einreden vorbringen, die er ohne Direktanspru<strong>ch</strong> des Ges<strong>ch</strong>ädigten dem Versi<strong>ch</strong>erten gegenüber mögli<strong>ch</strong>erweise<br />

ni<strong>ch</strong>t geltend gema<strong>ch</strong>t hätte.»<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse des Arguments: Grundsätzli<strong>ch</strong> ist davon auszugehen, dass si<strong>ch</strong> die VU als<br />

Gewinnmaximierer verhalten. Sie verzi<strong>ch</strong>ten dann auf die Geltendma<strong>ch</strong>ung einer Deckungseinrede, wenn<br />

der erwartete Gewinn der Strategie «Kulanz» grösser ist als der Erwartungswert der Strategie «Geltend-<br />

ma<strong>ch</strong>ung aller Deckungseinreden». Diejenigen, die das «Kulanz-Argument» gegen das direkte Forde-<br />

rungsre<strong>ch</strong>t vorbringen, nennen die Gründe dafür, dass der erwartete Gewinn der Strategie «Kulanz»<br />

grösser sein kann als der Erwartungswert der Strategie «Geltendma<strong>ch</strong>ung aller Einreden», glei<strong>ch</strong> selbst<br />

(vgl. Fellmann 2009, 101): (1) Berücksi<strong>ch</strong>tigung der gesamten Kundenbeziehung, die mit Deckungseinre-<br />

den gefährdet wird und (2) Reputationseffekt. Das Problem ist nun, dass das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t den<br />

erwarteten Gewinn der beiden Strategien ni<strong>ch</strong>t verändert, weshalb ni<strong>ch</strong>t zu erwarten ist, dass das direkte<br />

Forderungsre<strong>ch</strong>t zu einer Reduktion der Kulanz der VU gegenüber ihren VN führen wird. Konkret formu-<br />

liert: Unter dem geltenden <strong>VVG</strong> (Referenzszenario) führt und gewinnt der Ges<strong>ch</strong>ädigte zuerst einen Haf-<br />

tungsprozess gegen den S<strong>ch</strong>ädiger. In einem zweiten S<strong>ch</strong>ritt ma<strong>ch</strong>t er gegenüber dem VU das Pfandre<strong>ch</strong>t<br />

geltend, das er im ersten Prozess erworben hat. Nun muss si<strong>ch</strong> das VU ents<strong>ch</strong>eiden, ob es Deckungseinre-<br />

den geltend ma<strong>ch</strong>en will. Warum sollte dieser Ents<strong>ch</strong>eid unter dem geltenden <strong>VVG</strong> anders ausfallen als im<br />

Regulierungsszenario, in wel<strong>ch</strong>em der VN seine Forderung in direkter Art und Weise gegen das VU ri<strong>ch</strong>-<br />

tet? Einen Grund hierfür gibt es ni<strong>ch</strong>t: Das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t verändert die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit und<br />

Häufigkeit des Verzi<strong>ch</strong>ts auf Deckungseinreden dur<strong>ch</strong> das VU ni<strong>ch</strong>t.<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Fazit: Das «Kulanz-Argument» hat keinen ökonomis<strong>ch</strong>en Gehalt.<br />

Das Argument «Vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terung der Position des Ges<strong>ch</strong>ädigten»<br />

■ Das Argument: Fellmann (2009, 101) formuliert dieses Argument folgendermassen: «ATTILA Y ILERI<br />

wies bereits in seiner Stellungnahme zum Entwurf eines «Allgemeinen Teils des s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Haftpfli<strong>ch</strong>tre<strong>ch</strong>ts»<br />

darauf hin, kein Ges<strong>ch</strong>ädigtenanwalt werde einem Klienten zu einem Forderungsprozess gegen die Haftpfli<strong>ch</strong>tversi-<br />

<strong>ch</strong>erung raten. Klage ein Ges<strong>ch</strong>ädigter nämli<strong>ch</strong> direkt gegen die Versi<strong>ch</strong>erung, müsse er mit Einreden oder Einwänden<br />

re<strong>ch</strong>nen, die vorher nie zur Diskussion gestanden seien. Die Versi<strong>ch</strong>erungsgesells<strong>ch</strong>aft sei ni<strong>ch</strong>t verpfli<strong>ch</strong>tet, offen zu<br />

legen, ob und wel<strong>ch</strong>e Einreden und Einwände sie zu erheben gedenke. Es komme sogar vor, dass Einreden erst na<strong>ch</strong><br />

Jahren erhoben würden, weil die Versi<strong>ch</strong>erung den der Einrede zugrunde liegenden Sa<strong>ch</strong>verhalt erst jetzt entdecke.<br />

Da der Ges<strong>ch</strong>ädigte keinen Einblick in das Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en der haftpfli<strong>ch</strong>tigen Person und ihrer Haftpfli<strong>ch</strong>tversi-<br />

<strong>ch</strong>erung habe, riskiere er in jedem Stadium des Prozesses sol<strong>ch</strong>e Einwände und Einreden. Diese würden in den meis-<br />

ten Fällen den Verlust des Prozesses na<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> ziehen. Der Ges<strong>ch</strong>ädigte habe dann die vollen Prozess- und Parteikos-<br />

ten zu tragen»<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse des Arguments: Dieses Argument ist aus zwei Gründen zweifelhaft:<br />

- Erstens: Unter dem geltenden <strong>VVG</strong> muss der Ges<strong>ch</strong>ädigte den VN einklagen. Mit dem direkten<br />

Forderungsre<strong>ch</strong>t kann der Ges<strong>ch</strong>ädigte direkt das VU einklagen – er muss dies jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t tun.<br />

Au<strong>ch</strong> im Regulierungsszenario hat der Ges<strong>ch</strong>ädigte die Mögli<strong>ch</strong>keit, den Ges<strong>ch</strong>ädigten einzukla-<br />

gen. Das Argument besagt implizit also, dass si<strong>ch</strong> die Verfügbarkeit einer zusätzli<strong>ch</strong>en Option ne-<br />

gativ auf die Position des Ges<strong>ch</strong>ädigten auswirkt. Dies impliziert jedo<strong>ch</strong>, dass si<strong>ch</strong> der Ges<strong>ch</strong>ädigte<br />

351


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

irrational und selbsts<strong>ch</strong>ädigend verhält, was ni<strong>ch</strong>t plausibel ist. Plausibel ist vielmehr, dass der Ge-<br />

s<strong>ch</strong>ädigte nur den VN oder den VN neben dem VU einklagt, wenn Deckungseinreden absehbar<br />

sind oder wenn der Ges<strong>ch</strong>ädigte davon ausgehen muss, dass die Versi<strong>ch</strong>erungssumme zur De-<br />

ckung der Haftpfli<strong>ch</strong>tforderung ni<strong>ch</strong>t ausrei<strong>ch</strong>t. In diesem Zusammenhang stellt si<strong>ch</strong> die Frage,<br />

wel<strong>ch</strong>en Grund die Versi<strong>ch</strong>erungsgesells<strong>ch</strong>aft haben kann, ni<strong>ch</strong>t offen zu legen, «ob und wel<strong>ch</strong>e<br />

Einreden und Einwände sie zu erheben gedenke.» (Fellmann 2009, 101). Wird das VU im Rah-<br />

men der Verglei<strong>ch</strong>sverhandlungen ni<strong>ch</strong>t alle mögli<strong>ch</strong>en Einreden und Einwände geltend ma<strong>ch</strong>en,<br />

um seine Verhandlungsposition zu stärken?<br />

- Zweitens: Das Argument lässt unseres Era<strong>ch</strong>tens ausser A<strong>ch</strong>t, dass der Ges<strong>ch</strong>ädigte unter dem<br />

geltenden <strong>VVG</strong> ebenso dem Risiko von Deckungseinreden ausgesetzt ist. Ma<strong>ch</strong>t das VU unter<br />

dem geltenden <strong>VVG</strong> Deckungseinreden geltend, wenn der Ges<strong>ch</strong>ädigte na<strong>ch</strong> dem gewonnenen<br />

ersten Haftpfli<strong>ch</strong>t-Prozess (bei dem Deckungseinreden ni<strong>ch</strong>t thematisiert werden) sein Pfandre<strong>ch</strong>t<br />

einlösen will, muss der Ges<strong>ch</strong>ädigte ebenfalls einen Deckungsprozess gegen das VU führen, bei<br />

wel<strong>ch</strong>em er die vollen Prozess- und Parteikosten zu tragen hat. Fuhrer (2009, 5) formuliert dieses<br />

Gegenargument folgendermassen: «Die Gegner eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts ma<strong>ch</strong>en im Wesentli-<br />

<strong>ch</strong>en geltend, dass der Ges<strong>ch</strong>ädigte in einem Prozess gegen den Versi<strong>ch</strong>erer damit re<strong>ch</strong>nen müsse, dass die-<br />

ser Einreden oder Einwände erhebt, die vorher nie zur Diskussion gestanden haben. Er müsse deshalb mit<br />

einem sol<strong>ch</strong>en Prozess ein erhebli<strong>ch</strong>es Prozess und Parteikostenrisiko übernehmen. Diese Argumentation<br />

übersieht, dass ohne direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t [unter dem geltenden <strong>VVG</strong>: Referenzszenario, BASS] der Ge-<br />

s<strong>ch</strong>ädigte zuerst einen Haftungsprozess führen muss, bei dem Einreden und Einwände des Versi<strong>ch</strong>erers gar<br />

kein Thema sind. Mit dem direkten Forderungsre<strong>ch</strong>t wird si<strong>ch</strong>ergestellt, dass au<strong>ch</strong> der Umfang der Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsdeckung im ersten Prozess erörtert wird. Namentli<strong>ch</strong> wenn der Versi<strong>ch</strong>erte zahlungsunfähig ist, wäre<br />

es geradezu s<strong>ch</strong>ikanös, den Ges<strong>ch</strong>ädigten zuerst ein Haftungsurteil erstreiten zu lassen, um ihm ans<strong>ch</strong>lies-<br />

send zu eröffnen, dass keine Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung besteht.»<br />

■ Fazit zum Argument: Die Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts verbessert die Position des Ge-<br />

s<strong>ch</strong>ädigten.<br />

Das Argument «Erhöhung des Prozessrisikos des VN»<br />

■ Das Argument: Dieses Argument gegen das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t basiert auf der Tatsa<strong>ch</strong>e, dass ein<br />

Urteil in einem Prozess zwis<strong>ch</strong>en dem VU und dem Ges<strong>ch</strong>ädigten keine Re<strong>ch</strong>tskraft für den VN besitzt:<br />

«Ein Urteil wirkt bekanntli<strong>ch</strong> nur zwis<strong>ch</strong>en den Prozessparteien» (Fellmann 2009, 94). Daraus können si<strong>ch</strong><br />

für den VN die folgenden zwei Probleme ergeben:<br />

- Zweitprozess zwis<strong>ch</strong>en dem VN und dem Ges<strong>ch</strong>ädigten bezügli<strong>ch</strong> der Haftungsfrage:<br />

Wird die Haftpfli<strong>ch</strong>t des Ges<strong>ch</strong>ädigten gegenüber dem VN im Prozess zwis<strong>ch</strong>en dem VU und dem<br />

Ges<strong>ch</strong>ädigten bejaht, hat der Ges<strong>ch</strong>ädigte gegenüber dem VN eine bere<strong>ch</strong>tigte Forderung bezüg-<br />

li<strong>ch</strong> des ungedeckten Teils des S<strong>ch</strong>adens. Ist der VN mit dem Urteil des ersten Prozesses ni<strong>ch</strong>t ein-<br />

verstanden und ni<strong>ch</strong>t bereit, der Forderung des Ges<strong>ch</strong>ädigten zu entspre<strong>ch</strong>en, wird der Ges<strong>ch</strong>ä-<br />

digte den VN einklagen. Fellmann (2009, 103) beurteilt diesen Zweitprozess aus der Perspektive<br />

des VN folgendermassen: «Wurde die Haftung des Versi<strong>ch</strong>erten im Erstprozess bejaht, hat der Ges<strong>ch</strong>ädig-<br />

te daher gute Chancen, mit dem ungedeckten Teil seiner Forderung im Prozess gegen den Versi<strong>ch</strong>erten<br />

dur<strong>ch</strong>zudringen. Der Haftpfli<strong>ch</strong>tige erhält in diesem Prozess von seinem Versi<strong>ch</strong>erer keine Unterstützung<br />

mehr, da dessen Pfli<strong>ch</strong>t zur Abwehr unbere<strong>ch</strong>tigter Ansprü<strong>ch</strong>e mit der Beglei<strong>ch</strong>ung des gedeckten Teils des<br />

S<strong>ch</strong>adens wohl erlos<strong>ch</strong>en ist. Bei der verbleibenden Forderung handelt es si<strong>ch</strong> zudem ni<strong>ch</strong>t mehr um eine<br />

unbere<strong>ch</strong>tigte, sondern eine bere<strong>ch</strong>tigte Forderung. Der Versi<strong>ch</strong>erte hat daher neben dem ungedeckten Teil<br />

des S<strong>ch</strong>adens au<strong>ch</strong> sämtli<strong>ch</strong>e Prozesskosten zu bezahlen.»<br />

352


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

- Zweitprozess zwis<strong>ch</strong>en dem VN und dem VU bezügli<strong>ch</strong> der Deckungseinreden: Das Urteil,<br />

das im ersten Prozess zwis<strong>ch</strong>en dem Ges<strong>ch</strong>ädigten und dem VU bezügli<strong>ch</strong> der Deckungseinreden<br />

gefällt wurde, hat für den VN keine Re<strong>ch</strong>tskraft: «Ist der Haftpfli<strong>ch</strong>tige mit den Deckungseinreden,<br />

wel<strong>ch</strong>e der Versi<strong>ch</strong>erer dem Ges<strong>ch</strong>ädigten gegenüber erhoben hat, ni<strong>ch</strong>t einverstanden, bleibt ihm ni<strong>ch</strong>ts<br />

anderes übrig, als nun selbst einen Deckungsprozess einzuleiten und vom Versi<strong>ch</strong>erer die Bezahlung des Be-<br />

trags zu verlangen, den er dem Ges<strong>ch</strong>ädigten inzwis<strong>ch</strong>en direkt bezahlen musste. Die erneute Aufnahme<br />

der Deckungsfrage ist mögli<strong>ch</strong>, da das Urteil zwis<strong>ch</strong>en dem Ges<strong>ch</strong>ädigten und dem Versi<strong>ch</strong>erer im Verhältnis<br />

zwis<strong>ch</strong>en dem Versi<strong>ch</strong>erer und dem Versi<strong>ch</strong>erten keine Re<strong>ch</strong>tskraft hat. Das Prozessrisiko eines sol<strong>ch</strong>en Ver-<br />

fahrens trägt der Versi<strong>ch</strong>erte aber allein. Er hat au<strong>ch</strong> alle Kosten, namentli<strong>ch</strong> seine eigenen Anwaltskosten,<br />

vorzus<strong>ch</strong>iessen. Ein sol<strong>ch</strong>er Streit birgt für den Versi<strong>ch</strong>erten also erhebli<strong>ch</strong>e Kostenrisiken, die er vor allem<br />

dann ni<strong>ch</strong>t wird tragen können, wenn ihn s<strong>ch</strong>on die Bezahlung des ungedeckten Teils des S<strong>ch</strong>adens an die<br />

Grenzen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit oder über diese hinaus gebra<strong>ch</strong>t hat.» (Fellmann 2009, 103-<br />

104).<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des Zweitprozesses zwis<strong>ch</strong>en dem Ges<strong>ch</strong>ädigten und dem<br />

VN bezügli<strong>ch</strong> der Haftungsfrage: Bezügli<strong>ch</strong> der erneuten Klärung der Haftungsfrage im Rahmen eines<br />

zweiten Prozesses zwis<strong>ch</strong>en dem VN und dem Ges<strong>ch</strong>ädigten müssen folgende Tatbestände berücksi<strong>ch</strong>tigt<br />

werden:<br />

- Ein Zweitprozess ist nur mögli<strong>ch</strong>, wenn der Ges<strong>ch</strong>ädigte nur das VU eingeklagt hat. Wenn der<br />

Ges<strong>ch</strong>ädigte neben dem VU au<strong>ch</strong> den S<strong>ch</strong>ädiger bzw. VN einklagt, ist das Urteil, das bezügli<strong>ch</strong><br />

der Haftungsfrage gefällt wird, au<strong>ch</strong> für den VN verbindli<strong>ch</strong>.<br />

- Es muss davon ausgegangen werden, dass das Ergebnis des Zweitprozesses ni<strong>ch</strong>t vom Urteil im<br />

Erstprozess abwei<strong>ch</strong>t: «Da der Haftpfli<strong>ch</strong>tige seinem Versi<strong>ch</strong>erer im Prozess gegen den Ges<strong>ch</strong>ädigten auf-<br />

grund seiner Auskunfts- und Mitwirkungsobliegenheit im S<strong>ch</strong>adenfall bereits alle nötigen Auskünfte und<br />

Aufs<strong>ch</strong>lüsse zur Abwehr der Haftpfli<strong>ch</strong>tansprü<strong>ch</strong>e erteilt haben wird, dürften im Zweitprozess in der Regel<br />

aber kaum neue Erkenntnisse zu erwarten sein.» (Fellmann 2009, 103). Hierfür gibt es au<strong>ch</strong> empiris<strong>ch</strong>e<br />

Hinweise: Die Gefahr si<strong>ch</strong> widerspre<strong>ch</strong>ender Urteile hat si<strong>ch</strong> bei der obligatoris<strong>ch</strong>en Motorfahr-<br />

zeughaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung, bei wel<strong>ch</strong>er der Ges<strong>ch</strong>ädigte bereits über eine direktes Forderungs-<br />

re<strong>ch</strong>t gegenüber dem VU verfügt, no<strong>ch</strong> nie realisiert: «Obwohl diese Gefahr in der Lehre immer wieder<br />

bes<strong>ch</strong>woren wird [...], findet si<strong>ch</strong> nirgendwo ein Beispiel für si<strong>ch</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> widerspre<strong>ch</strong>ende Urteile ver-<br />

s<strong>ch</strong>iedener Geri<strong>ch</strong>te in derselben Sa<strong>ch</strong>e. » (Fellmann 2009, Fussnote 66). Diese Ausführungen spre<strong>ch</strong>en<br />

dafür, dass der VN das Urteil im Erstprozess zwis<strong>ch</strong>en dem VN und dem VU bezügli<strong>ch</strong> der Haf-<br />

tungsfrage akzeptieren wird, da die Risiken des Zweitprozesses für ihn zu ho<strong>ch</strong> sind.<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des Zweitprozesses zwis<strong>ch</strong>en dem VN und dem VU bezüg-<br />

li<strong>ch</strong> der Deckungseinreden: Diesbezügli<strong>ch</strong> gilt es aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t zwei Fragestellungen zu diffe-<br />

renzieren:<br />

- Die «Effizienz-Frage»: Wie ist das Risiko eines Zweitprozesses im Verglei<strong>ch</strong> zum Referenzszena-<br />

rio bezügli<strong>ch</strong> der Transaktionskosten zu bewerten?<br />

- Die «Verteilungs-Frage»: Wie ist das Risiko eines Zweitprozesses im Verglei<strong>ch</strong> zum Referenzsze-<br />

nario bezügli<strong>ch</strong> der Allokation auf den S<strong>ch</strong>ädiger (VN) und den Ges<strong>ch</strong>ädigten zu bewerten?<br />

Wir wenden uns in einem ersten S<strong>ch</strong>ritt der «Effizienz-Frage» zu: Es ist korrekt, dass die Verfügbarkeit<br />

eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts dazu führen kann, dass ein zweiter Prozess geführt werden muss. Dieses<br />

Problem stellt si<strong>ch</strong> unter dem geltenden <strong>VVG</strong> allerdings au<strong>ch</strong>: Unter dem geltenden <strong>VVG</strong> wird die Frage<br />

der Deckungseinreden im Erstprozess zwis<strong>ch</strong>en dem Ges<strong>ch</strong>ädigten und dem VN überhaupt ni<strong>ch</strong>t themati-<br />

siert: «Ist eine gütli<strong>ch</strong>e Einigung ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, so muss der Ges<strong>ch</strong>ädigte, um zu seinem Geld zu kommen, in einem<br />

ersten S<strong>ch</strong>ritt einen Prozess gegen den Versi<strong>ch</strong>erten führen. In diesem Prozess geht es einzig um die Haftungsfrage.<br />

Allfällige Bes<strong>ch</strong>ränkungen des Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utzes werden in diesem Prozess ni<strong>ch</strong>t thematisiert. Hat der Ges<strong>ch</strong>ädig-<br />

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16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

te ein re<strong>ch</strong>tskräftiges Urteil erstritten, so kann er eine Betreibung auf Pfandverwertung gegen den Versi<strong>ch</strong>erer einlei-<br />

ten. Erhebt der Versi<strong>ch</strong>erer Einreden oder Einwände, so führt dies in letzter Konsequenz dazu, dass der Ges<strong>ch</strong>ädigte<br />

nun no<strong>ch</strong> einen Deckungsprozess führen muss, in wel<strong>ch</strong>em der Umfang der Leistungspfli<strong>ch</strong>t des Versi<strong>ch</strong>erers festge-<br />

stellt wird.» (Fuhrer 2009, 5). Diese Ausführungen ma<strong>ch</strong>en deutli<strong>ch</strong>, dass au<strong>ch</strong> unter dem geltenden <strong>VVG</strong><br />

ein Zweitprozess geführt werden muss, um die Frage der Deckungseinreden abs<strong>ch</strong>liessend zu klären. Aus<br />

der Perspektive der ökonomis<strong>ch</strong>en Effizienz (Minimierung von Transaktionskosten) ist die ents<strong>ch</strong>eidende<br />

Frage deshalb, wie häufig im Regulierungsszenario (E-<strong>VVG</strong>: Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t) im Verglei<strong>ch</strong> zum<br />

Referenzszenario (Geltendes <strong>VVG</strong>: Pfandre<strong>ch</strong>t) ein Zweitprozess geführt werden muss. Die Antwort auf<br />

diese Frage fällt unseres Era<strong>ch</strong>tens eindeutig aus: Die Verfügbarkeit eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts wird<br />

zu einer Reduktion der Anzahl Zweitprozesse führen. Der Grund hierfür ist darin zu sehen, dass unter dem<br />

geltenden <strong>VVG</strong> die Frage von Deckungseinreden im ersten Prozess überhaupt ni<strong>ch</strong>t thematisiert wird. Im<br />

Regulierungsszenario hingegen erfolgt in dieser Frage in jedem Fall ein Urteil, das vom VN nur in Ausnah-<br />

mefällen bestritten werden dürfte. Bezügli<strong>ch</strong> der Häufigkeit von Zweitprozessen zwis<strong>ch</strong>en dem VN und<br />

seinem VU sind folgende Bemerkungen anzubringen:<br />

- Es stellt si<strong>ch</strong> grundsätzli<strong>ch</strong> die Frage, warum die Frage der Deckungseinreden im Zweitprozess an-<br />

ders beurteilt werden sollte als im Erstprozess. Der einzige Grund hierfür dürfte darin zu sehen<br />

sein, dass das VU und der VN zwar bezügli<strong>ch</strong> der Haftungsfrage die glei<strong>ch</strong>en Interessen haben,<br />

ni<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong> der Frage der Deckungseinreden: «Die Interessen der beiden Parteien des Ver-<br />

si<strong>ch</strong>erungsvertrags sind im S<strong>ch</strong>adensfall ni<strong>ch</strong>t immer deckungsglei<strong>ch</strong>.» (Kanton Züri<strong>ch</strong> 2009, 9); «Dass eine<br />

Beteiligung des Versi<strong>ch</strong>erten am Prozess des Ges<strong>ch</strong>ädigten gegen den Versi<strong>ch</strong>erer heikle Fragen aufwirft, ist<br />

unbestritten. Dies s<strong>ch</strong>on alleine aus dem Grund, weil er in Bezug auf die Haftungsfragen den Versi<strong>ch</strong>erer<br />

und in Bezug auf die Deckungsfragen den Ges<strong>ch</strong>ädigten unterstützen müsste.» (Fuhrer 2009, 5). Da die Ri-<br />

siken des Zweitprozesses für den VN ho<strong>ch</strong> sind, wird er si<strong>ch</strong> gut überlegen, das Urteil im Erstpro-<br />

zess zwis<strong>ch</strong>en dem VU und dem Ges<strong>ch</strong>ädigten ni<strong>ch</strong>t zu akzeptieren und das VU einzuklagen.<br />

- Grundsätzli<strong>ch</strong> hat au<strong>ch</strong> das VU ein Interesse daran, die Frage der Deckungseinreden abs<strong>ch</strong>liessend<br />

im Rahmen des ersten Prozesses zu klären. Ein Zweitprozess gegen den VN birgt au<strong>ch</strong> für das VU<br />

Prozessrisiken. Zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en dem VU und dem VN eine Meinungsvers<strong>ch</strong>iedenheit be-<br />

zügli<strong>ch</strong> allfälliger Deckungseinreden ab, könnte das VU geneigt sein, dem VN den Streit zu ver-<br />

künden bzw. eine Streitverkündungsklage einzurei<strong>ch</strong>en, «mit wel<strong>ch</strong>er dem streitberufenen Versi-<br />

<strong>ch</strong>erten ni<strong>ch</strong>t nur der Streit verkündet wird, sondern dieser als Regressbeklagter in den Prozess<br />

einbezogen wird, indem dann ni<strong>ch</strong>t nur die Ansprü<strong>ch</strong>e des Ges<strong>ch</strong>ädigten gegenüber dem Versi-<br />

<strong>ch</strong>erer, sondern au<strong>ch</strong> dessen Regressansprü<strong>ch</strong>e gegenüber dem Versi<strong>ch</strong>erten ents<strong>ch</strong>ieden wird.»<br />

(Fellmann 2009, 95).<br />

- Klagt der Ges<strong>ch</strong>ädigte neben dem VU au<strong>ch</strong> den VN ein, sind sie gemäss Fellmann (2009, 95) ein-<br />

fa<strong>ch</strong>e Streitgenossen: «Das Urteil zwis<strong>ch</strong>en dem Ges<strong>ch</strong>ädigten und dem Versi<strong>ch</strong>erer einerseits<br />

und das Urteil zwis<strong>ch</strong>en dem Ges<strong>ch</strong>ädigten und dem Haftpfli<strong>ch</strong>tigen andererseits hat für das Ver-<br />

hältnis der Streitgenossen unter einander keine Re<strong>ch</strong>tswirkung.». In den Kantonen Züri<strong>ch</strong> und<br />

S<strong>ch</strong>wyz s<strong>ch</strong>eint dies allerdings kein Problem zu sein, da das kantonale Re<strong>ch</strong>t in diesen beiden<br />

Kantonen die «glei<strong>ch</strong>zeitige Regelung des Innenverhältnisses» (Fellmann 2009, 96) anbietet.<br />

Bezügli<strong>ch</strong> der «Verteilungs-Frage» lässt si<strong>ch</strong> folgendes festhalten: Im Gegensatz zum Regulierungssze-<br />

nario (Geltendes <strong>VVG</strong>: Pfandre<strong>ch</strong>t) wird der Zweitprozess im Regulierungsszenario (E-<strong>VVG</strong>: Direktes Forde-<br />

rungsre<strong>ch</strong>t) ni<strong>ch</strong>t zwis<strong>ch</strong>en dem Ges<strong>ch</strong>ädigten und dem VU, sondern zwis<strong>ch</strong>en dem VN und dem VU aus-<br />

getragen. Die Einführung des direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts führt also dazu, dass die Prozessrisiken bezügli<strong>ch</strong><br />

allfälliger Deckungseinreden vom Ges<strong>ch</strong>ädigten auf den VN transferiert werden.<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>es Fazit: Das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t wird zu einer Reduktion der Dur<strong>ch</strong>setzungs- und<br />

Geri<strong>ch</strong>tskosten führen, da die Frage der Deckungseinreden bereits im ersten Prozess zwis<strong>ch</strong>en dem Ge-<br />

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16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

s<strong>ch</strong>ädigten und dem VU thematisiert wird. Das Risiko eines Zweitprozesses wird dabei vom Ges<strong>ch</strong>ädigten<br />

auf den VN vers<strong>ch</strong>oben, weshalb die Vertragsrisiken des VN zunehmen.<br />

Das Argument «Tod der haftpfli<strong>ch</strong>tigen natürli<strong>ch</strong>en Person»<br />

■ Das Argument: Dieses Argument haben wir bereits in Abs<strong>ch</strong>nitt 16.2 thematisiert: Stirbt die haftpfli<strong>ch</strong>-<br />

tige Person und gibt es keine Re<strong>ch</strong>tsna<strong>ch</strong>folger, kann eine bere<strong>ch</strong>tigte S<strong>ch</strong>adensersatzforderung des Ge-<br />

s<strong>ch</strong>ädigten ni<strong>ch</strong>t mehr bedient werden.<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse des Arguments: Die Verfügbarkeit eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts wird zu<br />

einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenkosten (der Ges<strong>ch</strong>ädigte muss den S<strong>ch</strong>aden alleine tragen) und<br />

zu einer Erhöhung der Transaktionskosten (der Ges<strong>ch</strong>ädigte muss seine Forderungen gegen das VU<br />

dur<strong>ch</strong>setzen) führen. Die Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenkosten ist wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong> positiv zu<br />

bewerten, die Erhöhung der Transaktionskosten hingegen negativ. Der wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>e Nettoef-<br />

fekte fällt dabei positiv aus. Die Begründung dafür, dass der Nettonutzen positiv sein muss, haben wir<br />

bereits bei der Diskussion des Arguments «Geltendma<strong>ch</strong>ung von Bagatell-S<strong>ch</strong>äden» im Detail expliziert:<br />

Wenn der Nettonutzen ni<strong>ch</strong>t positiv wäre, wäre der betroffene Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag nie zustande ge-<br />

kommen.<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>es Fazit: Die Verfügbarkeit eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts wird zu einer Reduktion der<br />

sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten führen.<br />

Das Argument «Erlös<strong>ch</strong>en der haftpfli<strong>ch</strong>tigen juristis<strong>ch</strong>en Person»<br />

■ Das Argument: Au<strong>ch</strong> dieses Argument haben wir im Abs<strong>ch</strong>nitt 16.2 bereits thematisiert: Die S<strong>ch</strong>a-<br />

densersatzforderung eines Ges<strong>ch</strong>ädigten zielt ins Leere, wenn (z.B. na<strong>ch</strong> abges<strong>ch</strong>lossenem Konkursverfah-<br />

ren) eine juristis<strong>ch</strong>e Person im Handelsregister gelös<strong>ch</strong>t wird.<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse des Arguments: Die Verfügbarkeit eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts wird zu<br />

einer Reduktion der Transaktionskosten und zu einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten führen:<br />

Will der Ges<strong>ch</strong>ädigte seinen S<strong>ch</strong>adensersatzforderung dur<strong>ch</strong>setzen, muss der Ges<strong>ch</strong>ädigte zuerst eine<br />

Klage auf Wiedereintrag ins Handelregister tätigen, ehe er sein Pfandre<strong>ch</strong>t geltend ma<strong>ch</strong>en kann. Im Ver-<br />

glei<strong>ch</strong> zu einer Dur<strong>ch</strong>setzung seiner S<strong>ch</strong>adensersatzforderung mit einem direkten Forderungsre<strong>ch</strong>t entste-<br />

hen daher zusätzli<strong>ch</strong>e Dur<strong>ch</strong>setzungskosten. Sind die Dur<strong>ch</strong>setzungskosten im Verglei<strong>ch</strong> zur S<strong>ch</strong>adenser-<br />

satzforderung ho<strong>ch</strong>, wird der Ges<strong>ch</strong>ädigte darauf verzi<strong>ch</strong>ten, seinen Anspru<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>zusetzen. In diesem<br />

Fall wird er die S<strong>ch</strong>adenskosten alleine tragen müssen. Die Verfügbarkeit eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts<br />

wird deshalb zu einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten führen.<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>es Fazit zum Argument: Die Verfügbarkeit eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts wird zu<br />

einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten und der Transaktionskosten führen.<br />

Das Argument «Stärkung der Verhandlungsposition des Ges<strong>ch</strong>ädigten»<br />

■ Das Argument: Die Dur<strong>ch</strong>setzung eines S<strong>ch</strong>adensersatzanspru<strong>ch</strong>s mittels des Pfandre<strong>ch</strong>ts wird von<br />

allen Juristen, au<strong>ch</strong> von denjenigen, die si<strong>ch</strong> gegen die Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts wen-<br />

den, als bes<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong> bezei<strong>ch</strong>net. Fellmann (2009, 105) führt diesbezügli<strong>ch</strong> aus: «Ohne Bedeutung ist, dass<br />

das Pfandre<strong>ch</strong>t für den unerfahrenen Ges<strong>ch</strong>ädigten ein s<strong>ch</strong>werfälliges und nur mühsam dur<strong>ch</strong>zusetzendes Re<strong>ch</strong>t ist.<br />

Es besteht nämli<strong>ch</strong> von Gesetzes wegen. Zu seiner Begründung bedarf es daher keiner Massnahmen des Ges<strong>ch</strong>ädig-<br />

ten. Zwar trifft es zu, dass die Dur<strong>ch</strong>setzung des Pfandre<strong>ch</strong>ts über den Weg der Zwangsvollstreckung bes<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong><br />

wäre. In der Praxis kommt es jedo<strong>ch</strong> nur in seltensten Fällen zur Zwangsvollstreckung, da der Versi<strong>ch</strong>erer die Haft-<br />

pfli<strong>ch</strong>tansprü<strong>ch</strong>e regelmässig in direkten Verhandlungen mit dem Ges<strong>ch</strong>ädigten reguliert und alsdann von dem ihm in<br />

Art. 60 Abs. 1 <strong>VVG</strong> eingeräumten Re<strong>ch</strong>t Gebrau<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t, die Ersatzleistung direkt an den ges<strong>ch</strong>ädigten Dritten aus-<br />

zuri<strong>ch</strong>ten.» Dies führt gemäss einigen der befragten Experten in der Praxis dazu, dass die Verhandlungspo-<br />

355


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

sition des Ges<strong>ch</strong>ädigten in den Verglei<strong>ch</strong>sverhandlungen mit dem S<strong>ch</strong>ädiger und dessen VU ges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>t<br />

wird. Dabei s<strong>ch</strong>eint insbesondere die Androhung eines Zweitprozesses bezügli<strong>ch</strong> allfälliger Deckungsein-<br />

reden eine Rolle zu spielen. Dies ni<strong>ch</strong>t zuletzt deshalb, weil die Dur<strong>ch</strong>setzung des S<strong>ch</strong>adensersatzan-<br />

spru<strong>ch</strong>s im Rahmen von zwei Prozessen sehr lange dauert. Ist der Ges<strong>ch</strong>ädigte aus finanziellen Gründen<br />

darauf angewiesen, mögli<strong>ch</strong>st ras<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ädigt zu werden, ist er geneigt, unvorteilhaften Verglei<strong>ch</strong>san-<br />

geboten der Gegenpartei zuzustimmen. Die erwähnten befragten Experten vertreten die Ansi<strong>ch</strong>t, dass das<br />

direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t dieser «Strategie des Aushungerns» 87 entgegenwirkt.<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse: Das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t stärkt die Position des Ges<strong>ch</strong>ädigten in Ver-<br />

glei<strong>ch</strong>sverhandlungen. Die Einführung des direkten Forderungsre<strong>ch</strong>t wird deshalb zu Verglei<strong>ch</strong>sergebnis-<br />

sen führen, die für den Ges<strong>ch</strong>ädigten vorteilhafter sind. Da der Ges<strong>ch</strong>ädigte besser ents<strong>ch</strong>ädigt wird, re-<br />

sultiert eine Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten, da ein grösserer Teil des S<strong>ch</strong>adens auf die Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsgemeins<strong>ch</strong>aft entfällt.<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>es Fazit zum Argument: Die Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts wird die se-<br />

kundären S<strong>ch</strong>adenskosten reduzieren.<br />

Das Argument «Entlastung von KMU»<br />

■ Das Argument: Verfügt der Ges<strong>ch</strong>ädigte über ein direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und klagt nur das VU ein,<br />

nimmt der S<strong>ch</strong>ädiger am Prozess ni<strong>ch</strong>t in direkter Art und Weise mit. Wir haben bereits in Zusammenhang<br />

mit dem Argument «Erhöhung des Prozessrisikos des VN» ausgeführt, dass dieser Tatbestand die Risiken<br />

des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags, dem die VN ausgesetzt sind, erhöhen kann. Der glei<strong>ch</strong>e Tatbestand wird je-<br />

do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> dahingehend interpretiert, dass er den VN zum Vorteil gerei<strong>ch</strong>t: «Der Versi<strong>ch</strong>erer behandelt im<br />

Rahmen der direkten Anspra<strong>ch</strong>e die Forderungen des Ges<strong>ch</strong>ädigten wie er es im Rahmen der Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utzfunktion<br />

müsste, wenn si<strong>ch</strong> die Forderungen gegen den Versi<strong>ch</strong>erten ri<strong>ch</strong>teten. Für den Versi<strong>ch</strong>erten erweist si<strong>ch</strong> die direkte<br />

Forderung sogar als Vorteil: Er kann die Klärung der Haftungsfrage dem Versi<strong>ch</strong>erer überlassen und ist in einem allfäl-<br />

ligen Prozess zwis<strong>ch</strong>en dem Ges<strong>ch</strong>ädigten und dem Versi<strong>ch</strong>erer ni<strong>ch</strong>t involviert.» (Fuhrer 2009, 4). Dieser Si<strong>ch</strong>t der<br />

Dinge haben si<strong>ch</strong> in der Vernehmlassung die Interessensorganisationen der kleinen Unternehmen ange-<br />

s<strong>ch</strong>lossen. Der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Gewerbeverband (2009, 5) und der Auto Gewerbe Verband S<strong>ch</strong>weiz AGVS<br />

(2009, 5) führen In ihrer Vernehmlassungsantwort aus: «Au<strong>ch</strong> hier unterstützen wir Abs. 1 in der vorges<strong>ch</strong>lage-<br />

nen Fassung ausdrückli<strong>ch</strong>. Mit dieser Bestimmung können Streitigkeiten direkt mit der Betriebshaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung<br />

geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ausgetragen werden; die Unternehmen und Betriebe müssten ni<strong>ch</strong>t mehr damit re<strong>ch</strong>nen, bei Unfällen<br />

eines Ausleih-Arbeitnehmers oder eines Dritten direkt geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> belangt zu werden. Wi<strong>ch</strong>tig ist für uns au<strong>ch</strong>, dass die<br />

beiden Bestimmungen ni<strong>ch</strong>t nur für obligatoris<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erungen, sondern insbesondere au<strong>ch</strong> für Betriebshaft-<br />

pfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen und Privathaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen gelten.»<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse des Arguments: Der Grund dafür, dass die kleinen Unternehmen den Um-<br />

stand begrüssen, ni<strong>ch</strong>t eingeklagt zu werden, liefert Derrer Satmer Hunziker & Baumgartner Re<strong>ch</strong>tsanwäl-<br />

te (2009, 5): «Die Einführung des direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts ist zeitgemäss und entlastet den Versi<strong>ch</strong>erten, gerade<br />

au<strong>ch</strong> KMU-Betriebe, die keine Stäbe haben, die si<strong>ch</strong> mit einem Haftpfli<strong>ch</strong>tfall oder gar -Prozess befassen können. Es<br />

ist zu wüns<strong>ch</strong>en, dass die Versi<strong>ch</strong>erer diese Entlastung dann au<strong>ch</strong> als Dienstleistung "verkaufen", denn damit wird die<br />

S<strong>ch</strong>adenerledigung endli<strong>ch</strong> zum Wettbewerbselement [...]». Die Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts<br />

wird für die KMU-Betriebe, insbesondere für das Gewerbe, also zu einer Reduktion von Transaktionskos-<br />

ten führen. Dabei ist zu berücksi<strong>ch</strong>tigen, dass es si<strong>ch</strong> hierbei ni<strong>ch</strong>t nur um einen Verteilungseffekt handelt,<br />

da die VU aufgrund ihrer umfangrei<strong>ch</strong>en Erfahrung mit Haftpfli<strong>ch</strong>tprozessen und aufgrund von economies<br />

of scales im Umgang mit Haftpfli<strong>ch</strong>tprozessen gegenüber den KMU Effizienz-Vorteile haben. Dies ma<strong>ch</strong>t<br />

deutli<strong>ch</strong>, dass die Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts aus Si<strong>ch</strong>t der VN die Vertragsrisiken ni<strong>ch</strong>t<br />

87 Der Begriff «Aushungern» wurde von den befragten Experten – u.a. au<strong>ch</strong> von Experten der befragten VU selbst – verwendet.<br />

356


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

unbedingt erhöhen muss. Insbesondere dann, wenn Deckungseinreden unstrittig sind – und dies dürfte<br />

der Normalfall sein – reduziert die Verfügbarkeit eines direkten Widerrufsre<strong>ch</strong>t aus Si<strong>ch</strong>t der VN die Risi-<br />

ken ihres Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungsvertrag. Diese Abwägung der Vorteile (VN wird weniger eingeklagt) und<br />

Na<strong>ch</strong>teile (Risiko eines Zweitprozesses gegen das VU) bewerten die Gegner des direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts<br />

anders: «Er [der VN, BASS] muss es künftig hinnehmen, dass der Versi<strong>ch</strong>erer dem Ges<strong>ch</strong>ädigten im Prozess Einreden<br />

aus «seinem» Vertrag entgegenhält, ohne dass er dazu viel sagen kann. Dringt der Versi<strong>ch</strong>erer mit seinen Einreden<br />

gegen den Willen des Versi<strong>ch</strong>erten dur<strong>ch</strong>, muss der Versi<strong>ch</strong>erte den ungedeckten Teil des S<strong>ch</strong>adens selbst bezahlen<br />

und versu<strong>ch</strong>en, diesen in einem weiteren Prozess auf den Versi<strong>ch</strong>erer abzuwälzen. Im Prozess mit dem Ges<strong>ch</strong>ädigten<br />

und im ans<strong>ch</strong>liessenden Deckungsprozess trägt er das Prozessrisiko.» (Fellmann 2009, 104). Dieser Si<strong>ch</strong>t der Dinge<br />

haben si<strong>ch</strong> in der Vernehmlassung insbesondere Organisationen anges<strong>ch</strong>lossen, die au<strong>ch</strong> die Interessen<br />

von grossen Institutionen und Unternehmen vertreten (vgl. u.a.: Economiesuisse 2009, 4-5; S<strong>ch</strong>weizeri-<br />

s<strong>ch</strong>er Arbeitgeberverband 2009, 6-7; Kanton Züri<strong>ch</strong> 2009, 9-10). Die Argumente, wel<strong>ch</strong>e diese Organisa-<br />

tionen im Rahmen der Vernehmlassung vorgetragen haben, wurden dabei interessanterweise immer mit<br />

Bezug auf grosse Unternehmen und Institutionen expliziert (Economiesuisse 2009, 4: «Haftpfli<strong>ch</strong>tprogram-<br />

me insbesondere von grösseren Unternehmen sind komplexe Gebilde, die si<strong>ch</strong> aus Elementen der Selbstversi<strong>ch</strong>erung<br />

und im Risikotransferberei<strong>ch</strong> aus viels<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tigen Mitversi<strong>ch</strong>erungsstrukturen zusammensetzen.»). Der Tatbestand,<br />

dass die grösseren Unternehmen bei der Abwägung der Vor- und Na<strong>ch</strong>teile tendenziell zu einem anderen<br />

Ergebnis gelangen als die KMU, lässt si<strong>ch</strong> also ökonomis<strong>ch</strong> erklären: Da die grossen Unternehmen über<br />

eigene Re<strong>ch</strong>tsdienste verfügen, bewerten sie das Risiko, eingeklagt zu werden, weniger negativ als die<br />

KMU, deren Produktionsprozesse und Infrastruktur dur<strong>ch</strong> eine Klage negativ belastet werden.<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>es Fazit zum Argument: Die Einführung des direkten Forderungsre<strong>ch</strong>t führt zu einer<br />

Reduktion der Transaktionskosten insbesondere der KMU. Aus Si<strong>ch</strong>t der KMU führt das direkte Forde-<br />

rungsre<strong>ch</strong>t zu einer Reduktion der Risiken, die ihrem Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungsvertrag anhaften.<br />

Das Argument «Anspru<strong>ch</strong>sinflation»<br />

■ Das Argument: Das Argument haben wir bereits in Abs<strong>ch</strong>nitt 16.3 vorgestellt. Es besagt, dass das<br />

direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t «zu einer Zunahme der Zahl der Haftpfli<strong>ch</strong>tansprü<strong>ch</strong>e sowie au<strong>ch</strong> deren Höhe»<br />

(Lloyds 2009, 18) führen wird, so dass die Prämien für Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen steigen werden . Für<br />

diese Prognose werden drei unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Begründungen ins Feld geführt:<br />

- Begründung 1 - «Deep Pocket Prinzip»: Gemäss diesem Argument hängt die Höhe der S<strong>ch</strong>a-<br />

densersatzforderung des Ges<strong>ch</strong>ädigten von der Solvenz der beklagten Person ab. Da das VU in<br />

der Regel die «tiefere Tas<strong>ch</strong>e (deep pocket)» hat als der S<strong>ch</strong>ädiger selbst, führt das direkte Forde-<br />

rungsre<strong>ch</strong>t zu einer Anspru<strong>ch</strong>sinflation: «Diese Ansprü<strong>ch</strong>e werden si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> dem "Deep Pocket"-Prinzip<br />

zunehmend gegen die Versi<strong>ch</strong>erer ri<strong>ch</strong>ten und eine Zunahme der Ents<strong>ch</strong>ädigungszahlungen und zumindest<br />

längerfristig au<strong>ch</strong> der Höhe der Prämien bewirken» (Lloyds 2009, 18); «Mit der Bekanntgabe der Vertragskon-<br />

ditionen entsteht oft eine sogenannte Anspru<strong>ch</strong>sinflation und die Forderungen steigen plötzli<strong>ch</strong> mit der Aus-<br />

si<strong>ch</strong>t auf ein mögli<strong>ch</strong>es kommendes Vermögen.» (Risk Management Service RMS 2009, 11).<br />

- Begründung 2 - «Zunahme der Häufigkeit von Ansprü<strong>ch</strong>en»: Der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>er Anwalts-<br />

verband (2009, 7) formuliert dieses Argument folgendermassen: «Ein umfassendes direktes Forde-<br />

rungsre<strong>ch</strong>t birgt die Gefahr in si<strong>ch</strong>, dass Ansprü<strong>ch</strong>e erhoben werden, die ni<strong>ch</strong>t gestellt würden, wenn der<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tige selbst belangt werden müsste.»<br />

- Begründung 3 - «Abhängigkeit der Ri<strong>ch</strong>ter von der öffentli<strong>ch</strong>en Meinung»: Dieses Argu-<br />

ment findet si<strong>ch</strong> u.a. in Strub (2009, 6): «Ferner hat der Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer u.U. ein Interesse darin,<br />

ni<strong>ch</strong>t öffentli<strong>ch</strong> in Ers<strong>ch</strong>einung zu treten. Dehnt man das unmittelbare Forderungsre<strong>ch</strong>t aus, könnte dies zu<br />

erhöhter Medienaufmerksamkeit bei Haftpfli<strong>ch</strong>tfällen führen. Dur<strong>ch</strong> den Druck der Öffentli<strong>ch</strong>keit könnten<br />

357


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

die Geri<strong>ch</strong>te geneigt sein, höhere S<strong>ch</strong>adenszahlungen zuzuspre<strong>ch</strong>en. Die erhöhten S<strong>ch</strong>adenszahlungen und<br />

Rückstellungen der Versi<strong>ch</strong>erer könnten zu höheren Prämien führen.»<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse des Arguments: Das Argument beruht zu einem guten Teil auf der Annah-<br />

me, dass der S<strong>ch</strong>ädiger unter dem geltenden <strong>VVG</strong> ni<strong>ch</strong>t verpfli<strong>ch</strong>tet ist, seine Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung offen<br />

zu legen. Gemäss Fuhrer (2009, 5) trifft dies ni<strong>ch</strong>t zu: «Der Vorentwurf der Expertenkommission und der Bun-<br />

desverwaltung gewährt den Ges<strong>ch</strong>ädigten einen Anspru<strong>ch</strong> auf Auskunft über den Umfang des Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>ut-<br />

zes. Damit wird ni<strong>ch</strong>ts Neues eingeführt. Ein sol<strong>ch</strong>er Anspru<strong>ch</strong> besteht als Ausfluss des Pfandre<strong>ch</strong>ts bereits na<strong>ch</strong> gel-<br />

tendem Re<strong>ch</strong>t.» Insofern ist die Gültigkeit des Arguments grundsätzli<strong>ch</strong> in Frage gestellt. Denno<strong>ch</strong> analysie-<br />

ren wir im Folgenden die vers<strong>ch</strong>iedenen postulierten, empiris<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>gewiesenen Zusammenhänge:<br />

- Analyse von Begründung 1 - «Deep Pocket Prinzip»: Dass die Solvenz der Gegenpartei die<br />

Höhe der S<strong>ch</strong>adensersatzforderung des Ges<strong>ch</strong>ädigten beeinflussen kann, ist aus ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

Überlegungen grundsätzli<strong>ch</strong> plausibel. Die relevante Frage ist allerdings, ob die Ges<strong>ch</strong>ädigten die-<br />

se erhöhten S<strong>ch</strong>adensersatzforderungen in der Praxis au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>setzen können. Diesbezügli<strong>ch</strong><br />

sind Zweifel angebra<strong>ch</strong>t: Denn au<strong>ch</strong> unter dem geltenden <strong>VVG</strong> verfügen die Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>e-<br />

rer über die Prozessherrs<strong>ch</strong>aft, was bedeutet, dass die Ges<strong>ch</strong>ädigten ihre Forderungen sowohl un-<br />

ter dem geltenden <strong>VVG</strong> als au<strong>ch</strong> unter dem E-<strong>VVG</strong> gegenüber den Versi<strong>ch</strong>erern dur<strong>ch</strong>setzen<br />

müssen. Au<strong>ch</strong> unter dem geltenden <strong>VVG</strong> muss der Versi<strong>ch</strong>erer die S<strong>ch</strong>adensersatzforderungen<br />

auf ihre Bere<strong>ch</strong>tigung hin überprüfen: Die Bestimmung der Höhe von S<strong>ch</strong>äden und die Zurück-<br />

weisung von unbere<strong>ch</strong>tigten Ansprü<strong>ch</strong>en gehört zum Kernges<strong>ch</strong>äft des Versi<strong>ch</strong>erers. Wir sehen<br />

keinen Grund, weshalb die Versi<strong>ch</strong>erer einen S<strong>ch</strong>aden anders bewerten sollten, wenn die S<strong>ch</strong>a-<br />

densersatzforderung mittels des direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts gestellt wird. Diese Ausführungen<br />

ma<strong>ch</strong>en deutli<strong>ch</strong>, dass der «Deep Pocket Effekt» ni<strong>ch</strong>t zu einer Erhöhung der S<strong>ch</strong>adenszahlun-<br />

gen, jedo<strong>ch</strong> zu einer Erhöhung Transaktionskosten führen wird, da die VU häufiger überhöhte<br />

S<strong>ch</strong>adensersatzforderungen werden abwehren müssen.<br />

- Analyse von Begründung 2 - «Zunahme der Häufigkeit von Ansprü<strong>ch</strong>en»: Unsere bisheri-<br />

gen Ausführungen haben gezeigt, dass dieses Argument zutrifft. Es gibt Fallkonstellationen, bei<br />

wel<strong>ch</strong>en die Ges<strong>ch</strong>ädigten unter dem geltenden <strong>VVG</strong> bere<strong>ch</strong>tigte S<strong>ch</strong>adensersatzforderungen<br />

ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>setzen (vgl. u.a. das Argument «S<strong>ch</strong>äden unter Bekannten»), die sie mit dem direkten<br />

Forderungsre<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>setzen würden und könnten. Wir haben allerdings im Rahmen der Diskus-<br />

sion der entspre<strong>ch</strong>enden Argumente na<strong>ch</strong>gewiesen, dass dies aus wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t<br />

wüns<strong>ch</strong>enswert ist. Dem Argument ist allerdings dahingehend zuzustimmen, dass die Kenntnis<br />

der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung des S<strong>ch</strong>ädigers (E-<strong>VVG</strong>) dazu führen kann, dass ein Ges<strong>ch</strong>ädigter eine<br />

S<strong>ch</strong>adensersatzforderung geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>zusetzen versu<strong>ch</strong>t, was er ni<strong>ch</strong>t getan hätte, wenn er<br />

die Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung des S<strong>ch</strong>ädigers ni<strong>ch</strong>t gekannt hätte (geltendes <strong>VVG</strong>). Dies ist dann<br />

mögli<strong>ch</strong>, wenn der Ges<strong>ch</strong>ädigte unter dem geltenden <strong>VVG</strong> davon ausgehen muss, dass der S<strong>ch</strong>ä-<br />

diger insolvent ist und keine oder nur eine ungenügende Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung hat. In diesem<br />

Fall wäre die geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Dur<strong>ch</strong>setzung seines Anspru<strong>ch</strong>s ökonomis<strong>ch</strong> irrational. Insofern kann<br />

der in Art. 91 Abs. 2 verankerte Anspru<strong>ch</strong> des Ges<strong>ch</strong>ädigten auf Auskunft über den Haftpfli<strong>ch</strong>t-<br />

versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz des S<strong>ch</strong>ädigers dazu führen, dass der Ges<strong>ch</strong>ädigte eine S<strong>ch</strong>adensersatzforde-<br />

rung erhebt und dur<strong>ch</strong>setzt, die er ni<strong>ch</strong>t erhoben und dur<strong>ch</strong>gesetzt hätte, wenn er über den Ver-<br />

si<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz des S<strong>ch</strong>ädigers ni<strong>ch</strong>t informiert gewesen wäre, wie es unter dem geltenden<br />

<strong>VVG</strong> der Fall sein kann. Allerdings: Handelt es si<strong>ch</strong> bei der S<strong>ch</strong>adensersatzforderung des Ges<strong>ch</strong>ä-<br />

digten um einen bere<strong>ch</strong>tigten Anspru<strong>ch</strong>, ist die damit einhergehende Zunahme der Häufigkeit<br />

von Ansprü<strong>ch</strong>en wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong> positiv zu bewerten – wie wir bereits in Zusammenhang<br />

mit den Argument «Geltendma<strong>ch</strong>ung von Bagatell-S<strong>ch</strong>äden» na<strong>ch</strong>gewiesen haben. Eine gegen-<br />

teilige wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>e Bewertung resultiert, wenn das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t dazu<br />

358


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

führt, dass die Häufigkeit von unbere<strong>ch</strong>tigten Ansprü<strong>ch</strong>en zunimmt – was ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen<br />

werden kann. In diesem Fall werden die Transaktionskosten zunehmen, weil die unbere<strong>ch</strong>tigten<br />

Ansprü<strong>ch</strong>e von den VU abgewehrt werden müssen. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> muss berücksi<strong>ch</strong>tigt werden,<br />

dass analog argumentiert werden kann, dass das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t zu einer Abnahme der<br />

Häufigkeit von Ansprü<strong>ch</strong>en führen kann: Denn erfährt ein Ges<strong>ch</strong>ädigter mit Art. 91 Abs. 2 E-<br />

<strong>VVG</strong>, dass der insolvente S<strong>ch</strong>ädiger über keine oder nur über eine unzurei<strong>ch</strong>ende Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

deckung verfügt, kann si<strong>ch</strong> erstgenannter dazu veranlasst sehen, auf die Dur<strong>ch</strong>setzung seiner<br />

S<strong>ch</strong>adensersatzforderung zu verzi<strong>ch</strong>ten. In diesem Fall würde also eine Reduktion der Dur<strong>ch</strong>set-<br />

zungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten resultieren. Verhalten si<strong>ch</strong> die Ges<strong>ch</strong>ädigten rational, wird die Trans-<br />

parenz bezügli<strong>ch</strong> der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung des S<strong>ch</strong>ädigers zu einer Reduktion der Transaktions-<br />

kosten führen, da weniger Prozesse gegen insolvente S<strong>ch</strong>ädiger ohne Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ge-<br />

führt werden.<br />

- Analyse von Begründung 3 - «Abhängigkeit der Ri<strong>ch</strong>ter von der öffentli<strong>ch</strong>en Meinung»:<br />

Ein derartiges Argument, das die Unabhängigkeit der S<strong>ch</strong>weizer Geri<strong>ch</strong>te in Zweifel zieht, kann<br />

ni<strong>ch</strong>t ohne empiris<strong>ch</strong>e Evidenz vorgebra<strong>ch</strong>t werden. Es gibt unseres Era<strong>ch</strong>tens keine Hinweise,<br />

dass si<strong>ch</strong> die Geri<strong>ch</strong>te von der öffentli<strong>ch</strong>en Meinung beeinflussen liessen.<br />

■ Ökonomis<strong>ch</strong>es Fazit zum Argument: Die Auswirkungen der Transparenz bezügli<strong>ch</strong> der Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsdeckung des S<strong>ch</strong>ädigers infolge Art. 91 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong> auf die Transaktionskosten sind widersprü<strong>ch</strong>-<br />

li<strong>ch</strong>.<br />

Zusammenfassung und Würdigung der Auswirkungen<br />

Die Ergebnisse der ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse der Argumente, die für und gegen ein direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t<br />

des Ges<strong>ch</strong>ädigten vorgebra<strong>ch</strong>t wurden, sind in Tabelle 78 im Überblick dargestellt. Sie können folgen-<br />

dermassen zusammengefasst werden:<br />

■ Die Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts wird zu einer Reduktion der Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Ge-<br />

ri<strong>ch</strong>tskosten führen. Hingegen werden die Abwicklungskosten steigen, da zusätzli<strong>ch</strong>e (bere<strong>ch</strong>tigte) An-<br />

sprü<strong>ch</strong>e von Ges<strong>ch</strong>ädigten reguliert werden müssen. Insgesamt erwarten wir eine Reduktion der<br />

Transaktionskosten.<br />

■ Die Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts wird zu einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adens-<br />

kosten führen.<br />

■ Die Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts verbessert die Position der Ges<strong>ch</strong>ädigten.<br />

■ Die Wirkung der Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts auf die Vertragsrisiken, denen der VN<br />

ausgesetzt ist, ist widersprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>: Zum einen steigt das Risiko des VN, einen Prozess gegen das VU führen<br />

zu müssen, bei wel<strong>ch</strong>em die Frage der Deckungseinreden abs<strong>ch</strong>liessend geklärt wird. Zum anderen redu-<br />

ziert si<strong>ch</strong> das Risiko, Haftpfli<strong>ch</strong>tprozesse führen zu müssen, da die Ges<strong>ch</strong>ädigten zum Teil direkt gegen das<br />

VU klagen werden. Aufgrund von Überlegungen zur Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit dieser Risiken kommen wir zum<br />

S<strong>ch</strong>luss, dass die Vertragrisiken des VN insgesamt sinken – dies gilt insbesondere für KMU und für die<br />

gängigen Haftpfli<strong>ch</strong>trisiken.<br />

Ausgehend von diesen Auswirkungen lassen si<strong>ch</strong> aufgrund von ökonomis<strong>ch</strong>en Kausalzusammenhängen<br />

die folgenden weiteren Auswirkungen der Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts ableiten:<br />

■ Primäre S<strong>ch</strong>adenkosten: Da die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten sinken, werden au<strong>ch</strong> die primären S<strong>ch</strong>a-<br />

denskosten im Sinne von Folgekosten sinken, die entstehen, wenn der Ges<strong>ch</strong>ädigte den S<strong>ch</strong>aden alleine<br />

tragen muss (Kosten der Armut, Folgekosten im Gesundheitswesen, Produktionsausfälle etc.). Dies ist<br />

darauf zurückzuführen, dass die Ges<strong>ch</strong>ädigten häufiger, umfassender und s<strong>ch</strong>neller ents<strong>ch</strong>ädigt werden<br />

können.<br />

359


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU: Das Volumen der S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU wird steigen (Kehrseite<br />

der Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten).<br />

■ Prämienhöhe: Das Volumen der S<strong>ch</strong>adenszahlungen wird steigen und die Transaktionskosten sinken.<br />

Die Wirkung auf den Preis der Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen hängt davon ab, ob die Einsparung der Transak-<br />

tionskosten die Erhöhung der S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU aufwiegt. Wir gehen davon aus, dass die Prä-<br />

mien steigen werden.<br />

■ Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken: Steigen die Prämien, sinkt die Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge, die<br />

gezei<strong>ch</strong>net werden. Das Ausmass ist dabei von der Preiselastizität der Na<strong>ch</strong>frage abhängig. Diesem Effekt<br />

wirkt entgegen, dass das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t dazu führt, dass die Ges<strong>ch</strong>ädigten häufiger ents<strong>ch</strong>ädigt<br />

werden, was die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag erhöht. Insgesamt erwarten wir<br />

eine Zunahme der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken.<br />

Den gesamtwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Wohlfahrtseffekt der Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts bewerten<br />

wir insgesamt positiv. Insofern können wir die Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts empfehlen. Es<br />

wäre allerdings wüns<strong>ch</strong>enswert, dass si<strong>ch</strong>ergestellt wird, dass die Frage der Deckungseinreden bereits im<br />

ersten Prozess re<strong>ch</strong>tsverbindli<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ieden wird. Juristis<strong>ch</strong>e Instrumente hierfür sind bekannt und ver-<br />

fügbar, so dass eine Lösung der damit zusammenhängenden Problemstellung mögli<strong>ch</strong> sein sollte.<br />

In Tabelle 80 sind die Auswirkungen, die wir aufgrund der geplanten Einführung eines direkten Forde-<br />

rungsre<strong>ch</strong>t erwarten, im Überblick dargestellt.<br />

Tabelle 78: Ergebnisse der ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse der Argumente für und gegen das direkte<br />

Forderungsre<strong>ch</strong>t<br />

360


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Argumente S<strong>ch</strong>adenszahlungen der<br />

Bemerkungen: Ri<strong>ch</strong>tung der Pfeile: Na<strong>ch</strong> unten zeigender Pfeil = Reduktion, na<strong>ch</strong> oben zeigender Pfeil = Erhöhung, na<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>ts<br />

zeigender Pfeil = Keine Veränderung trotz gegenteiliger Aussagen, kein Pfeil: Keine Veränderung, ni<strong>ch</strong>t betroffen; Farbe der Pfeile:<br />

rot = Auswirkungen, die wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong> negativ zu bewerten sind (Kosten); grün = Auswirkungen, die wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong><br />

positiv zu bewerten sind (Nutzen);<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

16.4.1.2 Normative Analyse<br />

VU und der VN<br />

Ents<strong>ch</strong>ädigung der<br />

Ges<strong>ch</strong>ädigten<br />

Wir haben ausgeführt, dass die Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts u.a. dazu führen wird, dass<br />

die S<strong>ch</strong>adensersatzforderungen der Ges<strong>ch</strong>ädigten häufiger, umfassender und s<strong>ch</strong>neller ents<strong>ch</strong>ädigt wer-<br />

den, als dies unter dem geltenden <strong>VVG</strong> der Fall ist. Wir gehen davon aus, dass deshalb die Prämien stei-<br />

gen und die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken sinken werden. Je na<strong>ch</strong> dem, wie ho<strong>ch</strong> die Preiselastizität der<br />

Na<strong>ch</strong>frage na<strong>ch</strong> Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen ist, kann das Prämienvolumen sinken oder steigen. Es ist denk-<br />

bar, dass die S<strong>ch</strong>weizer Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer davon ausgehen, dass das Prämienvolumen sinken wird und<br />

si<strong>ch</strong> deshalb gegen das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t ausspre<strong>ch</strong>en. Denn fällt das Prämienvolumen, sinken<br />

ceteris paribus au<strong>ch</strong> die Renten bzw. Gewinne der VU. Da die Na<strong>ch</strong>frage na<strong>ch</strong> Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen<br />

relativ inelastis<strong>ch</strong> sein dürfte, gehen wir allerdings davon aus, dass das Prämienvolumen ni<strong>ch</strong>t sinken wird,<br />

wenn ein direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t eingeführt wird.<br />

Unseres Era<strong>ch</strong>tens spri<strong>ch</strong>t nur ein Argument gegen die Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts: Das<br />

Risiko des VN, gegen das VU einen Zweitprozess führen zu müssen, wenn er mit dem Urteil im Erstprozess<br />

bezügli<strong>ch</strong> Deckungseinreden des VU ni<strong>ch</strong>t einverstanden ist. Die Gegner des direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts<br />

räumen diesem Argument einen hohen Stellenwert ein, da sie der Ansi<strong>ch</strong>t sind, dass die Haftpfli<strong>ch</strong>tversi-<br />

<strong>ch</strong>erung in erster Linie die Interessen und das Vermögen des VN s<strong>ch</strong>ützen und nur indirekt den Interessen<br />

des Ges<strong>ch</strong>ädigten dienen soll. Der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Anwaltsverband (2009, 7) lässt si<strong>ch</strong> in diesem Zusam-<br />

Vertragsrisiken<br />

der VN<br />

Prozessrisiken der<br />

Ges<strong>ch</strong>ädigten<br />

Transaktionskosten<br />

Sekundäre<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>e<br />

Bewertung<br />

Eins<strong>ch</strong>ränkung der Privatautonomie ���� ����<br />

Geltendma<strong>ch</strong>ung von Bagatell-S<strong>ch</strong>äden ���� ���� ���� ���� ����<br />

S<strong>ch</strong>äden unter Bekannten ���� ���� ���� ���� ����<br />

Kulanz der VU bezügli<strong>ch</strong> Einreden ���� ���� ���� ���� ����<br />

Vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terung der Position des<br />

Ges<strong>ch</strong>ädigten ���� ����<br />

Erhöhung der Prozessrisiken der VN ���� ���� ���� ����<br />

Tod der haftpfli<strong>ch</strong>tigen natürli<strong>ch</strong>en Person ���� ���� ���� ���� ����<br />

Erlös<strong>ch</strong>en der haftpfli<strong>ch</strong>tigen juristis<strong>ch</strong>en<br />

Person ���� ���� ���� ���� ����<br />

Stärkung der Verhandlungsposition des<br />

Ges<strong>ch</strong>ädigten ���� ���� ���� ����<br />

Entlastung von KMU ���� ���� ����<br />

Anspru<strong>ch</strong>sinflation ���� ����<br />

����<br />

����<br />

���� ����<br />

Gesamtbewertung ���� ���� ���� ���� ���� ���� ����<br />

361


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

menhang folgendermassen vernehmen: «Es besteht kein sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er oder re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Grund, Dritte davon<br />

profitieren zu lassen, dass si<strong>ch</strong> jemand freiwillig versi<strong>ch</strong>ert hat.» Diese Aussage ist aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t<br />

fals<strong>ch</strong>: Aus der konsequentialistis<strong>ch</strong>en Si<strong>ch</strong>t der Ökonomik sind Auswirkungen von Verträgen auf Dritte<br />

sehr wohl zu berücksi<strong>ch</strong>tigten – unabhängig davon, ob sie positiver oder negativer Natur sind. Deshalb<br />

kann a priori weder den Interessen des VN no<strong>ch</strong> den Interessen des Ges<strong>ch</strong>ädigten den Vorrang einge-<br />

räumt werden: Dem Nutzen des Ges<strong>ch</strong>ädigten ist das glei<strong>ch</strong>e Gewi<strong>ch</strong>t einzuräumen wie demjenigen des<br />

VN. Die ökonomis<strong>ch</strong>e Si<strong>ch</strong>tweise berücksi<strong>ch</strong>tigt dadur<strong>ch</strong> zum einen den empiris<strong>ch</strong>en Tatbestand, dass die<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung in der Realität sowohl das Vermögen des VN als au<strong>ch</strong> das Vermögen des Ges<strong>ch</strong>ä-<br />

digten s<strong>ch</strong>ützt: Sie ist realiter «Dienerin zweier Herren», (Fuhrer 2009, 2). Zum anderen berücksi<strong>ch</strong>tigt sie,<br />

dass der VN in der Realität ni<strong>ch</strong>t nur VN ist – sondern ebenso ein potentiell Ges<strong>ch</strong>ädigter. Der Dualismus<br />

«VN - Ges<strong>ch</strong>ädigter» ist in einem gewissen Sinne ein theoretis<strong>ch</strong>es Konstrukt.<br />

Vor diesem Hintergrund era<strong>ch</strong>ten wir die Vers<strong>ch</strong>iebung des Risikos eines Zweitprozesses vom Ges<strong>ch</strong>ädig-<br />

ten zum S<strong>ch</strong>ädiger au<strong>ch</strong> normativ für akzeptabel.<br />

16.4.2 Analyse von Alternativszenario 1 (allgemeiner Einredeauss<strong>ch</strong>luss)<br />

Art. 91 E-<strong>VVG</strong> sieht ein direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t im Rahmen der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung und unter Vorbe-<br />

halt der Einwendungen und Einreden vor, die das VU dem Ges<strong>ch</strong>ädigten aufgrund des Gesetzes und des<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags entgegenhalten kann (Regulierungsszenario).<br />

Das Alternativszenario 1 sieht im Gegensatz hierzu – analog zur obligatoris<strong>ch</strong>en Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>e-<br />

rung – ein direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t mit einer Mindestdeckung und einem Einredeauss<strong>ch</strong>luss vor. In den<br />

na<strong>ch</strong>folgenden Abs<strong>ch</strong>nitten diskutieren wir das Wesen und die Auswirkungen eines Einredeauss<strong>ch</strong>lusses<br />

aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t. Auf eine Diskussion der Option einer Mindestdeckung verzi<strong>ch</strong>ten wir, da die<br />

ökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkungen einer Mindestdeckung qualitativ mit den ökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkungen der<br />

Einführung eines Versi<strong>ch</strong>erungsobligatoriums identis<strong>ch</strong> sind. Die Frage, ob im Berei<strong>ch</strong> der Haftpfli<strong>ch</strong>tversi-<br />

<strong>ch</strong>erung aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t eine Pfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung angezeigt ist, werden wir jedo<strong>ch</strong> im Rahmen der<br />

Diskussion des Alternativszenario 2 untersu<strong>ch</strong>en.<br />

16.4.2.1 Positive Analyse der Auswirkungen<br />

Ein allgemeiner Einredeauss<strong>ch</strong>luss verfolgt grundsätzli<strong>ch</strong> das Ziel, den Ges<strong>ch</strong>ädigten vor der Zahlungsun-<br />

fähigkeit des Haftpfli<strong>ch</strong>tigen zu s<strong>ch</strong>ützen. Denn die Einführung eines Einredeauss<strong>ch</strong>luss führt dazu, dass<br />

das Bonitätsrisiko des Haftpfli<strong>ch</strong>tigen vom Ges<strong>ch</strong>ädigten auf das VU und damit auf die Versi<strong>ch</strong>erungsge-<br />

meins<strong>ch</strong>aft transferiert wird: Bei einem direkten Forderungsre<strong>ch</strong>t ohne Einredeauss<strong>ch</strong>luss wird der Ge-<br />

s<strong>ch</strong>ädigte ni<strong>ch</strong>t ents<strong>ch</strong>ädigt, wenn der Versi<strong>ch</strong>erer mit seinen Einreden dur<strong>ch</strong>dringt. Bei einem direkten<br />

Forderungsre<strong>ch</strong>t mit Einredeauss<strong>ch</strong>luss hingegen muss das VU gegenüber dem Ges<strong>ch</strong>ädigten Leistungen<br />

erbringen, die er na<strong>ch</strong> dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag ni<strong>ch</strong>t erbringen müsste. Im Rahmen des Regressre<strong>ch</strong>tes,<br />

das dem VU in derartigen Fällen eingeräumt wird, kann das VU dann versu<strong>ch</strong>en, die Leistungen, die über<br />

den Vertrag hinausrei<strong>ch</strong>en, beim VN einzufordern. Dabei trägt das VU das Bonitätsrisiko des S<strong>ch</strong>ädigers.<br />

Fellmann (2009, 90) fasst den Wirkungsme<strong>ch</strong>anismus eines Einredeauss<strong>ch</strong>lusses folgendermassen zusam-<br />

men: «Das vom Gesetzgeber gewählte System des Einredeauss<strong>ch</strong>lusses mit Regressre<strong>ch</strong>t auferlegt dem Versi<strong>ch</strong>erer<br />

aber das Bonitätsrisiko: Er trägt das Risiko, dass der Regress wegen Zahlungsunfähigkeit des Versi<strong>ch</strong>erungsnehmers<br />

oder des Versi<strong>ch</strong>erten s<strong>ch</strong>eitert. Er hat aber die Mögli<strong>ch</strong>keit, die damit erweiterte Leistungspfli<strong>ch</strong>t in seine Prämienkal-<br />

kulation einzubeziehen.».<br />

Damit liegen die Nutzen eines allgemeinen Einredeauss<strong>ch</strong>lusses auf der Hand:<br />

362


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten: Die Ges<strong>ch</strong>ädigten werden au<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ädigt, wenn das<br />

VU bere<strong>ch</strong>tigte Deckungseinreden geltend ma<strong>ch</strong>en kann. Der Ges<strong>ch</strong>ädigte muss die primären S<strong>ch</strong>adens-<br />

kosten ni<strong>ch</strong>t alleine tragen; vielmehr werden diese auf die Versi<strong>ch</strong>erungsgemeins<strong>ch</strong>aft abgewälzt.<br />

■ Reduktion von primären S<strong>ch</strong>adenskosten: Die Ents<strong>ch</strong>ädigung des Ges<strong>ch</strong>ädigten kann dazu führen,<br />

dass Folgekosten (Kosten der Armut, zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten im Gesundheitswesen etc.) verhindert werden<br />

können.<br />

Diesen Nutzen stehen die folgenden Kosten gegenüber:<br />

■ Zunahme der S<strong>ch</strong>adenszahlung des VU: Der Einredeauss<strong>ch</strong>luss führt faktis<strong>ch</strong> zu einer Deckungser-<br />

weiterung der Versi<strong>ch</strong>erungsverträge: Das VU muss S<strong>ch</strong>äden übernehmen, die vom Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag<br />

ni<strong>ch</strong>t abgedeckt sind.<br />

■ Prämienerhöhung und Reduktion der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken: Die VU überwälzen die<br />

zusätzli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>adenszahlungen auf die Versi<strong>ch</strong>erungsgemeins<strong>ch</strong>aft: Es resultieren höhere Prämien, wes-<br />

halb die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken sinkt.<br />

■ Zunahme der Transaktionskosten: Der Einredeauss<strong>ch</strong>luss führt dazu, dass allfällige Deckungseinre-<br />

den im Erstprozess zwis<strong>ch</strong>en dem Versi<strong>ch</strong>erer und dem Ges<strong>ch</strong>ädigten ni<strong>ch</strong>t mehr thematisiert würden. Ist<br />

der VN mit den Deckungseinreden, die das VU geltend ma<strong>ch</strong>t, ni<strong>ch</strong>t einverstanden, muss das VU gegen<br />

den VN einen Zweitprozess führen.<br />

16.4.2.2 Normative Analyse<br />

Ein allgemeiner Einredeauss<strong>ch</strong>luss ist mit seinen Zielen nur bei obligatoris<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungen konsistent.<br />

Denn der Einredeauss<strong>ch</strong>luss verfolgt das Ziel, dass der Ges<strong>ch</strong>ädigte au<strong>ch</strong> dann ents<strong>ch</strong>ädigt wird, wenn<br />

keine Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung besteht. Die Einführung eines Einredeauss<strong>ch</strong>lusses bei freiwilligen Haft-<br />

pfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen führt nun dazu, dass der Grund dafür, ob eine Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung besteht oder<br />

ni<strong>ch</strong>t, darüber ents<strong>ch</strong>eidet, ob der Ges<strong>ch</strong>ädigte ents<strong>ch</strong>ädigt wird oder ob dies ni<strong>ch</strong>t der Fall ist. Dieser<br />

Sa<strong>ch</strong>verhalt ist mit dem Ziel des Einredeauss<strong>ch</strong>lusse jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t konsistent. Fellmann (2009, 98) formu-<br />

liert diese Gedanken folgendermassen: «Es ist ni<strong>ch</strong>t einzusehen, weshalb der Ges<strong>ch</strong>ädigte in Fällen, in denen eine<br />

freiwillige Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung besteht, unabhängig von allfälligen Einreden des Versi<strong>ch</strong>erers aus dem <strong>VVG</strong> oder<br />

dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag stets die ganze Deckung erhalten soll, während er in andern Fällen hinnehmen muss, dass<br />

die Dur<strong>ch</strong>setzung seiner S<strong>ch</strong>adenersatzansprü<strong>ch</strong>e an der Solvenz des Haftpfli<strong>ch</strong>tigen s<strong>ch</strong>eitert.» Besonders deutli<strong>ch</strong><br />

tritt dieser Gedanke anhand des folgenden Beispiels hervor: Ein insolventer S<strong>ch</strong>ädiger A s<strong>ch</strong>liesse eine<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung ab, wobei er eine Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t (korrekt) anzeigt. Die Anzeigepfli<strong>ch</strong>tver-<br />

letzung sei derart, dass das VU den Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag bei korrekter Anzeige der Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e über-<br />

haupt ni<strong>ch</strong>t, also au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu einer höheren Prämie, abges<strong>ch</strong>lossen hätte. Der Zwillingsbruder von S<strong>ch</strong>ä-<br />

diger A, S<strong>ch</strong>ädiger B, unters<strong>ch</strong>eide si<strong>ch</strong> von S<strong>ch</strong>ädiger A einzig dahingehend, dass er ehrli<strong>ch</strong> ist und die<br />

Gefahrstatsa<strong>ch</strong>e im Rahmen seiner Anzeigepfli<strong>ch</strong>t korrekt anzeigt, weshalb er keine Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>e-<br />

rung abs<strong>ch</strong>liessen kann. Ein allgemeiner Einredeauss<strong>ch</strong>luss führt nun dazu, dass der Ges<strong>ch</strong>ädigte nur dann<br />

ents<strong>ch</strong>ädigt wird, wenn sein S<strong>ch</strong>ädiger der S<strong>ch</strong>ädiger A ist. Wird er von S<strong>ch</strong>ädiger B ges<strong>ch</strong>ädigt, wird seine<br />

S<strong>ch</strong>adensersatzforderung ni<strong>ch</strong>t bedient, da S<strong>ch</strong>ädiger B insolvent ist und über keine Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>e-<br />

rung verfügt. Der Ges<strong>ch</strong>ädigte wird also nur deshalb ents<strong>ch</strong>ädigt, weil S<strong>ch</strong>ädiger A eine Anzeigepfli<strong>ch</strong>tver-<br />

letzung begangen hat.<br />

Unseres Era<strong>ch</strong>tens impliziert dieses Beispiel folgenden ökonomis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>luss: Kann man na<strong>ch</strong>weisen, dass<br />

die Ents<strong>ch</strong>ädigung des Ges<strong>ch</strong>ädigten aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert ist, wenn es si<strong>ch</strong> beim<br />

S<strong>ch</strong>ädiger um S<strong>ch</strong>ädiger A handelt (was bedeutet, dass ein allgemeiner Einredeauss<strong>ch</strong>luss ökonomis<strong>ch</strong><br />

wüns<strong>ch</strong>enswert ist), dann wird man wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>weisen können, dass die Ents<strong>ch</strong>ädigung<br />

au<strong>ch</strong> dann ökonomis<strong>ch</strong> wüns<strong>ch</strong>enswert ist, wenn es si<strong>ch</strong> beim S<strong>ch</strong>ädiger um den S<strong>ch</strong>ädiger B handelt.<br />

363


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Oder allgemein formuliert: Wenn ökonomis<strong>ch</strong> ein allgemeiner Einredeauss<strong>ch</strong>luss bei einer Haftpfli<strong>ch</strong>tversi-<br />

<strong>ch</strong>erung wüns<strong>ch</strong>enswert ist, dann ist es au<strong>ch</strong> wüns<strong>ch</strong>enswert, dass die betreffende Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>e-<br />

rung für obligatoris<strong>ch</strong> erklärt wird. Im na<strong>ch</strong>folgenden Abs<strong>ch</strong>nitt werden wir untersu<strong>ch</strong>en, unter wel<strong>ch</strong>en<br />

Voraussetzungen es ökonomis<strong>ch</strong> wüns<strong>ch</strong>enswert sein kann, eine Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung für obligatoris<strong>ch</strong><br />

zu erklären.<br />

16.4.3 Analyse von Alternativszenario 2 (Pfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung)<br />

16.4.3.1 Positive Analyse der Auswirkungen<br />

Die Nutzen einer Pfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung entspre<strong>ch</strong>en zum Teil den Nutzen eines allgemeinen Einredeaus-<br />

s<strong>ch</strong>lusses:<br />

■ Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten: Eine obligatoris<strong>ch</strong> Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung führt zu<br />

einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten, da die primären S<strong>ch</strong>adenskosten ni<strong>ch</strong>t vom S<strong>ch</strong>ädiger<br />

und dem Ges<strong>ch</strong>ädigten allein getragen werden müssen; vielmehr können die primären Kosten auf die<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsgemeins<strong>ch</strong>aft verteilt werden.<br />

■ Reduktion von primären S<strong>ch</strong>adenskosten: Ein grosser haftpfli<strong>ch</strong>tiger S<strong>ch</strong>aden kann dazu führen,<br />

dass der S<strong>ch</strong>ädiger und der Ges<strong>ch</strong>ädigte finanziell ruiniert werden. In diesem Fall stehen ihnen keine fi-<br />

nanziellen Ressourcen zur Verfügung, um den S<strong>ch</strong>aden einzudämmen und/oder Folges<strong>ch</strong>äden zu verhin-<br />

dern (Kosten der Armut, Kosten der Sozialhilfe etc.). Die Einführung eines Versi<strong>ch</strong>erungsoligatoriums<br />

kann deshalb zu einer Reduktion der primären S<strong>ch</strong>adenskosten führen.<br />

■ Effiziente Menge risikobehafteter Handlungen (Internalisierung negativer externer Effekte<br />

risikobehafteten Verhaltens): Kann ein S<strong>ch</strong>ädiger einen Ges<strong>ch</strong>ädigten ni<strong>ch</strong>t vollumfängli<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ädi-<br />

gen, weil er keine Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung hat und vom S<strong>ch</strong>aden selbst finanziell ruiniert wurde, dann trägt<br />

der S<strong>ch</strong>ädiger ni<strong>ch</strong>t die vollen Kosten seines risikobehafteten Verhaltens, das zum S<strong>ch</strong>adenseintritt geführt<br />

hat. In diesem Fall liegt ein negativer externer Effekt vor. Mit einem Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium werden<br />

diese externen negativen Effekte beim S<strong>ch</strong>ädiger internalisiert – sofern die Prämien risikoadäquat bere<strong>ch</strong>-<br />

net werden: Risikobehaftetes Verhalten bekommt einen Preis (Prämie), der au<strong>ch</strong> die Kosten risikobehafte-<br />

ter Handlungen berücksi<strong>ch</strong>tigt, die bei Dritten anfallen. Unter den Dritten befindet si<strong>ch</strong> dabei insbesonde-<br />

re Staat als subsidiärer Kostenträger und damit der Steuerzahler. Die Existenz negativer externer Effekte<br />

risikobehafteten Verhaltens führt dazu, dass die Menge der risikobehafteten Handlungen zu ho<strong>ch</strong>, d.h.<br />

ni<strong>ch</strong>t pareto-optimal ist. Die Einführung eines Versi<strong>ch</strong>erungsobligatoriums kann deshalb dazu führen, dass<br />

eine zu hohe Menge risikobehafteter Handlungen, die si<strong>ch</strong> auf die Existenz externer Effekte zurückführen<br />

lässt, in Ri<strong>ch</strong>tung der pareto-optimalen Menge reduziert werden kann.<br />

Diesen Nutzen stehen die folgenden Kosten gegenüber:<br />

■ Zunahme der Transaktionskosten: Bei einem Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium müssen au<strong>ch</strong> Wirts<strong>ch</strong>afts-<br />

subjekte, die in der Lage sind, das vom Obligatorium betroffene Risiko selbst zu tragen, eine Versi<strong>ch</strong>erung<br />

abs<strong>ch</strong>liessen. Dadur<strong>ch</strong> entstehen unnötige zusätzli<strong>ch</strong>e Transaktionskosten (Vertragss<strong>ch</strong>luss, S<strong>ch</strong>adenregu-<br />

lierung, Prämieninkasso etc.).<br />

■ Opportunitätskosten: Die monetären Ressourcen, die bei einem Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium den Wirt-<br />

s<strong>ch</strong>aftssubjekten entzogen werden, stehen ni<strong>ch</strong>t für eine anderweitige Verwendung zur Verfügung.<br />

■ Kosten von Moral Hazard: Das Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium kann dazu führen, dass si<strong>ch</strong> Wirts<strong>ch</strong>afts-<br />

subjekte, die si<strong>ch</strong> ohne Obligatorium ni<strong>ch</strong>t versi<strong>ch</strong>ert hätten, risikobehafteter verhalten, so dass die primä-<br />

ren S<strong>ch</strong>adenskosten zunehmen.<br />

364


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Der Vorteil freiwilliger Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen liegt darin, dass – sofern gewisse Bedingungen<br />

erfüllt sind – die Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte denjenigen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag wählen, der angesi<strong>ch</strong>ts ihrer Präfe-<br />

renzen und ihrer Risikoexposition nutzenoptimal ist. Bei einem Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium müssen ver-<br />

s<strong>ch</strong>iedenste Parameter gesetzli<strong>ch</strong> vorgegeben werden. Unter anderem muss definiert werden, wel<strong>ch</strong>e<br />

Risiken genau versi<strong>ch</strong>ert werden müssen und wie ho<strong>ch</strong> die minimale Versi<strong>ch</strong>erungssumme (Mindestde-<br />

ckung) sein soll. Darüber hinaus müssen die Handlungen und/oder die Eigens<strong>ch</strong>aften der Wirts<strong>ch</strong>aftssub-<br />

jekte festgelegt werden, an wel<strong>ch</strong>en das Obligatorium festgema<strong>ch</strong>t wird. Aufgrund von Informationsdefi-<br />

ziten insbesondere bezügli<strong>ch</strong> des Verhaltens von Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekten sind diese Definitionen in dem<br />

Sinne ungenau, dass sie au<strong>ch</strong> Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte dem Versi<strong>ch</strong>erungszwang unterwerfen, die keine Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsdeckung oder eine Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung benötigen, die ni<strong>ch</strong>t mit den Parametern des Obligato-<br />

riums (z.B. Mindestdeckung) übereinstimmen. Ein Beispiel: Die ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler<br />

sind verpfli<strong>ch</strong>tet, eine Berufshaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung mit einer Mindestdeckung abzus<strong>ch</strong>liessen. Mit diesem<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium soll eine Ents<strong>ch</strong>ädigung der Kunden der ungebundenen Versi<strong>ch</strong>erungsvermitt-<br />

ler im Fall von S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung si<strong>ch</strong>ergestellt werden. S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung ist dabei im Wesentli<strong>ch</strong>en das<br />

Resultat von Inkompetenz und/oder opportunistis<strong>ch</strong>em Verhalten. Da das Risiko der S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung tief<br />

ist, wenn der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler kompetent und redli<strong>ch</strong> ist und sorgfältig arbeitet, kann es für einen<br />

sol<strong>ch</strong>en Vermittler unter Umständen optimal sein, auf eine Berufshaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung zu verzi<strong>ch</strong>ten 88 .<br />

Denn die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft eines sol<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers für eine Berufshaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>e-<br />

rung ist entspre<strong>ch</strong>end tief. Leider ist es für die Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer s<strong>ch</strong>wierig, zu erkennen, ob ein unge-<br />

bundener Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler kompetent und redli<strong>ch</strong> ist und ob dieser einen sorgfältigen Arbeitsstil<br />

pflegt. Die Kompetenz wird der Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer bei der Prämienkalkulation allenfalls mit der Ausbil-<br />

dung desselben operationalisieren und berücksi<strong>ch</strong>tigen. Handelt es si<strong>ch</strong> beim Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler um<br />

einen erfahrenen und kompetenten Berater, der aber keine formale Ausbildung absolviert hat, wird die<br />

Prämie entspre<strong>ch</strong>end ho<strong>ch</strong> ausfallen und die Zahlungsbereits<strong>ch</strong>aft des Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers allenfalls<br />

übers<strong>ch</strong>reiten. Denkbar ist au<strong>ch</strong>, dass der Versi<strong>ch</strong>erer bei der Prämienkalkulation die Kompetenz des Ver-<br />

mittlers mit seiner Berufserfahrung operationalisiert, da er in seinen Daten einen negativen statistis<strong>ch</strong>en<br />

Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en der Anzahl Dienstjahre und dem Risiko der S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung gefunden hat. Ist<br />

der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler jung und trotzdem kompetenter als die meisten seiner älteren Berufskollegen,<br />

fällt die Prämie entspre<strong>ch</strong>end ho<strong>ch</strong> aus, so dass es für den jungen Vermittler nutzenoptimal ist, wenn er<br />

keinen Berufshaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungsvertrag zei<strong>ch</strong>net. Mit einem Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium werden diese<br />

beiden Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler nun gezwungen, einen nutzensuboptimalen Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag zu<br />

zei<strong>ch</strong>nen. Die Kosten des Versi<strong>ch</strong>erungsobligatoriums sind in diesem Fall die Transaktionskosten, die in<br />

Zusammenhang mit dem Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag entstehen (Vereinbarungskosten, Kosten des Prämienin-<br />

kassos) sowie der Nutzenverlust, der resultiert, weil die monetären Ressourcen, die für die Prämienzahlun-<br />

gen benötigt werden, ni<strong>ch</strong>t ihrer nutzenmaximierenden Verwendung zugeführt werden können. Darüber<br />

hinaus ist denkbar, dass die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler aufgrund des obligatoris<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utzes<br />

nun na<strong>ch</strong>lässiger werden, so dass das Risiko der S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung und damit das Risiko des Eintritts von<br />

Vermögenss<strong>ch</strong>äden bei ihren Kunden, steigen.<br />

88 Wir gehen bei den weiteren Ausführungen der Einfa<strong>ch</strong>heit halber davon aus, dass es keine negativen externen Effekte gibt. Man<br />

kann si<strong>ch</strong> z.B. vorstellen, dass es si<strong>ch</strong> beim Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler um einen Multimilliardär handelt, der jeden S<strong>ch</strong>aden decken<br />

kann, den er verursa<strong>ch</strong>t. Alternativ kann man si<strong>ch</strong> vorstellen, dass der Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler derart kompetent und redli<strong>ch</strong> ist, dass<br />

die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit einer S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tberatung 0 Prozent beträgt. In beiden Fällen löst das Handeln des Versi<strong>ch</strong>erungsvermittlers<br />

keine negativen externen Effekte aus.<br />

365


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

16.4.3.2 Normative Analyse<br />

Die folgenden Phänomene können – müssen aber ni<strong>ch</strong>t – ein Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium im Berei<strong>ch</strong> der<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen begründen:<br />

■ Existenz negativer externer Effekte: Ein Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium kann ökonomis<strong>ch</strong> sinnvoll sein,<br />

wenn das Volumen der S<strong>ch</strong>äden gross ist, die von den Ges<strong>ch</strong>ädigten und von anderen Drittpersonen ge-<br />

tragen werden müssen, da sie von insolventen S<strong>ch</strong>ädigern ni<strong>ch</strong>t gedeckt werden können.<br />

■ Meritorik - Zu hohe Gegenwartspräferenz: Ein Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium kann ökonomis<strong>ch</strong> sinn-<br />

voll sein, wenn die zu versi<strong>ch</strong>ernde Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte eine zu hohe Gegenwartspräferenz haben (vgl.<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.4).<br />

■ Bounded Rationality - Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keitsanomalie: In Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6.4 haben wir ausgeführt,<br />

dass si<strong>ch</strong> Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte in Zusammenhang mit Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keiten oft ni<strong>ch</strong>t rational verhalten.<br />

Ob diese Marktunvollkommenheiten ein Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium begründen können, ist letztli<strong>ch</strong> eine<br />

empiris<strong>ch</strong>e Frage, die im Rahmen der vorliegenden <strong>RFA</strong> ni<strong>ch</strong>t adäquat untersu<strong>ch</strong>t werden konnte – ni<strong>ch</strong>t<br />

zuletzt deshalb, weil diese Frage ni<strong>ch</strong>t allgemein, sondern nur in Bezug auf spezifis<strong>ch</strong>e Haftpfli<strong>ch</strong>trisiken<br />

beantwortet werden sollte. Ihre Beantwortung setzt unseres Era<strong>ch</strong>tens voraus, dass in einem ersten S<strong>ch</strong>ritt<br />

empiris<strong>ch</strong> untersu<strong>ch</strong>t wird, wie ho<strong>ch</strong> – in Bezug auf die Risiken, für wel<strong>ch</strong>e ein Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium<br />

in Erwägung gezogen wird – die ni<strong>ch</strong>t gedeckten S<strong>ch</strong>adensvolumina bei den Ges<strong>ch</strong>ädigten, bei Drittpar-<br />

teien und bei den S<strong>ch</strong>ädigern selbst sind – insbesondere au<strong>ch</strong> im Verglei<strong>ch</strong> zum S<strong>ch</strong>adenvolumen, das im<br />

Rahmen der freiwilligen Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung gedeckt ist.<br />

Inhaltli<strong>ch</strong> können wir ledigli<strong>ch</strong> festhalten, dass die vers<strong>ch</strong>iedenen Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorien, die es heute<br />

bereits gibt, eine gewisse Systematik und innere Kohärenz au<strong>ch</strong> aus re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t zu vermissen lassen<br />

s<strong>ch</strong>einen: «Abseits des Strassenverkehrsre<strong>ch</strong>ts entstand so ein Flickenteppi<strong>ch</strong>, der S<strong>ch</strong>utzmassnahmen ohne innere<br />

Re<strong>ch</strong>tfertigung, ja willkürli<strong>ch</strong> kombiniert. So gibt es gefährli<strong>ch</strong>e Tätigkeiten ohne Gefährdungshaftung, Gefährdungs-<br />

haftung ohne Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium, Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorien ohne Einredenauss<strong>ch</strong>luss oder Vers<strong>ch</strong>uldenshaf-<br />

tungen mit Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium und voll ausgebauten S<strong>ch</strong>utzre<strong>ch</strong>ten des Ges<strong>ch</strong>ädigten. Ordnung könnte ein<br />

Pfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungsgesetz bringen, das die heute über die gesamte Re<strong>ch</strong>tsordnung verstreuten Bestimmungen bün-<br />

delt, systematisiert und modernisiert.» (Fuhrer 2009, 1)<br />

16.5 Zusammenfassung<br />

16.5.1 Gegenstand der Regulierung<br />

In Zusammenhang mit Art. 91 E-<strong>VVG</strong> stehen in Zusammenhang mit Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen drei Regu-<br />

lierungsszenarien zur Diskussion:<br />

■ Regulierungsszenario (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>): Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>t im Rahmen der<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung und unter Vorbehalt der Einwendungen und Einreden, die das VU dem Ges<strong>ch</strong>ädig-<br />

ten aufgrund des Gesetzes und des Versi<strong>ch</strong>erungsvertrags entgegenhalten kann.<br />

■ Alternativszenario 1: Ergänzung des direkten Forderungsre<strong>ch</strong>t gemäss Art. 91 E-<strong>VVG</strong> um eine Min-<br />

destdeckung und einen allgemeinen Einredeauss<strong>ch</strong>luss.<br />

■ Alternativszenario 2: Einführung eines Versi<strong>ch</strong>erungsobligatoriums.<br />

366


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

16.5.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

In Tabelle 79 sind die Problemstellungen, die der geplanten Regulierung zugrunde liegen und die Ziele<br />

der Regulierung im Überblick dargestellt.<br />

Tabelle 79: Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t: Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

∆ RS: Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts und Auskunftsre<strong>ch</strong>ts des Ges<strong>ch</strong>ädigten<br />

<strong>VVG</strong>: Art. 60<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 91<br />

Problemstellung: (1) Unzweckmässigkeit der Pfandre<strong>ch</strong>t-Lösung im Vollzug<br />

(2) Fälle ungenügender S<strong>ch</strong>utzwirkung der Pfandre<strong>ch</strong>t-Lösung<br />

Ziele: (1) Wirksamerer S<strong>ch</strong>utz des S<strong>ch</strong>adenersatzanspru<strong>ch</strong>s des Ges<strong>ch</strong>ädigten<br />

(2) Reduktion von Transaktionskosten<br />

(3) Kodifikation gängiger Vollzugspraxis<br />

∆ AS1: Ergänzung des direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts um eine Mindestdeckung und einen<br />

allgemeinen Einredeauss<strong>ch</strong>luss<br />

<strong>VVG</strong>: -<br />

E-<strong>VVG</strong>: -<br />

Problemstellung: Finanzieller Ruin des Ges<strong>ch</strong>ädigten bei Insolvenz des S<strong>ch</strong>ädigers<br />

Ziel: Si<strong>ch</strong>erstellung der Ents<strong>ch</strong>ädigung des Ges<strong>ch</strong>ädigten au<strong>ch</strong> bei Deckungseinreden<br />

→ Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>ädenskosten<br />

∆AS2: Einführung eines Versi<strong>ch</strong>erungsobligatoriums bei Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen<br />

<strong>VVG</strong>: -<br />

E-<strong>VVG</strong>: -<br />

Problemstellung: Finanzieller Ruin der Ges<strong>ch</strong>ädigten und der S<strong>ch</strong>ädiger bei fehlender<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung<br />

Ziel: Verhinderung des finanziellen Ruins von Ges<strong>ch</strong>ädigten und S<strong>ch</strong>ädigern<br />

→ Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>ädenskosten<br />

Quelle: <strong>VVG</strong>, E-<strong>VVG</strong>, Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t (2009), eigene Analysen<br />

16.5.3 Auswirkungen der Regulierung<br />

Regulierungsszenario (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Die Ergebnisse der ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse der Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts (ohne Einrede-<br />

auss<strong>ch</strong>luss) bei Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen sind in Tabelle 80 im Überblick dargestellt und können folgen-<br />

dermassen zusammengefasst werden:<br />

■ Die Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts wird zu einer Reduktion der Dur<strong>ch</strong>setzungs- und<br />

Geri<strong>ch</strong>tskosten führen. Hingegen werden die Abwicklungskosten steigen, da zusätzli<strong>ch</strong>e (bere<strong>ch</strong>tigte)<br />

Ansprü<strong>ch</strong>e von Ges<strong>ch</strong>ädigten reguliert werden müssen. Wir erwarten, dass die Transaktionskosten pro<br />

S<strong>ch</strong>adensfall insgesamt sinken werden.<br />

■ Die Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts wird zu einer Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adens-<br />

kosten führen.<br />

■ Die Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts verbessert die Position der Ges<strong>ch</strong>ädigten – ni<strong>ch</strong>t<br />

zuletzt stärkt das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t den Ges<strong>ch</strong>ädigten in Verglei<strong>ch</strong>sverhandlungen.<br />

■ Die Wirkung der Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts auf die Vertragsrisiken, denen der VN<br />

ausgesetzt ist, ist widersprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>: Zum einen steigt das Risiko des VN, einen Prozess gegen das VU zu<br />

führen, bei wel<strong>ch</strong>em die Frage der Deckungseinreden abs<strong>ch</strong>liessend geklärt wird. Zum anderen reduziert<br />

367


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

si<strong>ch</strong> das Risiko, Haftpfli<strong>ch</strong>tprozesse führen zu müssen, da die Ges<strong>ch</strong>ädigten zum Teil direkt gegen das VU<br />

klagen werden. Aufgrund von Überlegungen zur Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit dieser Risiken kommen wir zum<br />

S<strong>ch</strong>luss, dass die Vertragrisiken des VN insgesamt sinken – dies gilt insbesondere für KMU und für die<br />

gängigen Haftpfli<strong>ch</strong>trisiken.<br />

Ausgehend von diesen Auswirkungen lassen si<strong>ch</strong> aufgrund von ökonomis<strong>ch</strong>en Kausalzusammenhängen<br />

die folgenden weiteren Auswirkungen der Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts ableiten:<br />

■ Primäre S<strong>ch</strong>adenkosten: Da die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten sinken, werden au<strong>ch</strong> die primären S<strong>ch</strong>a-<br />

denskosten im Sinne von Folgekosten sinken, die entstehen, wenn der Ges<strong>ch</strong>ädigte den S<strong>ch</strong>aden alleine<br />

tragen muss (Kosten der Armut, Folgekosten im Gesundheitswesen, Kosten in den Sozialversi<strong>ch</strong>erungen<br />

etc.). Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Ges<strong>ch</strong>ädigten häufiger, umfassender und s<strong>ch</strong>neller ents<strong>ch</strong>ä-<br />

digt werden können, wenn sie ein direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t gegenüber dem Versi<strong>ch</strong>erer haben.<br />

■ S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU: Das Volumen der S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU wird steigen (Kehrseite<br />

der Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten).<br />

■ Prämienhöhe: Das Volumen der S<strong>ch</strong>adenszahlungen wird steigen und die Transaktionskosten sinken.<br />

Die Wirkung auf den Preis der Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen hängt davon ab, ob die Einsparung der Transak-<br />

tionskosten die Erhöhung der S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU aufwiegt. Wir gehen davon aus, dass die Prä-<br />

mien steigen werden.<br />

■ Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken: Die Prämienerhöhungen senken die Anzahl der Versi<strong>ch</strong>erungsver-<br />

träge. Auf der anderen Seite nimmt die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV zu, da die Ges<strong>ch</strong>ädigten<br />

häufiger ents<strong>ch</strong>ädigt werden. Insgesamt erwarten wir eine Zunahme der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken –<br />

und damit eine Reduktion der sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten.<br />

Alternativszenario 1 (Einredeauss<strong>ch</strong>luss)<br />

Eine normative Analyse hat zum Ergebnis geführt, dass eine Ergänzung des direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts um<br />

einen allgemeinen Einredeauss<strong>ch</strong>luss mit dem Wesen freiwilliger Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen ni<strong>ch</strong>t konsi-<br />

stent ist. Ist ein Einredeauss<strong>ch</strong>luss aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t wüns<strong>ch</strong>enswert, dürfte au<strong>ch</strong> ein Versi<strong>ch</strong>erung-<br />

sobligatorium wüns<strong>ch</strong>enswert sein.<br />

Alternativszenario 2 (Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium)<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse eines Versi<strong>ch</strong>erungsobligatoriums hat zu folgenden Ergebnissen geführt:<br />

■ Die Auswirkungen eines Versi<strong>ch</strong>erungsobligatoriums sind ökonomis<strong>ch</strong> sehr komplex.<br />

■ Ein Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium kann ökonomis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t allgemein, sondern nur in Bezug auf spezifis<strong>ch</strong>e<br />

Risiken, die für ein Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium in Erwägung gezogen werden, analysiert werden.<br />

■ Eine ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse eines Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium bedingt die empiris<strong>ch</strong>e Quantifizierung des<br />

S<strong>ch</strong>adenvolumens, das im Rahmen von freiwilligen Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen gedeckt wird sowie des<br />

S<strong>ch</strong>adenvolumens, das ni<strong>ch</strong>t gedeckt ist und das von den S<strong>ch</strong>ädigern, den Ges<strong>ch</strong>ädigten und/oder Dritt-<br />

parteien (insbesondere vom Staat) getragen werden muss. Eine sol<strong>ch</strong>e empiris<strong>ch</strong>e Quantifizierung konnte<br />

im Rahmen der vorliegenden Studie ni<strong>ch</strong>t geleistet werden.<br />

368


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 80: Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>): Die Auswirkungen im Überblick<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten +<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten +<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten +<br />

Transaktionskosten +<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten<br />

Abwicklungskosten +<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

Reduktion von Folgekosten, die im Umfeld der Ges<strong>ch</strong>ädigten entstehen können, wenn diese ni<strong>ch</strong>t<br />

ents<strong>ch</strong>ädigt werden<br />

+ Zunahme der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV (Ges<strong>ch</strong>ädigten werden häufiger und<br />

umfassender ents<strong>ch</strong>ädigt)<br />

- Reduktion der Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge<br />

+ Entlastung der S<strong>ch</strong>ädiger, insbesondere der KMU<br />

- Regulierung zusätzli<strong>ch</strong>er (bere<strong>ch</strong>tigter) Ansprü<strong>ch</strong>e<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten - Anspru<strong>ch</strong>sinflation bedingt Abwehr ungere<strong>ch</strong>tfertigter S<strong>ch</strong>adensersatzforderungen<br />

Änderungs- & Anpassungskosten<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten + Reduktion der Häufigkeit von Zweitprozessen zur Frage der Einreden<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN)<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI & VU<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

Ex ante Opportunismus der VI<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU) +<br />

Ex post Opportunismus der VU +<br />

Andere Verhaltensanpassungen<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

Produktqualität<br />

Vertragsrisiken des VN -<br />

Vertragsrisiken des VU<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen<br />

Adverse Selektion<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t +<br />

Prämienvolumen ����<br />

-<br />

+ Verhandlungsposition der Ges<strong>ch</strong>ädigten wird gestärkt<br />

- Interessenskonflikt des VU bezügli<strong>ch</strong> der Frage der Deckungseinreden<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV ���� Zunahme der S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ���� Reduktion von Transaktionskosten<br />

Prämienhöhe ����<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ���� Prämienerhöhungen<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ����<br />

Instabilität des Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt +<br />

Renten der VN -<br />

Renten der VI<br />

Renten der VU =<br />

Risiko des VN, gegen das VU bezügli<strong>ch</strong> der Frage der Deckungseinreden einen Zweitprozess führen<br />

zu müssen<br />

���� Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung sinkt<br />

���� Zunahme der S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VU<br />

���� Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV steigt<br />

���� Abnahme der Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge<br />

+ Entlastung der S<strong>ch</strong>ädiger, insbesondere der KMU<br />

- (1) Zunahme der S<strong>ch</strong>adenszahlungen der VN; (2) Risiko eines Zweitprozesses gegen das VU;<br />

+ Zunahme des Marktvolumens<br />

- - - Reduktion von Opportunitätsprämien<br />

Renten anderer Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte + S<strong>ch</strong>nellere, häufigere und umfassendere Ents<strong>ch</strong>ädigung der Ges<strong>ch</strong>ädigten dur<strong>ch</strong> die VU und VN<br />

369


16 Direktes Forderungsre<strong>ch</strong>t und Auskunftsanspru<strong>ch</strong> (Art. 91 E-<strong>VVG</strong>)<br />

16.5.4 Empfehlungen<br />

Vor dem Hintergrund der dur<strong>ch</strong>geführten Analysen, können wir folgende Empfehlungen formulieren:<br />

■ Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts: Den gesamtwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Wohlfahrtseffekt der<br />

Einführung eines direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts im Rahmen der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung und unter Vorbehalt<br />

der Einwendungen und Einreden des VU bewerten wir insgesamt positiv. Insofern können wir die Einfüh-<br />

rung eines derartigen direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts empfehlen.<br />

■ Verhinderung von unnötigen Zweitprozessen: Es ist wüns<strong>ch</strong>enswert, dass si<strong>ch</strong>ergestellt wird, dass<br />

die Frage der Deckungseinreden bereits im ersten Prozess re<strong>ch</strong>tsverbindli<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ieden wird. Juristis<strong>ch</strong>e<br />

Instrumente hierfür sind bekannt und verfügbar, so dass eine Lösung der damit zusammenhängenden<br />

Problemstellung mögli<strong>ch</strong> sein sollte.<br />

■ Eins<strong>ch</strong>ränkung des Geltungsberei<strong>ch</strong>s: Das direkte Forderungsre<strong>ch</strong>t dürfte insbesondere bei den<br />

Standardhaftpfli<strong>ch</strong>trisiken von KMU und Privatkunden positive Auswirkungen entfalten. Das Problem, im<br />

Erstprozess ni<strong>ch</strong>t als Beklagter involviert zu sein, s<strong>ch</strong>eint für die grossen Unternehmen in Zusammenhang<br />

mit speziellen Haftpfli<strong>ch</strong>trisiken ein Risiko darzustellen. Allenfalls sollte der Geltungsberei<strong>ch</strong> des direkten<br />

Forderungsre<strong>ch</strong>ts deshalb entspre<strong>ch</strong>end einges<strong>ch</strong>ränkt werden.<br />

■ Vorvertragli<strong>ch</strong>e Informationspfli<strong>ch</strong>t: Es ist wüns<strong>ch</strong>enswert, dass die VN im Rahmen der vorvertragli-<br />

<strong>ch</strong>en Informationspfli<strong>ch</strong>ten der VU darüber informiert werden, dass sie mit Art. 91 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong> gesetz-<br />

li<strong>ch</strong> verpfli<strong>ch</strong>tet sind, im Haftpfli<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>adensfall der ges<strong>ch</strong>ädigten Person Auskunft über ihren Haftpfli<strong>ch</strong>t-<br />

versi<strong>ch</strong>erungss<strong>ch</strong>utz zu gewähren (Art. 91 Abs. 2 E-<strong>VVG</strong>).<br />

■ Kein allgemeiner Einredeauss<strong>ch</strong>luss: Die Ergänzung des direkten Forderungsre<strong>ch</strong>ts um einen allge-<br />

meinen Einredeauss<strong>ch</strong>luss können wir bei freiwilligen Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen ni<strong>ch</strong>t empfehlen.<br />

■ Obligatorium von Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen: Der Einführung eines Versi<strong>ch</strong>erungsobligatoriums bei<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung muss eine empiris<strong>ch</strong>e Quantifizierung des S<strong>ch</strong>adenvolumens vorausgehen. Nur<br />

eine sol<strong>ch</strong>e Analyse kann Auss<strong>ch</strong>luss darüber geben, ob Marktunvollkommenheiten (externe negative<br />

Effekte, zu hohe Gegenwartspräferenz der Wirts<strong>ch</strong>aftssubjekte und bes<strong>ch</strong>ränkte Rationalität im Umgang<br />

mit Risiken) vorhanden sind und ob ein Versi<strong>ch</strong>erungsobligatorium in der Lage ist, im Verglei<strong>ch</strong> zum Markt<br />

der freiwilligen Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen eine superiore Allokation der Risiken zu bewerkstelligen. Dabei<br />

sollten au<strong>ch</strong> die vers<strong>ch</strong>iedenen Kosten untersu<strong>ch</strong>t werden, die resultieren, wenn ein Versi<strong>ch</strong>erungsobliga-<br />

torium eingeführt wird.<br />

370


17 S<strong>ch</strong>adenregulierung (Art. 94 E-<strong>VVG</strong>)<br />

17 S<strong>ch</strong>adenregulierung (Art. 94 E-<strong>VVG</strong>)<br />

17.1 Juristis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

17.1.1 Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

In Tabelle 81 sind die relevanten gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen, wel<strong>ch</strong>e die Regulierungsszenarien und das<br />

Referenzszenario determinieren, einander gegenübergestellt.<br />

Tabelle 81: S<strong>ch</strong>adenregulierung: Gegenüberstellung der gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />

Regulierungsszenario (RS) und<br />

Alternativszenario (AS)<br />

Art. 94 (S<strong>ch</strong>adenregulierung) E-<strong>VVG</strong><br />

Geltungsberei<strong>ch</strong>: Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen<br />

94.1. Das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen ist verpfli<strong>ch</strong>tet, innert<br />

drei Monaten na<strong>ch</strong> Anmeldung einer<br />

Ents<strong>ch</strong>ädigungsforderung s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>:<br />

a. ein begründetes Angebot zu unterbreiten, wenn die<br />

Leistungspfli<strong>ch</strong>t unbestritten und der Anspru<strong>ch</strong><br />

bezifferbar ist;<br />

b. eine begründete Stellungnahme abzugeben, wenn<br />

die Leistungspfli<strong>ch</strong>t bestritten oder der Anspru<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t bezifferbar ist.<br />

94.2. Kommt das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen diesen<br />

Verpfli<strong>ch</strong>tungen ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>, kann ihm die Person, die die<br />

Ents<strong>ch</strong>ädigungsforderung angemeldet hat, eine Na<strong>ch</strong>frist<br />

von vier Wo<strong>ch</strong>en ansetzen.<br />

94.3. RS: Na<strong>ch</strong> deren unbenütztem Ablauf wird vermutet,<br />

dass die Leistungspfli<strong>ch</strong>t im Umfang der angemeldeten<br />

Ents<strong>ch</strong>ädigungsforderung besteht. Vorbehalten bleiben<br />

weitergehende Ansprü<strong>ch</strong>e, namentli<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e aus<br />

S<strong>ch</strong>uldnerverzug.<br />

94.3 AS: Na<strong>ch</strong> deren unbenützten Ablauf beginnt die Pfli<strong>ch</strong>t<br />

zur Leistung von Verzugszinsen. Weitergehende Ansprü<strong>ch</strong>e<br />

der ges<strong>ch</strong>ädigten Person bleiben vorbehalten.<br />

Anmerkungen: RS = Regulierungsszenario; AS = Alternativszenario; BS = Referenzszenario; Orange = halbzwingendes Re<strong>ch</strong>t; Grün:<br />

dispositives Re<strong>ch</strong>t; Blau: Existenz von Alternativszenarien<br />

Quelle: E-<strong>VVG</strong>, <strong>VVG</strong><br />

17.1.2 Identifikation der Veränderungen<br />

Mit Art. 94 E-<strong>VVG</strong> werden neu Sanktionen für den Fall eingeführt, dass ein Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen<br />

seinen Verpfli<strong>ch</strong>tungen in Zusammenhang mit der Anmeldung einer Ents<strong>ch</strong>ädigungsforderung dur<strong>ch</strong><br />

eine/n Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer/in ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>kommt:<br />

Referenzszenario (BS)<br />

■ Regulierungsszenario – Vermutung des Bestehens der Leistungspfli<strong>ch</strong>t im Umfang der Ent-<br />

s<strong>ch</strong>ädigungsforderung: Gemäss dem Regulierungsszenario soll na<strong>ch</strong> Ablauf einer unbenutzten Na<strong>ch</strong>frist<br />

von vier Wo<strong>ch</strong>en eine Leistungspfli<strong>ch</strong>t im Umfang der angemeldeten Ents<strong>ch</strong>ädigungsforderung vermutet<br />

werden, was eine Beweislastumkehr impliziert: Das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen muss in derartigen Fällen<br />

den Beweis des Ni<strong>ch</strong>tbestehens der vermuteten Leistungspfli<strong>ch</strong>t erbringen.<br />

Art. 67 (S<strong>ch</strong>adensermittlung) <strong>VVG</strong><br />

67.1. Der Versi<strong>ch</strong>erer sowohl als der<br />

Anspru<strong>ch</strong>sbere<strong>ch</strong>tigte kann verlangen,<br />

dass der S<strong>ch</strong>aden von den Parteien<br />

ohne Verzug festgestellt werde. [...].<br />

371


17 S<strong>ch</strong>adenregulierung (Art. 94 E-<strong>VVG</strong>)<br />

■ Alternativszenario – Verzugszins: Gemäss dem Alternativszenario soll auf die Vermutung eines Be-<br />

stehens der Leistungspfli<strong>ch</strong>t zugunsten einer Verpfli<strong>ch</strong>tung, Verzugszins zu leisten (analog zu 79c Abs. 3<br />

SVG), verzi<strong>ch</strong>tet werden.<br />

17.2 Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

Art. 94 E-<strong>VVG</strong> korrespondiert mit Art. 79c SVG, der im Rahmen der Umsetzung der 4. Autohaftpfli<strong>ch</strong>tver-<br />

si<strong>ch</strong>erungsri<strong>ch</strong>tlinie der EU eingeführt wurde. Diese Ri<strong>ch</strong>tlinie wurde gemäss Prof. Dr. Stephan Fuhrer mit<br />

Blick auf grenzübers<strong>ch</strong>reitende Autounfälle eingeführt, bei denen es in gewissen EU-Ländern zu Verzöge-<br />

rungen bei der S<strong>ch</strong>adensregulierung kam. Da si<strong>ch</strong> dieses Instrument im Berei<strong>ch</strong> der Motorfahrzeug-<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung bewährt hat, wollte die Expertenkommission dieses auf freiwillige Haftpfli<strong>ch</strong>tversi-<br />

<strong>ch</strong>erungen ausdehnen. Art. 94 E-<strong>VVG</strong> verfolgt letztli<strong>ch</strong> das Ziel einer «zeitnahen Regulierung der betref-<br />

fenden S<strong>ch</strong>adenfälle» (Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t 2009, 82). Dieses Ziel soll errei<strong>ch</strong>t werden, indem das Verhal-<br />

ten von Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen, das auf eine Verzögerung der S<strong>ch</strong>adenregulierung abzielt, mit Sank-<br />

tionen belegt werden kann. Das Regulierungs- und das Alternativszenario unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> einzig hin-<br />

si<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> dieser Sanktionen:<br />

■ Im Regulierungsszenario figuriert eine Beweislastumkehr als Sanktion: Na<strong>ch</strong> unbenütztem Ablauf der<br />

Na<strong>ch</strong>frist von 4 Wo<strong>ch</strong>en wird vermutet, dass die Leistungspfli<strong>ch</strong>t im Umfang der angemeldeten Ents<strong>ch</strong>ä-<br />

digungsforderung besteht.<br />

■ Im Alternativszenario figuriert der Verzugszins als Sanktion: Na<strong>ch</strong> unbenütztem Ablauf der Na<strong>ch</strong>frist<br />

von 4 Wo<strong>ch</strong>en setzt die Pfli<strong>ch</strong>t zur Leistung von Verzugszinsen ein. Dies stellt für die Versi<strong>ch</strong>erungsunter-<br />

nehmen im Verglei<strong>ch</strong> zum Referenzszenario, in dem die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen zu S<strong>ch</strong>uldzinsen ver-<br />

pfli<strong>ch</strong>tet sind (die ab dem Moment des s<strong>ch</strong>ädigenden Ereignisses zu laufen beginnen) eine Vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te-<br />

rung dar, da si<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>uld- und Verzugszinsen bei bes<strong>ch</strong>ränkten Versi<strong>ch</strong>erungssummen unters<strong>ch</strong>eiden: Im<br />

Gegensatz zum S<strong>ch</strong>uldzins muss der Verzugszins vom Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen über die Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

summe hinaus geleistet werden. Der Ges<strong>ch</strong>ädigte hat deshalb ein Interesse, dass der S<strong>ch</strong>adenszins in ei-<br />

nen Verzugszins umgewandelt wird.<br />

17.3 Kritik der Regulierung in der Vernehmlassung<br />

■ Sanktionsdrohung gemäss Art. 94 Abs. 3 E-<strong>VVG</strong> → Strategis<strong>ch</strong>es Verhalten der Versi<strong>ch</strong>erer:<br />

Der Kanton Züri<strong>ch</strong> sieht Art. 94 E-<strong>VVG</strong> die Gefahr inhärent, «dass au<strong>ch</strong> in vielen Fällen, in denen s<strong>ch</strong>liess-<br />

li<strong>ch</strong> eine Haftung besteht, die Ansprü<strong>ch</strong>e vor einer vertieften Prüfung einstweilen abgelehnt werden, um<br />

vorsorgli<strong>ch</strong> die Folgen na<strong>ch</strong> Abs. 3 abzuwenden.» (Kanton Züri<strong>ch</strong> 2009, 11).<br />

■ Kritik der Beweislastumkehr: Vers<strong>ch</strong>iedene Institutionen halten die Beweislastumkehr, die im Regu-<br />

lierungsszenario als Sanktionsmassnahme dient, für problematis<strong>ch</strong>. Die Problematik formuliert der Kanton<br />

Züri<strong>ch</strong> in seiner Vernehmlassungsantwort folgendermassen: «Im Weiteren sind au<strong>ch</strong> die konkreten Folgen von<br />

Abs. 3 unklar. Die im erläuternden Beri<strong>ch</strong>t erwähnte Beweislastumkehr ist ni<strong>ch</strong>t unproblematis<strong>ch</strong>. Ein Versi<strong>ch</strong>erungs-<br />

unternehmen kann den S<strong>ch</strong>aden der Ges<strong>ch</strong>ädigtenseite in vielen Fällen von vornherein ni<strong>ch</strong>t aus eigener Kraft bewei-<br />

sen, Das führt im Prozessfall unweigerli<strong>ch</strong> zu S<strong>ch</strong>wierigkeiten bei der Verteilung der Substanziierungs- und Beweislast,<br />

weil die Ges<strong>ch</strong>ädigtenseite glei<strong>ch</strong>wohl zur Beibringung der Beweise angehalten werden muss.» Kanton Züri<strong>ch</strong> 2009,<br />

11). Lloyd’s pfli<strong>ch</strong>tet dem Kanton Züri<strong>ch</strong> bei: «Diese Vermutung geht zu weit und hat für den Versi<strong>ch</strong>erer (und<br />

damit verbunden allenfalls den Versi<strong>ch</strong>erten) zu weitrei<strong>ch</strong>ende Konsequenzen, indem der Beweis des Ni<strong>ch</strong>tbestehens<br />

der vermuteten Leistungspfli<strong>ch</strong>t - zumal im Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en Versi<strong>ch</strong>erer und Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer - nur sehr<br />

s<strong>ch</strong>wer erbra<strong>ch</strong>t werden kann. Der Grund liegt in der bereits erwähnten Tatsa<strong>ch</strong>e, dass nur oder primär der versi<strong>ch</strong>er-<br />

te S<strong>ch</strong>ädiger über die relevanten Informationen zum S<strong>ch</strong>adenhergang verfügt, weswegen der Versi<strong>ch</strong>erer auf dessen<br />

372


17 S<strong>ch</strong>adenregulierung (Art. 94 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Angaben angewiesen ist. Das gilt vor allem dann, wenn der Versi<strong>ch</strong>erte dem Versi<strong>ch</strong>erer no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t genügend Infor-<br />

mationen im Sinne der Art. 36 und 39 E-WG erteilt hat (oder wo das zumindest streitig ist).» Lloyd’s (2009, 20-21).<br />

17.4 Ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse<br />

Art. 94 E-<strong>VVG</strong> verfolgt das Ziel, Verzögerungen während der S<strong>ch</strong>adenregulierung vorzubeugen (Präven-<br />

tivwirkung) und VU zu sanktionieren, die ein derartiges opportunistis<strong>ch</strong>es Verhalten an den Tag legen, zu<br />

sanktionieren.<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>e Analyse muss vor dem Hintergrund folgender empiris<strong>ch</strong>er Fakten vorgenommen wer-<br />

den:<br />

■ Gemäss den befragten Experten der Konsumentenpresse und des Konsumentens<strong>ch</strong>utzes sind Verzöge-<br />

rungen bei der Regulierung von S<strong>ch</strong>äden dur<strong>ch</strong> das VU im S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsmarkt kein zentrales<br />

Problem. Es dürfte allerdings Einzelfälle geben, wie na<strong>ch</strong>folgende Zitat der Ombudsfrau der Privatversi<strong>ch</strong>e-<br />

rung und der SUVA belegt: «Bei den Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen stand meist die Leistungsseite im Vordergrund.<br />

Beklagt wurden aber au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>leppende S<strong>ch</strong>adensbearbeitung, Fals<strong>ch</strong>beratung betreffend Deckungsum-<br />

fang, ni<strong>ch</strong>t akzeptierte Kündigungen [...]» (Ombudsfrau 2008, 8).<br />

■ Etwa ein Fünftel der Haftpfli<strong>ch</strong>t-S<strong>ch</strong>adensfälle kann gemäss den befragten VU innerhalb von 3 Monaten<br />

abges<strong>ch</strong>lossen werden.<br />

■ Gemäss den befragten Experten eines VU gibt es Fälle, bei wel<strong>ch</strong>en Verzögerungen unabsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ent-<br />

stehen. Derartige Fälle können beispielsweise eintreten, wenn es auf einer Agentur aufgrund von Kündi-<br />

gungen, Krankheiten und Unfällen zu Absenzen von mehreren Agenturmitarbeitern kommt.<br />

■ Im SVG gibt es mit Art. 79c eine zu Art. 94 E-<strong>VVG</strong> verglei<strong>ch</strong>bare Regulierung in Zusammenhang mit der<br />

obligatoris<strong>ch</strong>en Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erung. Gemäss Daniel Wernli, Office Manager des nationalen Versi-<br />

<strong>ch</strong>erungsbüros der S<strong>ch</strong>weiz und des nationalen Garantiefonds der S<strong>ch</strong>weiz, gab es im Jahr 2009 rund 20<br />

Fälle, bei wel<strong>ch</strong>en die Ges<strong>ch</strong>ädigten von ihrem S<strong>ch</strong>adenregulierer ni<strong>ch</strong>t innerhalb vom 3 Monaten eine<br />

Antwort auf die Anmeldung einer Ents<strong>ch</strong>ädigungsforderung eine s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>e Antwort erhielten. Die<br />

zweimonatige Na<strong>ch</strong>frist, die dem säumigen S<strong>ch</strong>adenregulierer in diesen Fällen gewährt wird, liess kein<br />

einziger der betroffenen S<strong>ch</strong>adenregulierer verstrei<strong>ch</strong>en. Gemäss Wernli betreffen diese 20 Fälle fast aus-<br />

s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>adensereignisse mit grossen Personens<strong>ch</strong>äden, bei wel<strong>ch</strong>en der S<strong>ch</strong>aden ni<strong>ch</strong>t innerhalb<br />

von drei Monaten ermittelt werden konnte. Die Gründe für die Missa<strong>ch</strong>tung der Na<strong>ch</strong>frist sei weniger in<br />

vorsätzli<strong>ch</strong>em Verhalten als in der Tatsa<strong>ch</strong>e zu sehen, dass der S<strong>ch</strong>aden no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>liessend ermittelt<br />

werden konnte.<br />

17.4.1 Analyse der Auswirkungen<br />

Art. 94 E-<strong>VVG</strong> wird zu folgenden, direkten Kosten führen:<br />

■ Einmalige Anpassungskosten: Ein VU hat geltend gema<strong>ch</strong>t, dass sie bei Einführung von Art. 94 E-<br />

<strong>VVG</strong> ihre IT-Systeme dahingehend anpassen würden, dass die in Art. 94 E-<strong>VVG</strong> erwähnten Fristen auto-<br />

matisiert überwa<strong>ch</strong>t würden.<br />

■ Erhöhung der Abwicklungskosten: Da das VU auf das S<strong>ch</strong>reiben, das die Person, die eine Ents<strong>ch</strong>ädi-<br />

gungsforderung angemeldet hat, s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> antworten muss, können si<strong>ch</strong> beim VU die Abwicklungskos-<br />

ten erhöhen. Es handelt si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> nur im Fall, der in Abs. 1 lit. b bes<strong>ch</strong>rieben ist, um zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten.<br />

Im Fall, der in Abs. 1 lit. a erwähnt ist, handelt es si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t um zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten, sondern um Kosten,<br />

die zeitli<strong>ch</strong> zu einem früheren Zeitpunkt anfallen.<br />

■ Erhöhung der Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tkosten: Wenn Art. 94 E-<strong>VVG</strong> Abs. 3 angedrohten Ver-<br />

mutung eintritt, werden die Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten steigen. Die Begründung kann der Ver-<br />

nehmlassungsantwort des Kantons Züri<strong>ch</strong> entnommen werden: «Die im erläuternden Beri<strong>ch</strong>t erwähnte Be-<br />

373


17 S<strong>ch</strong>adenregulierung (Art. 94 E-<strong>VVG</strong>)<br />

weislastumkehr ist ni<strong>ch</strong>t unproblematis<strong>ch</strong>. Ein Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen kann den S<strong>ch</strong>aden der Ges<strong>ch</strong>ädigtenseite<br />

in vielen Fällen von vornherein ni<strong>ch</strong>t aus eigener Kraft beweisen, Das führt im Prozess fall unweigerli<strong>ch</strong> zu S<strong>ch</strong>wierig-<br />

keiten bei der Verteilung der Substanziierungs- und Beweislast, weil die Ges<strong>ch</strong>ädigtenseite glei<strong>ch</strong>wohl zur Beibrin-<br />

gung der Beweise angehalten werden muss.» (Kanton Züri<strong>ch</strong> 2009, 11). Aufgrund der Erfahrungen beim Stras-<br />

senverkehrsgesetz muss allerdings davon ausgegangen werden, dass die in Abs. 3 angedrohte Vermutung<br />

gar nie eintreten wird, so dass keine zusätzli<strong>ch</strong>en Dur<strong>ch</strong>setzungs- und Geri<strong>ch</strong>tskosten entstehen werden.<br />

Dies ist der Grund, weshalb si<strong>ch</strong> das Alternativszenario (Verzugszins) ni<strong>ch</strong>t vernünftig mit dem Regulie-<br />

rungsszenario (Beweistlastumkehr) verglei<strong>ch</strong>en lässt: Es ist unerhebli<strong>ch</strong>, ob als Sanktion die Be-<br />

weistlastumkehr und/oder der Verzugszins definiert wird: in beiden Fällen wird die Sanktion nie eintreten.<br />

Es ist denkbar, dass aufgrund von Verhaltensänderungen der VU, die von Art. 94 E-<strong>VVG</strong> herbeigeführt<br />

werden, weitere indirekte Kosten entstehen werden. So führt der Kanton Züri<strong>ch</strong> in seiner Vernehmlas-<br />

sungsantwort aus: «Klare, von keiner Seite bestrittene Haftungsfälle haben selten ein Verzögerungsproblem. Tritt<br />

bei sol<strong>ch</strong>en Fällen do<strong>ch</strong> eine absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Verzögerung auf, so hilft au<strong>ch</strong> die Vermutung von Abs. 3 den Versi<strong>ch</strong>erten<br />

ni<strong>ch</strong>t weiter, da das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen in diesen Fällen seine Position ni<strong>ch</strong>t mehr vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern kann und<br />

die Ges<strong>ch</strong>ädigtenseite zur Einforderung der Ansprü<strong>ch</strong>e so oder so klagen muss. Ist der Anspru<strong>ch</strong> unklar oder bestrit-<br />

ten, kann das Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen mittels einer kurz gehaltenen Ablehnung jegli<strong>ch</strong>e für sie negativen Folgen<br />

abwenden. Es ist überdies zu befür<strong>ch</strong>ten, dass au<strong>ch</strong> in vielen Fällen, in denen s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> eine Haftung besteht, die<br />

Ansprü<strong>ch</strong>e vor einer vertieften Prüfung einstweilen abgelehnt werden, um vorsorgli<strong>ch</strong> die Folgen na<strong>ch</strong> Abs. 3 abzu-<br />

wenden» (Kanton Züri<strong>ch</strong>, 2009, 11). Ein sol<strong>ch</strong>es Verhalten dürfte zu einer Erhöhung der Abwicklungskosten<br />

und der Dur<strong>ch</strong>setzungs- bzw. Geri<strong>ch</strong>tskosten führen. Falls die voreiligen Ablehnungen der VU von der<br />

Person, wel<strong>ch</strong>e die Ents<strong>ch</strong>ädigungsforderung angemeldet hat, ni<strong>ch</strong>t bestritten wird, könnte der Fall eintre-<br />

ten, dass aufgrund von Art. 94 E-<strong>VVG</strong> die sekundären S<strong>ch</strong>adenskosten steigen würden.<br />

Der Nutzen von Art. 94 E-<strong>VVG</strong> ist in erster Linie in der Präventivwirkung zu sehen, die Art. 94 auf das<br />

S<strong>ch</strong>adenregulierungsverhalten der VU entfalten kann. Allerdings zeigen die Erfahrungen mit Art. 79c SVG,<br />

dass die Vors<strong>ch</strong>riften in den Fällen, in wel<strong>ch</strong>en die VU ni<strong>ch</strong>t innerhalb der drei ersten Monaten reagieren,<br />

zu einer Bes<strong>ch</strong>leunigung der S<strong>ch</strong>adenregulierung führen können. Denn gemäss Daniel Wernli kommt es<br />

vor, dass S<strong>ch</strong>adensfälle innerhalb der zweimonatigen Na<strong>ch</strong>frist abges<strong>ch</strong>lossen werden können.<br />

374


17 S<strong>ch</strong>adenregulierung (Art. 94 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 82: Die Auswirkungen von Art. 94 E-<strong>VVG</strong> im Überblick<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten -<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten +/-<br />

Transaktionskosten -<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten<br />

Abwicklungskosten - S<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>e Antwort der VU auf die S<strong>ch</strong>reiben der VN<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Änderungs- & Anpassungskosten - Anpassung von IT-Systemen<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten - Beweislastumkehr<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN)<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VI & VU<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VI)<br />

Ex ante Opportunismus der VI<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VI<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU) =<br />

Ex post Opportunismus der VU =<br />

Andere Verhaltensanpassungen<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten VV<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

Produktqualität<br />

Vertragsrisiken des VN =<br />

Vertragsrisiken des VU - Beweislastumkehr<br />

Marktme<strong>ch</strong>anismen<br />

Adverse Selektion<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t -<br />

Prämienvolumen = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken pro VV<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ����<br />

Prämienhöhe ����<br />

Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge ���� Prämienerhöhungen<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken Total ���� Reduktion der Anzahl Versi<strong>ch</strong>erungsverträge<br />

Instabilität des Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

Ökonomis<strong>ch</strong>e Wohlfahrt<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

-<br />

-<br />

Renten der VN<br />

Renten der VI<br />

- (1) Prämienerhöhungen; (2) Reduktion der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken<br />

Renten der VU = Keine wesentli<strong>ch</strong>e Veränderung<br />

Renten der Ges<strong>ch</strong>ädigten =<br />

+ Reduktion von ex post Opportunismus der VU (Strategie "Aushungern")<br />

- Einstweilige Ablehnung der Ansprü<strong>ch</strong>e der VN vor vertieften Prüfung<br />

+ Sanktionierung von ex post Opportunismus im Sinne einer vorsätzli<strong>ch</strong>en Vers<strong>ch</strong>leppung der<br />

S<strong>ch</strong>adenregulierung<br />

- Einstweilige Ablehnung der Ansprü<strong>ch</strong>e vor vertieften Prüfung<br />

+ Bes<strong>ch</strong>leunigung der S<strong>ch</strong>adenregulierung<br />

- Einstweilige Ablehnung der Ansprü<strong>ch</strong>e der VN vor vertieften Prüfung<br />

Erhöhung der Transaktionskosten<br />

+ Sanktionierung von ex post Opportunismus im Sinne einer vorsätzli<strong>ch</strong>en Vers<strong>ch</strong>leppung der<br />

S<strong>ch</strong>adenregulierung<br />

- Einstweilige Ablehnung der Ansprü<strong>ch</strong>e vor vertieften Prüfung<br />

375


17 S<strong>ch</strong>adenregulierung (Art. 94 E-<strong>VVG</strong>)<br />

17.5 S<strong>ch</strong>lussfolgerungen und Empfehlungen<br />

Unsere Analyse von Art. 94 E-<strong>VVG</strong> hat ergeben, dass die Auswirkungen von Art. 94 E-<strong>VVG</strong> sehr bes<strong>ch</strong>ei-<br />

den ausfallen werden.<br />

Auf der einen Seite muss festgehalten werden, dass es keine empiris<strong>ch</strong>en Hinweise gibt, dass die S<strong>ch</strong>wei-<br />

zer Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erer vorsätzli<strong>ch</strong> und systematis<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>adenregulierung verzögern. Bei Einzelfällen<br />

s<strong>ch</strong>eint es Verzögerungen zu geben, die aber weniger auf s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te Absi<strong>ch</strong>ten als auf komplexe S<strong>ch</strong>aden-<br />

ereignisse zurückzuführen sind. Die Frist von 3 Monaten ers<strong>ch</strong>eint kurz, da nur gerade etwa ein Fünftel<br />

der Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungsfälle innerhalb von 3 Monaten na<strong>ch</strong> Eintritt des befür<strong>ch</strong>teten Ereignisses ab-<br />

ges<strong>ch</strong>lossen werden können. Der Nutzen von Art. 94 E-<strong>VVG</strong> ist sehr bes<strong>ch</strong>ränkt, da die VU die in Abs. 3<br />

vorgesehen Sanktionen in einfa<strong>ch</strong>ster Art und Weise abwenden können. Darüber hinaus kann ni<strong>ch</strong>t aus-<br />

ges<strong>ch</strong>lossen werden, dass bei den VU Verhaltensänderungen eintreten werden, die für die Personen, die<br />

eine Ents<strong>ch</strong>ädigungsforderung angemeldet haben, ni<strong>ch</strong>t vorteilhaft sind.<br />

Auf der anderen Seite kann von einem VU erwartet werden, innerhalb von drei Monaten auf die Anmel-<br />

dung einer Forderung zu reagieren.<br />

Insgesamt ers<strong>ch</strong>eint uns das Instrument im Sinne von Art. 94 ni<strong>ch</strong>t besonders geeignet, das Ziel der Regu-<br />

lierung - eine Bes<strong>ch</strong>leunigung der S<strong>ch</strong>adenregulierung - zu verwirkli<strong>ch</strong>en.<br />

17.6 Zusammenfassung<br />

17.6.1 Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

In Tabelle 83 sind Gegenstand, die Problemstellung, die Hintergründe und die Ziele der Regulierung im<br />

Sinne von Art. 94 E-<strong>VVG</strong> in Tabellenform zusammengefasst.<br />

Tabelle 83: S<strong>ch</strong>adenregulierung: Gegenstand, Problemstellung und Ziele der Regulierung<br />

∆: Einführung konkreter Fristen bei der S<strong>ch</strong>adenregulierung und Einführung von<br />

Sanktionen im Fall der Ni<strong>ch</strong>t-Einhaltung der Fristen dur<strong>ch</strong> das VU<br />

<strong>VVG</strong>: Art. 67 Abs. 1<br />

E-<strong>VVG</strong>: Art. 94<br />

Problemstellung: Fälle langsamer S<strong>ch</strong>adenregulierung dur<strong>ch</strong> die VU<br />

Ziel: Bes<strong>ch</strong>leunigung der S<strong>ch</strong>adenregulierungsverfahren<br />

Quelle: <strong>VVG</strong>, E-<strong>VVG</strong>, Erläuternder Beri<strong>ch</strong>t (2009), eigene Analysen<br />

17.6.2 Auswirkungen der Regulierung<br />

Die ökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkungen der geplanten Regulierung im Sinne von Art. 94 E-<strong>VVG</strong> sind in Tabelle<br />

84 im Form einer Tabelle im Überblick dargestellt. Die Ergebnisse der ökonomis<strong>ch</strong>en Analyse können fol-<br />

gendermassen zusammengefasst werden:<br />

■ Es gibt – abgesehen von Einzelfällen – keine empiris<strong>ch</strong>e Evidenz, dass die S<strong>ch</strong>weizer VU bei Haftpfli<strong>ch</strong>t-<br />

s<strong>ch</strong>adensfällen vorsätzli<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>adenregulierung verzögern. Wenn es zu Verzögerungen kommt, dann<br />

sind diese in der Regel auf die Komplexität des S<strong>ch</strong>adensereignisses zurückzuführen.<br />

■ Art. 94 E-<strong>VVG</strong> führt zu einer Erhöhung der Transaktionskosten. Au<strong>ch</strong> eine Erhöhung der sekundären<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten kann ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen werden, da die VU dazu übergehen könnten, Forderungen der<br />

376


17 S<strong>ch</strong>adenregulierung (Art. 94 E-<strong>VVG</strong>)<br />

VN ohne vertiefte Prüfung abzulehnen. Die Erhöhung der Kosten wird zu Prämienerhöhungen führen,<br />

was tendenziell die Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken reduziert.<br />

■ Der Nutzen von Art. 94 E-<strong>VVG</strong> liegt in einer allfälligen Bes<strong>ch</strong>leunigung des S<strong>ch</strong>adenregulierungsverfah-<br />

ren. Diese Wirkung dürfte allerdings bes<strong>ch</strong>ränkt sein, da die VU die Sanktionen, die in Art. 94 E-<strong>VVG</strong> vor-<br />

gesehen sind, auf einfa<strong>ch</strong>ste Weise abwenden können.<br />

17.6.3 Empfehlungen<br />

Die wohlfahrtsökonomis<strong>ch</strong>e Bilanz der Auswirkungen, die wir aufgrund von Art. 94 E-<strong>VVG</strong> erwarten, ist<br />

ni<strong>ch</strong>t positiv. Wir era<strong>ch</strong>ten das Instrument für ni<strong>ch</strong>t geeignet, um die damit verfolgte Ziele zu errei<strong>ch</strong>en.<br />

377


17 S<strong>ch</strong>adenregulierung (Art. 94 E-<strong>VVG</strong>)<br />

Tabelle 84: S<strong>ch</strong>adenregulierung: Die Auswirkungen im Überblick<br />

Auswirkungen auf die Kosten ����<br />

Primäre S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Sekundäre S<strong>ch</strong>adenskosten ���� Einstweilige Ablehnung der Ansprü<strong>ch</strong>e der VN vor vertieften Prüfung<br />

Transaktionskosten ����<br />

Su<strong>ch</strong>- und Informationskosten<br />

Vereinbarungskosten<br />

Abwicklungskosten ���� S<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>e Antwort der VU auf die S<strong>ch</strong>reiben der VN<br />

Kontroll- & Überwa<strong>ch</strong>ungskosten<br />

Änderungs- & Anpassungskosten ���� Anpassung von IT-Systemen<br />

Dur<strong>ch</strong>setzungs- & Geri<strong>ch</strong>tskosten ���� Beweislastumkehr; Verzugszins<br />

Politis<strong>ch</strong>e Kosten<br />

Auswirkungen auf die Versi<strong>ch</strong>erungsnehmer (VN)<br />

Informationsdefizite der VN<br />

Ex ante Opportunismus der VN<br />

Moral hazard der VN<br />

Ex post Opportunismus der VN<br />

Misstrauen gegenüber VL & VU<br />

Auswirkungen auf die Versi<strong>ch</strong>erungsvermittler (VL)<br />

Ex ante Opportunismus der VL<br />

Beratungsqualität<br />

Qualität der VL<br />

Auswirkungen auf die Versi<strong>ch</strong>erungsunternehmen (VU) ����<br />

Ex post Opportunismus der VU ����<br />

Andere Verhaltensanpassungen<br />

Auswirkungen auf die Eigens<strong>ch</strong>aften der gezei<strong>ch</strong>neten Versi<strong>ch</strong>erungsverträge<br />

Nutzenoptimalität des Kaufents<strong>ch</strong>eids<br />

Risikoadäquanz der Prämien<br />

Produktqualität<br />

Vertragsrisiken des VN ����<br />

Vertragsrisiken des VU ���� Beweislastumkehr;<br />

Auswirkungen auf Marktme<strong>ch</strong>anismen<br />

Adverse Selektion<br />

Markt für Zitronen<br />

Wettbewerb<br />

Auswirkungen auf das Marktglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t ����<br />

Preis der Versi<strong>ch</strong>erungsdeckung ���� Erhöhung der Transaktionskosten<br />

Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken ���� Prämienerhöhungen<br />

Instabilität des Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

Auswirkungen auf die gesamtwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Wohlfahrt<br />

Renten der VN ����<br />

Legende: vgl. Seite 76; Quelle: eigene Darstellung<br />

Reduktion der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken; Erhöhung der sekundären<br />

S<strong>ch</strong>adenskosten<br />

Renten der VL ���� Reduktion der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken<br />

Renten der VU ���� Reduktion der Menge der versi<strong>ch</strong>erten Risiken<br />

Renten anderer Produzenten<br />

���� Einstweilige Ablehnung der Ansprü<strong>ch</strong>e vor vertieften Prüfung<br />

���� Sanktionierung von ex post Opportunismus im Sinne einer vorsätzli<strong>ch</strong>en<br />

Vers<strong>ch</strong>leppung der S<strong>ch</strong>adenregulierung<br />

���� Einstweilige Ablehnung der Ansprü<strong>ch</strong>e der VN vor vertieften Prüfung<br />

���� Bes<strong>ch</strong>leunigung der S<strong>ch</strong>adenregulierung<br />

����<br />

����<br />

378


18 Anhang<br />

18 Anhang<br />

18.1 Anhang 1: Quantifizierung der Teilmärkte<br />

Tabelle 85: Marktvolumen Lebensversi<strong>ch</strong>erungsmarkt: Anzahl Versi<strong>ch</strong>erte, versi<strong>ch</strong>erte Summen und<br />

Renten, Zahlungen Brutto und verdiente Prämien im Jahr 2008<br />

PG PS Versi<strong>ch</strong>erte<br />

Abkürzungen: PG = Produktgruppe, PS = Produktsegment<br />

Basis: Direktes S<strong>ch</strong>weizerges<strong>ch</strong>äft<br />

Quelle: FINMA<br />

Vers. Summen<br />

& Renten<br />

Zahlungen<br />

Brutto<br />

Anzahl Mio. CHF Mio. CHF Mio. CHF<br />

in %<br />

von Total<br />

T O T A L 5'986'751 862'576 -31'119 29'607 100.0%<br />

Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen 2'174'641 612'845 -19'856 20'600 69.6%<br />

in %<br />

der PG<br />

Berufli<strong>ch</strong>e Vorsorge 2'157'604 610'902 -19'831 20'537 69.4% 99.7%<br />

Übrige Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erung 17'037 1'943 -26 63 0.2% 0.3%<br />

Klassis<strong>ch</strong>e Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen 3'044'265 195'222 -9'482 6'306 21.3%<br />

Einzel-Kapital-Versi<strong>ch</strong>erung 2'855'182 190'214 -7'656 4'707 15.9% 74.6%<br />

Einzel-Renten-Versi<strong>ch</strong>erung 182'252 1'855 -1'608 1'190 4.0% 18.9%<br />

Versi<strong>ch</strong>erung von Erwerbsunfähigkeit und<br />

Invalidität<br />

n.a. n.a. -176 370 1.2% 5.9%<br />

Sonstige Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen 6'831 3'153 -42 39 0.1% 0.6%<br />

Anteilsgebundene Lebensversi<strong>ch</strong>erungen 767'224 54'503 -1'779 2'665 9.0%<br />

An Fondsanteile geb. Kapitalversi<strong>ch</strong>erung 749'365 54'053 -1'645 2'468 8.3% 92.6%<br />

An Fondsanteile geb. Rentenversi<strong>ch</strong>erung 11'517 48 -26 33 0.1% 1.2%<br />

An interne Anlagebestände oder andere<br />

Bezugswerte geb. Kapitalversi<strong>ch</strong>erung<br />

An interne Anlagebestände oder andere<br />

Bezugswerte geb. Rentenversi<strong>ch</strong>erung<br />

Verdiente Prämien<br />

5'784 396 -102 128 0.4% 4.8%<br />

558 7 -7 36 0.1% 1.4%<br />

Kapitalisationsges<strong>ch</strong>äfte 621 6 -1 9 0.0%<br />

Bu<strong>ch</strong>mässige Prämien ausserhalb der berufli<strong>ch</strong>en Vorsorge 64 0.2%<br />

379


18 Anhang<br />

Tabelle 86: Marktvolumen S<strong>ch</strong>adenversi<strong>ch</strong>erungsmarkt: Verdiente Prämien und Zahlungen Brutto im 2008<br />

PG PS PSS<br />

Verdiente Prämien<br />

in Mio.<br />

CHF<br />

in %<br />

von Total<br />

Abkürzungen: PG = Produktgruppe, PS = Produktsegment, PSS = Produktsubsegment<br />

Basis: Direktes S<strong>ch</strong>weizerges<strong>ch</strong>äft<br />

Quelle: FINMA<br />

in %<br />

von PG<br />

Zahlungen<br />

Brutto<br />

in Mio.<br />

CHF<br />

Prämien /<br />

Zahlungen<br />

T O T A L 23'858 100.0% -14'492 1.65<br />

Unfallversi<strong>ch</strong>erungen 2'817 11.8% -1'644 1.71<br />

Einzelunfallversi<strong>ch</strong>erung 254 1.1% 9.0% -119 2.13<br />

Obligatoris<strong>ch</strong>e Berufsunfallversi<strong>ch</strong>erung 345 1.4% 12.2% -232 1.49<br />

Freiwillige UVG-Versi<strong>ch</strong>erung 34 0.1% 1.2% -28 1.22<br />

UVG-Zusatzversi<strong>ch</strong>erung 391 1.6% 13.9% -209 1.87<br />

Motorfahrzeuginsassen Unfallversi<strong>ch</strong>erung 182 0.8% 6.4% -24 7.42<br />

Übrige Kollektivunfallversi<strong>ch</strong>erungen 229 1.0% 8.1% -104 2.19<br />

Obligatoris<strong>ch</strong>e Ni<strong>ch</strong>tberufsunfallversi<strong>ch</strong>erung 1'383 5.8% 49.1% -927 1.49<br />

Krankenversi<strong>ch</strong>erungen 8'689 36.4% 100.0% -6'334 1.37<br />

Ambulante Heilbehandlungen 2'524 10.6% 29.0% -1'811 1.39<br />

Stationäre Heilbehandlungen 3'303 13.8% 38.0% -2'502 1.32<br />

Pflege 95 0.4% 1.1% -57 1.68<br />

Erwerbsausfall Einzel 84 0.4% 1.0% -57 1.46<br />

Erwerbsausfall Kollektiv 2'684 11.2% 30.9% -1'908 1.41<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>t-, Fahrzeug- und Transportversi<strong>ch</strong>erungen 7'702 32.3% 100.0% -4'325 1.78<br />

Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen 5'371 22.5% 69.7% -3'176 1.69<br />

Motorfahrzeughaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung 2'643 11.1% 34.3% -1'752 1.51<br />

Übrige Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen 2'728 11.4% 35.4% -1'424 1.92<br />

See-, Luftfahrt- und Transportversi<strong>ch</strong>erung 467 2.0% 6.1% -211 2.21<br />

Berufshaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung 89 0.4% 1.2% -42 2.12<br />

Allgemeine Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung 1'774 7.4% 23.0% -896 1.98<br />

Feuer-, Elementar- und übrige Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen 3'619 15.2% 100.0% -1'722 2.10<br />

Feuerversi<strong>ch</strong>erung 1'100 4.6% 30.4% -452 2.43<br />

Elementars<strong>ch</strong>adenversi<strong>ch</strong>erung 308 1.3% 8.5% -166 1.86<br />

Übrige Sa<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>äden 2'211 9.3% 61.1% -1'104 2.00<br />

Übrige Versi<strong>ch</strong>erungen 1'031 4.3% 100.0% -467 2.21<br />

Kreditversi<strong>ch</strong>erung 136 0.6% 13.2% -45 3.06<br />

Kautionsversi<strong>ch</strong>erung 155 0.7% 15.1% -46 3.39<br />

Vers<strong>ch</strong>iedene finanzielle Verluste 219 0.9% 21.3% -79 2.78<br />

Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz 354 1.5% 34.3% -169 2.09<br />

Verkehrsserviceversi<strong>ch</strong>erung 166 0.7% 16.1% -129 1.29<br />

Ratio<br />

380


18 Anhang<br />

Tabelle 87: Entwicklung der gebu<strong>ch</strong>ten Prämien (Brutto)<br />

1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008<br />

T O T A L 40'778 49'022 52'864 49'934 50'607 53'009 55'223 53'632 52'453 52'432 51'255 51'979 53'443<br />

L E B E N S V E R S I C H E R U N G E N 27'158 30'869 34'740 31'341 31'472 33'147 34'661 32'181 30'235 29'773 28'072 28'709 29'607<br />

Klassis<strong>ch</strong>e Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen 11'169 13'054 14'282 10'013 8'226 9'010 9'889 7'743 7'003 6'790 6'364 6'228 6'267<br />

Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen 15'291 16'736 18'345 19'867 21'303 22'286 23'303 22'932 21'419 19'666 19'424 19'919 20'601<br />

Anteilgebundene Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen 698 1'079 2'112 1'461 1'943 1'852 1'470 1'507 1'813 3'317 2'284 2'562 2'665<br />

Lebensversi<strong>ch</strong>erungen mit wiederkehrende Prämien 13'556 12'721 12'538 13'280 14'052 14'532 15'274 15'838 15'738 12'374 15'362 15'314 15'311<br />

Lebensversi<strong>ch</strong>erungen mit Einmalprämien 13'603 18'148 22'202 18'061 17'420 18'615 19'388 16'343 14'497 17'399 12'711 13'396 14'296<br />

S C H A D E N V E R S I C H E R U N G E N 13'620 18'153 18'124 18'593 19'135 19'861 20'561 21'450 22'218 22'659 23'182 23'270 23'836<br />

Unfallversi<strong>ch</strong>erung 2'290 2'308 2'309 2'395 2'448 2'556 2'583 2'595 2'616 2'735 2'789 2'850 2'818<br />

Einzelunfallversi<strong>ch</strong>erung 290 342 336 368 391 394 419 397 408 413 392 385 252<br />

Obligatoris<strong>ch</strong>e Berufsunfallversi<strong>ch</strong>erung 523 263 262 265 270 283 415 423 299 317 324 327 345<br />

Obligatoris<strong>ch</strong>e Ni<strong>ch</strong>tberufsunfallversi<strong>ch</strong>erung 745 957 969 1'002 1'021 1'099 967 984 1'131 1'224 1'262 1'324 1'383<br />

Freiwillige UVG-Versi<strong>ch</strong>erung 25 33 33 37 37 35 34 33 33 36 34 32 34<br />

UVG-Zusatzversi<strong>ch</strong>erung 315 320 325 330 332 339 344 342 339 334 354 367 396<br />

Motorfahrzeuginsassen Unfallversi<strong>ch</strong>erung 200 197 197 195 200 197 199 199 197 192 189 184 182<br />

Übrige Kollektivunfallversi<strong>ch</strong>erungen 191 196 188 198 198 209 206 216 210 219 235 229 227<br />

Krankenversi<strong>ch</strong>erungen 1'940 6'598 6'575 6'870 7'044 7'232 7'475 7'581 7'970 8'059 8'215 8'244 8'687<br />

Freiwillige Einzelkrankenversi<strong>ch</strong>erung 550 4'094 3'984 4'189 4'465 4'468 4'372 4'314 4'411 4'400 4'513 4'485 6'006<br />

Kollektivkrankenversi<strong>ch</strong>erung 1'350 2'504 2'591 2'681 2'579 2'764 3'103 3'267 3'559 3'658 3'701 3'759 2'681<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>t-, Fahrzeug- und Transportversi<strong>ch</strong>erungen 5'764 5'634 5'676 5'707 5'944 6'229 6'504 7'066 7'343 7'529 7'753 7'732 7'719<br />

Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen 3'433 3'878 3'917 3'962 4'085 4'214 4'423 4'732 4'977 5'179 5'305 5'370 5'397<br />

Motorfahrzeughaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung 1'384 1'967 1'951 1'929 1'969 1'987 2'088 2'277 2'420 2'534 2'604 2'634 2'645<br />

Übrige Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen 2'049 1'911 1'966 2'033 2'116 2'227 2'336 2'455 2'557 2'645 2'701 2'737 2'751<br />

See-, Luftfahrt- und Transportversi<strong>ch</strong>erung 390 372 356 353 390 413 466 466 493 447 458 467 466<br />

Allgemeine Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung 1'941 1'383 1'402 1'392 1'468 1'602 1'614 1'867 1'873 1'903 1'989 1'895 1'856<br />

Feuer-, Elementar- und übrige Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen 3'135 3'070 3'076 3'054 3'091 3'182 3'283 3'453 3'450 3'484 3'530 3'472 3'552<br />

Feuerversi<strong>ch</strong>erung 1'289 955 945 887 921 912 1'047 1'172 1'151 1'153 1'135 938 1'030<br />

Elementars<strong>ch</strong>adenversi<strong>ch</strong>erung 194 218 208 234 211 204 218 217 226 231 241 381 313<br />

Übrige Sa<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>äden 1'652 1'896 1'922 1'932 1'958 2'066 2'018 2'064 2'073 2'100 2'154 2'153 2'209<br />

Übrige Versi<strong>ch</strong>erungen 491 543 488 567 609 661 717 755 838 853 896 972 1'059<br />

Kreditversi<strong>ch</strong>erung 32 35 41 67 87 117 101 84 71 81 103 140 142<br />

Kautionsversi<strong>ch</strong>erung 44 55 52 44 53 57 72 101 105 101 110 113 135<br />

Vers<strong>ch</strong>iedene finanzielle Verluste 147 169 131 137 131 127 155 169 234 224 206 217 249<br />

Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz 193 201 181 215 228 237 250 268 280 297 321 338 361<br />

Verkehrsserviceversi<strong>ch</strong>erung 76 82 82 103 110 124 140 134 148 150 157 165 172<br />

Quelle: SVV<br />

381


18 Anhang<br />

Tabelle 88: Entwicklung der Zahlungen (Brutto)<br />

1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008<br />

T O T A L 24'219 28'409 29'964 33'196 36'450 41'748 44'665 49'865 50'178 44'629 46'459 44'649 45'611<br />

L E B E N S V E R S I C H E R U N G E N 16'329 17'022 18'466 21'001 23'786 28'823 31'003 36'286 36'430 30'297 32'286 30'731 31'119<br />

Klassis<strong>ch</strong>e Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen 4'531 5'270 5'889 6'239 7'772 8'001 9'735 10'972 9'037 8'519 8'538 9'199 9'482<br />

Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen 11'764 11'704 12'495 14'637 15'827 20'606 20'983 24'914 27'003 20'982 22'538 20'070 19'856<br />

Anteilgebundene Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen 34 49 82 125 186 216 285 400 389 797 1'211 1'461 1'779<br />

Lebensversi<strong>ch</strong>erungen mit wiederkehrende Prämien<br />

Lebensversi<strong>ch</strong>erungen mit Einmalprämien<br />

n.a.<br />

S C H A D E N V E R S I C H E R U N G E N 7'890 11'387 11'499 12'195 12'664 12'925 13'662 13'579 13'748 14'331 14'172 13'918 14'492<br />

Unfallversi<strong>ch</strong>erung 1'239 1'309 1'331 1'397 1'455 1'476 1'524 1'649 1'618 1'650 1'634 1'572 1'644<br />

Einzelunfallversi<strong>ch</strong>erung 198 228 211 222 229 231 248 229 231 225 202 192 119<br />

Obligatoris<strong>ch</strong>e Berufsunfallversi<strong>ch</strong>erung 307 176 185 193 202 205 308 326 223 255 251 228 232<br />

Obligatoris<strong>ch</strong>e Ni<strong>ch</strong>tberufsunfallversi<strong>ch</strong>erung 387 544 565 616 657 691 595 704 778 812 826 811 927<br />

Freiwillige UVG-Versi<strong>ch</strong>erung 21 29 30 29 31 33 32 31 38 30 28 26 28<br />

UVG-Zusatzversi<strong>ch</strong>erung 179 179 188 180 188 186 195 204 201 187 187 181 209<br />

Motorfahrzeuginsassen Unfallversi<strong>ch</strong>erung 53 49 49 48 47 47 42 43 36 32 28 26 24<br />

Übrige Kollektivunfallversi<strong>ch</strong>erungen 95 104 102 110 102 83 104 112 110 109 112 107 104<br />

Krankenversi<strong>ch</strong>erungen 1'553 5'154 5'080 5'232 5'355 5'686 5'703 5'760 5'824 5'773 5'740 5'930 6'334<br />

Freiwillige Einzelkrankenversi<strong>ch</strong>erung 431 3'105 2'963 3'047 3'231 3'370 3'100 3'015 3'036 3'056 3'088 3'223 4'427<br />

Kollektivkrankenversi<strong>ch</strong>erung 1'093 2'050 2'118 2'185 2'124 2'316 2'602 2'745 2'788 2'717 2'653 2'707 1'908<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>t-, Fahrzeug- und Transportversi<strong>ch</strong>erungen 3'191 3'281 3'513 3'646 3'844 3'919 4'481 4'241 4'628 4'347 4'354 4'174 4'325<br />

Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen 2'343 2'341 2'552 2'748 2'881 2'888 3'040 3'151 3'381 3'307 3'170 3'147 3'176<br />

Motorfahrzeughaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung 663 1'357 1'492 1'552 1'526 1'654 1'673 1'731 1'872 1'825 1'800 1'756 1'752<br />

Übrige Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen 1'347 984 1'060 1'196 1'354 1'234 1'366 1'420 1'509 1'482 1'370 1'390 1'424<br />

See-, Luftfahrt- und Transportversi<strong>ch</strong>erung 185 206 244 184 237 219 216 219 452 215 214 199 211<br />

Allgemeine Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung 663 734 717 713 726 811 1'225 871 794 825 970 828 938<br />

Feuer-, Elementar- und übrige Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen 1'554 1'610 1'522 1'870 1'966 1'754 1'869 1'835 1'621 2'182 2'040 1'802 1'722<br />

Feuerversi<strong>ch</strong>erung 709 541 470 584 651 577 734 690 504 714 726 485 452<br />

Elementars<strong>ch</strong>adenversi<strong>ch</strong>erung 41 80 66 205 270 212 107 95 62 408 311 285 166<br />

Übrige Sa<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>äden 804 989 986 1'081 1'045 965 1'028 1'049 1'055 1'060 1'004 1'032 1'104<br />

Übrige Versi<strong>ch</strong>erungen 353 257 282 296 288 360 377 369 344 378 403 440 467<br />

Kreditversi<strong>ch</strong>erung 16 21 24 23 26 35 58 79 38 10 27 30 45<br />

Kautionsversi<strong>ch</strong>erung 116 5 39 22 12 43 23 2 15 18 3 10 46<br />

Vers<strong>ch</strong>iedene finanzielle Verluste 104 91 55 59 66 58 46 51 49 89 99 117 79<br />

Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz 76 89 100 117 111 135 144 153 160 166 175 181 169<br />

Verkehrsserviceversi<strong>ch</strong>erung 40 52 64 75 73 88 107 84 82 95 100 102 129<br />

Quelle: SVV<br />

382


18 Anhang<br />

Tabelle 89: Definition der BASS-Marktsystematik<br />

FINMA-Marktsystematik<br />

Leben<br />

Ni<strong>ch</strong>t-Leben<br />

Kollektivlebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Klassis<strong>ch</strong>e Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Anteilsgebundene Lebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Kapitalisationsges<strong>ch</strong>äfte<br />

Bu<strong>ch</strong>m. Prämien ausserh. d. berufl. Vorsorge<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

Berufli<strong>ch</strong>e Vorsorge<br />

Lebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

x<br />

Klassis<strong>ch</strong>e<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

x<br />

Anteilsgebundene<br />

Einzellebensversi<strong>ch</strong>erungen<br />

x<br />

BASS-Marktsystematik<br />

Unfallversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Gesundheitsversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Krankenversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Behandlung<br />

Krankenversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Erwerbsausfall<br />

Unfallversi<strong>ch</strong>erungen x<br />

Krankenversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Ambulante Heilbehandlungen x<br />

Stationäre Heilbehandlungen x<br />

Pflege x<br />

Erwerbsausfall Einzel x<br />

Erwerbsausfall Kollektiv x<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>t-, Fahrzeug- und Transportvers.<br />

Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen x<br />

See-, Luftfahrt- und Transportversi<strong>ch</strong>erung x<br />

Berufshaftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung x<br />

Allgemeine Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erung x<br />

Feuer-, Elementar- und übrige Sa<strong>ch</strong>vers.<br />

Feuerversi<strong>ch</strong>erung x<br />

Elementars<strong>ch</strong>adenversi<strong>ch</strong>erung x<br />

Übrige Sa<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>äden x<br />

Übrige Versi<strong>ch</strong>erungen x<br />

Motorfahrzeugversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen<br />

Haftpfli<strong>ch</strong>tversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Gebäudeversi<strong>ch</strong>erungen<br />

Übrige Sa<strong>ch</strong>versi<strong>ch</strong>erungen<br />

Übrige Versi<strong>ch</strong>erungen<br />

383


19 Literaturverzei<strong>ch</strong>nis<br />

19 Literaturverzei<strong>ch</strong>nis<br />

19.1 Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Literatur<br />

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384


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EU - Enquête sectorielle (…) sur l’assurance des entreprises (rapport interne) (2007)<br />

EU - Enquête sectorielle (…) sur l’assurance des entreprises (rapport intermédiaire) (2007)<br />

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studies Prepared by DotEcon<br />

NO - KreditTilsynet, Act n°41 on Insurance Mediation (2005)<br />

NO - KreditTilsynet, Regulations n° 1421 on Insurance Mediation<br />

NO - Finance Norway – FNO, (Versi<strong>ch</strong>erer Verband) The Norwegian Financial Industry<br />

NO - Finanstilsynet Annual Beri<strong>ch</strong>t 2007-2009 (2008-2010)<br />

SW - Finansinspektionen, Regulations governing insurance mediation (2005, ergänzt 2009)<br />

SW - Finansinspektionen, Insurance intermediaries in the borderland between marketing and mediation<br />

SW - Finansinspektionen, Neat and orderly ? – a review of 150 insurance intermediaries<br />

19.3 Dokumente der Versi<strong>ch</strong>erer, Broker, Agenten und Behörden<br />

BIPAR Fédération européenne des intermediaries d’assurance (2006) Implementation of the Insurance<br />

Mediation Directive in the EU Member States (+Norway & Switzerland)<br />

CEA European insurance and reassurance federation(2010): Insurance Distribution Channels in Europe,<br />

CEA Statistics n°39<br />

Kuhn Moriz W. (2009): Guta<strong>ch</strong>ten in Sa<strong>ch</strong>en «Ist die zwingende Ents<strong>ch</strong>ädigungsordnung für Versi<strong>ch</strong>e-<br />

rungsbroker gemäss Art. 68 E-<strong>VVG</strong> i.V.m. Art. 45 Abs. 1 bis<br />

und 1 ter<br />

E-VAG mit der verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

garantierten Wirts<strong>ch</strong>aftsfreiheit (Art. 27 BV) vereinbar?», Züri<strong>ch</strong>: 21. Juli 2009<br />

SIBA Swiss Insurance Brokers Association: «Berufsbild S<strong>ch</strong>weizer Versi<strong>ch</strong>erungsbroker und Code of Con-<br />

duct vom 29. Oktober 2008», URL: http://www.siba.<strong>ch</strong>/pdf/SIBA_Berufsbild_D.pdf [Stand: 16. März<br />

2010]<br />

385


19 Literaturverzei<strong>ch</strong>nis<br />

SVV S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>er Versi<strong>ch</strong>erungsverband (2006): Freizügigkeitsabkommen unter den Krankentaggeld-<br />

Versi<strong>ch</strong>erern, URL: http://www.svv.<strong>ch</strong>/article7098/politik-und-re<strong>ch</strong>t/re<strong>ch</strong>t.htm [Stand: 16. März 2010]<br />

SVV S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>er Versi<strong>ch</strong>erungsverband (2010): Chiffres et faits 2010 du secteur de l’assurance privée<br />

Swiss Re (2004) Commercial insurance and reinsurance brokerage- love thy middleman (SIGMA)<br />

EBK Eidgenössis<strong>ch</strong>e Bankenkommission (2008): Anreizsysteme und Interessenskonflikte beim Vertrieb von<br />

finanzprodukten<br />

FINMA (2010) Les entreprises d'assurance privées en Suisse en 2008 et tableaux électroniques, internet<br />

WEKO Wettbewerbkommission (2008): Zusammens<strong>ch</strong>lusskontrolle Swiss Life/AWD, RPW 2008/2<br />

19.4 Vernehmlassungsantworten<br />

AGVS – Auto Gewerbe Verband S<strong>ch</strong>weiz (2009): Vernehmlassungsantwort des AGVS zum E-<strong>VVG</strong>, Bern:<br />

Urs Wernli und Gregor Bu<strong>ch</strong>er<br />

A. S<strong>ch</strong>mid & Partner (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Bassersdorf: Denis M. Salt<br />

Altenburger (2009): Vernehmlassungsantwort der Anwaltskanzlei Altenburger zum E-<strong>VVG</strong>, Züri<strong>ch</strong>: Domi-<br />

nique Chantal Müller und Leonhard Toenz<br />

Concordia (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Luzern: Nikolai Dittli und Pia S<strong>ch</strong>uler<br />

CVP (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Bern: Tim Frey<br />

Derrer Satmer Hunziker & Baumgartner Re<strong>ch</strong>tsanwälte (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>,<br />

Züri<strong>ch</strong>: Dr. Felix Hunziker-Blum<br />

FDP (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Bern: Fulvio Pelli und Stefan Brupba<strong>ch</strong>er<br />

Integration Handicap (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Züri<strong>ch</strong>: Georges Pestalozzi-Seger<br />

Kanton Basel-Stadt (2009): Vernehmlassungsantwort der Anwaltskanzlei Altenburger zum E-<strong>VVG</strong>, Basel:<br />

Dr. Guy Morin und Barbara S<strong>ch</strong>üpba<strong>ch</strong>-Guggenbühl<br />

Kanton Nidwalden (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Stans: Beat Fu<strong>ch</strong>s und Josef Baumgart-<br />

ner<br />

Kanton Zug (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Zug: Peter Hegglin und Tino Jorio<br />

Kanton Züri<strong>ch</strong> (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Züri<strong>ch</strong>: Regierungsrat des Kantons Züri<strong>ch</strong><br />

KPT (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Bern: Dr. Christoph Bangerter<br />

Konsumentens<strong>ch</strong>utzorganisationen (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Bern: ACSI, FRC, Kon-<br />

sumenten S<strong>ch</strong>utz, Konsumenten Forum<br />

KPT (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Bern: Dr. Christoph Bangerter – ACSI, FRC, Konsumen-<br />

ten S<strong>ch</strong>utz und Konsumenten Forum (2009):<br />

KV S<strong>ch</strong>weiz (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Züri<strong>ch</strong>: Peter Kyburz und Barbara Gisi<br />

Lloyd’s (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Züri<strong>ch</strong>:Graham West<br />

MEEX Versi<strong>ch</strong>erungsbroker AG: Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Züri<strong>ch</strong>: Werner Meyer und Marco<br />

Buholzer<br />

Ombudsfrau Ombudsman der Privatversi<strong>ch</strong>erung und der Suva (2009a): Vernehmlassungsantwort der<br />

SIBA zum E-<strong>VVG</strong>, Züri<strong>ch</strong>: Dr. Lili Nabholz-Haidegger<br />

RMS – Risk Management Services (2009): Vernehmlassungsantwort der SIBA zum E-<strong>VVG</strong>, Basel: Bruno<br />

Kopp<br />

Santésuisse (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Solothurn: Stefan Kaufmann und Stefan Ho-<br />

lenstein<br />

386


19 Literaturverzei<strong>ch</strong>nis<br />

S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>er Anwaltsverband (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Bern: René Rall<br />

S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>er Arbeitgeberverband (2009; Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Züri<strong>ch</strong>: Dr. Hans Reis<br />

und Prof. Dr. Roland A. Müller<br />

S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Gesells<strong>ch</strong>aft für Haftpfli<strong>ch</strong>t und Versi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>t (2009): Vernehmlassungsantwort zum<br />

E-<strong>VVG</strong>, Bern: Peter Beck<br />

SGB – S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>er Gewerks<strong>ch</strong>aftsbund: Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Bern: Paul Re<strong>ch</strong>steiner<br />

und Colette Nova<br />

Skandia (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Züri<strong>ch</strong>: Alex Hänsli und Benjamin Heusi<br />

SP S<strong>ch</strong>weiz – Sozialdemokratis<strong>ch</strong>e Partei der S<strong>ch</strong>weiz (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Bern:<br />

Christian Levrat und Stefan Hostettler<br />

SUVA (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Luzern: Dr. Mi<strong>ch</strong>ael Brändle<br />

SIBA Swiss Insurance Brokers Association (2009a): Vernehmlassungsantwort der SIBA zum E-<strong>VVG</strong>, Züri<strong>ch</strong>:<br />

Prof. Dr. Moritz W. Kuhn<br />

SIBA Swiss Insurance Brokers Association (2009b): S<strong>ch</strong>reiben «Vernehmlassung zum Entwurf zur Revision<br />

des Bundesgesetzes über den Versi<strong>ch</strong>erungsvertrag (<strong>VVG</strong>)» an die Wettbewerbskommission WEKO,<br />

Züri<strong>ch</strong>: Prof. Dr. Moritz W. Kuhn<br />

SIRM – Swiss Association of Insurance and Risk Manager: Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Bern:<br />

Dieter Berger und Lorenz Stämpfli<br />

Stöckli (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Freiburg: Prof. Dr. iur. Hubert Stöckli<br />

SVR – S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Vereinigung der Ri<strong>ch</strong>terinnen und Ri<strong>ch</strong>ter (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<br />

<strong>VVG</strong>, Bern: Thomas Stadelmann<br />

SVV S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>er Versi<strong>ch</strong>erungsverband (2009a): Vernehmlassungsantwort des SVV zum E-<strong>VVG</strong>, Zü-<br />

ri<strong>ch</strong>: Lucius Dürr und Franziska Strei<strong>ch</strong><br />

SwissBanking (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Basel: Renate S<strong>ch</strong>wob und Christoph Winze-<br />

ler<br />

VIB – Vereinigung S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>er Inhouse-Broker (2009): Vernehmlassungsantwort zum E-<strong>VVG</strong>, Züri<strong>ch</strong>:<br />

Kurt S<strong>ch</strong>iesser und Dr. Roger His<strong>ch</strong>ier<br />

VSV Verband S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>er Vermögensverwalter (2009): Vernehmlassungsantwort des VSV zum E-<strong>VVG</strong>,<br />

Züri<strong>ch</strong>: Jean-Pierre Zuber und Alexander Rabian<br />

European Commission (2009): S<strong>ch</strong>reiben von Karel VAN HULLE, Unitleiter «Financial Institutions, Insurance<br />

and Provisions» an Antero Kiviniemi. Direktor «Ministry of Social Affairs and Health, Insurance » in<br />

Finnland<br />

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